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9 mm - Blut und Schweiß

von

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„Wie heißt du eigentlich?“, fragte Christoph.

Der junge Mann schrak zusammen. „Jens Di…“ Er biss sich auf die Unterlippe, als wolle er sich dafür bestrafen, seinen Namen genannt zu haben.

„Jens“, wiederholte Christoph und nickte langsam. „Wenn du Wasser brauchst, hinter deinem Sitz steht ein Sixpack mit Flaschen.“

Vorsichtig, beinahe lauernd nickte Jens. „Cool.“ Er zögerte, bevor er sich ein „Danke“ abrang.

Freundlichkeit war nicht sein Ding, auch gut. Sicher hatte der Punk Dreck am Stecken. Drogen vielleicht, oder er war zu Hause rausgeflogen, auf Bewährung, irgendetwas in der Art. Wenn Christoph Zeit fand, würde er Dariusz die Beschreibung von Jens geben. Vielleicht konnte er etwas über ihn herausrecherchieren. Jens schien zumindest sein richtiger Name zu sein, denn die Antwort kam ungefiltert, ohne zu zögern, bevor er sich bei seinem Nachnamen unterbrochen hatte. Kurz warf Christoph ihm einen Blick zu. Jens fuhr sich mit der Zunge über die rissigen Lippen. Er zögerte. Schließlich schien der Durst zu überwiegen. Er schnallte sich ab und riss das Paket auf. Nachdem er einen guten Teil der Flasche geleert hatte, fragte er nach einem tiefen Rülpsen: „Wie heißt du?“

„Christoph.“

„Christoph“, wiederholte Jens und lehnte sich wieder zurück. „Ich dachte du bist eher von der stillen, unpersönlichen Sorte. Kommen jetzt doch noch lauter Fragen?“

In seiner Stimme lag eine leichte Herausforderung.

Ich kann dich auch einfach an der nächsten Tanke wieder rauswerfen, dachte Christoph, sagte aber nichts. Irgendetwas an Jens störte ihn, von seiner persönlichen Eigenart, von Natur aus ein Arschloch zu sein, ganz abgesehen. Sein Blick besaß etwas Unstetes. Jens war nervös, wollte weg. Er floh vor irgendetwas. Vielleicht war es nicht die dümmste Idee Radio und CB-Funk anzustellen, obwohl letzterer von anderen Fahrern gar nicht mehr für interessante Meldungen genutzt wurde. Mit Dariusz zu telefonieren wäre der sicherere Plan.

Christoph sah auf die Zeitanzeige in seiner Armatur. Zwanzig nach vier. In zehn Minuten kamen die Schlagzeilen und der Verkehrsfunk. Wenn er es bei Jens mit einem Flüchtigen zu tun hatte, hing es sicher davon ab, was er ausgefressen hatte. Je nachdem musste die Polizei schnell warnen oder beließ es dabei, einfach nur Kontrollen durchzuführen.

Er stellte das Radio von MP3 auf Funk um und tippte in der Halterung des Handys auf die Tastenfreigabe. Durch die leichte Bewegung verhakte sich das Ladekabel in der violetten Plastikfigur eines Riesenmonsters, das ein kleines Holzbett auf seinem Schädel balancierte. Eine der wenigen ganz persönlichen Erinnerungen an seine freien Stunden, die er auf Fantasy Cons zugebracht hatte – das lila Monster unter dem Bett.

Sacht wickelte er das Kabel von den zierlichen Bettpfosten ab. Er spürte den abschätzenden Blick des jungen Mannes.

Egal. Christoph mochte diese hässliche Figur einfach.

Nachdem er zwei Mal auf den Hörer getippt hatte, steckte er den Stöpsel der Freisprechanlage in sein Ohr. Das Gerät wählte.

„Wen rufst du an?“, fragte Jens unvermittelt.

Das Freizeichen erklang. „Wolltest du Gesprächen nicht entgehen?“ Christoph war nicht bereit, die Ironie aus seiner Stimme zu streichen. Aus dem Augenwinkel bemerkte er Jens‘ ärgerlichen Blick. Darum musste Christoph sich nicht scheren. Er lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße. Vor ihm fuhr ein kleines, heruntergekommenes tschechisches LKW-Gespann. Christoph rückte dem langsam fahrenden Container-Tandem zu nah. Mit einem Blick in den Seitenspiegel sah er, dass die Mittelspur leer war. Er blinkte.

Das Freizeichen erklang, nur um sofort unterbrochen zu werden. „Chris, was ist los?“, meldet sich Dariusz. „Wird’s nichts mit unserem gemeinsamen Frühstück?“

Christoph blieb ihm die Antwort schuldig. Er zog raus.

„Chris?“, fragte Dariusz.

„Doch schon“, er zögerte und warf Jens, der ihn anstarrte, einen Blick zu. Die Körpersprache des jungen Mannes verdeutlichte, wie wach und angespannt er war. Seine Arme hielt er vor der Brust verschränkt, als könne er sich damit vor jedem Gegner schützen. Ebenso presste er die Lippen aufeinander, sodass sie ein blutleerer Strich mit zwei silbrig schimmernden Piercings waren. Sein Blick brannte. Augenscheinlich gefiel ihm das Telefonat nicht.

„Ich habe einen Anhalter dabei, Dariusz. Ich hoffe, dass das für dich okay ist?“

Christoph trat aufs Gas und zog an dem Truck vorbei. Kurz schaute er zu Jens. Eine ganze Welt an Emotionen schien über dessen‘ Züge zu huschen: Schrecken, Ärger, Angst, Misstrauen und alle feinen Nuancen, die die Bereiche dazwischen ausfüllten.

Irritierend.

„Seit wann kündigst du das bei mir an?“, Dariusz schwieg kurz. „Ein Anhalter?“, In seiner Stimme schwang Misstrauen mit. „So ein junger Mann zwischen achtzehn und fünfundzwanzig?“

Scheinbar hatte Dariusz bereits etwas im Radio gehört.

„Ja“, entgegnete Christoph, wobei er versuchte neutral zu klingen und nicht noch einmal hinüber zu sehen.

„Du kannst sicher nicht offen sprechen, denke ich?“, Dariusz‘ Tonfall machte Christoph nervös.

Wen hatte er sich in den Wagen geholt?

„Genau.“

„Nicht gut.“ Dariusz unterbrach sich. Durch den Lautsprecher vernahm Christoph die Druckluft-Hupe. „Scheiß-Verkehr!“

Er hupte noch einmal. „Okay, ich weiß nicht, ob du den Kerl bei dir im Wagen hast, aber er soll in der Münchner Schwulenszene einen jungen Burschen erschlagen haben und laut Zeugenaussagen hat er auch eine Polizistin umgebracht, beides vor vielleicht drei oder vier Stunden.“

Christoph konnte gerade noch an sich halten, bevor er nach Details fragte. Er musste die Nachrichten hören. Eine genauere Täterbeschreibung wäre gut. Dann würde sich zeigen, ob er einen harmlosen Punk im Wagen hatte oder einen Schwerverbrecher. In seinem Nacken kribbelte es. Die Härchen stellten sich auf. Er umfasste das Lenkrad fester.

Würde er jetzt die Nachrichten laut aufdrehen, zwang er Jens zum Handeln –sofern er der Gesuchte war. Vielleicht konnte er mehr über Dariusz erfahren.

„Und weiter?“, fragte Christoph, wobei er sich zwang ruhig zu bleiben.

„Piercings, helles T-Shirt mit Motivaufdruck oder Spruch, ausgewaschene Hose und Sneaker. Er hat einen Rucksack dabei und ist bewaffnet. Du solltest aufpassen, Chris.“ In Dariusz Stimme schwang ehrliche Sorge mit.

Nicht ganz ohne Grund. Die Beschreibung traf zu. Wahrscheinlich trug Jens ein T-Shirt unter dem dicken Pulli. Das erklärte auch, warum er sich so etwas im Juli antat.

Jens hatte sich nach vorn geneigt und durchwühlte seine Tasche. Was suchte er? Eine Pistole? Christoph musste sich zusammen nehmen, ihn nicht zu beobachten.

„Ist okay, Dariusz, wir sehen uns dann zum Frühstück.“

Hoffentlich klang er nicht so steif wie auf einer Bandansage.

„Hoffen wir es. Wenn du kannst, werd‘ deinen Anhalter los. Nicht nur, dass er gefährlich sein könnte, er stört auch bei unserem Auftrag, Chris, vergiss das bitte nicht!“

Christoph stöhnte leise auf. Leider hatte Dariusz recht. Es gefiel ihm nicht, immer wieder von einem jüngeren Mann an seine Pflichten erinnert zu werden. „Ich weiß, bis später.“

Er streckte die Hand nach dem Handy aus und drückte den roten Telefonhörer, ohne recht hinzusehen, bevor er die Lautstärke des Radios einstellte. Wenn Jens reagierte …

„Mach es aus!“, zischte Jens. Die Schärfe in seiner Stimme entsprach gar nicht mehr der schnodderigen Art, die er bisher an den Tag gelegt hatte.

Der Meldejingle von Bayern 3 kündigte die Nachrichten an.

„Was?“ Christoph sah aus dem Augenwinkel zu ihm. Jens hockte in der gleichen Position da, in der er seinen Rucksack durchsucht hatte. In seiner Rechten lag eine dunkle Pistole, eine P7, wie Christoph erkannte.



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