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Morgen kommt der Weihnachtsmann - leider nur nebenan

von

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„Wir bitten unsere Hörer erneut, Ruhe zu bewahren. Aufgrund der heftigen Schneefälle der letzten Tage und der starken Sturmwinde sind viele Straßen aktuell unpassierbar. Menschliche wie maschinelle Schneeräumer arbeiten bereits daran, die Schneemassen von Straßen und Bürgersteigen zu entfernen. Leider kann dieser Vorgang noch bis in die Weihnachtsfeiertage hinein andauern. Bürger sind angewiesen, ihre Häuser und Wohnungen nicht zu verlassen, da ein weiterer Sturm auf dem Weg hierher ist. Bei mangelnden Vorräten und anderen Notfällen rufen Sie bitte die Notfallnummer der Stadt an.“ Der Sprecher nannte die Nummer sicher zum hundertsten Mal an diesem Tage. „Wir halten Sie natürlich weiter auf dem Laufenden. Wir wünschen Ihnen dennoch angenehme Weihnachten und machen weiter im Programm mit stimmungsvollen Weihnachtsliedern.“

„Morgen kommt der Weihnachtsmann“, gesungen von überbegeisterten Kinderstimmen, dröhnte nun aus dem alten Radio.

 

Yugi seufzte und stellte den Ton etwas leiser. Er blickte aus dem Fenster, aber so weit das Auge reichte, nur Weiß. Weiß, weiß, weiß… Yugi konnte nicht mal mehr das Nachbarhaus ausmachen, so weiß war es. Ein Windstoß rüttelte am Fenster, als wollte er sich vor der Kälte in Yugis warmem Wohnzimmer verstecken.

Erneut seufzte Yugi und stand auf. Es war der Tag vor Heilig Abend. Oder er wäre es, würde Weihnachten dieses Jahr nicht ins Wasser fallen. Yugi grinste halb. Ins gefrorene Wasser jedenfalls. Er hatte schon gestern aufgegeben, die Haustür zu öffnen. Wenn er das Haus verlassen wollte, müßte er aus einem Fenster im ersten Stock klettern, aber die eisigen Temperaturen und riesigen Schneedünen hielten ihn im Haus. Das hätte ihm der Radiosprecher wirklich nicht sagen müssen.

 

„Was für ein tolles Fest“, murmelte Yugi und mummelte sich noch tiefer in seinen weißen Pullover mit dem hohen Kragen, auf dem braune Rentiere über gleichfarbige Muster galoppierten wie über verformte Straßen. „Und ich sitze alleine hier, weil meine liebe Familie unbedingt meint, jetzt sei der perfekte Zeitpunkt für einen Abstecher ins Onsen.“ Das Onsen war weit oben in den Bergen und keiner würde von dort herunterkommen, solange Domino unter der dicksten Schneedecke seit überhaupt ächzte. Wenigstens ging es Yugis Mutter und Großvater gut, sie waren im Warmen und hatten zu essen. Nur ein gemeinsames Fest, das würde es dieses Jahr nicht geben.

 

Yugi seufzte, mal wieder. Sein Herz fühlte sich schwer an. So ganz alleine war es doch auch nicht schön… „Aber der Strom geht jetzt wieder“, murmelte er. „Vielleicht sollte ich doch etwas Schmuck aufhängen.“ Auf alle Fälle war es besser als vor dem Radio Trübsal zu blasen.

 

Somit stand Yugi auf und wanderte zu der großen, braunen Kiste, die neben dem Fenster stand. In schwarzem Filzstift und in Großvaters runder Schrift stand „Weihnachten“ auf dieser. Yugi kniete sich hin und öffnete die Kiste. Er mußte lächeln, als er ganz zu oberst die Weihnachtsmannmütze fand, die Jonouchi ihm letztes Jahr geschenkt hatte.

 

Yugi fing an, bei „Last Christmas“ mitzusummen, während er sich die Mütze aufsetzte und dann den künstlichen Tannenbaum aus seiner Ruhestätte befreite. Er kam wie jedes Jahr auf den niedrigen Tisch neben dem Kamin und wie jedes Jahr stach Yugi sich an einer der Drahtnadeln. Er lutschte am Daumen und hatte doch so etwas das Gefühl, daß tatsächlich bald Weihnachten war.

 

Rote Kugeln, goldene Bänder und Lametta in ungefähr sieben Farben, die Überreste der letzten Jahre, fanden langsam aber sicher ihren Platz auf den Kunstnadeln. Am Ende stieg Yugi noch einmal auf die kleine Leiter und setzte einen großen, goldenen Stern auf den Baum, bevor er die lange Lichterkette anbrachte. Er war gerade fertig geworden und betrachtete nun auf dem Boden sein Werk, im Hintergrund lief inzwischen „White Christmas“, da hörte er ein lautes Bumm als wäre ein schwerer Sack zu Boden gefallen. Eine Wolke Ruß staubte aus dem Kamin, gefolgt von einem Husten.

 

Yugi starrte mit offenem Mund auf den Kamin, aus dem nun eine völlig schwarze Gestalt trat. Er schrie auf und griff nach dem nächsten Ding, das er in die Hände bekam, und richtete es auf den dunklen und vor allem uneingeladenen Besucher.

„Wer sind Sie? Sind Sie von den Rettungsmannschaften?“

 

Die Gestalt blinzelte und aus dem Schwarz leuchteten nun violette Augen, so intensiv wie Yugi  es noch nie bei einem Augenpaar gesehen hatte. „Rettungsmannschaft?“ In dem Schwarz öffnete sich ein Mund mit erstaunlich weißen Zähnen.

 

Yugi fand sich auf merkwürdige Weise fasziniert von seinem Gegenüber. Aber dennoch! „Wegen des Schnees? Der Stürme?“

 

„Ach, das. Deshalb bin ich nicht hier.“ Der Mann, seine Stimme zumindest klang eindeutig männlich, blickte an sich hinunter. „Putzt ihr nie euren Kamin?“

 

„Nun, ich habe noch nie von Leuten gehört, die durch den Kamin kommen!“ antwortete Yugi. „Außer vielleicht der Weihnachtsmann.“

 

„Ich bin nicht der Weihnachtsmann.“ Der Mann schnippste und aller Ruß und Dreck sprang von ihm ab und zurück in den Kamin.

 

Yugi klappte die Kinnlade hinunter. Vor ihm stand nun ein dunkelhäutiger, junger Mann, Anfang Zwanzig wahrscheinlich wie Yugi selbst, gekleidet in eine hautenge Lederhose, ein schwarzes Sweatshirt und einen langen, ebenfalls schwarzen Mantel. Yugi blinzelte. Der andere Mann hatte eine Frisur ähnlich wie Yugis eigene. „Und wer sind Sie dann?“ erkundigte er sich, nachdem er seine Stimme wiedergefunden hatte.

 

„Wo hab ich denn…“, murmelte der andere abgelenkt und durchsuchte seine Manteltaschen, bis er ein zusammengerolltes Papier hervorholte. Der Mann ließ das Papier ausrollen, bis es an Yugis Hausschuhe stieß, immerhin drei Meter entfernt. „Yugi Muto, nicht wahr?“

 

„Äh… Ja? Und wer sind Sie jetzt?“

 

Der andere Mann bewegte seine Hand einmal und das Papier rollte sich wieder zusammen. „Du kannst mich Krampus nennen, wenn es dir ein inneres Bedürfnis ist“, antwortete der Mann. „Kommen wir jetzt zum geschäftlichen Teil, ich muß mich um noch ein paar hundert ungezogener Kinder kümmern.“

 

Yugi blinzelte, dann schüttelte er den Kopf. „Wie, was? Krampus? Und was heißt hier Kind?“

 

„Ja, ja, du bist schon ganz doll erwachsen“, antwortete der selbsternannte Krampus gelangweilt und winkte ab. „Und jetzt leg diesen Strohstern hin oder denkst du ernsthaft, du könntest mich damit erstechen?“

 

Yugi blickte auf seine Hände. Tatsache… Er hatte sich den großen Strohstern genommen, der eigentlich für Großvaters Ladenfenster bestimmt war. Damit konnte er diesen seltsamen Kerl sicher nicht loswerden. Yugi ging vorsichtig einen Schritt zurück und lehnte den Stern an die Wand. Er mußte aus dem Wohnzimmer raus! Nur wohin dann? Die Tür war immer noch blockiert. Er würde wohl oder übel aus dem Fenster klettern mü…

 

„Du bleibst jetzt hier!“

 

Yugi sprang fast an die Decke, als hinter ihm die Stimme seines unwillkommenen Besuchers erklang. Er fuhr auf den Hacken herum und starrte mit weit aufgerissenen Augen den Krampus an. Schnell ein Blick Richtung Kamin… Nein, da stand er nicht mehr. „Das hier muß ein Irrtum sein!“

 

„Das sagen sie alle“, antwortete der Krampus, während er die Augen verdrehte.

 

„Nein, wirklich! Ich bin kein Kind! Ich bin 23, ich geh auf die Uni, ich studiere und will mal Spieledesigner werden!“ Yugi keuchte. Er konnte sehen, wie sich eine Augenbraue seines Gegenübers hob.

 

„Ah ja“, war dessen monotone Antwort. „Spieledesigner, was?“

 

Yugi biß die Zähne zusammen. Er war hier allein mit einem Irren, der ihn bestrafen wollte und der glaubte nicht mal, daß Yugi kein Kind mehr war. „Ja, willst du einen Entwurf sehen?“ Angriff war die beste Verteidigung.

 

Der Krampus zögerte einen Moment, dann seufzte er. „Früher hatten die Kinder mehr Respekt vor mir.“

 

„Ich bin kein Kind!“

 

Der Krampus verzog das Gesicht, als Yugis Stimme mühelos in Höhen aufstieg, die ansonsten nur Hunde hören konnten. „Du stehst auf meiner Liste. Wie wäre es mit ein bißchen Respekt?“

 

„Respekt?“ schnaubte Yugi. „Respekt vor einem offensichtlich geisteskranken Irren, der durch meinen Kamin kommt, etwas von Bestrafungen redet und wahrscheinlich schon plant, wie er mich blutig um die Ecke bringen kann, damit er dann zum nächsten Haus gehen und dort seine Serienkiller-Nummer ebenfalls abziehen kann? Das ich nicht lache!“ Mit einem bebenden Finger deutete Yugi auf den Möchtegern-Krampus.

 

„Was, warte? Du hältst mich für einen Serienkiller?“

 

Mit Befriedigung höchsten Grades bemerkte Yugi, wie dem fremden Mann die Gesichtszüge entgleisten. Ja, hier herrschten gerade frostige Temperaturen. „Natürlich! Für was denn sonst? Der Weihnachtsmann bist du ja nicht.“

 

Der Mann in schwarzem Leder blickte sich um, als erwartete er, jeden Moment von einer versteckten Kamera angesprungen zu werden.

 

Yugi nutzte dessen Ablenkung, um zum Couchtisch zu hechten und seine Geldbörse zu schnappen. Schnell klappte er sie auf und atmete erleichtert auf, als er Plastik zwischen den Fingern fühlte. So konnte er sich etwas Zeit verschaffen… Blitzschnell schleuderte er die Karte vor die Füße des Krampus’. „Da, sieh selbst!“

 

Der Krampus blinzelte verwirrt, erst zu Yugi dann auf den Boden. Er schnippte und Yugi fiel erneut die Kinnlade hinunter, als sein Ausweis vor die Augen des definitiv nicht von dieser Welt stammenden Fremden schwebte.

 

„Yugi Muto, 23 Jahre“, stellte der Krampus fest. Stirnrunzelnd wendete er den Ausweis, aber fand nichts Neues. „Was haben diese idiotischen Mistviecher jetzt wieder verbockt?“ fluchte er.

 

Der Ausweis schwebte unschuldig zu Yugi zurück und fiel diesem in die zitternden Hände.

 

Der Krampus derweil raufte sich die Haare. „Argh! Was mach ich nur? Ich darf dein Haus nicht verlassen, bis ich dich bestraft habe, aber du bist kein Kind und ich weiß nicht mal, was du falsch gemacht haben könntest.“

 

Yugi schwitzte und legte seine Geldbörse zurück auf den Tisch. „Du bist… echt? Also, ich meine… Du bist kein Mensch?“

 

„Nicht mehr“, antwortete der Krampus und ließ den Oberkörper nach vorne sinken und die Arme hängen. Er seufzte.

 

Yugi kannte das. „Wie bestrafst du denn normalerweise die Kinder? Du… du tust ihnen doch nicht weh? O-oder?“

 

„Natürlich nicht. Meistens reichen mein Auftauchen und mein Name, damit sie mir schwören, sich im nächsten Jahr zu bessern. Manchmal muß ich noch eine kleine Show machen, mit Lichtern und Schatten, aber wir tun Kindern nichts an. Sie sollen schließlich zu guten, gesunden Menschen heranwachsen, nicht zu traumatisierten Wracks.“

 

„Ah. Das beruhigt mich.“

 

„Nach einer Weile halten uns alle Kinder für einen bösen Traum und das war’s.“ Der Krampus lächelte müde.

 

„Und wenn du jetzt für mich so eine Show machst? Würde das nicht zählen?“ Yugi kratzte sich an der Wange.

 

„Da du kein Kind bist, nein.“ Der Krampus richtete sich ächzend auf. „Ich werde mal kurz mit meinen Leuten reden. Du… bleibst am besten hier.“ Damit verließ der Krampus das Wohnzimmer.

 

Nach einem Moment konnte Yugi ihn von draußen reden hören. Und fluchen. Offenbar in ungefähr fünf Sprachen, von denen zwei , da war sich Yugi sicher, heutzutage bereits tot waren.

Nach vielleicht fünf Minuten kam der Krampus zurück, die Mundwinkel nach unten gezogen, die violetten Augen noch leuchtender.

 

„Und?“

 

„Ich muß bis Mitternacht bleiben, dann kann ich das Haus verlassen. Und dann darf ich alle, die ich heute nicht geschafft habe, morgen auch noch drannehmen. Großartig!“ Der Krampus warf sich in den Ohrensessel von Yugis Großvater.

 

„Ähm du sagtest vorher „wir“… Gibt es nicht jemanden, der für dich einspringen kann?“ erkundigte Yugi sich. Noch heute morgen hätte er es sich nicht träumen lassen, sich mal mit einem mythischen Wesen über dessen Schichtplan zu unterhalten.

 

„Die sind auch alle beschäftigt“, brummte der Krampus.

 

„Das ist schade. Sag mal… Wie heißt du? Also richtig?“

 

Der Krampus warf einen Blick auf die Uhr über dem Kamin. „Nun, da wir jetzt noch gut zwölf Stunden hier zusammen festsitzen, kann ich es dir wohl auch sagen. Ich heiße Atem.“

 

„Ah. Das ist ein ungewöhnlicher Name, aber er klingt schön.“ Yugi lächelte.

 

„Danke. Das höre ich selten.“

 

„Naja, wenn du immer im Dienst bist…“ Yugi rieb sich den Nacken. Zwölf Stunden… Was sollte er mit Atem jetzt in den kommenden zwölf Stunden machen?

 

„Ich habe nur Dienst von Anfang Oktober bis Weihnachten. Zum Glück, denn sonst würde ich diese kleinen, miesen Widerlinge durch die Decke treten!“ Atem knurrte, seine Augen blitzten als würde ein Sturm in ihnen toben.

 

Yugi schluckte. „Oh, du magst wohl keine Kinder… Verständlich, wenn du immer nur die unartigen kennenlernst.“

 

„Was?“ Atem blinzelte, sein Zorn so schnell verschwunden wie er aufgewallt war.

 

„Naja, wenn du sie treten willst…“

 

„Oh, nein! Klar gibt’s nervige oder einfach grauenhafte Kinder, aber ich meine diese kleinen Biester, die die Listen schreiben und mich dann zu falschen Adressen schicken.“ Atem knurrte erneut, die Arme vor der Brust verschränkt. „Drecksviecher!“

 

„Du meinst sowas wie die Elfen, die dem Weihnachtsmann angeblich helfen?“

 

„Ja.“ Atem lachte. „Wenn die Menschen wüßten, daß diese kleinen Widerlinge so gar nicht süß, lieb und freundlich sind, wie sie glauben. Sie beißen dir die Finger ab, wenn du nicht aufpaßt und dann lachen sie auch immer so hämisch.“

 

Yugi zog eine Grimasse. Das hörte sich wirklich nicht nach den kleinen, herzigen Figuren an, die dutzende Weihnachtsfilme bevölkerten. „Gibt es denn einen Weihnachtsmann?“

 

„Wenn du den Heiligen Nikolaus meinst, ja, den hat es mal gegeben. Aber er ist schon sehr lange tot.“

 

„Ah.“ Yugi blinzelte. Dann aber lächelte er. „Ich weiß, daß meine Familie mir immer die Geschenke gebracht hat.“

 

Atem nickte. „Weihnachten ist ein Menschenfest und nicht sehr alt. Es fällt nur zufällig mit unserer Arbeitszeit zusammen. Oder eher: Die Menschen haben ein ordentliches Durcheinander daraus gemacht.“ Nun lachte er.

 

Yugi hielt den Atem an. Atem sah plötzlich ganz anders aus, gar nicht mehr der grimmig-genervte Bestrafer kleiner Kinder. Mehr wie ein Unterwäschemodel. Er kicherte.

Atem sah ihn verwundert an.

„Du siehst viel besser aus, wenn du lachst oder lächelst“, erklärte Yugi und stand auf.

 

„Es war eine lange Saison“, murmelte Atem, dann seufzte er. „Wahrscheinlich hast du recht, Yugi.“

 

„Meine Freunde sagen das auch oft zu mir.“ Yugi grinste verlegen, dann strahlte er. „Ich weiß was! Wir könnten etwas spielen, bis die Zeit um ist. Dann kannst du dich etwas erholen.“ Dann aber fiel Yugi ein, daß er mal wieder zu schnell war. „Ah, also natürlich nur, wenn du Spiele magst. Aber alle meine Freunde mögen Spiele und ich dachte…“

 

Atem starrte Yugi überrascht an, dann lächelte er fast schon sanft. „Ich spiele auch gerne, Yugi.“

 

Yugi wollte schon loslaufen, um ein paar Spiele zu holen, als ein furchtbares Grollen ertönte.

 

„Ich schätze, dein Magen hat andere Pläne“, stellte Atem mit einem bezeichnenden Blick auf Yugis Bauch fest.

 

Yugi errötete. „Ich hatte noch gar kein Frühstück… Dabei sitze ich schon seit sechs Uhr morgens hier und höre Radio.“

 

Atem warf einen Blick aus dem Fenster. „Wartest du auf die Rettungsmannschaft?“

 

„Auf alle Fälle mal auf den Räumdienst.“ Yugi legte die Arme um sich selbst. „Ich mache uns mal was zu essen.“

 

„Hast du diese Hähnchendinger?“ Atem folgte Yugi bis in die kleine Küche.

 

„Ja.“ Yugi grinste. „He, dann habe ich ja doch noch Gesellschaft fürs Weihnachtsessen.“

 

„Du hältst mich jetzt also nicht mehr für einen Serienkiller?“ Atem lehnte sich an die Wand, die Arme verschränkt.

 

Yugi streckte den Kopf hinter der Tür des Gefrierfachs hervor. „Vorausgesetzt ich halluzieniere nicht vor Hunger, dann kannst du zaubern… und hättest mich damit schon ermorden können, bevor du meinen Ausweis gesehen hast. Von daher denke ich, daß du in Ordnung bist.“ Er runzelte die Stirn. „Aber du könntest mal den Mantel und die Stiefel ausziehen. Das ist nicht sonderlich gemütlich so.“

 

Atem hob die Hände. „Du hast recht. Schon wieder.“

 

Yugi derweil breitete den Inhalt der Familienpackung Hähhnchennuggets auf einem Backblech aus, das er dann in den Ofen schob. Dazu noch Dip und der gekaufte Kartoffelsalat und weder er noch Atem mußten hungern. Außerdem mußten die Sachen sowieso weg, nachdem sie durch den Stromausfall angetaut waren.

Der Ofen verbreitete schon gemütliche Wärme, als Atem zurückkehrte, ohne Mantel und Stiefel, dafür mit Großvaters karierten Puschen an den Füßen.

Yugi schmunzelte. „Danke.“

 

„Ich war nochmal schnell im Bad. Diese Kälte schlägt einem schnell auf die Blase“, berichtete Atem und setzte sich an den Küchentisch zu Yugi.

 

Der verkniff sich einen Kommentar und nickte nur, dann fiel sein Blick auf Atems Brust. Das Sweatshirt machte keinen sonderlich warmen Eindruck, aber dafür enthüllte es, daß Atem einen fantastischen Körperbau hatte. Yugi war schließlich weder blind noch hetero und so eine Brust fiel ihm auf.

 

„Yugi? Hey, Yugi?“

 

Der blinzelte, aus seinen Betrachtungen gerissen, dann lief er knallrot an, als er in Atems abwartende Augen sah. „Entschuldige, ich wollte nicht starren. Was hast du gesagt?“ Peinlich! Aber Yugi gegenüber saßen selten Männer, die mühelos ihren Lebensunterhalt als Unterwäschemodell verdienen konnten. Und noch weniger solche, die gleichzeitig zaubern konnten.

 

„Ich wollte wissen, wie lange die Nuggets noch brauchen.“ Atem lächelte und entblößte dabei ebenmäßige, weiße Zähne.

 

„Äh…“ Yugi blickte zum Ofen, dann auf die Uhr. „Noch ungefähr zehn Minuten. Wieso?“

 

„Ich komme während der Saison selten dazu, groß Mittag zu essen, schon gar nicht so entspannt.“ Atem betrachtete zufrieden den Salat auf dem Tisch, dann beugte er sich zu Yugi. „Du magst also Männer, ja?“

 

Yugi grinste verlegen, dann nickte er. „Ich wollte wirklich nicht…“

 

Doch Atem zuckte mit den Achseln. „Eine der Mütter, immerhin Single, hat mich mal in ihrem Vorgarten entdeckt. Ich glaube, ich habe noch immer eine Delle, wo sie mich in den Hintern gezwickt hat.“ Er grinste. „Leider gehört die Bestrafung Erwachsener nicht zu meinen Aufgaben.“

 

„Oh… Das tut mir leid.“ Yugi starrte auf das weiße Tischtuch, auf dessen Mitte grüne Tannenzweige und brennende, rote Kerzen gedruckt waren.

 

„Immerhin hielt sie mich nicht für einen bösen Serienkiller.“

 

„Willst du mir das jetzt die ganze Zeit vorhalten? Du kannst es mir schlecht verübeln, oder?“ Yugi schob die Unterlippe vor.

 

Atem lachte. „Verzeih mir. Aber das ist mir bisher auch noch nicht passiert. Aber ich habe auch selten mit Erwachsenen zu tun, wenn ich arbeite.“

 

Yugi fand es schwer, böse auf Atem zu sein, wenn der so fröhlich aussah. „Ich verzeihe dir.“ Er rutschte näher zu Atem. „Was machst du eigentlich außerhalb deiner… Saison?“

 

„Urlaub bei meiner Familie im Totenreich“, antwortete Atem so locker als hätte Yugi ihn nach dem Wetter gefragt.

 

Der allerdings hob überrascht die Augenbrauen. „Du bist… tot?“

 

„Ja, aber wie du siehst existiere ich dennoch.“ Atem nahm einfach Yugis rechte Hand und preßte sie auf seine Brust. „Siehst du? Ich bin da.“

 

Sehen? Yugi konnte es fühlen! Atems Brust fühlte sich so heiß an wie ein kleiner Ofen. Eine äußerst perfekte Brust. Da war sogar ein leichtes Pochen unter Yugis Fingern. Da seine Kehle wie ausgetrocknet war, nickte Yugi lediglich.

 

Erneut lächelte Atem auf ablenkende, gehirnbetäubende Weise. „Wenn man die Ewigkeit zur Verfügung hat, ist es nicht schlimm, einen Teil seiner Zeit mit einer Aufgabe wie der meinen zu verbringen. Es wird nur lästig, wenn man einen Termin hat.“

 

Yugi zog nur widerwillig seine Hand zurück. „Ich schätze, selbst im Tod braucht man eine Aufgabe…“

 

Atem nickte, dann sah er auf die Uhr. „Die zehn Minuten sind um. Kann ich dir helfen?“

 

Yugi nickte, unentschlossen, ob die Ablenkung gut oder schlecht war. Er holte das Blech aus dem Ofen und füllte dann die Nuggets in eine Porzellanschüssel, während Atem eine Flasche Cola öffnete und mit deren sprudelndem Inhalt zwei Gläser befüllte.

 

Die nächste halbe Stunde schwiegen sie, während sie aßen und tranken. Es war aber keine unangenehme Stille, dachte sich Yugi. Atem lächelte ihm immer wieder zu und Yugi fand es einfach, ebenfalls zu lächeln. Atem hatte offenbar doch noch etwas Gutes an dieser erzwungenen Pause gefunden und Yugi gefiel es auch, nicht allein zu sein. Er wußte, seine Freunde wären gerne zu ihm gekommen, trotz Schnee und Eisesglätte, aber das hatte Yugi nicht gewollt. Niemand sollte sich die Knochen brechen oder in Schneewehen stecken bleiben. Das wären wahrhaft katastrophale Weihnachten.

 

„Du siehst so versunken aus“, durchbrach Atems Stimme seine Mauer aus Gedanken.

 

Yugi hob den Kopf. „Ich bin nur froh, daß meine Freunde zuhause in Sicherheit sind. Meine Familie sitzt auch in den Bergen fest, aber in einem kleinem Ryoukan“, erzählte er dann.

 

„Du bist also wirklich ganz allein dieses Weihnachten.“ Atem legte seine Gabel auf den leeren Teller.

 

Yugi nickte, dann seufzte er. „Aber es hilft ja nichts, nicht wahr? Das Wetter wird sich kaum meinen Wünschen beugen.“

 

Atems Miene war mitfühlend. „Dann werde ich dafür sorgen, daß du nicht ganz allein feiern mußt. Laß uns etwas spielen.“

 

Das brachte das Lächeln auf Yugis Gesichtszüge zurück. „Gern!“ Sie stellten ihr Geschirr in die Spüle, füllten ihre Gläser noch einmal und kehrten dann in das Wohnzimmer zurück. Das Radio lief noch immer und spielte gerade „Adeste Fidelis“. Der Weihnachtsbaum zog Yugis Blick auf sich.

„Ach, ich wollte ja noch etwas schmücken. Es ist sonst so leer…“

 

Atem betrachtete den Tannenbaum mit einem versonnen Lächeln. „Ja, es hilft, all der Glanz, der Glitzer, das Licht gegen die Dunkelheit.“ Er zitterte.

 

„Du magst die Dunkelheit nicht?“ erkundigte sich Yugi, während er sich neben den Karton kniete. Er zog glitzernde Sterne und Engel aus diesem.

 

„Niemand mag die Dunkelheit, die richtige Dunkelheit. Nicht einfach nur Nacht, sondern dieses schwarze Tuch, das dich ersticken will mit Hoffnungslosigkeit und Schwere.“ Atem wandte sich Yugi zu. „Außerdem bin ich Ägypter. Wir lieben die Sonne.“

 

Yugi lächelte. „Du siehst jedenfalls aus, als würdest du viel Zeit unter ihren Strahlen verbringen.“

Atem nickte.

 

Yugi trug einen Teil der Dekoration zum großen Wohnzimmerfenster, dann zerrte er die kleine Leiter vor dieses. Er stieg auf die Leiter und bat dann Atem, ihm die Schmuckstücke zu reichen, die Yugi danach an der Vorhangstange dank langer Nylondrähte befestigte.

 

„Du sagtest, du bist Spieleentwickler“, nahm Atem ihr Gespräch wieder auf.

 

„Fast. Ich hab noch zwei Semester, aber dann…“ Yugi lächelte versonnen. „Dann kann ich ganz offiziell in der Kaiba Corporation anfangen.“

 

„Klingt so, als seist du inoffiziell schon dabei.“

 

„Was soll ich sagen? Was Kaiba will, das bekommt er. Nicht, daß ich mich beschwere. Ich werde anständig bezahlt und kann schon jetzt gute Erfahrungen sammeln.“ Yugi lachte. „Offenbar hast du Kaiba noch nicht erschreckt.“

 

Atem seufzte hingegen. „Nein, weil Trauma-Patienten von der Sorte eines Seto Kaiba keinen Schreck brauchen.“

 

Yugi fädelte ein goldglitzerndes Rentier neben Sterne und Engel, bevor er von der Leiter stieg. „Ja… Das stimmt wohl. Er ist nur so verschlo…“ Er spürte, wie sein Fuß ins Leere trat. Das Blut raste aus seinem Kopf und er spürte, wie er nach hinten kippte. Auch wenn es ihm wie eine Ewigkeit erschien, die Zeit reichte dennoch nicht zum Schreien.

Da faßten zwei kräftige Arme ihn und Yugi sank mit heftigem Herzklopfen gegen eine heiße, feste Brust.

 

„Vorsicht!“

 

„D-danke“, stammelte Yugi und blickte hinauf in Atems warme Augen. Die Arme zogen ihn näher. Es beruhigte Yugis flatternde Nerven, die Wärme entspannte ihn.

 

Mit einem Lächeln führte Atem Yugi zum Sofa. „Du bist noch kalkweiß. Soll ich dir was holen auf den Schreck? Schokolade oder etwas zu trinken?“

 

Yugi sank in die Polster, dann schüttelte er den Kopf. „Ich brauche nur einen Moment… Dann kann ich weiterschmücken.“

 

Atem schüttelte nun den Kopf. „Du steigst mir nicht mehr auf diese Leiter!“

 

„Aber…“

Atem schüttelte erneut den Kopf, Yugi verstummte.

 

Damit hob Atem die Hände, die Arme zu den Seiten gestreckt. „Laß mich nur machen.“ Er zwinkerte, dann bewegte er seine langen, schlanken Finger.

 

Yugi blinzelte, dann öffnete er den Mund, als sich Girlanden und künstliche Tannenzweige aus dem Karton erhoben, in der Luft einen lustigen Reigen tanzten und sich dann um Vorhangstangen und Türrahmen legten. Engelchen, Vögel, Rentiere, Kugeln, Sterne, Herzen, aus Metall, Glas, Kunststoff und Stoff hängten sich an die Fenster, die Girlanden und Zweige, schmückten Kamin und Baum.

 

Ein Vögelchen schwebte an Yugis Nase vorbei und setzte sich auf die Tannenzweige, die in einem Krug neben dem Sofa standen. Dem Vogel folgten künstliche Beeren und goldene Musikinstrumente. Staunend berührte Yugi eines davon und fühlte eine unglaubliche Wärme.

 

Atem bewegte dann eine Hand zu dem Stapel Holz neben dem Kamin. Gehorsam stapelten sich die Scheite von selbst in diesem. Atem schnippste und ein fröhliches Feuer prasselte im Kamin. Ein zweites Schnippsen und die Lichterketten an Baum, und Fenstern erstrahlten, mal bunt, mal weiß.

 

Yugi kam sich vor wie in einem Wunderland, dabei saß er auf dem alten grünen Sofa seines Großvaters, in dem Wohnzimmer, das er kannte, solange er nur denken konnte.

 

„So gefällst du mir viel besser.“ Atems Stimme war warm, ebenso der Arm, der sich nun um Yugi legte. „Mit strahlenden Augen und Grübchen, weil du lächelst.“

 

„Es ist wunderschön“, wisperte Yugi. „Einfach bezaubernd! Ich danke dir.“ Er strahlte Atem an, dessen Wangen sich leicht röteten.

Dann schwiegen sie, blickten sich einfach nur an.

 

Atem räusperte sich schließlich. „Was hast du denn an Spielen da?“

 

„Eine Menge. Mein Großvater hat schließlich einen Spieleladen.“

 

Atem schmunzelte, seine Augen blitzten. „Liegt wohl in der Familie.“

 

Yugi nickte. „Fordere niemals meine Mutter in Monopoly heraus, dann kann deine Spielfigur nämlich bald unter der Brücke schlafen.“

 

Atem grinste. „Ich werde dran denken. Aber ich habe ehrlich gesagt noch kein Spiel getroffen, das mir nicht gefallen hat, und ich bin schon eine Weile auf dieser Erde unterwegs.“

 

Yugi stupste Atem an. „Eine Weile?“

 

„Etwas über dreitausend Jahre.“ Atems Grinsen wurde noch breiter, während Yugis Augen noch größer wurden.

 

„Wow!“ Yugi blinzelte, er musterte Atem noch einmal. „Dafür hast du dich aber verdammt gut gehalten!“

 

„Was soll das denn heißen?“ Atem lachte überrascht, dann streckte er beide Arme nach Yugi aus, den Schalk im Nacken. „Komm her, du! So redet man doch nicht mit einem Pharao.“

 

Yugi wand sich, versuchte auszuweichen, aber Atem war schneller und dessen schlanke Finger fanden schnell ihren Weg unter Yugis Achseln. Yugi lachte, zappelte und quietschte. „Du? Pharao?“ brachte er heraus, bevor er prusten mußte.

 

„Allerdings!“

 

„Das glaub ich sofort!“ Yugi kicherte und fiel in die Couchkissen, kaum hatte Atem die Finger zurückgezogen.

 

„Das klingt schon besser.“ Atem lachte. Er sah jetzt nicht älter als Yugi aus.

 

Yugi wischte sich kichernd die Tränen aus dem Augen. „Dagegen habe ich ein langweiliges Leben.“

 

„Langweilig ist gut! Langweilig bedeutet Sicherheit.“ Atem ließ sich neben Yugi auf die breite Couch fallen. Seine Haare fielen über Yugis Finger. Ganz weich. „Ah, ich habe schon lange keinen solchen Spaß gehabt.“

 

Yugi fühlte seine Wangen erglühen. „Ich auch nicht. Also… Was willst du spielen? Sonst fürchte ich, werde ich dich gnadenlos ausfragen.“

 

„Ein andermal“, antwortete Atem mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Hm, hast du Duel Monsters da?“

 

„Ich habe haufenweise Booster Packs.“ Yugi grinste und kletterte über die Couchlehne, um diese zu holen.

 

Sie saßen schon bald einander gegenüber, zwischen sich eine Spielmatte, und spielten Zug um Zug, Spiel um Spiel. Yugi hätte Atem wirklich gerne noch ein paar Dinge gefragt, aber ein Blick in die strahlenden Augen seines neuen Freundes und er wollte nie mehr aufhören zu spielen.

 

Sie machten nur eine Pause, um abends eine Kleinigkeit zu essen, dann spielten sie weiter, jeder einen großen Becher Heißer Schokolade mit einem Berg Sahne neben sich. Aber irgendwann verschwammen Buchstaben und Zahlen vor Yugis Augen immer häufiger und ein Gähnen nach dem anderen zwang ihm die Kiefer auseinander. Atem rieb sich auch schon die Augen.

 

„Es ist gleich Elf“, murmelte der, dann ließ er sich lang auf die Couch fallen und zog Yugi wieder neben sich.

 

Mit einem weiteren Gähnen nahm Yugi das zur Kenntnis. „Mir tut der Bauch weh vom vielen Lachen… Das war ein wunderschönes Weihnachten… Obwohl Weihnachten erst morgen ist…“ Er blinzelte, Atems warmer Blick ruhte auf ihm.

 

„Geht mir genauso. Ich werde die Racker morgen schon schaffen und dann…“ Atem lächelte.

 

Es war das Letzte, das Yugi an diesem Abend sah, bevor ihm die Augen zufielen. Als er wieder erwachte, drang blaßes Licht durch die Fenster herein. Der Kamin und die Lichter waren erloschen. Der Platz neben Yugi leer. Doch jemand hatte Yugi über Nacht in eine dicke Decke gewickelt.

Er setzte sich langsam auf. Atem war fort, zurückgekehrt zu seiner Aufgabe.

Yugi schloß die Augen. Er hatte nicht erwartet, daß es so schmerzen würde.

 

Von draußen drang plötzlich der Lärm eines Motors zu ihm herein. Er sprang auf und eilte ans Fenster. Aufatmend öffnete er das Fenster und lugte hinaus auf die Straße, auf der das Kehrfahrzeug seinen Dienst verrichtete.

 

Wenige Stunden später waren Yugis Mutter und Großvater auch angekommen, die Wangen gerötet und ein Lächeln auf den Lippen.

Yugi drückte sie beide fest. Er freute sich. Ja, er freute sich, auch wenn sein Blick mehr als einmal zum Kamin wanderte, immer in der Erwartung, eine pechschwarze, schimpfende Gestalt würde aus diesem treten und dann Yugi anlächeln.

 

Am ersten Weihnachtsfeiertag besuchte Yugi alle seine Freunde, brachte ihnen kleine Geschenke und viele gute Wünsche. Er wurde ebenfalls mit Päckchen begrüßt, mit Punsch und Plätzchen bewirtet und nach seinen Tagen in Gefangenschaft, wie Jonouchi es nannte, befragt.

Yugi hätte zu gerne die Wahrheit gesagt, aber der Gedanke, daß die Erinnerung ihm sonst entkommen könnte, wenn er sie aussprach, brachte ihn dazu, verlegen lächelnd mit den Achseln zu zucken.

 

Am zweiten Feiertag machte Yugis Mutter ein großes Festessen, wie sie es noch aus den Zeiten kannte, als die Muto-Familie eine Weile in Europa gelebt hatte.

Nach Entenbraten mit Klößen und Soße fühlte Yugi sich wie eine kleine Tonne. Müde saß er auf der Couch und starrte auf die Lichter des Weihnachtsbaumes, bis sie verschwammen und er blinzeln mußte.

 

Kaum hörte er das Schellen der Türglocke, aber er blieb sitzen. Wer kam schon ernsthaft um diese Zeit noch? Vielleicht Kinder, die einen Streich spielen wollten… Oder eine Freundin seiner Mutter mit noch mehr Essen. Yugi gähnte.

 

„Yugi! Yugi!“

 

Der Gerufene fiel fast vom Sofa. Seine Mutter klang aber aufgeregt! „Was ist?“ rief er zurück.

 

„Ein Freund von dir!“

 

Yugi blinzelte. Wer konnte das sein? Sicher nicht Kaiba, also blieben nur Honda und Jonouchi übrig. So schnell es sein Zustand erlaubte stand Yugi auf und watschelte die Treppe hinunter. „Ich komme schon!“ rief er dabei.

Als er am Fuß der Treppe stand, konnte er eine schwarzgekleidete Gestalt im Flur sehen, die ihre Lederstiefel gegen ein Paar Hausschuhe tauschte.

 

„Vielen Dank, Frau Muto. Und entschuldigen Sie die Störung, aber ich wollte unbedingt Yugi sehen, auch wenn es schon so spät ist“, sprach eine angenehm dunkle Stimme.

 

Yugis Mutter lachte, ihre Wangen waren rot. „Ich kann Sie ja nicht draußen stehen lassen. Ah, da ist ja mein Sohn!“

 

Yugi ging ganz langsam in den Flur. Das Herz klopfte ihm bis zum Halse. Plötzlich hatte er das Gefühl, als wäre alles um ihn herum so zerbrechlich wie ein Eiskristall, aber auch genauso schön. Alles so zart und schimmernd…

 

Der Mann richtete sich auf, seine Augen schimmerten ebenfalls und seine Mundwinkel umspielte ein sanftes Lächeln. „Hallo, Yugi. Tut mir leid, daß es länger geworden ist, aber ich hatte so viel nachzuarbeiten.“

 

Yugi lächelte, ein leises Lachen blubberte über seine Lippen. „Hallo, Atem. Das macht nichts.“

 

„Ich laß euch mal allein.“ Yugis Mutter schmunzelte. Als sie an Yugi vorbeiging zwinkerte sie diesem zu.

 

Yugi wurden die Wangen glühend heiß. „I-ich dachte, du wärst jetzt wieder im Krampus-Land“, sagte er, als die Schritte auf der Treppe verklangen.

 

Atem hob die Augenbrauen, dann lachte er. „Die Saison ist vorbei, Yugi. Jetzt kann ich dich besuchen kommen, wann immer du es willst.“

 

„Und du nimmst sogar die Haustür“, stellte Yugi abgelenkt fest. Sein Lächeln war so breit, er glaubte, es müßte sein Gesicht sprengen.

 

Atem trat zu ihm, sanft glitten dann dessen kühle Finger über Yugis glühende Hände. „Ich kann auch wieder den Kamin nehmen.“

 

Yugi lachte, dann schüttelte er den Kopf. „Ich bin so froh, daß ich dich wiedersehen darf. Ich dachte, du wärst jetzt für immer fort, Atem.“

 

Atem lehnte seine Stirn gegen Yugis. „Ich habe doch gesagt, ich erzähle dir ein andermal mehr über mich. Denn ich will noch oft mit dir spielen, Yugi, dich zum Lachen bringen und in deine Augen sehen.“

 

Yugi lächelte. „So geht es mir mit dir.“ Er nahm Atem an der Hand. „Komm, Mama hat sicher noch etwas Braten für dich.“

 

Atem folgte Yugi die Treppe hinauf. „Klingt gut.“

 

Als sie oben angekommen waren, wandte Yugi sich Atem wieder zu. „Eins wollte ich dich schon die ganze Zeit fragen. Wenn du ein Krampus bist, hast du dann auch eine Rute?“

 

Atem senkte die Augenlider und sein Lächeln wirkte nun so weich und verführerisch wie roter Samt. „Was für eine unartige Frage, Yugi. Vielleicht zeige ich sie dir später.“

 

Yugi wurde heiß im ganzen Körper und herrlich kribbelig. Er lachte, dann zog er Atem in die Küche. Wer brauchte da noch einen Weihnachtsmann?



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Soraleya
2017-06-05T16:43:57+00:00 05.06.2017 18:43
Kawai , süß. Ich bin zwar erst jetzt uber deine geschichte gestolpert aber die is ehrlich so genial und schön geschrieben und der schluß war der absolute hammer
glg Niya
Von:  Usaria
2017-03-10T22:15:23+00:00 10.03.2017 23:15
So anfang März habe ich die Muse deine Weihnachtsgeschichte zu lesen, liebe Mooprincess.
Sie ist wirklich toll geschrieben, man kann sich alles gut vorstellen, und die Idee Yami/Atemu als Krampal dar zu stellen finde ich genial! Gibts dieses Jahr ne Adult Fortsetzung?

Und auf Sargers Kommi, dass du einiges weglassen hättes können, wie das Atemu Ägypter ist und gebräunte Haut hat und Pharao war, find ich nicht. Denn nicht jeder kenn YGO! Ich schreib die Charaktäre in meinen FF´s immer so, dass sie auch Nichtfans sich diese gut vorstellen können. Denn ich lese auch schon mal in FF´s rein wo ich die Serie, Anime oder Manga überhaupt nicht kenne, nur einfach weil mir durch die Zusammenfassung die Geschichte einfach gefällt. So bin ich zu meinen Ersten 5 Bänden Black Butler gekommen, weil ich eine FF gelesen habe. Aber dies nur so am Rande
Ich finde es schön das sich das Grambal (so heißt´s bei uns in Niederbayern!) Schnell entspannt, und mit dem Erwachsenen eine Freundschaft schließt. Schließlich könnte er ja auch voll in Panik geraten, weil er sich einem Erwachsenen gezeigt hat.
Ich fände es toll wenns dieses Jahr ne Fortsetzung geben würde!
Von:  Sargeras
2017-02-26T11:56:44+00:00 26.02.2017 12:56
Ist zwar schon etwas spät eine Weihnachtsfanfiction zu lesen, aber was solls, mal sehen was sie bringt.
Ich bemerkte das du schnell zur Sache kommst. Ich muss schon sagen das die Szene mir eigentlich ganz gut gefällt. Wums, ein Schwarzer Mann steht da, beschwert sich über den Kamin und wird von einem mitlerweile erwachsenen Yugi für einen Serienkiller gehalten. Ich musste Krampus übrigens Googlen, aber den hast du dir tatsächlich nicht ausgedacht! Sehr erfrischend, so lernt man sogar etwas dazu. Aber schön das auch mystische Wesen unter schlechter Bürokratie leiden.

Atem erzählt ziemlich freizügig von seinem Job, ich frage mich was er eigentlich genau mit den Elfen zu tun hat. Mir persönlich geht es ein bisschen zu schnell wie Atem bereitwillig erzählt und Yugi ihn einlädt, andererseits ist das eben Yugis Art. Yugi ist nicht lange misstrauisch, selbst wenn es manchmal besser für ihn wäre wenn er es wäre, das macht ihn halt aus.

Okay, Atem macht das also nicht immer, sondern nur wenn gerade Saison ist, ansonsten ist er tot. Interessant das ihm das so locker über die Lippen geht. Noch interessanter aber, dass ihm Yugis starren zwar auffällt, er dazu jedoch nur einen kurzen Kommentar abgibt. Yugi scheint auch nicht weiter darauf einzugehen. Doch, obwohl Atem tot ist muss er auf Toilette? Er ist schon eine seltsame Märchenfigur. Aber ganz wie ein üblicher Weihnachtsmann kann er das Haus schmücken.

Die Gemeinsamkeiten sind schnell ausgelotet, beide spielen gerne und bewegen sich auf einer Wellenlänge. Ich finde jedoch den ganzen Teil, das er aus Ägypten kommt und einst Pharao war... das hättest du auch weglassen können. Auch das er gebräunt ist erfährt man im Text nur nebenher, natürlich ist es trotzdem bekannt, wenn jemand Atem heißt, dann weiß fast jeder Leser wie er aussieht.
Jedenfalls haben beide ziemlich viel spaß miteinander. Schade das du das miteinander nicht ausgewalzt hast, aber dieser Teil ist immer müßig zu schreiben, ich beneide all jene die diese nerven aufbringen. Ist aber auch nicht schlimm.

Klassisch endet alles gut für Yugi und er ist nicht allein. Und zum Schluss gibt es sogar eine Überraschung, Atem kehrt zurück. Hier frage ich mich wie das läuft, kann man Urlaub vom Totenreich nehmen? Andererseits, er hat ja gesagt das er existiert.

Oh... ob er eine Rute hat? Das ist eine gute Frage! Wird wohl aber erst in der Ab 18er Variante geklärt XD
Antwort von:  Moonprincess
01.03.2017 11:14
Danke nochmal für deinen Kommentar. ^^
Hier bei mir ist Krampus eine recht weit verbreitete Figur. *lach* Aber Lernen ist immer gut.
Und ja, schlechte Bürokratie gibts überall. Warum sollten übernatürliche Wesen es auch besser haben als wir?

Atem hat keinen Grund, zu schweigen. Yugi hat ja schon gesehen, daß er kein Mensch ist. Außerdem könnte Yugi ja schwerlich erzählen "He, bei mir kam gestern ein Krampus durch den Kamin und hat mein Wohnzimmer mit Zauberei geschmückt.". Von daher fühlt Atem sich sicher. Daß er Pharao war, soll eben erklären, warum er mit Yugis Starren so locker umgehen kann. Er ist es einfach gewöhnt, daß Leute sich zu ihm hingezogen fühlen. Aber ja, zwingend notwendig wars nicht.

Ich hatte auch überlegt, die Spielszene länger zu machen, aber am Ende hat sich das nicht richtig angefühlt. Ich kann das schlecht beschreiben, aber ich wollte mehr auf das Gesamtgefühl hinaus, an das man sich auch später noch erinnert, selbst wenn die Details nicht mehr so präsent sind.

Wer existiert, kann gehen, wohin er will. ;) Das stimmt. Und es wäre ja auch fies, wenn eine Weihnachtsliebesgeschichte traurig endet. Ich haße sowas selber.

Höhö. Ja, die Sache mit der Rute. :D Na, vielleicht hab ich doch nochmal die Inspiration, da anzusetzen. Das würde bestimmt einigen gefallen.

Freut mich, daß die FF bei dir gut ankam.
Von:  mrs_ianto
2016-12-23T12:35:33+00:00 23.12.2016 13:35
Was für eine schöne kleine Weihnachtsgeschichte.
Und der Krampus passt irgendwie zu Atem, auch wenn er doch eigentlich ein ganz lieber Kerl ist. Irgendwie schade, dass ich mir nun selbst vorstellen muss, wie es mit den beiden weitergeht, aber die Geschichte ist mit diesem Schluss einfach perfekt und mehr wäre zu viel gewesen.

Natürlich ist es auch praktisch, dass Yugis Mutter und Grossvater gerade an dem Tag im Onsen festsitzen und die kleinen "lieben" Elfen sich in Yugis Alter vertan haben.

LG mrs_ianto
Antwort von:  Moonprincess
30.12.2016 01:25
Dankeschön. ^^ Freut mich, daß dir die FF und meine Ideen gefallen.

Ja, Zufälle gibts! XD Alle sitzen fest und die Elfen vertun sich. Obwohl Atem ihnen bei Yugi nicht böse sein wird, aus verständlichen Gründen.


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