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Die Farbe Blau

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Die Farbe Blau

eine Originalstory vonLady_Shanaee

„Ich möchte dir ewiges Leben schenken“, flüsterte Noelwyn, während ihr langes, rotes Haar über die samtige Haut ihrer Geliebten strich, deren weichen Bauch sie gerade küsste. „Dann könnte dich der Tod mir nicht entreißen.“

„Aber verdammst du mich dadurch nicht zu „einem Leben im Tod“, oder wie das heißt?“, erwiderte die junge Koreanerin unter ihr und richtete sich auf, wodurch Noelwyn ein wenig zurückweichen musste. „Ich bin endlich als Sängerin bei Big B. unter Vertrag. Klar, die Konkurrenz ist hart – aber ich bin gut.“

Langes, kastanienbraunes Haar verbarg das Gesicht Mi-Rans, als sie den Kopf senkte, damit die Vampirin nicht sah, wie schwer es ihr fiel, das Angebot abzulehnen. Sie war dabei, die Aussicht auf Unsterblichkeit fortzuwerfen, und sie wusste es.

„Noel… ich bin heute zwanzig geworden und habe bisher nichts in meinem Leben erlebt. Ich kenne nur meine Familie, Kollegen und Rivalen. Ich weiß nichts von der Welt und bevor ich sterbe… hätte ich sie gern gesehen.“

Nun hob sie wieder den Kopf und Noelwyn blickte in ein Paar Augen, deren Farbe sie an heißen Kaffee erinnerte. Sie glühten beinah wie von einem inneren Feuer beseelt. Es waren Augen, die nicht so recht in das herzförmige Gesicht zu passen schienen. Genauso wie die eigentliche Tiefe in Mi-Rans Stimme verrieten sie eine innerliche Reife, die von der Plattenfirma nur zu gern unter dem Mantel des niedlichen, aber sexy Mädchens verborgen wurde.

„Das ist dein Problem daran?“ fragte Noelwyn. „Der Tod? Sehe ich für dich etwa wie ein Zombie aus?“

„Äh, so habe ich das nicht gemeint…“ Mi-Ran blinzelte verdutzt. „Aber was für ein Problem soll ich denn deiner Meinung nach damit haben?“

„Nun ja, die meisten stören sich eher an der ewigen Nacht und der Notwendigkeit des Jagens… Sie bleiben ewig jung, aber die Beziehungen mit Menschen… sind dann oft kurz.“

Mi-Ran dachte kurz nach, dann schüttelte sie den Kopf.

„Das sind heftige Argumente… Aber was mich betrifft, würde es mir erstmal reichen, wenn ich nicht ständig nach meinem Ausweis gefragt werde. Ich will nicht nur dem Alter nach erwachsen sein, sondern auch so aussehen. So wie du. Dich hält keiner für ein Mädchen und will dir was vorschreiben.“

Da erlag sie einem Trugschluss, doch Noelwyn schwieg: „Kindliches“ Aussehen war Mi-Rans einzige Sorge? Sie wusste wirklich noch nicht viel über das Leben…

„Fremde Menschen und deren Kulturen kennenlernen, mit ihnen über alles sprechen zu können, ohne dass es heißt, man sei zu jung!“, fuhr Mi-Ran begeistert fort. „Sich selbst aussuchen, was man anzieht und mit wem man fortgeht – und wohin! Eigenes Geld zu verdienen, ohne irgendwem Rechenschaft ablegen zu müssen, wofür man es ausgibt!“

„Aber du bist doch erwachsen!“, versuchte Noelwyn es noch einmal gequält. „Zu meiner Zeit wärest du bereits verheiratet und hättest Kinder! Andernfalls würdest du als alte Jungfer gelten.“

Sie umfasste die Hände ihrer Geliebten und hauchte zarte Küsse auf die Innenfläche der linken. Mi-Ran schnurrte leise.

„Wir leben nicht mehr in der Renaissance.“ Trotz der sachlichen Feststellung war die Umarmung, in die Noelwyn gezogen wurde, erfüllt von der Wärme eines schlagenden Herzens und stiller Liebe. „Wir leben jetzt.“

Mi-Ran war jemand, der nach außen hin zurückhaltend und unberührt wirken konnte, aber wenn man ein wenig tiefer schürfte, konnte man sich an einem sehr mitfühlenden, lebhaften und durchaus humorvollen Wesen erfreuen. Diese Ehrlichkeit war selten und einer der Gründe, warum Noelwyn sie so mochte.

Bei dem Gedanken daran zog ein Grinsen ihre Mundwinkel nach oben, denn es hätten auch die langen Beine gewesen sein können, die in allzu kurzen, schwarzen Shorts und hellblauen Highheels zur Schau gestellt wurden. Vielleicht auch die Tatsache, dass Mi-Ran in einer Gruppe aus sieben Mädchen am besten getanzt hatte – trotz dieser Schuhe. Oder die großen Mandelaugen…

Es war eine Mischung aus vielen kleinen Einzelheiten, und noch immer entdeckte Noelwyn neue, die ihr gefielen.

„Ich will dich aber nicht verlieren“, flüsterte sie erstickt.

Mi-Ran schmunzelte, dann wurde sie ernst.

„Du wirst immer etwas Besonderes für mich bleiben“, hauchte sie in Noelwyns Ohr. „Immer.“

„Das klingt, als wäre dies ein Abschied…“, klagte diese und schlug ihre Fänge verzweifelt in die Schulter des Mädchens.

Mi-Ran strich ihr lächelnd über das Haar, und ihre Finger spielten in den roten Strähnen, während Noelwyn von ihr trank.

„Das ist kein Abschied, sondern ein Anfang“, murmelte sie. „Nun beginnt mein Leben, und ich will, dass du mich dabei begleitest und mir zusiehst, wie ich zu dem werde, was ich sein will...“

„Dann nimm mein Geschenk doch an.“

„Nein. Aber das bedeutet nicht, dass es niemals geschehen wird.“
 

* * *

Ein Sprichwort besagt, die Zeit verginge wie im Flug, wenn man glücklich ist. Für Noelwyn war das nicht anders. Sie genoss alles, was sie mit Mi-Ran teilen konnte, obwohl ihre Liebe im Verborgenen blühen musste. Aus den Schatten beobachtete sie jedes Konzert und jeden anderen öffentlichen Auftritt der Girlband, die der Produzent „Rainbow Girls“ getauft hatte, weil jede der Sängerinnen eine seiner Farben symbolisieren sollte.

Mi-Ran repräsentierte das mystische Blau, eine Farbe, die Noelwyn besonders liebte, weil es in all seinen Schattierungen wunderschön aussah.

So erlebte sie mit, wie ihre Geliebte immer erfolgreicher und beliebter wurde – und immer unabhängiger von jenen um sie herum. Presse und Fans sorgten dafür, dass „Rainbow Girls“ sogar im Ausland Erfolge feierten. Mi-Ran postete Fotos aus Peking und Bangkok, später sogar aus London, Paris und New York. Es musste das Paradies für sie sein.

Das Image der Band wandelte sich mit der Volljährigkeit all ihrer Mitglieder von puppenhafter Niedlichkeit zu jungen Damen, die in engen Hosen oder kurzen Röcken und knappen Oberteilen so manches Herz einen Schlag aussetzen ließen. All die Jahre war Noelwyn eine stille Begleiterin an Mi-Rans Seite, fieberte mit und durchlitt gemeinsam mit der Gruppe all die persönlichen großen und kleinen Dramen, die das Leben mit sich brachte.
 

* * *

Es geschah wenige Tage vor Mi-Rans dreißigstem Geburtstag, als diese auf dem letzten Konzert ihrer Solotournee plötzlich bis an den Rand der Bühne trat und ein Lied begann, bei dem sich pure Verachtung auf ihrem Gesicht zeigte. Fort war der glückliche Ausdruck, der ihre gesamten Auftritte bisher immer begleitet hatte.
 

„Wegen Dir war ich die ganze Zeit ein Dummkopf,

Du bist ein Teufel, der mich lange zum Narren halten konnte,

Denn ich habe geglaubt, ich wäre verliebt…“

Die Musik klang aggressiv und elektronisch, die Worte kalt und so voller Abscheu, wie Noelwyn es noch nie von ihr gehört hatte. Sie meinte, das Geräusch von zerspringendem Glas zu hören und griff sich unwillkürlich an die Brust. Was war passiert?
 

„Ohne Dich bin ich besser dran,

Selbst wenn Du mich festhalten willst, werde ich Dich vergessen,

Ich durchschneide die Fäden der Marionette, zu der Du mich gemacht hast…“

Der Schmerz der Erkenntnis brach ihr das Herz. Blutige Tränen ergossen sich über ihre Wangen und Noelwyn verbarg ihr Gesicht in den Händen. Nur zu gern hätte sie die riesige, überfüllte Konzerthalle verlassen, doch die Beine gehorchten ihr nicht. Zitternd sank sie auf ihrem Stuhl zusammen. Tränenblind starrte sie vor sich hin, während das Lied mit unverminderter Klarheit durch den Saal klang und mit jedem weiteren Wort tiefer in Noelwyns zerbrochenes Herz schnitt.

„Ich wusste gar nicht, dass du auf diesen asiatischen Kinderquatsch abfährst“, erklang eine Stimme in ihrem Kopf und ein blonder Hüne schob sich rücksichtslos durch die Menge, bis er neben ihr angelangt war.

Noelwyn ignorierte ihn. Wulfric mochte sie erschaffen haben, aber er bedeutete nichts.

Er hatte sie zu einer seinesgleichen gemacht, weil eine Rothaarige mit grünen Augen in seiner Sammlung von unsterblichen Geliebten noch gefehlt hatte, deren Eigenheiten ihm als Zeitvertreib dienten. Ihre Gefühle waren ihm gleich – so lange sie taten, was er wollte.

„So ein verschmiertes Gesicht… wie unansehnlich“, sagte Wulfric und hielt Noelwyn ein Taschentuch hin.

Als diese noch immer nicht reagierte, ergriff er mit einem unwirschen Schnauben ihr Kinn und drehte ihren Kopf zu sich herum. Grob wischte Wulfric das Blut erst vom Gesicht, anschließend von den Händen.

„Schon besser.“

Sobald er ihr Kinn losließ, senkte Noelwyn wieder den Kopf und starrte vor sich hin. Wulfrics Erscheinen rief die Erinnerung an eine Zeit wach, die sie am liebsten für immer vergessen hätte: Ihre letzten Tage als Mensch, in denen eine junge Frau einem Mann das Leben gerettet hatte und dafür beinahe als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war…

„Sie ist ein Teufel! Tötet sie! Sie hat den Fremden von den Toten zurückgeholt und zu ihrer Marionette gemacht!“

Die hysterischen Schreie gellten noch immer in ihren Ohren, und die Erinnerung an den beißenden Rauch des Feuers in ihren Augen, die sengende Hitze der züngelnden Flammen am Saum ihres Kleids und der Gestank ihrer Haare, die zischend verdampften, vermischte sich nun mit der backofenartigen Hitze in der Konzerthalle und dem Geruch nach abgestandener Luft, Schweiß und Deodorant. Noelwyns Kopf begann zu schmerzen. Sie wäre ohnmächtig geworden, wenn Wulfric sie nicht nach draußen auf die Straße gezerrt hätte.

„Was ist los mit dir?“, knurrte er sie an, worauf einige Passanten ängstlich tuschelnd einen Bogen um sie machten.

„Geh‘ einfach wieder“, murmelte die Noelwyn und wusste nicht, woher sie plötzlich den Mut nahm, ihm die Stirn zu bieten.

„Das werde ich“, versetzte Wulfric trocken. „Aber du wirst mit mir kommen. Ich habe mir deine Schwärmerei für diese Mädchen lange genug mit angesehen.“

Oberflächlich betrachtet waren sich viele der Mädchenbands sehr ähnlich, das musste Noelwyn zugeben. Doch obwohl jeder Augenblick, den sie mit Mi-Ran verbracht hatte, ein heimlicher, flüchtiger und gestohlener Moment gewesen war, hatte sie erfahren, dass hinter jeder Farbe jemand steckte, der mit seinen ganz eigenen Problemen zu kämpfen hatte.

Aber hätte eins der Mädchen gewusst, welches Geheimnis „Blau“ verbergen musste, hätte man Mi-Ran unverzüglich aus der Band geworfen: Eine Frau, die eine Frau liebte, mochte in der Literatur ein interessanter Aspekt sein – der Großteil der Gesellschaft tat sich schwer damit, eine solche Liebe zu akzeptieren.

Die Erkenntnis, diese verloren zu haben, schmerzte und trieb erneut Tränen über Noelwyns Wangen.

„Heulende Frauen sind schrecklich“, stöhnte Wulfric und zog sie durch die nächtlichen Straßen hinter sich her, so schnell, dass die Lichter Seouls zu neonbunten Streifen verwischten.

Es kam Noelwyn nicht einmal in den Sinn, sich zu widersetzen. Jahrhundertelange Gewohnheit, geboren aus der schlichten Tatsache, dass ein Mann ihr durch pure körperliche Stärke seinen Willen aufzwingen konnte.

Sie schwieg, als er sie in einem Hotelzimmer auszog und abduschte. Sie hielt still, als er sie wieder und wieder in Besitz nahm und von ihr trank, bis der Morgen anbrach.

Einmal mehr wunderte sich Noelwyn darüber, wie unterschiedlich die Liebe eines Mannes im Vergleich zu der einer Frau war: Wo sie sich sehnsüchtig seufzend Mi-Rans Fingern und Lippen entgegen gebogen hatte, waren Wulfrics heiße Stöße wie ein Schmiedehammer, der auf einen Amboss schlug.

Wo Mi-Ran geschnurrt und gewimmert hatte, keuchte Wulfric hektisch und heiser.

Wo Mi-Ran nach Meer und Salz geschmeckt hatte, war Wulfric…

Noelwyn rannte ins Badezimmer und übergab sich – wie so oft, nachdem sie von einem Mann bestiegen worden war wie eine Stute. Sie schaute an sich herunter und betrachtete die blauen Flecken auf ihrer Haut, deren Porzellanton Mi-Ran immer bewundert hatte. Bissspuren überall, so wie Wulfric sie hinterlassen hatte, hätte sie niemals einem Geliebten angetan: Ganz gleich, wie köstlich Blut auch schmecken konnte: Die Fänge eines Vampirs schmerzten…

Der Tag lähmte Noelwyn. Trotz der geschlossenen Vorhänge im Wohnzimmer und dem fensterlosen, kleinen Bad spürte sie ihn in ihren Gliedern, spürte, wie er ihre Bewegungen mit Schwere belegte. Nur ihren Gedanken vermochte er keine Ruhe zu bringen. Grübelnd verbrachte sie die kommenden Stunden – von ihren eigenen Gedanken im Kreis gehetzt wie ein wildes Tier.

Waren zehn Jahre Glück alles, was man sich an der Seite eines Menschen erhoffen konnte? War Liebe für sie ein Gefühl, dessen Intensität in ihren Herzen nachließ wie ein verlöschendes Licht?

„Sooomewhere… over the rainbooow...“

Leise erklang das Lied aus einem Berg von Kleidung und Noelwyn suchte hektisch nach ihrem iPhone.

„Endlich erreiche ich dich!“, rief Mi-Ran, kaum dass sie den Anruf angenommen hatte. „Wo warst du denn? Ich wollte mich nach dem Konzert noch mit dir treffen, weil ich dir was Wichtiges sagen wollte, aber dann haben mich Fans erkannt, und ich musste weg.“

Noelwyn schluckte.

„Was wolltest Du mir sagen?“

Ihre Stimme klang ruhiger als ihr zumute war, und sie war dankbar dafür.

„Nicht am Telefon“, entgegnete Mi-Ran und wurde ernst.

Noelwyns Kehle zog sich zusammen. Im Hintergrund hörte sie eine Männerstimme lachen. Mi-Ran gab eine kurze Antwort darauf, dann holte sie tief Luft.

„Also, heute Abend ist ein Empfang im Grand-Hotel…“ Mi-Ran stockte kurz. „Würdest du bitte kommen?“

Wieder erklang Gelächter aus dem Hintergrund und Noelwyn presste die Lippen aufeinander. Wenigstens besaß Mi-Ran den Mut, ihr die Wahrheit von Angesicht zu Angesicht zu sagen.

„Wenn du es wünschst.“

Wulfric erschien im Rahmen der Badezimmertür, nur mit einem erstaunten Lächeln bekleidet. Hastig legte Noelwyn auf, doch es war zu spät.

„Wie gefühlvoll du bist, wenn es um dieses Mädchen geht“, murmelte er.

„Sie wird… mich verlassen“, wisperte Noelwyn.

„Es besteht immer ein gewisses Risiko, dass so was passiert. Allerdings hätte ich nie gedacht, dass es ein Mädchen sein würde, dass deine Augen so zum Leuchten bringt.“

Noelwyn starrte auf das iPhone in ihren Händen. Wulfric hockte sich vor sie und leckte über die blutigen Bisse, bis sie verschwunden waren.

„Warum machst du das?“

„Du bist auf einen Empfang eingeladen, wenn ich das Zirpen richtig verstanden habe. Dafür solltest du natürlich so heiß wie möglich aussehen.“ Er hielt ihr seinen Arm an den Mund. „Trink.“

Noelwyn starrte ihn an und spürte das Pochen seiner Vene an ihren Lippen.

„Ja, ich weiß, ohne Sex ist es unromantisch, aber jetzt mach‘ schon.“

„Es ist auch mit Sex unangenehm.“

Der Satz war heraus, bevor Noelwyn es verhindern konnte. Wulfric setzte sich zu ihr.

„Wieso hast du nie was gesagt?“, wollte er wissen.

„Es hätte nichts geändert“, antwortete Noelwyn achselzuckend.

Wulfric brach in freudloses Lachen aus.

„Weißt du eigentlich, warum ich dich damals aus dem Feuer geholt habe? Am helllichten Tag?“

Noelwyn schwieg und runzelte die Stirn.

„Trystan hat mich darum gebeten. Er meinte, eine so gute Frau, die einem Todgeweihten, den sie nicht einmal kennt, das Leben rettet, dürfe nicht auf dem Scheiterhaufen enden.“

Das iPhone fiel scheppernd auf die Fliesen, als Noelwyn begriff: Trystan hatte ihn gebeten… und weil sein Geliebter ihn darum bat, riskierte Wulfric sein Leben für eine völlig Fremde.

Dieser lächelte so zärtlich, wie Noelwyn es noch nie bei ihm gesehen hatte.

„Wie du siehst, habe auch ich Erfahrung mit menschlichen Geliebten.“

Noelwyn schüttelte fassungslos den Kopf.

„Jetzt trink, damit wir dich für das Treffen mit deinem Singvögelchen herrichten können.“

Verwirrt schlug Noelwyn ihre Fänge in das dargebotene Handgelenk und trank.
 

* * *

Vielleicht hatte es Wulfric übertrieben, als er sie in ein Kleid aus schwarzer Spitze gesteckt hatte, überlegte Noelwyn, als sie an einem sprachlos gaffenden Poitier vorbei zum Fahrstuhl eilte. Schon von Weitem hörte sie Musik und Stimmengewirr, doch kurz vor der Tür des Festsaals hielt sie zögernd inne. Was wenn all ihre Befürchtungen…

„Oh mein Gott, endlich bist du da!“, rief Mi-Ran und unterbrach ihr Gespräch mit einem gutaussehenden, älteren Mann. „Ich muss dir unbedingt jemanden vorstellen.“

„Verzeih mein spätes Erscheinen“, murmelte Noelwyn und trat zu ihr. „Im Sommer sind die Nächte kurz…“

Mi-Ran musterte sie begeistert von oben bis unten.

„Sag mal, hast du dich extra für mich so…?“

Das Blut, das sie vorher von Wulfric getrunken hatte, stieg Noelwyn in die Wangen.

„Oh, wie süß, du wirst ja rot!“

Verwirrt blickte Noelwyn ihre Geliebte an, zu verblüfft um Worte zu finden. Was ging hier vor sich?

Der Unbekannte neben Mi-Ran streckte ihr in europäischer Manier seine Hand entgegen.

„Das ist mein neuer Boss“, erklärte Mi-Ran und legte den Arm um Noelwyns Taille. „Mr. Ari, das ist Noelwyn Pelletier. Meine Freundin.“

„Jonah Ari. CEO von Blue Sky Records. “

„Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.“

„Ohne sie wäre ich nicht, wo ich heute bin, sondern hätte mit dem Singen aufgehört“, fuhr Mi-Ran fort, doch ihr Griff um Noelwyns Taille wurde fester.

Diese schmiegte sich in diese bescheidene Geste, fest entschlossen, um die Liebe zu kämpfen, die ihr zu entgleiten drohte.

„Dann waren Sie sicherlich in dieses kleine „Komplott“ eingeweiht?“, fragte Ari und lachte.

Noelwyn runzelte verständnislos die Stirn.

„Die Abrechnung mit Miss Blues altem Boss auf dem Konzert gestern ist doch jetzt überall in den Medien! Klar, nach außen hin ist „Run, Devil!“ nur ein Lied übers Erwachsenwerden, aber in der Branche weiß jeder, wer damit gemeint ist. So was erfordert Mut und kann das Aus für eine Karriere bedeuten. – Ich hoffe nur, dass du so was nicht auch mit mir machst, wenn wir mal verschiedener Meinung sind.“

„Aber nein, Mr. Ari, da lasse ich mir was Neues einfallen“, feixte Mi-Ran. „Aber Big B. hat es nicht anders verdient. Er denkt, die Mädchen unter seinem Vertrag sind seine Puppen, mit denen er spielen kann, wie er will… Und dann steht der Kerl auch noch mit einem so selbstgerechten Grinsen neben meiner Noel!“

Der Saal und die Menschen, alles begann sich zu drehen. Licht verwischte zu flirrenden Streifen und nur weil Mi-Ran sie immer noch festhielt, stürzte Noelwyn nicht.

„Noel! Geht’s dir nicht gut?“

„Ich habe geglaubt, du meinst mich in dem Lied“, murmelte sie. „Dass der eigentliche Grund genau neben mir saß, habe ich gar nicht bemerkt. Und so habe ich den Tag damit verbracht zu bedauern, dass du mich anscheinend nicht mehr liebst…“

Mi-ran verschlug es für einen Moment die Sprache.

„So was würde ich nie über dich sagen! Es würde mir nicht mal im Traum einfallen, so über dich auch nur zu denken!“

„Oh, diese Missverständnisse“, lachte Ari. „Love makes us act and think like fools!“
 

* * *

„Weißt du, warum ich mir Blau ausgesucht habe, als die Mädchen damals gefragt wurden, welche Farbe des Regenbogens sie wollen?“, fragte Mi-Ran später, als der neue Morgen anbrach und sie die Vorhänge ihres Zimmers zuzog, damit ihre Geliebte noch länger bei ihr bleiben konnte.

„Die Blaue Rose war in Deutschland das Zeichen der Romantik, der Sehnsucht und der Melancholie“, antwortete Noelwyn nachdenklich und ließ ihre Geliebte nicht aus den Augen. „Das Blau des Vergissmeinnichts steht für die Treue. Kobalt und Indigo waren einst sehr wertvolle Rohstoffe für blaue Farben…“

Mi-Ran drehte sich erstaunt um und blieb am letzten offenen Fenster stehen, während hinter ihr langsam die Sonne aufging. Sie schloss kurz verträumt die Augen, bevor sie sich zu Noelwyn umdrehte und auch diesen Vorhang schloss.

„Wow, so viele Bedeutungen… Ich habe Blau genommen, weil es die Farbe des Himmels ist. Egal ob Sommer oder Winter, Tag oder Nacht – hinter den Wolken ist er immer blau. Der Himmel ist frei und weit, und ein Regenbogen ist die Treppe, über die man ihn erreicht.“

Nun lächelte auch Noelwyn.

„Was für eine poetische Metapher.“

„Aaach“, wehrte Mi-Ran ab und kam zurück ins Bett. „Ich bin nicht tiefsinniger als ein Wasserglas. Wahrscheinlich kommt meine Schwäche für Blau davon, dass du ein blaues Abendkleid anhattest, als wir uns das erste Mal begegnet sind…“

„Schmeichlerin.“

„…und du mir aus einer wirklich üblen Situation rausgeholfen hast. Diese Art von „Fanservice“ mache ich nämlich nur für dich.“

Sie begrub Noelwyn unter sich und überschüttete ihr Gesicht mit Küssen, während ihre Hand jedes Fleckchen Haut streichelte, das sie erreichen konnte…
 

-Ende-
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Flokati
2017-07-01T17:33:18+00:00 01.07.2017 19:33
So, ich hab's geschafft :)
Also erstmal Respekt, dass du dran geblieben bist und dennoch soviel Arbeit in die Geschichte gesteckt hast!
Ich glaube, es hätte mir noch besser gefallen, wenn die Farbe Blau ein bisschen mehr Bedeutung innerhalb der Handlung bekommen hätte. Du zählst viele Bedeutungen von Blau auf, aber leider erst am Ende. Hätte zum Beispiel Noelwyn blaue Augen und Mi-Ran würde diese so sehr an ihr lieben, sich jedes Mal neu in diese Augen verlieben (besonders in dieser ersten Szene), dann wäre der Bezug sofort klar, warum sie bei den Rainbow Girls unbedingt das Blau repräsentieren will. Man könnte am Ende mit den Bedeutungen von Blau etwas mehr spielen und vielleicht eine ganz eigene Bedeutung von Blau für die beiden herausarbeiten. So kommt das blaue Kleid leider etwas spät, um den Bezug der Protagonistinnen dazu deutlich zu machen.
Ich hoffe, das ist ok :)
Liebe Grüße,
Flokati
Antwort von:  Lady_Shanaee
04.07.2017 11:24
Ja, Blau hat viele Bedeutungen ^^ Deshalb verkörpert Mi-Ran diese Farbe innerhalb der "Rainbow Girls" (ich wusste nicht genau, wie ich den geforderten Bezug zum Thema Regenbogen noch hätte darstellen können...) Da jeder etwas anderes mit ihr assoziiert und das Entwickeln von Vorlieben oft eine eher unterbewusst ablaufende Entscheidung ist, bin ich mit meinem Schluss ganz zufrieden. Er lässt dem Leser Raum zum Spekulieren... Aber wegen dem Kleid: Eine attraktive, rothaarige Frau in einem dunkelblauen Kleid ist schon ein bisschen seltener als die Grün- oder Gelbtöne, in die man sie sonst oft kleidet (siehe Disneys Merida oder Arielle). Da Noel ein Vampir ist, kann man in dem blauen Kleid auch einen Bezug zum Blau der Nacht sehen...
Für weiteres Herausarbeiten von Details (von denen ich wegen Überlänge einige streichen musste *heul*) war durch die Zeichenvorgabe kein Platz mehr. Ich wollte nicht so langweilig oder berechenbar sein und Mi-Ran irgendwo sagen lassen: "Ich liebe Noel wegen ihrer blauen Augen." ("... deine blauen Augen..." - Kennst Du dieses Lied? *schauder*) Was Mi-Ran an Noel liebt, verrate ich nicht, denn es ist Noels Perspektive und ihre Gefühle. Ein Charakter wie Noelwyn ist neu in meiner Riege der erstellten Figuren und es war schwierig, den Spagat zwischen überdramatischer Heulsuse und echter Trauer zu schaffen...

Vielen Dank für Deinen Kommentar und die darin enthaltenen Gedankengänge. Dass Dir meine kleine Geschichte gefällt, lässt mich die stressige Woche des Schreibens und die Selbstzweifel (es war einfach zu wenig Zeit, weil ich zu spät und nur durch Zufall von diesem Wettbewerb erfahren habe) fast vergessen. Auch wenn ich denke, ich wollte "Wein" machen und es ist nur "Saft" geworden, bin ich froh, dass es Dir als meiner Leserin dennoch gefällt und ich Dir nicht Deine Zeit gestohlen habe. Ich mag es sehr, wenn meine Leser in meine Geschichten mitkommen, als würden sie einen Raum betreten, den ich eingerichtet habe - deshalb danke ich Dir auch für's "Mitkommen" ^.~

Alles Liebe,
Shanaee
Von:  yezz
2017-07-01T14:04:06+00:00 01.07.2017 16:04
Huhu meine Liebe,

mir fällt es immer noch schwer, meine Gedanken zu dieser Geschichte in Worte zu fassen. Aber ich versuche es mal ^^

Ich finde, du hast eine wunderbare Art, mit den Emotionen in einer Geschichte zu spielen. Es kommt ziemlich gut rüber und man kann sich die Szenen ziemlich gut vorstellen. Man erlebt so eine emotionale Achterbahnfahrt und fühlt sich stellenweise ähnlich verwirrt, wie Noelwyn (und das meine ich nicht im Negativen!).

Deine beiden Hauptcharaktere sind toll beschrieben und gerade bei Noelwyn geht man ziemlich mit. Ich mag es, wenn man die Hauptcharaktere zu Greifen bekommt und sich in die Hineinversetzen kann, auch wenn man nicht unbedingt Gemeinsamkeiten mit der Figur hat. Das rundet das Gesamtbild neben deinem sehr flüssigen Schreibstil noch schön ab.

Dein Werk ist in meinen Augen wundervoll und ich finde es sehr schade, dass es nicht den Weg ins E-Book gefunden hat. Ich persönlich würde mich allerdings auch freuen, wenn man vielleicht irgendwann noch einmal etwas von Noelwyn und Mi-Ran lesen würde :3

GlG
yezz
Antwort von:  Lady_Shanaee
04.07.2017 11:43
Vielen lieben Dank für diese netten Zeilen *blush* und das Herzchen! *strahl*

Da Du ja die allererste Fassung als Allererste XD lesen konntest, hast Du natürlich den besten Vergleich über die Entwicklung der Geschichte. Wenn die Charaktere echt und greifbar wirken, auch ohne dass man sich mit einem von ihnen identifizieren kann... dass ich sowas bei Dir erreicht habe, macht mich stolz. Genau deshalb gibt man (ich) sich ja solche Mühe, oder?

Warum es nicht ins E-Book passte, wissen nur die Herausgeber, die sich alles durchgelesen und die Einsendungen sortiert haben. Vielleicht ergibt sich ja irgendwann mal eine "Anthologie", bzw. eine Kurzgeschichtensammlung, die kleine Geschichten über Noelwyn, Mi-Ran, Trystan und Wulfric enthält. Es muss ja nicht immer ein Roman sein! *lach*
Das Schöne an guten Geschichten (und dazu zählen ja auch die Figuren darin) ist auch, dass man von ihnen immer wieder "gefangen" wird, so dass man sich immer wieder einfühlen und etwas dazu schreiben kann, ohne dass es große Stilbrüche gibt. Nun ja, zumindest bei mir wird es kaum mehr welche geben, denn dafür schreibe ich einfach schon zu lange. *hüstel*

Ich habe vor, noch ein paar weitere Texte hier zu posten und so verbleibe ich mit der Hoffnung, dass Du Dich auch durch sie schmökerst und sie Dein Gefallen finden.

Bis zum nächsten Mal,
Shanaee


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