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Urlaubsreif^3

Die Zwei machen mich fertig!
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
So... Es geht endlich weiter.
Ich wünschte, ich könnte Seelendieb die Schuld für die lange Verzögerung geben - sie trägt allerdings nur die Verantwortung für die letzten eineinhalb Monate, die ich auf das Korrekturlesen gewartet habe. Zum Rest kann ich nur sagen: das Leben ist manchmal echt kompliziert, sogar in den schönen Phasen.

Wer auch immer noch von meiner Leserschaft da draußen ist: Viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen

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Donnerstag 4.8.

Der Druck auf seiner Brust wurde stärker. Allmählich hatte er das Gefühl kaum noch Luft zu bekommen. Sein Unterbewusstsein schrie in seine Träume hinein, er solle endlich aufwachen. Aber er träumte doch gerade so schön! Zwecklos. Auch beim Träumen musste die Atmung funktionieren.

Panisch schlug Seto die Augen auf und sah nur blonde Haare. Mit aller Kraft atmete er gegen das unerwartete Gewicht auf seiner Brust ein und versuchte mehr zu erkennen. Joe lag halb auf ihm, den Kopf auf seiner Brust, mit dem linken Arm und dem linken Bein hatte er ihn umklammert. Immer noch bekam Seto kaum Luft. Es half also nichts. So süß er es auch fand, dass sich der andere so eng an ihn gekuschelt hatte, er musste ihre Position ändern. Dringend!

Irgendwie gelang es ihm, sich auf den rechten Ellenbogen zu stemmen und das Bein anzuwinkeln. Joe kippte zur Seite, runter von ihm, und blieb dort selig schlummernd liegen. Jetzt war natürlich Setos linker Arm unter ihm eingeklemmt, dafür konnte er aber wieder frei atmen. Gierig sog er die Luft ein und beruhigte sich endlich. Schließlich war er soweit, dass er den Blick vom nächtlichen Meer nehmen konnte und ihn auf sein Hündchen richten konnte. Sanft strich er ihm über die Wange und ein paar Strähnen, die sich in sein Gesicht verirrt hatten, aus dem Gesicht.

„Wenn man dich hat, braucht man wohl keinen Wecker“, stellte er trocken fest und Joe grummelte als Antwort etwas Unverständliches, bevor er sich Setos Hand schnappte und vor seine Brust zog. Nach einer Weile flatterten seine Augenlider und er blickte schlaftrunken Seto an, der nicht mehr eingeschlafen war.

„Guten Morgen“, nuschelte er und drückte Seto eine Kuss auf die Lippen. Anschließend griff er auf dem Nachttisch nach seiner Uhr, runzelte die Stirn als überlege er und fragte munter: „Was willst du in der halben Stunde, die wir noch haben, machen?“

„Es ist draußen noch dunkel.“

„Ist mir durchaus bewusst, aber ich muss heute wieder früher anfangen zu arbeiten. Also, wonach steht dir der Sinn?“
 

Als Joe aufstand, war Seto inzwischen auch so vollgepumpt mit Adrenalin und Endorphinen, dass es ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen wäre, liegen zu bleiben. Also stand er ebenfalls auf und aß mit ihm ein wenig Müsli und trank den selbst für seine Verhältnisse starken Kaffee. Der Hotelmanager verabschiedete sich mit einem langen Kuss und flüsterte gegen seine Lippen, dass er sich freuen würde, ihn beim Mittagessen zu sehen.

So weit, so gut. Doch die Sonne zeichnete sich gerade erst als silberner Schimmer am Horizont ab. Was sollte er mit der ganzen Zeit anstellen? Um Zeit zum Überlegen zu schinden, duschte er kurz und zog sich dann eine leichte Stoffhose und ein Hemd an. Barfuß ging er in den Flur und aus der Haustür hinaus. Den Schlüssel in der Hosentasche, zog er sie hinter sich zu und ging hinunter zum Strand. Das Meer zu seiner Rechten spazierte Seto gemütlich nach Norden. Die Morgenluft war kühl, doch der Sand unter seinen Füßen sprach von den Temperaturen der letzten Tage. Mit jedem Schritt ließ er seine Gedanken weiter schweifen, ließ zu, dass sein Kopf mehrere Minuten lang völlig leer war, bevor er sich wieder einem Thema zuwandte, das ihm spontan in den Sinn kam. Mit einem Lächeln musste er daran denken, dass er diesen Spaziergang bereits vor einem halben Jahr gemacht hatte. Aber wie viel hatte sich in der Zeit verändert! Wie sehr hatte er sich verändert!

Die Sonne verwandelte den Strand in eine Fläche aus Gold und er ging weiter, immer tiefer in seinen Gedanken versinkend. Er hatte einiges getan und geändert, um endlich bei Joey Wheeler sein zu können. Mehr als er jemals für möglich gehalten hätte. Und doch wäre all das umsonst, wenn er sich nicht bald sicher wurde, wie er das Ganze fortführen wollte. In zwei Tagen würde er mit Mokuba wieder nach Domino fahren und dann? Pegasus hatte Recht, er musste sich damit auseinander setzen. Was wollte er? Und wie könnte er es erreichen? Er hatte keine Ahnung oder konnte es zumindest nicht in Worte fassen. Und selbst, wenn er es könnte. Er trug Verantwortung, nicht nur für sich, sondern auch für die Angestellten seiner Firma, für Mokuba. Aber Mokuba war mittlerweile erwachsen und würde wohl auch bald anfangen wollen, sein eigenes Leben zu führen. Er würde irgendwann mit Midori zusammenziehen, eine Familie gründen. Seinen großen Bruder würde er dann hauptsächlich während der Arbeit sehen. Würde es ihm überhaupt gefallen, auf ewig die Nummer Zwei hinter ihm zu bleiben? Würde er sein eigenes Unternehmen aufbauen, um eigene Erfahrungen zu sammeln, etwas eigenes zu haben?

Beinahe wäre Seto in den Sand gestürzt, weil er so abrupt stehen blieb. Es war zwar noch keine Lösung, aber wenigstens eine Idee. Seine Wünsche konnte er zwar immer noch nicht klar formulieren, aber das musste er momentan noch nicht. Mit teils leichterem teils bangem Herzen drehte er um und genoss die frühe Morgensonne auf seinem Gesicht, während er zurück lief.
 

Dass er die Höhe der Häuser erreicht hatte, bemerkte er auf überraschende Weise. Ein kleines Mädchen von vielleicht fünf stürmte laut lachend vor ihm auf den Strand. Verdutzt hob er den Blick und sah den Vater, der dem Energiebündel nach stürmte, bewaffnet mit Schippe und Sandförmchen, und die Mutter, die lächelnd an der Terrassentür stand. Seto hob zum Gruß die Hand und ging dann weiter. Beinahe hatte er vergessen, dass Joe Hauptsaison hatte und demzufolge auch die restlichen Häuser belegt waren. Auch hatte er vergessen, dass es normale Leute gab, die hier ihren Urlaub verbrachten. Ein Stück weiter ging er quer über den Strand Richtung Hauptgebäude. Wahrscheinlich würde er Mokuba erst wecken müssen, um mit ihm über seine Idee zu reden. Aber vorher sollte er sich den Sand von den Füßen rubbeln, sonst würde er unter Garantie Ärger mit irgendeinem Mitglied des Teams bekommen.

Doch es kam anders. Im Pool zog eine Person kraulend ihre Bahnen, die Seto zwar wahrnahm, aber erst erkannte, als sie ihm laut „Seto!“ hinterher brüllte. Erschrocken fuhr er herum und starrte in Mokubas grinsendes Gesicht.

„Schon so früh wach?“, wollte er wissen, während sein Bruder sich am Beckenrand hochzog, sich sein Handtuch von der Liege nahm und um den Nacken legte, damit ihm nicht ständig das Wasser aus seinen Haaren den Rücken hinunter lief.

„Das Gleiche könnte ich dich fragen. Schließlich bist du der Langschläfer von uns beiden.“

„Aber auch nur ohne die Zwillinge im Nachbarzimmer. Und irgendwie tut mir das Schwimmen morgens gut. Sollte ich zu Hause auch mal machen. Bringt den Kreislauf besser in Schwung als ein doppelter Espresso.“ Mokuba rieb sich das Wasser aus den Ohren und schaute seinen großen Bruder dann fragend an. „Aber das wolltest du nicht wissen, oder? Hast du etwa Sehnsucht nach mir?“

„Nicht ganz, aber auch“, erwiderte Seto wahrheitsgemäß, woraufhin Mokuba eine Schnute zog.

„Ich seh schon, jetzt wo du was mit Joey hast, bin ich abgemeldet!“

„Mokuba?“

Der wandte den Kopf schmollend ab und tat beleidigt.

„Mokuba, natürlich hatte ich Sehnsucht nach dir, schließlich bist du mein kleiner Bruder und wirst es auch immer sein. Aber auch kleine Brüder werden irgendwann größer und … Es gibt da was, das ich mit dir besprechen will und es wäre mir wichtig, wenn du mir erst einmal zuhörst und mir danach ehrlich sagst, was du denkst. Also, Folgendes...“ Und er erzählte und erklärte, verwarf, fing von vorne an, verhedderte sich in seinen eigenen Worten und versuchte es anders zu formulieren. Während der ganzen Zeit saß ihm Mokuba still gegenüber und betrachtete ihn ernst. Endlich, als er die Erlaubnis hatte, nickte er langsam mit einem zarten Lächeln um die Lippen und sprach genau die Worte aus, die Seto jetzt brauchte.

„Nichtsdestotrotz sollte ich langsam unter die Dusche und mich dann anziehen. Sonst ist der ganze Tag rum und ich habe nichts anderes gemacht, außer zu schwimmen und mit dir hier rumzusitzen.“

Seto stimmte ihm zu und stand auf. Er begleitete seinen Bruder noch bis zur Haustür, wo er ihn kurz umarmte, und ging dann immer noch barfuß den Waldweg zu Haus 3 entlang. Bald kam ihm Cian entgegen, eine große Tasche über der Schulter. Sie grüßten sich und Cian erklärte ihm, dass er gerade das Nachbarhaus geputzt habe.

„Ist das nicht ziemlich früh?“, wollte Seto erstaunt wissen.

„Eigentlich schon. Aber die Gäste sind sehr früh abgereist und mir kommt das Ganze entgegen. Denn heute Nachmittag …“ Der Ire unterbrach sich und musterte ihn. „Sie können tanzen, oder?“

„Ja“, antwortete Seto zögerlich.

„Gut, dann hab ich eine Idee. Aber ich muss erst mit Matt darüber sprechen. Den Rest erfahren Sie heute Mittag.“ Damit war er weg und – Seto wusste diese Gangart nicht anders zu beschreiben – hüpfte den Weg entlang. So fühlte man sich also, wenn man den wichtigsten Teil der Aussage verpasst hatte.
 

Nachdem er die Haustür aufgeschlossen hatte, schnappte er sich noch draußen stehend das kleine Handtuch von der Garderobe und befreite seine Füße vom restlichen Sand und der Erde. Dann klopfte er es etwas an der Treppenstufe aus und legte es auf seinen angestammten Platz.

Der Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er noch eine ganze Weile hatte, bis es Mittagessen geben würde, und so beschloss er, sich eine geeignete Ablenkung zu suchen, bis es soweit war. Doch das stellte sich als komplizierter als gedacht heraus. Zwar hatte er mit Mokuba alles Wichtige besprochen, doch als abgehakt betrachtete sein Kopf es daher noch lange nicht. Er brauchte irgendetwas, das seinen Kopf beschäftigen würde, ihn aber nicht gleichzeitig zu sehr daran erinnerte.

Nach einer halben Stunde fruchtlosen Probierens lag er schließlich doch im Liegestuhl mit einem Buch über Südfrankreich in der Hand und las. Schnell war er mit den Gedanken abgedriftet in Überlegungen, die zu dem jetzigen Zeitpunkt viel zu früh waren. Als er sich dabei ertappte, tadelte er sich selbst. Dennoch konnte es ja nicht schaden, es sich für die Zukunft zu merken. Bisher kannte er von Frankreich nur ein paar Großstädte und sicherlich würde es sich lohnen sich auch einmal den Rest des Landes anzusehen. Außerdem hatte Herr Kobayashi immer wieder in seinem Unterricht betont, eine Sprache könne man erst dann richtig lernen, wenn man sich nur mit ihr alleine mit den Einheimischen verständigen könne. Vielleicht hatte Seto ein paar Mal zu oft erwähnt, wie gut er mit Englisch durchgekommen war in Paris und Straßburg.

Hin und wieder sah er auf die Uhr und entschied schließlich um zwölf, dass es an der Zeit wäre, sich zu erheben. Auch wenn es vergebliche Liebesmüh war, so wechselte er doch die Kleidung, um einigermaßen angezogen zu erscheinen, zog sich seine Schuhe an und schlenderte gemütlich den Waldweg zurück zum Hauptgebäude.
 

Beim Öffnen der Haustür hörte er bereits das Klappern des Geschirrs, stellte aber zu seiner Erleichterung fest, dass es nur Ethan und Clara waren, die Shin beim Tischdecken halfen. Erfreut sah dieser zu dem Neuankömmling und stellte ihn gleich mit zum Helfen ab, damit er wieder in der Küche verschwinden konnte. Augenscheinlich waren die Zwillinge nicht zum ersten Mal mit dieser Aufgabe betraut worden, denn bis auf eine kleine Unsicherheit, wohin genau der Dessertlöffel gehöre, erledigten sie alles tadellos und Seto blieb kaum Zeit selbst etwas zu machen. Anschließend linsten sie zu dritt in die Küche hinein und erklärten Shin und Hans am Herd, dass sie Hunger hätten.

„Sagt das nicht mir, sondern dem restlichen Team und eurer Familie!“, scheuchte Hans sie energisch wieder in den Aufenthaltsraum. „Das Essen ist fertig und bis auf unseren besonderen Gast, hat sich noch keiner von ihnen eingefunden. Seid also so lieb und holt Cian und Chef, den Rest versuche ich über Funk zu erreichen.“

„Ich hole Cian!“, sprang Ethan davon.

„Dann hole ich Chef“, erwiderte Clara und war genauso schnell verschwunden wie ihr Bruder.

„Und was kann ich noch tun?“, fragte Seto vorsichtig. So ganz ohne Aufgabe kam er sich seltsam verloren in der Küchentür vor.

„Mir beim Rübertragen helfen“, antworte Hans und drückte ihm die Schüssel, die neben der Fritteuse gestanden hatte, in die Hand. Erst wunderte sich sein Helfer, weswegen Shin etwas komplett anderes zu machen schien und sich abgesehen vom Tischdecken nicht in die Vorbereitungen eingebracht hatte, doch dann fiel der Groschen und er konnte sich nur über sich selbst wundern. Während der ganzen Zeit war ihm entgangen, dass beide Köche eine klare Arbeitsteilung hatten. Chef leistete sich tatsächlich einen Koch extra für sein Team. Er war sich nicht sicher, ob das nicht eigentlich unter Verschwendung fiele, doch es schien allen zu helfen, nicht zuletzt Shin.

Vor dem Esstisch wäre Seto beinahe mit Yuki zusammengestoßen, die zur Haustür herein geschossen kam.

„Bin ich noch pünktlich?“, rief sie und verschwand in der Küche. Kurz hörte man Shin etwas sagen, dann sie fluchen. Grummelnd trug sie eine der grauen Thermokisten nach draußen und schimpfte dabei über die Ungerechtigkeit des Lebens. Pegasus bekam den Rest davon gerade noch so mit, als er vom Flur her den Raum betrat.

„Es muss etwas sehr Leckeres heute geben, wenn sie sich so über eine weitere Lieferung aufregt“, stellte er trocken fest und nahm bereits Platz. Das nächste Öffnen der Haustür brachte drei „M“s herein. Mokuba, Martine und Matt als Schlusslicht, der als einziger seine Schuhe beim Betreten des Hauses auszog und gegen Hausschuhe wechselte. Dann kamen auch endlich Joe und Cian aus ihren jeweiligen Richtungen und Hans enthüllte, was es zu Essen gab: Wurstsalat mit Pommes Frites, selbstverständlich beides selbst gemacht.

Zu Setos Erstaunen puhlten die Kinder nicht die Essiggürkchen aus dem Salat, sondern aßen brav alles auf, während Martine sich in scheinbar unbeobachteten Momenten das grüne Gemüse von Mokubas Tellerrand stibitzte. Diesbezüglich würde sich sein Bruder wohl nicht mehr so schnell ändern. Die Gurken konnten noch so klein geschnitten sein, solange die Chance bestand sie nicht mitessen zu müssen, sortierte Mokuba sie aus.

Als Yuki wieder kam, versuchten die Zwillinge gerade Joe die letzten Pommes aus der Schüssel abzuringen. Doch Seto sah aus Reflex zur Tür auf und bekam so noch den Blick mit, den Cian und Matt tauschten oder vielmehr wie sie mit Grimassen zu diskutieren schienen. Wie Yuki aber Platz nahm, unterbrachen sie ihr stummes Gespräch, rutschten beide für sie etwas und klauten Joe die Schüssel vor der Nase weg.

„Hier. Damit du schon mal anfangen kannst, bis Shin die nächste Portion fertig hat.“

Yuki sah Cian an als wäre er ein Heiliger und aß ungeniert direkt aus der Schüssel, Martines gemurmelten Einwand zum Thema Vorbildfunktion ignorierend. Glücklicherweise waren die Zwillinge zu abgelenkt davon wie Hans Mokuba aufzog und Shin kam wenige Minuten später mit dem Nachschlag.
 

Der Nachtisch fiel relativ dezent aus. Große Stücke Wassermelone, die zwar saftig waren, einem aber nicht gleich die Hände verklebten.

„Wann wollt ihr nachher los?“, wollte Pegasus von Matt und Cian zwischen zwei großen Bissen wissen. Er war einer der wenigen, die es geschafft hatten sich beim Mittagessen zurückzuhalten. Matt sah auf die Uhr und überlegte. „Ein, eineinhalb Stunden etwa“, antwortete er schließlich. „Ich sollte noch duschen.“

Cian schien sich einen Kommentar zu verkneifen, doch Maximilion sprach eh das aus, was er wohl gedacht hatte: „Ich bezweifle, dass das helfen würde.“

Beleidigt schnappte Matt nach Luft, was wiederum nicht nur Martines Mundwinkel nach oben zog.

„Ich meinte: Ich glaube nicht, dass das notwendig ist, da du vermutlich eh wieder schwitzen wirst und Cian anscheinend auf den Geruch nach Garten an dir steht“, wurde nachgefasst und unauffällig nach dem nächsten Stücke Melone gegriffen. „Genauso sehe ich es auch“, mischte sich endlich Cian ein. „Aber meinst du die Zeit reicht auch für Chef und Seto?“

Über den Tisch hinweg wurden entsetzte Blicke getauscht.

„Wieso für uns?“, fand Joe als erster die Sprache wieder. Sein Stück Melone baumelte gefährlich zwischen seinen Fingern. Fies grinste Cian ihn an: „Weil ihr uns zu unseren monatlichen Tanzverabredung begleiten dürft, natürlich.“

Die Melone fiel, während Seto sich von dem doppelten Schock zu erholen versuchte. Bis jetzt hatte er den Iren für einen ziemlich netten Kerl gehalten.
 

Eine Stunde später lief Seto nervös im Wohnzimmer auf und ab. Matt hatte ihm gesagt, sie würden sich über die Gegensprechanlage bei ihm melden, wenn sie drei fertig wären, damit er sich keinen Stress zu machen brauche. Das Anziehen des Anzugs. Das Binden der Krawatte. Selbst die Entscheidung wie ordentlich er seine Haare frisieren sollte. Das alles war kein Stress für ihn gewesen. Doch dann hatte er seine Tanzschuhe rausgesucht - er hatte sich für das flache Männermodell entschieden – und hatte plötzlich eine Schachtel in der Hand, die seinen Handteller auf angenehme Art und Weise ausfüllte. Sie lag jetzt auf dem Esstisch und jedes Mal, wenn er daran vorbei ging, hob sich sein Arm als wolle er nach ihr greifen, doch dann ging er einfach weiter.

Statt der Gegensprechanlage hörte er Matts Stimme an der Tür: „Ihr Taxi ist da!“

Um zur Tür zu kommen, musste er ein letztes Mal am Tisch vorbei. Blitzschnell griff die eine Hand nach der Schachtel, während die andere den Stoffbeutel mit den Schuhen von der Stuhllehne nahm.

Draußen sah er, was Matt gemeint hatte. Der Wagen der vor Haus 3 stand, sah einem Flughafentaxi zum Verwechseln ähnlich. Man hätte bequem das gesamte Team hineinbekommen. Joe war vom Fahrersitz ausgestiegen und folgte Setos leicht verdutztem Blick.

„Ich hatte ihnen angeboten mit etwas Schickerem zu fahren, aber beide haben behauptet, wir hätten als vier große Männer nicht genug Beinfreiheit.“ Er grinste schief, kam auf ihn zu, hakte sich unter und wollte ihn zum Beifahrersitz begleiten, als er Setos Hand sah. „Was ist das?“

„Was?“

„Das da in deiner Hand.“

„Meine Tanzschuhe.“

„Das andere.“

„Ähm“, räusperte sich Seto verlegen. „So etwas wie ein Anstecksträußchen. Matt und Cian sagten ja, es wäre etwas formeller dort und ...“ Die beiden waren nicht mal ansatzweise eine Hilfe. „... und ich hatte gehofft, dass du etwas Dunkelblaues trägst, zu dem es dann ganz gut aussehen würde...“

Einen Meter vor der Moterhaube ließ er Joe einfach stehen, drückte ihm die Schachtel vor die Brust und flüchtete auf den Beifahrersitz. Perplex sah dieser an sich herunter und öffnete dann auf dem Weg zum Fahrersitz sein offensichtliches Geschenk.

„Was ist das?“, versuchte er es erneut, während er sich anschnallte und Matt und Cian von der Rückbank neugierig nach vorne schielten.

„Sowas wie ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk. Wenn es dir nicht gefällt“ Seto hatte etwas sagen wollen wie: „kein Problem. Ich kann es umtauschen“, doch hier versagte ihm die Stimme. Schließlich waren allein drei Stunden seiner Urlaubsvorbereitung dafür drauf gegangen.

„Der Geber steckt das Sträußchen üblicherweise dem Empfänger an“, ging Matt zum Glück dazwischen, bevor die Pause ins Unangenehme kippen konnte. Und Joe reagierte prompt. Er nahm das dunkle Lederarmband aus der Schachtel, hielt es Seto hin und reckte ihm das rechte Handgelenk so entgegen, dass er es ihm bequem umlegen konnte. Einen kurzen Moment flackerten seine Augen auf, als er die Schachtel verstaute und sein Blick die filigranen Prägungen des Leders streifte. Dann richtete er sich im Sitz wieder auf und sagte: „Bitte anschnallen. Es geht los!“
 

Bis sie auf dem Parkplatz einfuhren, hatte sich sein Herzschlag immer noch nicht beruhigt. Von der Rückbank aus hatten Matt und Cian sich mit Joe über Belangloses unterhalten, aber er selbst konnte nur stumm nach draußen sehen, wo die Welt an ihnen vorbeizog. Er traute sich nicht auf die andere Seite des Wagens zu sehen. Kurz wollte er etwas sagen, als sie an einem Abzweig vorbeikamen, dessen Verkehrsschild auf einen Flugplatz hindeutete, aber er brachte keinen Ton heraus.

„Wir sehen euch dann nachher“, meinte Cian schlicht und schon waren er und Matt aus dem Auto verschwunden. Die Fahrertür wurde geöffnet und geschlossen. Dann öffnete sich seine Tür und Joe sah ihn lächelnd an.

„Kommst du?“ Er nahm Seto an der Hand, der sich kaum schnell genug abschnallen konnte, denn der andere zog bereits.

Das Gebäude, auf das sie zuliefen, war von außen unscheinbar. Es war zwar groß, fiel aber nicht weiter im umgebenden Industriegebiet auf. Der Vorraum hinter der schweren Eingangstür war deshalb eine Überraschung. Mittig verlief ein Trennstrich, wo normale, große Bodenplatten auf hochglänzenden Holzboden trafen. Die Garderobe war seitlich aufgebaut und genau im Übergangsbereich standen ein paar Stühle davor. Darauf bedacht nicht negativ aufzufallen tat Seto es Joe nach und wechselte dort seine Schuhe und wurde augenblicklich weiter gezogen, sobald sie ihre Sachen abgegeben hatten. Von der nächsten Tür her nahm er gedämpften Bass wahr.

In the dark I see your smile

Joe blickte sich kurz nach ihm um, als sie zwischen einem schmalen Rand aus Tischen hindurch gingen. Das Licht wahr gedämpft, ließ aber noch einen guten Eindruck von dem großen Raum zu, in dem sich bereits eine Menge Leute tummelten. Er konnte nur hoffen, dass ihn keiner erkannte.

Don't be so shy

Anscheinend waren sie am Ziel angekommen, denn Joe zog ihn unmittelbar aus der Bewegung zu sich heran, legte die rechte Hand auf seine Hüfte und begann ihn in einen Disco Fox zu führen.

You're right

Take off my clothes

Oh bless me father

Don't ask me why

Die Welt um ihn herum begann sich buchstäblich zu drehen und er vergaß alles um sich herum. Joe führte gut, und er musste nicht auf die anderen Tänzer um sie herum achten. Nereida hatte ihm gesagt, er bräuchte einen Fixpunkt, damit ihm in den Drehungen nicht schwindlig wurde, und er hatte seinen gefunden. Nur für Sekundenbruchteile ließ er Joes Augen aus dem Blick und verhakte ihn sofort wieder mit seinem. Nein, die Zeit stand nicht still, aber sie war ihm tatsächlich einmal egal.
 

Es war nach Mitternacht, als er wieder in seine Straßenschuhe schlüpfte. Seine Ballen pochten leicht, seine Wangen waren gerötet und sein Hemd durchgeschwitzt. Er hatte Joe und sich kaum eine Pause gegönnt. Genauer hatte Joe die erste Pause nach circa eineinhalb Stunden eingefordert und ihm unter dem Vorwand, dass er sich das Ambiente ansehen solle, an einen Tisch gelockt und mit einem nicht-alkoholischen Getränk versorgt. Zum ersten Mal hatte Seto die Ruhe gehabt, sich die anderen Tänzer anzusehen. Cian und Matt fielen nur auf Grund ihrer Größe auf. Sie waren nicht das einzige gleichgeschlechtliche Tanzpaar und bewegten sich auf eine Art geschmeidig zur Musik und miteinander, die von absolutem Einklang sprach. Seto stockte der Atem, als die Musik zu einem Tango wechselte. Schon wollte er aufspringen und mit Joe tanzen, doch der hielt ihn mit den Worten „sie werden nochmal einen Tango bringen“ zurück. Und so konnte er nur weiter auf die Tanzfläche sehen, die Joe halb im Rücken hatte. Die anderen zwei tanzten einen Tango wie Seto ihn noch nie gesehen hatte. Kraftvoll, beide maskulin und so wirklich konnte er nicht sagen wer eigentlich wen führte.

„Unglaublich“, murmelte er nur.

Sie hatten schnell ihren Rhythmus aus Tanzen und Pausen gefunden, genossen die Atmosphäre und auch, dass sich anscheinend niemand groß um sie zu kümmern schien. Leise hatten sie sich am Rand sitzend von ihren diversen Erfahrungen mit Standardtanz erzählt und hatten auf der Tanzfläche herauszufinden versucht, ob der andere diese oder jene Figur kannte.

Joe legte ihm das Jacket um die Schultern, sein eigenes hatte er locker über den Arm gelegt.

„Darf ich bitten?“, bot er ihm den freien Arm an und Seto hakte sich unter als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Der verschwörerische Blickwechsel zwischen Cian und Matt entging ihm diesmal.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ihr habt bis hierhin durchgehalten? Prima! Denn die letzten beiden Kapitel warten schon auf die Veröffentlichung... Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  night-blue-dragon
2020-01-03T20:02:25+00:00 03.01.2020 21:02
Juchu... mein Wunsch wurde erfüllt. *freu*

Ein sehr schönes Kapitel. Ich bin gespannt, was sich Seto bezüglich seiner künftigen Arbeit ausgedacht hat, Mokuba scheint ja einverstanden zu sein.
Seto lässt sich führen, wie schön, er meint es also wirklich, wirklich ernst und es stört ihn auch nicht, dass er die Führung abgibt.
Ich freue mich auf die nächsten Kapitel

glg night-blue-dragon


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