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So lange wie nötig

FF-Adventskalender Tag 4
von

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So lange wie nötig

Der erste Schnee des Winters kam unerwartet.

Zwar war es über die vergangenen Wochen merklich kälter geworden und auch die frühen Morgenstunden hatten ihn immer öfter mit frostigem Glitzern auf Pflanzen und Böden begrüßt, aber das musste nicht zwingend bedeuten, dass es auch Schnee geben würde.

Merlin seufzte, als er sich wieder in die Höhle zurückzog, in welcher er die Nacht verbracht hatte. Er musste noch seine Spuren verwischen, bevor er sich auf den Weg machte.

Einen Moment verharrte er vor den Überresten des Feuers, welches er am gestrigen Abend entfacht hatte. Noch konnte er umkehren, sich nicht erneut den Erinnerungen aussetzen. Energisch schüttelte er den Kopf. Es war das Mindeste, was er tun konnte. Und außerdem war da immer noch die Hoffnung, dass es vielleicht dieses Mal so weit sein würde.

Nachdem er die letzten Spuren seines Feuers beseitigt hatte, schulterte er sein Gepäck. Ihm war noch immer kalt, und er würde seine Wasserflasche bald auffüllen müssen. Er konnte bereits spüren, wie sich erste Risse in seinen Lippen bildeten, und der eisige Wind, der ihm beim Verlassen der Höhle entgegenschlug, würde sicherlich sein übriges tun.

Erneut seufzte er, dann machte er sich auf den Weg. Er hatte noch einiges an Weg vor sich.

 

Sein erstes Ziel kam am späten Nachmittag in Sichtweite. Merlin konnte beinahe spüren, wie sich sein Magen zusammenkrampfte – hierher zurückzukehren hatte er bis zum heutigen Tage tunlichst vermieden. Die Überreste von Camelot wirkten immer noch bedrohlich, auch wenn sie beinahe nichts mehr von ihrer Erhabenheit ausstrahlten, die sie früher einmal besessen hatten.

Die Nachricht, dass Arthur tot war, hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Und auch wenn Gwen alles in ihrer Macht stehende getan hatte, die aufkommende Furcht im Land zu kontrollieren und auch die anderen Königreiche auf Abstand beziehungsweise auf ihrer Seite zu halten, so hatte sich doch mit der Zeit eine Allianz gegen Camelot geformt. Der Krieg, der darauf gefolgt war, hatte die Bevölkerung hart getroffen und letztendlich mit der Niederlage Camelots geendet. Merlin war zu der Zeit außer Landes gewesen, zu eingenommen von Schmerz und Selbstzweifeln. Seine Untätigkeit in diesem Konflikt war ein weiterer Punkt auf der langen Liste an Dingen, von denen er sich wünschte, er hätte anders gehandelt.

Nach dem Krieg war das Schloss sich selbst überlassen worden, und über die Jahre hatte sein Verfall eingesetzt. Trotzdem schossen Merlin beim Anblick des alten Gemäuers zahllose Erinnerungen durch den Kopf. All die Feste, die sie hier gefeiert hatten, die Trainingsstunden, die ihm damals wie eine Qual vorgekommen waren, aber die er sich im Nachhinein sehnlichst zurückwünschte. Natürlich war Camelot nicht nur mit guten Erinnerungen verbunden, momentan schaffte er es aber, diese im Hinterkopf zu behalten und sich auf die positiven Ereignisse zu konzentrieren.

Einen der alten Schleichwege, die er zum Betreten des Schlosses genutzt hatte, existierte immer noch, und so fand er sich schnell innerhalb der Mauern wieder. Auch dahinter war nicht viel von dem lebhaften Camelot, das er in Erinnerung hatte, übrig geblieben. Leer und verlassen, das waren die Worte, die Merlin im Kopf herumschwirrten. Er war erstaunt, als ihn das Bedürfnis ergriff, ein wenig durch die Gassen zu schweifen und zu sehen, ob sich nicht doch noch jemand hier aufhielt. Doch er verwarf den Gedanken wieder – er war schließlich aus einem Grund hier.

Er hatte etwas gespürt, etwas Magisches. Und das war es, was ihn nun an den Ort trieb, den er so lange vermieden hatte. Fünfundzwanzig Jahre waren eine lange Zeit des Wartens. Nach dem Krieg hatte Merlin gehofft, dass nun die Zeit gekommen war, zu der Arthur wiederkehren würde. Immerhin brauchte Albion ihn, oder etwa nicht?

Das Schicksal sah dies offenbar anders, denn bis jetzt war Arthur nicht zurückgekehrt. Über die Jahre hinweg hatte er erst mit Unmut darauf reagiert, und letztendlich resigniert. Er konnte das Schicksal nicht beeinflussen. Das hatte er schon einmal schmerzlich erfahren. Und so blieb Merlin nichts anderes übrig, als auf ein Zeichen zu hoffen. Vielleicht war dieses magische Gefühl das Zeichen, auf welches er gewartet hatte.

Aus dieser Hoffnung heraus war er nach Camelot aufgebrochen, um dort nach Hinweisen und Spuren zu suchen, die ihm vielleicht weiterhelfen würden. Es gab schließlich keinen besseren Ort, um mit der Suche zu beginnen.

Merlin benetzte seine viel zu trockenen Lippen. Nicht, dass es ihm viel ausgemacht hätte. Das war der Vorteil, wenn man unsterblich war: Auf manche Dinge musste man weniger Rücksicht nehmen. Nicht, dass er diesen Vorteil nicht auch schon als Nachteil empfunden hatte, aber es konnte auch ein sehr nützlicher Umstand sein. Genau wie jetzt, da er sich in einem Gemäuer umschauen wollte, bei dem eine Beschreibung als baufällig noch sehr wohlwollend war. Merlin beschloss, dass sein Ausgangspunkt die Eingangshallen sein würde. Und dann würde er sich in Ruhe umsehen.

 

Der Mond warf bereits sein kaltes Licht auf Camelot, als Merlin das Schloss wieder verließ. Er hatte nicht gefunden, was er gesucht hatte – auch wenn er gar nicht so genau wusste, was er eigentlich suchte. Was er stattdessen gefunden hatte, waren alte Erinnerungen, die sich ihm so detailreich präsentiert hatten, als lägen die Ereignisse nicht schon Jahrzehnte zurück, sondern als wäre es erst gestern gewesen. Er fühlte sich erschöpft, weniger wegen des Laufens, Suchens und Kletterns, sondern wegen der emotionalen Anstrengungen, die sich aus diesen Erinnerungen ergeben hatten. Es machte ihm Angst, wie nah ihm all dies noch ging. Vielleicht war er doch nicht so abgestumpft, wie er es vermutet hatte.

Nachdem er ein Haus gefunden hatte, welches einen halbwegs stabilen Eindruck auf ihn machte und ihn vor eventuellem neuen Schneefall schützen würde, schlug er in diesem sein Lager auf und fiel in einen – wie er fand glücklicherweise – traumlosen Schlaf.

 

Als er am nächsten Morgen erwachte, war das magische Gefühl wieder zu spüren. Er runzelte die Stirn, nicht, dass er sich schon in der Lage fühlte, sich auf den Weg zu machen, aber er musste. Was, wenn er sonst etwas wichtiges verpasste?

Erstaunt stellte er fest, dass ihn der Weg nicht sonderlich weit führte. Nachdem er die Stadttore hinter sich gelassen hatte, führte das Gefühl ihn auf einen Pfad, von dem er genau wusste, wohin er sich nun auf dem Weg befand. Er hatte Friedhöfe noch nie leiden können.

Das Gefühl und seine eigene Sturheit ließen ihn jedoch verbissen weiter folgen. Zu seinem Erstaunen war es nicht Arthurs Grab, zu dem er geführt wurde, sondern eine Reihe verschiedener Gräber, die er abläuft.

Da ist das von Gaius, von dem er sich nicht gebührend verabschiedet hatte, weil er es nicht ertragen konnte, nach Camelot zurückzukehren. Es fühlte sich heute noch an, als hätte er seinen alten Lehrmeister verraten.

Da ist Gwaines Grab, bei dem er eine Weile stehenblieb. Er war froh, dass seine Lippen bereits rau und spröde waren, sonst hätte er vermutlich so lange auf seiner Unterlippe herum gekaut, bis sie blutete. Gwaine hatte ein glückliches Leben verdient. Keinen Tod im Kampf.

Und schließlich ist da Gwens Grab. Sie hatte ihn immer unterstützt, war ihm immer eine Freundin gewesen. Und sie war eine gute Königin gewesen, auch, wenn sie den Zerfall Camelots nicht hatte verhindern können.

Merlin wünschte sich, zumindest einer von ihnen wäre noch da. Und was noch frustrierender war, war die Tatsache, dass das Gefühl des Magischen verschwunden war, nachdem er Gwens Grab erreicht hatte.

 

Es gab nur noch einen Ort, an den er zurückkehren musste, bevor er die Hoffnung für dieses Jahr begraben würde. Der See von Avalon lag vor ihm, ein unschuldig, glitzerndes Gewässer, das für ihn jedoch so viel Schmerz barg. Merlin stellte sein Gepäck ab, ließ sich am Ufer des Sees nieder und starrte trübselig ins Wasser.  Es konnte nicht schon wieder ein erfolgloses Jahr werden. Er wollte nicht mehr warten.

Plötzlich war das magische Gefühl wieder da, und dann blickte er in ein bekanntes Gesicht.

„Freya“, sagte er, und sie lächelte. „Hast du mich so herum gescheucht?“

Seine Stimme hatte verbitterter geklungen, als er es gewollt hatte, und ein ernster Gesichtsausdruck trat auf Freyas Gesicht.

Du kannst dich nicht von Kummer und Schmerz einnehmen lassen“, antwortete sie. „Du wirst daran zerbrechen, wenn du so weitermachst.

Merlin schnaubte ungehalten.

„Und deshalb schickst du mich zu Plätzen, die mir Schmerz bereiten und Kummer auslösen?“, fragte er. „Ich bin es leid zu warten.“

Freyas Gesichtsausdruck war verständnisvoll, aber da war auch noch etwas anderes in ihrem Blick. Merlin war sich nicht sicher, wie er es beschreiben konnte.

Ich hatte die Hoffnung, dass du dort ein wenig Frieden mit dir selbst schließen kannst“, sagte sie. „Du hast getan, was in deiner Macht stand. Und trotzdem zerfrisst dich der Gram.

„Ich habe nicht genug getan“, antwortete Merlin unwirsch. „Sonst wäre Arthur noch am Leben.“

Das weißt du nicht. Aber er würde nicht wollen, dass du seinetwegen unglücklich bist.

Merlin schwieg, nicht sicher, was er darauf erwidern sollte.

Du weißt, dass du auf ihn warten wirst. Das ist dein Schicksal, und wenn du ganz ehrlich bist, hast du dich damit schon abgefunden. Es bringt nichts, in der Vergangenheit zu leben, es ist kein Verbrechen, loszulassen und weiterzumachen. Du hast immer noch Hoffnung. Und du bist stark, wenn jemand in der Lage dazu ist, dann du.

„Es ist schwer“, erwiderte Merlin, es war schwierig zu sprechen und den Kloß in seiner Kehle zu ignorieren, der sich bei Freyas Worten gebildet hatte.

Ich weiß“, antwortete diese. Plötzlich war es, als spüre er ihre Hände auf seinen Wangen. „Aber du bist nicht allein.

Eine unerwartete Ruhe durchströmte ihn, es fühlte sich an, als würden sanfte Lippen über seine Stirn streifen, die so stark im Kontrast standen zu seinen eigenen und seiner Gefühlswelt. Er schloss die Augen.

Ich werde hier sein, egal wie lange es dauert. Das verspreche ich.“

Als er die Augen wieder öffnete, war das Gefühl der Ruhe noch da, aber Freya war verschwunden.

 

Merlin hatte sich seinem Schicksal längst ergeben, wenn er es genauer betrachtete, damit hatte Freya recht. Sein unsterbliches Leben würde das eines Wartenden sein. Das war kein Trost, aber daran gab es nichts zu rütteln. Und irgendwann, da war er sich sicher, würde der Moment kommen, in dem sein Wunsch wahr werden würde. Arthur würde zurückkehren. Und er würde darauf warten, so lange wie nötig.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Hino_Kuraiko
2017-11-19T09:56:22+00:00 19.11.2017 10:56
Aww, das ist gleichzeitig ein trauriger wie wunderschöner Anfang :")! Ich würde mich freuen, wenn die Geschichte weiter gehen würde !
Glg Hino
Antwort von:  konohayuki
19.11.2017 14:37
Danke für deinen Kommentar :)
Eine Fortsetzung ist nicht geplant, da die Geschichte als One-Shot gedacht war. Es wird also vermutlich auch keine Fortsetzung geben.


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