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The Sound of Rain

von

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Ein neues Leben

Daniel konnte sein Glück immer noch nicht fassen und grinste regelrecht, während er damit beschäftigt war, die ganzen Akten nach unten zu bringen. Das machte er natürlich nicht selbst. Er nutzte einfach seine telekinetischen Kräfte, die er, gleich nachdem Sunny die Villa verlassen hatte, zum Einsatz gebracht hatte. Auch Orobas hatte ihm dazu angeraten, da es wichtig war, dass er immer in Übung blieb und jederzeit volle Kontrolle bewahren konnte. Damals, als Daniel im Alter von acht Jahren gelernt hatte, seine Kraft gezielt einzusetzen und sie nicht immer nur unbewusst ausbrechen zu lassen, war er gerade mal in der Lage gewesen, einen einzigen Gegenstand zu bewegen und das auch nur innerhalb seines Sichtfeldes. Es hatte unglaublich viel Konzentration erfordert und sonderlich gut hatte er seine Fähigkeiten auch nicht im Griff gehabt. Gläser, die er bewegen wollte, waren zersprungen, dann hatte er die Flugbahn nicht mehr unter Kontrolle gehabt und es waren Gegenstände quer durch die Luft geschossen. Aber inzwischen konnte er problemlos mehr als 50 Gegenstände gleichzeitig bewegen und das auch außerhalb seines Sichtfeldes. Er hatte im Laufe der Jahre ein besonderes Gespür entwickelt. Eine Art zusätzlicher Sinn, der es ihm erlaubte, sein Umfeld auf geistiger Ebene genauso deutlich wahrzunehmen, als würde er es sehen. Er sah es quasi vor seinem geistigen Auge und hatte sogar gelernt, sich auch darüber zu orientieren, sodass er auch schon mal blind durchs Haus laufen konnte, ohne sich irgendwo zu stoßen oder zu verlaufen. Auch das war Teil des Trainings gewesen, welches Orobas ihm unterzogen hatte. Und inzwischen konnte er innerhalb der Villa wirklich alles bewegen, was er wollte. Der schwarze Kater betrachtete aufmerksam und mit prüfendem Blick das Schauspiel. „Du beherrschst deine Fähigkeiten inzwischen fast perfekt, Daniel. Ich hatte selten einen Schüler wie dich. Aber du siehst: die tägliche Übung ist entscheidend.“ Ja, da hatte Orobas nicht ganz unrecht und wenn Daniel ehrlich war, dann liebte er diese Spielerei mit seinen Fähigkeiten. Es erforderte schon fast keine Konzentration mehr von ihm und ging ihm so leicht von der Hand, dass die Telekinese inzwischen keine Konzentration, sondern eine Art Spiel für ihn geworden war. Meist, wenn er im Keller eingesperrt worden war, nachdem Malcolm ihn wieder erwischt hatte, da hatte er mit seinen Murmeln geübt. Sie waren klein, ließen sich leicht steuern und sie ließen sich vor allem leicht verstecken. Diese hatte Orobas ihm mitgebracht, damit er üben konnte. Seitdem waren diese Murmeln Daniels wichtigster Besitz, gleich neben der Fliegerbrille, die er meist getragen hatte, wenn er seine Übungen machte, denn nicht selten war es passiert, dass die Gegenstände plötzlich auf ihn zugeflogen kamen. Malcolm hatte ihm oft genug gesagt, er dürfe seine Kräfte nicht einsetzen und ihn jedes Mal verprügelt, wenn er ihn dabei erwischt hatte. Doch Orobas hatte ihn gewarnt, dass es gefährlicher war, wenn er sie nicht zu kontrollieren lernte.
 

Schlimmstenfalls könnte wieder jemand zu Schaden kommen.
 

Nach und nach schwebten die Ordner in Reih und Glied in den Keller, während Daniel sich nun den Regalen widmete. Hier musste er schon deutlich mehr Konzentration aufwenden. Er schloss die Augen und visierte die Schrauben an, die das Regal zusammenhielten. Schrauben zu lösen oder Maschinen auseinander zu nehmen, war da deutlich kniffliger, weil es auf so vieles Acht zu geben galt. Es gab so viele winzige Einzelteile, die alles doch recht unübersichtlich machten und so war es schwierig zu erkennen, wie er da am besten rangehen sollte. Deswegen traute er sich manchmal nicht wirklich, an technischen Objekten zu arbeiten, aber so wie er Orobas kannte, würde dieser ihn auch darin unterweisen und nicht locker lassen.

Daniel sah das Bild der Schrauben direkt vor sich und um den Vorgang zu erleichtern, begann er seine Hand langsam zu drehen, woraufhin sich auch die Schrauben bewegten. Nach und nach lösten sich die Schrauben und wanderten zu dem Tisch nicht weit entfernt. Die Regalbretter selbst stapelten sich im Anschluss übereinander und folgten den Ordnern in den Keller. „Beim nächsten Mal versuchst du es ohne Handbewegung“, hörte er Orobas und seufzte. „Schrauben zu drehen ist nicht einfach, wenn ich dabei noch das Regal stabil halten und die Ordner bewegen muss.“

„Manchmal erstaunt ihr Menschen mich wirklich. Ihr behauptet immer, so viele Dinge gleichzeitig tun zu können und letztendlich seid ihr mit solchen Nichtigkeiten überfordert. Wenn es dir solche Schwierigkeiten bereitet, ein Regal auseinanderzuschrauben, dann weißt du, was du in Zukunft zu tun haben wirst.“
 

Nachdem alle Sachen im Keller verstaut waren, nahm sich Daniel das Schlafzimmer vor und begann dort die Kissen, Decken, die Matratze und Malcolms Kleidung ebenfalls nach unten in den Keller zu bringen, während er die wenigen Habseligkeiten, die er besaß, nach oben holte. „Warum muss ich eigentlich immer noch üben, Orobas? Ich meine, ich beherrsche meine Fähigkeiten doch ganz gut. Ich kann Dinge bewegen, die nicht mal in meinem Sichtfeld sind und dann auch noch alle gleichzeitig. Ja ich kann sogar ein ganzes Menü kochen, ohne auch nur ein einziges Mal Hand anlegen zu müssen. Und dennoch muss ich weiterüben…“ Daniel setzte sich auf den Bürostuhl und Orobas kletterte seinerseits auf den Tisch, wo er sich niederließ und seinen menschlichen Freund anschaute. „Weil Menschen wie du niemals damit aufhören dürfen. Denn seine Gabe einzusetzen, erfordert mentale Stärke. Wenn sie nicht vorhanden ist und man nicht weiterhin hart an ihr arbeitet, dann ist man anfällig.“

„Anfällig wofür?“ fragte Daniel verwirrt.

„Anfällig für Kontrollverluste. Es gibt Menschen, die mit einem unglaublich großen Potential geboren werden. Der mentalen Kraft der Kinese sind keine physischen Grenzen gesetzt, also könntest du sogar ganze Flugzeugträger bewegen. Im absoluten Ausnahmefall würden deine Kräfte sogar so weit gehen, die Naturgesetze dieser Welt auszuhebeln und damit das Chaos heraufzubeschwören. Eine, wie ihr Menschen sagen würdet, göttliche Macht. Aber sie hat auch ihren Preis. Denn diese Macht einzusetzen bedeutet auch eine enorme psychische Belastung. Wenn du nicht hart an dir arbeitest, könnte es dazu führen, dass du mentale Schäden erleidest. Im allerschlimmsten Fall sogar körperliche.“ Davon hörte Daniel zum allerersten Mal, dass seine Kräfte sogar körperliche Schäden anrichten konnten. Und irgendwie wurde ihm ganz anders bei dem Gedanken. Der Kater begann sich hinterm Ohr zu kratzen und fügte hinzu „Ich habe solche Fälle schon miterlebt. Tragische Fälle von Begabten, die ihre psychischen Belastungsgrenzen überschritten hatten und ein Bild der Zerstörung hinterlassen hatten, bevor sie dem Wahnsinn verfielen oder starben. Stell dir das Ganze wie ein Tropfen vor, der ins Wasser fällt. Was glaubst du, was dabei passiert?“ „Das Wasser beginnt Wellen zu schlagen“, antwortete Daniel und war gespannt, worauf Orobas hinauswollte. Doch der Kater streckte sich erst einmal, bevor er seine Erklärung weiter ausführte. „Und so funktioniert es auch ungefähr mit deinem Körper. Deine telekinetischen Kräfte lösen gewissermaßen einen Rückstoß aus, der insbesondere in deinem Kopf ausgelöst wird. Deshalb hattest du zu Anfang deines Trainings auch sehr oft Kopfschmerzen. Wenn die Belastung also zu viel wird und du mental nicht stark genug bist, um deine Kräfte unter Kontrolle zu halten, kann es dazu führen, dass diese Belastung auf deinen Körper niederschlägt. Schlimmstenfalls würde es deinen Tod bedeuten.“

Bei diesen Worten gefror Daniel das Blut in den Adern. Er konnte sterben, wenn er die Kontrolle verlor? Allein der Gedanke jagte ihm Angst ein und als Orobas sah, wie diese Nachricht seinen Schüler erschreckte, sprang er auf seinen Schoß und schmiegte sich an ihn. „Keine Sorge, Daniel. Dafür wurde ich ja zu dir geschickt. Nämlich, damit das nicht passiert. Und deshalb ist es wichtig, dass du nie aufhörst, an dir zu arbeiten.“ Diese Worte bauten den 19-jährigen wieder etwas auf und mit einem etwas nachdenklichen Lächeln begann er Orobas den Nacken zu kraulen, woraufhin dieser ein leises Schnurren vernehmen ließ. Zu wissen, dass der Kater ihm helfen wollte und ihn auch nicht alleine ließ, beruhigte ihn ungemein. Aber auch sonst war er froh darüber, wie sich das Ganze hier momentan entwickelte. Er war überglücklich, dass sein neuer Arbeitgeber so nett war, ihm ein richtiges Zimmer gab und sogar ein Bett für ihn organisierte. So etwas war ihm noch nie passiert. „Weißt du Orobas, Sunny ist wirklich viel netter als Malcolm. Ehrlich gesagt bin ich sehr froh drum, dass er jetzt hier wohnt. Aber sag mal … ist Malcolm wirklich an einem normalen Herzinfarkt gestorben?“ Daniel stellte diese Frage nicht grundlos, denn Orobas hatte schon mal verlauten lassen, dass Malcolms Terror nicht mehr lange anhalten würde. Und darum konnte er auch nicht wirklich ausschließen, dass sein rätselhafter Freund vielleicht etwas mit diesem dritten Herzinfarkt zu tun hatte. Dann aber sprang der Kater auf den Boden und durchwanderte den Raum. „Mit seinem Tod habe ich nichts zu tun, aber ich weiß eben so einige Dinge. Außerdem müsstest du doch wissen, dass Tiere ein ganz anderes Gespür haben als Menschen.“ Das stimmte zwar, aber Daniel hatte so seine Zweifel, dass Orobas überhaupt ein Tier war. Aber er entschloss sich, an dieser Stelle das Thema erst mal zu beenden.
 

Es klingelte schließlich an der Haustür und so erhob sich Daniel und ging runter, um zu öffnen. Zu seiner Überraschung waren es aber nicht Sunnys Eltern, wie er vermutet hatte, sondern der Student selbst. Da war er aber schnell wieder zurück. Oder war die Zeit etwa so schnell vergangen? „Ich hatte Glück, die hatten im Fachgeschäft alles, was ich brauchte. Nimmst du die mal bitte?“ Damit reichte er ihm die Matratzen, die noch zusammengerollt in einer Vakuumverpackung waren und die dem Studenten etwas zu sperrig waren. Im Anschluss holte er noch die Decken und Kissen und im Anschluss noch das Bett, was noch zusammengeschraubt werden musste. „Dann lass uns den Kram schon mal nach oben bringen. Danach helfe ich dir mit den Akten.“ Nach und nach schleppten sie alles hoch und steuerten direkt das Zimmer an, welches Daniel ausgeräumt hatte. Sunny, der noch nicht ganz so lange weg war, staunte dementsprechend nicht schlecht, als er sah, dass sämtliche Ordner weggeräumt und auch die Regale längst unten im Keller verstaut waren. Er hätte ja damit gerechnet, dass die Ordner schon weg waren, aber dass auch schon die Regale auseinandergebaut und nach unten gebracht worden waren, machte ihn sprachlos. Vor allem als er sah, dass Daniel auch schon seine ganzen Habseligkeiten hochgebracht hatte. „Mensch, das ging ja schnell“, bemerkte der Student mit deutlicher Bewunderung in der Stimme. „Wenn das hier auch noch so schnell geht, dann haben wir eigentlich soweit alles fertig. Ich…“ Hier zupfte Daniel an seinem Ärmel und machte Gesten, als wollte er irgendetwas sagen. Da im Raum weder Zettel noch Stift vorhanden waren, improvisierte Sunny kurzerhand und gab ihm sein Smartphone, damit der 19-jährige es ihm schreiben konnte. Doch da er offenbar mit der Bedienung eines Handys ziemlich überfordert war, zeigte es der Literaturstudent ihm und so teilte Daniel ihm via Handy mit „Ich mach das hier schon. Ich hab übrigens auch schon das Schlafzimmer soweit geräumt.“ Sunny starrte seinen Angestellten ungläubig an, so als würde er sich gerade veräppelt vorkommen. Aber dann ging er selber nachsehen, um sich zu vergewissern, dass das auch wirklich stimmte. Und tatsächlich: der Kleiderschrank war leergeräumt und auch die Decke und die Matratze waren weg. Der Student stand in diesem Moment echt vor einem Rätsel. Wie schnell arbeitete der Kerl denn bitte? Zwei Regale mit zig schweren Ordnern, eine große Ehebettmatratze, Klamotten und Decke und Kissen runtergebracht, nebenbei noch die eigenen Habseligkeiten nach oben gebracht und das in gerade mal eineinhalb Stunden und dann wirkte er noch nicht einmal sonderlich außer Atem. Der arbeitete ja für drei Leute. „Alter Verwalter“, murmelte Sunny als er das sah und wandte sich an Daniel, der ihm gefolgt war. „Wie schnell arbeitest du? Das ist ja der Hammer.“ Und dieses Kompliment machte den 19-jährigen so glücklich, dass er nicht mehr an sich halten konnte und Sunny stürmisch umarmte. In dem Moment vergaß er komplett, dass sie sich vorhin erst wirklich kennen gelernt hatten und Sunny ja streng genommen sein Chef war. Der Student war selbst erst völlig überrumpelt von dieser Umarmung und erschrak ziemlich, aber komischerweise störte es ihn auch wirklich nicht. Nein, eher im Gegenteil. Es freute ihn, dass Daniel seine Scheu vor ihm inzwischen so weit überwunden hatte, dass er ihn umarmte. Da konnte er auch nicht anders, als zu schmunzeln und ihm auf den Rücken zu klopfen. „Schon gut, Daniel. Schon gut…“ Doch der 19-jährige war nicht mehr zu bremsen. Und wie Sunny schon vermutet hatte, war sein Mitbewohner einer von der recht direkten Sorte, die ohne groß nachzudenken einfach ihren Gefühlen Ausdruck verliehen und dann auch einfach mal eine Umarmung springen ließen. Zwar war Sunny jetzt nicht direkt der Schmusetyp, aber bei Daniel war es irgendwie anders. Vielleicht weil er so etwas Ehrliches und Unschuldiges ausstrahlte.
 

Knapp eine Stunde später trafen Sunnys Eltern ein. Wie angekündigt brachten sie ein paar Umzugskartons vorbei und grüßten dabei auch Daniel auf eine sehr freundliche Art und Weise. Der 19-jährige lächelte etwas scheu und erwiderte den Händedruck. Der Student räusperte sich und stellte sie einander vor. „Mum, Dad… das ist Daniel. Er hat vorher für Onkel Malcolm als Haushaltshilfe gearbeitet. Daniel, das sind meine Eltern.“ Der Schweigsame nickte ihnen noch mal zum Gruß zu, woraufhin Sunny erklärte, dass Daniel nicht sprechen konnte. Dieser führte sie ins Wohnzimmer und erhielt sogleich die Bitte, Kaffee zu kochen. Der Aufforderung kam er natürlich sofort nach und ging in die Küche, während er auf telekinetischem Wege die Umzugskartons nach oben brachte, damit das auch schon mal erledigt war. Er spürte, wie sein Herz vor Aufregung raste und er nervös wurde. Man hatte Sunnys Mutter sofort die Ähnlichkeit mit ihrem Bruder angesehen und ihm war, als würde er wieder Malcolms Gesicht sehen. Und in seinem Kopf hörte er wieder diese Worte, die dieser zu ihm gesagt hatte: „Wag es nie wieder, deine Kraft einzusetzen, du Missgeburt! Sonst bring ich dich um.“

Ein lautes Klirren ertönte und erschrocken zuckte Daniel zusammen, als er sah, dass ein Glas zu Bruch gegangen war. Verdammt, er hatte es versehentlich zerspringen lassen. Das war ihm schon seit Monaten nicht mehr passiert. Schnell ließ er den Scherbenhaufen in den Müll wandern und er hoffte, dass Orobas das nicht mitbekommen hatte. Doch da war es schon zu spät. Er lauerte bereits an der Tür und hatte alles mitbekommen. „Du lässt dich von deiner Angst beherrschen, Daniel. Wenn du deine Gefühle nicht unter Kontrolle hast, könnte es noch gefährlich werden.“ „Es war ein Unfall“, rief der 19-jährige und setzte das Wasser auf. „Mrs. Lane sah Malcolm so ähnlich, da hab ich mich eben etwas erschreckt, das ist alles.“ Die Wunden waren einfach noch sehr frisch. Es war erst vorgestern her gewesen, dass Malcolm ihn dabei erwischt hatte, wie er im Keller eingesperrt seinen Übungen nachging. Er war daraufhin so heftig ausgerastet, dass er ihm die Hände auf den Rücken gefesselt und dann auf ihn eingeprügelt und –getreten hatte. Daniel hatte wirklich geglaubt gehabt, Malcolm würde seine Drohung dieses Mal wahr machen und ihn umbringen würde. Er hatte einen heftigen Schlag gegen den Kopf bekommen und war daraufhin ohnmächtig geworden. Und als er wieder aufgewacht war, da war Malcolm wieder gegangen und er hatte sich gefragt, was ihn davon abgehalten hatte, ihn einfach umzubringen. „Orobas… weißt du, warum er mich nicht einfach totgeprügelt hat, wie er es eigentlich vorgehabt hatte?“ Der Kater kam nun zu ihm und schmiegte sich an sein Bein, um ihn von seinen Gedanken an Malcolm abzulenken. „Er hat sich wohl noch an das Versprechen erinnert, welches er deiner Mutter damals gegeben hat. Auch wenn er dich gehasst und verachtet hat, diesen einen Schwur hat er nie vergessen.“ Das Versprechen… ja, daran konnte er sich noch erinnern. Seine Mutter hatte Malcolm damals das Versprechen abgenommen, dass er sich um ihren Sohn kümmern würde, wenn sie sterben sollte. Aber wirklich von kümmern war seitdem nie die Rede gewesen. Nun gut, Daniel hatte Privatunterricht bekommen, aber ansonsten war er hier immer nur am Arbeiten gewesen und durfte das Haus niemals verlassen. Immerhin war er eine potentielle Gefahr für andere. Das wusste er ja selbst und er hatte sich auch immer wieder eingeredet, dass Malcolm dies zu seinem Schutz tat. Aber manchmal war sich Daniel nicht ganz sicher gewesen, ob das wirklich der Grund war, oder ob Malcolm ihn nur deshalb am Leben gelassen hatte, weil er seine Wut an ihm auslassen wollte. Womöglich gab er auch ihm die Schuld für das, was damals gewesen war. Orobas hatte zwar gesagt, dass er keinerlei Schuldgefühle haben musste, weil er nie etwas Falsches getan hatte, aber manchmal plagten ihn doch so leise Zweifel.
 

Nachdem der Kaffee fertig war, stellte Daniel die Thermoskanne, Milch und Zucker, das Geschirr und etwas Gebäck auf das Tablett und ging damit ins Wohnzimmer. Wenn er ehrlich war, hatte er Angst davor, wieder auf Sunnys Eltern zu treffen. Was, wenn sie ihn mit Fragen löchern wollten und dementsprechend eine Antwort von ihm verlangten? Nun, dann musste er sich dementsprechend etwas einfallen lassen. Aber er hatte irgendwie das Gefühl, Sunny vertrauen zu können. Er war sympathisch, freundlich aber auch ein wenig schreckhaft. Das machte ihn auf eine schräge Art und Weise sogar irgendwie niedlich. Er war eigentlich genau das Gegenteil zu Malcolm und hatte sogar seine Wunden versorgt, was ja auch dafür sprach, dass er keine Angst vor ihm haben musste. Während Daniel so seinen Gedanken nachging, goss er jedem der Anwesenden eine Tasse Kaffee ein und nahm schließlich selbst Platz, denn nun kam Sunny nämlich auf das Wichtigste zu sprechen. Er erzählte seinen Eltern, dass Daniel als Haushaltshilfe in der Villa arbeitete und bisher nie bezahlt wurde und im Keller leben musste. Sein Vater Richard schaute seine Frau Cora an und schüttelte den Kopf. „Dein Bruder…“, murmelte er nur und sagte nichts weiter dazu, aber man sah ihm an, dass er sich innerlich wieder mal über seinen jüngst verstorbenen Schwager ärgerte. Es hatte zwischen ihnen ziemlich heftige Streitereien gegeben, insbesondere als Malcolm vor zwei Jahren die Beherrschung verloren und seine jüngere Zwillingsschwester ins Gesicht geschlagen hatte. Hätte Cora ihn nicht davon abgehalten, dann hätte Richard Lane ihn persönlich angezeigt und dafür gesorgt, dass er dafür bezahlen würde. Seitdem war das Verhältnis extrem angespannt gewesen und auch Sunny hatte seinem Onkel den Schlag ins Gesicht nicht verzeihen können. Es war für ihn sowieso unvorstellbar gewesen, wie man nur so drauf sein konnte, eine Frau ins Gesicht zu schlagen. Nun aber wandte sich der gebürtige Rechtsanwalt dem 19-jährigen zu und fragte „Seit wann arbeitest du hier?“ Nun stand Daniel vor der großen Frage, was er antworten sollte. Er wusste nämlich, dass es so manche Dinge gab, die vielleicht zum Problem werden konnten, wenn er alles auspackte. Hilfesuchend wandte er sich an Orobas, der ihm riet „Erzähl es ihnen ruhig. Was soll denn schon passieren?“ Nun, eigentlich hatte er Recht und so nahm Daniel all seinen Mut zusammen. Er stand kurz auf und holte aus einem Schrank einen Kugelschreiber und genügend Papier. Damit kam er wieder zurück und begann zu schreiben. Auf diese Weise teilte er mit, dass er schon im Alter von sechs Jahren hergekommen war, zusammen mit seiner Mutter. Nach ihrem Tod vor knapp zwölf Jahren hatte sich Malcolm um ihn gekümmert und ab diesem Zeitpunkt hatte er angefangen, als Hilfskraft im Haushalt zu arbeiten, bis er schließlich sämtliche Arbeiten übernommen hatte und da war er 13 Jahre alt gewesen. Seit dem Tod seiner Mutter hatte er auch im Keller gelebt und das Haus so gut wie nie verlassen. Außer Kleidung, Unterkunft und Verpflegung hatte er nie eigenes Geld verdient. Nachdem Sunny die Zeilen laut vorgelesen hatte, wurden unsichere Blicke ausgetauscht. Keiner wusste so wirklich, was er davon halten sollte und so fragte Cora nach einer Weile „Bist du ein Verwandter meines Bruders?“ Sofort schüttelte Daniel den Kopf und schrieb, dass seine Mutter ihn erst später kennen gelernt hatte und von Verwandtschaft nie die Rede gewesen war.

„Und was ist mit deiner Mutter passiert?“

Hier ließ Daniel nur ein Schulterzucken vernehmen, auch wenn das gelogen war. Aber er wollte die Wahrheit nicht sagen. Er hatte Angst vor dem, was sonst passieren könnte. Doch irgendwie war ihm, als würde Sunny sehen, dass das nicht ganz die Wahrheit war. Aber seltsamerweise fragte dieser gar nicht weiter nach, sondern beließ es einfach dabei. Genauso wie auch seine Eltern nicht nachfragten. Stattdessen wurde Daniel gefragt, ob er eine Familie habe, woraufhin er den Kopf schüttelte. Das war die letzte Frage bezüglich seiner Familie und so kamen sie auf das eigentliche Thema zu sprechen, worum es ging. „Dad, ich wollte einen Arbeitsvertrag machen und ich dachte, du könntest mir dabei helfen. Du hast ja schon oft mit Arbeitsrecht und Verträgen zu tun gehabt, oder?“ Richard Lane hob etwas erstaunt die Augenbrauen und fragte „Du willst ihn einstellen?“ Der Student nickte und erklärte „Ich krieg den Haushalt sowieso nicht vernünftig hin und die Villa ist riesig. Da bin ich den ganzen Tag beschäftigt. Aber so wie ich das hier gesehen habe, arbeitet Daniel sehr gründlich und schnell und während ich mich auf mein Studium und auf das Schreiben konzentrieren kann, erledigt er hier die ganze Arbeit. Ich habe ihm auch schon ein neues Zimmer gegeben. Was mich interessieren würde wäre, was alles in einen solchen Vertrag rein muss, was es alles zu beachten gilt und wie viel Lohn angemessen ist. Außerdem würde ich gerne wissen, ob ich irgendwelche Nachzahlungen leisten muss.“ Daniel hörte das alles, fühlte sich aber in dem Moment ziemlich überrollt von so vielen Dingen. Er hatte noch nie mit einem Vertrag zu tun gehabt, insbesondere nicht mit einem Arbeitsvertrag und so wusste er auch nicht, wie solch einer aussah. Auch hatte er selbst keine Vorstellungen, was ihm an Lohn zustand. Vor allem, weil es ja ein Problem gab: er hatte ja nicht einmal ein Konto. Zwar hatte er Papiere und einen Personalausweis, aber ansonsten überhaupt nichts. Wie denn auch, wenn er die meiste Zeit im Haus gewesen war, weil Malcolm ihm verboten hatte, nach draußen zu gehen? In diesem Moment erschien es ihm so, als würde alles, was er versäumt hatte, mit einem Mal über ihn hereinbrechen. Doch zu seiner Erleichterung war Richard sehr zuvorkommend und freundlich und versprach ihnen, den Arbeitsvertrag zu schreiben. Sie machten eine Urlaubszeit von 30 Tagen aus, da Daniel ja eine ganz andere Arbeitszeit hätte als in anderen Jobs und es wurde schließlich ein Lohn von 1.400 $ ausgemacht. Ursprünglich sollten es 2.500 $ sein, aber da Daniel ja im Haus als Mieter lebte und auch die Verpflegungskosten übernommen wurden, reduzierte sich dies dementsprechend. Daniel, der noch nie eigenes Geld verdient hatte, starrte die Familie Lane ungläubig an und ihm klappte die Kinnlade herunter, als er realisierte, wie viel Geld das eigentlich war.

„Und da er jahrelang unentgeltlich gearbeitet hat“, fügte Richard Lane noch hinzu, „steht ihm eine Entschädigungssumme zu, solange er nachweisen kann, seit wann er hier arbeitet. In dem Fall könnte er es sogar rechtlich einklagen.“ „Dad!“ rief Sunny sofort. „Willst du etwa, dass er mich vor Gericht bringt, oder was willst du damit andeuten?“ Daniel, der noch nie in seinem Leben mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, geschweige denn jemals vor Gericht gestanden oder irgendetwas eingeklagt hatte, begann wild abwehrende Gesten mit den Händen zu machen und mit dem Kopf zu schütteln, um auf diese Weise zu signalisieren, dass er kein Interesse daran hatte, so etwas zu tun. So wurde sich darauf geeinigt, dass eine außergerichtliche Einigung getroffen und somit 16.000$ nachgezahlt wurden. Am liebsten hätte der 19-jährige darauf verzichtet, denn er wollte niemandem das Geld aus der Tasche ziehen. Vor allem da Sunny so nett war und ihm erlaubt hatte, in der Villa zu wohnen. Aber wenn er bedachte, was er alles brauchte… Seine Sachen waren größtenteils abgenutzt und kaputt, er brauchte Möbel für sein Zimmer und auch wenn er ein sehr genügsamer Mensch war, er hatte auch gewisse Wünsche. Außerdem würde er wohl bald vieles mehr brauchen, jetzt da sich sein Leben durch Sunny immer mehr zu verändern begann. Er würde ein Bankkonto eröffnen müssen, wahrscheinlich noch eine Krankenversicherung benötigen und noch so einige andere Dinge.

Das war ziemlich viel auf einmal und überforderte ihn auch erst mal ziemlich, doch er wollte auch nicht davor weglaufen. Immerhin war dies seine große Chance, sich endlich ein eigenes Leben aufzubauen, nachdem Malcolm ihn nicht mehr länger einsperren konnte. Von nun an würde alles anders laufen und er freute sich auch darauf. Vor allem, weil er jetzt mit Sunny hier in der Villa wohnen würde.

Irgendwie hatte er das Gefühl, als würde sein Leben jetzt erst richtig anfangen.
 

Nachdem sich das Ehepaar Lane wieder verabschiedet hatte, umarmte Daniel Sunny stürmisch und grinste fröhlich. Erschrocken zuckte der Student über diesen plötzlichen Überfall heftig zusammen, denn obwohl dies nicht das erste Mal war, so kam es doch recht unerwartet für ihn. „Mensch, Daniel“, rief er, nachdem er sich von dem Schreck erholt hatte. „Kannst du mich nicht das nächste Mal vorwarnen? Ich krieg hier noch einen Herzkasper…“ Doch als er das überglückliche Strahlen im Gesicht des 19-jährigen sah, der ihn so herzlich umarmte wie einen engen Freund, da konnte er ihm einfach nicht böse sein. „Oh Mann… du bist aber auch einer von der anhänglichen Sorte, wie?“ Daniel sagte selbst jetzt nichts, sondern umarmte ihn noch fester. Und ihn so glücklich zu sehen, machte auch Sunny zufrieden. „Ich glaube, wir beide werden uns noch ganz gut verstehen.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  ReinaDoreen
2015-06-07T18:34:26+00:00 07.06.2015 20:34
Ich frage mich warum gerade der menschenverachtende Onkel von Sunny den Bitten von Daniels Mutter nachgeben hat und diesen nach deren Tod bei sich aufgenommen hat.
reni
Antwort von:  Sky-
07.06.2015 20:43
Tja, wer weiß… Malcolm hat auch so seine Geschichte und er ist nicht grundlos zum Menschenhasser geworden. Aber natürlich kann man ja schon mal spekulieren, was ihn dazu bewegt hatte, sich um Daniel zu kümmern.


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