Smartphone Weihnacht
Ring Ring – Love is calling
Der erste Dezember jedes Jahr hat eine Tradition. Überall auf der ganzen Welt, nun fast überall, wachten glückliche neugierige Kinder auf. Das erste Türchen des Adventskalenders öffnete sich. Bei Satsuki Unogi allerdings war dies nicht der Fall. In Tokio hatten die wenigsten solch einen traditionellen Kalender. Dafür hatte Satsuki eine Weihnachts App und jeden Tag würde die App ein neues Spiel oder Gimmick ausspucken. Es war ein Gratis Download gewesen, deswegen erhoffte sie sich nicht viel.
Aber heute am ersten Tag war sie doch etwas neugierig. In der U-Bahn, auf dem Weg zur Schule holte sie ihr Smartphone aus ihrer Jackentasche. Sie tippte auf den sternförmigen Button woraufhin die Oberfläche der App sich öffnete. Ein Bild mit 24 Zahlen wurde sichtbar. Die Nummer 1 poppte automatisch auf: Merry Christmas! Nur heute bekommst du mit diesem Code 10% Rabatt bei Amazon, ausgenommen sind die Kategorien: Elektronik, Musik, Kleidung, Kosmetik und Kinderspielzeug.
„Na, super“, murmelte Satsuki leise und konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen. Sie öffnete eine ihrer sinnlosen Spiele Apps um sich die Zeit bis zur Ikkebukoro Station zu vertreiben. Ihr Smartphone war nagelneu, bis jetzt hatte sie sogar nur die Standarthülle die bereits im Kauf enthalten war darauf. Dies würde sich heute nach der Schule ändern, denn sie hatte sich zum shoppen verabredet.
„Next Station... Ikkebukoro Station...“, seuselte es als sie gerade das Level neu startete. Die U-Bahn hielt und aus dem Augenwinkel erkannte Satsuki ihre Station.
„Mist“, das Mädchen in der grünen Schuluniform sprang auf und schnappte sich ihre Tasche. Sie verpasste es mit dem Strom der aussteigenden Menschen hinaus zu gelangen und musste so gegen die hereinkommenden ankämpfen. Dabei rempelte sie einen Jungen an, welcher sein Handy gerade in der Hand hielt. Satsukis Smartphone rutschte dabei aus ihrer Jackentasche. Bei den ganzen Füßen hatte sie es eine Sekunde aus den Augen verloren. Sie warf sich auf den Boden und konnte es gerade noch davor retten zwischen U-Bahn und Bahnsteig zu fallen. Mit einem Hechtsprung verließ sie die Bahn, welche ihre Türen schloss und davon fuhr.
Die irritierten Blicke ihrer Mitmenschen ignorierend stand das Mädchen auf und klopfte sich den Dreck von ihrem weißen Mantel. Peinlich berührt zog sie den Kopf ein um möglichst unerkannt zu bleiben und verschwand dann in der Menschenmasse.
„Hast du schon gehört Satsuki? Hihi... Mimi aus der Dritten hat ein Mädchen am Bahnhof gesehen das aus der U-Bahn gehechtet ist! Sie soll total durchgeknallt ausgesehen haben“, erzählte ihr Kaori ganz begeistert. Kaori war ihre beste Freundin und als Satsuki genervt seufzte und den Kopf hängen ließ, konnte sie sich ihren Teil denken.
„Du...warst das nicht, oder?“
Betretendes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Satsuki nutzte die Sekunden um ihr Smartphone aus der Jacke zu ziehen und den Code einzugeben.
11215
...
11215!
...
11215!!!!!!
„Du weißt schon das dein Smartphone nicht schneller reagiert nur weil du stärker drauf drückst“, stellte Kaori amüsiert fest.
„Der Code... er... er ist falsch. Aber er stimmt... ich bin mir ganz sicher.“
„Es ist doch ganz neu... vielleicht ein Zahlendreher?“
RING!
„Eine Nachricht!“, sagte Satsuki und schaute auf ihr Handy, What’s App zeigte auf dem Startbildschirm die Nachricht.
//Du hast mein Handy!//
„Zeig mal... ups... sag bloß das ist gar nicht deins“
„Ich...ich hab es doch nur eine Sekunde aus den Augen gehabt.“
RING! Eine weitere Nachricht erschien.
//8677//
„Was soll denn das?“, fragte Satsuki.
„Das ist der Code... der Code für sein Handy!“
Wie kommst du darauf das es ein Junge ist?!
Kaori zuckte mit den Schultern.
„Es hat keine Hülle... und so neu wie deins sieht es bei genauem hinsehen nicht aus.“
Da musste sie ihrer besten Freundin zustimmen, wenn man es genau ansah waren schon leichte Kratzer auf dem Bildschirm, an der oberen Ecke schien sogar ein kleines Stück abgebrochen zu sein.
8677
Der Startbildschirm des Handys öffnete sich. Im Hintergrund war das Foto eines Schreins der Fuchsgottheit. Satsuki öffnete Whats App, die Nachricht kam von “Vater“, vermutlich dem Vater des Besitzers, auf seinem Profil Bild sah der Mann im Anzug streng aus.
RING!
//Schick mir deinen Code... ich kann das Handy von meinem Vater nicht Dauer besetzen//
„Was soll ich tun?!“, fragte Satsuki ihre beste Freundin.
„Na, schick den Code!“
„Und wenn das nur so eine Abzocke ist? Und der mit meinem Handy dann Pornos kauft...oder etwas Illegales macht?“
RING!
„Was schreibt er Satsuki?“
„... Das er meinen Hechtsprung echt klasse fand.“
Kaori lachte.
„Das ist nicht witzig!!!“
„Bestimmt ein Kerl! Na komm schreib ihm deinen Code!“
Satsuki überlegte noch, sie kam nicht mehr dazu zu antworten da ihr Lehrer das Klassenzimmer betrat.
„Und? Hast du ihm geschrieben?“, fragte Kaori in der Mittagspause. Sie saßen wie immer auf der Feuertreppe und aßen ihre Bentos. Kaori hatte den Luxus, dass ihre Mutter jeden Morgen um halb 6 aufstand um ihr Essen zu richten. Satsuki dagegen bekam jeden morgen 500Yen um sich im Supermarkt ein fertiges Bento zu kaufen.
„Nein... noch nicht. Vielleicht ist es ja auch ein Mädchen“
„Lass uns doch einfach seine Bildergalerie ansehen... bestimmt hat er schon ein paar Selfies gemacht“, schlug Kaori vor.
„Sowas gehört sich doch nicht!“
„Na komm schon... wird doch keiner erfahren.“
Wiederwillig öffnete Satsuki den Bilder Ordner, tatsächlich tummelten sich hier 200 Fotos. Viele Jungs und Mädchen in einer blauen Schuluniform waren darauf zu sehen. Öfters auch ein kleines Mädchen.
„Die Schwester bestimmt“, mutmaßte Kaori und wischte weiter um das nächste Bild zu sehen.
„Also wenn es dieser Kerl ist... der ist heiß“
„Kaori!“, ermahnte sie ihre beste Freundin musste dann aber kichern. Auf dem Foto waren drei Jungs, sie sahen alle drei sehr nett aus.
RING!
//Den Code bitte... bitte... //
RING!
Eine Fotodatei öffnete sich und man sah eine süße kleine Katze.
„Na, komm !“, ermutigte sie Kaori.
//Der Code ist 11215//
Binnen weniger Sekunden kam das nächste RING!
Diesmal zeigte das Handy ihre eigene Nummer an.
//Können wir uns heute treffen? Ich will mein Handy wieder haben, nach der Schule in Shinjuku?//
„Soll ich mitkommen?“
„Natürlich! Ich will nicht alleine...ich mein, wer weiß was das für einer ist!“
RING!
// Sorry ☹ Ich bin im Shinkansen auf dem Weg nach Hiroshima. Ich komme erst am 24sten wieder nach Tokio//
„So ein Mist... das glaub ich nicht.“
„Frag ihn nach einem Beweis Foto!“
//Beweis Foto//
RING !
Ungläubig sah Satsuki das Foto an.
„ Das ist...das ist nicht der heiße Typ...aber...wow, der ist auch süß“, bestätigte Kaori.
RING!
//Bekomm ich jetzt auch ein Foto von dir Hecht?//
„Er ist ganz schön unverschämt...“, murmelte Satsuki und Kaori kicherte nur.
RING!
//Bist du beleidigt?//
Satsuki lag schon im Bett als die Nachricht sie erreichte.
RING!
//Ich sehe das du die Nachricht gelesen hast ☺//
Sie verfluchte diese blöde neue Funktion bei Whats App. Wenn sie jetzt nicht antwortete kam sie wie eine Zicke rüber.
// Was machst du in Hiroshima?//
RING!
//Ich wohne dort ;-) //
Satsuki überlegte, aber sie musste ihre nächste Frage nicht stellen.
RING!
//Hab meine Mutter in Tokio besucht, meine Eltern sind geschieden.//
Sie schluckte kurz.
// Meine auch.//
RING!
//Seit wann ?//
Satsuki schloß die Augen, dann sah sie auf das Foto auf ihrem Nachttisch. Damals waren sie zu Dritt im Urlaub gewesen, dass Bild war dieses Jahr im September entstanden.
//2 Monate//
RING!
// Tut mir Leid... bei mir ist es schon 6 Jahre her. Man gewöhnt sich irgendwann dran.//
...
Satsuki legte das Handy beiseite und versuchte einzuschlafen.
RING! RING! RING!
//Bist du noch da?//
//Sorry... war ein blöder Spruch das mit dem Gewöhnen...//
// Jedenfalls Gute Nacht//
//Guten Morgen ! ☺//
//Wie ist das Wetter in Tokio?//
// Ich hab heute morgen Rührei gegessen und du?//
//Schule ist soooo langweilig//
//Ich hab Nachsitzen... hab verschlafen//
//Hoffe du hast den Code nicht vergessen?//
//Morgen ist schon der 6te Dezember//
Satsuki sah auf die Nachrichten die sie diese Woche bekommen hat. Sie hatte bis jetzt nicht mehr geantwortet. Er hatte ihr noch ein paar Fotos geschickt, das meiste war Weihnachtsdeko gewesen aus irgendwelchen Läden.
RING!
//Heute ist Nikolaustag! Hab gehört da bringt der Nikolaus Kindern Geschenke, aber nur Kleinigkeiten. Ich hab hier was für dich, hoffe es gefällt dir//
Unter der Nachricht war ein Bild. Es zeigte eine Handyhülle, sie war in einem zarten Rosa mit weißen Ornamenten und pinken Rosen.
Satsuki lächelte.
//Danke schön//
RING!
// Gefällt sie dir? Ich mach sie noch nicht dran... weil das sähe ja komisch aus wenn ich damit rum laufen würde. Bekomm ich auch ein Geschenk?//
Satsuki überlegte, aber sie war nicht besonders kreativ.
//Was wünscht du dir denn?//
RING!
//Mir reicht ein Foto von meinem Hecht//
...
RING!
//Im Bikini !!! ☺//
!!!
RING !
//Nur ein Scherz :-D //
RING!
//Aber das Foto hätte ich gerne...also... ohne Bikini... also...schon mit was an... also...Gesicht reicht ;-) //
Satsuki sah in ihren kleinen Taschenspiegel. Sie sprach sich selbst ein bisschen Mut zu und machte dann ein Selfie. Ihr Zeigefinger berührte das senden Feld nur ganz leicht. Aber das reichte.
RING !
// Danke ! You made my day <3 //
Satsuki lächelte.
„Sollen wir nach der Schule noch etwas bummeln gehen? Ich meine...es sind dann endlich Ferien! Satsuki? Hallo...Erde an Satsuki! Schauen sie mal von ihrem Smartphone hoch bitte!“, Kaori schob ihre Hand zwischen ihre beste Freundin und dem Gerät welches aufgeregt ständig ein RING! RING! Von sich gab.
„He?“
„Hast du eigentlich mal nach seinem Namen gefragt?“
„Wem seinen Namen?“
„Na von deinem Call Boy“, kicherte Kaori und zwinkerte dann.
„Angerufen hat er noch nicht oder?“
Satsuki schüttelte den Kopf, sie war etwas rot geworden.
„Morgen ist der 24ste... trefft ihr euch?“
„Denke schon...“
„Habt ihr was ausgemacht?“
„Ja, schon... aber ich weiß nicht ob ich hingehe.“
„Du musst! Er hat dein Handy!“
„Hmm...ja....“
Kaori durschaute ihre Freundin sofort.
„Du hast Angst das er sich dann nicht mehr meldet?“
„Ist das dumm?“
„Ja, sehr sogar! Ich meine... er schreibt dir am Tag bestimmt... wie viele? 30 Nachrichten? Ich glaube... er mag dich auch.“
RING!
// Morgen um 18 Uhr bei Hachiko. Ich freu mich auf dich mein kleiner Hecht ☺ //
„Siehst du... geh gefälligst hin!“
„Ich... glaub ich trau mich nicht.“
Takeru saß auf einer der Bänke die rund um Hachiko standen. Das Smartphone zeigte Punkt 18 Uhr. Sein kleiner Hecht hatte ihm nicht mehr geantwortet. Irgendwie befürchtete er sie könnte zu schüchtern sein um zu kommen. Per Whats App konnte man sich leicht austauschen, aber von Angesicht zu Angesicht würde das vielleicht nicht ganz so einfach sein.
Nervös beobachtete er die Pärchen, die sich am Weihnachtsabend verabredet hatten, an dem beliebtesten Treffpunkt in Shibuya, direkt neben Hachiko. Unsicher sah er noch einmal auf sein Smartphone, sie hatte ihm keine Nachricht geschrieben. Er öffnete Whats App um ganz sicher zu gehen.
Plötzlich tippte ihn jemand von hinten auf die Schulter. Als er sich umdrehte sah er sie. Satsuki hatte ihren weißen Mantel an und dazu eine passende Mütze. Sie sah ihn mit leicht geröteten Wangen an.
„Hallo kleiner Hecht“
„Hallo...uhm...“
„Stimmt ja, ich habe mich gar nicht vorgestellt! Mein Name ist Takeru, Takeru Matsuyama.“
„Satsuki Unogi“
„Du bist in echt noch viel hübscher als auf dem Bild kleiner Hecht“
„Nenn mich nicht so...“, wehrte sie schmollend ab.
„Hier dein Handy...“
Satstuki zögerte, sie streckte die Hand danach aus, zog sie aber dann so ruckartig zurück als hätte sie sich verbrannt.
„Nimm es, ich habe meine Nummer eingespeichert.“
Sie sah ihn verwundert an und er lächelte.
„Du kannst sie natürlich löschen wenn du willst. Aber ich ziehe Ende Januar nach Tokio und da wäre es schön wenn wir uns öfters sehen könnten...findest du nicht auch?“
„Du ziehst hier her?“, sie lächelte begeistert.
„Ich hatte gehofft das du dich freust...“, erklärte Takeru.
„Darf ich dich noch auf einen Kaffe einladen?“
„Sehr gerne“
RING !
//Merry Christmas//
ENDE
