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Eurydike

von

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Ein neues Zuhause?

Schweigsam folgte Yuki der Brünetten die Treppe hoch in den dritten Stock, vorbei an einer Ansammlung von Couchsesseln und Sofas links bis ans Ende des Korridors. Ihr neues Zimmer befand sich ganz hinten auf der rechten Seite, genau über dem Teil der Lobby, wo sie den Vertrag unterzeichnet hatte. Großartig, dachte sie bei sich und schon kam ihr die Tür ein klein wenig bedrohlicher vor.

Yukari war stehen geblieben und sagte bemüht freundlich: „Das ist es. Ziemlich leicht zu merken, nicht? Schließlich ist es ganz am Ende des Flurs!“

Yuki fand, dass ihr Lächeln ein wenig gezwungen wirkte. Vielleicht hatte sie aber auch nur ein schlechtes Gewissen, weil sie sie vor Fünf Minuten noch erschießen hatte wollen.

„So, irgendwelche Fragen?“

Mit leicht schräg gelegtem Kopf dachte Yuki kurz nach und entschloss sich schließlich für die Frage, die ihr am wenigsten verrückt vorkam: „Lebt dieser Junge auch hier?“

Zwar hätte sie auch gerne nach dem Vertrag oder der Stadt gefragt, aber sie wollte der schießwütigen Brünetten keinen Anlass geben, ihr zu misstrauen oder sie für komisch zu halten.

Diese sah trotzdem nicht begeistert aus als sie antwortete: „Wovon redest du? Komm schon, das ist nicht witzig.“

Was sollte das denn nun wieder? Yuki hatte mit dem Burschen schließlich nur Minuten, bevor Yukari aufgetaucht war, gesprochen, sie musste ihn also zumindest gehört haben! Wieso tat sie jetzt so, als hätte sie nicht mehr alle Latten am Zaun? Irritiert und, zugegebenermaßen, ein wenig misstrauisch, fragte sie sich, wieso die Brünette sich dumm stellte. Irgendwoher musste der Bengel schließlich gekommen sein, er konnte ja schlecht in der Wand wohnen.

Unterdessen war Yukari ganz in ihre eigenen Gedanken versunken und bemerkte Yukis forschende Blicke nicht. Das Gesicht abgewandt fragte sie unsicher: „Um … Kann ich dich etwas fragen? Auf deinem Weg von der Station hierher ... war da alles in Ordnung?“

Für einen Moment wurde Yuki trotz ihrer Müdigkeit hellhörig: hatte Yukari etwa auch etwas gesehen? War sie doch nicht die Einzige, die die ganzen Särge und das Blut bemerkt hatte? Sie wollte schon mit ihrer Antwort herausplatzen, als ihr ein Gedanke kam: die Frage konnte auch ganz anders gemeint sein. Sie war schließlich mehrere Stunden zu spät eingetroffen, genauso gut konnte es eine reine Höflichkeitsfloskel sein alá „Wie geht es dir?“ oder „Hattest du eine angenehme Reise“?

Yuki biss sich auf die Unterlippe. Sie konnte unmöglich von Särgen und dergleichen anfangen, wenn Yukari nur ein einfaches „Ja, danke der Nachfrage“ erwartete. Andererseits … vielleicht wusste sie ja doch Bescheid? Wie sie es auch drehte und wendete, sie musste erst sicher sein, dass sie beide das Gleiche meinten ehe sie mit ihrer Geschichte für Verwirrung sorgte.

Also fragte sie so unschuldig wie möglich: „Was meinst du?“

„Du weißt was ich .. Schon gut. Es scheint, als ginge es dir gut“, Yukari schenkte ihr wieder ihr freundliches „Alles-in-bester-Ordnung“-Lächeln ,“Tja, ich mach mich dann wohl mal besser auf den Weg.“

Mit diesen Worten drehte sie am Absatz um und ließ Yuki einfach stehen. Nach ein paar Schritten hielt sie noch einmal an und rief über die Schulter: „Um ...Ich bin sicher du hast noch andere Fragen, aber lass sie uns auf später verschieben, okay? Gute Nacht.“

Wie bestellt und nicht abgeholt stand Yuki im Flur vor ihrem neuen Zimmer, Yukaris Schritte auf der Treppe wurden langsam leiser, und in ihrem Kopf herrschte nur eine Frage: gab's auf dieser Etage eigentlich auch ein Klo? Fast war sie versucht, wieder nach unten zu gehen und die beiden danach zu fragen, aber das bisschen Restwürde, was ihr heute geblieben war, wollte sie dann doch nicht aufgeben. Also schob sie den Tragegurt ihrer Tasche wieder auf ihre Schulter, umfasste die Türklinke mit eisernem Griff und drückte sie entschlossen (und in der Hoffnung, dass sie nicht abgeschlossen war) nach unten. Gott sei Dank hatten Rotschopf und Schießstand-Yukari dran gedacht, ihr Zimmer offen zu lassen. Mit einem leisen Klick betätigte Yuki den Lichtschalter und sah zum ersten Mal ihr neues Zuhause.

Es war ein gemütlicher Raum mit einem frisch bezogenen Bett, davor eine kleine Kommode samt Fernseher, einem Schreibtisch direkt vorm Fenster, ein paar Regalen an den Wänden und, links von ihr, einem eigenen Waschbecken mit Spiegel und Minikühlschrank. Hier konnte man sich durchaus wohl fühlen. Sie schloss leise die Tür hinter sich und stellte erleichtert fest, dass der Schlüssel innen im Schloss steckte. Man fühlte sich gleich so viel wohler, wenn man wusste, dass man potentielle Ruhestörer bei Nacht aussperren konnte.

Der Anflug eines Lächelns hatte sich auf ihr Gesicht geschlichen, erlosch jedoch nun, da sie sich ihrer Lage bewusst wurde, schnell wieder. Sie war hier, umgeben von Menschen, die sie nicht kannte in einer Stadt, die ihr mal vertraut gewesen sein musste und die ihr nun so unendlich fremd und bedrohlich vorkam. Außerdem zweifelte sie langsam ernsthaft an ihrem Verstand. Waren die Dinge, die sie da draußen gesehen hatte, nun wirklich wahr? Oder lediglich ein Produkt ihrer Fantasie, gemischt mit Stress und ihrer üblichen Angst vor der Dunkelheit? Panikattacken bei Nacht waren für sie ja nichts Neues, aber Halluzinationen hatte sie noch nie gehabt. Wenn sie diese Furcht doch nur endlich abschütteln könnte, es war doch schon so lange her …

Mit einem Mal brach die Müdigkeit über sie herein wie eine Welle und sie konnte die Augen kaum noch offen halten. Ihre Tasche glitt ihr von der Schulter und sie ließ zu, dass sie auf den Boden plumpste. Ihr Körper wurde schlaff, forderte seinen Tribut nach all den anstrengenden Ereignissen dieses Abends. Eigentlich hatte sie noch vorgehabt, über all das nochmal gründlich nachzudenken und für sich zu entscheiden, ob sie den Mädchen im Erdgeschoss trauen konnte, aber plötzlich schien nur noch eines wichtig zu sein: Schlaf, und zwar eine ganze Menge davon.

Ihre Füße trugen sie wie mechanisch hinüber zum Bett. Voll bekleidet ließ sie sich einfach darauf fallen und streifte die Schuhe umständlich ab. Ungeduldig öffnete sie Jacke und Rock, schlüpfte aus ihnen heraus und warf beides achtlos von sich. Die Bluse ließ sie an, die Socken landeten am Fußende des Bettes am Boden. Mit einem zufriedenen Seufzen schloss sie die Augen und vergaß, dass sie ihre Tür eigentlich hatte absperren wollen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2015-01-20T19:02:14+00:00 20.01.2015 20:02
Wow das Kapitel war der hammer ^-^


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