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Heimliche Hoffnung

von

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Familie

Mit einem Lächeln machte sich Jodie auf den Weg zum Büro des FBIs. Seit sie mit Shuichi zusammen war, kam sie wieder öfters ins Büro. Meistens zusammen mit Reiji. An Tagen wie heute war sie alleine. Zielstrebig ging Jodie in das große Gebäude, fuhr mit dem Aufzug nach oben und stolzierte zu Shus Büro. Sie klopfte kurz an und trat anschließend ein.

„Jodie…“ Shuichi sah sie überrascht an. „Haben wir einen Termin?“

Sie schüttelte den Kopf. „Brauch ich einen Termin um meinen Verlobten zu sehen?“ Jodie sprach gern von ihm als Verlobten. Verlobter. Es hatte einen anderen Klang als Freund. Aber noch besser fand sie: mein Ehemann.

„Um was geht es denn?“, fragte Akai. Er ging zu ihr und küsste sie kurz.

„Um die Hochzeit.“

Innerlich seufzte der FBI-Agent. Jodie wollte eine große Feier. Mit allem drum und dran. Shuichi fügte sich seinem Schicksal und machte Jodie alles möglich, was sie wollte. „Gibt es keine Blumen mehr?“

Jodie schüttelte den Kopf. „Wir müssen die Hochzeit verschieben.“

Akai sah sie fragend an. „Verschieben?“, wiederholte er. „Was ist los, Jodie?“, wollte er alarmierend wissen.

„Ich kann dich in sechs Monaten nicht heiraten.“

Shuichi musste schlucken. „Jodie…“ Sie hatte es sich die ganze Zeit so sehr gewünscht und nun wollte sie nicht mehr? Akai verstand die Frauen manchmal gar nicht.

„Wir müssen später heiraten“, fing Jodie an. „Ich mochte einfach nicht auf den Fotos aussehen wie ein ausgewachsener Wal.“

Shuichi sah sie skeptisch an. „Wal?“

„Shu, ich bin schwanger. Wir bekommen ein Baby.“
 

Jodie schreckte aus ihrem Traum hoch. Sie sah sich um, tastete ihre leere Bettseite ab und seufzte. Jodie war alleine. Langsam stand sie auf, machte sich fertig und räumte das, was am Tag zuvor liegen blieb, auf. Schließlich saß sie angespannt an ihrem Frühstückstisch. Warum wurde sie ausgerechnet jetzt von einem solchen Traum heimgesucht?

Immer mal wieder warf sie einen Blick auf ihr Handy.

Keine neue Nachricht.

Kein Anruf.

Das Handy blieb stumm. Genau wie Shuichi schwieg es sich aus. Wie so oft. Irgendwann würde er auftauchen. Und es wäre, als wäre nichts gewesen. Es war das, worauf Jodie die ganze Zeit wartete. Wartete und hoffte. Er sollte kommen. Sie endlich von dieser Qual erlösen und ihr die Chance geben sich zu erklären.

Natürlich konnte Jodie ihn in seiner Wohnung aufsuchen, konnte ihm die Pistole auf die Brust setzen und entscheiden, dass es Zeit war. Sie konnte sie vieles, aber nicht alles war realisierbar. Es war Shuichi der nun handeln musste. Er musste entscheiden wann er mit ihr reden wollte. Nach Annes falschem Geständnis war sich Jodie sicher, dass eine Aussprache nötig war.

Den ganzen Abend vorher hoffte die ehemalige Agentin, dass es an der Tür klingeln würde und Shuichi vor ihr stand. In ihren Vorstellungen würde er sie in den Arm nehmen, sie an sich drücken, küssen, festhalten, Reiji kennen lernen und für immer an ihrer Seite bleiben.

Es war ein Traum, genau wie der in der Nacht zuvor. Und wofür waren Träume da? Manche erfüllten sich, andere blieben auf ewig unerfüllt. Jodie hatte sich bereits viele Träume erfüllt. Sie war eine gute Schülerin, machte einen guten Abschluss, hatte später während der Studienzeit gute Noten, ging zum FBI und kam mit Shuichi zusammen. Nach der Trennung von ihm, wurde es wieder zu einem Traum. Genau wie ihr Traum, diejenige zu sein, die die Mörderin ihres Vaters hinter Gittern brachte. Es gab genug Träume, die sich nie für sie erfüllen würden. Und trotz allem hoffte Jodie noch immer.

Das Geräusch ihrer Finger, die leise auf dem Tisch klopften, riss Jodie aus ihren Gedanken. Sie sah auf ihren halbvollen Teller. Das Brot war angebissen, aber nicht aufgegessen. Der Tee nur zur Hälfte getrunken. Jodie verspürte keinen großen Hunger, blickte stattdessen erneut auf ihr Handy.

Immer noch nichts.

Sie seufzte, nahm das Handy und suchte Shuichis Nummer aus dem Telefonbuch heraus. Jodie starrte die Nummer an. Zahlen, die sie auswendig kannte und die sie doch nicht wählen konnte. Warum musste er sie nur immer wieder aus dem Konzept bringen? Ihre Hoffnungen wecken?

Die Gefühle hätten vor langer Zeit verstummen sollen, trotzdem waren sie immer präsent und manifestierten sich. Sie wollten nicht weg gehen und flammten bei jeder Begegnung mit Shuichi erneut auf.

In Japan agierte Akai oftmals eigenständig, ließ sich manchmal Wochen nicht mehr blicken und kam am Ende mit Ergebnissen zu einberufenen Besprechungen. Jedes Mal, wenn sie glaubte die Gefühle besiegt zu haben, traf sie auf ihn. Und alles ging von vorne los. Jodie kam einfach nicht über ihn hinweg. Er war ihr Schicksal. Ihr Seelenverwandter. Ihre große Liebe.

Die ehemalige Agentin seufzte leise auf. Sie lehnte sich nach hinten und schloss die Augen. „Ach Shu“, murmelte sie leise. Wieso konnte es nicht einfach enden? Sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende. Ein Märchen…

Jodie öffnete ihre Augen, als die Haustür klingelte. Einmal. Zweimal. „Anne.“ Jodie stand auf und ging langsam zur Haustür. Sie hatte überhaupt keine Lust auf die leidigen Diskussionen, öffnete trotzdem die Tür.

Mit offenem Mund stand sie da. Überrascht. Aufgewühlt.

Er war hier. Er allein. Und es war definitiv kein Traum. Jodie war wach. Sie versuchte etwas zu sagen, doch kein Wort verließ ihren Mund. Jodie war kein Mensch, der sich ausschwieg. Sie hatte immer ein Wort parat, aber jetzt war sie stumm. In ihren Vorstellungen hatte sie genügend Sätze auf Lager. Aber jetzt? Ihr Kopf war leer. Sie war sprachlos.

„Du wolltest reden“, gab Akai knapp von sich. Er bewegte sich auf sie zu.

Jodies Herz klopfte. Laut. Lauter. Es schrie förmlich nach ihm.

„Jodie?“

Die Angesprochene nickte und beobachtete jeden seiner Schritte. Langsam trat sie nach hinten, während Shuichi die Wohnungstür schloss und sich ihr wieder zuwandte. In ihrem Kopf drehte sich alles und ihre Knie wurden weich. So vieles war ungesagt. So vieles lag ihr auf den Lippen. Und trotz allem war sie nur in der Lage in anzustarren.

„Jodie?“

Die ehemalige Agentin schüttelte kaum merklich den Kopf, schüttelte ihre Gedanken beiseite und besah sich wieder auf das, was nun der Fall war. Shu war da. Bei ihr. Der Zeitpunkt war da. Er würde von seinem Sohn erfahren, würde das Für und Wider abwägen und schließlich die Konsequenzen aus ihren Handlungen ziehen.

„Shu“, wisperte sie leise.

Er nickte. „Ich bin da.“

„Du…du bist…wirklich gekommen…“

Er sah sie stumm an, wartete ab.

Jodie konnte es kaum glauben. Ihr gesamter Körper spannte sich an. Minimal bewegte sie sich auf ihn zu. Zuerst langsam, dann schneller. Zum Schluss lagen ihre Lippen auf seinen. Sie küsste ihn. Sie musste ihn einfach küssen. Jodie küsste ihn so leidenschaftlich wie noch nie zuvor. Sie kostete en wohlbekannten Geschmack von Vanille und Rauch.

Jodie wollte mehr. Viel mehr. Ihr Körper bebte und hatte nur einen Wunsch. Sie wollte ihn. Sie wollte ihn so sehr. Wie aufs Stichwort hob Shuichi sie hoch. Er legte ihre Beine um seine Hüfte, drückte sie enger an sich und suchte sich seinen Weg. Das Schlafzimmer war zu weit weg, sodass er Jodie auf das Sofa im Wohnzimmer legte. Er beugte sich über sie und küsste sie erneut. Auch er wollte mehr. Jetzt.

Shuichis Bedenken, die er einige Stunden zuvor an den Tag legte, waren weggewischt. All das zählte nicht mehr. Er musste im hier und jetzt leben. Und in jenem Moment war sein Verlangen das wichtigste. Shuichis Hand suchte sich bereits den Weg an Jodies Kleidung vorbei. Er berührte ihre nackte Hauf auf dem Bauch und wollte jede Stelle ihres Körpers berühren. Mit Händen und mit Lippen. Er wollte sie. Ohne Rücksicht auf Verluste.

Nach all den Jahren konnte er nun endlich seinem eigenen Verlangen nachgeben, konnte der sein, der er sein wollte und tun, was er immer tun wollte. Ohne Konsequenzen. Ohne Sorgen. Seit die Organisation nicht mehr existierte, fiel ihm ein Stein vom Herzen. Sein Herz durfte wieder atmen und er seinen Gefühlen nachgehen.

Eigentlich…

Wären da nicht zwei Personen, die er die ganze Zeit über beiseite schob. Reiji. Und Jodies Kind. Sie waren noch immer existent, selbst wenn Jodie den ersten Schritt machte.

Das Wimmern des Babys machte Shuichi auf die Situation erneut aufmerksam. Der Agent ließ von seiner Ex-Freundin ab. Mehrere Sekunden sah er in ihre tiefblauen Augen, ehe er schließlich aufstand. Er war zu weit gegangen. Es war nicht Jodies Schuld. Es war seine. Er hätte sie aufhalten sollen. Sie wegdrücken, es beenden, gehen…aber stattdessen gab er seinen Gefühlen nach.

Aber eines durfte nicht geschehen. Jodie durfte die Menschen, die ihr wichtig waren, nicht enttäuschen. Sie durfte keinen Fehler begehen und sie durfte sich nicht auf ihn einlassen. Shuichi musste derjenige sein, der nicht aus Selbstsucht handeln durfte. „Du solltest nach dem Baby sehen.“

Jodie schluckte. Sie setzte sich auf. Obwohl ihr bekannt war, dass Shu von einem Baby in ihrem Leben wusste, waren seine Worte fremd. Jodie nickte und stand auf. Sie schob sich das Oberteil herunter und atmete tief durch. „Warte…bitte…“

Akai nickte und ließ sich auf das Sofa zurück fallen, während Jodie zu ihrem Sohn ging.

Sie beugte sich über das Bettchen und lächelte. „Guten Morgen, mein Schatz“, sprach sie und nahm Reiji aus seinem Bett. Er blickte sie verschlafen an, wimmerte aber weiter. „Wir machen dich jetzt erstmal fein, ja? Der Papa ist da“, erzählte sie ihm. Jodie musste einfach lächeln, während sie ihrem Sohn die Windel wechselte und ihm einen neuen Strampler anzog. Es musste perfekt werden. „Jetzt zeigen wir uns von unserer besten Seite.“ Jodie nahm Reiji hoch und strich ihm über den Rücken. Sie ging aus dem Raum und im Flur der Wohnung, atmete sie tief durch. Nun war es soweit.

„Shu…“ Jodie sah sich um. Er war weg. Einfach so gegangen. Jodie schluckte. Sie war traurig und blickte zu Reiji. „Es tut mir so leid“, wisperte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Sie hatte ihre Chance. Und sie hatte sie verpasst.
 

Keine zwei Minuten später öffnete sich die Tür des Balkons. Shuichi kam rein und starrte auf das, was sich ihm bot. Jodie und das Baby. Sie sah wie eine richtige Mutter aus. Eine, die ihr Kind vor jedem Leid schützte, die für ihn da war und sich um ihn kümmerte.

„Shu…“

„War eine Rauchen“, gab der Agent von sich.

Jodie war erleichtert. Dann aber ärgerte sie sich, dass sie nicht an seine Zigaretten dachte. Als hätten sich seine Rauchgelüste im letzten Jahr geändert.

„Ich sollte gehen, ehe dein Freund aufwacht oder wiederkommt.“

„Nein…das ist nicht so…Shu…ich…ich hab keinen Freund.“

„Okay.“

Okay? Das war alles? Er sagte einfach nur Okay? Kein: Großartig, lass uns zusammen sein? Nur ein Okay? Ein Okay, das nicht viel Spielraum für Interpretationen gab.

„Bist du glücklich?“

Jodie sah ihn überrascht an. Wollte er wirklich nur das wissen? „Ich…“, setzte sie an und sah zu Reiji. „Reiji ist einfach wunderbar. Natürlich bin ich glücklich, weil ich ihn habe.“

„Das ist gut“, antwortete Akai ruhig. „Reiji…du hast deinem Sohn einen japanischen Namen gegeben“, entgegnete er. Er musterte den Jungen. Das war er also. Reiji. Derjenige, der ihm seine größte Schwäche offenbarte. Reiji, der ihm zeigte, welche Schmerzen Jodies Verlust ihm einbrachte. Und jetzt stellte sich Reiji als Baby heraus. Hätte er es nur eher gewusst. Er hätte anders gehandelt. Sicherer. Weniger besorgt um Jodie. Stattdessen war sie aus heiterem Himmel Mutter geworden. „Wer ist der Vater?“, wollte er dann wissen.

Shuichi versuchte gleichgültig zu klingen. Seine Gedanken aber schweiften andauernd ab. Was wäre wenn? Hätte er überhaupt anders handeln können? Hätte es was gebracht? Wären sie zusammen? Glücklich? Zufrieden? Eine Familie?

Shuichi sah erneut zu dem Jungen. Wo war sein Vater? Wer war sein Vater? Ein wildfremder Japaner? Shuichi kannte Jodie gut genug um zu wissen, dass sie nicht mit jedem Mann ins Bett ging. Obwohl man Amerikanern nachsagte, dass sie beziehungstechnisch, aber auch sexuell für alles offen waren, gehörte Jodie in eine ganz andere Kategorie. Sie trug zwar gerne enge Kleider, kurze Röcke, ließ sich auf nie auf einen anderen Mann ein.

Viel Spielraum blieb Shuichi somit nicht mehr. Sein Blick blieb bei Reiji haften. Seine schwarzen Haare erinnerten ihn an sich selbst. Statt grünen Augen erbte er die tiefblauen Augen seiner Mutter. Konnte es etwa sein…? War er…?

„Bin ich…?“

„Ja.“

Shuichi schluckte. Wieder vergegenwärtigte er sich, dass Jodie Mutter geworden war. Und er Vater. Es war das, was er sich bei Jodies und Reijis Anblick im Park wünschte. Nun, wo es real wurde, breitete sich ein Unbehagen in ihm aus. Er war Vater. Ausgerechnet er. Er, der keine Kinder wollte.

Shuichi kam näher. „Deswegen bist du also aus Japan weggegangen.“

Jodie nickte. „Zwei Monate nach unserer gemeinsamen Nacht erfuhr ich, dass ich schwanger bin. Ich wollte es dir die ganze Zeit sagen…aber du warst immer noch in deiner Verkleidung und hast gegen die Organisation ermittelt. Ich habe lange überlegt, Shu, und ich habe mir verschiedene Szenarien ausgemalt. Sie alle endeten mit dem Tod. Deswegen habe ich mich entschieden, Japan zu verlassen und mein Baby hier zur Welt zu bringen. Ich dachte, dass ich hier, weitab vom Kampffeld, sicher bin….das er sicher ist. Glaub mir, es war nicht einfach. Ich wollte dich jeden Tag anrufen, dir eine Nachricht schreiben und dir sagen, dass ich ein Kind von dir erwarte. Ich hab mir gewünscht, dass du bei mir bist…aber ich wusste, dass du deine Verkleidung für uns aufgeben würdest. Vielleicht wäre es in den ersten Wochen gut gegangen, aber irgendwann würdest du mich dafür hassen…“

„Jodie…“, murmelte der Agent. Erst jetzt verstand er ihre Sorgen und die Gedanken, die sie sich machte.

„Ich kenn dich, Shu. Du hättest das Richtige getan. Du hättest zu mir und zu dem Baby gestanden, vielleicht wärst du sogar mit uns weggegangen. Oder ich wäre in Japan geblieben. Egal was es gewesen wäre, wir wären von der Organisation gejagt…und wer weiß, was dann Reiji passiert wäre.“ Sie sah ihn entschuldigend an. „Deswegen hab ich entschieden, dass es das Beste ist, wenn ich geh…immerhin bin ich nicht nur für mein Leben verantwortlich…“

„Verstehe.“

Verstehe? Erst Okay und jetzt verstehe? War das alles? Kein Vorwurf? Keine Reaktion? Kein Kommentar, dass er einen Sohn hatte?

Leicht misstrauisch sah Akai zu Reiji. „Ich hab seinen Namen vor einigen Wochen am Telefon gehört.“

Jodie nickte. „Das hab ich von Camel auch gehört.“

Shuichi verengte die Augen. „Wer wusste alles, dass ich Vater geworden bin?“ Seine Stimme war kühl und rauer als zuvor.

„Nur James und einige Vorgesetzte. Falls du darauf hinaus willst, dass Camel über die Schwangerschaft Bescheid wusste, kann ich dir versichern, dass er überhaupt keine Ahnung hatte. Er kam mich vor einigen Tagen besuchen und hat dabei Reiji kennen gelernt. Ich bat ihn, dass er dir nichts sagt. Ich wollte es dir selber sagen, Shu.“

„Verstehe.“

Schon wieder. „Und was denkst du?“, fragte Jodie vorsichtig.

Shuichi zuckte mit den Schultern. „Es war gut, dass du keinem etwas über deine Schwangerschaft erzählt hast. Damit hättest du dich, wie du richtig meintest, nur in Gefahr gebracht. Wir wissen Beide was die Organisation getan hätte. Du wärst das perfekte Opfer für sie.“

Jodie musste schlucken.

„Ich hätte es wahrscheinlich nicht anders gemacht. Manchmal muss man Menschen, die einem etwas Bedeuten, anlügen, nur um sie oder andere geliebte Personen zu schützen. Manchmal dient es sogar zu seinem eigenen Schutz. Aber ich muss zugeben, dass es bitter war seine eigene Medizin zu kosten. Jetzt weiß ich, wie du dich gefühlt hast, wenn ich eigenmächtig gehandelt hab. Es tut mir leid.“

Jodie sah ihn erstaunt an. Wenn sich ein Shuichi Akai entschuldigte, dann hatte es auch was zu bedeuten.

„Ich bin also Vater.“

„Ja…das bist du“, murmelte sie leise. Begeisterung sah wahrlich anders aus. „Ich weiß, ich hab dich damit überrumpelt. Und ich weiß auch, dass du keine Kinder willst, aber ich konnte doch nicht…“

„Das hab ich auch nie verlangt und das würde ich auch nie von dir verlangen“, entgegnete Shuichi. „Es ist ungewohnt auf einmal Vater zu sein.“

Jodie nickte. „Aber man gewöhnt sich schnell daran, nicht wahr, Spatz?“

Reiji gluckste vor sich hin.

„Ist er…pflegeleicht?“

Jodie hob die Augenbraue. „Ist das eine ernstgemeinte Frage?“ Jodie konnte es nicht glauben. Er stellte Fragen mit denen sie nie im Leben rechnete. „Er weint ab und an. Aber das ist normal. Dann hat er Hunger, braucht eine neue Windel oder möchte einfach nur ein wenig bespaßt werden. Man findet schnell heraus, was er will. Das Weinen ist dann jedes Mal anders.“

Akai nickte nur. „Wann kam er zur Welt?“

„Am 13. Mai“, antwortete Jodie. „An einem Freitag. Es war eine normale Geburt…naja einige Stunden wehen, aber ich hab es geschafft. Es war so ein schönes Gefühl, ihn endlich im Arm zu halten.“

„Gut…“, entgegnete Akai ruhig. Und er war nicht dabei gewesen. Jodie hatte Schmerzen, während er auf einem anderen Kontinent war. Er hatte nicht ihre Hand gehalten, hatte ihr nicht gut zugeredet, hatte die Geburt seines Sohnes verpasst. Er bekam seinen ersten Schrei nicht mit, sah nicht, wie Reiji das erste Mal die Augen öffnete, lächelte, schlief, sich umdrehte und und und. Die Situation überforderte ihn. Er kam mit allem klar. FBI. CIA. Organisation. Verschiedene Menschengruppierungen. Aber ein Baby…ein Baby war eine ganz andere Geschichte. Es konnte sich nicht artikulieren, weinte und man musste meistens raten, was es gerade wollte.

„Ich hab mir so oft vorgestellt wie es ist, wenn du hier her kommst und das erste Mal auf deinen Sohn triffst…“, fing Jodie an.

„Tut mir leid.“

„Mhmm?“

„Ich handel doch sicher nicht so, wie du es dir vorgestellt hast“, entgegnete er.

„Das ist schon in Ordnung. Du musst dich erst einmal daran gewöhnen, dass du einen Sohn hast…also wenn…du uns in deinem…Leben haben willst.“

„Natürlich“, kam es sofort von ihm. Shuichi sah zu Reiji, dann zu Jodie. „Ihr seid meine Familie.“

Ihr.

Shuichi sagte es ganz deutlich. Und er meinte sie beide. Aber war es auch wirklich so, wie sie dachte? „Meinst du…wir könnten es noch einmal miteinander versuchen?“ Jodie machte sich bereits auf eine Ablehnung bereit. Eine, die sie in den letzten Jahren so oft zu hören bekam.

„Ja.“

Überrascht sah sie ihn an. Damit waren sie nun ein Paar? So einfach ging es? Organisation vernichten und Shu fragen? Hätte er da nicht eher sagen können? „Ich hab gehört, was aus der Organisation geworden ist.“

Akai nickte. „Wir haben ihre Namen und konnten einige hochrangige Mitglieder verhaften. James hat sich um ihren Boss gekümmert.“

„Wer war er?“

„Niemand, der uns bekannt ist. Er ist ein reicher Unternehmensberater aus den Staaten, der es sich in Japan gemütlich gemacht hat. Ein alter Kauz, der hoffte, dass er durch verschiedene Forschungen sein Leben noch irgendwie verlängern kann. Und nun sitzt er hinter Gittern.“

„Das ist gut“, sprach Jodie leise. „Und Vermouth ist…“

„Vermouth ist letzten Endes beim Zugriff entkommen. Sie wollte ein Treffen mit mir in New York.“ Akai schnaubte. „Das CIA hat sich eingemischt und die Situation ist eskaliert. Du bist jetzt in Sicherheit, Jodie. Du und Reiji. Sie kann und sie wird euch nie wieder irgendwas tun.“

Jodie lächelte. Es war vorbei. Endlich. Nach so vielen Jahren war der Schatten über ihrem Leben verschwunden.

„Ich konnte mein Versprechen nicht halten.“

„Dein Versprechen?“ Jodie sah ihn überrascht an. „Ja, ich erinnere mich. Du wolltest derjenige sein, der sie verhaftet und hier ins Gefängnis steckte.“

Akai nickte. „Ich hab es nicht geschafft.“

„Du hast uns in Sicherheit gebracht“, warf Jodie ein. „Du hast so viel für uns getan. Für uns und für unsere Sicherheit. Jetzt ist es vorbei.“

„Du hast Recht.“

Jodie sah zu Reiji. „Möchtest du ihn mal nehmen?“

Shuichi musterte den Kleinen. Auf Jodies Arm war er ruhig. Aber würde er das auch bei ihm sein?“

„Du musst nicht, wenn du nicht willst. Wir können uns auch erst setzen und du nimmst ihn dann…“

Akai nickte und setzte sich auf das Sofa. „Ich nehm ihn.“ Vorsichtig legte Jodie ihm ihren gemeinsamen Sohn in den Arm. Sie lächelte.

„Schau mal mein Schatz, nun bist du bei dem Papa.“

Reiji gab einige Geräusche von sich. Wieder war es ein Glucksen.

„Was hat er denn?“

„Keine Sorge. Er will sich einfach nur bemerkbar machen“, antwortete Jodie und strich Reiji über die Wange. „Du freust dich, dass der Papa nun da ist, nicht wahr? Du willst seine Aufmerksamkeit haben, du kleiner Schlingel.“ Jodie kicherte.

Ein leichtes Lächeln huschte über das Gesicht des FBI-Agenten. „Er ist so…unbekümmert.“

„Ja, das ist er.“ Jodie setzte sich zu den Beiden. „Er sieht dir ähnlich.“

„Findest du?“

„Natürlich. Schau ihn dir doch an, Shu. Er hat die gleichen schwarzen Haare wie du.“

„Und deine Augen“, kam es dann von ihm.

„Irgendwas muss er ja von mir haben.“

Shuichi schwieg.

„Aber eines fehlt noch.“

„Mhmm? Was meinst du?“

„Die Mütze.“ Jodie wies auf die Strickmütze auf seinen Kopf. „Mit der würde er dir sicher noch mehr ähneln.“

„Wenn du eine in seiner Größe findest.“

„Und wenn nicht, bekommt er einfach deine Mütze.“ Jodie griff an seinen Kopf und zog die Mütze runter. Sie betrachtete diese, strich über sie und hielt sie dann vor Reiji.

„Was wird das?“

„Und Reiji, was denkst du? Gefällt dir Papas Mütze? Magst du auch so eine haben?“, wollte sie von ihm wissen.

Reiji streckte die Hand aus und hielt die Mütze fest. Wieder gluckste er.

„Mhmm…“, murmelte Shuichi. Er beobachtete das winzige Leben in seinen Händen ganz genau. Reiji war so klein, so friedlich und er musste beschützt werden. Von ihm.

„Ich denke, das ist eine Antwort“, schmunzelte Jodie.

„Dann kann er sie behalten.“

Wie aufs Stichwort öffnete Reiji seinen Mund und nahm die Mütze in diesen. Sofort benetzte er diese mit seinem Babysabber.

„Jetzt kann er sie auf jeden Fall behalten.“

Jodie lächelte. „Ein kleiner Akai eben.“

Shuichi sah zu ihr hoch. „Ich sabber nicht in meine Mütze.“

„Wer weiß, vielleicht hast du es ja früher gemacht, als du noch jünger warst.“

„Das glaub ich nicht“, kam es von ihm. „Zum Glück gibt es kaum Fotos von mir.“

Jodie lehnte sich nach hinten und beobachtete ihre beiden Männer. Fotos. Shuichi hatte recht und erinnerte sie an eine Kleinigkeit. „Apropos Fotos. Wenn du nachher magst, können wir ein paar Fotoalben anschauen. Ich hab einige angelegt über seine Entwicklung, sowohl in der Schwangerschaft als auch danach.“

„Gern“, sprach der Agent ruhig. Er konnte den Blick kaum von Reiji lassen. Reiji. Das kleine Wunder. Er bestand zu 50% aus Jodie und zu 50% aus Shuichi. Er brachte in dem Agenten Gefühle hervor, von denen er nicht einmal ahnte, dass sie da waren. Reiji war etwas Besonderes. Er war sein Sohn. Sein.
 

Friedlich blickte Shuichi zu seinem Sohn. Fünf Minuten hielt er ihm im Arm, ehe Reiji einschlief. Dass es in Wahrheit allerdings zwei Stunden waren, bemerkte er nicht. Die Zeit lief so unglaublich schnell. „Ich sollte ihn lieber ins Bett legen.“

Jodie nickte und stand auf. „Ich zeig dir wohin es geht.“ Jodie stand auf und sah aus dem Augenwinkel zu ihm. Es war das erste Mal, dass Shu mit seinem Sohn aufstand. Sie achtete auf jeden seiner Schritte und hatte dabei immer wieder einen Blick auf Reiji.

Shuichi stand ebenfalls auf. Langsam und vorsichtig. Anschließend folge er Jodie in das Zimmer, beugte sich dort über das Babybettchen und legte Reiji vorsichtig rein.

Jodie legte die Decke über den Kleinen und beobachtete ihn eine Weile. Noch immer hielt Reiji die schwarze Strickmütze fest in seiner Hand. Reiji machte dem, was sie am Tag seiner Geburt verspürte, alle Ehre. Er war atemberaubend und zog Shuichi in seinen Bann.

Jodie lehnte sich an Akai. An ihren Freund. Ein Wort, welches noch immer befremdlich war. „Die Mütze wirst du wohl nie wieder zurück bekommen.“

„Das ist nicht wichtig“, gab Shuichi von sich. Er legte den Arm um Jodie und drückte sie an sich. Es war also soweit. Sie hatten endlich ihr Happy End. Nach all den Jahren fanden sie noch immer zueinander. In guten, wie in schlechten Zeiten. Nichts konnte sie trennen oder voneinander fernhalten. Und dieses Mal würde Shuichi kämpfen. Für sich. Für sie. Für Reiji. Sie waren seine Familie. Shuichi würde nicht mehr los lassen. Nicht verlieren. Jetzt kam die Zeit in der er glücklich sein konnte.

„Und wie findest du deinen Sohn?“, wollte Jodie wissen.

„Er ist perfekt.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe, euch hat Heimliche Hoffnung gefallen. Ich kann selbst noch nicht glauben, dass es schon vorbei ist. Wobei ich euch ein kleines Geständnis machen muss. Geplant waren eigentlich nur 7 Kapitelchen. Und nun sinds doch 16 geworden. Vielen Dank an alle Leser und Kommischreiber. Ich hoffe, euch gefiel das Ende. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Schneehasi
2016-07-17T09:36:22+00:00 17.07.2016 11:36
Ich weiss nicht mehr, wann ich zuletzt eine Fanfic innerhalb wenige Stunden durchgelesen hatte. Zusammengefasst: ich bin total begeistert und verstehe nicht, dass es zu dieser tollen Geschichte nicht mehr Reviews gibt! So oder so ähnlich könnte es gegen Ende von Detektiv Conan zugehen. Dass ich ein grosser Shuichi Fan bin, muss ich glaube ich nicht erwähnen. Du hast ihn so dargestellt, als wäre er aus dem Manga entsprungen und ich bin froh, dass es hier nicht zu einem kitschigen Ende gekommen ist. "Er ist perfekt." - ein besserer Schlusssatz gäbe es wohl nicht. Schlussendlich hoffe ich, dass Shu und Jodie im Manga wieder zueinander finden, sie ist ihm jedenfalls nicht egal und dass sie noch Gefühle für ihn hat, ist doch nicht zu übersehen :)

Dein Schreibstil ist sehr angenehm zu lesen und ich habe jedes Kapitel mit Freude gelesen, weiter so!

Tut mir leid, einen längeren Kommentar kriege ich wohl nicht getippt, liegt wohl einfach dran, dass ich zu meiner Schande sehr kommentierfaul bin, aber zu dieser Geschichte musste ich einfach nur meine Begeisterung mitteilen.

Liebe Grüsse
der hase
Antwort von:  Varlet
17.07.2016 11:46
Danke für deinen tollen Kommentar.
Genau wie du, bin auch ich ein großer Shu Fan und ich freu mich immer wieder, wenn es neue Files im Manga gibt, wo er auftritt.
Ich hoffe auch, dass sich zwischen Shu und Jodie im Manga noch irgendwas entwickelt. Ich wäre aber enttäuscht, wenn es nach dem Ende der Organisation einen Zeitsprung gibt, wo dann gesagt wird, das Shu und Jodie zusammen sind. Wenn sich Gosho schon Mühe gibt und alle Nebencharas bei der Polizei kuppelt, dann soll er das auch bei Jodie und Shu machen.

Freut mich, dass dir die FF gefallen ^^
Von:  Avialle
2016-04-24T11:13:53+00:00 24.04.2016 13:13
Der Traum am Anfang war fies
Da war alles so perfekt - naja, vielleicht wars deswegen auch ein Traum. ZU perfekt...
Dafür das Akai eig was in der Birne hat, hat er aber gebraucht um das mit dem Wal zu verstehen
Kann man als weiteren Hinweis werten, das es ein Traum ist
Schon gemein, warum hat er mehrmals geklingelt? Da hat sie ja nicht mit ihm gerechnet und ist total überrumpelt
Fehlt nur, das ihr wie bei einem Fisch der Mund auf und zu klappt...
o.o Okay. Die haben zwar jede Menge Redebedarf, aber erst Mal küssen und ab auf die Couch...
Yay...
Na, aber immerhin hat Reiji seine Eltern unterbrochen. Das nennt man wohl Timing
Du kannst es echt nicht lassen, was?
So kurz davor und dann lässt du es so aussehen, als wäre Akai doch gegangen
Naja, ist er auch, aber halt nur auf den Balkon und nicht wie gedacht aus der Wohnung...
Gutgut. Shu kam immerhin von alleine drauf, das nur er seine Soldaten bei Jodie ins Rennen hat schicken können *zufrieden nick* Also issa doch net auf den Kopf gefallen in der Zwischenzeit
Seine einsilbigen Antworten aber... Gut, ich glaube er ist kein Char von dem man einen Freudentanz erwarten kann, aber nen bisschen mehr... Das ist doch echt frustrierend
Wobei es schon heftig ist, dass er seine Schwäche zugibt und sich entschuldigt
Dazu gehört auch so einiges
Ich schmeiß mich weg! Pflegeleicht? Ernsthaft? Ich fall gleich vom Stuhl vor lachen!
Und auch dieses... FBI, CIA - alles easy peacy aber dann Hilfe ein Kind, was mach ich bloß damit?
Ok, ich weiß, nicht lustig und so weiter, aber...
Aber dieses "So einfach ist das? Orga vernichten und fragen?" - zum Schießen!
Ist das süüüüß. Da sabbert der Kleine einfach mal Papas Mütze voll
Wenn ich mir das bildlich vorstelle... Ich kicher mir echt einen ab!
Wat nen Ende, das haste fein gemacht mein Lamm
Antwort von:  Varlet
24.04.2016 20:40
Danke für den Kommentar. Der is ja mal...lang. Und ja ich geb zu, zeitweise war ich wirklich gemein :D
Shu ist eben toll. Genau wie Jodie. Und als paar sind die beiden doch perfekt.
ich fand den kleinen auch in meiner Vorstellung mit Shus Mütze so niedlich. Das gesamte Kapitel zu schreiben das war generell sehr leicht. Es lief nur so...aber ich bin auch ein wenig traurig, dass es nun zu Ende ist. Aber leider hat alles mal nen Ende
Von:  minikid
2016-04-24T11:05:27+00:00 24.04.2016 13:05
Oooh, schon fertig?
Naja, musste ja irgendwann kommen
Danke für so eine schöne Geschichte, ich habe jeden Tag nachgesehen, ob es ein neues Kapitel gibt.
Antwort von:  Varlet
24.04.2016 20:38
Vielen dank für den lieben Kommentar


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