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Tollheit und Methode

Weltenbummler Episode 1
von

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Ablenkung


 

**** |[T]| ****

And lease this confusion, I'll wander the concrete

Wonder if better now having survived

Jarring of judgement and reasons defeat

The sweet heat of her breath in my mouth I'm alive

[HOZIER · THE CODEINE SCENE]
 

Ein farbenfroher Mensch, wie Rose es war, hätte nie von sich selbst erwartet einmal völlig in der alltagsgrauen Menge unterzugehen. Sie, die keinen Spaß ablehnte, die sich in Abenteuer stürzte, als gäbe es keinen Morgen, die für den Moment lebte – und nur dafür. Das Leben war ihr wichtig, es zu genießen war ein Kunststück, für das sie von anderen seit jeher beneidet wurde; für gewöhnlich brachte auch niemand die Blonde von ihrem Kurs ab, festgefahren und eingelebt in jedweder Hinsicht, wie sie nun einmal war. Doch seit der Doctor vor ihr zusammen gebrochen war und sich das Bild des gefallenen TimeLords in ihre Erinnerungen gebrannt hat, seit sie sich mit der Vorstellung konfrontiert fühlte ihn zu verlieren – ihn, der so viele Jahrhunderte mehr gelebt hat als sie – geriet ihr Weltbild ein wenig ins Wanken.

Rose war noch nie eine Person gewesen, die Verluste leicht verdaute. Das vermeidliche Aufeinandertreffen mit ihrem Vater, Peter, war dafür Beispiel genug. Was würde sie tun, wenn der Doctor starb? Sie hatte nie so weit gedacht, hatte erwartet, er wäre stärker, unsterblich vielleicht und nicht so leicht aus seinen Wurzeln zu reißen, wie schwaches menschliches Gewächs. Von ihm auf solche Art und Weise zurück gelassen zu werden weckte einen bitteren Beigeschmack auf ihrer Zunge, der unglaublich unerträglich war.
 

Rose schauderte, rieb sich beide Oberarme und ließ den Blick in einer halben Drehung um ihre eigene Achse durch das Kaufhaus schweifen. Menschen eilten geschäftig an ihr vorüber, telefonierten dabei, lachten, trugen große und kleine Tüten und gingen ihrem gewohnten Tatendrang nach. Der Lärm in den hohen Hallen brach sich an jeder Ecke und erzeugte ein Echo an Stimmen bei jedem Schritt, den man tat.

Ihr war eigentlich absolut nicht nach Shoppen zu Mute, geschweige denn nach Gesellschaft in diesem Ausmaße; aber Mum war der Ansicht gewesen, dass ihre Tochter Ablenkung brauchte – und zwar von der harten Sorte. Es würde sie auf andere Gedanken bringen, das Einkaufen, ganz zu schweigen davon, dass sie sicher die ein oder andere neue Klamotte vertragen konnte. Außerdem war es eine wunderbare Ausrede, Zeit miteinander zu verbringen: Zeit, die durch Roses Reisen stetig seltener geworden war. Jackie sprach es nicht laut aus, doch sie war nicht nur wehmütig ob der Abwesenheit ihrer einzigen Tochter, sondern auch ein wenig eifersüchtig auf die Aufmerksamkeit, die sie dem Alien gegenüber an den Tag legte. Man musste blind sein, um es nicht zu bemerken.

Freilich, Böses dem, der Böses dachte … dennoch war es von Rose nicht zu viel verlangt, sich von ihrem neuen und abenteuerlichen Leben auch mal ein Stück weit zu erholen. Und bemerkte man die dunklen Schatten unter den Augen der Blondine, war eine Pause in ihrem Fall bitter nötig.
 

Hinzu kam, dass sie sich schon seit einer Weile ungewohnt wortkarg gab und davon absah, mehr von ihren Abenteuern preis zu geben, wie notwendig – auch, wenn Jackie ihre Tochter bereits dabei erwischt hatte, wie sie absonderliche Mitbringsel in einem Schuhkarton sortierte. Sie erzählte nur bruchstückhaft, erklärte manchmal den Wert ihrer Habseligkeiten, die von einem Stück Stein aus einem anderen Universum bis zu einer Mini-Schallplatte aus dem 53. Jahrhundert reichten. (Der Doctor hatte ihr damals amüsiert davon erzählt, dass die Menschen durch ihre Auswanderung auf andere Planeten teilweise unter extremen Kulturschock litten und sich deshalb nicht selten ziemlich "retro" verhielten – danach hatte er sie als dumme Primaten bezeichnet und darüber gelacht; natürlich nicht ohne einen Klaps auf den Hinterkopf zu kassieren, der eine Jackie Tyler stolz gemacht hätte.)

Aber weil an jedem Stück ihrer kleinen Habe Erinnerungen, Bilder und Sehnsüchte klebten, gestand sich Rose ihren Egoismus ein, ihr Erlebtes mit niemandem teilen zu wollen: zumindest nicht sofort. Sie war zu müde, um Anekdoten zu erzählen. Und hätten sie's überhaupt verstanden? Mickey und Mum, der Rest ihrer Freunde?

Ihren Enthusiasmus?

Ihre Hingabe?
 

"Rosie, sieh mal hier!", drängelte sich Jackies schrille Stimme bis zu ihrem Trommelfell vor und ließ die Blondine seufzend den Hals nach ihrer Mutter recken, die bereits geschäftig im Gange war, für sie den Klamotten-Einkauf zu erledigen. Ernsthaft? Sie war keine zwölf mehr! Doch Rose kam nicht umhin zu lächeln, als Jackie ihr auffordernd eine Kombination aus Jeansrock und T-Shirt entgegen hielt, eine Augenbraue wissentlich erhoben, weil sie den Geschmack ihrer Tochter kannte. Shoppen also, ja?

Nun denn.
 

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Tatsächlich war es  ein schöner Tag gewesen – friedlich und ohne Vorkommnisse, die sie dazu gezwungen hätten um ihr Leben zu laufen. In diesem Sinne mochte Mickey schon Recht mit seiner Annahme gehabt haben, dass der Doctor ungewöhnliche Probleme magisch anzog: und wenn nicht mit Absicht, dann durch sein überhebliches Verhalten, oder seine zu große Klappe – oder! weil Jack es nicht bleiben lassen konnte Männer und Frauen gleicher Weise ungeniert bei jeder Gelegenheit anzuflirten.

"Was gibt es da zu grinsen?" Jackie blinzelte neugierig  über den Rand ihrer Kaffeetasse zu Rose. Sie hatten es sich innerhalb des Einkaufszentrums in einem Café gemütlich gemacht, umringt von Tüten mit neuen Kleidern und Lebensmitteln. Die Blondine schüttelte flüchtig den Kopf, nahm einen Schluck aus ihrer eigenen Tasse, schaffte es aber nicht das Grinsen vollständig herab zu kämpfen und zu überspielen. "Na los, sag schon. Es hat bestimmt wieder etwas mit diesem Alien zu tun, nicht wahr?" Oh, Volltreffer. War sie inzwischen so leicht zu durchschauen?

Das Porzellan klapperte leise, als Rose die Tasse zurück stellte und sich auf den Ellenbogen über die Tischplatte lehnte: "Also gut", gab sie schließlich nach. "Wir waren auf einem kleinen Planeten, weit weg von hier, besiedelt von einer französischen Kolonie –"

"Franzosen?" Jackie wirkte ehrlich entsetzt, ihre Tochter schüttelte indes lachend den Kopf. Das erste, echte Lachen seit Tagen. Mum konnte Franzosen nicht ausstehen, warum hatte sie nie erwähnt; lag wohl an den Vorurteilen, die man sich entgegen brachte. Rose, die selbst sehr aufgeschlossen war, hatte das Verhalten ihrer Mutter nie nachvollziehen können.

"– nun, jeden Falls hätten wir beinahe die vierte Revolution ausgelöst, weil Jack – Jack Harkness kennst du ja noch, nicht wahr? – Na, er war der Ansicht, er könne der dortigen Königin den Hof machen. So endet das eigentlich oft mit Jack: wenn wir keine Schwierigkeiten haben, macht er uns welche. Ist nicht so, als würde der Doctor die Bürde der Chaoskrone alleine tragen." Rose hob lapidar die Schultern, den Mund bereits geöffnet; aber Mum unterbrach sie ein weiteres Mal: "Der gut aussehende Kerl, der mit euch unterwegs war? Wo ist der eigentlich abgeblieben, sollte er nicht bei euch sein?"
 

Wenn man Mauern einreißen wollte, war Jackie Tyler darin ein Naturtalent – nicht nur in metaphorischer Hinsicht. Die Frage ihrer Mutter, so nonchalant und unbedacht, schnürte Roses Herz jedoch sofort mit der schmerzhaften Gewissheit eines Stacheldrahtes zusammen; sie stockte, biss sich annähernd schuldbewusst auf die Unterlippe, unterdrückte den Impuls der Trauer und neuer Tränen und wandte den Blick beiseite. "Zurückgeblieben", echote Rose nach einer Weile die Worte des TimeLords. Sie schloss wehmütig die Augen und Jackies Hand legte sich mitfühlend warm auf die ihre – würde das jetzt zu ihrer neuen Gewohnheit werden? Ein Stich in der Brust, wenn sie an den Tod von Freunden denken musste? Schluss. Aus. Vorbei.

Der Tag war gegessen. Sie wollte nach Hause, nur mehr zurück – zurück zu ihm, bevor auch er sie zurück ließ, wie Jack es in seinem Übereifer zu Stande gebracht hatte. Rose war daran die Bitte laut zu äußern, nach Hause zu gehen, als in ihrer näheren Umgebung Glas unerwartet laut auf poliertem Boden zerschellte.
 

Roses erste Reaktion war, sich alarmiert nach der Ursache des Lärms umzusehen; ihre Zweite baute auf ihrer neu gewonnen Erfahrung durch die Raum-und-Zeit-Reisen und manövrierte sie ohne Umschweife auf die Beine zurück, wobei die Britin dabei kaum bemerkte, wie sie angespannt und schützend zu Jackie aufschloss.

Vor dem Café hatte sich eine Traube gebildet, ein Mann verharrte in ihrer Mitte, der begonnen hatte, wie von Sinnen und aus Leibeskräften zu schreien. Sein Betragen erregte selbstverständlich weitere Aufmerksamkeit, forderte mehr Menschen auf, sich nach ihm umzudrehen und zu beobachten, zu glotzen, wie er augenscheinlich daran war in aller Öffentlichkeit den Verstand zu verlieren. Die Situation spitzte sich schließlich zu, als der Kerl seinen Nächsten mit aller Kraft, die er aufzubringen im Stande war, von sich schubste und sich noch heftiger zu wehren begann, ob dem spärlichen Versuch ihn mit beherztem Griff unter Kontrolle zu bringen.

"Der Kerl hat sie nicht mehr alle – der ist völlig wahnsinnig!"

"Mann, geht's ihnen gut?!"

"Scheiße, er hat mich gebissen!"

Rose reckte sich bis auf die Zehenspitzen in Richtung Aufruhr, damit sie über die Köpfe hinweg noch mitbekam, wie sich der Unruhestifter aus der Menge befreite und wie ein angeschossenes Tier vor dem anrückenden Sicherheitsdienst floh. Er hustete, als hätte er sich dabei verschluckt.
 

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"Ich sage dir, der Idiot hatte sie einfach nicht mehr alle!", murmelte Jackie Tyler später unablässig auf dem Weg durch die schmutzigen Gassen nach Hause. Mum hatte ihre aufgeregte Platte aufgesetzt, kaum, dass der fremde Mann aus der Sichtweite der Schaulustigen verschwunden war und seitdem kein spannenderes Gesprächsthema gefunden, wie das öffentliche Halligalli, das Dieserwelcher veranstaltet hatte.

"Wahrscheinlich war er einfach nur krank. Ist ja nicht so, wie wenn was ernstes passiert wäre. Vielleicht hatte er dieses … wie heißt das noch? Tourette? Kann man ja nicht wissen, oder?"

Jackie schüttelte heftig den Kopf, ihre Hand so tief in der Handtasche vergraben, dass man ebenso gut hätte annehmen können, sie würde sich anstrengen um durch den Boden der Tasche hindurch auf der anderen Seite wieder heraus zu kommen. "Tourette …" Die Ältere gluckste, fand endlich ihren Schlüsselbund und stieß Rose in der Drehung ihren ausgestreckten Zeigefinger annähernd tadelnd gegen die Brust. "Beverlys Tante hatte Tourette, glaube mir, das siehst ganz anders aus." Rose rollte flüchtig mit den Augen, warf ein stoisches "Wenn du meinst" hinterher und folgte Jackie durch die schwere Eingangstüre ins Treppenhaus ihres Wohnblocks. Mum quasselte dabei unablässig weiter, wie befremdlich sie es fand, dass jemand in ihrer Ecke von London ein solch unmögliches Theater veranstaltete und verteufelte die Jugend, ihren Drogenrausch und allgemein sämtliche Bosheit auf der Welt.

Andererseits – überraschte es jemanden in Peckham tatsächlich noch? Allein das Powell Estate trug bereits den Ruf eines Irrenhauses, da schenkte man einem Nervenzusammenbruch in der Ortschaft an und für sich kaum Beachtung, nicht wahr? Trotzdem wurde Rose das neckende Gefühl nicht los, dass an dem Bild des Mannes, wie er dort stand und aus Leibeskräften brüllend um sich schlug, etwas nicht stimmte.
 

Die Türe zu ihrer Wohnung knirschte leise in den Scharnieren, die Katzenklappe folgte ihrem Rhythmus und kündigte, nebst dem schrillen Monolog Jackies, die Rückkehr der beiden Frauen an. Mickey kam sofort vom Wohnzimmer aus auf sie zu und nahm in bereitschaftlicher Hilfe die Einkaufstüten an sich. Bei Roses erwartungsvollem Blick schüttelte er allerdings demonstrativ den Kopf, versuchte sich an einem gequältem Lächeln und stolperte mit der Einladung zum Tee voraus in die Küche, den er vor wenigen Minuten erst aufgesetzt hatte.

"Du wirst uns nicht glauben, was uns passiert ist, Mickey", begann Mum das Thema von vorn aufzurollen und erzählte dem Dunkelhaarigen abermals bis ins kleinste Detail und völlig übertrieben, was Rose und sie vom Café aus gesehen hatten. Mickey selbst runzelte dabei die Stirn, dachte einen Moment merklich angestrengt nach und zuckte vorsichtig die Schultern: "Hab' heut' morgen von Jim unten in der Bäckerei was ähnliches gehört. 'N Teenie, kommt jeden Morgen um sich seine Brotzeit zu kaufen, stand dort an der Kasse und muss plötzlich total ausgerastet sein. Jim meinte, es läge daran weil er und seine Freundin am Vortag einen ziemlich üblen Streit hatten… allerdings kriegte sich der Kerl nicht mehr ein und … nun ja, ist einfach ohne zu bezahlen abgehauen. Bin gespannt ob er morgen wieder auftaucht..."

"Ist Jim nichts Ungewöhnliches an dem Jungen aufgefallen?" Rose konnte das anrauschende Teilinteresse zwischen Yoghurt und Bananen kaum unterdrücken. Gut möglich, dass es bei den beiden Fällen sogar einen Zusammenhang gab, ein Muster – etwas, das mehr aussagte, wie streitlustige Menschen. War sie zu lange auf Abenteuerreise unterwegs gewesen? Übertrieb sie mit ihrer Paranoia nun vollkommen?
 

Wenn Mickey  ihr eine Antwort gab, entging es Rose im folgenden Sekundenbruchteil jedoch völlig, abgelenkt und unterbrochen von einem Husten, das heiser aus dem Gästezimmer zu ihnen nach vorne drang. Die Blonde stockte, das Brot in ihren Händen ließ sie fallen; doch bevor sie den dumpfen Aufprall desselben wahrgenommen hätte, war sie bereits im Eiltempo unterwegs durch den schmalen Gang der Wohnung, Mickey und Mum auf ihren Fersen.

Der Doctor lag in dem kleinen Bett, so wie sie in zurück gelassen hatte, starr und unbewegt – aber dieses Mal war sein Blick, das kühle Blau seiner Augen, müde an die Decke gerichtet. Er war aufgewacht; orientierungslos und erschöpft, aber munter, zurück im Hier und Jetzt – zurück bei ihr. Roses Herz setzte einen Schlag lang aus, dann startete es einen Marathon. Sie stolperte unbeholfen an ihn heran, ihre Blicke kreuzten sich. Der Gallifreyan musterte sie erst eine stumme Weile, bis sich seine Mundwinkel schwach krümmten: "Hallo", hauchte er so leise, dass man ihn kaum verstand.

"Hallo", erwiderte Rose.



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