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Morgen

von

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Irgendwo

Zügig ging die junge Frau durch die Straßen. Es war schon dunkel, aber immer noch herrschte ein geselliges Treiben, welches sie beobachte, ohne zu interagieren. Sie war ein Teil hiervon, eine Bewohnerin dieses Viertels, welches zwar etwas heruntergekommen war, aber dennoch seinen ganz eigenen Charme besaß. Aber gleichzeitig war sie eine Fremde. Keine Touristin, dafür wohnte sie schon zu lange hier, sie hatte nichts mit den Touristen zu tun. Auch keine Reisende, sie verspürte keinen Wunsch, die Welt zu bereisen. Sie wollte nur hier wohnen und arbeiten, eine Bewohnerin sein. Keine Einheimische, das würde sie nie werden. Sie sprach die eine Sprache, aber nicht den Dialekt. Ganz zu schweigen von der anderen Sprache, die sie durchaus erlernte, was eine Seltenheit war für eine Fremde, aber ihre fehlte die Übung. Zu oft wich man auf die eine Sprache aus.

Sie hatte auch keine Familie hier, keine Freunde. Sie kannte die Nachbarn vom Sehen, ein paar Mitschüler der Sprachschule, welche sie ab und zu besuchte, wenn gerade wieder passende Kurse angeboten wurden, ein paar Arbeitskollegen, mit welchen sie ein, zwei Mal etwas unternommen hatte. Aber das hielt nie lang. Sie isolierte sich bewusst. Sie hing in einer Art …Zwischenleben? Konnte man es so nennen, das Leben zwischen einem alten und einem neuen Leben? Sie war froh, dass das alte vorbei war, das neue kümmerte sie nicht. Noch konnte sie hier bleiben, hatte keinen Grund, zu gehen. Sie war glücklich, nicht einsam oder himmelhochjauchzend. Es war eine innere Zufriedenheit, alles zu haben, was sie brauchte, und nichts zu haben, dass sie störte.

Sie lief die wenigen Stufen zur Haustür hoch, am Briefkasten vorbei, der natürlich leer war. Sie erwartete keine Briefe, aber heute würde sie selbst einen Schreiben. Die Treppe hoch, an den anderen Wohnungen vorbei zur ihrer eigenen, überlegte sie sich, was sie heute kochen wollte, ob sie alles da hatte, ob Überweisungen anstanden oder Termine. Die Wohnung war klein und teuer, aber nicht zu teuer. Die Kosten hier waren hoch, aber sie lebte nicht von ihren Ersparnissen.

Sie kochte, und während sie das tat, verstummten ihre Gedanken. Es machte sie glücklich, und als sie gegessen und wieder aufgeräumt hatte, setzte sie sich in bester Laune an den kleinen Tisch, um zu schreiben. Es machte sie nachdenklich, aber sie wollte sich nicht mehr davon ablenken und verschieben, was getan werden musste. Es ging einfach, einfacher, als sie erwartet hatte, aber irgendwie hatte sie auch schon erwartet, dass es so sein würde. Eine Unterschrift, und der Brief kam in den Umschlag. Morgen würde sie noch Briefmarken kaufen müssen, dann würde sie ihn abschicken. Sie lächelte, stand auf und sah aus dem Fenster. Es war schön hier. Zuhause.

Als sie sich schlafen legte, fuhr ein Zug vorbei. Das Haus stand direkt an den Gleisen, und das Viertel selbst war belebt, es war immer laut. Andere mochte das stören, aber sie liebte die Geräusche. Sie schlief stets tief, wachte zufrieden auf und machte sich wieder daran, das Beste aus den Tag zu holen. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie jeden Tag das Gefühl hatte, etwas geschafft zu haben. Sie hatte keine Zukunft, weil es noch keine Zukunft gab. Morgen war nur ein weiterer Tag. Und sie würde das Beste daraus machen. Oder, besser, ich würde meine Zukunft selbst schreiben? Keine Ahnung. Manch einer würde mich wahnsinnig nennen, wenn er wüsste, dass ich über mein Leben stets aus der dritten Perspektive nachdenke, einen Roman schreibe mit mir als Hauptperson. Aber bin ich das nicht? Die Hauptperson meiner eigenen Geschichte?



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