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New Reign

Wie Game of Thrones, nur mit Digimon. [Video-Opening online]
von

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Ein unerwarteter Verbündeter


 

Tag 150

 

„Sir Mummymon hat sich zurückgemeldet, Majestät“, meldeten die Hagurumon, als er auf der Brücke die jüngsten Berichte abrief.

Das wurde auch Zeit. Immerhin, es hatte die Revolte überlebt. „Es soll Fürst Yukio Bericht erstatten. Ich will über die Vorkommnisse und seine künftige Einsatzfähigkeit Bescheid wissen.“

„Zu Befehl.“

„Ken, wann wirst du zu T.K. gehen?“, fragte Wormmon.

„Vielleicht gar nicht.“ Er hatte keine Lust, mit ihm zu sprechen. Ken konnte nur stark sein, wenn er nicht daran dachte, was alles auf dem Spiel stand. Wenn alles vorbei war, konnte er es T.K. ja erzählen. Dann konnte der ihn nach Herzenslust hassen, ihn aber nicht mehr ins Wanken bringen.

Andererseits hatte er vielleicht nützliche Informationen. Arukenimon hatte erzählt, dass T.K. ihm die Sache mit den Geiseln abgekauft hatte. Vielleicht konnte er ihn unter Druck setzen.

Seufzend stand er auf. Wenn es schon sein musste, konnte er es auch gleich hinter sich bringen. Bei der Gelegenheit fiel ihm ein, dass es vielleicht günstig wäre, alle anderen gesicherten Menschen auch in seine Nähe zu bringen. Vielleicht brauchte er bald neue Klone, und mit Arukenimon war die Festung der sicherste Ort für sie.

„Benachrichtigt den Rosenstein. Alle Menschen sollen unverzüglich hierher in die Festung eskortiert werden. Nehmt den Seeweg, aber benutzt fliegende Digimon. Hiroshi und Takashi lasst dort.“ Es war zu gefährlich, sie auch zu transportieren. So, wie sie waren, waren sie vermutlich am sichersten. „Dasselbe gilt für Keiko – ich habe gehört, dass Sir BlackAgumon sie endlich geschnappt hat.“

Ken wartete die Befehlsbestätigung nicht ab, sondern verließ die Brücke, Wormmon im Schlepptau.

Auf dem Weg zu T.K.s Zimmergefängnis lauerte ihm Oikawa auf. „Ich bin nicht in der Stimmung für Vorwürfe“, sagte Ken. Er wusste, dass die Atmosphäre in der Festung ziemlich abgekühlt war. Darauf gab er nichts mehr.

„Wir müssen über die Saatkinder reden“, sagte Oikawa trotzdem und begleitete ihn. „Ich finde es nicht richtig, was du mit ihnen anstellst.“

„Du hast sie selbst einmal entführt und in einem Laster durch ein Gebiet voller bösartiger Digimon kutschiert“, sagte Ken.

„Aber ich habe sie nicht in ihren Betten gefesselt und geknebelt! Was du tust, ist menschenverachtend, Ken.“

„Ich erhalte sie am Leben. Sie können mich zur Verantwortung ziehen, wenn der Spuk vorbei ist.“

Die Idee war ihm gekommen, als er Nadines Hinrichtung simuliert hatte. Was hielt Deemon davon ab, seinen Schützlingen zu erzählen, sie sollten Selbstmord begehen? Für sie war das nichts als ein Spiel, in dem sie nur noch Gefangene ihres Rivalen waren. Warum also nicht früher aussteigen und neu beginnen? Ken musste das um jeden Preis verhindern. Er hatte sichergestellt, dass Nadine, Hiroshi und Takashi in ihren jeweiligen Gefängnissen so fixiert wurden, dass sie sich nirgends den Kopf stoßen, sich Adern aufschneiden, sich die Zunge abbeißen oder sonst eine Dummheit tun konnten. Dass sie nun verschnürt waren wie Pakete, war unumgänglich. Selbst eine Gummizelle war ihm zu riskant gewesen. Er hatte Deemon mit diesen Gedanken konfrontiert, doch das Digimon schwieg. Ken legte es als Resignation aus.

„Trotzdem. Sei doch …“

„Ich bin vernünftig.“

„Menschlich“, beendete Oikawa seinen Satz.

„Menschlichkeit rettet sie nicht. Und ich bin der Kaiser, du nur ein Fürst. Ich übernehme die volle Verantwortung. Wer auch sonst?“, schnaubte er. „Ich will nichts mehr davon hören. Willst du dir T.K. auch ansehen?“

„Du redest, als wäre er ein seltenes Tier“, merkte Oikawa an, das Gesicht eine Maske.

„In gewisser Weise hat Deemon ihn zu genau dem gemacht.“

„Dann geh alleine.“ Oikawa blieb abrupt stehen. „Du behandelst schon Menschen wie gestörte Schwerverbrecher. Ich will gar nicht wissen, wie du mit Tieren umgehst.“

 

 

„Wo kommt Ihr überhaupt so plötzlich her?“, wollte Matt wissen. „Was soll das bedeuten, wir sind auserwählt?“ Die Stimmung im Raum war angespannt, und er hatte keine Ahnung, was er von dem Fremden halten sollte, der urplötzlich mitten in ihrer Sitzung erschienen war.

„Wir haben nur wenig Zeit, aber ich werde versuchen, euch Antworten zu geben“, sagte Gennai. „Ich bin hier, weil der Wille, der auf Harmonie in der DigiWelt hofft, das verlangt hat. Die Macht des DigimonKaisers wächst mit jeder Minute, mit jedem Turm, den er baut. Diese Türme bringen das Gleichgewicht der Welten durcheinander und drohen, die DigiWelt ins Dunkel zu ziehen.“

„Dann ist gar nicht der Kaiser selbst unser Feind?“, fragte Sora. „Sondern seine Türme?“

„So könnte man es sagen. Allerdings wird der DigimonKaiser nicht damit aufhören, Schwarze Türme zu bauen. Es ist eure Aufgabe, ihn ein für allemal daran zu hindern, und meine, euch dabei zu helfen.“

„Aber wie?“, fragte Tai, und es klang anklagend. „Sollen wir zulassen, dass er andere Menschen tötet?“

„Wir können ihn ja doch nicht besiegen“, meinte Mimi mutlos. „Es ist zwecklos.“

„Ich weiß, dass er Digimon versklaven und euch an der Digitation hindern kann“, sagte Gennai ruhig, „aber es gibt einen Weg, seine Macht zu brechen und bis ins Herz seines Reiches vorzustoßen.“

Die anderen sahen einander hoffnungsvoll an. Matt blieb skeptisch. Wille zur Harmonie? DigiRitter? Davon hatte er noch nie gehört.

„Bevor Sie uns den Weg verraten, Gennai“, sagte Kari, die ebenfalls etwas zu beschäftigen schien, „erinnern Sie sich an uns?“

Der rätselhafte Mann sah sie aus unergründlichen Augen an. „Ich kenne euch“, sagte er. „Wir haben euch lange beobachtet.“

„Aber erinnern Sie sich daran, was vor sechs Jahren geschah? An die Türme in der Realen Welt?“

Gennai schwieg eine Weile, dann sagte er: „Es tut mir leid, wenn ich dir keine Auskunft geben kann. Das Gleichgewicht der DigiWelt ist bereits stark beeinträchtigt. Es ist gut möglich, dass infolgedessen einige Daten Schäden davongetragen haben.“

„Sie erinnern sich nicht“, meinte Kari mutlos.

„Ihr solltet euch nicht auf das konzentrieren, was einmal war“, sagte Gennai. „Vor euch liegt ein harter Kampf, und ihr dürft keine Zeit verlieren. Ihr alle wurdet auserwählt, diese Welt zu beschützen – unter anderen. Von allen Menschen, die in der DigiWelt sind, ruht auf euren Schultern die größte Last. Ihr könntet von anderen DigiRittern Hilfe holen, doch dafür wird die Zeit nicht ausreichen. Die Dunkelheit wächst, und bald wird sie kein Lichtstrahl mehr durchdringen.“

„Auserwählt oder nicht“, murmelte Davis, „wenn er uns sagen kann, wie wir den DigimonKaiser besiegen können, bin ich meinetwegen auch ein Digimon.“ Nach und nach stimmten die anderen ihm zu.

Nur Willis zweifelte noch, obwohl Gennai aus seinem Ei gekommen war. „Ich weiß nicht. Es könnte auch eine Falle sein. Mein DigiArmorEi war für kurze Zeit in der Gewalt des DigimonKaisers. Wenn er Digimon und Menschen verändern kann, warum dann nicht auch ArmorEier?“

Gennais Blick war nach wie vor ernst. „Ich kann euch keinen Beweis liefern, nur mein Wort. Ich hoffe, dass das ausreicht. Wir haben, wie gesagt, nur wenig Zeit. Laut einer alten Prophezeiung bringt der DigimonKaiser Dunkelheit und Tod über die DigiWelt. Es gibt nur einen Weg, seine Macht zu brechen.“

„Dann spannt uns nicht länger auf die Folter“, forderte Tai ihn auf.

„Wie ihr wollt. Es gibt noch eine andere Inschrift, die euch den Weg zu jener Macht weisen wird, die ihr benötigt, um die DigiWelt zu retten. Sie befindet sich in dem Tempellabyrinth auf der File-Insel.“

„Und die ist in der Hand des DigimonKaisers.“ Willis rollte die Augen. „Was für ein Zufall.“

„Das mag stimmen, doch ich kenne den Inhalt der Inschrift“, sagte Gennai.

„Moment.“ Izzy tippte auf seinem Laptop herum und war dann bereit, mitzuschreiben. Er nickte Gennai zu.

Der rätselhafte Mann sammelte sich für einen Moment, dann sagte er: „Großer Künstler, der du Eisen zu Gold machst, wie sehr bist du zu bedauern. Nie schließt deine Liebsten du in die Arme, nie möge sich dir etwas entziehen. Wo andere ihre Freunde überdauern, lachst du nur bitter über ihr Leid, Leid, das du ersehnst. Die beiden Sieger zanken sich seit Jahrhunderten. Keiner noch errang den Preis. Vergraben, bis das Schicksal erwacht. Zu sehen in goldener Morgenstund ist der Anbeginn. Goldenes Licht die Dunkelheit verdrängt. Zwei der Schätze, drei der Suchenden. Mit Füßen treten, um zu befreien, ist es Magie? Magisch ist der Besiegten Mühe. Nicht umsonst ihr Opfer sei. Magisch ist des Feindes Macht. An allen Ecken regiert das Böse. Magisch sind stets Ende und Anfang.

„Und was soll das heißen?“, platzte Tai in die nachfolgende Stille.

„Das müsst ihr selbst herausfinden, fürchte ich“, meinte Gennai bedauernd. „Selbst ich kenne die Lösung nicht.“

Bedrücktes Schweigen machte sich breit. Und wie sollten sie das anstellen, wo doch die Zeit so sehr drängte wie noch nie?

„Und der DigimonKaiser hat diese Inschrift auf seiner Insel?“, wiederholte Yolei. „Heißt das, er hat das Rätsel schon gelöst?“

„Das ist durchaus möglich“, sagte Gennai. „Allerdings weiß er nicht, dass die erste Zeile der Inschrift belanglos ist.“

„Die erste Zeile?“

Deinen Blick sollst du zum Anfang des Himmels richten. Ich habe sie euch nicht genannt, doch sie wurde nur aufgeschrieben, um den zu verwirren, der dies nicht weiß. Das wird in der ersten Prophezeiung, jener über den DigimonKaiser, angedeutet.“

„Ein schwacher Trost“, murmelte Mimi.

„Wir lösen dieses Rätsel!“, sagte Davis impulsiv. „Wir lösen es auf jeden Fall! Überlegt doch mal, wir haben so oder so keine Chance gegen den DigimonKaiser! Das Rätsel ist die beste Spur, die wir haben!“

„Und wir müssen nicht kämpfen“, sagte Sora.

Die anderen ließen sich das durch den Kopf gehen.

„Eine Frage noch, Gennai“, sagte Kari. „Der DigimonKaiser – wissen Sie, wer er ist?“

Wieder schwieg Gennai eine Weile. „Einst war er ein DigiRitter wie ihr. Doch er wurde von der Macht der Dunkelheit verführt.“

„Ist es denn derselbe wie beim letzten Mal? Was auch immer das in dieser Welt bedeuten mag“, fügte sie bitter hinzu.

„Das ist er.“

 

 

„Ich wusste es!“, sagte Willis, aber Kari hörte es kaum. Sie hatte die ganze Zeit einen Verdacht gehegt. Von all ihren Freunden war nur Ken unauffindbar. Und wenn jeder der DigiRitter irgendeine Rolle in dieser falschen DigiWelt zu spielen hatte, als Könige und Anführer, warum dann nicht auch er? Und in welcher Rolle hatte er bereits brilliert, wenn nicht in der des wahnsinnigen Kaisers?

Der letzte DigimonKaiser in dieser falschen Welt war vielleicht derselbe gewesen wie der in der richtigen. Immerhin sprach die Legende von einem goldenen Digimon, das ein Kimeramon besiegt hatte. Aber warum sollte Ken das alles tun? Das sprach gegen die Theorie. Ihre Freunde waren schließlich noch dieselben, auch wenn sie einander nicht kannten. War etwas passiert, das Ken auf seinen alten Pfad zurückgebracht hatte? Und war T.K. deswegen in der Wüste geblieben? Ihre Sorge um ihn wuchs.

„Gut. Wir versuchen es“, beschloss in dem Moment Tai. „Izzy, ich zähle auf Euch.“

Der Computerfreak schien sich schon damit abgefunden zu haben, dass er den Hauptteil der Arbeit erledigen musste, denn er nickte nur abwesend, bereits in das Rätsel vertieft.

„Ich wünsche euch alles Gute. Denkt daran, das Schicksal dieser Welt hängt von euch ab“, sagte Gennai. Seine Gestalt flackerte und löste sich auf. Zurück blieb nur Willis‘ ArmorEi.

Nun mussten sie also auf Izzy hoffen. Kari erinnerte sich daran, dass er auch den Code geknackt hatte, der Agumon und Gabumon im Kampf gegen VenomMyotismon die Warp-Digitation ermöglicht hatte. Hoffentlich geschah etwas ähnlich Unglaubliches wie damals.

 

 

T.K. sprang von seinem Bett auf, als die Tür zu seinem Zimmer aufglitt. Endlich.

Er hatte sich nicht geirrt. Er gehofft, dass er sich irrte, aber der junge Mann vor ihm war eindeutig Ken. Er erkannte ihn trotz seiner Brille. Selbst Wormmon war bei ihm.

„Ken“, sagte er und hielt mühsam seinen Zorn im Zaum.

„Sieh an“, meinte der wiedergeborene DigimonKaiser trocken. „Du kennst meinen Namen.“

„Ich wünschte, ich täte es nicht“, knurrte er.

„Es macht keinen wirklichen Unterschied. Was ist deine Rolle in diesem Spiel?“

„Spiel?“, zischte T.K. und weitete ungläubig die Augen. „Darum geht es? Du denkst wieder, du kannst Digimon zum Spaß abschlachten?“

„Ich bin nicht wie die Saatkinder. Sag mir, woher du kommst, wo du geboren und aufgewachsen bist, wer deine Freunde sind und was sie vorhaben.“ Ken leierte es regelrecht herunter, als empfände er das Gespräch nur als lästig. Für T.K. war es dringend notwendig – und zum Kochen aufreibend.

„Bist du eigentlich völlig verrückt geworden?“ Patamon landete auf seiner Schulter, wie als Warnung, Ken nicht gleich anzuspringen. „Spielst dich hier wieder als DigimonKaiser auf und tötest wahllos Menschen! Verdammt, selbst wenn du deine Erinnerungen verloren hast, der Ken, den ich kannte, hätte das nie getan! Oder haben wir nur geglaubt, dich zu kennen?“, fragte er und legte den Kopf schief. „War unsere Freundschaft nur gespielt?“

„Beantworte meine Fragen“, sagte Ken ruhig.

„Den Teufel werd ich tun! Hast du vergessen, was die Macht der Dunkelheit alles angerichtet hat?“

Ken schmunzelte leicht. Am liebsten hätte T.K. ihm die Augen ausgekratzt und ihm Vernunft in den Schädel geprügelt. „Freundschaft“, murmelte er. „Angst, Hass, Vernichtung, Dunkelheit. Wie kannst du es wagen, die Welt mithilfe der Macht der Dunkelheit verändern zu wollen? Er klingt fast wie der T.K, den ich kenne. Gute Arbeit, Deemon, wirklich gute Arbeit.“

„Was faselst du da?“, rief T.K. fassungslos. „Deemon? Was soll das heißen?“

„Das heißt, dass es deine Figur sehr fein geformt hat“, sagte Ken. „Aber das war auch zu erwarten gewesen.“

„Figur? Hast du den Verstand verloren?“, platzte es aus ihm heraus.

„Schön wär’s“, murmelte Ken. „Das würde einiges leichter machen.“

„Ken meint das Spiel, dass er gegen Deemon spielt“, sagte Wormmon. T.K. sah auf das grüne Digimon hinab. Es schien so sanft wie eh und je. „Deswegen tut er das alles ja.“

„Was?“ Er verstand immer noch nur Bahnhof.

„Gib dir keine Mühe, Wormmon“, meinte Ken apathisch. „Er wird dir weder glauben, noch dich verstehen. Und wenn, dann tut er nur so. Er ist nur ein armer Mensch, der in der DigiWelt geboren wurde und nie etwas von irgendwelchen DigiRittern mitbekommen hat.“

„Warte“, murmelte T.K. verdattert. Er hatte das Gefühl, ein Film würde vor ihm auf einer Leinwand vorbeirauschen, ohne dass er die Szenen begriff. „Das heißt, du erinnerst dich an früher? An uns DigiRitter und an die Reale Welt?“

Ken lächelte, dann bracht er plötzlich in Gelächter aus und riss die Arme empor. „Richtig so“, rief er zur Zimmerdecke. „Heiz mir ordentlich ein, Deemon. Als würde ich nach Nadine nochmal darauf reinfallen!“

„Ich glaube, er meint es ernst“, gab Wormmon zu bedenken.

„Weil wir das auch glauben sollen. An Nadine habe ich auch nie gezweifelt.“

Nadine. Das kleine Mädchen von früher. T.K. wusste nicht, wovon die beiden sprachen. Er hatte das Gefühl, dass es wichtig war, es zu verstehen, doch im Moment überwog seine Wut. „Stimmt es, dass du jetzt sogar schon Menschen kontrollierst? Und dass du Nadine hast Selbstmord begehen lassen?“

„Natürlich stimmt das“, gab Ken freimütig zu. „Ich bin unbesiegbar. Gib also lieber gleich auf.“

„Dann bist du wirklich nicht der Ken, den ich mal kannte“, murmelte T.K. düster, und nun schien Ken kurz zusammenzuzucken.

„Gehen wir, Wormmon“, sagte er plötzlich. „Ich wusste, dass es Zeitverschwendung ist. Ein Moralapostel ist anstrengend genug.“

„Yukio meint es doch nur gut mit dir“, sagte Wormmon.

„Und ich meine es gut mit der DigiWelt. Trotzdem wehrt sie sich.“ Ken wandte sich der offenen Tür zu.

„Warte!“, rief T.K. „Wage es ja nicht, einfach wieder abzuhauen! Yukio? Etwa Yukio Oikawa? Was wird hier eigentlich gespielt?“ Nein, das war unmöglich. Er meinte sicher einen anderen Yukio.

Ken seufzte. „Ich werde dir nicht glauben, dass du dich erinnerst“, legte er fest. „Also tu nicht so, als wüsstest du nicht, worum es geht.“

„Ich weiß es wirklich nicht! Alles, was ich weiß, ist, dass meine besten Freunde sich plötzlich an nichts mehr erinnern, und der eine, der sich erinnert, den Verstand verloren hat und wieder Gott in der DigiWelt spielt!“ T.K. stapfte auf ihn zu und wollte ihn an der Schulter herumreißen, doch Ken fegte seine Hand fort.

„Fass mich nicht an!“, zischte er aufgebracht. „Ich sollte dich in Ketten legen wie die anderen, nur zur Sicherheit!“

„Ken, er ist dein Freund …“, wisperte Wormmon.

„Dieser T.K. bestimmt nicht.“

„Und wenn er die Wahrheit sagst?“, murmelte das Digimon. „Immerhin ist er nie mit der Saat in Berührung gekommen. Deemon kann nicht mit ihm sprechen.“

Nun schien Ken tatsächlich zu zögern. T.K. wartete, bis er einen Entschluss gefasst hatte. Wenn es der falsche war, würde er nachhelfen! „Also schön“, meinte sein ehemaliger Freund gedehnt. „Sag mir alles, was du über mich weißt.“

„Du bedienst dich wieder der Macht der Dunkelheit“, sagte T.K. sofort. „Und du versklavst unschuldige Digimon.“

„Ja, ja.“ Ken winkte ungeduldig ab. „Was weißt du von früher? Vom ersten, wirklichen DigimonKaiser? Sei ruhig ausführlich. Ich will keine Legenden wiedergekäut haben.“

Einen Moment starrte T.K. ihn nur zornig an. Was sollte das alles? Diskutierte er hier tatsächlich mit einem Verrückten? Schließlich begann er zu erzählen. Zu verlieren hatte er schließlich nichts.

„Du hast uns erzählt, dass es angefangen hat, als du Oikawas Mail erhalten hast. Nachdem dein Bruder gestorben war. Du bist in die DigiWelt gegangen, wo dich die Saat der Finsternis beeinflusst hat. Anschließend hast du dich DigimonKaiser genannt und die DigiWelt erobert, genau wie jetzt.“

„Nicht ganz. Was ist anders?“, fragte Ken plötzlich mit ernster Miene.

T.K. überlegte einen Augenblick. „Die Teufelsspiralen“, fiel ihm dann ein. „Ich habe noch keine gesehen. Dafür die Schwarzturmdigimon von Arukenimon.“

Ken nickte. „Weiter.“

Wann waren sie bei einem Verhör angelangt? Eigentlich hatte T.K. Antworten von Ken erwartet! „Wir kamen in die DigiWelt, weil unsere Digimon um Hilfe riefen. Davis, Cody und Yolei erhielten D3-DigiVices; Karis und meines veränderten sich, wie deines.“ Er erzählte Ken all ihre Abenteuer so detailliert wie möglich und kam sich dabei von Minute zu Minute lächerlicher vor. Ken unterbrach ihn kein einziges Mal, er nickte nur immer wieder. Schließlich beschloss T.K, auch die jüngsten Ereignisse anzuschließen, nur um sie irgendjemandem zu erzählen. Er berichtete, wie plötzlich jeder ihrer Freunde aus der Realen Welt verschwunden war und Kari begonnen hatte, von der DigiWelt zu träumen. Schließlich erzählte er ihr sogar von ihrer Odyssee, die sie ans Meer der Dunkelheit und von dort nach endlos langer Zeit in die DigiWelt geführt hatte. Nur Karis Pakt mit den Schattenwesen verschwieg er.

„Verstehe“, murmelte Ken. „Es klingt nachvollziehbar. Schade, dass ich dir nicht trauen kann.“

„Warum tust du ständig so, als wäre ich hier der Angeklagte?“, knurrte T.K. aufgebracht. „Du bist dran. Was ist deine Rechtfertigung?“

Ken zuckte mit den Schultern. „Vermutlich weißt du es ohnehin. Aber gut, ich sage es dir. Wir stecken hier alle in einem verrückten Spiel fest, das Deemon begonnen hat. Und seither wandle ich auf einem Grat zwischen Himmel und Hölle.“

Was T.K. im Anschluss erfuhr, ließ ihn mit einem Schlag alle Wut vergessen, obwohl er sich geschworen hatte, Ken niemals zu verzeihen, egal, was seine Ausrede sein mochte. Er vergaß fast zu atmen, als Ken von den ungeheuerlichen Bedingungen erzählte, die Deemon ihm gestellt hatte. Bei dem Gedanken, das Digimon in Gedanken zu hören, stellten sich T.K.s Nackenhaare auf. Ken erzählte gleichmütig, wie er erst von Nadine verraten und dann von Oikawa gerettet worden war, wie er Sammy getötet hatte, den Deemon als seine Schwachstelle vermutet hatte, und dass er nun knapp davorstand, sein Ziel zu erreichen. Seine Kaltblütigkeit irritierte T.K, doch er zweifelte keine Sekunde daran, dass er die Wahrheit sagte. Das war das fehlende Puzzle-Stück, der Grund, warum ein herzensguter Mensch wie Ken etwas Derartiges tun würde … Kari hätte Mitleid mit ihm gehabt, das wusste er. T.K. selbst gestattete es sich nicht. Es war der Ausgleich zur Wut über Kens Taten.

„Und nun hat Deemon dich geschickt. Ich hab mich schon gefragt, wo du steckst“, endete Ken. „Und deine Geschichte … Sie ergibt tatsächlich Sinn. Nichts anderes würde ich von ihm erwarten.“

„Deemon hat mich nicht geschickt.“ T.K. merkte, dass seine Stimme nicht mehr so fest klang wie zuvor. Er fühlte sich irgendwie blutleer. „Kari und ich hatten von alldem keine Ahnung … Verdammt, wir waren alle auf dem Holzweg!“ Er hieb gegen die Wand.

„Schön, dass du so tust, als würdest du mir glauben“, brummte Ken. „Aber selbst wenn es stimmt, wirst du verstehen, dass ich dir nicht vertrauen kann.“

T.K. tigerte in seinem Zimmer auf und ab. „Ich muss zu Kari, unbedingt! Ich muss es ihr sagen … Wir werden die anderen überzeugen.“

„Das wirst du nicht tun. Und du könntest es auch nicht.“

„Verdammt, Ken! Was für einen Beweis, dass ich ich bin, brauchst du noch?“

„Keinen. Es ist sinnlos.“

T.K. biss die Zähne zusammen, trat mit weit ausgreifenden Schritten auf ihn zu, packte ihn am Kragen und stieß ihn gegen die Wand. „Sieh her!“, brüllte er ihn an und ballte die Faust. „Dich zu schlagen wäre das Einzige, was ich momentan tun kann! Du hast mein DigiVice! Willst du dich prügeln wie damals? Willst du das? Mir würde es große Freude bereiten, du verdammter Idiot, aber an deinen Plänen würde es nichts ändern!“

„Schlag mich ruhig, wenn dir danach ist“, murmelte Ken leer. „Verdient habe ich es.“

„Allerdings! Was sollte das mit Nadine? So weit hättest du nicht gehen müssen!“

Ken verzog die Lippen zu einem unglücklichen Lächeln. „Ist das alles, was du mir vorwerfen kannst?“

„Nein! Du kriegst deine Abreibung, wenn wir mit Deemon fertig sind!“

Ken seufzte tief. „Wie lange hab ich mir einen Verbündeten wie dich gewünscht“, murmelte er, kaum verständlich. „Aber gerade deswegen …“ Ein neuer Stoßseufzer. „Ich hasse das“, sagte er leise. „Es ist sicher ein großer Fehler.“

„Was?“

„… fingiert.“

T.K. hob die Augenbrauen. „Was hast du gesagt?“

Die Kraft schien in Kens Glieder zurückzukehren. Er packte T.K.s Hand und riss sie von seiner Kleidung fort. „Die Hinrichtung war fingiert. Die Menschen waren alles Klone, wie der falsche Tai. Nadine geht es gut, auch wenn ich sie gefesselt habe.“

T.K. atmete tief durch. Sagte er die Wahrheit? „Und Cody?“

„Cody ist der Einzige aus unserer Clique, den ich auf meine Seite ziehen konnte. Ausgerechnet Cody. Ihm geht es auch gut. Ich kann keine Menschen kontrollieren, verstehst du?“ Er setzte sich aufs Bett und raufte sich die Haare. „Hätte ich dir das jetzt nicht gesagt, hätte ich dich vielleicht zu Kari zurückschicken können. Aber ich bin nicht mehr so naiv.“

„Nein. Du bist ein riesengroßer Idiot“, sagte T.K. Ken schnaubte. „Wir sind deine Freunde, Ken! Vielleicht hat Deemon Nadine umgekrempelt, aber wir waren immer ehrlich zueinander, oder?“

„Ich wünschte, ich könnte mir sicher sein.“

Ich bin mir auch nicht sicher. Du könntest doch auch gelogen haben, oder nicht?“

„Dann verbleiben wir besser so wie bisher.“ Ken lachte. Früher, als sie ihn richtig kennengelernt hatten, hatte er selten gelacht, aber wenn, dann losgelöst und befreit. Nun klang es lediglich bitter. Plötzlich tat er T.K. doch leid – aber er wusste, dass Ken kein Mitleid wollte. Er wollte nur Gewissheit.

„Wenn unsere Freunde weiterkämpfen, passiert eine Katastrophe“, sagte T.K. überzeugt.

„Er hat recht, Ken.“ Wormmon berührte seine Beine.

„Denkst du, das weiß ich nicht?“ Resolut stand er auf. „Schön. Ich werde alles auf eine Karte setzen. Eine Karte, auf der Hoffnung steht, mit deinem Gesicht darauf!“

T.K. lächelte unsicher. „Das heißt?“

„Ich werde dich zurückschicken. Mit einem Airdramon. Du hast nichts dagegen, mir dein DigiVice hierzulassen?“

„Nein“, sagte er sofort.

„Du wirst Kari alles erzählen. Ihr werdet die anderen dazu bringen, zu mir in die Festung zu kommen. Ohne zu digitieren. Wenn sie dir nicht glauben oder ihr mich verratet, bringt euch das auch nichts. Ich werde siegen. Ihr könnt euch auf den Kopf stellen, aber es ist zu spät, um mich noch aufzuhalten. Es geht nur darum, euch aus der Schusslinie zu schaffen. Einverstanden?“

„Einverstanden.“ T.K. lächelte schief. „Oder sagen wir, fast. Wir werden dir dabei helfen, die DigiWelt zu erobern. Das verspreche ich dir.“

Ken schnaubte. „Das ist naiv. Aber der Gedanke ist nett. Danke.“

 

 

Ein freies Airdramon würde T.K. und Patamon nach Little Edo bringen. So ein Digimon war zwar wie die Handschrift des DigimonKaisers, aber mit einer weißen Fahne würden sie sicher ihr Ziel erreichen. Noch zur gleichen Stunde verabschiedeten sie sich von Ken im selben Hangar, in dem er sie gefangen genommen hatte.

Sogar Arukenimon war zugegen. Die wenigen Worte, die T.K. mit ihm wechselte, waren ein weiterer Beweis, dass er sich erinnerte. Es musste einfach so sein! Ken hatte sich selten etwas so sehr gewünscht. Deemon hatte nie mit Oikawa, Arukenimon und Mummymon gerechnet, und dauerhaft mit T.K. sprechen konnte es sicher auch nicht. Ken vereinbarte einen Kommunikationskanal mit T.K, den Izzy benutzen konnte, um Einzelheiten zu besprechen. Mit einem „Bis bald!“, winkte T.K. ihm zu, als sie davonflogen.

Kaum waren sie in der Nacht verschwunden, piepste Kens Connector. Eine Nachricht von Spadamon?

Er suchte sich ein stilles Plätzchen im Hangar und ließ die Verbindung aufbauen. So sehr T.K. ihm Zuversicht gegeben hatte, so sehr war die Nachricht ein Schlag in die Magengrube.

„Ich habe mich in die Pagode eingeschlichen, wo Eure Freunde hinverschwunden sind“, flüsterte das Löwendigimon. „Ein seltsamer Mann ist aufgetaucht. Sie waren alle so fasziniert, sie haben mich nicht mal bemerkt, als ich durch den Türspalt gelugt habe.“

„Was für ein Mann?“

„Er sagte, sein Name wäre Gennai.“

 

 

Spadamon hatte dem Kaiser eben alles erzählt, was es erfahren hatte. Es hatte seine Sache gut gemacht, eindeutig. Es war wichtig gewesen, das hatte es an seiner Reaktion erkannt. Und doch hatte es diesmal das Risiko überschätzt.

Es versteckte sich in einem Raum in der Pagode, oberhalb des Sitzungssaals. Plötzlich wurden unter ihm Stimmen laut. Schnell versuchte es aus dem Fenster zu fliehen – doch dieser Weg war ihm versperrt. Ein Ninjamon starrte es böse an. Spadamon schnellte zurück in den Raum, hinaus auf den Gang – und wurde von den Ninjamon gestellt, die die Treppe heraufkamen. Es war umzingelt.

„Izzy hat einen feindlichen Funkspruch aufgefangen“, sagte der Junge Michael, der bei ihnen war. „Seltsamerweise ging es dabei um genau das Rätsel, das Gennai uns eben gestellt hat. Zum Glück konnte er den Sendeort lokalisieren.“ Der Ritter sah Spadamon so finster an, dass sich seine Mähne sträubte. „Jetzt wissen wir auch endlich, wer ihm heute Morgen den Angriffspunkt verraten hat. Nehmt es gefangen. Eure Königin wird sich sehr gerne seine Geschichte anhören.“

Als sie Spadamon in den Kerker warfen, wusste es nicht, ob es nicht doch zu viel für den neuen Kaiser geopfert hatte. Eindeutig, es war gefährlich, sich von jemandem derart faszinieren zu lassen.

 

 

Noch eine Stunde nach Spadamons Funkspruch war Ken so aufgewühlt, dass er keinen klaren Gedanken fassen konnte. Er hatte sich mit Wormmon in sein Schlafquartier gesperrt und versuchte, die Nachricht zu verarbeiten.

Gennai war erschienen. Derselbe Gennai, der immer erschien, wenn die DigiWelt in Gefahr war. Und er schmiedete einen Plan mit den DigiRittern, um Ken zu stürzen …

Du wusstest davon, sagte er überzeugt in Gedanken.

Diesmal meldete sich Deemon sogar. Seine Gestalt erschien vor Kens Drehsessel. „Du hast mich ein wenig in die Ecke gedrängt, Ken, das gebe ich zu“, sagte es. „Aber ich habe mir einen Ausweg offen gelassen. Gennai tritt in Aktion, sobald du eine bestimmte Anzahl von Gebieten erobert hast und einige der DigiRitter versammelt sind.

Also hast du selbst ihn manipulieren können, meinte Ken mutlos.

Deemon lachte leise. „Ich würde die Digimon-Götter manipulieren, wenn ich könnte. Sie schlafen, und das reicht mir. Aber Gennai und die DigiRitter … Welch Ironie. Und wer sonst wäre imstande, den DigimonKaiser aufzuhalten? Es wird sein wie damals, Ken. Die DigiRitter haben bisher noch jeden Gegner besiegt. Dass sie ihre Erinnerungen verloren haben, spielt keine Rolle.

Also hast das Rätsel in Wahrheit du geschrieben. Um mich zu besiegen.

Du bist nun der Antagonist einer uralten Prophezeiung, Ken. Freue dich darüber.

Der Anfangsvers war als Ablenkung gedacht?

Schade, dass du nicht dazugekommen bist, ihn zu entschlüsseln zu versuchen. Es hätte mich sehr amüsiert.

Ken überlegte scharf. Wenn er speziell ihn ablenken sollte, war der Satz vielleicht etwas, mit dem niemand etwas anfangen konnte – nur er. Weil er sich an sein früheres Leben erinnerte, oder an die Reale Welt … Deinen Blick sollst du zum Anfang des Himmels richten … Allzu lange brauchte er nicht. Mit diesen Zusatzinformationen war es ihm sonnenklar.

Himmel. Damit ist Sora gemeint. Aber hier in der DigiWelt gibt es kein Japanisch – nur eine allgemeine Sprache. Was Soras Name bedeutet, weiß nur jemand mit Erinnerungen an die Reale Welt. Und der Anfang des Himmels – das ist keine Metapher für irgendetwas Unendliches, sondern es zeigt auf den Ort, an dem Sora zu Beginn unseres Spiels war. Das wäre dann Masla. Er verstand. Hätte er Gelegenheit gehabt, mehr über das Rätsel nachzudenken, wäre er vielleicht zu dem Schluss gekommen, dass es ihm helfen könnte, Deemon im Falle seines Versagens zu besiegen. Er hätte das Wissen aus der anderen Welt benutzt und es zu lösen versucht – und wäre gescheitert. Es ist für jemanden gemacht, der keine Ahnung von der Realen Welt hat.

Schlau, wenngleich die Einsicht zu spät kommt, Ken.

Ken wollte sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Die Chancen standen mindestens eins zu zwei. Vielleicht schafften es die anderen nicht, das Rätsel zu lösen. Vielleicht würde es ihnen gar nicht allzu viel weiterhelfen. Und dann war da noch T.K. Ken betete, dass er seine Freunde umstimmen konnte, während er sich daran machte, den Rest des Textes zu entschlüsseln, um den anderen zuvorzukommen.

 

 

T.K. konnte es immer noch kaum glauben – und doch erklärte es so viel! All die Kämpfe, diese ganze Farce, das Gerede von dem grausamen Tyrannen, weil Deemon Ken keine Wahl gelassen hatte! Wie mochte das Leben sein, wenn jeder, dem man begegnete, glaubte, man wäre ein bösartiger Feind aus alten Zeiten?

Der eisige Flugwind brauste durch seine Kleider. Das Airdramon flog, so schnell es konnte. „Was hältst du davon, Patamon?“, fragte er, während der Gebirgszug in Sicht kam, der die Wüste begrenzte. Sterne funkelten darüber.

„Ich hätte nie gedacht, dass Deemon solche Macht erlangen könnte.“ Das kleine Digimon fröstelte vor ihm auf dem Rücken der geflügelten Schlange.

„Und es wird noch mächtiger, wenn Ken nicht siegreich ist“, murmelte T.K. „Ich hätte ihm mehr vertrauen sollen. Ich hätte wissen müssen, dass er so etwas Grausames nie grundlos tun würde. Man kann viele Dinge wohl von mehreren Seiten sehen. Vielleicht nicht alle, aber viele.“ Patamon antwortete nicht darauf.

Die Bergkette tauchte unter ihnen auf, hoch und zerklüftet, dann war sie schon wieder verschwunden. Die Ausläufer der Ebene trafen sich mit den weiten Ländereien des Shogunats, als sie nach Südwesten flogen. In der Ferne glaubte T.K. noch die Schatten der Schwarzen Türme zu sehen. Der Türme, die er nun mit neuen Augen sah. Dass die DigiRitter einmal auf die Macht der Dunkelheit würden zurückgreifen müssen, um sie zu besiegen … Er hätte es nie für möglich gehalten.

Airdramon schlängelte sich Wiesen und Weiden entlang und ließ die letzten hügeligen Ausläufer der Berge hinter sich. T.K. überlegte sich bereits, wie er Kari am besten von dem erzählte, was er in Erfahrung gebracht hatte, als Airdramon erzitterte, sich krümmte und ein heiseres Krächzen ausstieß.

„Was ist los?“, fragte T.K. alarmiert. Dann bemerkte er die Pfeilschäfte, die in einer Seite des Schlangenkörpers des Digimons aufgetaucht waren, mindestens ein Dutzend. „Airdramon!“

Eine Mischung aus Fauchen und Keuchen verließ das Maul des Drachen, und sein Leib erzitterte, als sich neue Pfeile aus der Nacht in ihn bohrten. T.K. krallte schreiend seine Hände in die Rückenmähne, als das Digimon an Höhe verlor. Patamon hielt sich an seiner Kleidung fest und stierte in die Dunkelheit, bemüht, den Gegner ausfindig zu machen.

Airdramon peitschte mit den Flügeln, als sie nahe am Boden waren; dennoch wurde es eine Bruchlandung. Grashalme und Erde wurden aufgewirbelt, und T.K. wurde von seinem Rücken geschleudert. Der Schlangenkörper raste weiter durch das kniehohe Gras der Steppe, überschlug sich und blieb röchelnd liegen.

„Airdramon!“ T.K. sprang auf und wollte zu ihm laufen, als ein Schatten vor ihn schnellte. Erst im Nachhinein bemerkte er, dass er Hufgetrappel gehört hatte.

„Pass auf, T.K!“ Patamon flog an seine Seite, doch ohne DigiVice konnte es nicht digitieren … Verdammt! Sie waren umzingelt.

„Sieh mal einer an“, sagte eines der Digimon, die die Rüstungsteile von Flamedramon und Raidramon an einem Zentaurenkörper vereinten. Etliche hielten noch ihre Bögen in der Hand. T.K. erkannte auch Centarumon, die fast harmlos neben den schwer gepanzerten, furchterregenden Sagittarimon wirkten. „Da saß doch tatsächlich ein Mensch auf diesem Digimon. Wir haben aber auch ein Glück.“ Die anderen lachten wiehernd.

„Wer seid ihr?“, fragte T.K. mit klopfendem Herzen. Ausgerechnet jetzt, wo er so eine wichtige Botschaft hatte … Falls es so etwas wie Schicksal gab, musste es ihn hassen.

„Nehmt ihn mit. Menschen kann man immer gebrauchen. Spätestens, wenn in Masla wieder der Sklavenhandel auflebt“, hörte er ein Digimon direkt hinter sich grollen. T.K. spürte feuchten Atem im Nacken und erschauerte.

Er hatte erwartet, dass es groß war, aber als er sich umdrehte, war es riesig. Es sah Tais MetallGreymon ähnlich, besaß aber etwas wie stählerne Flügel, und seinem Arm entwuchs eine gewaltige Pistole.

„Keine Waren und keine Dollar. Aber das Airdramon macht’s nicht mehr lange“, berichtete ein Centarumon, das den bebenden Schlangenkörper untersucht hatte. Sowohl seine Stimme als auch seine Wortwahl unterschieden sich so sehr von dem Centarumon von der File-Insel, dass T.K. ganz unwohl zumute wurde.

„Macht nichts. Lassen wir es liegen. Abmarsch!“

Die Stäbe, die aus dem Rücken des riesigen Digimons ragten, begannen zu glühen, und wie mit einem Düsenantrieb erhob es sich in die Lüfte. T.K. fand sich von starken Armen gepackt und auf einen Pferderücken gehoben. Die Centarumon und Sagittarimon bildeten einen Kreis um ihn, die Waffen schussbereit. Dann galoppierten sie los, nach Norden. In die falsche Richtung.

T.K. hätte am liebsten losgeheult. Er blickte sich hilfesuchend um, aber in der ganzen, nächtlichen Weite der Ebene war keine rettende Hand in Sicht. Nur Kens Airdramon, das inmitten von plattgedrücktem Gras sein Leben aushauchte.

 
 

I gave you love – I give you hate

and now it’s me against the world

I gave you hope – I give you pain

You better run

(Primal Fear – King For A Day)
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Juju
2018-06-24T12:41:36+00:00 24.06.2018 14:41
Du machst mich fertig. xD Ich sollte mir eine Strafe für dich ausdenken, für jedes Mal, wenn ein Kapitel so endet wie das hier: in Chaos und Drama. Wie gewonnen, so zerronnen. Klassischer Fall von dedüm.
Also zuerst habe ich ja die Krise gekriegt, als Ken meinte, eventuell wird er gar nicht mit T.K. sprechen. Ich hätte es ihm in seiner derzeitigen Gefühlslage zugetraut. Aber gut, dass es Wormmon gibt.
Ken hat sich wirklich stark verändert, was ja auch nochmal durch das Gespräch mit Oikawa klar wird. Da hält er die Menschen in seiner Festung also nicht nur gefangen, sondern fesselt sie auch noch. Irgendwie macht er es ja nur, um sie zu schützen, aber ähm... ja, ist schon ein wenig entwürdigend.
Und in dem anschließenden Gespräch mit T.K., das ja Gott sei Dank doch noch statt findet, wird auch super herauskristallisiert, warum er sich so benimmt, wie er sich benimmt. Er hat so viel durchgemacht, kein Wunder, dass er da glaubt, dass T.K. auch nur von Deemon manipuliert wird. Er hat einfach mit allem abgeschlossen und sieht sich als Alleinkämpfer, der dieses Spiel so schnell wie möglich beenden und gewinnen will. Da kann man wirklich gut nachvollziehen, dass er so gefühllos ist. Ist ja auch echt Selbstschutz in seinem Fall. Sonst würde er wohl durchdrehen. Ich frage mich auch, was diese Erfahrung generell mit einem Menschen machen würde. Selbst, wenn er gewinnt und alle lebend da rauskommen... so ganz ohne bleibende psychische (und auch physische Schäden wie in Tais Fall O_O) wird das ja nicht gehen.
Jedenfalls habe ich das Gespräch zwischen den beiden wirklich mit stetig wachsender Ungeduld gelesen. Als Ken dann auch noch einfach abhauen will, dachte ich nur: Och nö, das kann doch nicht wahr sein. Und T.K.s Ungeduld ist ja auch mitgewachsen. :D Wie er immer aggressiver wird, gefällt mir. Habe wirklich auf eine Klopperei zwischen den beiden gewartet. Aber schließlich glaubt Ken ihm ja doch so mehr oder weniger. Ich hab innerlich Freudensprünge gemacht. xD Und dann wird T.K. da von einem Trupp Centarumon und Sagittarimon geschnappt. -.- Ken hätte ihm sein Digivice lassen sollen. -.- So ein Mist. Es hätte alles so schön werden können. <_< Ob da wieder Deemon dahinter steckt? Mal sehen, was sie jetzt mit T.K. vorhaben und wer der Anführer hinter dieser Bande ist.
Und Deemon hat also auch Gennai manipuliert. Das war ja klar. Von der Prophezeiung habe ich kein Wort verstanden. xD Aber ich fand das mit dem Horizont sehr ausgeklügelt. Die Prophezeiung ist überhaupt total toll geschrieben, Hut ab dafür. Witzig auch, wie Tai sofort Izzy dazu delegiert, sie zu entschlüsseln. :D Das passt. Einer muss ja nachdenken.
So ich sehe schon, dass im nächsten Kapitel immerhin ein Teil der Prophezeiung gelöst wird. Eigentlich muss man ja hoffen, dass die DigiRitter sie nicht entschlüsseln.
Von:  EL-CK
2017-09-12T16:23:43+00:00 12.09.2017 18:23
Na toll... Da haben sich die 2 - sagen wir mal - gefunden und ausgetauscht.... Da passiert SOWAS.... Das Spiel ist echt nicht fair.... XD
Antwort von:  UrrSharrador
19.09.2017 22:13
So, ich muss langsam mal Kommis abarbeiten - danke also auch hier :) Jaa wäre doch zu ... einfach ... oder so xD


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