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Lawinenwarnung

11. Kalendertürchen 2015
von

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Lawinenwarnung

                                                                      Lawinenwarnung

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23. Dezember

 

Dichte Atemwölkchen bildeten sich vor den Gesichtern der Soldaten. Die Sonne war nur noch als undeutlicher Lichtsaum zwischen den dichten, grauen Wolken zu erkennen. Vereinzelt fielen kleine Schneeflocken vom Himmel. Noch glitzerten sie, die letzten Strahlen des Tageslichts reflektierend. Schon bald würde man sie nur noch spüren, aber nicht mehr sehen können. Die Berge, die alles zu umgeben schienen waren von meterhohem Schnee bedeckt. Auch sie würde man, so mächtig sie auch waren, in kürzester Zeit nicht mehr ausmachen können.

Jedem, der hier am nördlichsten Punkt von Amestris Dienst tat, kroch die Kälte in die Knochen. Es begann mit einem unangenehmen Gefühl in den Zehenspitzen, zog sich dann die Füße hinauf, während einem langsam die Finger taub wurden und dann auch der Rest des Körpers begann, seinen Besitzer heftig vor den Temperaturen der Umgebung zu warnen.

Doch Olivier Mira Armstrong spürte die Kälte nicht. Zu sehr hatte sie sich an dieses Klima gewöhnt und zu sehr ärgerte sie sich über die Szenerie, die sich ihr bot.

 

In all den Jahren, die sie bereits im Norden verbrachte, hatte sie niemals zusehen müssen, wie jemand gegen ihren Willen das Fort betrat. Die hohen Mauern von Briggs und die Männer, die dort ihren Dienst taten, hatten stets jeden unerwünschten Eindringling fernhalten können. An manchen Tagen war es knapp gewesen. Standgehalten hatte das Bollwerk zum Schluss immer.

Doch nun musste sie tatenlos zusehen, wie die Invasoren einmarschierten.

Beladen mit ihren Habseligkeiten und gut gelaunt passierte die kleine Truppe das große Tor, so als würde die Festung, die dahinterlag, ihnen gehören, und als wäre es das Normalste der Welt.

 

Sie beobachtete das Geschehen von der Mauer aus. Miles stand hinter ihr und wirkte besorgt. Unruhig stieg er von einem Fuß auf den anderen. Tag ein Tag aus ertrug er ihre Launen. Doch der Ärger, der nun aus ihren Augen blitzte, war mehr als er stoisch ertragen konnte.

Immer wieder musste sie sich beherrschen und ihre Hand im Zaum halten, die danach trachtete, das Schwert an ihrer Seite zu ziehen.

Das eilige Telegramm, dass sie in die Hauptstadt geschickt hatte, hatte nichts bewirkt.

Zähneknirschend zerknüllte sie das Blatt Papier, dass den Auslöser für diese Geschehnisse symbolisierte.

Sie sah die Zeilen vor ihrem inneren Auge, so oft hatte sie den Text gelesen.

 
 

Liebste Tochter,

 

so viel ist in den letzten Monaten passiert!

So lange schon haben wir dich nicht zu Gesicht bekommen!

So selten meldest du dich bei uns!

Wir wissen nicht, wie es dir am Ende der Welt ergeht. Doch wir wissen, dass es nicht noch ein Weihnachtsfest geben sollte, an dem du alleine an diesem trostlosen, kalten Ort sein solltest!

 

Dein Bruder war es, der uns auf diese wunderbare Idee brachte. Da du nicht zu uns kommst, werden wir eben zu dir kommen!

 

Die Zugverbindung ist zu dieser Jahreszeit schlecht. Aber rechne damit, dass wir um den 23. Dezember ankommen werden.

 

 

Deine dich liebenden Eltern

 

 

Ihre Antwort, dass diese Reise nicht zu verantworten war und dass sie keine Zivilisten beherbergen konnte, hatte nichts gebracht. So wie vieles nichts brachte, wenn es um die Familie Armstrong ging.

Wütend warf sie das Stück Papier über die Mauer und sah zu wie es in dem Weiß des Schnees versank.

Erst dann wandte sie sich ab um dem Unvermeidlichen entgegenzutreten und ihre Familie zu begrüßen.

 

Irgendjemand würde für diese Unannehmlichkeit büßen.

Irgendjemand, der Alex Louis Armstrong hieß.

 

 

 

                                                                                *

 

 

„Vater. Mutter. Catherine“ Olivier begrüßte die Angesprochenen, die sich den Schnee von der Kleidung wischten mit einem kurzen Nicken. In der Eingangshalle, vor den Männern, war kein Platz für Sentimentalitäten. Genauso wenig wie in ihrem persönlichen Verhaltensrepertoire.

Dies schien ihr Bruder jedoch anders zu sehen. Distanzloser Bastard, der er war. Noch bevor sie sich ihm zuwenden konnte, hatte er schon das Gepäck und seinen nassen Mantel von sich geworfen und schickte sich an sie in eine seiner berüchtigten Umarmungen zu ziehen.

Ihre rechte Hand ballte sich zur Faust. Erneut musste sie ihre ganze Willenskraft aufwenden, um ihre Schwerthand davon abzuhalten, die Bewegung zu vollführen, die diese schon den ganzen Tag über instinktiv tun wollte. Anstatt ihre Waffe zu ziehen, machte sie nur einen Schritt zur Seite und ließ ihren Bruder ins Leere stolpern.

„Alex…“

„Lasst uns doch die Begrüßung an einem wärmeren Ort zu Ende bringen.“ Ihr Vater erkannte die missliche Lage, in der sich seine älteste Tochter befand und zum ersten Mal an diesem Tag war Olivier für etwas dankbar, dass mit ihrer Familie zu tun hatte.

Es war nicht so, dass sie wirklich etwas gegen die Menschen hatte, mit denen sie verwandt war. Doch die Geschehnisse in der Hauptstadt, der Angriff auf Amestris und all den politischen Wirren, hatte sie die Abgeschiedenheit von Briggs in den letzten Monaten sehr genossen. Außerdem hielt sie es nicht für angemessen, dass sie diesen Besuch empfing, während ihre Männer ihr Fest ohne ihre Familien verbringen mussten. Jahrelang hatte sie sich bemüht als gutes Vorbild voran zu gehen und sich nicht so dekadent zu benehmen, wie die meisten anderen hochrangigen Militärangehörigen, die sobald sie befördert wurden, offenbar jegliches Gespür für Anstand abgaben.

„Gehen wir in mein Büro“, schlug sie vor, wohlwissend, dass es dort kaum wärmer sein würde.

 

„Habt ihr mein Telegramm nicht bekommen?“, erkundigte sie sich, als sie ihre Familie durch die Gänge des Forts lotste.

„Natürlich Liebes“, antwortete ihre Mutter. Während ihr Vater nur zufrieden in seinen Bart lächelte. „Du hättest zur Abwechslung auch einen richtigen Brief schreiben können.“

Olivier rieb sich über die Schläfen, hinter denen sich pochend eine beginnende Migräne ankündigte. Warum hatte sie keine andere Antwort erwartet?

„Wieso seid ihr dann gekommen?!“, entfuhr es ihr als die Gruppe ihr Büro betreten hatte und die schwere Eichenholztür hinter ihnen ins Schloss gefallen war. „Es ist gefährlich hier. Und kalt. Und keineswegs ein Ort für Familienzusammenkünfte. Ich habe nicht die Zeit den Gastgeber zu spielen und schon gar nicht die Möglichkeit euch angemessen unterzubringen.“

„Wir sind nicht wählerisch Liebes. Auf unserer Reise durch Xing mussten wir uns auch immer wieder mit wenig wohnlichen Unterkünften arrangieren. Stell dir vor wir haben sogar gezeltet! In der Wüste! Aber das Zelt war weniger gewöhnungsbedürftig als das Essen! Die machen dort wirklich seltsame Sachen und die Gewür…“

Die Kopfschmerzen gewannen an Intensität.

„Mutter!“, unterbrach sie die ältere Frau. „Ich werde euch allen einen Tee bringen lassen, dass ihr euch aufwärmen könnt. Es tut mir Leid, dass ihr den ganzen Weg umsonst gemacht habt, aber ich kann hier wirklich keine Zivilisten beherbergen. Der Zug mit dem ihr gekommen seid, hält hier noch zweieinhalb Stunden bevor er umkehrt und ihr nach Central zurückfahrt.“

„Oh, nein Schwesterherz. Es geht kein Zug zurück“, warf Alex grinsend ein.

„Du willst mir jetzt nicht wirklich etwas über den Fahrplan der Zuglinie erzählen, die die einzige Verbindung zwischen meinem Stützpunkt und dem Rest der Welt ist, oder?“ Olivier wollte in diesem Moment nichts mehr als eine Tasse Tee und das stärkste Schmerzmittel das hier zu bekommen war. Die Sorte, die einen ausgewachsenen Mann mit dämlichem Gesichtsausdruck dasitzen und in die Leere starren lies, selbst wenn er gerade einen Arm an einen feindlichen Soldaten verloren hatte. Oder an einen der Bären, die in dieser Höhenlage herumstreifte.

„Es gibt eine Lawinenwarnung. Der nächste Zug geht frühestens im nächsten Jahr“, frohlockte Alex und nutzte die einsetzente Paralyse seiner Schwester um sie nun doch in eine Umarmung zu ziehen.

„Lass los, du Halbaffe! Hast du nichts Besseres zu tun? Vielleicht dein Oberteil ausziehen und auf der Mauer spielen gehen?“, presste sie hervor.

 

 

 

 

 

24. Dezember

 

„Aber Kind, was stellst du dir vor? Was soll denn aus deinem Leben werden? Du wirst auch nicht jünger und langsam solltest du einsehen, dass es dich im Leben nicht weiterbringt Soldat zu spielen. Damit hast du dir schon einige Gelegenheiten verbaut. Mehr als du vielleicht ahnst junge Dame!“

Die Familie war im großen Esszimmer versammelt. Es war Heiligabend. Der Braten roch köstlich und sah auch so aus. Höchstwahrscheinlich würde er auch so schmecken. Doch Oliviers Appetit wurde von einem Gefühl der Übelkeit verdrängt während sie sich ohne besonderes Interesse an dem reichlich gedeckten Tisch bediente. Mechanisch. Weil man dies zu solchen Gelegenheiten so zu tun pflegte.

„Schatz, ich denke nicht, dass das ein Thema ist, dass wir beim Weihnachtsessen besprechen sollten“, versuchte ihr Vater die Situation zu entschärfen. „Olivier ist gerade erst angekommen. Sie ist noch länger hier. Wir haben genügend Zeit um das in Ruhe zu klären.“

„Doch Philip. Es ist der richtige Zeitpunkt! Wann sollen wir das denn sonst besprechen, nachdem sich deine werte Frau Tochter entschlossen hat, die Familie im Stich zu lassen und sich aufzuführen wie eine Wilde?!“

Er antwortete nicht. Stattdessen griff er nach der Weinflasche während Olivier langsam die Schüssel sinken ließ, die sie in Händen gehalten hatte.

„Olivier, das ist jetzt lange genug so gegangen. Du hast bewiesen, dass du stur genug bist um deinen Willen durchzusetzen. Aber es muss auch einmal Schluss sein mit diesem kindischen Theater.“

„Mutter…“, begann Olivier. Sie hatte Mühe die Lautstärke ihrer Stimme im Zaum zu halten und all das, was aus ihr heraussprudeln wollte im Zaum zu halten. Stattdessen presste die junge Frau die harmloseste Entgegnung zwischen den Zähnen hervor, die ihr in den Sinn kam. „Ich habe mich verpflichtet. Selbst wenn ich wollte, könnte ich erst in fünf Jahren das Militär verlass...“

„Blödsinn!“, herrschte die ältere Frau. „Dein Vater ist ein hohes Tier. Abgesehen davon, dass es sowieso eine Perversion sondergleichen ist, dass Mädchen unter diesem Haufen an Männern leben müssen. Nur ein Wort aus seinem Mund, und du bist wieder draußen! Muss dir erst etwas passieren? Eine Verletzung? Eine Entstellung? Wer soll dich dann noch nehmen?“

Dies war der Moment in dem der jungen Frau endgültig der Kragen platzte. Sie sprang von ihrem Sitz auf und ihre Hand knallte auf die Tischplatte.

 

Olivier wurde von dem Schmerz in ihrer rechten Hand aus dem Schlaf gerissen. Schwer atmend setzte sie sich auf, die verletzte Gliedmaße haltend.

Es dauerte, das eben Wiedererlebte zu verdauen. Der Schmerz half dabei.

Offensichtlich hatte sie genau wie sie es damals in der Realität getan hatte, ausgeholt. Mit dem Unterschied, dass sie damals nur eine ebene Oberfläche getroffen hatte, nicht die Kante des Nachttisches.

Sie erinnerte sich zu genau an die Träume, die sie diese Nacht über gequält hatten.

Eine Auswahl der bemerkenswertesten Armstrong-Weihnachtskatastrophen.

 

Angefangen von dem Weihnachten, kurz nachdem man sie in der Ballettschule angemeldet hatte. Sie hatte die Weihnachtsaufführung gesprengt. Schon als Sechsjährige hatte sie der Gedanken an einen Auftritt als Weihnachtselfe in einem glitzernden Tütü abgestoßen. Doch das Theater, dass es daraufhin zuhause gegeben hatte, hatte sie ernsthaft hinterfragen lassen, ob es das Wert gewesen war.

 

Weiter zu dem Weihnachten kurz bevor sie ihre Familie verlassen hatte. Insgeheim wusste sie, dass die Tatsache, dass man ihr einfach so einen reichen, weichlichen Schnösel vor die Nase gesetzt hatte, in der Hoffnung, sie würde die brave zukünftige Ehefrau spielen, zwar nicht die Ursache, aber der entscheidende Auslöser für ihren Fortgang war.

 

Die Letzte nur die Krönung einer Reihe von unerfreulichen Festen.

Es waren die ersten Feiertage gewesen, die sie mit ihrer Familie verbrachte seit sie dem Militär beigetreten war. Und die letzten.

Während ihre Schwestern im Kartoffelbrei herumgematscht hatten, zu jung, um eine Meinung über das besprochene Thema zu haben, aber durchaus schon alt genug, um zu wissen, wann man sich ruhig verhalten sollte. Und selbst ihr Bruder, der nie angemessenes Verhalten zeigte, hatte nur still dagesessen.

 

Dies war die größte Eskalation gewesen. Über die Jahre hatte sich das Verhältnis zu ihren Verwandten wieder entspannt. Distanz half. Und sie hatte nicht vor etwas an diesem Konzept zu ändern.

Ihr Vater hatte ihre Entscheidung nie gutgeheißen, doch er hatte sie immer akzeptiert. Selbst ein Angehöriger des Militärs durch und durch, hatte er ihre Fähigkeiten und Eignung erkannt und sich damit abgefunden, dass dies das war, was seine älteste Tochter tun wollte.

Ihre Mutter hatte lange nicht mit ihr gesprochen. Doch dass die anderen Kinder ihren Vorstellungen entsprachen hatte sie irgendwann soweit milde gestimmt, dass sie über das, was sie Oliviers Verfehlungen nannte, hinwegsehen konnte. Stattdessen versuchte sie jetzt das aus Catherine zu machen, dass sie aus ihrer Ältesten hätte machen wollen. Eine perfekte kleine Prinzessin. Angepasst an ein Leben in der Oberschicht.

Bei den letzten Zusammentreffen war keine Rede mehr von den früheren Forderungen und Vorwürfen gewesen.

Doch man konnte nie wissen.

Weihnachten hatte man ihr jedenfalls gründlich verdorben.

 

 

 

                                                                                    *

 

 

 

Den ganzen Tag über hatte sie versucht sich in Arbeit zu vergraben. Viel hatte sie nicht fertig gebracht. Das Pochen hinter ihrer Stirn war immer noch da. Noch hielt es sich in Grenzen. Dennoch traute sie dem Frieden nicht.

Sie hatte Miles abgestellt um ihren Besuch in Briggs herumzuführen und ihnen das kleine Dorf zu zeigen, das, geschützt von der Mauer, hoch in den Bergen der einzige Ort war, dem man im Umkreis von dutzenden Kilometern so etwas wie Charme zusprechen konnte. Hatte ihnen die Mauer zeigen lassen, in der Hoffnung, dass nicht nur sie selbst unter diesem Besuch zu leiden hatte. Sie waren nicht lange dort oben gewesen. Nicht lange genug, dass man wirklich litt oder gar Gefahr lief Finger oder Zehen zu verlieren, aber lange genug um sich an einen anderen Ort zu wünschen. Nun war er zurück und um die Feier würde Olivier nicht herumkommen.

„Miles, ist alles arrangiert worden?“, fragte sie den Ishvalier, der auch bei anderen Gelegenheiten den Bespaßer für hochrangige Gäste spielte, als sie sich von ihrem Schreibtisch erhob um sich zum Essen zu begeben. Der stille Mann hatte ein Talent dafür im Gegensatz zu ihr. Ihr Mundwerk stand ihr bei solchen Gelegenheiten gerne im Weg.

„Ja, Ma`am.“

Es waren nur kleine Vorbereitungen gewesen. Sie würde keinen Staatsakt aus diesem überfallsartigen Besuch machen.

 

 

„Der Truthahn ist ausgezeichnet.“ Ein Versuch ihrer Mutter die Irritation über die ungewohnten Zustände zu überspielen.

„Das ist kein Truthahn. Es ist Schneehuhn“, antwortete sie. „Wir lassen nichts hertransportieren, das wir selbst vor der Tür haben.“

Die ätere Frau stocherte mit der verbogenen Stahlgabel in den Resten des Vogels herum und rang sich ein Lächeln ab. „Dann ist das Schneehuhn ausgezeichnet.“

Sie war die Einzige, die wirklich irritiert zu sein schien. Der Rest der Familie hatte sich mit der ungewohnten Situation arrangiert. Auf den alten, aber stabilen Bänken des Speisesaales aufgereiht, unter den Männern. Keine Dekoration, kein teures Besteck, keine Stoffservietten. Stattdessen Gemüse aus Konservendosen und billigen Wein zur Feier des Tages.

Sollte sich ruhig einer beschweren, dachte sie sich, auch wenn es nicht so aussah als würden Klagen geäußert werden.

Ihr Bruder, der zu Oliviers Linken saß war in seinem Element. Angeregt unterhielt er sich mit den Soldaten neben sich über dieses und jenes. Catherine lächelte immer wieder einem der jungen Rekruten zu, wenn ihre Mutter nicht hinsah. Ihr Vater sprach mit Miles über die Veränderungen die es seit ihrer Abreise aus der Hauptstadt gegeben hatte.

Es schien, als könnte es ein Weihnachten werden, dass nicht vollkommen furchtbar war.

Die Stimmung war entspannt als das Essen beendet war.
 

„Zeit für die Geschenke!“

Und ehe sie sich versehen konnte, ehe sie in ihr Privatquartier ausweichen konnte, hatte man ihr ein Päckchen vor die Nase gesetzt. Es war nicht besonders groß, eckig und in Papier eingeschlagen. Von außen gab es keinen Hinweis darauf, was es enthalten könnte.

Olivier schluckte. Das war immer ein kritischer Moment.

„Vielen Dank“, brachte sie heraus. „Es tut mir sehr Leid, aber eure Geschenke sind leider in Central…“

„Aber das macht doch nichts!“

„Mach‘ es auf.“ Ihre Schwester klatschte in die Hände.

„Ich denke nicht, dass es angemessen ist, hier…“, versuchte sie sich zu retten. Was wenn es wieder einmal eine Präsentkatastrophe gab? Das war schon im engsten Familienkreis eine unangenehme Sache. Ganz zu schweigen von einer mehr oder weniger öffentlichen Peinlichkeit. Es fehlte ihr gerade noch, wenn sie etwas so diskreditierendes wie beispielsweise ein Spitzenkleid auspacken würde. Es wäre nicht das erste Mal.

Sie spürte wie Alex sie von der Seite leicht anstieß und sich zu ihr hinunter beugte um ihr ins Ohr zu flüstern. „Keine Angst. Es ist etwas was dir gefallen wird. Und wenn nicht, dann können wir es ja vielleicht wieder so machen wie damals. Du weißt schon. Mit Flöckchen.“

Damit sank die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ein Spitzenkleid handelte. Auch wenn sie es noch nicht vollständig ausschloss. Sie war dankbar für Alex Worte. Es war eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen sie versucht war ihren Bruder zu umarmen und nicht umgekehrt.

 

Vor ihrem inneren Auge tauchten Bilder auf von dem Weihnachtsabend, den er angesprochen hatte. Damals war alles erstaunlich gut gelaufen.

Bis man ihr ein kleines weißes Kätzchen vorgesetzt hatte.

Und Alex eines der wertvollen Familienschwerter.

Und dabei noch stolz gewesen war, was für ausgezeichnete Geschenke man denn nicht für die Kinder aufgetrieben hätte.

Diese beiden Dinge hatten den Armstrongkindern tatsächlich viel Freude bereitet – als sie beschlossen hatten, ihre Geschenke zu tauschen.

 

Unwillkürlich musste Olivier lächeln, nahm ihren Mut zusammen und löste die Schleife.

Vorsichtig lugte sie mit einem Auge auf das Enthüllte.

Sie kannte den ledernen Einband des kostbaren Stücks.

 

"Die Familienchronik. Sie wird seit Generationen in der Armstrong-Familie weitergegeben!", jubelte Alex und funkelte.

"Aber...?"

"Olivier mein Kind, wir sind der Meinung, dass du die Einträge für eure Generation verfassen solltest." Ihr Vater schob das dicke Buch näher zu ihr.

"Du hast es verdient", fügte ihre Mutter hinzu.

 

Sie wusste nicht, woran es lag. Hatte man sie und das was sie tat einfach so begonnen zu respektieren? War genügend Zeit verstrichen? Oder musste man einfach erst dabei helfen die Welt zu retten?

 

 

Da war sie also nun. Am gottverdammten Ende der Welt. Gemeinsam mit diesen Menschen gefangen in den verschneiten Bergen. Mit ihrer Mutter und Schwester, die so anders waren als sie selbst, dass sie es nicht schafften, ein ernsthaftes Thema zu finden, über das sie reden konnten. Mit ihrem Vater, mit dem sie hätte reden können, wenn er es nicht vorziehen würde, nichts zu sagen und mit einem Bruder, den sie in den meisten wachen – und auch einigen anderen – Momenten am liebsten erwürgen würde.

 

Aber irgendwie hatte es etwas von seinem Schrecken verloren dieses Fest mit diesen Menschen zu verbringen.

Irgendwie war sie fast schon ein wenig froh über die Lawinenwarnung.

 

 

 

 

25. Dezember

 

Im Nachhinein war ihr klar geworden warum gerade sie die Chronik fortführen sollte.

 

Catherine war bei dem wohl wichtigsten Ereignis ihrer Generation in einem anderen Land gewesen.

Die älteren Schwestern interessierten sich nicht für Politik oder das Zeitgeschehen und lebten weit weg vom Familiensitz und der Hauptstadt.

Und Alex verklärtes Geschwurbel würde niemand lesen wollen.

 

Es war eine absolut rationale Entscheidung das Buch in ihre Hände zu geben.

 

Insgeheim behielt sie sich aber trotz dieser mehr als verständlichen, rationalen Entscheidung vor, sich weiterhin ein wenig geschmeichelt zu fühlen und Weihnachten ein wenig mehr zu mögen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2016-01-20T09:56:44+00:00 20.01.2016 10:56
Ich konnte mir richtig Oliviers Haltung, Gestik und besonders Mimik vorstellen x'D
Bei einer solchen Familie hat man es auch nicht einfach. Es war lustig es zu lesen :)


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