Im Unterricht
„Visualisierung", sagte Kurenai-Sensei während sie durch die Reihen der Schulbänke schritt, „ist eines der wichtigsten Mittel zur strategischen Planung überhaupt. Ohne eine angemessene Visualisierung ist das Erkennen der Absichten des Gegners nahezu unmöglich. Die Visualisierung ermöglicht uns eine Flut alternativer Entwicklungen vorherzusehen und in gleichem Maße Gegenstrategien zu entwickeln die im Falle des Eintreffens einer dieser Entwicklungen sofort einsetzbar sind. Die Visualisierung ist also was, Shikamaru-Kun?“
Sie schlug hart mit dem Lineal auf die Tischplatte, auf der der Teenager döste. Er zuckte nur kurz zusammen und murmelte ohne aufzuschauen: „Unverzichtbar.“
„Richtig, sie ist unverzichtbar und was ist sie noch, Sakura-Chan?“ Sie nickte dem pinkhaarigen Mädchen zu, das sich schon seit 10 Minuten meldete. Sakura sprang auf.
„Sie ist die Essenz der Planung. Der strategische Vorteil, der sich aus ihr ergibt liegt bei einer Skala von 1 bis 10 bei 9,9. Ohne Visualisierung ist weder Strategie noch Enttarnung möglich. Darum muss sie in hohem Maße trainiert werden. Das Training beginnt bei...“
„Danke Sakura-Chan, das reicht! Weiter… Naruto-Kun!“
„Eh?“ Der Blonde zuckte zusammen. „Warum ich?“
„Weil du neben ihr sitzt und nie die Antwort weißt. Das hättest du visualisieren können, Naruto-Kun.“
Die Klasse lachte. Sakura setzte sich mit einem zufriedenen Grinsen wieder hin. Kurenai-Sensei hatte ihr aus der Seele gesprochen.
„Und mit diesem praktischen Beispiel schließe ich die Stunde für heute. Hausaufgabe...“ Lärm machte sich breit, als die Schüler ihre Unterlagen einpackten und zum Gehen bereit machten. „Hausaufgabe ist“, übertönte Kurenai-Sensei entschlossen den Radau, „ein Aufsatz zur Visualisierung der kommenden Stunde am Mittwoch. 300 Worte Minimum.“
Ein lautes Stöhnen der Schüler war die Antwort.
„Das war’s, macht’s gut und seid fleißig.“
Fast alle drängten zum Ausgang, bevor Kurenai-Sensei vielleicht noch etwas einfiel, das sie den Hausaufgaben hinzufügen konnte. Nur Sasuke, Sakura, Naruto und, von fast allen unbemerkt, Hinata blieben noch zurück.
Der große Wohltätigkeitsball der Konoha Schule stand bevor und die Mitglieder des Festkomitees trafen sich heute um die letzten Vorbereitungen zu planen. Sasuke war als Sohn einer der Hauptsponsoren natürlich darin vertreten und weil dem so war, waren dieses Jahr viele Mädchen der Schule mit dabei. Diese Mädchen ließen nichts aus, Sasuke zu belagern und er hasste es. Vielleicht hatte er darum keine besondere Eile, den Raum zu verlassen.
Sakura näherte sich ihm ungewohnt schüchtern. „Sasuke-Kun, ich habe mich gefragt…“
„Nein, Sakura-Chan, tut mir Leid.“
„Aber ich habe die Frage doch noch gar nicht gestellt.“
„Egal, was es ist, die Antwort lautet Nein.“
„Ich wollte dir nur meine Hilfe anbieten und die Dekoration des Ballsaals übernehmen.“, entgegnete sie schmollend.
Er sah sie geringschätzig an. „Wie ich schon sagte, die Antwort ist Nein.“
„Aber warum denn? Ich will dich doch nur entlasten, Sasuke-Kun. Ich... ich würde wirklich alles für dich tun.“ Sakura errötete leicht.
„Nein danke. Weder der Ballsaal noch ich brauchen einen Alptraum in Pink. Meine Eltern würden mich wegen Geschmacksverirrung verstoßen.“
Tränen stiegen in Sakura auf. Sie drehte sich ruckartig um und rannte aus dem Klassenzimmer.
„Du… du arrogantes Arschloch!“, schrie Naruto ihn an. „Wie kannst du nur so gemein sein! Zu einem Mädchen!“
„Übung.“, entgegnete Sasuke trocken und packte seine letzten Unterlagen. „Und wenn ihr mich jetzt entschuldigen wollt, ich habe nämlich noch zu tun. Das Festkomitee wartet.“
„Teme!“, schrie Naruto und ging auf ihn los, aber Sasuke wich geschickt aus, stellte ihm ein Bein und Naruto fiel hin.
„Du solltest aufpassen, wo du hintrittst, Dobe.“, meinte Sasuke mild. „Das nächste Mal könntest du dir etwas brechen.“ Er schulterte seine Tasche und schritt ohne Naruto eines weiteren Blickes zu würdigen davon.
Wütend schlug Naruto mit der Faust auf den Boden. „Dich krieg ich noch, Teme! Das nächste Mal bist du dran!“
Er rappelte sich auf. Plötzlich verharrte er in seiner Bewegung und weitete ungläubig die Augen als habe ihn soeben ein Blitz getroffen. Im nächsten Moment fuhr er hoch und rannte zur Tür.
„Und wen nennst du hier Dobe, hä?“, schrie er Sasuke in den Gang hinterher. Der grinste nur und hob winkend die Hand.
„Bist du in Ordnung, Naruto-Kun?“, erkundigte sich Hinata ängstlich und hielt ihm ihr weißes Seidentaschentuch entgegen.
Naruto sah sie fragend an.
„Du blutest ein wenig, Naruto-Kun.“ Sie sah verlegen zu Boden.
„Häh?“ Er tastete sein Gesicht ab, stieß auf etwas Warmes, Zähflüssiges über seiner Oberlippe, wischte es ab und hielt sich die Hand vor Augen. „Ahhh!“ Er schnappte ihr Taschentuch und hielt es sich unter die blutende Nase. „Dieser Dreckskerl!“ fluchte er „Aber dem zeig ich’s noch! Warte nur ab, Hinata-Chan, bald ist er ganz klein und ich bin ganz groß.“
„Daran habe ich keinen Zweifel, Naruto-Kun.“, wisperte sie verlegen. "Ich.. bin sicher du hast eine ganz besondere Bestimmung."
„Hah, du bist nett, Hinata-Chan. Wenn ich erstmal ganz oben bin, werde ich an dich denken.“
„D..das ist sehr freundlich von dir, Naruto-Kun.“
„Nicht der Rede wert.“ Er winkte ab, schon ganz seinen Traum lebend. „Und diesen Bastard werde ich mir dann so gründlich vornehmen, dass nichts mehr von ihm übrig bleibt!“ Er warf wütende Blicke in den Gang.
„Du… du solltest vielleicht Erbarmen zeigen, Naruto-Kun.“
„Eh, wieso? Dieser Mistkerl versteht nur eine Sprache.“ Er ballte demonstrativ seine Faust.
„Ähm, er hat es gewiss auch nicht leicht, Naruto-Kun. Große Erwartungen zu erfüllen ist nicht immer einfach.“
Naruto sah sie erstaunt an, dann verzog er das Gesicht zu seinem typischen, breiten Grinsen.
„Ah, Hinata-Chan, du bist echt zu gutherzig.“ Er lachte. „Als hätte so ein arroganter Arsch wie Sasuke wirklich Sorgen. Er sitzt jetzt bestimmt schon in seinem Komitee und läßt sich wie ein Pascha von seinen Haremsdamen bedienen. Dann tut er dabei noch so, als wäre es ihm lästig, dieser Kotzbrocken! Mit dem musst du kein Mitleid haben.“
„Aber… von so vielen Mädchen bedrängt zu werden, ist das nicht… sehr stressig?“
„Ha! So einen Stress hätte ich gern! Möchte nicht wissen wie viele Busen sich gerade an ihn drängen und wie sie sich dabei..."
„A..aber, Naruto-Kun!“ Hinata errötete.
„Oh, entschuldige, das hätte ich nicht sagen dürfen.“ Er kratzte verlegen seinen Kopf. „Ich vergesse immer, dass du ein Mädchen bist.“
Hinata schluckte schwer. So war das also. Sie war in seinen Augen kein Mädchen. Sie wäre am liebsten in eine dunkle Ecke gekrochen und hätte geheult, ließ sich aber nichts anmerken. Sie sagte nichts und schaute angestrengt zu Boden, damit ihr nicht doch noch die Tränen hochkamen.
Als das Schweigen unangenehm wurde, sagte Naruto: „Ah, ja, wie auch immer, vielen Dank für das Taschentuch, Hinata-Chan!“ Er hielt es ihr entgegen. Sie sah das blutdurchtränkte Stück Stoff zögernd an und nahm es schließlich an sich.
„N..nicht der Rede wert, Naruto-Kun.“ Ihre Antwort war kaum mehr als ein Murmeln.
„Ich seh dich dann morgen in Mathe.“ Naruto packte seine Tasche und stürmte davon.
Richtig, Mathe, da schrieb er immer von ihr ab. An so etwas erinnerte er sich natürlich.
Hinata setzte sich und starrte auf das blutige Taschentuch in ihrer Hand. Sie knüllte es zusammen, bis sie das Gefühl hatte, es sei ein Teil von ihr geworden, dann hob sie es an ihr Herz.
„Ich seh dich auch, Naruto-Kun.“, schluchzte sie leise.
Worterklärung einiger, in der Story verwendeter japanischer Begriffe:
Dobe = Klassenletzter
Teme = Sehr unhöfliche Anrede, in Etwa gleichbedeutend mit "Du Mistkerl"
Chan = Namensanhang, Verniedlichungsform, wird oft bei Mädchen oder Kindern gebraucht, aber auch wenn man jemanden mag
Kun = Namensanhang, gewöhnlich für Jungen, wird aber im modernen Japan jetzt auch bei Mädchen gebraucht
San = Namensanhang, respektvolle Anrede für Erwachsene
Sensei = Namensanhang, respektvolle Anrede für Lehrer