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Last Desire 11

von

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Licht und Dunkelheit

Liam hatte die Verfolgung der flüchtigen Simrah aufgenommen und war ihr dicht auf den Fersen. Was da gerade in der alten Fabrik mit Elion passiert war, konnte er sich nicht erklären und so ganz begriff er es auch noch nicht. Aber jetzt war auch nicht der richtige Zeitpunkt dafür, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Jetzt galt es erst einmal, Simrah festzunehmen und aus ihr herauszubekommen, wo Jeremiel versteckt wurde. Und wenn er sie dafür foltern musste. Er besaß genug Möglichkeiten und vor allem Erfahrung, wie er seine Vögelchen zum Singen bringen konnte. Na warte, weit würde die Kleine sowieso nicht kommen. Liam beschleunigte sein Tempo noch und holte langsam aber sicher zu Simrah auf. Diese war eine verdammt schnelle Läuferin und flink vor allem. Über jedes Hindernis sprang sie einfach drüber, aber für Liam war das kein Problem. Oft genug war er schon Johnny hinterher gerannt, wenn dieser mal wieder irgendetwas ausgefressen hatte. Und so schnell würde er sie nicht entkommen lassen. Nicht wenn er auf diese Weise Jeremiel retten konnte. Er beobachtete, wie Simrah über eine Mauer kletterte und über diese verschwand. Sogleich setzte er hinterher, doch kaum, dass er über der Mauer war, sah er nur noch, wie eine weißgoldene Klinge Simrah traf und sie erschlug. Blut spritzte und das Proxy-Mädchen brach tot zusammen. Neben ihr stand Eva mit der blutigen Waffe in der Hand. Sie atmete schwer, Teile ihres Gesichts waren inzwischen bandagiert und dass es ihr nicht gut ging, sah man ihr auch an. „Eva“, rief Liam und wollte schon zu ihr, doch da richtete sie ihr Schwert auf ihn und wich einen Schritt zurück. „Habe ich dir nicht gesagt, du sollst dich da raushalten? Verschwinde von hier, aber sofort!“ Doch Liam blieb stehen und konnte nicht fassen, wie sehr sich seine Schwester inzwischen verändert hatte. Sie war gar nicht mehr wiederzuerkennen. War sie sonst immer so herzlich, schüchtern und still gewesen, war sie auf einmal aggressiv und gewaltbereit. Was passierte da nur mit ihr? In diesem Moment musste er sich an Samajims Worte erinnern. Die Finsternis begann sie zu zerfressen und würde sie früher oder später töten. Die Verzweiflung übermannte sie und aus Verzweiflung wurde Wut und Hass. Eva war dabei, sich selbst endgültig zu verlieren und das nur, weil sie ihre Familie beschützen wollte… und ihren Bruder. „Eva“, begann er wieder, nur war er dieses Mal ruhiger als vorher. „Du musst das nicht tun. Hör mal, ich weiß über alles Bescheid. Dieser Samajim hat mir alles erzählt und was ich getan habe, genauso was du für mich getan hast. Können wir nicht mal vernünftig miteinander reden und uns gemeinsam eine Möglichkeit überlegen, wie wir Elohim aufhalten können?“

„Nein!“ rief Eva und es sah wirklich danach aus, als würde sie ihn gleich angreifen. „Ich werde das alleine tun und du verschwindest wieder zurück nach Boston. Wenn du also vernünftig bist, dann gehst du besser.“

„Ich und vernünftig? Hörst du dich mal selbst reden? Wie willst du diesen Elohim in solch einer Verfassung besiegen, Eva? Komm doch selber erst mal zur Vernunft. Du kannst vor Schmerzen nicht mal mehr vernünftig stehen und wenn du weiter so machst, dann wirst du sterben und das völlig unnötig. Verdammt noch mal, das lasse ich nicht auf mir sitzen. All die Jahre hast du mich einfach in dem Glauben gelassen, dass ich alles Unglück dir zu verdanken habe und dass du an allem Schuld wärst, obwohl ich das eigentlich bin. Weißt du eigentlich wie unfair das ist? Die ganze Zeit warst du hinter meinem Rücken die aufopfernde Schwester gewesen, die ihr eigenes Glück opfert, um ihren älteren Bruder zu beschützen. Und mir verwehrst du damit einfach die Chance, dir wenigstens ein Mal ein guter Bruder zu sein. Aber damit ist jetzt Schluss. Mag sein, dass du stärker bist als ich, aber du kannst mich nicht aufhalten.“ Eva war verunsichert und konnte selbst nicht glauben, was sie da hörte. Normalerweise war sie es gewohnt, dass Liam ganz anders mit ihr redete und auch gleich mit Vorwürfen kam, ihr den Tod an den Hals wünschte und sie als Hexe beschimpfte. Aber nun redete er auf einmal ganz anders und das konnte nur bedeuten, dass Samajim ausnahmslos alles gesagt hatte und Liam das akzeptiert hatte. Zugegeben, es regte sie schon zum Nachdenken an, aber sie wollte dennoch an ihrem Vorhaben festhalten, die Sache ganz alleine durchzuziehen. Und da würde selbst ihr eigener Bruder sie nicht aufhalten können. „Du kannst mich nicht umstimmen, Liam. Ich werde Elohim stoppen und nicht zulassen, dass er noch versuchen wird, dich wieder auf deine Seite zu ziehen. Was glaubst du wohl, warum er ausgerechnet Jeremiel ausgesucht hat? Er war nicht nur der einzige Proxy, dessen Körper zu 100% kompatibel war, er wird ihn als Druckmittel gegen dich einsetzen. Er will dich und mich vernichten und uns alles nehmen, was uns lieb ist, weil er einen abgrundtiefen Hass auf Hajjim hat. Was glaubst du wohl, warum die Opritschnina damals ausgerechnet meine Familie abgeschlachtet hat? Elohims Fragmente wurden auf der ganzen Welt verstreut und beeinflussen die Menschen bis heute noch, um sie dazu zu bringen, sich gegenseitig zu massakrieren, nur weil er so einen Hass auf uns hat und sich rächen will. Ebenso hat er Iwan und seine Leute so weit beeinflusst, dass diese meine Familie getötet haben, weil es ein persönlicher Rachefeldzug war. Genauso verhält es sich mit dem Norington Massaker. Was glaubst du wohl, warum Jeremiel als Sam Leens Leute getötet hat? Sam Leens ist der Proxy in Jeremiel und dieser ist darauf „programmiert“, zu töten. Wirklich alles gehört zu Elohims Rache, weil er uns brechen und vernichten will. Er will uns beide auseinanderbringen, dich gegen mich aufhetzen und mir meine Familie ein zweites Mal nehmen.“

„Warum ausgerechnet du?“

„Na weil ich ihn damals zusammen mit Samajim getötet habe. Und deshalb will er versuchen, dich wieder auf seine Seite zu bringen, damit dich die großen Alten endgültig hinrichten und mir das nehmen, wofür ich so verzweifelt gekämpft habe. Nämlich dafür, dass du in Sicherheit bist. Deshalb werde ich dich notfalls sogar mit Gewalt aufhalten.“ Eva stürmte nach vorne und schlug mit dem Schwert zu, doch Liam wich aus und sogleich blockte er den nächsten Schlag mit seinem Messer ab und beschloss dieses Mal, eine andere Taktik anzuwenden wie sonst. Denn nachdem er darüber nachgedacht hatte, verstand er nun auch, wie Eva es schaffte, ihn jedes Mal zu besiegen. Sie lenkte die Energie seiner Angriffe jedes Mal zurück und konnte somit einen defensiven Angriff ausführen. Er hingegen griff immer offensiv an und seine Wut auf Eva machte ihn jedes Mal verwundbar und das wusste sie. Das machte es ihr leichter, ihn zu besiegen. Nur dieses Mal würde es anders herum laufen. Er würde ihren Zustand nutzen, um sie mit ihrer eigenen Technik zu schlagen. Also begann er sich zu konzentrieren und blockte jeden Angriff ab, parierte und passte sich jeder ihrer Bewegung an. Es wirkte schon fast wie ein einstudierter Tanz und ihr angeschlagener Zustand machte es ihm auch einfacher, aufzuholen und ihr die Stirn zu bieten. „Nein, Eva“, sagte er und sah sie fest entschlossen an. Schließlich ergriff er ihren Arm und verpasste ihr einen Schlag auf den Unterarm. „Dieses Mal werde ich dich beschützen. Glaub bloß nicht, dass ich zulassen werde, dass du dich von der Finsternis in deinem Herzen zerfressen lässt und mir dann einfach wegstirbst. Und wenn ich dich mit Gewalt daran hindern muss! Ich bin genauso ein Sturkopf wie du und ich werde nicht weiter hinnehmen, dass du hier die Märtyrerin spielst, während ich immer der Bruder sein werde, der dir noch Steine auf den Rücken lädt, während du schon bereits mit nackten Füßen über Glasscherben läufst.“ Erneut entstand ein heftiger Kampf der Geschwister, dieses Mal aber teilweise aus anderen Motiven. Und es zeichnete sich deutlich ab, dass dieses Mal die Kräfte anders verteilt waren. Denn nun war es Eva, die in blinder Verzweiflung angriff und unvorsichtig wurde, während Liam die Kontrolle über seine Gefühle bewahren und die Oberhand behalten konnte. Jede Attacke wurde abgeblockt und gekontert und selbst als Eva noch sein Schwert hinzunahm, um mit zwei Schwertern zu kämpfen, da zeigte er sich nicht sonderlich beeindruckt und konnte dagegenhalten. Eva wechselte daraufhin zu einer anderen Taktik. Sie setzte einfach mehr Kraft ein, um so ihren Bruder niederzustrecken und abzuhauen. Wenn sie sein Messer zerschnitt, war er so gut wie wehrlos und dann konnte sie ihn außer Gefecht setzen und dann abhauen. Ansonsten würde er sie nicht gehen lassen, das wusste sie. Doch selbst als sie ihre Kraft erhöhte, schaffte sie es nicht, ihn zurückzuschlagen, stattdessen war sie nun diejenige, die immer mehr einstecken musste. Sie war auch kaum noch imstande, sich so agil zu bewegen wie vorher. Ihr ganzer Körper wurde von entsetzlichen Schmerzen gepeinigt und es war hauptsächlich ihr ungebrochener und eiserner Wille, der sie noch auf den Beinen hielt. Schließlich aber, als ein brennender Stich ihren Brustkorb verkrampfen ließ und sich wie ein Feuer durch ihre Adern ausbreitete, da verlor sie endgültig die Kontrolle über sich selbst. Die Kraft wich aus ihrem linken Arm und sie ließ sein Schwert fallen, dann verlor sie den Halt und brach zusammen. „Eva!“ Liam kniete sich neben ihr hin und sah, dass sie dabei war, das Bewusstsein zu verlieren. „Verdammt noch mal, Eva. Jetzt reiß dich zusammen!“ Schnell nahm er ihr das andere Schwert aus der Hand und legte es beiseite, dann begann er vorsichtig die Bandagen in ihrem Gesicht zu lösen und erschrak fast. Dunkle schon fast schwärzliche pulsierende Adern zogen sich über ihre schneeweiße Haut wie hässliche Geschwüre und entstellten ihr so schönes Gesicht. Es sah aus, als würde sich die Finsternis tatsächlich direkt in ihrem Körper ausbreiten und sie zerstören. Und als er ihre Bluse aufknöpfte, da sah er, dass sich in ihre Brust ein pechschwarzes Loch gefressen hatte, und wahrscheinlich die Quelle des ganzen Übels war. Es sah wirklich schlimm aus und er konnte sich nicht vorstellen, wie unendlich schmerzhaft es war, so etwas zu ertragen. Wie um alles in der Welt hatte seine Schwester das nur aushalten können? „Eva…“ Sie reagierte nicht mehr und kam auch nicht mehr zu sich. Zwar atmete sie noch, doch für wie lange, das konnte er nicht sagen. Das alles hatte eine Wendung genommen, die er gewiss nicht gewollt hatte. Die ganze Zeit hatte Eva diese schwere Bürde mit sich getragen. Sie hatte sich für ihn eingesetzt und ihr Leben aufs Spiel gesetzt, weil sie ihn liebte. Sie hatte still schweigend all seine Vorwürfe ertragen und beharrlich vor ihm die Wahrheit verschwiegen. Ihm zuliebe hatte sie die Rolle als Sündenbock angenommen und es erduldet, solange sie nur sicher gehen konnte, dass er in Sicherheit war und es ihm gut ging. Und er war die ganze Zeit so blind gewesen und hatte nicht gesehen, was sie für ihn getan hatte. Sie hatte ihm das Leben gerettet und ihn beschützt. Dank ihm war er überhaupt erst imstande, so etwas wie Liebe zu empfinden und nun… nun lag sie da und würde wahrscheinlich sterben. „Eva, das… das kannst du mir doch nicht antun. Verdammt noch mal, du kannst doch jetzt nicht einfach so sterben, jetzt wo ich die Wahrheit kenne! Hörst du mich? Ich lasse nicht zu, dass du stirbst!“ Er wusste, dass es nur einen Weg gab, um ihr Leben zu retten. Und dafür musste er ein Opfer bringen. Ein sehr großes sogar. Er musste die Finsternis, die er ihr einst überließ, wieder zurücknehmen und ihr das Licht zurückgeben, das sie ihm einst gegeben hatte. Wenn dies reichte, um ihr Leben zu retten, dann würde er es tun. Selbst wenn dies dann bedeutete, dass er wieder zu einem Monster wurde, welches man besser töten sollte. Ja, er würde wieder zu Araphel dem Schlächter werden, wenn er seiner Schwester ihr Licht zurückgab und genau davor hatte er entsetzliche Angst. Er wäre nicht mehr imstande, Jeremiel zu lieben oder überhaupt irgendjemand anderen. Wahrscheinlich würde er Delta, Johnny und Marcel quälen, wie seine Sklaven behandeln oder ihnen sonst was antun, genauso wie L und seiner Familie. Er würde zu einem Wesen werden, welches niemand auf der Welt lieben konnte und auch nicht lieben wollte. Und er würde selbst niemanden lieben können. Er würde das Allerwichtigste verlieren, was er besaß, aber er wusste, dass er es tun musste. Denn er konnte einfach nicht zulassen, dass Eva seinetwegen so leiden und sogar noch wegen seiner Fehler sterben musste. Trotzdem hatte er entsetzliche Angst davor. Er wollte kein solches Monster werden, genauso wenig, wie er seine Schwester jetzt sterben lassen wollte. Vorsichtig hob er sie hoch und nahm sie in den Arm. Und während er sie so hielt, da kamen ihm die Tränen der Verzweiflung und hätte er an so etwas wie einen Gott geglaubt, dann hätte er womöglich noch ein Gebet gesprochen und gefleht, dass es einen winzigen Hoffnungsschimmer gab. Die Hoffnung darauf, dass er vielleicht doch nicht zu einem grausamen Monster wurde und er aus eigener Kraft imstande war, so etwas wie Liebe zu empfinden. Doch es gab keinen Gott, zumindest nicht in seinen Augen.

Nachdem er all diese Finsternis in sich aufgenommen hatte, folgte nun der Teil, vor dem er am meisten Angst hatte und der dennoch unvermeidlich war. Er gab Eva ihr Licht zurück und damit die Liebe und das Mitgefühl, was sie ihm geschenkt hatte. Und als dieser Prozess abgeschlossen war, da wurde er mit einem Male sehr schläfrig und verlor das Bewusstsein.
 

Inzwischen hatten Beyond und die anderen alles in Ordnung gebracht und kurz darauf kamen auch schon Frederica, Ezra und L zurück, die den bewusstlosen Elion bei sich hatten. Gleich schon, als Nastasja den bewusstlosen Proxy sah, bekam sie einen gehörigen Schreck und wollte sofort wissen, wo denn Liam war und wieso er nicht da war. „Er hat die Verfolgung von Simrah aufgenommen. Die konnte leider abhauen. Was Elion betrifft, so haben wir selber noch keine Ahnung, was mit ihm passiert ist. Als Ezra starken Schmerzen ausgesetzt war und versucht hat, zu ihm durchzudringen, da war Elion wie verändert, als wäre er in diesem Moment eine ganz andere Person. Es gelang ihm, Simrah mühelos mit einer Art Energiewelle wegzuschleudern und die ganze Wand der alten Fabrik einzureißen. Danach ist er aber auch schon zusammengebrochen und ist seitdem nicht mehr ansprechbar.“

„Okay, dann legen wir ihn erst mal ins Bett. Ezra, wie geht es dir?“ Dem 16-jährigen schien es ganz gut zu gehen. Zumindest machte er sich mehr Sorgen um Elion, anstatt um sich selbst. Und auch sonst schien er unverletzt zu sein. Als Beyond aus dem Keller zurückkam, schloss er erst mal L in die Arme und rief mit übertrieben säuselnder Stimme „Da bist du ja wieder, Pandabärchen. Mensch, ich ha…“ Und schon gab der Detektiv ihm eine Kopfnuss als Strafe für diesen peinlichen Kosenamen vor versammelter Mannschaft. Mit Sicherheit war das die Racheaktion, weil er diesen Knallkopf zurückgelassen hatte. Mit sarkastischem Ton antwortete er darauf „Oh ja, ich freu mich auch, dich zu sehen… Und? Wie lief es mit Samsara?“

„Sie ist tot. Näher gesagt ist sie in Dathans Schwert reingelaufen und gestorben. Wir haben zwar einiges abgekriegt, aber so langsam kann der Kerl seine Fähigkeiten immer besser einsetzen und hat uns echt den Arsch gerettet, genauso wie der Zwerg. Dathan selbst ist noch ein bisschen neben der Spur nach der ganzen Sache. Ich hab die Leiche erst mal eingetütet und im Keller zwischengelagert, bis wir entschieden haben, was wir mit ihr machen sollen.“ Da das Wohnzimmer noch ein wenig unaufgeräumt war, gingen sie in den Salon und tauschten alles aus, was sie an Informationen sammeln konnten. Wenig später kam Dathan und hatte seinen Mantel angezogen. Verwundert sahen ihn die anderen an und fragten natürlich, wo er denn hingehen wollte. „Ich gehe nach Liam suchen. Irgendwie habe ich da ein ganz merkwürdiges Gefühl und ich will lieber mal selbst nach dem Rechten sehen.“ Und damit erhob sich schließlich auch Nastasja. „Ich komme mit. Beyond, du klärst sie in der Zwischenzeit über alles auf.“ „Ja Ma’am“, antwortete er brav und hob die Hand zum Abschied. Während sich die beiden auf den Weg machten, um Liam zu suchen, blieben die anderen im Haus und jede Gruppe erzählte, was passiert war. L erzählte von ihrem Kampf gegen Simrah und was alles mit Elion passiert war, ebenso wie er sich verändert hatte. Schließlich fügte Frederica seinem Bericht noch hinzu „Was ich sehr merkwürdig fand, waren seine letzten Worte, bevor er ohnmächtig wurde. Er hat gesagt „Nivkha… Ich glaube es nicht. Du bist noch am Leben… ein Glück.“ und dabei hat er sogar geweint. Danach ist seine ganze Kraft verschwunden und er ist zusammengebrochen.“

„Merkwürdig…“, murmelte Beyond und begann auf seiner Daumenkuppe zu kauen, genauso wie L. „Bei uns war so etwas Ähnliches. Als Samsara nämlich gestorben ist, war Dathan erst mal total fertig und stand unter Schock. Mich und Nastasja hat er nur mit Mühe heilen können und hatte schon Tränen in den Augen. Aber dann war er auf einmal fast wie weggetreten und hat zum Fenster raustgestarrt. Er war sich felsenfest sicher, dass sein Vater nach ihm gerufen hat und er sagte auch, dass er sich wieder an wenige Kleinigkeiten aus seiner Vergangenheit erinnern kann. Zumindest an wenige Augenblicke mit seinem Vater und an die Zeit, wo er bei Samajim aufgewachsen ist. Sag mal L, glaubst du, da besteht ein Zusammenhang zwischen dem, was bei euch und was bei uns passiert ist?“ Nun, oberflächlich betrachtet deutete wirklich alles darauf hin, dass es einen Zusammenhang gab. Aber auch L konnte noch nicht wirklich erkennen, was da jetzt genau passiert war und was das alles zu bedeuten hatte. Wahrscheinlich war es das Beste, wenn sie Samajim dazu befragten. Wahrscheinlich hatte er genau so etwas geplant gehabt und wusste schon längst sämtliche Antworten. „Wenn ich eine vorläufige Analyse durchführen würde, dann würde ich sagen, dass Elion vielleicht so etwas wie eine Persönlichkeitsspaltung hat. Und erinnerst du dich an das, was Samajim gesagt hat? Elion habe die gleichen Charakterzüge wie Elohim, bevor das Attentat stattfand. Und da Elion ein Proxy ist, muss er wahrscheinlich so einiges von ihm haben. Es kann gut möglich sein, dass ein Teil von Elohims Bewusstsein auf ihn übergegangen ist und in dieser Notsituation, wo Ezra gelitten hat und in Gefahr war, hat dieses Bewusstsein die Kontrolle über Elion übernommen und Simrah angegriffen, um Ezra zu beschützen.“

„Ja aber ich dachte, Elohim würde im Körper des Alpha-Proxys leben. Wieso steckt er denn jetzt in Elions Körper? Moment mal… willst du damit etwa sagen, dass es sich mit den Proxys so verhält wie mit uns, dass sie alle abgespaltene Fragmente von Elohim sind?“ Nun, diese Theorie war eigentlich gar nicht mal so verkehrt, denn sowohl Eva als auch Liam hatten aus einzelnen Fragmenten ihres Bewusstseins ihre Familien erschaffen. Die so genannten Seraphim. Also warum sollte es da bei Elohim und den Proxys anders sein? Das würde sogar Sinn machen, denn immerhin waren die Seraphim ursprünglich erschaffen worden, um ihren Schöpfern zu dienen. Nichts anderes taten die Proxys. Sie erfüllten den Willen ihres Schöpfers, ganz gleich wie der Befehl auch lautete. Dafür waren sie erschaffen worden. Zusätzlich hatte der Unborn oder besser gesagt Elohim versucht, ihre Körper zu übernehmen, um selbst die Kontrolle über einen Körper zu haben. Doch bislang schien keiner der Proxys kompatibel genug gewesen zu sein, nicht einmal Elion, der ja der Hoffnungsträger des Projekts gewesen war. Nur Jeremiel, der achte Proxy, erfüllte alle Voraussetzungen und so hatte man einfach abgewartet, bis Frederica ihre Zeitschleife auflösen würde. Und dann entführten sie ihn und wollten ihn nun zum Hauptträger von Elohim machen. Aber wieso hatten sie trotzdem knapp ein Jahr gewartet? Sie hätten Jeremiel doch haben können, als dieser von Dr. Brown erschossen worden war, oder als er abgehauen war. Irgendwie fehlte da wohl noch etwas. Und außerdem störte ihn ein wenig diese eine Tatsache: Elion war der Sohn des Alpha-Proxys und beide trugen Fragmente von Elohim in sich. Der Alpha-Proxy wollte die Zerstörung der Welt und Elion hingegen wollte keine Gewalt und stattdessen seine Familie beschützen. Und schließlich kam ihm ein Gedanke. „Jekyll und Hyde…“, murmelte er nachdenklich und sogleich fragte L „Wie meinst du das?“

„Na erinnere dich doch mal daran, was Dathan mal erzählt hat: Lacie hat ihm nahe gelegt, die Novelle von Dr. Jekyll und Mr. Hyde zu lesen. Die kennen wir doch alle: Dr. Jekyll gelingt es einen Trank zu mischen, mit dem er Gutes von Bösem trennen kann. Er trinkt es und wird zu dem Monster Mr. Hyde. Lacie Dravis wusste, was es mit Elion und dem Alpha-Proxy auf sich hat und hat uns kleine Hinweise zugespielt, damit wir irgendwann auf die Lösung kommen. Nicht anders hatte es sich mit dem verhalten, was sie mit Watari im Krankenhaus besprochen hat. Ihre merkwürdige Frage: „Warum hasst Gott uns so sehr?“ war nichts anderes als eine Anspielung auf Elohim. Dieser Name bedeutet nämlich „Gott“ und ihre Kommentare zu „Michael Kohlhaas“ und „der Graf von Monte Christo“ deutete auf das Motiv von Elohim an: Rache für das Attentat. Und gehen wir mal davon aus, dass Joseph Brown und der Alpha-Proxy von der Existenz Elohims gewusst haben und ihm helfen wollten. Ein Teil von Elohim ging auf den Alpha-Proxy über und ein anderer Teil auf Elion, weil er ja schon während seiner Zeugung infiziert wurde. Das würde bedeuten, dass dabei die Spaltung Elohims in „Dr. Jekyll“ und „Mr. Hyde“ stattgefunden hat.“

„Das hieße dann, wir hätten es mit einem guten und einem bösen Elohim zu tun?“ fragte Frederica, die dem ganzen Gespräch aufmerksam gefolgt war. „Das wäre eine plausible Erklärung für alles. Ich meine, bei Liam und Eva hat doch ein ähnlicher Prozess stattgefunden, als Hajjim gestorben ist: er spaltete sich selbst in Gut und Böse auf und so entstanden die beiden. Aber um ganz sicherzugehen, müssten wir Samajim noch mal fragen. Ich verwette mein Shinigami-Augenlicht darauf, dass er das schon längst gewusst hat, oder aber er hat es zumindest geahnt und wollte das überprüfen. Am besten rufen wir den Kerl gleich mal an.“ Da die Nummer zum Glück im Telefonbuch eingespeichert war, rief Beyond direkt an, bekam aber nur Nabi an den Hörer, der sie leider vertrösten musste. „Meister Samajim hat ein paar wichtige Angelegenheiten in der Shinigami-Welt zu klären und es kann noch ein oder zwei Tage dauern, bis er wieder zurück ist.“

„Was will er denn dort?“

„Ajin Gamur ist nicht nur der Herr des Nichts, sondern auch der König der Shinigami. Deshalb kann man ihn für gewöhnlich nur dort sprechen, weil für gewöhnlich nur dort eine körperliche Gestalt annimmt.“

„Ach so. Würdest du zurückrufen, wenn er wieder da ist? Wir hätten da noch ein paar Dinge mit ihm zu klären.“

„Okay, werde ich machen.“ Tja, damit hieß es wohl erst einmal, auf Samajims Rückkehr zu warten. Und außerdem waren sie gespannt zu hören, woran sich Dathan inzwischen wieder erinnern konnte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Echt, mir standen die Tränen in den Augen, als Liam dieses große Opfer für seine Schwester bringt, um ihr Leben zu retten. Auch wenn zwischen den beiden viel schief gelaufen ist, in Extremsituationen scheinen die beiden sich doch wieder zu vertragen. Und spätestens jetzt ist Liam ein richtiger Liebling von mir geworden, gleich nach Ezra. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  pri_fairy
2015-01-18T20:18:24+00:00 18.01.2015 21:18
Wow *-* ein atemberaubendes Kapitel! Liam ist der Größte! <3
Von: abgemeldet
2015-01-18T11:22:34+00:00 18.01.2015 12:22
Das Kapitel war wirklich unglaublich und tiefgründig.


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