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Gutenachtgeschichten

Wichtelgeschichte für Erenya
von

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Kämpfendes Herz

"Wenn wir nicht kämpfen, können wir auch nicht gewinnen."
 

Draußen am Himmel herrscht großes Chaos. Die Wolkenmassen prallen wie Welten aufeinander und vereinigen sich zu einer gewaltigen Gewitterwolke. Trotz der Dunkelheit erkennt man die Umrisse des Unwetters, wie das Gemälde eines Künstlers mit einem wilden Zeichenstil. Zwischen den Schichten aus dunklen Wolken tauchen Blitze auf und verwandeln die Gewitternacht mit weißen Lichteffekten zu einem Feuerwerk. Statt des schrillen Knalls von Feuerwerksraketen dröhnt dafür lautes Donnergrollen hervor. Durch die Straßen und Gärten säuselt der kühle Wind, wobei die Baumkronen im Wirbel hin und her tanzen, genau wie das Schwingen ihrer Äste. Als die Blitze und Donnerschläge öfters auftreten, fängt es langsam an zu regnen und die Erde ertrinkt in Himmelswasser.
 

Mit einem lauten Knall reißt ein Windstoß das Fenster auf. Die Gardinen an den Seiten wedeln wild umher und Regen dringt durch das offene Fenster ein. Mikasa sitzt gedankenverloren am Rand ihres Bettes, zupft nervös an ihrem Schal herum und denkt über alles genau nach. Der Schock spiegelt sich in ihrem Gesicht wieder. Leicht zucken die dunkelgrauen Augen umher, während ihr Körper ruhig bleibt. Mikasa fällt auf, dass der Schatten vor Licht und Wärme Angst hat. Kurz streift sie mit ihrer Hand über den weißen Stoff ihres Nachtkleides. Da erinnert sie sich, wie ihre Mutter mit viel Liebe und Pflastern an den Fingern dieses Nachtkleidchen nähte. Liebe ist eine Form von Wärme. Bei den Schal glaubt sie wirklich an magische Kräfte gegen bösartige Kreaturen. Ohne die Begegnung mit den Schatten würde sie an so was niemals glauben. Sie seufzt leise.
 

Sie ist so sehr in Gedanken versunken, dass sie erst jetzt das weit geöffnete Fenster bemerkt. Ein frischer Windzug weht durch das Zimmer, verteilt die Blätter vom Schreibtisch im Zimmer und streichelt Mikasas schwarzes Haar. Ein Schauer befällt ihren Rücken. Durch die eisige Stelle in der Kehle fängt sie an zu husten. Obwohl der Schal viel Wärme spendet, ruht noch ein Druck auf der Kehle, welcher ihre Stimme bei einer gewissen Tonstärke beeinträchtigt. Um nicht noch länger Wurzeln zu schlagen, steht sie schweigsam auf und läuft zur Tür. Doch auch dieses Mal ist sie eingeklemmt und ein enttäuschter Blick lockert ihre Gesichtsmuskeln. Den Kopf zum Fenster gerichtet, schleicht sich ein riskanter Plan in ihrem Geist. Unsicher beißt sie sich auf die Unterlippe, während sie zum Fenster geht. Sie lauscht dem Unwetter.
 

"I-Ich … raus … C-Chance", stottert sie unvollständig und tastet ihren Hals ab. Anscheinend kann sie nur wenige Worte sprechen, daher gibt sie das Sprechen auf und schaut aus dem Fenster. Vor ihr befindet sich ein Vordach, welches direkt zum Garten reicht. Der Regen prasselt auf die dunkelblauen Dachziegel, wodurch der Wasserfluss über das Dach entlang fließt und in den Dachrinnen nach unten wandert. Zudem bläst ein Windhauch einzelne Regentropfen gegen Mikasas Gesicht, die sie mit einem Kopfschütteln entfernt. Zwar leidet sie nicht unter großer Höhenangst, aber durch den Regen besteht Rutsch- und Fallgefahr. Zuerst zögert sie ihren Plan in die Tat umzusetzen, da sie sich reflexartig an den Fensterrahmen so stark festhält, dass sie sich nicht von der Stelle rührt. Auf einmal setzt ihr Herz einen Sprung aus. Mikasa fühlt hinter sich wieder diese kaltblütige Aura. Ohne einen Blick zu riskieren, ahnt sie schon, wer oder was hinter ihr steht. Unter dem Bett regt sich etwas. Als ein Blitzschlag für 3 Sekunden den Raum erhellt, erblickt Mikasa an der Stelle zwei blaue, flammen-ähnliche Augen. Dieses hinterlistige Grinsen jagt Mikasa keine Angst mehr ein, eher wird es für sie nervig. Eine mögliche Schwächung treibt es zurück.
 

"D-Du … pl-planst … doch et … was", stellt das Mädchen fest. Zu ihrem Bedauern bestätigt der Schatten ihren Verdacht. Schwer schluckt Mikasa das Ergebnis ihrer Frage, als die weibliche Gestalt seitlich links unter dem Bett hervor kommt und zweimal mit den Fingern schnipst. Misstrauisch beobachtet sie das Geschehen, was sie schon nach einem Moment sehr bereut. Der Schatten verwandelt sich nach dem Fingerschnippen in eine schwarze Schlange, doppelt so lang und groß wie eine ausgewachsene Anakonda. Vor Schlangen fürchtet sie sich am meisten. Mikasa reißt die Augen weit auf und ein dunkler Schatten huscht über ihr kreidebleiches Gesicht. Nicht ein Laut kommt heraus. Eisblaue Reptilienaugen funkeln sie hämisch an und die Schlange zischt grausig. Die Umrisse der Schlange sind etwas verzerrt, dennoch real.
 

Als die Schattenschlange auf sie zu schlängelt, befindet sich Mikasa in Zwiespalt, ob sie sich wehren oder über das Vordach flüchten soll. Je näher ihr Alptraum kommt, desto wilder hämmert ihr Herz gegen den Brustkorb. Ihr Verstand meldet sich mit Nachdruck, dass sie fliehen soll, bevor es zu spät sei. Jedoch bewegt sich Mikasa keinen Zentimeter, weil sie starr vor Angst ist und dagegen ankämpfen muss. 2 oder 3 Meter vor ihr bäumt sich die Schlange auf. Das Mädchen guckt mit zittrigen Gliedern zu, wie es weit das Maul aufreißt und nach ihr schnappen will. Ein seelischer Blitzschlag durchströmt ihren Körper plötzlich, wobei die Muskeln sich zuerst anspannen und sich kraftvoll in Bewegung setzten.
 

Instinktiv hebt sie ihre Beine, stützt sich am Fensterrahmen ab und weicht mit einem Sprung zur Seite den Angriff aus. Mit einem Keuchen landet sie rückwärts auf den Boden, während die Schlange ein Stück vom Fensterbrett abbeißt. Schnell steht Mikasa mit schweren Atemzügen auf, der Schock sitzt noch tief in den Knochen. Schwarze Haarsträhnen fallen ihr ins Gesicht, welches kurz Erleichterung zeigt, aber sich mit einem erneuten Blick zur Schlange sorgenvoll verzieht. Die Schattenschlange spuckt das Stück Marmor aus und neigt den Kopf zu Mikasa, die wenige Schritte nach hinten geht. Irgendwie bereut sie es, nicht auf das Vordach gesprungen zu sein, denn jetzt steckt sie mit dem Wesen im Zimmer fest. Entrüstung keimt in ihr auf, da sie nicht mehr länger das wehrlose Jagdziel sein will. Sie stößt leicht gegen ihren Wandschrank, ein weiterer Schritt zurück ist nicht möglich. Da fällt ihr eine wichtige Kleinigkeit auf.
 

Zu ihrer Skepsis bleibt die Schattenschlange vor dem Fenster stehen und starrt Mikasa einfach so an. Zwar weiß sie nicht, was es wieder ausheckt, doch sie nutzt diese Chance und öffnet sacht die Wandschranktür. Kleidung und Sportgeräte mit Golf- und Hockeyschläger berühren ihre Hände. Leider findet sie nicht das, was sie unbedingt haben will. Wachsam beobachtet sie die Gefahr, nicht das es doch noch zu einer weiteren Attacke kommt. Augenblicklich leuchtet ein Hoffnungsschimmer in ihren Augen auf. Sie versucht schnell danach zu greifen, bis sie kurz unachtsam ist und einen Druck um ihre Beine spürt. Statt unentwegt die Schattenschlange zu beobachten, sieht sie nur auf ihren Kopf. Unglücklicherweise hat sie nicht auf die untere Hälfte geachtet, die sich im Schutz der Dunkelheit auf dem Boden zu ihren Füßen schlich und sie jetzt im Griff hat.

"S-Scheiße …", flucht das Mädchen wütend. Dagegen zischt das Schlangenwesen belustigt über Mikasas naive Aussicht auf Erfolg.
 

Da sich die Situation wieder verschärft, beeilt sie sich mit den Suchen nach ihrer Auswahl. Kaum erwischt sie es, drückt das Wesen sehr stark zu. Mikasa presst ihre Kiefer zusammen, um nicht vor Schmerzen zu stöhnen. Diesen Gefallen tut sie für die Schattenschlange nicht. Eher schnappt sie sich den Hockeyschläger und schlägt ordentlich gegen die Schuppen. Ein höllischer Schrei hallt durch das Familienhaus. Mikasas bricht vor Schmerzen zusammen. Der Hockeyschläger ging durch die Schattenschuppen und verletzte Mikasas linkes Bein. An der Stelle pocht es schmerzhaft und ein rötlicher Fleck bildet sich auf ihrer Haut. Sie beißt ihre Zähne zusammen und hält auch die Tränen zurück.
 

"Hah ….", bringt Mikasa nur keuchend hervor. Zufrieden schleicht die Schlange langsam zu Mikasa, die ihren Oberkörper und Kopf nach vorn beugt und vom eigenen Schlag zuerst erholen muss. Bei dem Schauspiel folgen am Nachthimmel weitere Blitze, die das Zimmer in einem weißlichen Horrorstil tauchen. Im Gefecht des Feuerwerks blinzelt die Schattenschlange ein paar Mal auf Grund der Helligkeit. Mikasas Körperhaltung ist auch im Sitzen noch gesenkt, dabei verdecken ihre Haare das Gesicht. Erneut reißt das Schattenwesen sein Maul auf, um von Mikasa etwas Bestimmtes zu bekommen und dreht den Kopf zu ihr, als Mikasa ihren Kopf hebt. Ein freches Grinsen schleicht sich über ihr selbstbewusstes Erscheinen. Kurzzeitig stoppt der Schatten sein Vorgehen. Ihre Hände erscheinen vor ihr, als sie lächelt. In ihren Händen hält sie eine Taschenlampe.
 

Das Licht erwischt das Schlangenwesen, welches fast vor Mikasas Augen verkohlt. Es weicht nach hinten aus und versucht sich im Kinderzimmer zu verstecken. Das duldet Mikasas nicht und verfolgt mit der Taschenlampe die Gestalt. Vor Lichtempfindlichkeit nimmt es wieder die Gestalt der Dame an. Da es nicht mehr sicher im Zimmer ist, flüchtet es durch das Fenster. Vorher sieht es noch mal Mikasa kochend vor Wut an, aber sie grinst mutig zurück. Obwohl 20 Sekunden nach dem Verschwinden des Schattens vergehen, hält sie die Taschenlampe noch gegen das Fenster. Zur Sicherheit steht sie auf und kontrolliert jede finstere Ecke im Zimmer. Weil sie nichts findet, atmet sie tief durch und hofft, dass endlich die Tür aufgeht. Beim Hochziehen der Türklinke macht es zum Glück ‚Klick‘. Die Tür öffnet sich ein Spalt. Vorsichtig späht Mikasa in den Flur. Da sie auf der einen Seite nichts Ungewöhnliches entdeckt, wagt sie sich ein Schritt nach vorne und kontrolliert die andere Flurseite mit sorgsamen Augen. Die Türen zum Dach und Badezimmer sind wahrscheinlich verschlossen. Auf beiden Flurenden befindet sich ein großes Fenster mit weiß-blauen, karierten Gardinen. Sonst steht das zweite Obergeschoss vollkommen leer, bis auf die Bilderrahmen an der Wand. Regentropfen prallen gegen die Fensterscheiben und hinterlassen einen düsteren Anblick, die Welt in der Nacht verschwindend. Bevor Mikasa den Flur betritt, befestigt sie ihren Griff um die Taschenlampe. Ein Knarzen durchbricht die Stille, als Mikasa einen Fuß auf das Laminat setzt. Bei dem Geräusch zuckt sie zusammen, da sie Angst hat, ihre Position zu verraten.
 

Nichts im Haus scheint ihren kleinen Fehler zu bemerken. Noch einmal überprüft sie die Taschenlampe, atmet tief durch und verlässt ihr Zimmer. Auf dem Flur schleicht sie in Richtung Treppe, die spiralförmig nach unten zum Wohnzimmer führt. Das Licht leuchtet den sicheren Weg, welcher hinter ihr ungeschützt ist, sollte der Schatten von dort angreifen. Allein der Gedanke verpasst ihre eine Gänsehaut. Während sie durch den Flur leise humpelt, listet sie in Gedanken noch mal alles auf. Kälte und Dunkelheit sind die Stärken des Schattens, aber Licht und Wärme verletzten es wiederum und vertreiben es. Dann erinnert sie sich an den eigenen Schlag am Bein. Anscheinend kann man es nicht berühren, jedoch kann der Schatten seine Opfer problemlos mit Berührungen beeinflussen. Das erschwert die Situation um ein Vielfaches.
 

"W-Wie … k-kann ich … d-dich … besie-gen"?, knurrt Mikasa schwach. Der Druck in ihrem Hals verhindert immer noch ihre vollständige Sprachfähigkeit. Entweder sind das Folgen der Dämonenkälte oder etwas Anderes hält ihre Stimme gefangen. Eine weitere Sache macht ihr auch Angst. Sie vermutet, dass das Wesen sich in die Ängste seiner Opfer verwandeln kann, wie bei Mikasa mit der Schlange. Kurz lehnt sie sich an die Wand, da ihr Bein wieder anfängt zu schmerzen. Behutsam streicht sie mit der Hand über den blau-violetten Fleck. Die sanfte Berührung entspannt den Muskel am Unterschenkel. Für einen Moment schließt sie auch ihre Augen, lauscht dem Prasseln des Regenschauers gegen das Glas und dem Groll der Donnerschläge. Müdigkeit überfällt sie mit Leichtigkeit, bis ein Poltern sie aus der Pause holt und sie ihre Augen öffnet.
 

Links und Rechts erfasst sie nichts Verdächtiges. Auf jeden Fall sind ihre Sinne geschärft, um weitere Unachtsamkeiten zu umgehen. Nachdem die Stille einkehrt, fragt sie sich wo das Poltern herkam. Mikasa vermutet, dass das Geräusch vom Dachboden kommt. Allein die Vorstellung dort oben nach dem Recht zu sehen, verleiht Mikasa ein ungutes Gefühl. Deshalb ignoriert sie den Vorfall und zieht ihr verletztes Bein achtsam weiter Richtung Treppe. Erneut erhält ein Poltern ihre Aufmerksamkeit, aber dieses Mal kommt es von unten. Gerade will Mikasa dem Geräusch nachgehen, als von unten das Knirschen von aufsteigenden Schritten auf der Treppe ertönt und sie einige Meter vor dem Treppenabstieg stoppt. Kann es der Schatten sein? Vor Aufregung zittert ihre Hand und der Lichtkegel wackelt hin und her. Zu diesem Zeitpunkt überlegt sie, wie sie sich am besten wehrt.
 

Je mehr Zeit vergeht und näher die Schritte kommen, desto panischer wird sie. Bis sie den Entschluss fasst, diesmal als Erstes den Angriff zu starten. Die Augen formen sich zu Schlitzen und sie verkrampft leicht die Haltung, wodurch ein schmerzhaftes Pochen am Unterschenkel ausgelöst wird. Sie ignoriert den Schmerz gekonnt und achtet nur auf ihr Ziel. Im Schein der Taschenlampe erscheint der Umriss einer Frau. Jetzt fehlen nur noch wenige Sekunden bis zum Aufeinandertreffen von Mikasa und dem Schatten. Doch dann gibt die Taschenlampe den Geist auf. "W-Was … a-aber …", jammert Mikasa nervös. Andauernd schlägt sie mit der Faust gegen die Taschenlampe, um das Gerät wieder zum Laufen zu bringen. Die Zeit verläuft wie in Zeitlupe, als jemand den Flur betritt und anschließend vom Licht geblendet wird. Mikasa erlangt beinah an einem Herzstillstand.
 

Aus ihrer Hand fällt die Taschenlampe zu Boden. Schon fast kraftvoll fällt Mikasa auf die Knie, wobei sie schmerzvoll auf zischt, als ihre verletzte Stelle gegen die holzartige Ebene zusammenstößt. Genau auf das Mädchen bewegen sich zügige Schritte zu. Im nächsten Moment umklammern Arme ihren Körper und sie wird fest nach oben gedrückt. Ihre Ohren empfangen Herzschläge, die nicht von ihr, sondern von der Person vor ihr stammen. Eine schlanke, schwarzhaarige Frau löst die Umarmung und untersucht das Mädchen auf schwere Verletzungen, bis sie den blauen Fleck entdeckt. Vollkommen in einer Starre vertieft, bemerkt Mikasa nur noch, wie die Frau sie hochhebt und runter zur Küche bringt. Dort wischt sie mit einem kalten Lappen die kleinen Schweißperlen von Mikasas Stirn ab. Etliche Fragen prallen an Mikasa vorbei. Die dunkelgrauen Augen starren nur gerade aus.
 

"Mein Liebling, Mikasa! Was um alles in der Welt ist passiert? Mikasa", spricht ihre Mutter Misaki sie besorgt an. Erleichtert um Mikasas Wohlbefinden neben dem violetten Fleck und ihrem Schock, scheint es ihr gut zu gehen. Kein Wort kriegt Misaki aus ihrer Tochter heraus. Liebevoll streichelt sie über Mikasas Wangen, was zur Erlösung von Mikasas Starre führt. "M-M-M … was … m-machst ...d-d-du hier"?, wundert sich das Mädchen und zittert noch am ganzen Körper. Die Mutter schüttelt lächelnd den Kopf und kümmert sich weiter um ihre Tochter. Dann antwortet sie: "Seltsame Geräusche haben mich aufgeweckt und ich dachte ein Einbrecher ist oben bei dir und …!" Weiter kommt Misaki nicht, als Mikasa anfängt zu weinen. "A-Aber … nein … e-es … u-unmöglich. J-Jetzt … ist … es … m-m-mir … k-klar", schluchzt sie benommen und steht mit wackligen Beinen auf, sich noch etwas dabei mitnehmend. Obwohl ihre Mutter sie daran hindern will, stürmt Mikasa in die Wohnstube und schreckt mit einem angstvollen Quieken auf.
 

Das Gesicht verblasst bei dem Anblick, welcher sich auf dem Sofa befindet. Automatisch legt sie ihre Hände vor der Nase und bekommt weiche Knie, die sie beinahe wieder zum Fall bringen. Nur mit reiner Willenskraft kann sie sich noch auf den Beinen halten. Vor ihren Augen liegt ihr Vater bewusstlos auf der Couch. Am Hals und um den Mund weisen sich gräuliche Male auf, die leicht abgeblättert wie bei Zombies sind. Der Mund ist ein Stück geöffnet und Kampfverletzungen sind zu erkennen, bei deren Anblick Mikasa in die Realität zurück bringt. Das Poltern wurde durch den Kampf hier unten verursacht, weswegen ihr Vater halbtot dort liegt. Nun ergibt die weibliche Gestalt ebenfalls Sinn.

Langsam dreht sich Mikasa um. Misaki schaut ihre Mutter emotionslos an. Die hellgrauen Seelenspiegel kugeln sich um 180° zum Innenkopf und weiße, unmenschliche Augen kommen zum Vorschein. Selbst ihre Knochen knacken bei der schiefen, halb verkrümmten Körperhaltung, als sie den Schatten zum ersten Mal sah.
 

"D-Du …", haucht sie ungläubig. Ihre eigene Mutter ist der Schatten. Jetzt erinnert sie sich auch an alles. Vor 6 Jahren verstarb ihre Mutter in einer regnerischen Nacht. In den nächsten Tagen war die Beerdigung und als kleines Mädchen sah sie den Geist ihrer Mutter, doch andere redeten ihr Monate später diesen angeblichen Unsinn aus. Seitdem verlor sie die Gestalt ihrer Mutter aus den Augen. Warum greift sie ihre eigene Familie an? Als ob der Geist ihre Gedanken lesen kann, fängt diese an hämisch zu lachen. Misaki kann das nicht glauben. "Du und dein Vater habt mich vergessen! Anfangs hast du noch mit mir geredet und gespielt. Bis Thomas es geschafft hat, mich als einen Unsinn zu bezeichnen, und von dir verlangt hat, mich zu vergessen. All die Jahre der Einsamkeit. Dafür wollte ich mich rächen", keift die Frau wutentbrannt ihre eigene Tochter an und die leere, äußerliche Hülle verschwindet. Der Schatten alias Misaki nimmt ihre wahre Gestalt wieder an. "E-Es … tut m-m-mir l-leid … M-M-M", weint sie. Deshalb konnte Mikasa das Wort Mama nicht sagen, weil ihr Herz wusste, wer in Wirklichkeit der Schatten war. Zu ihrer eigenen Sicherheit verdrängte sie den Tag der Beerdigung. Eins weiß Mikasa jedoch, dass da ist nicht mehr ihre Mutter. Sie ist vor 6 Jahren verstorben, darum muss sie jetzt ihren Vater schützen. Plötzlich schubst der Schatten Mikasa so stark, dass sie nach hinten gegen die Tischkante knallt und beim Sturz alles verschwommen wahrnimmt. Zuletzt ertönt ein hinterhältiges Lachen.
 

Beim Erwachen dröhnt leidvoll ihr Kopf. Ihr Körper wird auf den Treppen nach oben geschleift, während Misaki sie an den Haaren hochzieht. Ein Keuchen gleitet über die Lippen, als sie ihren Kopf anhebt. Oben bleibt ihre Mutter kurz stehen. Zum Glück fällt Mikasa ein, dass sie vom Küchentisch noch das Messer in der Hand hat. Ohne zu zögern schneidet sie mit einem Schwung ihr Haar ab und befreit sich somit von dem Griff ihrer Peinigerin. Sofort bemerkt der Schatten es und greift Mikasa am Hals, wo sie dann das Mädchen gegen das Treppengelände zwängt. "Argh …", stöhnt sie auf und blickt in das verrückt grinsende Gesicht ihrer eigenen Mutter. Diesmal würgt Misaki mit aller Kraft ihre Tochter, um endlich nicht mehr einsam zu sein. Unter diesen verzweifelten Anblick bricht beinah Mikasas Herz. Tränen fließen ununterbrochen über ihr Gesicht.
 

Völlig zerzaust reicht ihr schwarzes Haar bis zu den Schultern. Beim Würgen fallen lange Haarsträhnen nach unten. Als Mikasa keinen anderen Ausweg findet, hebt sie ihre Hand mit dem Messer und lächelt traurig ihre Mutter an. "Ich habe dich lieb, Mama", flüstert sie mit einem warmen Lächeln. Bei den Worten unterbricht der erzürnte Geist der Mutter ihr Vorgehen. Ungewollt vergießt sie kristallklare Tränen und lockert den Griff um Mikasas Hals. Mikasa verschwendet ihre einzige Chance. Schweren Herzens kann sie ihre Mutter nicht verletzen, wirft das Messer weg und wie durch Ironie zerbricht das alte Treppengelände. Mikasa stürzt in die Tiefe. Hilflos streckt Misaki ihre Hand nach ihr aus. Tränen von Mikasa berühren dabei ihr Gesicht und sie bereut ihre Selbstsucht nach dem alten Familienglück. Ein Schrei erfüllt das Haus.



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