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Vielleicht für immer

von

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Neuanfang

Neuanfang[/u
 

Mein Körper reagiert ganz von selbst, als Sasukes Anblick meine Sinne überflutet. Ich stehe auf, mit einem Ruck, der das Porzellan meiner Tasse zum Klirren bringt. Er sieht mich daraufhin an, direkt. So direkt, dass ich mein aufgeregtes Herz kaum noch spüre. Fuck, er sieht so … unglaublich aus.
 

„Sasuke … ich dachte schon, du kommst nicht“, sage ich und muss zu meinem Leidwesen feststellen, dass mich meine Stimme verrät. Sie zittert, obwohl ich erleichtert bin.
 

„Wollte ich auch nicht.“ Er klingt fest und kühl, alles an ihm wirkt distanziert, unnahbar. Aber er ist da, setzt sich sogar, obwohl man ihm ansieht, dass er am liebsten wohl sofort wieder aufstehen würde.
 

„Aber du bist hier. Das ist … möchtest du vielleicht was trinken? Sie machen bestimmt noch ...“
 

„Nein“, erwidert er schroff. Sein Blick ist eindringlich und aufmerksam. Es scheint, als würde er jede Reaktion von mir genau studieren. Doch für mich ist es schwer, seinen intensiven Blick zu erwidern. Unfassbar schwer, weil ich darin auch sehe, wie fertig er ist. Blasse Haut. Müde, erschöpfte Augen, die mit dunklen Schatten verziert sind. Sasukes Nacht muss länger und alkoholhaltiger ausgefallen sein, als ich gedacht habe.
 

„Magst du dann vielleicht noch was essen? Die machen hier auch echt gute Sandwiches. Ich bestell dir noch eins, wenn du magst?“
 

„Nein.“
 

„Okay… ähm, wie war denn dein Abend gestern? Warst du noch lange unterwegs?“
 

„Naruto, ich bin nicht hier um zu essen oder dir von meinem Abend zu erzählen. Wenn du mir nichts zu sagen hast, kann ich auch gleich wieder gehen!“, hallt seine dunkle Stimme drohend, leicht knurrend und beängstigend durch den Raum. Plötzlich ist es hier unangenehm still. Selbst für meine Verhältnisse.
 

„Gut, dann … fang ich einfach mal an, hmm“, stelle ich mehr für mich fest, als für Sasuke, während ich meine trockenen Lippen befeuchte. Er sagt nichts, sieht mich nur weiterhin an. Sein Gesicht ist ausdruckslos, beinahe undurchsichtig. Eine Tatsache, die es nicht leichter macht. Überhaupt nicht. Dass ich außerdem auch noch dringend mal aufs Klo muss, macht die Situation gerade echt unerträglich, aber jetzt schnell verschwinden geht nicht. Sasuke würde doch sofort wieder abhauen. Deshalb atme ich tief ein und vertraue ganz auf mein Bauchgefühl, lasse meinen Bauch reden, ganz ohne Beteiligung meines Kopfes.
 

„Ich habe dich damals nicht verlassen wollen, wirklich nicht“, beginne ich, doch Sasuke schnaubt.
 

„Dann war das leere Bett am nächsten Morgen Einbildung? Und den Zettel haben mir natürlich kleine Heinzelmännchen hingelegt!“ Sarkasmus liegt in der Luft und ich atme hörbar aus.
 

„Nein, natürlich nicht. Aber ich hatte meine Gründe. Mir ist es nicht leicht gefallen zu gehen. Mir ist es nicht einmal leicht gefallen, dir den Brief zu schreiben und ich weiß, dass das absolut falsch war.“
 

„Es war feige!“, zischt er dazwischen. Wie recht er doch hat.
 

„Ja. Wenn ich könnte, würde ich alles rückgängig machen. Aber ich kann nicht. Alles was ich jetzt noch tun kann, ist dir die Wahrheit zu sagen.“
 

„Und welche? Du hast mir geschrieben, schon vergessen? Ich war ein Fehler. Ein beschissener Fehltritt! Eine Gedankenlosigkeit, oder? Glaub mir, Naruto, ich kenne deine Wahrheit.“ Seine Stimme bebt so heftig, dass sie mir die Luft zum Atmen raubt. Seine Worte legen sich wie festes Tau um meinen Hals, drücken sich unangenehm auf meinen Kehlkopf. Das denkt er? So hat er … Scheiße.
 

„Sasuke …“, hauche ich mitgenommen und weiß nicht einmal mehr im Ansatz, wie ich ihm begreiflich machen soll, dass er das alles total missverstanden hat.
 

„Ich habe nicht dich gemeint, Sasuke. Ich habe niemals dich gemeint. Das ist alles so … scheiße, das tut mir so leid. Ich hab … Sasuke, ich habe ein Kind. Ein Kind, verstehst du? Karin ist schwanger geworden, kurz bevor das mit uns richtig angefangen hat“, sage ich atemlos und sehe, wie sich seine Gesichtszüge verändern. Nur ganz leicht. Er denkt.
 

„Du…“
 

Energisch schüttle ich den Kopf, bevor er weitersprechen kann:
 

„Ich hab es selbst erst viel später erfahren. Ich wusste nichts davon. Sie hat es mir erst gesagt, als ich mich von ihr trennen wollte. Ich wollte sie verlassen, für dich, so wie ich es dir zuvor gesagt habe. Ich konnte doch nicht ahnen, was sie mir sagen würde. Danach konnte ich es nicht mehr. Es war so schwer, Sasuke. Ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte. Karin war so glücklich und ich hab mich so beschissen gefühlt.“
 

„Und deshalb bist du zu mir gekommen? Du hast mit mir … Wir haben … Warum? Warum hast du mit mir geschlafen? Warum, wenn du vorhattest, mich zu verlassen? Sollte das deine Form von solidarischem Beschissenfühlen sein, oder was?“ Seine Finger verkrampfen sich. Er atmet schnell, genauso schnell wie ich.
 

„Gott, nein. Soweit habe ich nicht gedacht. Damals habe ich überhaupt nicht nachgedacht. Für mich war es das Beste, was jemals passiert ist. Mir ist klar, dass es ein Fehler war, einfach zu gehen. Deine Nähe war damals einfach beruhigend und schön, ich wollte dir nah sein, weil ich vergessen wollte. Sasuke, es tut mir wirklich leid. Lass es mich … lass mich …“, er zieht seine Hand weg, als ich nach ihr greifen will. Sein ganzer Körper weicht vor mir zurück – flieht.
 

„Nein … Nein, Naruto.“
 

„Bitte Sasuke. Das mit Karin ist vorbei. Endgültig. Wir haben uns getrennt, weil es einfach nicht mehr ging.“
 

„Das ändert nichts. Das ändert gar nichts mehr. Das mit uns hast du kaputt gemacht“, sagt er ruhig. Viel zu ruhig. Mit einer Endgültigkeit in der Stimme, die mir mein Herz zerreißt. Er dreht sich um, geht. Ist schon beinahe wieder an der Tür.
 

„Warte, Sasuke!“, rufe ich quer durch den Raum. Mir ist egal, dass sämtliche Augen auf mir liegen. Mir sind alle egal, solange nur Sasuke stehenbleibt und zu mir sieht.
 

„Ich muss dir noch was sagen. Damals hab ich es nicht gesagt und ich hab es die ganze Zeit bereut. Deshalb … ich will, dass du es weißt, bevor du jetzt gehst. Sasuke, ich liebe dich. Ich liebe nur dich!“ Mein Herz schlägt. Rhythmisch, unaufhaltsam – schlägt mir bis zum Hals, als ich sehe, wie sich seine Augen für Sekunden weiten. Die Stille ist geladen. Zum Zerreißen gespannt. Der Moment, der alles entscheidet, ist da. Es liegt in Sasukes Händen. Als sich seine Lippen öffnen, bin ich einer Ohnmacht nahe, doch mein Herz pocht viel zu wild, um mich einfach im Stich zu lassen.
 

„Es … ändert nichts. Es ändert nichts mehr.“
 

Und es bricht. Lautlos.

Zerspringt. Einfach so.
 

Und ich falle zurück auf meinen Stuhl.

Bleibe. Regungslos.
 

***
 

Mir geht es nicht gut. Überhaupt nicht. Die ganze letzte Woche habe ich nachgedacht, bin das Gespräch wieder und wieder durchgegangen und fühle mich jetzt schlechter als vorher. Sasuke hat mich aufgegeben. Er gibt uns auf. Die Gewissheit tut mehr weh, als ich mir jemals vorgestellt habe. All meine Befürchtungen hat er wahr werden lassen, kompromisslos. Eine Tatsache, die den Tag grau und trist macht – jeden Tag, der seitdem vergangen ist.
 

„Sie quengelt momentan sehr viel, also gib ihr einfach diesen Beißring.“ Karin steht vor mir und wühlt die ganze Zeit Kleinigkeiten aus der Tasche, um sie mir zu zeigen. Dinge, die sie jetzt neu für Hikari besorgt hat und die ich zweckgemäß einsetzen soll. Mir fällt es nur unglaublich schwer, ihren Worten zu folgen.
 

„Ohne ihren Schmusi schläft sie übrigens auch nicht mehr ein, also leg ihn ihr immer mit ins Bett.“ Ich könnte heulen. Nicht, weil mein Kind irgendein Schmusetier zum Schlafen braucht, sondern weil ich eines brauch. Doch das, was ich will, kann ich nicht bekommen.
 

„Okay“, erwidere ich leise, beinahe nebensächlich.
 

„Wenn sie trotzdem nicht schläft, dann spiel ihr das hier vor, das mag sie zur Zeit am liebsten“, erklärt Karin weiter, während sie mir irgendein Spielzeugding vor die Nase hält. Ich nicke, obwohl ich keine Ahnung habe, wie dieses Teil funktionieren soll.
 

„Mahlzeiten und alles andere stehen auf dem Zettel.“
 

„Ist gut.“
 

„Ich hole sie dann am Sonntagabend wieder ab, okay?“
 

„Ja.“
 

„Wenn was ist, rufst du mich an, ja?“
 

„Sicher.“
 

„Ich habe Sasuke übrigens gestern in der Stadt getroffen.“
 

„Was?“, mein Kopf dreht sich augenblicklich zu ihr. Ihre Augen spiegeln mein Empfinden wider. Es ist unglaublich. Sie hat ihn gesehen und jetzt sieht sie mich, mit all der Sehnsucht, die ich verspüre.
 

„Er sah mitgenommen aus, fast so wie damals, weißt du noch?“ Wieder nicke ich. Ja, ich kann mich noch gut an den Moment erinnern. Viel zu gut.
 

„Ja.“
 

„Weißt du, der Naruto, den ich kennengelernt habe, hätte niemals so schnell aufgegeben.“ Sie spricht diese Worte ruhig und gelassen, mit einem hinweisenden Ton aus, der es mir unmöglich macht darauf etwas zu erwidern. In den nächsten Sekunden sehe ich ihr nur nach. Sie geht aus meinem Zimmer, wirft mir noch ein Lächeln zu, das auf angenehme, warme Weise aufmunternd wirkt, ehe sie die Tür schließt und verschwindet. Hikari strampelt derweil ganz lebhaft und wild mit ihren Beinen, fast so, als würde sie krabbeln wollen, und ich habe unvermittelt das Gefühl, dass auch sie versucht mir etwas Entscheidendes mittzuteilen.
 

Rumsitzen und im Selbstmitleid baden, was bringt das? Sie haben recht, alle. Ich sollte endlich aufhören, immer nur zu denken. Mehr handeln, mehr fühlen, mehr investieren, mehr kämpfen.
 

»Vielleicht ist es noch zu früh, dir wieder zu schreiben. Vielleicht hältst du mich für einen Idioten und wahrscheinlich wirst du diese Nachricht nicht einmal mehr lesen, aber ich kann nicht anders. Ich muss dir schreiben. Ich kann mir nicht länger vormachen, dass alles gut ist. Ich kann nicht länger nur hier sitzen und mein Leben leben, während ich eigentlich viel lieber bei dir wäre. Du fehlst mir, Sasuke. Weißt du, wie gern ich dich jetzt sehen würde? Ich vermisse dich. Ich vermisse die Art, wie wir miteinander reden. Ich vermisse es einfach still neben dir zu sitzen und ich vermisse sogar die kleinen Neckereien, die Spitznamen … alles.«
 

Hikari liegt und krabbelt auf dem Boden herum. Sie sitzt schon lange nicht mehr nur auf der Spieldecke, und ihre Spielsachen hat sie mittlerweile im ganzen Zimmer verteilt. Ein munteres Plappern kommt aus ihrem kleinen Mund und ich sehe kurz auf, unterbreche meinen Monolog, den ich gerade für Sasuke ins Handy tippe. Worte, die aus meinem Herzen kommen. Worte, in die ich sämtliche Hoffnung lege, während Hikari glücklich von einem Ball zum nächsten greift.
 

»Als du letzte Woche aus dem Café verschwunden bist, habe ich zum ersten Mal wirklich begriffen, wie es sich anfühlt, wenn einem das Herz bricht. Du hast in diesem Moment einen ganzen Teil einfach mitgenommen, weil es schon immer dir gehört hat. Ich liebe dich, auch wenn ich weiß, dass unsere Vergangenheit nicht wie eine schöne Bilderbuchgeschichte verlaufen ist und du alles Recht der Welt hast, mich dafür zu verteufeln, hoffe ich dennoch, dass du diese Nachrichten liest. Meinetwegen darfst du mich hassen, mich verabscheuen und ignorieren. Wirklich, Sasuke. Ich kann dir dafür nicht einmal böse sein. Vermutlich habe ich genau das verdient. Ich hab es versaut und das tut mir so unglaublich leid. Ich will nur, dass du weißt, dass ich dich niemals verletzen wollte. Ich liebe dich.«
 

Ich kann es selbst kaum richtig fassen, wie leicht es mir fällt ihm mein Herz auszuschütten. Ihm all diese Dinge zu sagen, zu schreiben fühlt sich gut an. Befreiend und ehrlich. Seit langem habe ich wieder einmal das Gefühl, etwas Richtiges zu tun. Und in dem Moment, als ich Hikari ansehe, ihr süßes Lächeln einfange, fange ich an zu glauben, dass es eine Zukunft gibt. Ich schicke die Nachricht ab, zögere nicht mehr.
 

»In deinen Augen muss ich ein Verrückter sein, oder? Ich hab ja schon immer viel geredet, aber das hier … das sprengt wohl alles. So viel Text … und dabei weiß ich nicht einmal, ob sie dich noch erreichen. Ich bin ein Idiot, aber das ist eigentlich auch egal, weil es sich besser anfühlt. Ich liebe dich und das könnte ich immer wieder sagen, auch wenn du es vielleicht nicht hören willst. Ich würde es am liebsten in die ganze Welt schreien, es auf Plakate schreiben oder es an jede Hauswand sprühen. Meine Worte können vielleicht nicht mehr gutmachen, was ich in der Vergangenheit getan habe, aber vielleicht können sie dafür sorgen, dass wir eine Zukunft haben. Du bist mein Freund und ich vermisse dich. Du bist die Person, die ich am meisten liebe.«
 

Wie oft ich ihm jetzt gesagt habe, was ich für ihn empfinde, wirkt selbst auf mich seltsam. Nicht einmal Karin, geschweige denn Sakura, haben damals ein „Ich liebe dich“ von mir gehört. Jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern. Diese Zeit liegt so weit weg – existiert kaum noch. Das Einzige, was ich aus dieser Zeit mitnehme ist Hikari und eine ganze Menge an Erfahrungen, die mich reifer gemacht haben.
 

»Ich habe noch nie wirklich an Zufälle oder Schicksal geglaubt. Habe immer gedacht, dass man für sein Glück selbst verantwortlich ist, doch jetzt bleibt mir nichts anderes über, als daran zu glauben. Nichts kann mir sagen, ob ich glauben oder hoffen darf. Niemand kann mir Gewissheit geben, niemand außer dir. Vielleicht geht es dir wie mir? Vielleicht möchtest ja auch du eine Freundschaft nicht einfach aufgeben? Ich weiß, ich habe dich schon einmal darum gebeten, und ich würde es immer wieder tun, wenn es sein muss, denn ich will dich nicht verlieren. Bitte, Sasuke.«
 

Ich sehe nach draußen, ganz beiläufig und in Gedanken vertieft, die sich um Sasuke drehen. Er hat schon einmal mir zuliebe seinen Stolz vergessen. Hat sich schon einmal überreden lassen. Fast alle Bäume sind bereits kahl. Der Winter naht. Ab wann gibt es den perfekten Zeitpunkt, um neu anzufangen? Im Frühling? Der letzte hat nur dafür gesorgt, dass alles schlimmer wurde. Im Sommer? Da ist es vermutlich zu spät. Auch wenn die Welt so aussieht, als würde sie sich für einen langen Winterschlaf vorbereiten, scheint die Sonne dennoch stark genug, um einen Hauch leichter Wärme in den Tag zu legen.
 

„Na, wollen wir vielleicht ein wenig rausgehen? Im Herbstlaub spazieren gehen?“, mit sanfter Stimme richte ich mich an Hikari, die mich aus großen Augen ansieht und einen Gummiring in ihrem Mund hat. Ich seufze schließlich, ehe ich sie hochhebe und uns beide fertig mache für einen kleinen Ausflug in den Park.
 

»Weißt du, dass ich jetzt ganz in der Nähe vom Park wohne? Vermutlich weißt du das nicht und es ist auch nicht wirklich wichtig. Aber ich bin neuerdings gerne im Park. Gerade jetzt, wo das Laub unter den Füßen raschelt und kaum ein Mensch hier ist. Es ist ganz still hier, ganz friedlich und ruhig und ich muss an dich denken. Ich glaube, dir würde es auch hier gefallen, stimmt’s? Langsam fange ich an, zu verstehen. Ich verstehe, warum es angenehm ist, hier zu sein und einfach auf einer Bank zu sitzen. Machst du das auch manchmal? Würdest du es machen? Vielleicht mal mit mir zusammen? Ich hoffe es.«
 

Sasuke hat mir nicht geantwortet. Auf keine einzige Nachricht. Es ist seltsam, aber ich bin nicht enttäuscht, bin nicht wütend oder traurig. Ich bin nur … ich weiß auch nicht, wie ich diesen Zustand beschreiben soll. Ich will kämpfen. Ich will ihm so viel von mir mitgeben, wie es mir möglich ist. Ich will, dass er weiß, was in mir vorgeht, wie ich denke und fühle. Er soll wissen, was ich mache und vielleicht habe ich Glück. Vielleicht gibt er mir doch nochmal eine Chance?
 

Im Park steht eine große, kräftige Eiche, die ihre Blätter längst abgeworfen hat. Große und kleine bunte Haufen liegen am Boden und ich erinnere mich, dass es ein Foto von mir gibt, wo ich noch klein bin. Auf dem ich mit Strickmütze und Schal mitten in einem Haufen schöner, bunter Herbstblätter sitze. Ich habe dieses Bild immer gemocht. Weil ich finde, dass ich auf diesem Bild richtig begeistert und fasziniert aussehe. Von solch kleinen Dingen. Ob mein Kind das ähnlich empfindet? Ich weiß es nicht genau, aber sie scheint auf jeden Fall neugierig und interessiert, als ich sie aus ihrem Wagen hebe und mich mit ihr auf das trockene Laub setze. Die Fotos, die anschließend entstehen, schicke ich Karin und meinen Eltern und ich überlege kurz, ob ich auch Sasuke eins schicken sollte. Vielleicht …
 

Es ist der Schatten neben mir, der meine Gedanken aufhält. Ein Schatten, der zu einer Person gehört, die sich schweigend neben mich setzt und dafür sorgt, dass ich mein Herz deutlicher schlagen spüre. Der Wind trägt seinen Geruch zu mir. Ein tiefer Atemzug folgt. Es fühlt sich schön an. Er ist nah, obwohl er mich nicht berührt. Er ist hier, und obwohl ich es so sehr gehofft habe, habe ich dennoch nicht damit gerechnet. Es überrascht mich genauso sehr wie es mich freut.
 

„Ist es das? Dein Kind?“, fragt er leise. Bedacht und ruhig. Mir bleibt fast das Herz stehen, während ich nicke.
 

„Sie heißt Hikari. Karin hat den Namen ausgesucht“, erwidere ich und bin seltsam nervös. Ich will es nicht versauen. Nicht schon wieder. Und das folgende Schweigen ist nicht unangenehm. Wir beobachten beide die noch ungeschickten Versuche meines Kindes, Laubblätter in die Luft zu werfen.
 

„Warum hast du geglaubt, dass ich es nicht akzeptieren kann? Warum dachtest du, dass mir ein Kind zu viel werden würde?“, fragt er mich, lässt die Stille einem tiefen Atemzug weichen.
 

„Ich weiß es nicht genau. Wahrscheinlich, weil es mir selbst zu viel war. Ich hatte Angst. Ich glaube, ich hatte einfach nur Angst“, gestehe ich und blicke zu ihm. Das erste Mal sehe ich ihn an, sehe auf sein Profil, doch er sieht nicht zurück. Schaut nach vorn, betrachtet Hikari mit einem nachdenklichen Blick.
 

„Du bist ein Idiot. Ein wirklich dummer Idiot“, seufzt er und schließt für einen Moment die Augen.
 

„Du hättest es mir sagen können. Du hättest von Anfang an mit mir darüber reden müssen.“
 

„Ich weiß.“
 

„Du bist so ein … Idiot“, sagt er und klingt hilflos.
 

„Ein Idiot, der Fehler gemacht hat.“ Ich suche seinen Blick, suche Kontakt. Meine Hand trifft seine und dieses Mal zieht er sie nicht weg. Einzig sein Blick ruht trotzdem weiter auf Hikari. „Meinst du, du kannst mir verzeihen?“
 

„Ich weiß nicht“, sein Blick senkt sich, während er sanft mit dem Kopf schüttelt.
 

„Ich verlange nicht, dass wir da weitermachen, wo wir damals aufgehört haben, wirklich nicht. Ich will nur nicht, dass du mich hasst oder ignorierst. Ich will Zeit mit dir verbringen, irgendwie … wenn …“
 

„Ich wäre nicht hier, wenn du mir egal wärst, Naruto“, unterbricht er mich und im nächsten Moment treffen sich unsere Augen. „Ich habe dir vertraut“, sagt er leise, beinahe so, als wäre das nur ein Gedanke. In seinen Augen steht der Schmerz, den ich verursacht habe.
 

„Ich weiß nicht, ob es so klug wäre, dir erneut zu vertrauen.“
 

„Und wenn ich dir Zeit gebe? So viel Zeit, wie du brauchst?“ Ich halte seine Hand fester, vermutlich zu fest, aber das ist egal. Solange er diese Verbindung nicht trennt, ist es egal. Ich will ihn nur halten.
 

„Was ist, wenn es nie wieder so wird, wie du es dir wünschst?“
 

„Dann kann ich dich immer noch als Freund sehen und treffen, richtig? Eine Freundschaft?“, frage ich in der Hoffnung, dass er nicht sämtlichen Kontakt abbrechen wird. Kein Schlussstrich. Keine Endgültigkeit, bitte! Sein Blick sagt nichts und doch gleichzeitig so viel.
 

„Dir würde eine Freundschaft ausreichen?“
 

„Nein, aber es wäre besser, als dich ganz zu verlieren“, erwidere ich ehrlich. Er versteht mich, das weiß ich. Er sollte es sehen können, wenn er mich ansieht.
 

„Du bist unverbesserlich.“ Er atmet schwer, ehe er sich erhebt. Ich folge ihm und stehe ihm kurz darauf gegenüber, mit Hikari auf dem Arm, die sich liebevoll meinem Ohrläppchen widmet.
 

„Ich hoffe nicht“, sage ich mit einem Anflug eines leichten Schmunzelns auf den Lippen.
 

„Das hoffe ich auch.“ Und Sasuke erwidert es zögerlich, ganz dünn und leicht, aber ich weiß, dass es da war, denn es bringt mein Herz vollkommen aus dem Takt.
 

***
 

Die Tage werden kälter, kürzer, dunkler und der November neigt sich stetig dem Ende entgegen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es nicht mehr lang dauern wird, bis der erste Schnee fällt. Ich hoffe nur, dass er sich noch etwas mehr Zeit lässt. Verschneite, eisbedeckte Straßen sind nicht gerade das, was ich mag. Und gebrauchen kann ich sie auch nicht wirklich. Es fällt mir so schon schwer genug jeden Tag zur Tankstelle zu gehen und meine Nebentätigkeit für einen Mindestlohn zu verrichten. Wären jetzt auch noch alle Straßen mit Schnee bedeckt … darüber will ich gar nicht erst nachdenken. Zum Glück lenkt mich Kiba ab, auch wenn es mir schwer fällt, mich seinen Problemen voll und ganz zu widmen.
 

„Ich finde es einfach richtig ätzend, weißt du? Sie hängt die ganze Zeit bei ihrer Familie und hat überhaupt keine Zeit mehr für mich. Wenn sie mal da ist, dann redet sie nur von dieser Hochzeit“, stöhnt er mir genervt und wehleidig entgegen. Den Kunden vor mir lächle ich nur entschuldigend an, da Kiba gerade die ganze Tankstelle unterhält.
 

„Ständig ist sie unterwegs. Wenn sie nicht mit ihren Eltern die Trauungsfeier bespricht, dann ist sie Brautkleider aussuchen, Kuchen verkosten und so´n Scheiß. Ernsthaft, was soll das? Sie ist doch nicht die einzige Trauzeugin, warum muss ausgerechnet Hinata alles mitmachen?“, echauffiert er sich lautstark und sieht mich hilfesuchend an. Er steht an einem der runden Tische, wo normalerweise immer irgendwelche Fernkraftfahrer ihre Bockwurst essen, doch heute steht da keiner. Die haben sich alle schon verzogen. Trotz der angezogenen Kälte stehen sie draußen.
 

„Hast du mal mit ihr drüber geredet? Ich glaube nicht, dass Hinata das mit Absicht macht.“
 

„Ach was, sie ist ja kaum da. Wann soll ich das denn ansprechen? Ich bin ja schon froh, wenn sie nicht gleich einschläft, sobald sie zu Hause ankommt. Mann Naruto, neulich musste sie sogar mit ihrem blöden Cousin die Ringe kaufen. RINGE. MIT NEJI.“ Er ist aufgebracht und seine Abneigung gegenüber Hinatas Cousin ist greifbar. Aber was soll ich da machen? Ich kann ja auch nichts dafür, dass Hinata sich scheinbar sehr gern um diese Hochzeitsangelegenheiten kümmert.
 

„Mann, ich hab echt keine Lust auf diese blöde Hochzeit. Wenn du gesehen hättest, in was für einen Anzug die mich stecken wollen … Sowas hab ich echt noch nie getragen.“
 

„Dich stört doch jetzt nicht wirklich ein Anzug, oder?“, frage ich mit einem Schmunzeln auf den Lippen, ehe ich mich neben ihn stelle. Im Moment ist es zum Glück ziemlich ruhig hier. Kaum Kundschaft.
 

„Nein, nicht wirklich“, murmelt er kleinlaut. Er lehnt sich auf den Tisch und seufzt. „Irgendwie habe ich mir das anders vorgestellt“, sagt er leise und ich hake automatisch nach.
 

„Was genau meinst du?“
 

„Naja … ich, hmm, ich dachte, wir würden zuerst…“
 

„Hä? Wie jetzt? Sprich mal Klartext!“
 

„Na, ich dachte, wir würden noch vor Neji heiraten“, sagt er und mir fallen beinahe die Augen raus. Ich wusste gar nicht, dass es bei Kiba und Hinata bereits so ernst ist.
 

„Echt jetzt?“ Ich bin fast sprachlos. War ich die ganze Zeit wirklich so abgelenkt?
 

„Ja, ich konnte ja nicht ahnen, dass der Arsch seiner Freundin tatsächlich vor mir einen Antrag macht!“, knurrt er und ich schlucke unwillkürlich.
 

„Und warum machst du Hinata nicht einfach jetzt einen? Wenn du sie liebst, ist doch egal ob …“
 

„Na klar, du Spinner. Wie sieht denn das aus, huh? Ich hab doch keinen Bock auf so eine alberne Doppelhochzeit! Wenn ich Hinata heirate, dann muss das schon etwas ganz Besonderes sein!“, fährt er mir dazwischen, weshalb ich meine Hände abwehrend nach oben nehme.
 

„Schon gut, war ja nur eine Idee. Du musst es ja nicht, wenn du nicht willst“, necke ich ihn und grinse ihn an, während ich wieder hinter die Kasse trete und die Frau abkassiere, die gerade ihr Auto vollgetankt hat.
 

„Du bist echt ein beschissener Freund“, meint er resigniert, aber lächelt anschließend. „Wie steht es jetzt eigentlich mit Sasuke?“, wechselt er das Thema. Vermutlich hat er gemerkt, dass sich die ganze Aufregung kaum lohnt. Er muss es einfach wagen. Irgendwie jedenfalls.
 

„Unverändert. Wir schreiben miteinander, telefonieren manchmal und treffen uns hin und wieder, aber wir sind nicht zusammen“, erkläre ich wahrheitsgemäß. Genau so ist es. Wir sind Freunde, irgendwie. Wenn ich sagen würde, dass es mir reicht, so wie es momentan ist, dann wäre das glatt gelogen. Mir reicht es überhaupt nicht. Es macht mich wahnsinnig, ihn zu sehen, aber nicht berühren zu können. Es macht mich verrückt, ihn reden zu hören, aber nicht küssen zu können. Es macht mich irre, wenn er mir Details aus seinem Leben vorenthält, weil er glaubt, dass es noch zu früh ist, über so private Dinge zu reden, obwohl ich ihm ansehe, dass es ihn belastet.
 

„Hmm“, seufzt Kiba in Gedanken versunken auf.
 

„Wir sind nachher verabredet. Vielleicht gehen wir was essen oder ins Kino, mal sehen“, ich seufze auch, weil es mir schwer fällt, so zu tun als würde da der schönste Abend aller Zeiten auf mich warten. Tut es nicht. Sasuke zu treffen ist zwar toll und ich bin jedes Mal voller Vorfreude, auch jetzt, wirklich. Aber ich weiß auch, dass sich der Verlauf des Abends nicht mit meinen Gedanken und Vorstellungen decken wird. Wir werden uns nah sein, mit unüberwindbaren dreißig Zentimetern zwischen unseren Körpern. Eine riesige Kluft.
 

„Klingt doch … gut“, sagt Kiba und die Hand, die meine Schulter kurz darauf trifft, zeigt so deutlich, dass es ein Versuch ist, mich aufzumuntern. Ein Versuch mir Trost zu spenden, die Situation erträglicher zu machen und ich nehme ihn an, lächle dankbar zurück.
 

***
 

Sasuke kommt genau pünktlich, wie immer. Ich lege meine Arbeitskleidung unordentlich in den Spind und trete dann zu ihm hinaus ins kühle, ungemütliche Wetter.
 

„Hey“, rufe ich ihm entgegen, während ich noch im Laufen meine Jacke überziehe.
 

„Hey“, erwidert er ebenso und dann stehen wir uns gegenüber, schweigend und keinem scheint wirklich einfallen zu wollen, was gesagt werden kann. Wenn es nach mir ginge, würde ich ihn jetzt am liebsten umarmen und besinnungslos küssen. Mein Tag war nämlich echt anstrengend. Sie haben bei der Schichtverteilung leider zu gut zugehört, als ich leise vor mich hingemurmelt habe, dass heute einer der wenigen Tage ist, wo ich kein Kind beaufsichtigen muss. Karin hat sie mitgenommen zu ihren Eltern und mir haben sie dafür gleich ein paar Stunden mehr eingetragen. Und zum Dank für diese Schufterei werde ich nicht einmal mit einer Umarmung zur Begrüßung belohnt.
 

„Wo verschlägt es uns hin? Hast du dir was überlegt?“, frage ich dennoch bemüht meine Unzufriedenheit nicht ganz so offensichtlich zu machen. Sasuke kann ja schließlich auch nichts dafür. Diese Suppe habe ich mir ganz allein eingebrockt. Da muss ich jetzt durch, ob ich will oder nicht.
 

„Ich weiß auch nicht genau. Hast du Hunger?“, fragt er, doch ich schüttle nur den Kopf.
 

„Nein, hab schon HotDogs gegessen, also meinetwegen können wir gleich was anderes machen.“
 

„HotDogs sind ungesund, Naruto“, sagt er trocken, mit den Händen in seiner Manteltasche und abwesenden Blick auf die Ampel, die von Rot auf Grün schaltet. Er hat mich doch jetzt nicht wirklich ernsthaft ermahnt, oder?
 

„Kommst du?“, höre ich seine Stimme, als wäre sie viel zu weit entfernt und als ich aufsehe, steht er bereits auf der anderen Straßenseite. Oh … da war ich wohl kurz etwas abgelenkt. Wieder einmal. Das muss dringend aufhören, echt jetzt.
 

„Jaja“, antworte ich beiläufig und überquere zügig die Straße, noch bevor die Ampelphase wieder wechseln kann.
 

„Ich müsste kurz zur Sporthalle, habe gestern meinen USB-Stick dort vergessen und es sind ein paar wichtige Unterlagen drauf“, meint er und ich nicke träge.
 

„Okay.“
 

Es ist nicht wirklich so, dass ich mich nicht darüber freue, hier mit Sasuke durch die Straßen zu laufen. Hier und da streifen sich sogar mal unsere Hände, wenn ich natürlich ganz ausversehen einen unabsichtlichen Schlenker mache, aber Sasuke reagiert leider nach wie vor viel zu abweisend. Jedes verdammte Mal geht er anschließend bemüht zufällig ganze drei Schritte zur Seite, sodass auch ja wieder genug Platz zwischen uns ist. Wenn er könnte, würde er vermutlich einen ganzen Meter zwischen uns mit Absperrband abkleben, nur um eventuellen Berührungen ausweichen zu können. Da bin ich mir fast sicher, und das ist frustrierend. Vor allem, wenn man gedacht hatte, dass man sich wieder näher kommen könnte, je mehr Zeit man miteinander verbringt. Im Moment scheint das alles nur so unglaublich weit weg. Sasuke ist da, steht eine Armlänge von mir entfernt und ist doch nicht greifbar.
 

In der Sporthalle angekommen lässt mich Sasuke kurz allein, während er in die Richtung der Umkleidekabinen verschwindet, wo er angeblich nur schnell seinen USB-Stick holen will, den er unverständlicherweise in seine Sporttasche getan hat. Währenddessen sehe ich mich um. Immerhin ist das der Ort, den Sasuke schon längere Zeit aufgesucht hat und den ich nie zuvor betreten wollte. Es gibt eine riesige, extra abgeteilte Halle, in der mehrere nebeneinander liegende Tennisfelder genutzt werden können, aber momentan ist niemand da, der sich sportlich austobt. Ganz anders sieht das in diesen luftdichten Kästen aus, die es auf der anderen Seite gibt. Bälle fliegen mit einer enormen Geschwindigkeit gegen die Wände und Schläger der Spieler und jedes Mal knallt und klatscht es. Das folgende Schlucken kämpft sich unangenehm meine trockene Kehle hinunter. Dieser Sport ist alles andere als harmlos. Wenn ich es genau beschreiben soll, dann sieht es sogar verflucht brutal aus und so wie sich diese Beschreibung in meinem Kopf bildet, muss wohl auch mein Gesicht aussehen.
 

„So wie du aussiehst brauch ich dich wohl nicht fragen, ob du Lust hast, das mal auszuprobieren, oder?“, fragt mich Sasuke, als er unerwartet wieder neben mir auftaucht. Mein Kopf schüttelt sich fast von selbst.
 

„Lieber nicht. Das sieht heftig aus“, entgegne ich heiser. Ehrlich? Warum sollte ich mich selbst dem sicheren Tod ausliefern? Niemals. Sasuke würde mir vermutlich die Eier mit einem einzigen Aufschlag zermatschen. Nein danke, darauf kann ich verzichten. Ich werde ganz sicher nicht freiwillig zu seiner Zielscheibe.
 

„Schade, jetzt wo Neji nicht mehr so viel Zeit hat, hätte ich schon einen neuen Squashpartner gebrauchen können“, seufzt er leise. Als ich daraufhin zu ihm sehe, zum einen weil er mich als potentiellen Partner überhaupt in Betracht zieht, und zum anderen, weil er mir gerade wieder ein weiteres, kleines Puzzleteil serviert hat, das sofort abgespeichert wird, verfolgt er fast ein wenig desinteressiert dem Schlagabtausch vor uns.
 

„Also Squash ist nun wirklich nicht so mein Ding“, sage ich mit einem schiefen Lächeln auf den Lippen. Meine Eier sind mir dann doch eindeutig zu wichtig.
 

„Aber vielleicht hast du Lust auf Kino? Ich lad dich auch auf Popcorn und ne Cola ein“, grinse ich und habe dabei ganz andere Gedanken im Kopf.
 

„Von mir aus“, sagt er und wendet sich schließlich von diesem heftigen Sport ab, um mir nach draußen zu folgen.
 


 

Als wir wenig später im Kino sitzen – und es sind wirklich erstaunlich viele andere Menschen hier – bereue ich meine Entscheidung fast schon wieder. Hier drin haben wir ja noch weniger Kontakt als draußen auf der Straße! Sasuke sitzt in seinem Stuhl, zwischen uns befindet sich diese dumme, störende Lehne und nicht einmal unsere Füße können sich berühren, weil ständig irgendwer durch die Reihe laufen muss. Ätzend. Dabei hatte ich mir das ganz anders vorgestellt. Irgendwie… einfacher und schöner. Nicht so überromantisch, wie es in schnulzigen Filmen vermittelt wird, aber doch schon wenigstens ein bisschen intimer. Jetzt kann ich ja nicht einmal mehr mit ihm reden. Dumme Idee. Ganz dumme Idee.
 

Es ist frustrierend. Fast die Hälfte des Films ist bereits abgespielt und es langweilt mich, hier zu sein. Meine Augen fahren unruhig über die Leinwand, von links nach rechts, immer wieder, und doch erfassen sie nichts. Ich weiß nicht ein winziges Detail von dem, was uns dieser Film zeigen und vermitteln will. Ich suche lediglich nach möglichen Fixpunkten, um nicht dauerhaft zu Sasuke zu sehen. Aber genau das ist unfassbar anstrengend. Ich will ihn sehen. Ich will ihn anfassen. Verdammt nochmal. Warum kann er mir nicht wenigstens seine Hand geben? Mich beruhigen? Mir das Gefühl geben, dass er wirklich hier ist. Mit mir.
 

Ich kann das genervte Stöhnen nicht aufhalten, das meine Lippen verlässt, als ich einen Moment vom Film einfange, der mir nicht gefällt. Bescheuerte Filmverzögerung, das würde mein Vater dazu sagen, wenn sich Hauptdarsteller Nummer eins von Hauptdarsteller Nummer zwei abknutschen und verführen lässt, nur um wenig später eine angedeutete Bettszene zum Besten zu geben. Letztendlich ist es genau der Moment, der mich aufgeben lässt. Ich sehe zu Sasuke, wobei ich wirklich bemüht bin, nicht zu auffällig zu sein und betrachte sein Profil. Seine Züge wirken entspannt, nicht mehr so nachdenklich und konzentriert wie vorhin. Scheinbar kann er hier wirklich abschalten, auch wenn das stetige Naschen vom Popcorn dagegen spricht. Beim Kauf vorhin hatte er noch gemeint, dass er Popcorn eigentlich nicht mag und jetzt verschwindet seine Hand immer wieder wie von selbst in der großen Tüte, die ich für uns beide gekauft habe.
 

Das Grinsen, was sich auf meine folgenden Gedanken hin bilden will, versuche ich zu unterdrücken. Echt mal, mein grandioser Einfall ist so klischeehaft und vorhersehbar, dass es sich genau deshalb so perfekt anbietet. Wenn ich es schaffe, das ganze wie einen Zufall aussehen zu lassen, dann …
 

Ich denke nicht länger darüber nach, befeuchte kurz meine Lippen und passe den Moment ab, als Sasuke seine Hand erneut in die Tüte steckt, nur um es ihm gleichzutun. Zunächst spüre ich gar nichts, doch als ich meine Finger auf der vermeintlichen Suche nach Popcorn ausstrecke, treffe ich auf Sasukes warmen Handrücken und schließlich auch auf seine Finger. Es ist nur eine leichte, kurze Berührung. Mit dem Daumen steife ich seine Haut, ganz sanft. Ein kaum spürbares Zucken nehme ich wahr und alles andere ist Nebensache, als ich wieder zu ihm sehe und Sasukes dunkle Augen auf mir liegen. Er sieht mich an, ohne seine Hand wegzuziehen. Im Hintergrund dröhnen Actionszenen aus den Lautsprechern, doch nichts ist vergleichbar mit dem Gefühl, das mich momentan beherrscht. Es ist so schön, ihn zu sehen und endlich auch wieder von ihm gesehen zu werden. Ob er mir ansieht, dass ich diesen Moment sabotiert habe? Ob er weiß, dass ich es absichtlich inszeniert habe? Vielleicht. Aber es spielt auch keine große Rolle. Sasuke bricht den Kontakt ohnehin wieder ab, leider viel zu schnell für meinen Geschmack. Ich sehe ihn noch schlucken, ehe er sich wieder nach vorn richtet und seinen Blick beinahe starr auf der Leinwand hält. Seine Hand ist ebenfalls weg. Ohne Popcorn. Und er greift auch in den nächsten darauffolgenden Minuten nicht wieder in die Tüte.
 

Scheiße.

Dieser Moment eben, das war eindeutig ein Moment zwischen uns. Einer, der einem das Herz stillstehen lässt, obwohl es rasend schnell in der Brust schlägt. Ein Moment voller Gefühle. Selbst in Sasukes Augen habe ich sie gesehen, trotz der schlechten Lichtverhältnisse. Es war nur leider viel zu kurz.
 

Jetzt weiß ich, dass mein Bestreben nicht einseitig ist. Ich weiß, dass Sasuke zumindest ähnlich fühlt. Ich weiß es! Diese Erkenntnis macht mich nervös, unruhig, zittrig und durstig.

Ich will mehr. Viel mehr, als nur einmal in seine Seele zu blicken. Ich will es jeden verdammten Tag. Jede Minute. Ab jetzt und für immer, egal wie idiotisch das klingen mag.
 

Meine plötzlich viel zu trockene Kehle erschwert mir das Schlucken und ich greife noch völlig benebelt von meinen Gedanken nach dem Getränk zwischen uns. Sasuke ist noch hier. Er ist nicht geflohen, obwohl er die Chance dazu hätte. Er bleibt.
 

Der Strohhalm liegt zwischen meinen Lippen, befördert zügig kühlende Flüssigkeit in meinen Mund und ich atme seufzend aus.
 

„Das ist übrigens meine Cola, von der du da trinkst“, flüstert mir Sasuke von der Seite in mein Ohr und fuck … ist das sein angenehm warmer Atem, der da über meinen Hals streift? Ist es seine Nähe, sein Geruch, sein Blick, dem ich ausgesetzt bin? Ich fass es nicht. Mein Gehirn scheint gerade vollkommen zu überdrehen, an der Flut neuer Ereignisse, die auf mich einströmen, als ich meinen Kopf wieder leicht in seine Richtung drehe. Der Film ist längst nicht mehr interessant – falls er es überhaupt je gewesen ist. Jetzt ist er nur noch eine begleitende Geräuschkulisse.
 

Seine Augen fixieren mich.

Fixieren meinen Mund, der den Strohhalm gefangen hält.
 

Ich schlucke, obwohl ich überhaupt nicht mehr trinke. Das hier ist so … Wahnsinn. Momentan könnte ein Flugzeug neben uns abstürzen und ich würde es vollkommen ignorieren. Diese Situation ist aufregend. Faszinierend und aufwühlend zugleich. Einfach nervenaufreibend, obwohl gar nichts passiert. Da sind nur Blicke. Seine Augen, die ganz langsam über meine Lippen wandern.
 

Wie gern ich sie jetzt in Beschlag nehmen würde. Wie gern ich sie verwöhnen und küssen würde. Sie wirken so einladend, so verführerisch und sehnsuchtsvoll. Im Moment will ich nicht denken, dass ich mir das alles nur einbilde. Nein. Sasuke zieht mich an, doch alles wozu ich mich traue ist den Strohhalm loszulassen und mir betont sinnlich über die Lippen zu lecken. Viel lieber würde ich das jetzt bei ihm machen. Ihn fühlen und schmecken, weil das letzte Mal schon viel zu lange zurück liegt.
 

„Hmmm“, summe ich. Mein Kopf neigt sich seinem ganz von selbst leicht entgegen und ich spüre jeden seiner Atemzüge an meiner Nasenspitze. „Ich hab mich schon gewundert, sie schmeckt tatsächlich ein wenig süßer als meine“, hauche ich mit versucht zweideutiger Betonung zurück. Dass sich mein Blick in seinen Augen verfängt, lässt sich nicht verhindern. Sie sind zu intensiv, zu fordernd. Immer. Doch unter ihnen entsteht eine sanfte, kaum sichtbare Röte auf seiner makellos blassen Haut. Fast wie die Röte, die durch eisige Wintertage auf hohen Wangenknochen entsteht. Eine schöne, einzigartige Reaktion, die ich mir stundenlang ansehen könnte, würde Sasuke sich nicht abwenden, als der Filmabspann beginnt und das Licht allmählich wieder den Saal erhellt.
 

„Du bist ein Idiot“, sagt er sanftmütig. Sogar ein Lächeln zuckt um seine Mundwinkel.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Onlyknow3
2015-03-29T13:24:24+00:00 29.03.2015 15:24
Ja das weiß Naruto inzwischen auch, außerdem hat es Sasuke schon mehr mals zu ihm gesagt. Das sie sich hier trotz aller Zweifel seitens Sasuke annähern ist doch schon mehr als Naruto hoffen dürfte nach dem was er diesem angetan hat. Mich hätte nach der aussprache ein Entgültiges "Nein" nicht verwundert. Aber Sasukes gefühle scheinen doch größer und stärker zu sein als das er einen Schlussstrich ziehen kann. Mach weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel, und darauf wie es nun weiter geht.

LG
Onlyknow3


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