Zum Inhalt der Seite

Mondsüchtig

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Halbmond

Kapitel 2 // Halbmond
 

Danach hatte Stiles aufgehört ihre Begegnungen zu zählen.

Derek begleitete seine Gedanken seit ihrem letzten Zusammentreffen so oft, dass er sich nicht mehr sicher war, wie oft er ihn nun wirklich gesehen hatte. Er war einfach immer da. Genau wie Lydia. Viel zu oft erwischte sich Stiles dabei, dass sich die frech lächelnden roten Lippen in seinem Kopf durch Dereks heruntergezogene Mundwinkel ersetzten und beide Bilder ineinander verschmolzen.
 

Dennoch wünschte er sich mehr als zuvor, dass die erdbeerblonde Schönheit ihn beachtete. Jedes Mal, wenn sie im Schulflur an ihm vorbeischaute und ihr Gesicht auf Jacksons drückte, spürte er die Eifersucht in sich aufkeimen. Er konnte es nicht verstehen. Wieso hatte er nicht die geringste Chance bei ihr?
 

Wahrscheinlich war dies der Auslöser dafür gewesen, dass er eines Tages Danny Mahealani ansprach. Er mochte Danny, weil jeder Danny mochte und er sich sicher war, dass er ihm die Frage stellen konnte, die er sich zurechtgelegt hatte. Und dies ganz ohne dabei ausgelacht zu werden, so hoffte er.
 

"Danny?"

"Hm?"

"Darf ich dich was fragen?"

"Nein."

"Egal, ich mach es trotzdem. Sag mal: bin ich attraktiv für Schwule?"
 

Stiles war nicht ausgelacht worden, eine Antwort hatte er allerdings auch nicht bekommen und das half ihm nicht gerade dabei, seine wirren Gedanken zu ordnen.

Natürlich hätte er seine Konzentration gebrauchen können, gerade jetzt, wo Scott voller Probleme steckte und ihn den ganzen Tag um Rat bat.

Aber stattdessen rieselten die Ausführungen seines besten Freundes wie Regen an ihm vorbei, als sie nach dem Unterricht nebeneinander erneut durch die Schule schlenderten.

Stiles hätte zwar schwören können, dass Scott ihn gerade irgendetwas gefragt hatte, aber er war zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, um irgendetwas zu entgegen, was nicht gänzlich dem Zusammenhang entrissen war. Seine nächste Frage war dies allerdings auch, obgleich er erst gar nicht merkte, dass er sie laut ausgesprochen hatte.

"Bin ich etwa nicht attraktiv für Schwule?"

Sein bester Freund drehte sich um, um ihn verwirrt anzustarren, seine Frage jedoch zu ignorieren.

Alles, was danach folgte, war "Allison". Etwas, das Stiles die letzten Tage wirklich oft gehört hatte. "Allison war das, was Lydia für ihn war. Und Derek war... ja, was war Derek eigentlich?", dachte er schulterzuckend.
 

*
 

Nach ein paar Tagen hatte Stiles aufgehört seine Gedanken zu zählen. Derek begleitete sein Leben nun so oft, dass er sich nicht mehr sicher war, wie oft dieser überhaupt schon in seinem alten Jeep gesessen hatte.
 

Allerdings war es genau wie immer, nur ein wenig bedrohlicher. Derek steckte in Schwierigkeiten und Stiles sollte ihm, eher mehr als weniger, aus der Klemme helfen, was sich in den meisten Situationen als sehr erfolgreich herausstellte. Stiles lachte sarkastisch, während Derek seine Mimik vor Schmerzen verzog. Und um ehrlich zu sein, war dieser auch mehr in sein Auto hineingefallen, als dass er gestiegen wäre. Sein Gesicht war bleich, die Augen schwarz umrandet und die Wunde an seinem Arm ekelte ihn sogar leicht an. Zu tief, zu schlimm, zu heiligungsresistent, zu blutig, wenn man ihn fragte. Und er spielte schließlich auch Shooter, in denen unrealistische Mengen an viel zu rotem Blut aus sämtlichen Körperteilen flossen.

Derek war einfach immer überall, wenn man ihn gerade nicht gebrauchen konnte.

Gut, zugegeben, wenn Derek nicht gerade von ihm aus der Patsche gezogen wurde, füllte er Stiles Gedanken bis an den Rande des Mathematikunterrichts.
 

Aber - das musste er ja zu seiner Verteidigung hervorbringen dürfen - dachte er mindestens genauso viel an Lydia, oder?
 

Immerhin versuchte Derek, der ja nun wirklich nicht für seine Gesprächigkeit bekannt war, eine Unterhaltung mit ihm anzufangen. Stiles war sich sicher, dass er nur seine Schmerzen betäuben wollte, aber da er ja sowieso schon dabei war, rastlos über die lebende Fast-Leiche neben ihm nachzudenken, konnte er genauso gut mit ihr reden.
 

"Also, Stiles, fahr schneller!", äußerte Derek zuerst natürlich wieder einen Befehl. Weil er selbstverständlich ein Werwolf war und Stiles nur ein Mensch und er ja sowieso keine Wahl hatte. Er dazu noch der Laufbursche für alle zu sein schien, Derek verletzt war und Scott sich natürlich nicht selbst darum kümmerte. Stiles konnte gar nicht genug Gründe aufzählen, warum Derek natürlich wieder ihn gewählt hatte, um seine Probleme auf ihm abzuladen.
 

"Also, Stiles, ich glaube, dass du mir helfen kannst, wenn ich mir selbst schon keine Hilfe bin." Derek starrte auf seine Wunde, während er die Worte sagte, die für ihn doch ein wenig zu freundlich klangen.
 

"Wie habe ich das denn verdient?", wollte Stiles gerade entgegnen, als ihm ein "Und beeil dich jetzt, ich will gerne bei Bewusstsein sein, wenn wir an der Tierarztpraxis ankommen." entgegengeworfen wurde.

Da hatte er es. Wie konnte er auch nur glauben, dass der Griesgramwolf auch nur ein gutes Wort für ein übrig hätte.

Den Rest der Fahrt war es still.
 

Und Stiles war unglaublich erleichtert, als sie endlich vor der Tierarztpraxis hielten und er Derek mehr schlecht als recht ins Innere des Gebäudes hieven konnte.

Die Kugel musste so schnell wie möglich entfernt werden, ehe Derek das Bewusstsein verlor, denn Stiles alleine wäre mit der Situation restlos überfordert gewesen. Wie ein Tiger schlich er durch den Raum und wartete darauf, dass Derek eine Lösung finden würde. An ein Stillstehen war gar nicht zu denken. Und je länger Derek brauchte, umso unruhiger wurde er.
 

Dennoch hatte er sich gerade auf Derek zubewegt, als dieser sich übergeben musste und den ganzen Behandlungsbereich mit spitzer schwarzer Flüssigkeit überflutete, die Stiles wirklich Angst machte. Eine Mischung aus Pech und Schwefel, die sich bewegte, Formen bildete und nicht gerade gesund aussah. Nicht einmal für einen Werwolf konnte so etwas normal sein.

Er fluchte, schimpfte und verteufelte seine Hilflosigkeit.
 

"Stiles, schneid mir den Arm ab!", befahl Derek wie aus dem Nichts.

"Was?", stieß er geschockt hervor und wäre am liebsten in Panik aus der Tierarztpraxis gerannt.

"Schneid mir den Arm ab! Der Eisenhut wird sich sonst weiter verbreiten."

"Ich kann nicht, ehrlich, ich kann nicht.", widerholte Stiles wie ein Mantra immer wieder, während sich Fieberschweiß auf Dereks Stirn bildete. Die langen schwarzen Adern auf seinen Armen traten immer weiter hervor und zeigten, wie das Gift durch seine Venen schoss.

"Das ist egal, tu es, Stiles, tu es einfach." Der Werwolf schrie ihn förmlich an und wenn er nicht vor Sorge angefangen hätte wie ein kleines Mädchen zu weinen - was er natürlich nicht tat - folgte er dem Befehl.
 

Der Stahl der Knochensäge fühlte sich furchtbar fehl auf seiner Haut an und während Derek seine Zähne fest aufeinander presste, hätte er diese vor Zittern fast wieder fallen ließen, als er sie auf der Haut ablegte.
 

Und wie oft er sich auch vorgestellt hatte, wie seine gemeinsame Zeit mit Derek Hale weiter verlaufen würde, so war ihm dieses Bild niemals in den Kopf geschossen. Es ging ihm nicht nur darum, Derek nicht weh zu tun oder sich für den Rest seines Lebens den Alptraum eines amputierten Armes zu ersparen, sondern vielmehr darum, dass irgendetwas an dieser Situation sein Herz nicht nur vor Angst schneller schlagen ließ.
 

Stiles war noch nie in seinem Leben so heilfroh gewesen, Scott zu sehen.

Als dessen Gesicht im Türrahmen auftauchte, hätte er Derek vor Erleichterung abknutschen können.
 

*
 

Danach hatte Stiles aufgehört, seine Begegnungen mit Derek zu registrieren.

Derek begleitete seine Welt seit dem letzten Vorfall so oft, dass er sich nicht mehr sicher war, wie oft er ihn nun wirklich schon gerettet hatte.
 

Trotz dieser Gedanken blieb ihm der Schulalltag nicht erspart.

Stiles wusste, dass das Gruppenprojekt schon länger anstand, aber heute Morgen überrumpelte es ihn ein wenig, dass sie es schon diese Stunde beginnen würden. Er hätte gerne mit Scott zusammengearbeitet, so wie Allison ihr Projekt mit Lydia bearbeitete, aber stattdessen durfte er das Projekt zusammen mit Danny machen. Er mochte Danny zwar, aber natürlich hätte er lieber mit seinem besten Freund herumgealbert und auch Jackson sah nach der Aufteilung nicht besonders glücklich aus. Ihr Chemielehrer hasste ihn einfach viel zu sehr.
 

Aber da Stiles diesem die Genugtuung nicht geben wollte, schwang er sich lachend neben Danny, der bereits seine Materialen auf dem Tisch ausgebreitet hatte. Obwohl er gut in der Schule war, verspürte er eher geringe Lust darauf, etwas dafür zu tun. Und er war ohnehin mit den Gedanken ganz woanders und packte nicht einmal einen Kugelschreiber aus.

Danny kritzelte währenddessen chemische Formeln auf das Papier vor ihm und schien ganz in seine Arbeit vertieft zu sein, während Stiles derweil, nun ja, die Wand anstarrte.
 

"Stilinski, ist das so richtig? Du bist doch richtig gut in sowas, oder?", fragte Danny und blickte kurz von den Unterlagen auf. Stiles reagierte jedoch nicht. Seine größte Reaktion war wohl noch das Kauen auf seiner Unterlippe, was dem Referat natürlich keinen Fortschritt bescherte.
 

"Stilinski?", wiederholte Danny erneut "Hast du mich gehört?"

Die Antwort war ob Stiles fehlender Reaktion eindeutig. Tatsächlich musste sein Mitschüler erst mit einer Hand vor seinem Gesicht hin und her wedeln, bis er etwas bemerkte.

"Schläfst du, oder was?", fragte die Stimme erneut.

"Äh nein, ich war nur in Gedanken. Was meintest du noch gleich?" Er sammelte sich ein wenig und sah Danny an.

"Also eigentlich, ob du Chemie kannst, aber du scheinst heute ja echt verwirrt zu sein. Du weißt, dass du bei Lydia keine Chance hast, Stiles? Jackson ist eben eine gute Partie."

Danny verzog den Mundwinkel und wandte den Drehstuhl nach hinten, um einen kurzen Seitenblick auf Lydia zu riskieren. Sozusagen um seine Aussage verstärken zu können.
 

Und Stiles hätte liebend gerne gesagt, dass Lydia der Grund für seine Verwirrung war. Schließlich wusste nahezu die ganze Schule, dass er ihr schon seit Jahren hinterher schaute und sie ihn bisher noch nie eines zweiten Blickes gewürdigt hatte.

"Auch, wenn du mir vielleicht nicht glauben magst, Lydia ist nicht die Schuldige.", antwortete Stiles nebensächlich.

Er musste sich wirklich konzentrieren und seine Schulsachen aus dem Rucksack zu holen, erschien ihm schon mal ein Anfang zu sein.
 

"Dir ist klar, dass es uns nichts bringt, wenn du ausweichst und trotzdem mit dem Kopf ganz woanders bist, selbst wenn du dein Zeug auspackst. Ich wollte eigentlich schon eine gute Note haben und Mr. Harris kann dich eh schon nicht leiden. Das ist ja kein Geheimnis."

Als hätte dieser Dannys Worte gehört, warf der Chemielehrer Stiles einen bösartigen Blick zu, was dieser nur mit einem ahnungslosen Schulterzucken kommentierte.
 

"Das letzte Mal habe ich so reagiert, als ich bei einem Kerl abgeblitzt bin. Sieht gewaltig nach Liebeskummer aus."

Vielleicht war Danny nicht der einfühlsamste junge Mann der Welt, aber dieses Mal lag er genau richtig. Stiles seufzte resigniert.
 

"Kann ich nicht einfach mal etwas abstreiten, ohne dass man sofort nachbohrt?"

"Nein, Stilinski, wenn du die Klappe hältst, ist das schon echt suspekt.", konterte sein Arbeitspartner und schob das Papier neben ihm an die Tischkante. Ein Zeichen, dass das Ende ihrer Arbeitsphase ankündigte. Stiles musste reden, sonst würde er sich heute nicht mehr in Sicherheit bringen können. Und so gerne er seinen besten Freund, der seine Rastlosigkeit natürlich auch bemerkt hatte, auch mochte, in diesen Gefühlsdingen wollte er lieber nicht mit Scott sprechen. Der hatte selbst schon genug mit Allison zu tun und Gott bewahre, den Namen Derek würde er auch nicht mehr benutzen können, ohne dass Scott direkt an die Decke ging.
 

"Es geht nicht um ein Mädchen. Zufrieden?"

Er schnaubte.

"Warte, warte, was?" Danny wirkte schlicht irritiert. "Wie? Es geht um kein Mädchen? Aber was ist mit Lydia? Stilinski, ich blicke da nicht durch. Erkläre dich!"
 

Stiles verdrehte die Augen. Es war ja nicht so, dass er quasi das erste Mal angedeutet hatte, dass er sich in Derek Hale verknallt hatte. Noch dazu machte Danny Mahealani eine riesige Szene daraus, die er beim besten Willen vermeiden wollte.

"Pscht, nicht so laut.", zischte er und hielt sich einen Finger an die Lippe.

"Es wäre möglich, also es bestünde die Möglichkeit, dass ich eventuell, ganz vielleicht oder sogar womöglich bisexuell sein könnte und mich in einen Kerl verknallt habe."

Stiles Stilinski wurde rot. Er hatte an diesem Schultag mit vielem gerechnet: Einem wildgewordenen Werwolfrudel, einem liebestollen Scott oder auch einem Gespräch mit dem Schuldirektor wegen seiner vielen Nachsitzstunden, dem Klau seines uralten Jeeps und selbst das Ausrutschen in einer nicht vorhandenen Matschpfütze wäre ihm wahrscheinlicher erschienen. Aber beim besten Willen hatte er sich nicht vorstellen können, dass er heute zugab, sich in Derek Hale verschossen zu haben.

Natürlich war Danny vielleicht nicht der schlechteste Gesprächspartner für diese Art der Konversation gewesen, schließlich stand dieser ja nur auf Männer und hatte das alles sicher auch durchmachen müssen. Peinlich war es ihm trotzdem.
 

"Ehrlich jetzt? Du hast dich in einen Kerl verknallt? Also, warte, kenne ich ihn?" Dannys Augen weiteten sich und Stiles war riesig froh, dass wenigstens die anderen Mitschüler und Mr. Harris nichts von ihrem Gespräch mitbekommen hatten. Das hätte seinem vorschnellen Geständnis noch die Krone aufgesetzt.
 

"Stiles, ich rede mit dir!" Und auf einmal war ihr Gruppenprojekt fast komplett vergessen und Danny selbst ließ seiner Neugier freien Lauf, anstatt nur einen Gedanken an ihre Aufgaben zu richten. Anscheinend hatte Stiles Liebesleben Chemie den ersten Rang abgelaufen.
 

"Nein, ich denke nicht, es würde mich wundern, wenn du ihn kennen würdest."

"Schade.", war das einzige, was Danny hervorbrachte.

"Kannst du ihn mir mal vorstellen oder so?"

"Eher nicht, also ich möchte nicht unbedingt, dass er davon erfährt. Er würde mich wohl nie wieder anschauen oder hassen. Wahrscheinlich sogar beides." Bei dem Gedanken an Dereks Reaktion wurde ihm wirklich unwohl, bisher hatte er sich kaum Gedanken darüber gemacht, was passieren würde. Eine Beziehung zwischen ihm und Derek hatte er vom Anfang an ausgeschlossen. Wieso sollte dieser auch auf jemanden wie ihn stehen? Und überhaupt auf Männer?

Und selbst wenn... - das Chaos in seinem Kopf wollte sich nicht recht ordnen ...ja, selbst dann würde er wahrscheinlich als allerletztes Wesen auf diesem Planeten Stiles in Erwägung ziehen.
 

"Stiles, sowas kannst du nicht machen. Du kannst sowas nicht einfach erzählen und mich dann auf meiner Neugier sitzen lassen." Zwar war Dannys Argument mehr zynisch gemeint, allerdings schwang auch ein Funke Wahrheit darin mit. Und natürlich, das musste er sich selbst eingestehen, war er das Danny nach dieser versauten Chemiestunde schuldig.
 

Bevor er etwas entgegnen konnte, ergriff sein Projektpartner bereits das Wort: "Du könntest ihn mir das nächste Mal ja einfach zeigen, wenn wir ihn sehen. Du kannst ja irgendwas sagen, was damit gar nicht in Verbindung gebracht wird." Er brach kurz ab, um zu überlegen.

"Erzähl mir einfach, dass er dein... dein... Cousin ist... Cousin Miguel... aus Spanien... Irgendwas in der Art."

"Wie zur Hölle kommst du darauf?", fragte Stiles ihn verwirrt. Eine Antwort bekam er allerdings nicht mehr, da es bereits klingelte, um die Pause einzuläuten.
 

Sie hatten über ihr Gespräch ganz vergessen, das Projekt überhaupt nur wirklich anzufangen.

Mr. Harris würde es ihn spüren lassen, dessen war sich Stiles sicher.
 

*
 

Danach hatte Stiles aufgehört, seine Gefühle zu verleugnen.

Sein Gespräch mit Danny begleitete ihn seit der letzten Chemiestunde so oft, dass er sich nicht mehr sicher war, ob er sich eine platonische Denkweise einreden konnte.

Und er war immer heilfroh, wenn er aus der Schule nach Hause kam, um sich der Realität nicht stellen zu müssen. Dies war auch heute der Fall.
 

Stiles hatte vor ein paar Minuten den Raum betreten und sich auf seinem Schreibtischstuhl niedergelassen.

Er starrte auf die weiße Word-Seite vor ihm. Vielleicht hätte er Hausaufgaben machen oder lernen sollen, aber er konnte sich einfach nicht dazu motivieren.
 

In den letzten Tagen war einfach so viel passiert, dass er sich wahrlich nicht auf die Schule konzentrieren konnte und wollte. Angefangen hatte das schon bei seinem Chemiereferat mit Danny.

Dann würde er seine Freizeit eben sinnvoll nutzen.

Als er gerade den Internetbrowser öffnete, um sich die neuste Seite seines Lieblingscomics anzuschauen, hörte er eine Stimme in einem Winkel hinter seiner Zimmertür.

"Hey Stiles!"

"Yo, Derek." Er fuhr herum, ehe er realisierte, was er da gerade gesagt hatte. Stiles erblickte Derek Hale in seinem Zimmer, den Finger auf den Mund gepresst, um ihm das Zeichen zum Schweigen zu erteilen.
 

Er brachte nur noch ein weiteres verblüfftest "Derek!" hervor, ehe dieser ihm zu verstehen gab, die Zimmertür zu öffnen.

Mist, sein Vater musste schon zuhause sein, kam ihm in den Sinn, als dieser Stiles Namen rief.
 

Er reagierte schnell, sprang so flink von seinem Drehstuhl auf, dass dieser in einer anderen Richtung davonfuhr, als er die Tür parierte und sich abwehrend in dieser positionierte. Beide Hände hatte er an den Rahmen gelehnt, damit sein Vater weder in den Raum hineinschauen noch diesen betreten konnte. Warum zur Hölle wollte er Derek Hale auch noch schützen?

"Was hast du gesagt?", fragte der Sheriff ihn, als Stiles nun hektisch vor ihm lehnte.
 

Obgleich er selbst nichts gesagt hatte, musste sein Vater das Gespräch in ihrem Zimmer mitbekommen oder zumindest die Stimme seines Sohnes gehört haben.

"Ich sagte: Yo, Dad!", versuchte Stiles das Fettnäpfchen zu retten, indem er auf lockere Art und Weise eine Augenbraue in die Höhe zog.
 

"Dein Spiel heute Abend. Ich bin extra früher heimgekommen, um dich spielen zu sehen. Schließlich darfst du heute das erste Mal aufs Feld.", erklärte Sheriff Stilinski stolz.

"Ich bin auch froh und stolz... auf mich.", versuchte Stiles auf die Konversation einzugehen und den Werwolf in seinem Zimmer unbeachtet zu lassen. "Schön, dass du vorbeikommst, Dad."

"Aber natürlich, ich sehe dich dann dort."
 

Als Stiles Vater sich lächelnd entfernte, konnte er nur aufseufzen. In seiner Erleichterung ließ er sich den Türrahmen hinabgleiten und atmete die vor Anspannung angehaltene Luft aus.

Zeit zum Verschnaufen blieb Stiles aber nicht, weshalb er sich schnell durch die Tür zwängte.

Er hatte den Raum noch nicht einmal ganz betreten und gerade die Tür hinter sich geschlossen, als Derek ihn am Kragen packte und gegen die Wand drückte.
 

"Ein Wort und du ...", setzte Derek an, kam jedoch nicht weiter.

"...holst deinen Vater und erzählst ihm, dass Derek Hale in deinem Zimmer ist und er die Schrotflinte mitbringen soll?" Bei Stiles Worten zuckte Derek kurz zusammen.
 

"Das siehst du genau richtig. Das hier ist mein Haus und das hier sind meine Regeln, Buddy." Zwar schnaufte Stiles noch ein wenig, jedoch hatte er sich ob seiner Worte wieder ein wenig entspannt.
 

Aber wie er Derek Hale kannte, musste dieser natürlich einen weiteren Akt der Einschüchterung ausspielen und zog Stiles Jacke mit einem unerbitterlich Ruck zurecht. Dieser hatte allerdings Mut gefasst, grinste nur schelmisch und tat es Derek gleich.

Dennoch zuckte Stiles zusammen, als Derek ihn kurz darauf fast attackierte.

Auch wenn ihr Gespräch noch nicht beendet war, hätte Scott, wenn er dieser Auseinandersetzung beigewohnt hätte, Derek Hale das erste Mal in seinem Leben lächeln sehen.

Der Grund dafür war Stiles Stilinski.
 

*
 

Danach hatte Stiles aufgehört, Dereks Befehle abzulehnen.

Dieser füllte seine Freizeit nun so oft, dass Stiles sich nicht mehr sicher war, wann er wieder Dereks Dreck wegmachen durfte. Und genau dieser Moment war nun wieder gekommen.
 

Natürlich brauchten sie die Hilfe von Danny Mahealani und natürlich war er die Person, die ihn darum bitten durfte. Und natürlich musste er schon wieder Befehle von Derek entgegennehmen. Wie schön, dass für Stiles alles beim Alten geblieben war, außer natürlich, dass nicht er das Genie war, dass ihre Gruppe nun brauchte. Auch wenn Stiles wirklich intelligent war, ein E-Mail-Konto zu hacken, war dann doch eine Nummer zu groß für ihn.

Und genau deshalb brauchten sie Danny und hatten sich nicht für ihn entscheiden. Stiles erinnerte sich noch allzu gut daran, dass Danny bereits als 13-jähriger eine Anzeige wegen Hackens kassiert hatte. Dass er jedem erzählte, diese sei fallen gelassen worden, hatte dem Computergenie sowieso keiner geglaubt. Und da Stiles ja sowieso mit Danny befreundet war, musste er ihn doch irgendwie dazu kriegen, dieses verdammte Konto für ihn zu knacken. So schwierig konnte das doch wohl nicht werden, oder?
 

Die Realität sah ganz anders aus.
 

Eines Nachmittags hatte er Danny bei sich eingeladen, um seine Aufgabe endlich erledigen zu können. In einer Ecke seines Zimmers saß Derek und schien ganz in ein Buch vertieft zu sein, als Stiles Danny hereinbat und ihm erklärte, was er von ihm wollte.
 

"Ich soll was?"

"Ach, bitte Danny. Ich weiß, dass du das kannst. Ich habe gehört.."

"... dass ich deshalb eine Anzeige am Hals habe. Stiles, verdammt, ich war dreizehn und die Anklage wurde fallen gelassen." Stiles zuckte nur mit den Schultern.

"Nein, Stilinski.", sagte Danny, legte seinen Rucksack neben Stiles Schreibtisch ab und ließ sich auf einen Stuhl gleiten.

"Wer ist das noch gleich?", fragte Danny auf einmal und zeigte auf Derek, den er nun bemerkt zu haben schien. Er deutete mit dem Daumen auf ihn.

"Das ist... mein Cousin... Cousin Miguel...", antworte er langsam. Natürlich würde Danny seine Anspielung verstehen und dieser wandte sich noch einmal um, um Derek genau anschauen zu können. Seinem Blick nach zu urteilen, konnte er Stiles Interesse an Derek durchaus nachvollziehen.
 

Genau so viel wie Danny verstand, verstand Derek nicht. Irritiert löste er den Blick aus den Seiten des Buches und starrte Stiles verwirrt an. Dereks typische Mischung aus Verpeiltheit, Grauen und einem unglaublichen Unverständnis.

Ehe Stiles die Mimik weiter analysieren konnte, wurde die Stille erneut durch eine Frage durchschnitten.

"Stiles, ist das Blut auf seinem Shirt?" So sehr Stiles auch versuchte eine Antwort zu finden, so sehr hatte er auch vergessen, dass Derek nicht nur sein heimlicher Schwarm, sondern auch noch ein blutrünstiger Werwolf war.

"Hm, ja. Er... er leidet oft an schrecklichem Nasenbluten.", erfand er schnell eine Ausrede, die in Glaubwürdigkeit kaum zu untertreffen war. Danny runzelte die Stirn.
 

"Hey Miguel!" Stiles wünschte sich, er hätte die Worte niemals ausgesprochen, denn Dereks Blick sprach Bände. Irgendetwas zwischen "Ich ermorde dich im Schlaf" und "Du wirst definitiv noch heute sterben". Aus irgendeinem Grund war Stiles nach wenigen Sekunden nicht mehr beunruhigt.

"Ich habe dir doch gesagt, du sollst dir eins meiner Shirts leihen.", ergänzte er.
 

Mit einem lauten Rascheln klappte Derek das Buch zu und begann sein Shirt abzustreifen.

Zwar wollte Stiles diesen Moment eigentlich nutzen, um das leidige Thema des E-Mail-Kontos anzusprechen, aber stattdessen kam er nicht weit. Sowohl er als auch Danny hatten sich umgewandt und starrten Dereks muskulösen Oberkörper an, während ihnen buchstäblich der Mund offen stand. Für Außenstehende wäre diese Situation wohl äußerst befremdlich gewesen. Zwei Männer in einem Raum, die den durchtrainierten Rücken eines weiteren anstarrten, ohne auch nur irgendeine Intention zu zeigen.
 

Stiles bemerkte, dass Derek ein Tattoo auf dem Rücken hatte, welches ihm bisher nie aufgefallen war. Eine dreifache Spirale, die genau die Mitte seines Rückgrats zierte. Zieren traf es für Stiles ganz gut, denn obwohl er Derek eine Tätowierung nicht zugetraut hätte, fand er sie recht ansehnlich. Danny schien ähnliches zu denken und unwillkürlich schluckte Stiles und wünschte sich, Derek würde doch schnell ein T-Shirt anziehen. Und manchmal - besonders in diesem Moment - war Stiles wirklich froh, dass Werwölfe keine Gedanken lesen konnten.

Langsam machte Derek kehrt und hielt ein schwarz-gestreiftes Oberteil vor sich, das er mit beiden Händen auseinanderzog. Danny lächelte bei diesem Anblick leicht.
 

"Das ist zu klein.", sagte Derek und demonstrierte seine vergeblichen Versuche, dass Shirt zu dehnen.

"Dann probier eben was anderes!"

Und Stiles wunderte sich selbst, dass Derek seinen Befehl beherzigte. Nun gut, sie hatten auch ein gemeinsames Ziel.

"Er sieht gut aus, nicht wahr?", wandte er sich an Danny, während Derek sich in ein furchtbar enges Shirt mit grauen und orangenes Streifen zwängte.
 

"Die Farben stehen ihm nicht.", sagte Danny und Dereks Blick hätte in diesem Moment nicht tödlicher sein können.

"Du schwingst die Keule fürs andere Team, aber doch spielst du noch Ball, Danny-Boy.", sagte er provokativ.

"Stiles, du bist ein schrecklicher Mensch."

"Ich weiß, deshalb schlafe ich nachts auch schlecht."

Und ein bisschen entsprach das sogar der Wahrheit.

Das und die ewigen Gedanken an Derek Hale.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück