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von
Koautor:  Dan

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Wenn das Licht ausgeht, dann sterben Menschen

Es hatte keine zwei Tage gedauert, bis Anna und Hjaldrist wieder im großen Hafen Kaer Troldes angekommen waren. Der Abstieg hinter Rogne war nicht sonderlich schwer gewesen, noch hatten sie sich am Ende eines nahenden Unwetters wegen sehr beeilen müssen. Lin hatte sie auf diesem Weg begleitet. Sobald die beiden Abenteurer das Kaff in den Bergen verlassen hatten, war der Göttling wieder aufgetaucht. Wie immer war er dann neben dem schnaubenden Kurt her gehüpft und hatte pfeifend Blumen gepflückt. Später, da hatte er jene einmal wieder zu hübschen Kränzen geflochten. Jeder hatte einen davon bekommen: Anna einen kleineren für die Haare und Rist einen größeren zum Umhängen. Der Skelliger hatte nämlich äußerst skeptisch ausgesehen, nachdem er den ihm angebotenen Kopfschmuck aus Margeriten, Geranien und Bleiwurz betrachtet hatte. Daraufhin hatte ihm der fröhliche Göttling einfach eine Kette gebastelt und das, ohne es dem Undviker übel zu nehmen. Diese Blumenkränze waren dann, im Laufe der Reise, auf die beiden braunen Pferde übergegangen und noch immer baumelten sie an deren langen Hälsen und legten sich hübsch um die felligen Ohren. Apfelstrudel und Kurt störten sich bis jetzt kaum daran. Sie standen angebunden vor der vollen, lauten Hafenschenke Kaer Troldes, während Hjaldrist und Anna unweit mit einem Mann sprachen, der ganz und gar nicht so aussah, wie ein Skelliger. Er war hager, glattrasiert und hatte eine Hakennase, die ihm das Aussehen eines alten Adlers verlieh. Er trug eine Nietbrille aus weißem Horn, die er sich auf die große Nase geklemmt hatte, und Kleidung, die eindeutig aus den Nördlichen Königreichen stammte. Er faltete die knochigen Finger locker ineinander, als er Anna nachdenklich ansah und den Blick dann zu deren Begleiter wandern ließ. Das vermeintliche ‘Kind’ in der zu großen Kleidung und mit der weiten Kapuze am Kopf, das neben der Kriegerin stand, übersah er geflissentlich. Seine Miene war taxierend, ein wenig abfällig und arrogant. Er nickte. Irgendwo ertönte eine Schiffsglocke und Menschen lachten.

“Ich kann euch einen Platz auf meinem Schiff anbieten.”, sagte er und zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit hörte die Giftmischerin jemanden in einem nördlichen Akzent sprechen.

“Sechs Kronen und ihr könnt auch eure Pferde mitnehmen.”, schlug die Hakennase vor und Rist runzelte die Stirn tief. Das Meer rauschte unter moderatem Wellengang schäumend im Hintergrund. Kleine Boote schwappten an der langen Anlegestelle hin und her und es roch nach Salzwasser und Algen. Sturmvögel kreisten weit oben, am klaren Mittagshimmel.

“Das ist viel für eine Bootsfahrt nach Cintra.”, stellte der kritische Undviker unzufrieden fest, für den die Schifffahrt für gewöhnlich zum Alltag gehörte. Bestimmt hätte er selbst das Ruder in die Hand genommen, um sich und seine Begleiter gen Osten zu bringen, hätte er denn ein eigenes Boot besessen. Er hatte nur leider keines.

“Die Nachfrage ist hoch. Und wenn ihr das Angebot nicht annehmt, dann tut das ein anderer.”, der Kapitän zuckte gleichgültig die Achseln. Anna sah zwischen ihm und Rist hin und her, verzog die Mundwinkel leicht. Lin blieb nach wie vor brav neben ihr und rührte sich kaum. Vielleicht hatte er gar etwas Angst. Man hatte ihm geraten das unmenschliche Gesicht unter der lockeren Kopfbedeckung zu verbergen und nicht allzu auffällig zu sein. Hier, am Hafen, würde man ihn so für ein gewöhnliches Kind halten. Er würde niemandem in die Augen stechen und das war wichtig, denn tatsächlich wollte Lin mit nach Cintra.

Anna holte gerade Luft, um etwas bezüglich des hohen Preises der Schifffahrt einzuwerfen, da fiel ihr eine Frau auf, die direkt in ihre Richtung sah. Ja, jene gaffte nahezu. Vom oberen Steg des Hafens aus linste sie neugierig herunter und die roten Haare, die ihr unter der braunen Kapuze herausfielen, wehten leicht im Wind. Sie wirkte erstaunt, doch wendete den Kopf sofort ertappt ab, als ihr stechender Blick auf den Annas traf. Sie zog sich die weite Kapuze tiefer ins schmale Gesicht und ging rasch weiter. Doch die Novigraderin, die Hjaldrist und Kapitän Nase kurz vergessen hatte, starrte noch immer. Und ihr wirrer Kopf arbeitete auf Hochtouren. Diese rothaarige Frau von gerade eben. Die, die so interessiert hierher gesehen hatte… Anna kannte sie von irgendwoher. Nur von wo genau? Oder bildete sie sich all das nur ein? Vor ihrem geistigen Auge materialisierte sich schleppend ein Bild. Das Bild einer arrogant auf sie herab lugenden Soldatin mit markanten Sommersprossen. Deren roten Haare hatten damals, in Redgill, schon im Wind geweht. Oh! Anna weitete in ihrer stummen Erkenntnis die braunen Augen und wollte sich herum wenden, um der Frau im braunen Umhang nach zu sehen, da berührte Rist sie aufmerksam am Arm. Lin sah vorsichtig und fragend auf.

“Du drei, ich drei?”, fragte der dunkelhaarige Mann und die Hexerstochter wusste zunächst gar nicht, was er meinte. Doch dann erinnerte sie sich sogleich an das Angebot des unsympathischen Kapitäns, der sie im Moment ungeduldig abwartend musterte.

“Ja. Ja…”, entkam es der Kurzhaarigen, als sei sie nicht mehr so ganz anwesend. Hakennase nickte zufrieden, während die Meeresbrise angenehm frisch durch die Bucht wehte.

“Wir setzen heute noch ab. Esst von mir aus noch etwas im Gasthaus. Dann bringt eure Pferde an Bord. Und kommt nicht zu spät, ich werde nicht warten.”, verkündete der Kapitän.

“Alles klar.”, Rist, der nicht sonderlich erfreut darüber war so viel Geld für das Übersetzen nach Cintra zahlen zu müssen, hob die Hand dennoch in einem stillen Gruß an den dünnen Kapitän, der sich nicht namentlich vorgestellt hatte.

“Hast du das gesehen?”, fragte die Monsterjägerin dann und sah ihren verwirrten Freund aufgebracht an “Da war diese Frau.”

“Was für eine Frau?”, der Skelliger legte die Stirn erneut in Falten und auch der halb vermummte Göttling blinzelte irritiert, während sich Adlernase längst entfernt hatte, um seiner geschäftigen Arbeit nachzugehen.

“Da war diese Frau aus Redgill. Glaube ich.”, murmelte die Novigraderin verheißungsvoll und Rist sah auf diese Aussage hin hastig an ihr vorbei, um die dunklen Augen prüfend über den Steg und die Hafenmauer wandern zu lassen.

“Wo?”, wollte er mit härterer Miene als noch zuvor wissen. Lin’s große Augen, die im Schatten seiner Kapuze lagen, folgten dem Blick des Skelligers. Der Kleine wirkte aufgeregt, obwohl er nicht wusste um wen es ging.

“Sie war dort oben, am Steg.”, sagte Anna verschlagen und deutete in die Richtung, in der sie die Schnepfe im Kapuzenmantel erblickt hatte. Jene war nicht mehr da und auch ringsum nirgends zu sehen. Als hätte sie sich einfach so in Luft aufgelöst. Trotzdem glaubte Hjaldrist seiner Kollegin offenkundig, denn sein Ausdruck wurde richtig streng. So, als beunruhige ihn die Tatsache, dass sich seine alte Bekannte aus Undvik hier, irgendwo in der Nähe, aufhielt, sehr.

“Sehen wir zu, dass wir zu Mittag essen und dann verschwinden...”, brummte der Mann mit einer Stimme, die zu seinem todernsten Gesicht passte. Er berührte seine Freundin auffordernd am Kreuz und wollte sie damit zum Gehen animieren.

“Du wirkst so, als ob es dir ganz und gar nicht gefällt, dass diese Frau hier ist.”, stellte Anna sofort fest und die Möwen am Pier krähten laut. Ein ganzer Schwarm von ihnen flatterte unweit, denn eines der Fischerboote legte an und die Vögel erhofften sich natürlich etwas vom Fang abzubekommen.

“Tut es auch nicht.”, gab der Jarlssohn ehrlich zu.

“Es war eigenartig, dass sie in Redgill war. Aber soweit ich das richtig deute, wart ihr doch mal Freunde?”, wollte die Kurzhaarige wissen. Rist sah auf diese Worte hin ziemlich verzwickt drein. Ja, er mutete gar etwas betreten an und das hätte nun vielerlei bedeuten können. Jedoch kam Anna sofort eine einzige Annahme in den Sinn.

“Oh.”, machte sie “Ihr hattet mal was miteinander?”

“Das-… naja. So einfach ist das nicht.”, meinte Rist daraufhin und musste sich leise räuspern “Es wäre mir jedenfalls lieber, sie wäre nicht hier. Bist du dir sicher, dass es sie war, die du gesehen hast?”

Nachdenklich wiegte Anna den Kopf und trat von einem Bein auf das andere. Dann nickte sie langsam.

“Ich habe zwar ein schlechtes Namensgedächtnis, aber Gesichter merke ich mir.”, schmunzelte sie und versuchte es zu verbergen, wie unwohl sie sich just fühlte.

“Mh.”, Hjaldrist fuhr sich grüblerisch über das Kinn und seine Miene war nach wie vor hart “Ich fühle mich beobachtet. Gehen wir in die Taverne. Dort können wir weiterreden.”
 

“Ihr Name ist Svenja, falls du dich erinnern kannst. Ich kenne sie von klein auf, wir sind beide in Undvik aufgewachsen und haben als Kinder oft zusammen gespielt.”, Hjaldrist stocherte in seinen verführerisch duftenden Bratkartoffeln mit Speck herum, als er Anna etwas später im Gasthaus gegenüber saß. Die hungrige Frau hatte eine Schale dampfender Fischsuppe mit Brot vor sich stehen und wunderte sich darüber, dass Rist so offen sprach. Ja, sie hatten zwar ausgemacht mit offenen Karten zu spielen, doch sie hätte sich niemals gedacht, dass ihr früher so verschlossener Kumpel nun so viel von sich erzählen würde. Lin saß neben dem besagten Mann und fummelte ein Stück Zwiebel von einem Gemüsespieß. Ein Wunder, wie unauffällig sich dieses sonst so aufgedrehte Wesen verhalten konnte, wenn es wollte. Der schmierige Wirt hatte es erst vor wenigen Augenblicken unwissend als Kind der beiden Abenteurer tituliert.

“Aber du warst-... äh, bist der Sohn eines Jarls.”, murmelte Anna leise, damit die paar Leute am Nebentisch nicht mithören konnten.

“Ja. Und?”

“Nun ja, in den Nördlichen Königreichen spielen die Kinder der Regenten für gewöhnlich nicht mit denen der normalen Leute.”, glaubte die Kurzhaarige und lächelte unbeholfen.

“Das kann man nicht vergleichen.”, seufzte der Axtkämpfer “Auf Skellige sehen wir das nicht so streng. Jarlskinder springen hier auch schon mal im Matsch herum. Zwar mit Leibwächtern im Hintergrund, die aufpassen, aber dennoch.”

“Ach so…”, Anna kratzte sich am Hinterkopf.

“Jedenfalls waren wir lange miteinander befreundet. Irgendwann, da fing Svenja aber damit an von mir zu schwärmen. Ich war jung und dumm und den Rest kannst du dir ja denken.”, murrte der gesprächige Skelliger und steckte sich einen großen Happen fettiger Bratkartoffeln in den Mund. Er rollte leicht mit den Augen, entnervt von den trüben Gedanken an die Vergangenheit in seinem Heimatort.

“Es lief nicht gut?”, schätzte Anna.

“Nein. Ich verließ sie und sie wurde sehr wütend.”, nuschelte Rist mit vollem Mund. Mehr sprach er aber nicht, denn sonst hätte er vermutlich sein halb zerkautes Essen verloren.

“Hmm…”, die nachdenkliche Kurzhaarige taxierte ihren Freund kurz und schöpfte sich Suppe auf den Löffel. In jener schwamm irgendetwas Undefinierbares, Fischiges. Doch es roch und schmeckte gut, daher beschwerte sich die Novigraderin nicht. Gleichzeitig, als sie an Svenja dachte, die in jüngeren Jahren von Rist abgewimmelt worden war, musste sie an den Abend denken, an dem der besagte Undviker aufgetaucht war, um Anna zu wecken, weil sie im Badezuber Adlets vor Erschöpfung eingeschlafen war. Ihr Ausdruck nahm etwas leicht Verstohlenes, Wölfisches an. Sie musste schmal lächeln.

“Sie sah wohl auch aus wie ein Kerl, was?”, konnte die Hexerstochter es sich nicht verkneifen und Hjaldrist stockte, hielt inne. Sein Blick verriet, dass er erst einmal nicht so recht wusste, worauf seine schnaubende Freundin anspielte. Dann aber lockerte sich seine fragende Miene und er konnte es sich denken.

“Du bist ja ganz schön nachtragend...”, stellte er fest und klang unheimlich belustigt dabei. Anna sagte dazu nichts, sondern lenkte das Thema wieder auf dessen Ursprung zurück.

“Du hast sie also abserviert. Und dann? Ist es dir nur deswegen unangenehm, dass sie dir ganz offensichtlich bis heute nachläuft?”, fragte die Trankmischerin halbernst. Im Grunde war sie aber auch besorgt, denn es war ein hartes Stück, dass Svenja Hjaldrist noch immer hinterherzurennen schien. Diese Frau wirkte dadurch und gelinde ausgedrückt, wie besessen.

“Svenja ging zum Heer.”, erklärte Hjaldrist endlich weiter “Sie wollte ihrem Ärger wohl Luft machen oder sich und anderen etwas beweisen. Vielleicht wollte sie ja auch zeigen, wie stark sie ohne mich ist. Oder später eine Leibwache werden, um mir nah zu sein. Keine Ahnung.”

“Hm. Kann sein.”, kommentierte die Suppe löffelnde Hexerstochter, die ja nicht so recht wusste, was sie an Svenja’s Stelle getan hätte. Sie, naja, hatte sich im Leben aber auch nie über Hals und Ohren in jemanden verliebt. Ihre bisherigen Bekanntschaften waren nur Bettgefährtinnen gewesen, deren Namen sie teils gar nicht gekannt hatte. Sie waren allesamt gewöhnlich gewesen, nicht besonders und ab und an sogar ganz schön… blank. Ja, das traf es wohl. Diese hübschen Mädchen waren so klischeehaft normal und langweilig gewesen, dass man sie hätte austauschen können. Mägde, Schankweiber, Töchter irgendwelcher Dörfler. Frauen, die nicht hatten lesen und schreiben können und die hinter vorgehaltenen Händen gekichert oder protestlos gequietscht hatten, als ihnen die Männer in den Tavernen in die Ärsche gezwickt hatten. Sie hatten gekuscht, ihre öde Arbeit verrichtet und kein Ego besessen. Es hatte nichts gegeben, das sie ausgezeichnet hatte. Wie sollte man sich also in solche Menschen verlieben können? Und mit den Männern hatte Anna zu wenig zu tun gehabt. In den Orten, die sie bereist hatte, hatte es zudem mehrheitlich Rüpel gegeben. Proleten, die sich ihren widerlichen Kumpanen gegenüber beweisen hatten wollen, meterweit gegen den Wind gestunken, stolz gerülpst und laut gefurzt hatten. All das war nicht sonderlich attraktiv. Und es machte Kerle, die per se eigentlich nicht schlecht aussahen, so interessant, wie Komposthaufen. Also gab es niemanden, der der eigensinnigen Anna je den Kopf verdreht hatte. Vielleicht hatte sie ja auch nicht die Veranlagung für sowas. Für das Sich-Verlieben und Romantik. Aber war ja auch egal. Sie hatte ohnehin keine Zeit für solche Späße, denn sie musste arbeiten und wollte die Formel für ihre Kräuterprobe finden.

“Jedenfalls war sie dann eine Schildmaid Undviks und stellte sich dabei nicht blöd an.”, setzte Hjaldrist fort und auch Lin hörte aufmerksam zu. Unter dem Tisch ließ der Göttling die Füße fröhlich von der Holzbank baumeln.

“Irgendwann wurde ihr das aber zu eintönig und nachdem sie bereits einige Kontakte hatte und gut reden konnte, ging sie zu den Spionen. Zu den ‘Skrugga’, wie man sie nennt, den ‘Jarlsschatten’ meines Vaters Halbjørn. Ich habe von einem Bekannten aus der Armee, einem damaligen Verflossenen von ihr, gehört, dass sie ganz schön manipulativ sein kann. Also passte die neue Arbeit ja zu ihr…”, sagte Rist vielsagend und Anna sah ihn mittlerweile ganz groß an.

“Svenja kam viel herum und hat mit ihrem Mentor einige Aufgaben für meinen Vater erledigt. Spione der Jarls, musst du wissen, werden in Beziehungen zu anderen Clans eingesetzt. Als Diplomaten, Boten und vor allem, naja, als Spione eben.”, erklärte der Undviker weiter. Seine Freundin aus Kaer Morhen begann langsam zu verstehen, worauf er hinauswollte und ihr Ausdruck wurde angespannter.

“Du glaubst also, sie arbeitet noch immer für deinen Vater?”, kam sie dem Schönling verschwörerisch zuvor. Jener biss die Zähne zusammen und atmete flach durch die Nase aus. Dann nickte er zögerlich.

“Warum sollte sie sonst zuerst in Redgill auftauchen und dann hier? Nenn es von mir aus Verfolgungswahn, aber ich bezweifle, dass das ein Zufall ist. Umso schneller wir von hier wegkommen, desto besser.”, sagte Rist und sah die mitfiebernde Anna dabei todernst an.

“Die Frau ist böse?”, flüsterte Lin und der Undviker zuckte mit den Schultern.

“In gewisser Weise…”, murrte Hjaldrist dabei. Seine beste Freundin sah ihn durchdringend an und fuhr sich grüblerisch über den Nasenrücken. Sie atmete einmal tief durch, dann setzte sie erneut zum Sprechen an.

“Würde dir dein Vater wirklich eine Spionin nachschicken?”, wollte Anna wissen. Dabei dachte sie an Balthar und fragte sich, ob auch jener nach ihr suchte. Ob er sich sorgte? Oder hielt er sein Mündel schon für tot? Sie zog die Brauen etwas zusammen. Und was war mit Vadim und Jaromir?

“Ich traue es ihm zu.”, sagte Hjaldrist ehrlich “Wer, der die Möglichkeit dazu hat, würde das nicht tun?”

“Klingt logisch.”

“Aber ich gehe nicht zurück. Und sollte Svenja es darauf ansetzen ihm Bericht zu erstatten, haue ich hier gerne so schnell ab, wie möglich. Niemand wird mich finden und zurück nach Caer Gvalch’ca schleifen.”, sagte der Skelliger mit den Bratkartoffeln mürrisch und sein Ausdruck war dunkel. Er war nervös, das merkte man ihm an. Hatte er etwa Angst vor seinem Vater? Respekt? Oder schätzte die Hexerstochter ihn einfach nur falsch ein?

“...Warum bist du eigentlich fortgelaufen? Und… Caer Gvalch’ca? Ist das die Stadt, wo du lebtest? Erzähl.”, hakte die hartnäckige Frau dann plötzlich nach und ihr Kumpel, der etwas gebratenen Speck auf seine Gabel geschaufelt hatte, ließ sein Essbesteck einen Deut weit sinken. Genauso, wie seine Schultern. Zunächst sagte er nichts, doch nach dem abwartenden Starren der Kurzhaarigen, die keine Lügen mehr duldete, rang er sich dazu durch die Wahrheit zu sagen.

“Ja, ich bin in Caer Gvalch’ca aufgewachsen. Man nennt es auch Falkenburg und es liegt im Norden Undviks.” berichtete Rist und zog die Brauen zusammen, als er unzufrieden auf sein Essen starrte “Und … mein Vater wollte mir dort einen Posten andrehen, den ich nicht haben wollte.”

“Wie? Du wolltest kein Jarl werden?”, fragte die ungläubige Anna verblüfft und mit gesenkter Stimme. Denn noch immer waren da andere Tavernengäste, die mithören könnten.

“Nein. Also… doch. Aber darum geht es nicht.”, gab Rist zurück und die Kriegerin sah ihn geduldig abwartend an. Sie war neugierig.

“Mein Vater will meinen jüngeren Bruder zum Jarl machen, weil der kriegerischer ist, als ich. Haldorn ist schon immer barscher, größer und lauter gewesen. Ich habe im Gegenzug lieber meinen Kopf eingesetzt, als meine Fäuste. Und, verdammte Axt, auf Skellige werden nunmal die zu Anführern, die Anderen am heftigsten die Fressen polieren können.”, entkam es dem Dunkelhaarigen und man merkte ihm durchaus an, dass ihm das ganze Thema nah ging. Er wurde zwar nicht sonderlich emotional, doch da schwang tiefe Kränkung und Enttäuschung in seinem Unterton mit. Anna konnte das durchaus verstehen. Sie versuchte nicht allzu mitleidig auszusehen, sondern ernst und aufrichtig. Denn ihr guter Kumpel hier vertraute sich ihr schließlich gerade an.

“Welchen Posten hättest du denn bekommen?”, wollte sie wissen.

“Den als Berater und sogenannte Rechte Hand. Tse. Ich hatte keine Lust darauf als Schatten meines kleinen Bruders zu leben, ganz ehrlich.”, schnaufte der Kerl. Ein gutes Argument, denn wer, der große Ambitionen und eigene Vorstellungen besaß, wollte so etwas schon? Anna nickte.
 

Die ‘Serena’, das große Handelsschiff von Kapitän Nase, legte erst am frühen Abend ab. Mit dem optimistischen Versprechen des Mannes aus Cintra die besagte Stadt in etwa zwei Tagen zu erreichen, waren die zwei Abenteurer mitsamt Lin an Deck gegangen. Ihre beiden Pferde hatten sie im Frachtraum angebunden, nachdem sie ihnen zur Beruhigung ein paar Äpfel und Möhren aus der Taverne angeboten hatten. Und während sich die Vierbeiner nach wenigen Stunden auf hoher See beruhigt hatten, war die arme Anna im Gegenzug ganz schön blass um die Nase geworden. Der Grund dafür war klar, denn sie hatte keinen Tropfen ihres Schlafmittels von Drakensund mehr übrig. Verdammte Kacke! Hjaldrist würde die nächsten zwei Tage über also viel damit zu tun haben seine nervöse Freundin zu beschwichtigen und ihr Kotzkübel zu bringen.
 

*
 

Die geschaffte Anna war in der zweiten Nacht auf der Serena besonders ruhelos und vermochte es einfach nicht einzuschlafen. Draußen heulte der Sturm und brachte das Schiff ganz schön zum Wanken und Schaukeln. Es knarrte und platschte, rauschte und toste. Wellen schlugen hart an den Schiffskörper und ein jedes Mal, wenn das geschah, zuckte die burschikose Frau zusammen. Die Novigraderin mit dem flauen Magen hatte Mühe damit sich zu beherrschen. Und während Hjaldrist und Lin seelenruhig im Frachtraum, nahe der Pferde, auf Decken und Fellen schliefen, wanderte die Hexerstochter nun schon seit gefühlten Stunden ziellos umher. Dies teils sogar taumelnd, weil der unstete Wellengang die Serena nur so umher riss. Anna ging leise in sich hinein schimpfend an Lagerkisten mit Getreide und an Fässern voller Salz vorbei, stöhnte immer wieder leise und atmete gezwungen ruhig aus. Oh, bei der Unterbuchse der Melitele, warum hörte das dumme Geschwanke denn nicht auf? Warum, zum Geier, musste es immer dann Unwetter geben, wenn SIE auf See war, hm? Warum? Womit hatte sie das verdient?

Die Frau, die gerade nicht mehr trug als Hose, Stiefel, locker sitzendes Hemd und den obligatorischen Langdolch aus Silber, bahnte sich also einen holprigen Weg durch den Bauch des Schiffes, das der Wind völlig in der Mangel hatte. Ihr Ziel war die breite, gezimmerte Treppe, die nach oben führte. Sie würde den Teufel tun beim vorherrschenden Scheißwetter an Deck zu gehen, doch sie müsste dringend frische Luft schnappen. Also würde sie zur Pforte des Frachtraumes gehen und sich dort zwischen Tür und Angel aufhalten, um ein paar tiefe Atemzüge zu tun. Sie müsste dafür nicht ganz nach oben und das war gut so. Generell war sie nicht erpicht darauf ihre Füße an Deck eines segelnden Wassergefährts zu setzen.

Anna’s aufgewühlter Blick schweifte beiläufig umher. An den Schiffswänden waren hier und da rostige Öllampen montiert, die nur wenig Licht verströmten und quietschend mit dem unsteten Wellengang schaukelten. Rhythmisch taten sie das und malten dabei einen fahlen, gespenstischen Schein auf Kisten und Truhen ringsumher. Daneben schliefen hier unten an die zehn Menschen. Sie waren Reisende, wie Anna, Rist und Lin. Darunter befanden sich ein eigenbrötlerischer Professor der Akademie in Oxenfurt, ein Freund des Kapitäns, ein Paar mit Hund und andere, recht gewöhnliche Menschen. Einer von ihnen schnarchte just so laut, dass es wie ein fernes Donnergrollen klang. Anna linste aus dem Augenwinkel böse in die Richtung, aus der das fürchterliche Geschnarche kam, und schüttelte den Kopf leicht. Denn wenn sie neben Proleten und Hunger etwas nicht ausstehen konnte, dann Schnarcher. Anna schnaufte entnervt. Und als sie dann wieder nach vorn blickte, um auf ihren Weg im unordentlichen, weitläufigen Frachtraum zu achten, blickte sie einem Mann entgegen, der plötzlich vor ihr stand. Die Kräuterkundige hatte ihn gar nicht kommen sehen und erschrak beinah, ehe sie den Fremden taxierte. Er war schlank und so groß, wie die Novigraderin selbst. Seine Haare waren halblang und etwas wirr. Im Halbdunkel unter Deck konnte die unschlüssige Anna ihn kaum erkennen und auch seine vermeintlich enge Kleidung war nicht mehr, als ein dunkler Schemen. Fragend blinzelte die Frau und wollte etwas sagen. Da öffnete der Mann auf einmal den unnatürlich breiten Mund und atmete tief ein. Während er dies tat, begannen all die Lichter im Frachtraum damit unruhig zu flackern. Ja, als der Kerl die Luft einsog, schien er gleichauf an den Feuern zu zehren. Jene entschwebten den kleinen Laternen aus Metall und Glas, flirrten durch die Luft und zogen an Anna vorbei, um zu dem Fremden zu fliegen. Jener öffnete den Froschmund weiter und streckte seine Zunge heraus, wie ein Kind, das im Winter Schneeflocken fangen wollte. Anna weitete die Augen sprachlos und rührte sich kein Stück weit. Sie fasste den Moment nicht und war vollkommen überwältigt von dem, was sie sah: Die tanzenden Feuerchen der Laternen legten sich auf die Zunge des Wesens vor ihr und wurden von jenem verschluckt. Stockfinster wurde es. Und als das Monster dann wieder ruhig und flach ausatmete, rann ihm das Licht in zähen Schlieren aus dem Mund und erfüllte ihm die Augen mit Gold. Die Hexerstochter, die im völligen Dunkel stand und nurmehr hell gefärbte Zähne, Lippen und Augen sah, stockte heftig. Sie war dermaßen perplex und auf entrückte Art fasziniert, dass sie es nicht einmal zusammenbrachte den kleinsten Ton von sich zu geben oder sich aus ihrer Starre zu lösen. Drängende Wärme quoll ihr entgegen, als stünde sie im Winter vor einem lodernden Lagerfeuer. Sie gaffte irritiert, hatte so etwas wie DAS HIER noch nie im Leben gesehen. Ihre geweiteten Augen wanderten gen Ungeheuer-Mund, aus dem das flüssige Licht tropfte und sie erkannte viele, ebene und gerade Zähne. Sie sahen zu gleichmäßig und viel zu schön aus, als dass sie menschlich sein konnten. Ja, das hier war definitiv kein Mensch. Auch kein Elf. Das hier war… ja, was war es denn? Die burschikose Hexerstochter gab endlich einen überforderten Laut von sich, als sie sich dies fragte. Und in dieser Sekunde, als sie japste, reagierte der Lichtschlucker vor ihr abrupt. Seine dunklen Pupillen weiteten sich und wurden so groß, dass sie das Gold in den mandelförmigen Augen beinah völlig verdeckten. Wie bei einer Katze, die darauf aus war auf ihre Beute los zu springen. Anna traf diese Erkenntnis, wie ein harscher Schubs und sie wich erschrocken zurück. Das Wesen setzte auch tatsächlich vor, doch es kam dabei nicht auf Anna zu. Es sprang zur Decke und seine Finger und Füße hefteten sich sofort an jene, wie die einer Spinne. Von dort oben zu Anna herab starrend, fauchte das Ungeheuer dann, dass das flüssige Licht, der unnatürliche Speichel, nur so sprühte. Dort, wo der Geifer hinfiel, fraß sich die Glut in das gebeizte Holz und aufgebracht strauchelnd wich Anna einem dicken Tropfen davon aus. Das Schnarren des Unbekannten indes, klang wie die Drohgebärde eines wilden Tieres und riss Anna mit einem Mal aus ihrer verdatterten Unbeholfenheit. Sie zuckte heftig zusammen und zog einen Atemzug später das lange Silbermesser. Sie holte Luft, um laut nach ihrem skelliger Begleiter zu rufen, und Hjaldrist’s Name hallte folglich laut durch den Schiffsbauch und würde nicht nur ihn, sondern auch die restliche Belegschaft wecken.

Anna hatte ihren besten Freund schon oft ziemlich ernst und ebenso drängend bei seinem vollen Namen gerufen. Doch noch nie zuvor hatte Skelliger so prompt reagiert, wie jetzt. Die gehetzte Novigraderin hatte sich kaum versehen, da war der Mann bei ihr. Vom Schlafen etwas zerwühlt aussehend, mit schief sitzendem Hemd und seiner teuren Familienaxt in der Hand kam er an. Der Dunkelhaarige fluchte verwirrt und ein paar der anderen Leute schrien empört auf, denn sie hatten den bedrohlichen Lichtschlucker an der Decke entdeckt. Der räudige Köter des Paares, das mit an Deck gekommen war, kläffte zornig, und irgendwo heulte ein Kleinkind mit hoher, in den Ohren klingelnder Stimme los. Apfelstrudel und Kurt wieherten angstvoll und warfen die Köpfe unruhig zurück.

“Anna!”, fing Rist an, als er neben seiner Freundin in Not zum Stehen kam. Den Weg durch die plötzliche, schwankende Dunkelheit unter Deck hatte er nur so schnell gefunden, weil er die grün leuchtende Laterne von Märthe, deren Flamme nicht zum Futter des Lichtschluckers geworden war, bei sich hatte. Er hatte sie sich an den Gürtel gehängt, was problemlos möglich war, denn aus unerfindlichen Gründen wurde das verzauberte Lampengestell niemals heiß.

Der planlose Skelliger kam nicht mehr dazu seine beunruhigte Frage auszusprechen, denn ganz plötzlich hoben sich seine Füße vom ebenen Boden ab. Genauso, wie es die der Alchemistin neben ihm taten. Es ging alles so verdammt schnell. Sie beide gaben überwältigte Laute von sich, als sie kurz glaubten zu schweben. Doch das taten sie nicht. Sie fielen. Und zwar der hohen Decke entgegen. So, als befände sich der Boden plötzlich dort oben, wo das schwarze Wesen mit den gebleckten, erleuchteten Zähnen noch immer böse und angriffslustig starrte, drehte sich die Schwerkraft um 180 Grad. Aus goldenen Augen funkelte das anwesende Ungetüm den beiden Abenteurern entgegen, die just in diesem Moment harte Bekanntschaft mit der Schiffsdecke machten. Jene, wiederum, wurde zum neuen Untergrund. Und so, wie Anna und Rist zuvor, schmetterten nun auch unzählige Kisten und Fässer gegen das neue Unten. Eines der letzteren verfehlte den sich fortrollenden Hjaldrist nur knapp und eine polternde Lagerkiste folgte. Holz zerbarst und dicke Splitter stoben, gefolgt von Salz und Getreidekörnern, durch die dicke Luft. Anna rang keuchend nach Atem, denn der vorangegangene Sturz hatte ihr sämtliche Luft aus den Lungen gepresst. Den Silberdolch krampfartig festhaltend, stöhnte sie schmerzlich auf und drehte sich zur Seite.

“Scheiße!”, spie die Nordländerin. Es war so finster, dass sie sich kaum orientieren konnte und auch ihr Kumpel hatte merklich Probleme damit. Er hievte sich im Schein der Lügenlampe auf alle Viere und stand auf. Dann reichte er seiner Kollegin hastig eine helfende Hand, damit sie es ihm gleichtun könnte. Irgendwo zwischen Kistentrümmern und verstreutem Salz lagen zwei erschlagene Leichen. Das lauthals schreiende Balg von vorhin war verstummt, doch der Hund kläffte noch immer, wie wild. Anna kümmerte sich in diesem heiklen Augenblick kaum um die restlichen Gäste an Bord, sondern konzentrierte sich vollends auf das Monstrum, das sich kaum drei Meter weit entfernt reckte Ja, es stand wieder aufrecht, wie ein Mensch, anstatt zu krabbeln. Und es setzte sofort zum Angriff an. Begleitet von der sengenden Hitze, das es ausstrahlte, lief es auf die Ungeheuerjäger zu und formte dabei flüsternd etwas in den Händen, das so aussah, wie eine Klinge aus Licht und Feuer. Die säbelhafte Schneide schimmerte und leuchtete genauso, wie es der orangene Speichel tat, der dem skurrilen Wesen die Zähne hell machte und so, wie das flüssige Gold in dessen Augen. Das Monster war unwahrscheinlich schnell. So flink, dass Anna es nicht schaffte rechtzeitig zu reagieren. Doch Hjaldrist tat das und kam zwischen seine beste Freundin und den innerlich brennenden Angreifer, wie ein menschlicher Schild. Irgendetwas klirrte metallen, Rist keuchte zornig und stieß den Fremden barsch von sich. Das Wesen taumelte zurück und hastete los, sprang zur Seite und heftete die Finger und Zehen an die Wand. Und auf einmal war es schon wieder so, als nähme jemand das große Boot in die Hand und drehte es herum, wie ein kleines Spielzeug. Als folge die Schwerkraft dem ungeheuer mächtigen Wesen im Schiffsrumpf. Dieses Mal wurde die wankende Anna mit der Schulter voran an die rechte Bordwand, geworfen. Der bellende Hund jaulte einmal kläglich auf und war kurz darauf nicht mehr zu hören. Menschen schrien nach Hilfe und Rist hatte es aus unerfindlichen Gründen geschafft nicht rücklings oder mit der Visage voran an die hölzerne Wand zu knallen. Er machte Anstalten aufzustehen. Mit einem Knie am Grund stützte er sich auf seiner Axt ab und erhob sich schwerfällig. Der Lichtschlucker kam vor ihn und grollte böse. Anna, die das sah, wollte sofort gehetzt voranstürmen, um ihrem Freund zu helfen, da spuckte das dunkle Unwesen dem Skelliger schon fauchende Glut entgegen. Es schien dafür von dem Licht in sich zu zehren, atmete jenes zischend aus und seine Augen glühten sofort weniger stark. Das gleißende Feuer erhellte die gesamte Umgebung, schlüpfte zurück in die nahen Lampen, und wollte tödlich rings um Rist einschlagen. Der undviker Krieger war jedoch schneller - oder er hatte einfach nur enormes Glück - und wich gelenk zur Seite aus. Hjaldrist duckte sich und wendete sich fort, sprang. Die Hitze streifte ihn lediglich, leckte an einem seiner Beine und sengte ihm die Hose an. Doch dies reichte bereits, um ihn niederzuwerfen. Die entsetzte Novigraderin, die nach ihrem getroffenen Freund rief, sah, wie jener schreiend stolperte und niederging. Es roch nach verbrannter Haut und qualmendem Leinen. Es war schrecklich und Anna glaubte, ihr bliebe das Herz stehen. Sie rief aufgebracht nach ihrem Gefährten, doch ehe sie irgendetwas unternehmen konnte, war das groteske Wesen mit den Glutaugen bei ihr. Und dies so nah, dass sie dessen kantiges Gesicht im fahlen Schein erkennen konnte. Das Ding sah aus, wie ein Mensch mit beachtlich dunkler Haut. Doch sein Mund war so breit, wie der einer Kröte, und die Augen, aus denen das Gold nach der Attacke auf Rist herauswich, wie Qualm, fremdartig. Der dürre Lichtschlucker schien schmal zu lächeln, boshaft und hinterhältig. Sein Atem ging rasselnd und er stank erbärmlich nach Ruß und Schwefel. Anna weitete den Blick überwältigt und aus einem abrupten Reflex heraus stach sie einfach zu. Sie ruckte den Dolch nach vorn, doch verfehlte das Monster, das einen Ausfallschritt machte und sofort von der Seite aus auf sie einschlug. Mit einer schnellen Drehung entkam die alarmierte Novigraderin ums Geratewohl einem Hau des züngelnden Flammenschwertes. Gierige Funken jagten ihr nach und bissen ihr scharf in den Nacken. Sie atmete schwer durch, bewegte sich in einer raschen Finte und hob, getrieben von blankem Adrenalin, erneut mit dem blitzenden Langdolch zu. Der Lichtschlucker brüllte gequält auf, denn diesmal hatte Anna ihn an der Hüfte getroffen. Er spuckte der Frau flüssiges Licht entgegen und verbrauchte damit all die Reserven, die seinen dünnen Körper zuvor so heiß und lodernd erfüllt hatten. Die Lampen und Laternen an den Schiffswänden brannten wieder. Das Schiff wurde von einer Welle zur Seite geworfen. Anna, taumelte rücklings über eine der scheppernden Öllampen hinweg, denn noch immer war die Schwerkraft völlig durcheinander und die rechte Bordwand das Unten. Sie fand die Balance wieder, verengte die Augen wütend und sah in deren Winkel, wie der ächzende Hjaldrist wieder aufstand. Noch einmal riss sich die schwitzende Frau am Riemen, spannte sich an und ging zum Angriff über. Ihr Feind war unglaublich behände, daher musste sie auch schnell sein. Zum Kampfe schrie sie und stürzte ohne Rüstung und bloß mit ihrer Silberwaffe in der Hand auf das fremde Wesen zu. Das Gold war vollends aus dessen qualmenden Augen und dem großen Mund gewichen. Das gefährliche Feuerschwert war ebenso fort. Und ganz offensichtlich war der Lichtschlucker in diesem Zustand viel, viel schwächer und langsamer, als sonst. Zudem blutete er vom vorigen Angriff der versierten Novigraderin. Ja, Anna bewies Können, doch es reichte nicht. Nicht jetzt, in dieser prekären Sekunde. Denn mit der Macht, die das Feuerwesen vor wenigen Momenten noch besessen hatte und die mit dem verbrauchten Licht aus ihm gewichen war, schwand auch dessen Kontrolle über die verzerrte Erdanziehungskraft. Im Gegenzug zu Anna sprang es elegant, nahezu katzenhaft, und landete dumpf am ursprünglichen Boden des Schiffes. Das Wassergefährt drehte sich laut knarrend mit ihm und draußen gähnte der wilde Sturm noch immer.

Die Hexerstochter schaffte es gerade so mit beiden Füßen aufzukommen und versuchte das Gleichgewicht zu behalten, als sie von der Wand, auf der sie gerade noch gestanden hatte, auf den dreckigen Holzboden strauchelte. Sie hielt die Arme dafür seitlich ausgestreckt und stieg ungeschickt über ein halbes, zerschlagenes Fass hinweg, doch stolperte nicht. Kistenreste polterten ihr rumsend nach, Salz rieselte und Getreidekörner mischten sich unter die vielen Trümmer. Eine Frau schrie entsetzt, heulte johlend auf. Und das schnarrend kichernde Wesen im Schiffsbauch wich vor Anna zurück, doch nicht ängstlich. Es tat dies nur, um etwas Abstand und damit Zeit zu gewinnen. Vielleicht nahm es auch Anlauf. Kaum einen Herzschlag später sah die abgekämpfte Novigraderin dann schon, wie es den breiten Mund erneut öffnete und dazu ansetzte tief einzuatmen. Die Öllichter ringsum begannen bedrohlich zu flackern. Sie würden gleich wieder erlöschen.

“Nein!”, stieß die aufgerüttelte Kriegerin aus und lief los, so schnell sie nur konnte. Von der Seite aus kam auch Hjaldrist, der stark hinkte und die Zähne knirschend zusammenbeißen musste. Doch sie beide waren zu langsam. Ein geräuschvolles Einatmen seitens des Fremden folgte. Lichter flogen durch die Luft, wie Nebelschwaden, und das Wesen im Raum nahm wieder allen die Sicht. Es tauchte den Schiffsbauch in Schwärze und seine Augen flammten Sekunden später schon hell und bedrohlich auf. Golden legte sich die bekannte Kampfeslust in die Pupillen des Breitmundigen und eine schnelle Bewegung später stieß seine zischende Lichtklinge aus der Finsternis hervor. Anna hörte, wie Lin verzweifelt nach ihr und Rist rief. Ein Pferd wieherte panisch und Hufe trommelten auf den Holzboden. Sie sah, wie der Lichtschlucker gelenkig zurück an die Wand sprang und spürte, wie sich das Schiff unter ihren Füßen zu drehen begann. Schon wieder. Besser darauf vorbereitet, als früher lief die Kriegerin dieser Bewegung entgegen, anstatt zu fallen. Sie sprang über einen Toten hinweg, trat auf den Kadaver des Hundes, der nicht mehr bellte, und spürte, wie ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken jagte. Hjaldrist war auf einmal direkt neben ihr und stieß eines plötzlichen Ruckes des Untergrunds wegen schwerfällig an sie. Anna gab ihm einen leichten Schubs, damit er wieder gerade stand, atmete schwer durch und ihre braunen Augen suchten in der Dunkelheit die markant lodernde Feuerklinge. Jene kam schon wieder fauchend und funkensprühend auf sie beide zu, als sich das Schiff auf den Kopf stellte; Als es die Segel in das Meer tauchte und den Kiel gen Himmel streckte. Alles ringsum fiel erneut. Und nun hielten die zwei gezimmerten Tore, die an Deck führten, dem Meer nicht mehr stand. Dieses Mal sprangen sie mit einem lauten Poltern auf, gefolgt von einem bedrohlichen, grollenden Rauschen. Anna hob den Kopf sogleich, fuhr herum und ihr Blick weitete sich im schieren Entsetzen. Sie gab einen erstickten Laut von sich, als das salzige, eiskalte Meerwasser auf sie hereinbrach. Den Lichtschlucker völlig vergessend, steckte sie sich den Silberdolch hastig in den Gürtel, erwischte Rist herrisch am Ärmel und lief los. In völliger Panik stolperte sie davon, doch natürlich vergebens. All dies passierte binnen weniger Atemzüge. Anna hörte noch, wie Hjaldrist ihren Namen heiser schrie und spürte, wie ihr sein Ärmelstoff entglitt. Sie hörte, wie ihre Pferde angstvoll wieherten und wie deren Hufe donnernd am Holz tänzelten.

Die Welle tosenden Wassers erwischte Anna eine Sekunde darauf ungnädig und warf sie vor, als sei das Meer, das in das Schiffsinnere eindrang, eine harte Wand. Sofort verlor die Frau jegliche Orientierung, ruderte und fuchtelte unbeholfen und war umgeben von schäumendem Wasser. Ihr Körper wurde an das hintere Ende des Schiffsraums gespült und dabei geworfen, als sei sie eine kleine Stoffpuppe. Der harte, dumpfe Aufschlag presste ihr die Luft aus den Lungen und unweigerlich verschluckte sie das reißende Meerwasser. Knapp neben ihr wurde ein zerbrochenes Brett gegen die gestrichene Wand geschleudert. Unzählige Splitterreste von Kisten und Fässern folgten. Ein paar davon trafen sie und zerschnitten ihr die Haut. Anna spürte eine Wucht, die ihren Arm traf, dann ein brennendes Stechen in der linken Hand, das ihr bis in die Schulter nach oben zuckte. Es blubberte und rauschte, toste und platschte. Gewaltvoll schwappte das Wasser und warf eines der gepackten Pferde herum, wie nichts. Anna wurde es schwarz vor den aufgerissenen Augen, in denen das Salzwasser unangenehm brannte. Doch nicht lange. Es mussten nur wenige Sekunden vergangen sein, da kam die Kurzhaarige wieder zu sich. Das Meerwasser im großen Bauch des Schiffes sackte ab und wich zurück, als schütte und rüttle es jemand aus ihm heraus. Das Schiff richtete sich wieder auf, um den Mast gen Nachthimmel zu strecken. Und als das kalte Nass des Meeres Anna endlich losließ, landete sie rücklings und laut ächzend neben einer Kiste, die wie durch ein Wunder heile geblieben war. Fahrig fasste sie an deren Rand, zog sich sofort hoch und hustete, spuckte Wasser und keuchte. Ihr war ganz schwindelig. Die Giftmischerin spürte einen ziehenden Schmerz in ihrer rechten Hand und lenkte den schummrigen Blick fragend zu jener. Ein spitzer Holzsplitter, so dick wie ein Daumen, steckte in der Handfläche der hustenden Monsterjägerin. Sie verzog das Gesicht schmerzlich, kam auf die Beine und lehnte sich an die Kiste neben sich. Anna zog sich den Splitter mit einem Ruck aus der Hand, blutete und stöhnte dabei wehleidig. Beinah übergab sie sich des ganzen Salzwassers in ihrem Magen wegen, würgte. Doch ein plötzlicher Gedanke kam ihr zuvor. Einer, der sie schockiert innehalten ließ: Der an ihre zwei Begleiter. Anna’s Eingeweide verknoteten sich augenblicklich und es fühlte sich an, als rutsche ihr die Zunge in den trockenen Rachen. Bei Melitele, wo waren die anderen? Wo waren sie bloß? Rist war gerade noch bei ihr gewesen. Jetzt war er fort. Hatte die See ihn mit nach draußen gerissen? Oh, bitte nicht! Die tropfende Hexerstochter mit den wackeligen Knien sah aufgebracht um sich und stotterte etwas, das annähernd wie der Name ihres besten Freundes klang. Und dann schnitt auf einmal eine bestimmende Stimme durch den Raum.

“Tötet ihn!”, brüllte ein Mann ganz nervös. Anna horchte auf, wandte den Kopf und erkannte den Professor aus Oxenfurt, der unweit zwischen Trümmern stand und pitschnass in die Richtung des erloschenen Lichtschluckers gestikulierte. Das Medaillon der Novigraderin vibrierte so stark, dass es gegen die blanke Schneide des Silberdolches sirrte, den sich die Frau zuvor behelfsmäßig in den Gürtel gesteckt hatte. Sie atmete tief ein, wirkte entrückt und aufgelöst. Viel verstand sie in diesem Augenblick nicht, denn ihr Hirn war wie leergeblasen. Doch sie verstand zwei Dinge: Dass das bösartige, jetzt dampfende Wesen auf der Serena noch lebte und dass der alte Professor soeben blaffte, dass man es töten müsse. Ja, man müsse es umbringen! Wieder fiel der Blick der Hexerstochter auf den knurrenden Lichtschlucker, der sich just wieder aufrappelte und versuchte das gehasste Wasser von sich zu schütteln. Noch wirkte er völlig benommen davon; es fragte sich nur, wie lange noch. Die einzige Lichtquelle war nun der grüne Schein von Anna’s Lampe. Rist, der irgendwo triefend nass am Boden saß und nicht mehr auf die Beine kam, hielt sie krampfhaft fest. Dies reichte, damit man mit Augen, die mittlerweile an das Dunkel gewöhnt waren, genug sehen konnte.

Anna ging schleppend los. Sie wurde immer schneller, biss die Kiefer zusammen und zog ihren Langdolch. Am Ende lief sie. Und sie wusste nicht so recht, was sie tat. Sie funktionierte bloß und hatte nurmehr eins im Kopf: Ihren Gegner zu töten. Die keuchende Kriegerin sah, wie der Professor aus Oxenfurt die Handfläche ruckartig auf den Lichtschlucker richtete und das Wesen daraufhin wie von einer unsichtbaren Druckwelle umgeworfen wurde. Sie störte sich nicht daran und wunderte sich auch nicht; nicht jetzt. Die Frau hastete vor, auf den Feind zu, und gab ein lautes, grantiges Kampfgebrüll von sich. Und dann stach Anna mit aller Kraft zu. Ihre Schneide senkte sich in weiches Fleisch, als sich die Novigraderin mit der Waffe voran dem Breitmaul entgegenwarf. Das mächtige, doch auch zerbrechliche Wesen starb daraufhin schnell und ohne einen einzigen Mucks von sich zu geben. Vor der Frau zerfiel es zu feuchter Asche, die zwischen die nassen Planken rieselte. Anna verlor dadurch den Halt und stolperte nach vorn, schlug sich die Knie auf. Sie keuchte abgekämpft. Dann herrschte Stille.

“Bei den Schöpfern!”, der aufgescheuchte Professor war der Erste, der etwas sagte. Sofort kam er mit nasser Robe näher und kniff die Augen zum Sehen zusammen, weil er seine Brille verloren hatte. Seine wenigen Haare, die sich unter einer Glatze im Bogen um seinen Hinterkopf wandten, klebten ihm feucht an der Haut. So wie auch die simple Kleidung in Grün und Beige. Der Mann, der recht betagt aussah, streckte Anna die Hand helfend hin und jene ergriff sie auch, um sich hoch helfen zu lassen. Die unwohle Anspannung war aber längst nicht aus ihren Gliedern gewichen und noch immer kämpfte sie gegen das Entsetzen, das ihr in den kalten Knochen steckte. Ihre kalten Hände zitterten stark.

“Geht es Euch gut, Töchterchen?”, wollte der Kerl aus Oxenfurt wissen, der ganz offensichtlich mehr war, als ein gewöhnlicher Gelehrter und Lehrer. Er… er war ein Magier, nicht wahr? Und er hatte vor wenigen Minuten viel geholfen. Es war etwas, über das sich Anna später Gedanken machen würde. Denn nun wandte sie sich, ohne eine Antwort auf die Frage des besorgten Professors zu geben, ab und ihre vom Salzwasser geröteten Augen wanderten eilig zu dem Ort, an dem sie Rist zum letzten Mal gesehen hatte. Und er saß dort auch noch immer am Grund, im grünen Lampenschein, und wirkte dabei ein wenig verloren. Selten hatte die Novigraderin ihn so gesehen und es war klar, dass der erbleichte Mann wesentlich schlimmer getroffen worden war, als Anna. Sie würde mit Prellungen, Abschürfungen und einer dick verbundenen Hand davonkommen. Rist aber, der konnte gerade nicht einmal mehr aufstehen, so schien es. Und als die Kurzhaarige zu ihm kam, um sich zu ihm zu hocken, sah sie auch warum: Der übernatürliche Lichtschlucker hatte ihn mit dem sengenden Feuer getroffen; seitlich und schwer, vom linken Bein bis hoch zur Taille. Die teuren Stoffe von Hose und besticktem Hemd klebten dort unschön und versengt an der blutigen Haut, die unschöne Blasen warf. Die Verbrennung war so schlimm, dass der ganze Körper des mitgenommenen Skelligers heftig bibberte. Sein Atem ging stoßweise und ungleichmäßig. Und obwohl Rist schon einige harte Kämpfe und Verletzungen überstanden hatte, war es klar, dass er solch eine Pein, wie gerade eben, noch nie zuvor gespürt haben musste. Er hatte das Zittern, das von der Verbrennung seiner gereizten Nerven herrührte, kaum unter Kontrolle. Sein schockierter Blick aus geweiteten Augen machte Anna nahezu Angst.

“Leg dich hin.”, sagte sie eilig und kam auf die schmerzenden Knie. Rist gehorchte nicht, denn er war völlig abwesend, und daher musste man ihn zum Liegen zwingen. Anna erwischte Hjaldrist an den Schultern und drückte ihn dem feuchten Boden entgegen. Ein schmerzverzerrter, heiserer Laut entkam ihm dabei und er fasste sich mit einer Hand an die versehrte Seite. Erst an diesem Punkt angelangt, ließ er die Lügenlampe Märthes los und scheppernd fiel das Artefakt auf die nassen Holzplanken.

“Kann ich helfen?”, der oxenfurter Professor war bei den Jüngeren aufgetaucht und sah über Anna hinweg zu deren Freund hin, der sich verkrampfte und immer mehr so anmutete, als stünde er knapp davor das Bewusstsein zu verlieren. Er atmete schnell und starrte entsetzt vor sich hin. Der Schmerz hatte ihm Tränen in die Augen getrieben.

“Ach, herrje.”, atmete der Zauberer mit der Halbglatze und bekam eine harte, vielsagende Miene. Und die Frau aus Kaer Morhen wusste in diesem Moment nicht, was tun. Der Anblick ihres sonst so standhaften Gefährten brachte sie so sehr durcheinander, dass sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte.

“Rist…”, wisperte sie vollkommen zerfahren.

“Wir müssen ihm kalte Umschläge machen und zusehen, dass wir die versengten Stoffe aus den Wunden herausbekommen.”, meinte der wissende Oxenfurter. Anna konnte die starren Augen solange nicht vom keuchenden Hjaldrist nehmen.

“Na los, Mädchen, hole etwas Wasser! Das von den Trinkwasserfässern, sollten diese noch heile sein und hier irgendwo liegen.”, der Ältere berührte die Kurzhaarige an der Schulter und sie zuckte heftig zusammen, bevor sie aufsah. Doch dann schnappte sie sich ihre grüne Lampe und eilte los, um inmitten des ganzen Chaos an Bord nach dem Trinkwasservorrat zu suchen. Hoffentlich gäbe es noch etwas davon.
 

Als die entkräftete Anna sehr bald zurück zum Professor und Rist kam, kniete der Mann aus Oxenfurt vor dem Verwundeten und redete ihm gut zu, während er ihm mit spitzen Fingern den Kleidungsstoff aus den Brandwunden pickte. Der arme Skelliger war an diesem Punkt schon so benommen, dass er nicht einmal schrie. Ab und an stöhnte oder jammerte er zwar leise, doch mehr nicht. Lin war auch da und unweit ging der Kapitän mit der Hakennase umher, um die erloschenen Öllampen des Schiffes wieder zu entzünden. Fünf Männer der Crew liefen aufgebracht umher, um den Schaden am Schiff zu sichten. Doch abgesehen von ihnen hatte kaum jemand den schweren Angriff des Lichtschluckers überlebt. Auch Kurt war tot. Anna hatte den leblosen Körper ihres Pferdes beim Wasserholen gesehen und schwer schlucken müssen. Sie hatte sich dazu gezwungen nicht lange in die Richtung zu starren, in der das dunkelbraune Tier lag; mit unnatürlich verdrehtem Hals, leblosen Augen und offenstehendem Maul. Es war fürchterlich. Und die an und für sich kurze, gewöhnliche Schiffsreise hatte sich als Tragödie herausgestellt. Doch warum? Warum war der Lichtschlucker überhaupt hier gewesen? Hatte man ihn zuvor nicht bemerkt, weil er annähernd ausgesehen hatte wie ein Mensch? Was hatte er hier gesucht? WAS war er gewesen und warum hatte er überhaupt angegriffen?

Anna, noch immer recht blass um die Nase, kam zu dem Zauberer und Hjaldrist. Letzterer schlotterte und starrte der Ohnmacht nahe vor sich hin. Lin saß völlig aufgelöst neben ihm und hielt ihm die Hand. Der Göttling war durchnässt und hatte seine Kapuze längst verloren. Dennoch wirkte der Mann aus Oxenfurt sehr gelassen. Jemand wie er wusste sicherlich was Lin war und dass der Kleine zu keiner bösartigen Ungeheuergattung gehörte. Ja, tatsächlich sprach der Zauberer mit dem Waldwesen, als sei jenes ein normales Kind.

“Wir müssen ihm gleich kühle Umschläge machen. Hilfst du mir dabei?”, fragte der kurzsichtige Alte nett und Lin nickte hastig. Anna blieb bei ihnen stehen und reichte dem Professor ihren frisch aufgefüllten Trinkschlauch. Es war ruhig geworden. Selbst der grollende Sturm, der draußen so laut gepfiffen und die Serena umhergeworfen hatte, hatte nachgelassen.
 

Als der Morgen graute, hatten die Seemänner die Toten im hinteren Bereich des Laderaumes nebeneinandergelegt und mit alten Decken verdeckt. Sie hatten für jene ein paar Worte und Gebete gesprochen und sich dann, nach ein paar Minuten voller betroffenen Schweigens, wieder an die Arbeit gemacht. Den toten Hund und das verendete Pferd hatten sie über Bord geworfen und noch immer waren sie allesamt aufgelöst. Dennoch mussten sie hart arbeiten. Es ging nicht anders, denn die Serena fuhr nicht von selbst gen Cintra, das angeblich keine Tagesreise weit mehr entfernt lag. Anna hatte sich seit der letzten, verhängnisvollen Nacht nicht an Deck gewagt und war im zerschlagenen Frachtraum geblieben, in dem es nach wie vor äußerst chaotisch aussah. Doch immerhin waren die Leichen fortgeschafft worden. Und nun saß sie da und sah unbeholfen dabei zu, wie der bibbernde Hjaldrist mit dem Wundfieber rang. Sie hatte ihm schon einen ihrer Tränke, der gegen erhöhte Temperatur half, eingeflößt. Auch hatte der Professor aus Oxenfurt eine graue Paste dabeigehabt, die man dem Undviker großzügig auf die frischen Wunden hatte streichen können. Und nun lag der Arme da, am Boden, und der Schüttelfrost beutelte ihn so sehr, dass er mit den Zähnen klapperte. Anna konnte ihn nicht zudecken, denn nach der vergangenen Misere war hier alles nass und kalt; Kleider, Decken, Mäntel. Daher kauerte sich der Jarlssohn ohne jegliches Bettzeug oder Fell neben Anna zusammen, den Kopf auf ihrem Schoß und geistig absolut abwesend. Lin hatte damit angefangen ihm beruhigende Lieder vorzusingen oder zu -summen.

“Er tut mir sehr leid.”, sagte der Zauberer mit dem kahlen Scheitel, der in der Nähe der drei Besagten auf einer unversehrten Holzkiste saß. Das Salz in ihr könnte man vergessen.

“Ich hoffe, er ist bald wieder wohlauf.”, meinte der Kurzsichtige mitleidig seufzend und Anna hob den Kopf “Wenn er das Fieber übersteht, dann wird er schon bald wieder aufstehen können. Bestimmt hat er sich auch ordentlich den Kopf gestoßen, so wirr, wie er früher ausgesehen hat.”

Wie optimistisch. Die betroffene Anna schwieg. Und in ihrem Kopf sprang eine einzige Frage im Kreis: ‘Was, wenn nicht?’. Ja, was, wenn Rist das Wundfieber nicht überleben würde? Was sollte sie dann machen? Die Frau biss die Kiefer so fest aufeinander, dass es schmerzte, zog die Nase hoch und blinzelte sich stur eine kleine Träne aus dem Augenwinkel. Und das, obwohl sie stolz und gefasst sein wollte. Der geduldige Oxenfurter bemerkte das natürlich und wechselte das Thema. Er wollte die erschütterte Anna, die die Hände auf dem Kopf ihres kranken Freundes liegen hatte, wohl ablenken.

“Wir haben uns einander noch gar nicht genauer vorgestellt. Mein Name ist Hans Lund.”, sagte der Ältere und lächelte dabei freundlich.

“Anna.”, gab die Novigraderin mit etwas brüchiger Stimme zurück und sah verzweifelt vor sich hin.

“Und Ihr seid eine Hexerin? Ich habe Euer Medaillon gesehen.”, meinte der Mann nett, doch in seinem Unterton schwang etwas mit, das wissend klang. Es war klar, dass er Anna eigentlich nicht ausfragen müsste. Er war klüger, als er tat.

“Nein.”

“Hmmm. Und dennoch habt Ihr Euch dem fremdartigen Ifrit sofort mit einer Silberwaffe in der Hand gestellt.”, stellte der Zauberer fest. Wieder sagte die anwesende Frau nichts. Lin summte leise für Rist.

“Wobei… nein, es war kein Ifrit. Jedenfalls nicht in dem Sinne. Es war, als stecke solch ein Elementargeist in einem menschlichen Körper. Und als sei dieser Körper von der Übernatürlichkeit des Geistes verzerrt worden. Wahrlich, noch nie habe ich so etwas gesehen. Und ich habe schon viel miterlebt. Sehr viel.”, gab der stirnrunzelnde Magier zu und seine Miene wurde immer grüblerischer. Dann aber fixierte er Anna wieder und erinnerte sich daran, dass er sie von dem fiebrigen Mann am Boden hatte ablenken wollen.

“Sagt mir, was wisst Ihr über Feuergeister, Nicht-Hexerin?”, wollte der Oxenfurter mit lieber Herausforderung im Ton wissen. Und damit schien er die Kurzhaarige auch endlich zu packen. Sie richtete die Aufmerksamkeit nämlich von Hjaldrist fort, um den Gelehrten anzusehen. Anna schob die Worte in ihrem Mund hin und her, ehe sie sich dazu entschloss auf das Gespräch mit dem Alten einzugehen.

“...Man nennt Feuerelementare auch ‘Feueromen’. Oder ‘Genien’. Aber sie erfüllen keine Wünsche, sondern suchen Vergeltung. Man sagt… man sagt, dass sie die Rachegeister von Ermordeten sind und zurückkommen, um ihre Mörder zu töten.”, murmelte Anna. Hans nickte.

“Richtig. Mächtige Magier können solche Omen bannen oder unter Kontrolle bekommen. Wenn man das Element des Feuers lange genug studiert hat, dann weiß man damit umzugehen.”, erzählte der Mann mit der Halbglatze “Leider kann ich so etwas nicht, denn ich habe mich ganz und gar der Telekommunikation über verschiedenste Edelsteine und der Astrologie verschrieben. Darum, und dafür entschuldige ich mich, musste ich das Wasser mit Gewalt hereinlassen, um den Ifrit zu löschen. Buchstäblich.”

Anna musterte den Älteren eigenartig. Jener war also dafür verantwortlich, dass die Tore des Frachtraumes nachgegeben hatten. Dafür, dass das zerrende Meerwasser hier hereingeschwappt war und nicht nur Schaden angerichtet, sondern auch den Lichtschlucker entwaffnet und dessen Schwerkraftszauber gebannt hatte. Hans, so schien es, hatte all die Überlebenden gerettet. Er müsste sich für nichts entschuldigen.

“Ihr seid ein Zauberer.”, stellte Anna überflüssigerweise fest und der Besagte musste leise lachen. Er nickte, doch ging nicht weiter darauf ein.



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