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Bratapfelduft

Fanfic-Adventskalender 2015 (6. Türchen)
von

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Bratapfelduft (One-Shot)

Wisst ihr wonach Bratäpfel duften? Nach Winter, Kälte und Schnee und dennoch, oder vielleicht deshalb, erinnern sie mich an Wärme und Geborgenheit. An Christkindlmärkte, die man in warme Sachen eingemummelt besucht, wenn man sich an einem frisch zubereiteten Punsch festklammert. Du spürst das Häferl in deinen Händen kaum, nur die Wärme.

Du senkst deinen Blick, damit der fruchtig duftende Dampf deine Nase wärmen kann und wenn du ich wärst, so wärst du überglücklich den unscheinbaren, wenig besuchten Stand in einem abgelegenen Eck des Marktes entdeckt zu haben. Denn er verkauft Punsch mit Bratapfelgeschmack. Wieso ausgerechnet diesen?

Wenn du ich wärst, würdest du es verstehen.
 

Denn Bratäpfel duften nach dem Haus meiner Großeltern.

Für jemand anderen war es bloß nur die abgelegene Hütte am Rand des Wienerwalds, in dem das ältere Ehepaar aus Ex-Jugoslawien lebte, das ihren Besuch stets mit einem Lächeln willkommen hieß und der Nachbarschaft stets einige, günstige Eier verkaufte.

Die Hütte war nicht besonders groß, auch nicht schick. Ebenso kannst du dir auch meine Großeltern vorstellen. Einfache Leute mit einem Gemüsegarten und einem kleinen Hühnerstall. Wahre Selbstversorger.

Früher, das liegt so weit zurück, das ist beinahe nicht mehr wahr, waren sie Angestellte eines großen Unternehmens gewesen. Erzählt man davon, klingt das sehr mondän, nicht wahr? Sehr weltgewandt und gebildet. Das sind Leute, die haben etwas in ihrem Leben erreicht. Das würde es, wenn ich dir die gesamte Wahrheit verschweige. Meine Großeltern kamen als Gastarbeiter hierher. Erst Opa, zwei Jahre später Oma, mit einem kleinen Kind im Schlepptau. Dieses Kind war mein Vater. Mit Stolz kann man sagen, dass sie sich behauptet haben. Leider dankte ihnen das Leben wenig und so blieben sie Zeit ihres Lebens unterbezahlte Angestellte.
 

Nach ihrer Pensionierung strickte Oma gerne, saß wie aus einem Kinderbuch entsprungen den ganzen Nachmittag über in ihrem fast antiken Fauteuil vor dem Kamin und sah zu wie der Schal mit jeder Masche länger und länger wurde. Mit sanftem Blick betrachtete sie den dicken, alten Kater, der sich vor dem Kamin rekelte.

Versetzen wir uns in diese Zeit zurück. Ich tu es gerne.

Der Kater ist schon zwanzig Jahre alt und sein zerfleddertes Ohr ist ein Beweis seiner jungen, wilden Tage. Als Kind hast du dir vorgestellt, er wäre unbezwingbar, er wäre früher in einem jeden Revierkampf glorreicher Sieger gewesen, und selbst der Tod hätte Angst vor ihm. Du hast dir immer gewünscht, dass er genauso lange lebt wie deine Großeltern. Deshalb hoffst du, dass diese rüstigen, alten Leute ebenso unbezwingbar sind.

Opa ging gerne hinaus, beobachtete die Tiere im Vorstadtgebiet und kümmerte sich – sehr klassisch – um das Holzhacken.

Wenn ihr mich fragt, glaube ich, dass meine Großeltern dem Stress ihres Lebens gerne den Rücken kehrten und sich ihre eigene, kleine Idylle aufbauten; den äußeren und inneren Antrieb immer mehr und mehr für ihre Kinder erreichen zu müssen, damit diese nach immer mehr und mehr für deren eigenen Kinder streben können, ablegten.

Ihr Gesicht wurde wie das Ohr des Katers durch die Zeit und das Leben gezeichnet. Das hast du an den Sorgenfalten auf ihrer Stirn und ihren faltigen Händen gesehen.
 

Zu Weihnachten wurde dir bewusst, dass sie sich zufrieden vom Stress unserer Zeit abwandten.

Zum ersten Advent überlegen sich die meisten Menschen bereits, was sie dem anderen schenken sollen.

Wie groß darf es sein? Ist es angebracht? Was werde ich wohl geschenkt bekommen? Wird es denselben Wert besitzen? Hat es einen höheren Wert? Werde ich den anderen dadurch kränken?

Von meinen Großeltern bekam ich zu Nikolo nur einen gestrickten, roten Socken mit Nüssen, Mandarinen und einem Bratapfel geschenkt. Ich werde diesen Duft niemals vergessen. Stell dir vor, du öffnest die Schleife deines kleinen Geschenks und dir weht dieser unglaubliche Duft um die Nase. Die Mandarinen, sie riechen süß und ätherisch, doch sie werden vom Duft des Bratapfels überlagert. Er ist in eine glänzende Weihnachtsfolie eingehüllt, die den Schokoladenglanz verstärkt. Stell dir vor, du wickelst ihn, beinahe gierig, aus und die Duftnote, die deine Nase kitzelt, ist eine Komposition aus Frucht und Schokolade. Beides ist süß und schmeckt doch so unterschiedlich. Er erfüllt all deine Sinne mit Wonne.
 

Zum zweiten und dritten Advent werden die Menschen gereizt.

Sie rempeln sich gegenseitig an, um als Erstes die preisreduzierte Ware mit der knalligen Schrift auf dem Schild des Warenkorbs, zu ergattern.

Sie keifen und sie keppeln über die Politik, ihre Familie, ihren Partner, ihre Freunde, fremde Menschen, die öffentlichen Verkehrsmittel und erst recht über den Winter. Wie kann es der Winter wagen kalt zu sein? Wo gibt es denn sowas?

Deine Familie hat sich bereits freitags um vier Uhr, direkt nach der Schule, aus der Stadt beeilt, um das gesamte Wochenende bei den Großeltern zu verbringen. Dort lässt du dich verwöhnen, genießt es, dass es zwar Fernsehen, aber kein Internet gibt, und genießt den Braten.

Der wahre Höhepunkt des gemeinsamen Essens, es wird viel gelacht, geblödelt und Anekdoten erzählt, ist das Dessert: Deine Oma serviert deiner Familie einen bezuckerten Teller, der dich an Schnee erinnert, darauf einen ausgehöhlten Apfel, den sie liebevoll mit Vanille und geriebenen Mandeln füllte. Bereits während der Vorspeise hast du immer wieder in die Küche gespäht, da dich der verführerische Duft hineinleitete, doch deine Oma hat dich mit einem Lachen davongescheucht.
 

Zum vierten Advent hast du viele Tränen vergossen.

Anstatt die Weihnachtsdekoration, den Zauber der geschmückten Innenstadt und die Anwesenheit deiner Familie zu genießen, warst du tagelang zu Hause und hast für Mathe gebüffelt. Und für Englisch. Für Latein auch, das ist doch klar. Ebenso für Chemie. Ersteres und Letzteres hast du in den Sand gesetzt. In der Weihnachtszeit aggregieren sich die Prüfungen in ein oder zwei Wochen. Hättest du bloß beim Chemietest schon verstanden, was Aggregation bedeutet.

Nach der Schule, du bist noch ganz aufgelöst, fährt deine Familie zu deinen Großeltern.

Du freust dich auf den Bratapfel und die süßlich-würzige Vanillesauce, die von Mandeln und Zimt abgerundet wird.

Leider fängst du dir bei einer Schneeballschlacht eine Grippe ein, also bleibt ihr bis nach Weihnachten. Da es euch so gut bei euren Großeltern gefällt und deine Eltern beide Lehrer sind, bleibt ihr bis zu Silvester.

Es sind besinnliche Festtage, die trotz der Tatsache, dass du dich in eine Bazillenschleuder verwandelt hast, genießt. Ihr feiert unter einem bescheiden geschmückten Christbaum, auf dem Schokoschirmchen, echte Kerzen und silberne Kugeln hängen.

Zum vierten Advent und zu Weihnachten serviert dir deine Oma deinen geliebten Bratapfel. Mit extra-viel Vanillesauce.
 

Danach wird sie das nie wieder können.

Meine Oma starb am vierten Januar und mittlerweile rekelt sich auch der alte, dicke Kater mit dem halben Ohr nicht mehr vor dem Kamin.

Mein Opa war am Boden zerstört, er sah aus, als hätte man ihm mit einem Schlag seines gesamten Lebensinhaltes beraubt. Deshalb folgte er ihr nach dem darauf folgenden Weihnachtsfest.
 

Danach duftete die alte Waldhütte deiner Großeltern nie wieder nach Bratapfel und du verstehst, dass es nicht der Bratapfelgeruch war, der dich zu Hause fühlen ließ, sondern die Erinnerungen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (9)

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Von:  KageyamaTobio
2016-12-22T19:30:36+00:00 22.12.2016 20:30
_Risa_,
das ist eine fürchterlich gemeine Geschichte. Der Anfang, die Atmosphäre, die Personen und vor allem die Beschreibungen haben mich, angemessen zur Weihnachtszeit, richtig eingelullt. Ich konnte mir den Protagonisten, also theoretisch mich selbst, ganz wunderbar in der Szenerie vorstellen. Du hast die Gerüche und Empfindungen so authentisch genau beschrieben, dass ich den Duft förmlich in der Nase hatte. Sehr angenehm.
Zum Ende hin merkt man, wie sich die Emotionen überlagern und dank der vielen Andeutungen bin ich mit dem Abschluss nicht ganz so überrumpelt worden. Dennoch tut es weh, weil man sich sehr gut in die Gefühle eingelebt hat und sich trotz aller Vorbereitungen, nicht damit abfinden möchte.
Insgesamt eine sehr gelungene Geschichte, die einem das Weihnachtsfest auf eine andere Art näher bringt. Erinnerungen sammeln, behalten und irgendwann vermissen.
Von:  Ixtli
2016-01-02T15:53:18+00:00 02.01.2016 16:53
Du weißt, wie man mit Leseremotionen spielt.
Am Ende der Geschichte hatte ich den Wunsch, wieder zum Anfang zu scrollen, und habe es auch getan. Und dabei wird einem bewusst, dass man das im Leben leider nicht kann. Man kann nicht in der Zeit zurück springen und Vergangenes besuchen. Man kann nur in diesem Moment leben und von den Erinnerungen zehren. Und das macht die Erinnerungen so kostbar. Und wenn du sie nicht teilst, dann vergehen sie irgendwann mit dir.
Deine Geschichte macht nachdenklich. Über das Gestern, dessen Bratapfelduft man immer noch in der Nase hat, und das Jetzt, in dem man nicht vergessen darf, dass es auch duftet, aber dass man selbst dafür verantwortlich ist, dass andere sich auch irgendwann gerne an einen erinnern.
Antwort von:  _Risa_
02.01.2016 18:07
Es freut mich sehr, dass es dir so gut gefallen hat und du dir darüber hinaus noch Gedanken darum gemacht hast. ^^
Von:  Salix
2015-12-15T20:09:14+00:00 15.12.2015 21:09
Die ist so richtig schön bittersüß. Die schönen Erinnerungenund dazu dann der Kontrast mit die Realität. Es läd azu ein in eigenen Kindheitserinnerungen zu schwelgen.
Und mit der Geschichte hast du mir Lust auf Bratäpfel gemacht.
Nur ein kurzer Kommi und liebe Grüße
Antwort von:  _Risa_
15.12.2015 21:15
Oh dankesehr. Bittersüß, das gefällt mir. ^^
Guten Appetit bei deinem Bratapfel. PS: Vanillesauce ist ein Muss.:D
Antwort von:  Salix
15.12.2015 21:19
Hab leider keinen Bratapfel gemacht, dafür einen super leckeren Schoko-Kirschmuffin gegessen, die ich heute gebacken habe.
Zu Bratapfel mit Vanillesauce, da bin ich Puristin, ich mag ihn lieber ohne Vanillesauce. Dagür mit Marzipan drin und in Amareto eingelegte Rosinen oder Cranbeeries, mhh.
Antwort von:  _Risa_
15.12.2015 21:23
Jetzt hab ich Hunger. ._."
Ich geb da so eine Zimtmasse rein. ^^
Antwort von:  Salix
15.12.2015 21:27
Sorry, wahr nicht meine Intention.
Ich bin beim Bratapfel nicht klassisch. Als Füllung kommt ein Mix aus Marzipanrohmasse, in Amareto eingelegte Rosinen/Cranbeeries, Mandelblättchen, Zimt, Vanille, ein Hauch Nelkenpulver rein. Damit habe ich bis jetzt super Erfahrungen gemacht. :)
Antwort von:  _Risa_
15.12.2015 21:30
Muss ich zu Weihnachten probieren! :D
Freut mich aber, dass es dir gefallen hat ^^
Antwort von:  Salix
15.12.2015 21:34
Mach das. Bin gespannt wie es dir schmeckt.
Ja, mir hat die Geschte wirklich gut gefallen und das wollte ich eben mal mitteilen.
Von:  Melange
2015-12-06T12:01:32+00:00 06.12.2015 13:01
Mit dieser Geschichte hast du es geschafft, die Wärme, die Freude und den Frieden des Weihnachten heraufzubeschwören, die man eigentlich nur als Kind erlebt. Danke dafür! <3

Der Erzählstil ist zwar etwas ungewöhnlich, passt aber sehr gut! Dadurch ist es halb Erzählung, halb Ansprache an den Leser, was natürlich einen Teil der Wirkung ausmacht. Fehler sind mir keine aufgefallen. Über "aggregieren" bin ich zuerst gestolpert, aber der nächste Satz hat die Verwendung des Wortes ja gerechtfertigt. Außerdem sind einige Ausdrücke dabei, die wohl nicht zu schönem Schriftdeutsch zählen (herumblödeln, Christkindlmarkt, etc.), aber in der Geschichte passen sie gut ... die Frage, ob ein paar Wörter, die eher nach Dialekt klingen, im Schreiben verwendet werden dürfen, ist glaub ich keine neue.

Aber wie gesagt, die Geschichte ist einfach warm und angenehm, gut für zwischendurch und genau richtig für den 6. Dezember. Ich denke, auch wenn man sich keinen Stress mit Geschenkekaufen und Nörgeln macht, verliert Weihnachten für Erwachsene etwas von seinem Zauber. Schön, dass du wieder daran erinnert hast. :)
Antwort von:  _Risa_
06.12.2015 14:30
Danke 😳
Ich wünschte, es wäre nur immer so xD

Ehrlich gesagt, hab ich bei den Dialektwörtern nicht nachgedacht, da ich grad im Schreibfluss war.
Den Erzählstil hätte ich nicht viel länger durchgehalten. XD

Danke dir jedenfalls ^^
Antwort von:  Melange
06.12.2015 17:46
Wenn die Geschichte noch länger gewesen wäre, hätte er wsl nicht mehr gepasst. Früher oder später wär er mir eher auf die Nerven gegangen. Stell dir vor, das in Romanlänge. >.>
Antwort von:  _Risa_
06.12.2015 18:15
Thaha, wie nervtötend das wäre :D
Es ging mir schon am Ende auf die Nerven.
Von:  Seelendieb
2015-12-06T05:21:29+00:00 06.12.2015 06:21
Wunderschön! <3

Obwohl ich Pipi in den Augen habe. Aber die Situation ist so vertraut! Einfach nur wunderschön!
Antwort von:  _Risa_
06.12.2015 12:43
Oh, dankesehr ^^
Klingt das böse, wenn ich mich drüber freue?:D
Antwort von:  Seelendieb
06.12.2015 12:45
Nein überhaupt nicht.

Freu dich nur. <3


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