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Reise nach Elayaden

Lehrjahre sind keine Herrenjahre
von

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Nur Werkzeuge

Im Wald war es Still und Smith bereits tief in ihn vorgedrungen. Das Geäst und die Brombeerranken versperrten ihm zunehmend den Weg und es drang kaum noch Licht durch das dichte Blätterdach. Hier und da konnte er abgestorbene Bäume erkennen, die wie Trauerfiguren ihre Äste hängen ließen. Die Luft war modrig und man fühlte sich ständig beobachtet, obwohl gerade nichts und niemand auszumachen war.

Der Held musste leise und behutsam vorgehen und durfte nicht unachtsam werden. Sein Lehrmeister war geschickt darin, seine Spuren zu verwischen, weshalb der angehende Jäger sich nicht ablenken lassen durfte. Denn egal wie gut jemand im Verbergen war, es gab immer eine Fährte, die zu vertuschen vergessen wurde. Und so war es auch hier. Quintus musste den direkten Weg durch die Brombeeren gewählt haben, da in diesen ein Fetzen seines Gewandes hing.

Vorsichtig löste Smith seinen Fund und grinste. Es würde nicht mehr lange dauern, dann hätte er seinen Ausbilder gefunden.

Es wäre ein Leichtes für das Goldauge, mit Hilfe seiner Energiemagie, den Aufenthaltsort Quintus ausfindig zu machen, doch sollte er lernen Spuren zu lesen und seine Beute auch ohne diese Gabe zu finden. Es war auch für Smith eine größere Herausforderung und eine Frage der Ehre, es ohne Zauberei zu schaffen. Anfangs hatte er es schon ein oder zwei mal damit versucht, doch der Humunkulus hatte es stets bemerkt und das Training für ungültig erklärt und ihn bestraft.
 

Ruhig blickte sich Smith um und schätzte seine Lage ab. Er vermutete, dass Quintus nicht mehr fern war. Doch wenn auch er durch die stacheligen Ranken wandern würde, könnte er den Anderen alarmieren und würde wieder einmal scheitern. Aber heute wollte er es schaffen, er wollte endlich den Humunkulus fassen und die Schleich- und Fährtenleseausbildung hinter sich bringen. Diese Fähigkeiten waren sicherlich nützlich und keine Zeitverschwendung, doch der junge Mann wollte lieber mehr mit seinen Kräften und dem Bogen üben. Diese Lektionen bereiteten ihm mehr Freude und es versetzte ihn stets in Staunen, was er bewirken konnte. Er war nun schon in der Lage die Energien um ihn herum kontrolliert wahrzunehmen und gegebenenfalls auszublenden. Auch konnte er sich bereits die ein oder andere nützliche Fertigkeit aneignen
 

Mach also keinen Fehler und wir werden mehr Zeit darauf verwenden, dass hat er versprochen, sprach Smith in Gedanken zu sich selbst. Seit die Lehrzeit begonnen hatte, hatte er mehr und mehr angefangen stille Selbstgespräche zu führen, da sein Lehrmeister ein ruhiger und abwesender Geselle war. Er sprach wenig und meist endeten die Unterhaltungen darin, dass er nur tat, was sein Herr ihm aufgetragen hatte. Smith musste schnell feststellen, dass er die anderen schmerzlicher vermisste als er sich eingestehen wollte.

Nicht nur wegen ihrer engen Bindung, nein auch wegen dem gesellschaftlichen Kontakt und der Gespräche, die hier einfach fehlten. Noch nie zuvor hatte er sich so isoliert gefühlt und allmählich begann er zu glauben, dass er den Verstand verlor. Denn wenn er auf Jagd war und Tiere sah, die es nicht lohnte, als Mahlzeit erlegt zu werden, sprach er mit ihnen. Auch hatte er sich bereits dabei erwischt, mit Pflanzen oder sogar Steinen zu sprechen. Es machte ihm Angst, doch er sagte sich immer, dass die Zeit schon bald vorbei war, obwohl er gerade einmal drei Monate seiner Ausbildungsphase hinter sich gebracht hatte.
 

Da er ausgeschlossen hatte, durch das Brombeerfeld zu wandern, überlegte er es zu umgehen, doch leider nahm dieses unliebsame Unkraut kein Ende und er fragte sich, ob Quintus bis dahin nicht schon längst ein neues Versteck ausgesucht haben würde. Seufzend entschied er sich, einen der unheimlichen Bäume zu erklimmen und die Lage aus einiger Höhe neu einzuschätzen. Geschickt schwang sich das Goldauge an dem knorrigen Stamm empor und kniete auf einem der höhergelegenen, abgebrochenen Äste. Angestrengt spähte er über das Gestrüpp hinweg. Es war stockdunkel und er wusste, dass Quintus in einem dunkelgrünen Ledermantel gehüllt aufgebrochen war, weshalb es ihm schwerfallen würde, diesen auszumachen.

Zu seinem Glück wurde der Humunkulus scheinbar unachtsam, da er eine Bewegung in einiger Entfernung ausmachte, die nur von diesem stammen konnte.

Perfekt, lobte er sich selbst. Gleich habe ich dich.

Langsam und unauffällig löste Smith den geschulterten Bogen und nahm einen der Pfeile aus seinem Köcher. Anschließend griff er nach dem Seil, dass er an seinem Gürtel befestigt hatte und band es an das Geschoss. Dann wählte er sich einen Baum aus, der am anderen Ende des Brombeermeers, aber weit genug von Quintus entfernt stand, damit dieser nichts von Smiths nächsten Schritten bemerkte. Der Schüler schätzte die Distanz zu diesem ein.

Das Seil dürfte reichen. Jetzt darf nur nichts schief gehen.
 

Der angehende Jäger verschloss kurz seine Augen und konzentrierte sich auf den steten Strom, der seinen Körper durchlief und ihn mit magischer Energie versorgte.

Der Spiritakreislauf, so hatte Quintus ihm erklärt, war die Ursache dafür wie viel Magie man wirken konnte und wie stark sie war. Es war Smith noch immer ein Rätsel, wie er und die anderen drei überhaupt einen solchen Kreislauf haben konnten. Schließlich waren sie aus einer ganz anderen Welt und nicht im Umgang mit der Magie bewandert gewesen. Es gab nur eine logische Schlussfolgerung und diese musste mit dem Stein zu tun haben, den er von dem Alten erhalten hatte und der seit ihrer Ankunft spurlos verschwunden war. Dass sie dann sogleich die Kraft von Helden erhalten hatten, konnte er noch immer nicht wirklich fassen.
 

Wie immer, wenn er sich auf seinen magischen Quell fixierte, überkam ihn eine unglaubliche Ruhe. Sein Kreislauf war wie das weite Meer an einem windstillen Tag. Unendlich, tief und unberührt, beruhigend und gleichzeitig überwältigend. Nur sein Spiritakreislauf konnte ihm einen solch konzentrierten und entspannten Gemütszustand bescheren. Wann immer er aufgebracht oder wütend wurde, meditierte er und tastete nach dem steten Strom, dann ging es ihm gleich besser und er war wieder ruhig und konnte sich jeder Aufgabe stellen.

Jetzt jedoch, musste er sich dieser Kraft aber bedienen und sofort als er sich darauf einstellte, bäumten sie sich, wie kraftvolle Wellen, auf und durchströmten ihn mit einer seiner unfassbaren Fähigkeiten.

Aufgeladen mit seiner Macht öffnete er die Augen, entfesselte den Zauber und meinte zufrieden zu sich selbst, als er wusste, dass es geklappt hatte:

„Dann beeile ich mich besser mal. Mir bleibt nicht viel Zeit.“
 

Ohne weitere Umschweife spannte er deshalb den Pfeil in den Bogen, visierte sein Ziel an und feuerte das Geschoss ab. Surrend flitzte es durch die Luft und schlug mit einem dumpfen Laut in den Stamm des Baumes ein. Überprüfend zog er noch einmal an dem Seil, das er an den Pfeil gebunden hatte und stellte zufrieden fest, dass alles hielt. Nun befestigte er das andere Ende um den Stamm seines Standortes. Als er damit fertig war, konnte er sich nun, wie mit einer Seilbahn, auf die andere Seite gleiten lassen, da er seinen Pfeil extra tiefer in den anderen Baum gefeuert hatte. Eilig legte er den Bogen über das Seil und glitt auf die Lichtung seines Opfers hinüber. Mit einem eleganten Salto landete er vor dem Baum. Selbstzufrieden und in aller Ruhe schlenderte er auf seine Beute zu, während er seinen Bogen wieder schulterte. Sein Gegenüber stand ungerührt, aber sehr steif vor ihm. Es hatte ihn immer noch nicht bemerkt und sein Mantel hing skurril nach links, von ihm, davon. Das gesamte Umfeld schien unwirklich ruhig, fast verloren, als wäre ihm etwas geraubt worden. Siegessicher stand Smith nun vor Quintus und legte ihm eine Hand auf die Schulter und sagte:

„Hab ich dich.“

Erst als er den Satz ausgesprochen hatte, kam das Leben zurück in den Anderen, denn plötzlich flackerte der Mantel wieder im Wind und auch die restliche Umgebung war erneut befreit von seiner Magie.

„Fast“, drang es nur an Smiths Ohr, als er hinter sich eine leichte, fast geräuschlose Erschütterung wahrnahm. Überrascht fuhr er herum und machte Quintus aus, der in einem schwarzen Lederhemd vor ihm stand.

„Aber wie kann das sein?“, regte sich das Goldauge auf und schlug die Hände über den Kopf zusammen.

„Ganz einfach, ich habe dir eine Falle gestellt“, erklärte der Ausbilder ruhig und monoton. „Ich habe einen Köder ausgelegt und nur drauf gewartet, dass du drauf hereinfällst.“

Der Fetzen, ärgerte sich Smith und funkelte seinen Lehrer missmutig an.

„Ich war mir sicher, dass du darauf hineinfällst und habe dann meinen Mantel nur auf einen Stock gehängt und in einem Baum auf die gewartet. Ich muss zugeben, dass ich nicht damit gerechnet hatte, dass du deine Zeitmagie einsetzen würdest, um den Zeitfluss der Lichtung anzuhalten, damit ich nicht bemerke, wie du dich mir näherst. Du lernst schnell.“

Verdammt. Schon wieder verloren., empörte sich der Held. Wie konnte ich auch nur auf so einen offensichtlichen Trick hereinfallen.
 

Seinen Schüler nicht weiter beachtend ergriff Quintus seinen Umhang, warf ihn sich über und wandte sich zum Gehen.

Wieder einmal wünschte sich Smith, dass er eine Reaktion zeigte. Er hätte ihn ermuntern oder auslachen und verspotten können, doch für den Humunkulus war das Training nun vorüber und es gab nichts weiter zu sagen.

Schmerzlich dachte er an Kyth. Dieser hätte ihn nun mit Sicherheit ausgelacht und gepiesackt, bis er beleidigt davon gestapft wäre, nur um ihn im nächsten Moment von hinten in den Arm zu nehmen und zu sagen, dass er nur Spaß gemacht habe.

Wie sehr er sich nach einer Umarmung, einem Kuss und der Stimme seines Geliebten sehnte. Es versetzte ihm einen Stich und er kam nicht umhin sich zu fragen, wie es ihm wohl ging. Auch wollte er wissen wie es Grahl oder Mia erging, doch Kyth fehlte ihm auf eine andere, innigere Art.
 

Seufzend trottete Smith hinter Quintus her und bereitete sich auf eine weitere, verschwiegene Episode ihrer gemeinsamen Zeit vor. Zu seiner Überraschung ergriff der Andere, ohne dass er angesprochen oder gefragt wurde, das Wort:

„Unsere Vorräte, die wir nicht selbst fangen oder sammeln können, neigen sich dem Ende zu. Wir werden also in das nächste Dorf gehen, bevor wir zum Lager zurückkehren.“

Das Goldauge wollte seinen Ohren nicht trauen. Hatte Quintus tatsächlich gesprochen? Und dann auch noch eröffnet, dass sie unter Menschen gingen? Es war wie Ostern und Weihnachten zusammen. Seit drei Monaten waren die beiden unter sich und keiner Menschenseele begegnet und nun endlich würden sie ein Stückchen Zivilisation aufsuchen. Smith wollte einen Luftsprung machen und jubeln, unterließ dies aber, da er nicht wusste ob er seinen Meister damit überfordern würde. Schließlich waren Emotionen und Reaktionen der Menschen für ihn fremd, obwohl er schon so lange unter ihnen lebte und von einem geschaffen worden war.
 

Während sie also durch den Wald, in Richtung Dorf, schritten, kam Smith nicht umhin sich zu fragen, wie das Leben für einen Humunkulus war. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie wirklich keine Gefühle oder Meinung hatten. Auch kleine Kinder entwickelten mit der Zeit eigene Ansichten, wieso dann nicht diese Wesen. Ob sich Gefühle bei ihnen nicht einstellten, konnte er nicht beurteilen, wollte aber nicht daran glauben, dass sie für immer steife Puppen sein mussten. Sie waren den Menschen so ähnlich. Sie sahen aus wie sie, sprachen wie sie, fühlten sich an wie sie. Wieso also sollten sie nicht auch zu mehr im Stande sein. Immer wenn der Held auf dieses Thema zu sprechen kam, antwortete Quintus nur:

„Wir Humunkuli wurden geschaffen um unseren Herren zu dienen. Wir kennen nur das Bedürfnis unserem Meister zu folgen. Mehr gibt es für uns nicht und wir tun alles was er von uns verlangt. Wir hinterfragen seine Ansichten nicht. Wir sind nur Werkzeuge.“

Nur Werkzeuge, hallte es in Smith Kopf nach. Wie kann man sie nur als Werkzeuge sehen? Sie sind wie wir. Da bin ich mir sicher. Sie sind kleine Kinder, die an die Hand genommen werden müssen, damit sie zu einem vollen Individuum werden können. Wenn wir ihnen nicht helfen, dann bleiben sie auf ihrem Stand. Ich finde es schade, dass niemand sich die Mühe macht, sie näher kennenlernen zu wollen. Sieht man sie denn wirklich nur als Mittel zum Zweck?
 

Eiligen Schrittes holte Smith auf und legte einen Arm um den Humunkulus, der sich nicht weiter daran zu stören schien, aber ihm einen schnellen verwirrten Blick zuwarf. Das Goldauge schmunzelte. Allein diese kleine Reaktion verrät mir, dass sie sich bestimmt ihre eigenen Gedanken machen.

„Keine Sorge, ich tu dir schon nichts“, lachte der Held und wuschelte seinem Lehrer durchs dichte braune Haar.

„Wieso sollte ich mir Sorgen machen?“, fragte der Humunkulus gleichgültig nach.

„Ach ist schon gut. Wir sollten uns beeilen, damit wir schnell in die Stadt kommen, was meinst du?“, erwiderte Smith amüsiert und war entschlossen Quintus an die Hand zu nehmen und ihn in die Welt der Menschlichkeit zu führen.

„Wie du meinst“, entgegnete dieser wie immer.
 

Sie waren etwa eine Stunde unterwegs, als sie sich einem kleinen überschaulichen Dorf näherten. Es war unweit des Waldes errichtet worden und von goldenen Weizen-, saftigen Mais-, Kartoffel- und Gemüsfeldern umgeben. Auf den grünen Weiden grasten Kühe, Schafe und Ziegen, die von Hirten und ihren Hunden behütet wurden. Die Behausungen waren schlichte Holzhütten mit Strohdächern, die wild, fast willkürlich in die Landschaft gesetzt wirkten. Ein kleiner Platz, der die Hütten verband, sollte wohl der Marktplatz sein. Er war nicht gepflastert sondern bestand aus platt getrampeltem Erdboden. Bevor sich Smith und sein Lehrmeister dem ersten Menschen näherten, verhüllte Quintus sein Gesicht mittels seinem Kapuzenmantel.

„Warum tust du das?“, fragte der Goldäugige verwirrt.

„Glaub mir, es ist einfacher so“, war die Antwort.

Stirnrunzelnd folgte Smith dem Anderen wieder und begrüßte freudig die Leute, die ihnen entgegen kamen. Auch diese grüßten zurück oder tuschelten hinter den Rücken der fremden Wanderer. Quintus hingegen hielt den Kopf gesenkt und beeilte sich, um auf den Marktplatz zu gelangen und die Besorgungen zu erledigen.

„Wir sollten uns beeilen. Je schneller wir hier weg sind, desto besser.“

Der junge Held, der sich freute endlich wieder unter Menschen zu sein, konnte nicht glauben, was er da hörte. Wieso hatte es der Humunkulus so eilig? Sie waren doch gerade erst angekommen und es war schön unter Gleichgesinnten zu sein. Sicher das Training war wichtig, aber war es denn so schlimm für ein paar Stunden hier zu bleiben, vielleicht ein Taverne aufzusuchen, etwas anständiges zu essen. Sich auszutauschen, zu lachen und zu trinken.

Schlimm genug, dass er damals nicht nach Woods reisen durfte, um an Mias Geburtstag dabei zu sein, nein man isolierte ihn vollkommen von anderen.

Wütend packte Smith seinen Lehrer am Arm und riss ihn herum. Bedrohlich funkelten seine goldenen Augen auf als er Quintus anfuhr:

„Warum! Warum müssen wir denn so schnell wieder hier weg?“

Die leeren dunkelbraunen Augen trafen die des Helden und auch das ausdruckslose Gesicht verriet nicht was in dem Wesen vorging.

„Glaub mir, es ist besser so, wenn du mit mir unterwegs bist“, versicherte der Lehrmeister ruhig aber bestimmt.

„Ich verstehe das nicht. Erkläre es mir“, verlangte Smith und kämpfte gegen seine aufschäumende Wut an.
 

„Menschen hassen Humunkuli.“

War die Antwort, die der Held darauf erhielt. Diese riss ihm den Boden unter den Füßen weg und er fühlte sich als fiele er in eine tiefes Loch ohne Boden.

Wie konnte das sein? Menschen erschufen sie und die Humunkuli taten alles, was ihre Meister von ihnen wollten, wie also konnten sie gehasst werden? Man umgab sich doch nicht mit etwas, dass man nicht haben wollte. Wie passte das alles zusammen?

Tausend Fragen schwirrten in Smiths Kopf herum, die er alle stellen wollte, aber nicht wusste, wo er beginnen sollte. Zudem war er fassungslos über die Gleichgültigkeit, mit der ihm diese Tatsache entgegengeschleudert worden war und wollte sie deshalb wohl auch nicht wahrhaben.

„Wie kannst du so etwas sagen?“, entsetzte sich der Goldäugige. „Glaubst du das wirklich?“

„Es ist eben so. Wer schert sich schon um ein Werkzeug?“

Dieser Blick, diese Aussage, einfach alles, was Quintus soeben war, erzürnte Smith. Blind vor Wut und mit bebendem Herzen packte er den Anderen, mit beiden Händen, am Mantel und drückte ihn gegen eine Hauswand. Kein Widerstand wurde geleistet. Die Arme des Humunkuli hingen schlaff an ihm hinunter und er sah den Anderen durch leere Augen an, wie eine Puppe, deren Fäden durchtrennt worden waren.

„Sag das nicht. Sag das nicht! Das kann nicht wahr sein. Die Menschen hassen euch nicht. Da bin ich mir sicher“, hauchte der angehende Jäger. Sein Zorn schien ihm die Stimme zu rauben. Er fühlte sich machtlos und überfordert.

Konnte es sein, dass Quintus recht hatte? Musste er der Tatsache ins Gesicht blicken und sich eingestehen, dass er als Werkzeug angesehen wurde und nicht als mehr? Wenn er daran zurückdachte, wie geringschätzend Kogar über Quintus gesprochen hatte, wurde ihm schwer ums Herz.

Müde lehnte er seine Stirn an die Brust des Anderen und ließ von ihm ab. Sein Zorn wandelte sich in Niedergeschlagenheit und in diesem Moment wünschte er sich nichts sehnlicher, als von Kyth umarmt und aufgemuntert zu werden. Sein Partner hätte die richtigen Worte für diese Situation gefunden und ihn aufgebaut, ihm gesagt, dass sie alles daran setzen würden, dass Menschen und Humunkuli sich annähern würden – das glaubte zumindest Smith.

Da Kyth jedoch nicht da war, musste er sich selbst der Tatsache stellen, dass es in Elayaden Missstände gab, die er nicht gutheißen konnte.
 

Die beiden verharrten noch einige Augenblicke in ihren Positionen, als ein ohrenbetäubendes Gebrüll, das direkt vom Marktplatz herrührte, Smiths Aufmerksamkeit erweckte.

Was geht da vor?

Besorgt eilte er davon und erreichte eine Menschentraube, die sich um den lauthals schreienden Mann gebildet hatte. Dieser fluchte und zeterte, während er beständig nach etwas oder jemanden schlug und trat. Der junge Held beeilte sich, sich durch die Menge zu kämpfen. Dabei wurde er empört angeschnauzt und missbilligend angestarrt. Als er den Ort des Geschehens endlich erreicht hatte, traute er seinen Augen nicht. Ein alter, fetter, glatzköpfiger Mann trat auf eine junge Frau ein. Sie war klein und zierlich, hatte blondes Haar, dass zu zwei Zöpfen geflochten war und trug ein schmutziges, zerlumptes Kleid. Sie war übersät mit blauen Flecken, hatte Schürfwunden und Prellungen. Ihre Nase war offensichtlich gebrochen und er hatte ihr bereits einige Zähne ausgeschlagen. Sie flehte weder um Hilfen, noch schrie oder weinte sie. Sie entschuldigte sich stets seelenruhig und unbekümmert, während die Füße und Fäuste des Alten sie beständig malträtierten.
 

Als er erneut seine geballte Hand auf sie niedergehen lassen wollte, ergriff Smith diese und hinderte ihn mit eisernem Griff daran.

„Was zur Hölle fällt dir ein!“, bellte der Mann, der stark nach Alkohol stank.

„Was mir einfällt?“, empörte sich Smith ungläubig. „Das sollte ich Sie fragen. Wie kommen Sie dazu, dieses Mädchen grün und blau zu schlagen? Und wie kann es sein, dass ihr niemand hilft?“

Bedrohlich schweifte sein Blick über die Anwesenden, die ungerührt, fast schon erbost über diese Aussage, dreinschauten.

„Pah! Wieso sollte irgendjemand ihr zu Hilfe eilen? Sie gehört mir und ich kann mit ihr machen, was ich will! Schließlich habe ich eine Menge Gold für dieses Ding bezahlt, da möchte man meinen, dass sie die Einkäufe nach Hause tragen kann, ohne sie auf dem ganzen Platz zu verteilen“, brüllte der Alte und löste sich aus Smith griff, um in einer tragischen Geste auf die am Boden liegenden Einkäufe zu deuten. Zustimmendes Getuschel von Seiten der Umstehenden erklang.

Er hat sie wegen einer solchen Lappalie derart misshandelt?Und was heißt überhaupt sie gehört ihm?

Schockiert blickte Smith zwischen dem Mann, dem Mädchen und den Einkäufen herum. Es dauerte einen Moment bis er sich wieder gefangen hatte, beugte sich dann jedoch zu der jungen Frau herunter und reichte ihr eine Hand. Ungerührt starrte sie darauf, machte aber keine Anstalten sich helfen zu lassen. Erst jetzt erkannte Smith eine Tätowierung am Halse des Mädchens. Sie war also ein Humunkuls. Wie er von Quintus erfahren hatte, erhielt jeder Humunkuli nach seiner Schöpfung eine Tätowierung, damit man sie leichter ihrem Besitzer zuordnen und von echten Menschen unterscheiden konnte.

Es ist also wahr. Die Menschen hassen die Humunkuli wirklich. Sie sehen nichts weiter als Werkzeuge in ihnen und wenn sie nicht tun was sie wollen, dann werden sie so behandelt. Das ist grausam. Einfach grausam.
 

Tränen des Zorn sammelten sich in Smith Augen und er ballte seine Hände zu Fäusten, als er sich zu dem stinkenden Mann umwandte. Er wollte ihn die gleiche Medizin schmecken lassen, die er eben seiner Untergebenen zuteil werden ließ. Er wollte ihn einfach verprügeln. Wollte, dass er spürte, was sie jetzt fühlte. Er wollte Ungerechtigkeit mit Selbiger begleichen.

Doch noch ehe der erste Schlag sein Ziel fand, wurde er abrupt daran gehindert – so wie er den Alten gehindert hatte.

Wutendbrand wandte er sich nach dem Störenfried um und stellte überrascht fest, dass es sich um Quintus handelte. Er war ihm also gefolgt und wollte nun verhindern, dass er sich so verhielt wie der Andere?

„Lass mich los!“, er hat es verdient, zischte Smith. „Er hat sie geschlagen, nur weil sie den Einkauf fallen lassen hat! Er verdient eine Lektion. So behandelt man niemanden. Lass mich sofort los!“

„Nein. Es wird nichts daran ändern, wenn du ihn schlägst. Außerdem wurde mir aufgetragen, dass ich dich aus Ärger heraushalten soll“, erklärte Quintus gelassen, ohne sich dem Szenario zu widmen. „Komm jetzt einfach. Wir erledigen unsere Geschäfte und verlassen diesen Ort.“

Ist das sein Ernst? Eine Gleichgesinnte wird vor seinen Augen verdroschen und er tut nichts? Er hält mich auch nur auf weil Kogar ihm befohlen hat, mich aus Ärger heraus zu halten. Kann der Befehl des Meisters wirklich so stark sein, dass man alles andere hintan stellt?

„Aber es ist Ungerechtigkeit!“, entfuhr es Smith.

„Nein. Es ist wie es ist. Wenn ein Meister unzufrieden mit der Leistung des Humunkulus ist, ist es üblich, dass er ihn Maßregeln darf, wie er möchte“, erklärte Quintus weiter.

„Richtig! Und nur weil du deinen Humunkulus tun und machen lässt, was er will, kannst du das nicht von anderen erwarten!“, mischte sich der Alte ein und warf Smith und dem Humunkulus einen angewiderten Blick zu. Es war ihm anzusehen, dass er niemals erlaubt hätte, dass ein Untergebener ihn so in die Parade fahren würde.

Über diese Aussage noch mehr erbost, flammte der Hass in Smith zu einem ungeheuren Inferno an und er überlegte, ob er einen Zeitzauber wirken, die Umgebung anhalten und den Alten dann zur Rechenschaft ziehen oder ihm einfach seine Lebensenergie entziehen sollte.

Währenddessen erhob sich der Mann, packte seiner Dienerin in die Haare, zerrte sie davon und schnauzte sabbernd:

„Dafür wirst du mir heute Abend jeden Wunsch erfüllen und mir fällt da schon einiges ein, was ich mit dir anstellen möchte.“ Ein unheilvolles Gelächter des Glatzkopfes folgte, sowie das sanfte:

„Wie Ihr wünscht mein Herr.“
 

Mit dem verschwinden des Alten löste sich auch die Menschentraube auf. Doch überall konnte man das Gemurmel und die Fassungslosigkeit bezüglich Smiths Tat vernehmen.

Allmählich kam er sich vor, als hätte er etwas falsch gemacht, obwohl er nur helfen wollte.

Verwirrung, Zorn, Verzweiflung und Ratlosigkeit mischten sich in ihm und er wusste nicht, wie er mit all diesen Gefühlen klarkommen sollte. Er hatte niemanden an den er sich wenden konnte, niemanden der ihn verstand und niemanden der ihm Rückendeckung oder Trost gab. Er war hilflos, allein und überfordert. War es am Ende eine gute Idee hierher zukommen? Hätten sie nicht doch im Wald bleiben sollen? Vielleicht wäre er dann nicht auf diesen Missstand gestoßen. Aber war es richtig die Augen vor einem solchen Zustand zu verschließen?

Smith wusste es nicht und so ließ er die Faust sinken und folgte Quintus. Sie erledigten ihre Besorgungen und verließen das Dorf.

Wo immer sie auf Leute trafen, tratschte man über sie, lachte sie aus oder scheuchte sie davon. Es war, als stünde Smith neben sich, als wäre er in diesem Moment selbst ein Humunkulus, der blind seinem Meister hinterher trottete.

Es musste schrecklich für die Humunkuli sein, so leben zu müssen.

Als sie das Dorf hinter sich gelassen hatte, kreisten die Gedanken des Helden nur um dieses eine Erlebnis und er war sich sicher. Es musste sich etwas ändern.



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