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Fimbulvetr

von

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"Es hagelte faustgroße Eisbrocken aus der grauen Wolkenmasse am Himmel, während der Wind ohrenbetäubend heulte. Die Hagelkörner durschlugen die Strohdächer der Hütten der Dorfbewohner, hinterließen Krater in den Lehmwänden, zerschmetterten sowohl Tieren, als auch Menschen den Schädel und-"
 

"Hör auf."
 

"Das Wasser gefror in den Brunnen und selbst der reißende Fluss erstarrte zu Eis. Wie das Sensenblatt des Todes höchstpersönlich kroch die unsichtbare Decke aus Kälte über das Land und schickte die Natur selbst in den ewigen Schlaf."
 

"Du sollst damit aufhören", beklagte sich Alashe und wischte sich die Nase mit einem Papiertaschentuch ab.

Daniel ließ ein wenig geknickt das Buch sinken, aus dem er vorgelesen hatte, und verzog die Lippen zu einem Schmollmund. "Ich wollte dir nur eine winterliche Geschichte vorlesen, damit es dir besser geht."

Sie warf ihrem Freund ein kleines gelbes Couchkissen an den Kopf. "Winterlich ist ja schön und gut, aber-" Mitten im Satz brach sie ab und nieste.

"Gesundheit."

"Danke", drang es zwischen zwei Schnäuzern hervor. "Aber eine Geschichte vom Weltuntergang stimmt mich bestimmt nicht positiv."

Lächelnd zuckte Daniel mit den Schultern und stand auf. Er schlenderte gemütlich zu einem Fenster und spähte in das weiße Chaos nach draußen. "Es kam mir nur so passend vor."

Der Blizzard tobte noch immer unaufhörlich und hatte mittlerweile alles unter sich begraben, was kleiner als ein Feuerhydrant war.

"Ich weiß jetzt schon nicht mehr, unter welchem Schneehaufen eigentlich unser Auto steht." Er stellte sich auf die Zehenspitzen, als ob er dadurch über den Sturm hinweg schauen könnte.

Alashe hatte nur halb zugehört. Sie murmelte sich in die weinrote Kuscheldecke mit eingelassenen Ärmeln ein und blies vorsichtig in den noch heißen Hagebuttentee, den ihr Daniel zuvor aufgegossen hatte.

"Ob das heute noch aufhören wird?" fragte der junge Mann, ohne vom Fenster wegzuschauen. Er wartete keine Antwort ab und fuhr einfach fort. "Ich werde nachher den Weg vor dem Haus freischippen. Haben wir überhaupt eine Schneeschippe?"

"Ich glaube, im Keller steht eine. Aber die gehört uns nicht." Alashe nippte an der Tasse mit den Häschenmotiven und ließ die Wärme des Tees durch ihren Körper wandern. "Pack lieber die Geschenke ein. Es passt nicht zu dir, bis so kurz vor Weihnachten damit zu warten."

Daniel drehte sich halb zu seiner Freundin um und nickte. "Hast ja recht." Er verschwand in der Schlafstube und kam kurz darauf mit fünf Rollen verschiedenen Geschenkpapiers, einer Schere, einer Rolle Klebeband und drei Kordeln mit bunten Geschenkband wieder in das Wohnzimmer gewatschelt. Nachdem er alles fein säuberlich auf den Boden gelegt hatte, ging er noch einmal zurück, um die Aufkleber und Namensschilder mit den weihnachtlichen Motiven hervorzukramen.

Sie seufzte und stellte die Tasse ab. "Also, wenn du das unbedingt hier machen musst, dann gehe ich mich ins Bett verkriechen." Beim Versuch aufzustehen stellte sich Alashe ausversehen auf die Kuscheldecke, stolperte, drehte sich eine halbe Runde und landete mit dem Gesicht in den verschiedenfarbigen Couchkissen.

"Bleib einfach dort liegen." Daniel hatte sich im Schneidersitz auf dem Teppich niedergelassen und war dabei die - seiner Meinung nach - hübsche Vase für seine Mutter in blaues Geschenkpapier mit Schneesternen darauf zu verpacken.

Alashe murmelte etwas unverständliches vor sich hin und rollte sich auf der Couch so zurecht, damit sie ihrem Freund ein wenig bei seinem Tun zusehen konnte.

Sie wusste nicht, ob es an seinen britischen Wurzeln lag oder das nicht gerade kleine Kind in ihm einfach nur Spaß an der Bastelei hatte.

Es dauerte nicht lange, bis Alashe träge die Augen schloss und einschlief.
 

Gähnend richtete sich die junge Frau halb auf und rieb sich mit dem Handrücken über die Augen. Sie versuchte erst einmal richtig wach zu werden.

Draußen war es offensichtlich bereits Dunkel geworden und die Deckenbeleuchtung im Wohnzimmer war ausgeschaltet. Nur drei kleine Teelichter in roten Dekorgläsern verbreiteten warmes Zwielicht und ließen Schatten an den Wänden tanzen.

Alashe setzte sich nun vollends aufrichtig hin und nahm ihr Smartphone zur Hand, um die Uhrzeit zu überprüfen.

"Kurz nach sechs", murmelte sie vor sich hin. Als sie die Tatsache bedachte, dass sie beinahe den ganzen Nachmittag verschlafen hatte, musste sie ein wenig lachen.

Ein kurzer Blick auf die Energieanzeige verdeutlichte ihr, dass der Akku des Gerätes weniger als zwölf Prozent betrug und in nächster Zeit den Geist aufgeben würde.

Auf dem Fußboden waren die Geschenke und das ganze Verpackungsmaterial nicht mehr zu sehen. Daniel musste alles wohl wieder aufgeräumt haben, während sie geruht hatte.

Das Zimmer schien kühler geworden zu sein.

Die junge Frau beugte sie über die Rückenlehne der Couch und betastete die Heizung.

Kalt. Obwohl der Heizkörper auf die zweithöchste Stufe eingestellt war, strahlte er keinerlei Wärme ab.

"Daniel?", rief Alashe durch den spärlich beleuchteten Raum. Als sie keine Antwort erhielt stand sie auf und trat in den Flur und spähte von dort in die Küche.

Sie wollte die Beleuchtung einschalten, doch tat sich nach dem Betätigen des Schalters nichts. Selbst nach mehreren Wiederholungen blieben die Räume im Dunkeln.

"Daniel, bist du eingeschlafen oder auf dem Klo?" Alashe tastete sich vorsichtig zum Badezimmer durch, öffnete die Tür und steckte den Kopf hinein. "Oder bist du auf dem Klo eingeschlafen.

Gerade als in ihr ein mulmiges Gefühl aufstieg, öffnete sich die Wohnungstür und der junge Mann trat mit einer Taschenlampe in der Hand in den Flur.

"Wo warst du denn gewesen?", wollte sie wissen, während eine Welle der Erleichterung sich in ihr ausbreitete.

"Es tut mir leid", entschuldigte sich Daniel und gab ihr einen Kuss auf die Wange. "Aber du musstest ja gerade während den fünf Minuten aufwachen, in denen ich nicht da war." Er grinste sie an und gemeinsam gingen sie zurück in die Wohnstube.

"Du warst doch aber jetzt nicht ernsthaft Schnee schippen, oder?"

"Nein, nein", sein Lächeln verschwand und dafür machten sich ein paar Sorgenfalten auf seiner Stirn breit. Ein sehr seltener Anblick.

Alashe bemerkte die und sah ihm in die Augen. "Ist irgendwas passiert?"

Daniel seufzte ausgiebig, ließ sich auf der Couch nieder und legte die Taschenlampe beiseite. "Der Blizzard hat uns scheinbar vom Stromnetz abgetrennt. Auch bei den Nachbarn leuchtet nicht eine Birne." Er sah über die Schulter in die Richtung der Heizung. "Mr. Coleman meinte, dass die Heizung ausgefallen sei. Selbst die Wasserrohre scheinen zugefroren zu sein. Oder aufgeplatzt. Oder beides."

Die junge Frau setzte sich neben ihren Freund und zog die Beine. "Der Wetterbericht sagte ja, dass es den ganzen Tag stürmen soll. Morgen sieht es sicher wieder besser aus." Sie wandte sich kurz von ihm ab um gereizt zu husten.

Nickend hob Daniel die weinrote Kuscheldecke vom Boden auf und warf sie Alashe um die Schultern. "Ja, morgen ist es wieder schön. Ganz bestimmt." Sein Blick schweifte kurz zu dem Buch, aus dem er ihr vorgelesen hatte.

Der Wind jaulte ohne die kleinste Pause vor dem Fenster und trieb die Schneemassen weiter vor sich hin. Langsam aber sicher, schien die Welter außerhalb im Weiß zu verschwinden.
 


 

Ende



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