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My Darling Kitten Hair : Alle Straßen führen nach Hause

von

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Let it snow! Let it snow! Let it snow!

Oh, the weather outside is frightful,

But the fire is so delightful.

And since we've got no place to go,

Let It Snow! Let It Snow! Let It Snow!
 


 

 

Tokyo,

 

Matatabi Haus

 

 

„Bin wieder da und ich hoffe, der Rest von euch ist es nicht!“

Schwer fiel die Tür hinter Misaburo ins Schloss und sperrte die taumelnden Schneeflocken aus, die sich zusammen mit dem jungen Mann ins Haus zu drängen versucht hatten. Seine Schuhe, die er sich eilig von den Füßen streifte und von sich schleuderte, hinterließen einen Schweif weißer Schneeklumpen auf dem auf Hochglanz gewischten Flurboden, die kaum, dass sie den Boden berührten, auch schon zu kleinen Wasserpfützen schmolzen.

„Gut, mit einer Ausnahme“, führte Misaburo sein Selbstgespräch fort. Er lachte leise vor sich hin und machte sich samt seines Einkaufes auf den Weg durch das heute ausnahmsweise mal totenstille Haus. Fast wäre er aus reiner Gewohnheit geschlichen, aber im letzten Moment fiel ihm ein, dass das unnötig war. Normalerweise hätte schon beim Schließen der Haustür irgendwo jemand seinen Kopf neugierig um eine Ecke gereckt. Heute nicht, wie Misaburo nach einem schnellen Rundumblick zufrieden feststellte.

Anscheinend hatten sich wirklich alle an ihre Pläne gehalten, wenigstens an diesem Wochenende das Matatabi Haus zu meiden. Was bei sechs Personen, die dauerhaft hier wohnten, nicht ganz einfach zu organisieren gewesen war, aber es hatte funktioniert – auch, wenn es ihn einiges gekostet hatte, wie er zugeben musste. Doch das würde sich heute abend schon ausgezahlt haben. Schließlich hatte er nicht umsonst trotz Sturmwarnung einen Umweg auf sich genommen, um die ultimativen Zutaten für einen Abend zu Zweit zu besorgen.

In genau diesem Moment wurde eine Tür neben Misaburo so heftig aufgerissen, dass ihm nicht einmal Zeit blieb, zu erschrecken. Zeitgleich fiel ihm ein Gewicht in den Nacken und Misaburo knickte ein. Der Henkel einer Tüte riss und ihr Inhalt purzelte geräuschvoll über den Boden.

 

 

„Was-was ist los?“, keuchte Misaburo angestrengt, während er sich Mühe gab, trotz Keiichi, der an seinem Hals hing, nicht das eigene Gleichgewicht zu verlieren und auf die kleinen bunten Küchlein zu treten, die verstreut zwischen ihren Füßen auf dem Boden lagen. Zum Glück war nicht die andere Tüte gerissen.

„Ich bin so froh, dass du wieder hier bist, Mii-Kun.“

Misaburo schwante Übles. Mit der verzweifelten Eleganz eines Rhinozeros, das auf einem dünnen Seil über einen Abgrund balancierte, ließ er die beiden restlichen Tüten, die noch heil waren, zu Boden.

„Ich war doch bloß zwei Stunden weg“, merkte Misaburo vorsichtig an, nachdem er wieder genügend Luft bekam, um antworten zu können. Was konnte in zwei Stunden schon großartig passieren? Er lächelte Keiichi zuversichtlich an, der nun Millimeter für Millimeter seinen Klammergriff um Misaburos Nacken lockerte und das Lächeln seines Gegenübers, das ob der Länge dieser bizarren Begrüßung nun schon leicht ängstlich wirkte, zögerlich erwiderte.

„Hat sich Nana-Chan wieder auf den Teppich übergeben?“ Misaburo hielt unbewusst den Atem an und betete, dass die Antwort darauf Nein lautete. Das letzte Mal hatte Keiichi verkündet, auszuziehen und erst zurück ins Matatabi Haus zu kommen, wenn der Teppich entweder verschwunden oder bis in die letzte Faser gereinigt wurde. Dabei hatte der einst rote Teppich das meiste seiner strahlenden Farbe eingebüßt und fristete nun sein blassrosa Dasein im letzten Winkel des Hauses, wo ihn alle – auch die Katzen! – mieden. Und selbst wenn er einmal erwähnt wurde, dann nur noch hinter vorgehaltener Hand und möglichst so, dass Keiichi nichts davon mitbekam. Und bis jetzt ahnte Keiichi auch nicht, was es mit dem ominösen Rosa Reiher auf sich hatte, von dem hin und wieder die Rede war. Und genau so sollte es auch bleiben.

„Heute nicht.“

„Auf meine Kleider?“ Misaburo zog geräuschvoll die Luft ein. Tausende Gedanken schossen ihm gleichzeitig durch den Kopf, die alle bei einem einzigen abrupt anhielten. „Etwa auf deine Kleider?“

Keiichi verdrehte die Augen. „Meine Kleider sind dort, wo sie hingehören: im Schrank.“

„Nana-Chan weiß, wie Schiebetüren funktionieren.“ Misaburo klang ein bisschen stolz. Diese Katze war unglaublich intelligent.

Keiichi seufzte leise. „Meine Eltern kommen zu Besuch“, gestand er schließlich kleinlaut. „Heute.“

Misaburo wirkte wie versteinert. „Na wenn's weiter nichts ist“, murmelte er erleichtert.

„Das dachte ich mir auch“, log Keiichi und blinzelte unschuldig.

„Wir haben genug leere Zimmer und nach der Reise werden sie sicher müde sein. Das heißt,“ lächelnd beugte sich Misaburo vor und ließ seine Lippen sachte über Keiichis Stirn gleiten, „das heißt, dass wir praktisch alleine sind.“

Keiichis etwas verkniffener Gesichtsausdruck entspannte sich zusehends. „Ich richte dann mal mein Zimmer her.“

„Und ich besorge was zu essen“, verkündete Misaburo tatendurstig und drückte seinem Gegenüber die beiden unversehrten Tüten in die Hand, in denen es leise klirrte.

 

 

„Bin wieder da!“ Zum zweiten Mal an diesem Tag schlug die Tür hinter Misaburo zu. Mit dem Unterschied, dass das Schneegestöber draußen zugelegt hatte und ihm ein kalter Lufthauch in den Hausflur folgte.

„Wir sind hier im Wohnzimmer“, antwortete ihm Keiichi.

„Sie sind schon da?“ Hastig fuhr sich Misaburo durch sein unordentliches Haar. „Das ging aber schnell. Ich hoffe, ihr seid alle hungrig.“

Sein strahlendstes Lächeln auf den Lippen betrat Misaburo das Wohnzimmer, wo ihm ein etwas peinlich berührter Kenta ein Zahnlückelächeln entgegen warf.

Misaburo blieb auf der Stelle stehen und starrte den kleinen Jungen vor sich an, der neben Keiichi saß und geräuschvoll die Nase hochzog. „Was machst du denn hier?“

„Yoko hat ihn vorbeigebracht“, antwortete Keiichi an Kentas Stelle. „Er ist krank geworden.“

Wie zur Bestätigung zog Kenta erneut die Nase hoch, was ein feuchtes, blubberndes Geräusch verursachte, das Misaburo eine Gänsehaut bescherte.

„Ja, das kann man hören.“ Ratlos sah Misaburo von Kenta zu Keiichi und wieder zurück zu dem kleinen Jungen, der mit fieberroten Wangen dasaß und sich Mühe gab, die Augen offen zu halten.

„Wo ist Yoko?“, hakte Misaburo argwöhnisch nach. Keiichis Eltern hätten kein Problem dargestellt, aber was machte man mit kranken Kindern? Abstand halten, vermutete er. Keiichi war da offensichtlich anderer Meinung, denn er wirkte nicht, als schien es ihn großartig zu stören, dass sie außer zwei unplanmäßigen Gästen nun auch noch ein fieberndes und verrotztes Kind versorgen mussten.

„Sie wollte schnell zur Apotheke.“ Prüfend hielt Keiichi eine Hand gegen Kentas Wange. „Ich hoffe, sie beeilt sich“, fügte er hinzu und drückte einen nassen Waschlappen auf die Stirn des Jungen.

„Braucht er sonst noch was?“, rang sich Misaburo die Frage ab.

„Ein Eis“, krächzte Kenta leidvoll und schob die Unterlippe vor.

Misaburo zog die Augenbrauen zusammen. „Ich denke-“

„Ein Eis wäre nicht schlecht“, unterbrach Keiichi Misaburo, der ihm einen düsteren Blick zuwarf.

„Na schön“, seufzte Misaburo ergeben. „Essen und Getränke stehen in der Küche, falls deine Eltern kommen.“ Matt hob Misaburo die Hand und verließ das Wohnzimmer. „Das Telefon klingelt. Könntest du bitte dran gehen?“

Die Haustür schlug zu und bis auf Kentas regelmäßiges Nasehochziehen, war wieder Stille im Matatabi Haus eingekehrt.

 

 

„Ich bin gleich wieder bei dir“, entschuldigte sich Keiichi bei dem kranken Kind, als die Türklingel erscholl, nur wenige Minuten nachdem Misaburo das Haus verlassen hatte.

Kenta nickte mit glasigen, halbgeschlossenen Augen und rollte sich so klein wie möglich unter seiner Decke zusammen.

Keiichi stand auf, um nachzusehen, wer geklingelt hatte. Wahrscheinlich Misaburo, der den Schlüssel vergessen hatte. Oder seine Eltern. Hoffentlich. Keiichis Mund bog sich zu einem Lächeln und er riss die Tür auf.

„Oh, hallo“, begrüßte Keiichi verblüfft den Mann mit der finsteren Miene, der vor ihrer Tür stand und einen Papierstapel auf den Armen balancierte, der ihm bis unters Kinn reichte. Beide, sowohl Misaburos Chef, als auch sein Papierstapel sahen aus, wie durch sämtliche Pfützen Tokyos gezogen.

„Sauwetter“, grummelte Hino halb informierend, halb mitleidig, und drängte sich an Keiichi vorbei ins Haus.

Keiichi folgte dem tropfenden Gast und seinem aufgeweichten Papierstapel, der schnurstracks auf Misaburos Zimmer zuhielt.

„Misaburos ist nicht da“, wandte Keiichi zögerlich ein und betrachtete sich die Wassertropfenspur, die sich durch den Flur bis zu den Füßen des Mannes zog, der sich nun abrupt umdrehte. Ein weiterer Wasserregen ging auf den Flurboden nieder. In Keiichis Hand zuckte es und innerlich war er schon im Abstellraum und suchte Wischmopp und Eimer zusammen.

„Wo isser denn?“

„In der Abstellkammer“, murmelte Keiichi abgelenkt.

„Was macht Hanabishi denn in der Abstellkammer?“

Erst jetzt hob Keiichi den Kopf und traf auf Hinos ungläubigen Blick. „Der Wischmopp-“, begann Keiichi erklärend, als ihn eine heisere Kinderstimme unterbrach, die nach etwas zu trinken verlangte. „Ich bin gleich wieder da“, entschuldigte sich Keiichi bei dem durchgeweichten Papierstapel und seinem Anhängsel. „Misaburo ist auch gleich wieder da.“

„Ich suche mir mal einen trockenen Platz für mein Zeug“, rief Hino Keiichi nach. „Wenn der Schwachkopf gedacht hatte, dass er das ganze Wochenende faul herumliegen kann, hat er sich geirrt.“ Hino lachte in Vorfreude auf Misaburos Gesicht. Er drehte sich um und öffnete die nächstbeste Tür in seiner Nähe und betrat das Zimmer.

Im Gegensatz zum chaotischen Flur, der voller Wasser und kleiner verstreuter Kuchen war, war das Zimmer hier praktisch klinisch rein. Nirgendwo lag etwas unordentlich herum und es roch sogar ziemlich gut hier.

Sicher Yokos Zimmer, dachte sich Hino und setzte endlich seinen Papierstapel auf dem niedrigen Tisch ab. Vorsichtig zog er die nassen Blätter auseinander und platzierte sie sorgfältig nebeneinander, damit sie trocknen konnten. Jetzt musste nur noch jemand an das klingelnde Telefon gehen, dann war der Abend perfekt.

 

 

 

„Keiichi?“, klang es aus dem Flur. „Keiichi?“

Müde erhob sich Kenta und tappte torkelnd aus dem Wohnzimmer, von wo aus ständig nach Keiichi gerufen wurde.

„Wo ist Keiichi?“, hakte Misaburo nach, als er Kenta im Türrahmen stehen sah.

„Weiß nicht“, schniefte Kenta und zog die Nase hoch. Neugierig betrachtete er sich den Mann und die Frau, die Misaburo begleiteten. „Wer bist du?“, platzte Kenta hervor und sah an dem Mann mit den grau werdenden Haaren hoch, der freundlich zu ihm hinab lächelte.

„Ich bin Keiichis Papa“, stellte sich der Mann vor und streckte die Hand begrüßend aus.

„Das würde ich nicht tun“, murmelte Misaburo mit verzogenem Mund und dachte an all die Bazillen und die anderen Sachen, die Kentas Hand so bevölkerten.

„Er hat ja Fieber“, rief Keiichis Vater und alarmierte damit seine Frau, die den kleinen Jungen auf den Arm nahm. Ihre Hand strich die verschwitzten Haarsträhnen aus der Stirn und sie presste ihren Mund gegen die glühende Haut.

„Du armes kleines Schätzchen“, flötete Frau Sawada besorgt und presste erneut ihren Mund gegen die glänzende Stirn des Jungen.

Kenta schien sich in seinem Elend bestätigt zu sehen. Er seufzte jämmerlich und schlang seine Arme um Frau Sawadas Nacken.

Etwas angeekelt betrachtete sich Misaburo diese Szene. Wenn das so weiter ging, hatten sie nachher alle eine Erkältung. Und das war's dann endgültig mit dem Wochenende zu Zweit.

„Ich habe Eis“, bemerkte Misaburo, doch niemand schenkte ihm Beachtung.

„Da seid ihr ja endlich!“, erklang mit einem Mal eine Stimme über den Flur.

Die Vierertruppe hob den Kopf.

Keiichi trat aus Ponkos Zimmer und hinter ihm tauchte ein Gesicht auf, das Misaburo auf der Stelle die gute Laune verdarb.

„Wie siehst du denn aus?“, begrüßte Hino Misaburo mit einem breiten Grinsen.

„Wie jemand eben aussieht, wenn er drei Mal im Schneesturm zum Supermarkt und wieder nach Hause rennt...“

„Du warst einkaufen?“ Augenblicklich besserte sich Hinos Stimmung. „Hast du Bier?“

„Was? Nein, habe ich nicht“, stotterte Misaburo verblüfft. „Ich habe Eis...“

„Eis? Im Winter? Bist du bekloppt?“ Hino hatte seinem Angestellten bereits die Einkaufstüten aus der Hand gerissen und durchsuchte sie. „Kein Bier?!“, stellte er enttäuscht fest.

„Was soll ich denn mit Bier?“, fauchte Misaburo.

„Ein Bier wäre klasse“, fiel Herr Sawada fröhlich in die Unterhaltung ein. „Habt ihr eins da, Misaburo?“

„Noch nicht, aber ich geh schnell zum Supermarkt.“ Misaburo ließ die Schultern hängen und tapste bedrückt von dannen. „Das Telefon klingelt immer noch und der Flur müsste auch mal gewischt werden“, merkte er noch erschöpft an, während er sich seine nassen Schuhe und die noch nassere Jacke anzog und das Matatabi Haus verließ, das bis vor wenigen Stunden noch der ruhigste Ort in ganz Tokyo gewesen war, bevor dieser Sturm losgegangen war.

 

 

Grimmig stapfte Misaburo eine halbe Stunde später durch den Schnee nach Hause. Der weiße Dreck war bereits um das doppelte angewachsen, seit er das erste Mal zum Einkaufen gegangen war. Wer hätte ahnen können, dass diesem Einkauf noch drei weitere folgen würden? Mittlerweile machte man sich im Maru Maru-Supermarkt nicht einmal mehr die Mühe, sich das Grinsen zu verbeißen, sobald Misaburo durch die Tür kam.

Noch ein Gast?, war alles, was man zu ihm sagte, während er stumm und mit verbissener Miene die Einkäufe zur Theke brachte.

„Ich bin wieder da, aber das ist ja nichts neues, schätze ich“, leierte Misaburo den Satz herunter, den er neben der Antwort auf die Frage, ob noch ein Gast dazugekommen sei, am häufigsten von sich gegeben hatte.

Auf nassen Socken ging Misaburo Richtung Wohnzimmer, von wo ihm fröhliches Gelächter entgegen schall. Fassungslos starrte er die Szene an, die sich ihm rund um den niedrigen beheizten Tisch inmitten des Zimmers bot.

Kenta hatte sich in die Arme von Herrn Sawada gekuschelt und aß sein Eis. Direkt daneben saß Frau Sawada und drückte einen Waschlappen in einer Schüssel voll Wasser aus, um dann das Stoffstück auf Kentas Stirn zu platzieren. Sie unterhielt sich mit Yoko, die mittlerweile auch aufgetaucht war und Keiichis Mutter förmlich anhimmelte. Die einzigen, die still dasaßen, waren Keiichi und Hino, die sich über einen Stapel zerknitterten Papiers beugten.

Und im Hintergrund klingelte schon wieder das Telefon.

„Mii-Kun!“, rief Yoko fröhlich und winkte den im Türrahmen stehenden jungen Mann zu sich. „Schau mal, Kei-Chans Eltern sind hier“, wies sie den hilflos grinsenden Misaburo auf ihre Gäste hin.

„Ich weiß“, presste Misaburo zwischen den Zähnen hervor. Nach einigem Zögern näherte er sich der Meute am Tisch und stellte die Tüten darauf ab. „Bitteschön, das Bier.“

Schneller, als Misaburo bis drei zählen konnte, waren die Tüten geplündert.

„Ist das nicht toll, Eltern zu haben?“ Yokos Augen füllten sich mit Tränen, während sie Herrn und Frau Sawada zusah, die sich wie selbstverständlich um Kenta sorgten. „Schon lange her, dass ich eine Familie hatte.“ Yoko schniefte.

Auf der Stelle bekam Misaburo ein schlechtes Gewissen. „Ich mache uns was zu essen“, verabschiedete er sich schnell in die Küche, ehe er weiter darüber nachdenken konnte, wie Yoko und Kenta bisher gelebt hatten, bevor sie ins Matatabi Haus gezogen waren. Heute war nicht der richtige Abend dafür.

 

 

In der Küche suchte Misaburo genügend Teller und Schüsseln für sie alle zusammen und stapelte alles auf einem Tablett. Er wandte sich zum Gehen um, wobei sein Blick zufällig das Küchenfenster streifte, von wo aus ihm durch einen dichten Schleier aus Schneeflocken ein bleiches Gesicht entgegen starrte.

Im Wohnzimmer hob man lauschend die Köpfe, als Misaburos Schrei aus der Küche ertönte, dem ein ohrenbetäubendes Klirren folgte. Perplex sahen sie zu, wie der junge Mann an der Zimmertür vorbei hastete und zur Haustür stürzte.

 

 

„Pon-Chan, was machst du bei dem Wetter draußen im Garten?“, fuhr Misaburo sein zerzaustes Gegenüber an, das vor Kälte zitterte. „Wolltest du nicht arbeiten?“

„I-i-i-i-ich ha-ha-ha-habe mei-mei-mei-meine Schlüssel vergessen“, stotterte Ponko. Sie trug kaum mehr als einen dünnen Mantel und darunter das, was sie ihre Arbeitskleidung nannte. Ein hauchdünnes, paillettenbesticktes Cocktailkleid, inklusive den obligatorischen ellenbogenlangen Handschuhen.

„Und deshalb kommst du nach Hause und stehst draußen im Schnee herum?“ Misaburo konnte es kaum fassen. Er zog Ponko ins warme Haus und schob sie vor sich her, Richtung Bad.

„I-i-i-i-ich ha-ha-ha-habe ja versucht, anzurufen.“ Mit tauben Fingern wischte sich Ponko die verschmierte Wimperntusche aus dem Gesicht.

"Tut mir leid, ich konnte das Telefon nicht finden. Wenn du wüsstest, was für ein Chaos hier gerade herrscht..." Misaburo schüttelte den Kopf. „Wenn du fertig bist, komm ins Wohnzimmer. Wenn du Glück hast, ist noch Bier da.“

„Könnte ich einen Tee bekommen?“ Ponko grinste verlegen mit Lippenstiftverschmiertem Mund.

„Kein Problem.“ Misaburo seufzte. Tee. Ausgerechnet Tee. „Ich geh schnell einkaufen.“

 

 

Seine Kleider hatten gar keine Chance zu trocknen. Zum sage und schreibe fünften Mal schon stellte er seine Schuhe im Flur ab und hängte die Jacke an den mittlerweile überfüllten Garderobenhaken. Die Reaktionen im Maru Maru-Supermarkt behielt er besser für sich.

„Hanabishi, du fauler Hund! Dein Schatz hier macht deine ganze Arbeit alleine“, begrüßte ihn Hino, als er ihn erblickte.

„Ja, meinetwegen gib ihm meinen Lohn dafür.“ Erschöpft ließ sich Misaburo neben Keiichi zu Boden. Nur halb bekam er mit, dass Frau Sawada den Papierstapel durchsah, den Hino mitgebracht hatte, und dabei leise kicherte.

„Da arbeitest du also, Keiichi?“ Frau Sawada betrachtete sich das kleine Logo mit dem Schriftzug Porn Press direkt neben dem Titelbild, das eine mehr als spärlich bekleidete Frau zeigte.

„Ich doch nicht.“ Keiichi grinste breit. Er grinste noch breiter, als er Misaburos immer roter werdende Wangen sah. „Mii-Kun arbeitet dort. Er schreibt die Geschichten. Ziemlich gute Geschichten“, fügte er hinzu und konnte sich das Lachen kaum verbeißen.

Interessiert beugte sich Herr Sawada über ein anderes Titelfoto, das ebenfalls eine barbusige Dame zeigte. „Also ich würde das hier nehmen“, sagte er fachmännisch und tippte mit dem Zeigefinger der Dame auf dem Titelblatt genau zwischen die Brüste.

„Entschuldigt mich bitte kurz“, murmelte Misaburo lahm und stand auf. Dieses verdammte Telefon klingelte schon wieder. „Wo ist Pon-Chan?“, fragte er in die Runde.

Hino erbleichte. „Pon-Chan ist hier?“, stieß er heiser aus. „Ich glaube, ich muss dringend in die Redaktion!“ Hastig schob er die Blätter zusammen und war eben im Begriff aufstehen, als ihn eine schrille Stimme wieder zu Boden warf.

 

 

„Hino-Schatz!“

„Oh Gott, bitte nicht“, flüsterte Hino den Tränen nahe. Der Abend hatte so gut begonnen...

„Wie schön, dass du auch hier bist“, begrüßte Ponko den sich sträubenden Hino, der sich verzweifelt aus der schraubstockartigen Umklammerung zu befreien versuchte, die seinen Hals umschloss.

„Ich-ich kann mein Glück auch kaum fassen“, ächzte Hino nach Luft.

Ponko ließ kurz locker und sah an Hino hinab. Ihr breites Grinsen nahm einen sanfteren, zweideutigeren Schwung an. „Du warst in meinem Zimmer?“, hauchte Ponko, die sich so nahe zu Hino hinüber beugte, dass dieser den Atem seines Gegenübers auf seiner Haut spürte. Ponkos Zeigefinger strich über Hinos stoppeliges Kinn, dem der kalte Schweiß auf der Stirn ausbrach.

„War-war-war ich nicht“, presste Hino dumpf hervor. War er wirklich nicht.

„Und was ist das da in deiner Hosentasche?“

„Finger aus meiner Hose!“, blökte Hino in die Runde, die ausnahmsweise mal still war. Sogar Kenta hatte vergessen, seine Nase hochzuziehen, deren Inhalt ihm nun in nassglänzenden Fäden auf die Oberlippe hing.

Triumphierend wedelte Ponko mit dem winzigen Kleidungsstück, das praktisch aus einem Nichts mit etwas Spitze darum herum bestand, welches sie aus Hinos Hosentasche gezogen hatte.

Hinos Gesicht wurde augenblicklich so rot, dass Misaburo im ersten Moment dachte, er hätte ernsthafte gesundheitliche Probleme. Und es wurde noch roter, als Ponko dem zur Salzsäule erstarrten Hino das Spitzenhöschen wieder zurück in die Hosentasche schob und ein Das kannst du gerne behalten hinzufügte.

„Wir brauchen hier mehr Bier!“, kreischte Yoko laut lachend.

„Und Eis!“, fügte Kenta ebenso lautstark wie seine Mutter hinzu und zog die Nase hoch.

„Kuchen wäre auch nicht schlecht“, bestätigte Frau Sawada.

Misaburo zuckte ängstlich zusammen. Nicht schon wieder...

„Ich gehe einkaufen“, sagte Herr Sawada und sprang voller Tatendrang auf.

 

 

Sorgfältig schob Misaburo die Tür hinter sich und Keiichi zu.

Wehe, jemand klingelte oder brauchte wieder etwas aus dem Supermarkt. Nicht jetzt, wo er es tatsächlich geschafft hatte, Keiichi von der Runde wegzulocken, deren lautes Gelächter und Gegacker zum Glück nicht bis hier hin in den letzten Winkel des Hauses klang.

Schließlich wartete da noch eine Flasche darauf, leergetrunken zu werden. Sogar zwei kleine Küchlein, die noch essbar waren, hatte er in der Tüte im Flur gefunden. Das war zwar lächerlich wenig im Vergleich zu dem, was er sonst so für den Abend zu Zweit geplant hatte, aber immerhin noch besser als gar nichts. Im Halbdunkel hier würde Keiichi nicht einmal der rosa Teppich auffallen, auf dem sie saßen, um ihr Candlelightdinner nachzuholen, das zu einem kargen Mahl geschrumpft war. Zumindest eine Kerze hatte er noch organisieren können, die tapfer ihr spärliches Licht in das nachtschwarze Zimmer warf.

„Ist dir was aufgefallen?“, fragte Misaburo in die erholsame Stille hinein. Er sah zu Keiichi hinab, der sich an seine Seite gelehnt hatte und seinen Arm über Misaburos Brust schob.

„Nein, was denn?“

„Der Einzige, der sich wirklich an seine Pläne für heute gehalten hat, ist Hiruma.“ Ausgerechnet Hiruma. Der faulste Mieter des Matatabi Hauses, den man sonst kaum aus seinem Zimmer locken konnte.

„Wo er wohl ist?“ Keiichi lachte leise.

„Sollen wir uns rausschleichen und auch verschwinden?“ Misaburo flüsterte verschwörerisch. Er beugte sich zu Keiichi hinab und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.

„Ach was, der Teppich hier ist ganz bequem.“ Keiichi drängte sich etwas weiter an Misaburo heran und sah ihn grinsend an. „Könnten wir nur das Licht anmachen? Ich würde dich gerne sehen.“

Misaburo dachte an den rosa Teppich, auf dem sie saßen. Der Rosa Reiher. Wenn Keiichi den sah, war es das endgültig mit dem schönen Abend. „Später vielleicht.“

 

 

 

 
 

。*☆*。 E N D E 。*☆*。
 



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