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nicht allein

— yuri, mila und metaphorische rentiere.
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Wichtig: In diesem Oneshot wird Mobbing thematisiert. Falls dich das belastet und dir nicht gut tut, das hier ist dein Stichwort um dieses Fenster zu schliessen. Komplett anzeigen

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Moskau, Dezember 2019

Er hörte das Tuscheln bevor er sie sehen konnte. Sergej war immer noch plattnasig, auch wenn er sich nicht mehr so ungelenk wie früher bewegte, Evgenia war zwar ihrer Mops-Phase entwachsen und hatte ein süsses Gesicht, aber ihre Stimme klang weiterhin wie ein die einer Hexe. Er wusste nicht, ob sie sich noch an ihn erinnerten, schliesslich waren sie auch früher gut darin gewesen so zu tun, als gäbe es ihn gar nicht. Wenn sie es doch mal taten, erinnerten sie ihn gerne daran, wie es doch seltsam war, für einen Jungen Eiskunstlauf zu machen und wie er mit seinem langen Haar und den zarten Gesichtszügen wie ein Mädchen aussah.

„Vielleicht darfst du ja eislaufen, weil du eigentlich gar kein Junge bist“, hatte sein Nachbar Artyom hämisch gemeint. Hätte sein Grossvater die Jungs nicht vertrieben, sie hätten es bestimmt auch lustig gefunden, sich dessen zu vergewissern dass er sicher kein Mädchen war.

Yuri hatte versucht, sich stark zu geben. Kinn hoch, Gefühle aus, ganz wie seine erste Trainerin es ihm immer eingeschärft hatte. Wenn er es auf dem Eis konnte, auch wenn ihm die Füsse schmerzten und die Lunge brannte, dann konnte er es auch wenn die Mädchen in der Klasse hinter seinem Rücken tuschelten und die Jungs ihn in den Pausen beiseite nahmen, um ihm Schnee in die Jacke zu stopfen oder an den Haaren zu ziehen.

Als er mit neun von der Volksschule genommen wurde und stattdessen Privatunterricht erhielt, damit er sich mehr auf den Sport konzentrieren konnte, hatte er sich damit abgefunden, dass er keine gleichaltrigen Freunde haben konnte. Irgendwann war es okay geworden, schliesslich hatte er auf dem Eis zu sein. Aber manchmal hatte er sich dabei ertappt, wie er den Kindern aus der Nachbarschaft zugesehen hatte, wie sie morgens zur Schule gingen und miteinander herumalberten. Manchmal, wenn Grossvater ihn mit ins Stadtzentrum genommen hatte, waren sie einander flüchtig begegnet, doch aus dem Ignorieren war Vergessenheit geworden. Ein Jahr später war er nach Sankt Petersburg gezogen und um seine vierzehn, fünfzehn, als er seine Familie in Moskau besuchen gekommen war, hatte er mit Bitterkeit festgestellt, dass sie sich alle wirklich nicht mehr daran erinnerten, was sie ihm früher alles angetan hatten. Nur Yuri hielt noch beständig an seinem Groll fest und hoffte, dass… Worauf er hoffte, das wusste er irgendwann auch nicht mehr.

Heute kannten sie seinen Namen, weil er im Fernsehen war. Auch wenn er den Medienrummel noch immer hasste, mit dem Erfolg den er hatte konnte auch Yuri Plisetsky sich nicht vor dem gelegentlichen Interview drücken.

„Hat der nicht mal bei uns im Gebäude gewohnt?“ Fragte Evgenia Sergej gerade, eine Hand sinnlos vor dem Mund um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Zu spät. Ihre hässliche Stimme hörte man ohnehin viel zu gut, auch über den Rummel des Weihnachtsmarkts am roten Platz hinweg. Beinahe hätte er gelacht.

„In Echt ist er ja noch hübscher!“

Yuri war danach, die Kapuze seiner Jacke noch etwas tiefer in sein Gesicht zu ziehen. Von dir will ich nicht so genannt werden, schoss es ihm unweigerlich in den Kopf und er war kurz davor, es ihr auch direkt ins Gesicht zu sagen, als sich eisige Finger um seine eigenen wickelten.

„He, Kater. Ich hab dich was gefragt.“ Mila knuffte ihn in die Rippen. Er verzog den Mund über den Kosenamen, schüttelt leicht den Kopf.

„Hab nicht aufgepasst“, gab er ungerührt zurück. Ihre Hand liess er trotzdem nicht los. Sie lachte und strich sich das weinrote Haar aus dem Gesicht. Mila war am Hübschesten, wenn sie lachte, aber Yuri hütete sich davor, ihr das zu sagen. Sie wusste ohnehin schon zu Genüge, dass sie gut aussah.

„Das hab ich gemerkt. Wollen wir deinem Grossvater Lebkuchen mitbringen?“ Sie drehte sich zum Stand um, den sie eigentlich gemeinsam betrachtet hatten, bevor er von anderen Dingen abgelenkt worden war. Keinen Meter weiter stritt Alyona, die ebenfalls mit ihnen in Sankt Petersburg trainierte gerade mit dem Besitzer über das abgebrochene Bein eines Lebkuchenmannes. Georgi schien nur mässig daran interessiert, sie davon abzuhalten, ihm eine Szene zu machen.

„Nee, er darf nicht so viel Zucker haben“, antwortete Yuri. „Was ist ihr Problem?“

„Sie will unbedingt genau den Lebkuchenmann mitnehmen. Für ihre Tante oder so. Den will sie jetzt billiger kriegen, weil er kaputt ist.“ Dafür, dass ihre beste Freundin gerade kurz vor dem Explodieren zu stehen schien, nahm Mila das sehr gelassen. Ihr Freund verdrehte die Augen.

„Bein ab macht das Ding jetzt auch nicht weniger essbar.“

„Erklär du ihr das mal.“
 

· · ·
 

Sie verliessen den Markt gegen den frühen Abend, als es zu dunkeln begann und die Festtagsbeleuchtung angestellt wurde. Alyona hatte ein gemeinsames Abendessen vorgeschlagen, nachdem sie den Lebkuchenverkäufer erfolgreich dazu gebracht hatte, sie 25 Prozent weniger zahlen zu lassen, aber ehrlich gesagt hatte Yuri keinen Nerv mehr für sie. Oder für Georgi. Beide waren ganz okay, wenn er sich nicht weiter gross mit ihnen befassen musste, beide waren exzellente Sportler. Aber Georgis Neue kennenlernen musste er nicht. Wenn sie wie seine Ex war, würden die beiden ohnehin nur ganz ekelhaft verliebt tun und Alyona war auch drauf und dran gewesen, ihren Freund anzurufen, damit er zu ihnen stossen konnte. Alles Dinge, auf die er gut verzichten konnte. Mila schien sich nichts daraus zu machen und verabschiedete sich schnell und effizient von den beiden. Umarmung, Küsschen, Küsschen, bis bald.

Die Wohnung seiner Eltern war dankbar nah und die beiden Eiskunstläufer machten beim Supermarkt um die Ecke halt, um sich etwas fürs Abendessen zu kaufen. Mila fand viel zu viel Spass dabei und beinahe hätte Yuri die Begegnung am Nachmittag vergessen, als Evgenia und Sergej, dieses Mal mit Artyom im Schlepptau, ebenfalls den Laden betraten. Der Blonde stellte mit Genugtuung fest, dass er grösser als Artyom war. Dieses Mal nahmen die anderen ihn offen wahr und grüssten nach einer peinlich stillen Sekunde. „Plisetsky“, begann Sergej schlussendlich. Yuri lief wortlos an ihm vorbei. Er hatte den dreien nichts zu sagen, also konnte er sich die Worte sparen. Mila wirkte verwirrt, aber folgte ihm ohne Fragen zu stellen. Ihre Finger verschränkten sich fest mit den seinen. Yuri unterdrückte ein zufriedenes Lächeln.
 

· · ·
 

„Was willst du wissen?“

Milas Haar kitzelte seine Nase und er blies in einem müden Versuch, es aus seinem Gesicht zu bekommen. Sie sah auf, lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter. In der Dunkelheit von Yuris Raum konnte er nur knapp ihre Züge erkennen, aber das Bisschen Licht das von der Strasse kam, spiegelte in ihren Augen.

„Woher–“

„Frag schon. Ich antworte sonst nicht mehr.“

Sie schnaubte und schüttelte den Kopf, drückte ihm stattdessen einen Kuss auf die Wange.

„Nein. Ich glaube, ich hab genug gesehen. Ich weiss, was ich wissen muss.“

Yuris Arme schlangen sich etwas fester um ihre Mitte und zogen sie ein kleines unmögliches Bisschen näher an sich. Er schwieg, aber sie verstand trotzdem.

„Nächstes Mal wenn Alyona fragt, ob wir was gemeinsam machen, sag wir haben Pläne oder so. Sie ist anstrengend“, wagt er dann zu sagen. Milas Mimik beobachtete er dabei aufmerksam, auf der Ausschau nach einem Hinweis dass sie ihm seine Worte übel nahm. Sie lachte bloss, ihr Atem warm auf seinen Lippen.

„Manchmal geht man halt mit Freunden weg, selbst wenn sie anstrengend sind.“

Yuri wollte entgegnen, dass er und Alyona gewiss keine Freunde waren, aber dann erinnerte er sich daran, dass sie ihm dabei geholfen hatte, Muskelübungen zu finden während er in der vorletzten Saison seinen Knöchel im Training verletzt hatte. Oder dass er ihr zwar reichlich ruppigen, aber ernst gemeinten Rat gegeben hatte, als sie davor gestanden hatte, ihren Freund für vollkommen hirnrissige Gründe zu verlassen. Vielleicht war das schon ein bisschen Freundschaft.

Ein bisschen. Yuri brummte etwas Unverständliches und Mila bettete ihren Kopf wieder auf seiner Brust. „Jetzt schlaf. Du musst mich morgen deinen Eltern vorstellen.“

Sein Lachen war leise, aber sie hörte es trotzdem.

„Du bist so eine herrische Hexe.“

„Du stehst drauf. Lüg' nicht.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: Arcturus
2016-12-25T19:58:42+00:00 25.12.2016 20:58
Ich schließe mich  Kim_Seokjin an - es ist toll, wie die Beziehung von Yuri und Mila funktioniert. Auch, dass das "Gespräch" über das Geschehene fast ohne Worte (und vor allem ohne neue Wunden) auskommt, finde ich klasse gemacht. :3
 
lG
Arcturus
Von:  Kim_Seokjin
2016-12-15T06:27:33+00:00 15.12.2016 07:27
Ach, endlich kann ich sie wieder lesen und dieses Mal gibt es auch einen längeren Post dazu. :)
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Yuri früher gehänselt wurde. Kinder können grausam sein.
Ich mag die erste Interaktion mit Mila und ihm. Auch das Georgi und seine neue Flamme dabei sind. Ich habe sehr geschmunzelt über die Szene mit dem Lebkuchenmann. ;)
Ein weiteres Aufeinandertreffen der Schulkameraden und die eigenwillige Reaktion von Yuri. Ich kann sie wirklich verstehen und finde es gut, dass er nichts gesagt hat. Auch wie Mila reagiert. Die letzte Szene ist meine Lieblingsszene zwischen den Beiden. Weil ich es toll finde, wie die Beziehung zwischen den Beiden funktioniert. <3



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