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Vergiss mein nicht

Willkommen im düstersten Kapitel des 19. Jahrhunderts /Otayuri /Victuuri
von

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Bedrohung

Warum nur war ausgerechnet sie damit beauftragt, dieses verwöhnte Ding zu betreuen? Sie war schließlich kein Kindermädchen und auch keine Erziehungsdame. Diesem Nichtsnutz konnte man ohnehin keine Manieren beibringen. Jean hatte sie nach dem ganzen Stress des Tages mit ein paar Besonderheiten zu seiner Kammer geschickt, die sie vorsichtig auf einem Tablett balancierte. Der Mann schien ausgenommen gute Laune zu haben und Mila wusste schon, warum. Ein verächtliches Schnaufen entwich ihr und sie stieß mit dem Fuß gegen die große Tür, um auf sich aufmerksam zu machen. „Aufmachen!“, befahl sie kurz und hörte nach einer kurzen Zeit das Klicken des alten Schlosses. Zwei grüne Katzenaugen sahen sie böse funkelnd an, als die große Kammer geöffnet wurde. „Was willst du?!“, wurde sie nur kurz angefaucht, nahm sich davon allerdings nichts an und schritt ohne nachzufragen in den Raum hinein. „Sei still, du unerzogenes Ding! Hier, dein Essen!“ Mit diesen Worten knallte sie das Tablett auf den alten Sekretär und wollte sich gerade zum Gehen wenden, als ihr Blick noch einmal auf den blonden Jungen fiel. Er saß auf dem Samtsofa und schaute traurig zu Boden. Der Blick war so erfüllt von Schmerz, dass Mila selber kurz das Gefühl des Weinens hinunterschlucken musste. Langsam wandte sie sich zu ihm und kniete sich vor ihn. Neugierig wartete sie, ob der Junge etwas sagen würde, doch kein Wort verließ seine Lippen. Vorsichtig legte sie die Hände auf seine Knie. „Was ist los? Möchtest du nichts essen?“, fragte sie behutsam. Als Antwort erhielt sie lediglich ein Kopfschütteln. Ob er wohl etwas von dem ganzen Geschehen am Tage mitbekommen hatte? Wahrscheinlich nicht, die Kammer lag doch zu weit abseits. Milas Blick schweifte über den dürren Körper, die verzierte Weste und das Halsband mit Jeans Anhänger. Traurig  senkte sie ihren Blick und blieb verwundert an einem anderen Schmuckstück hängen. An das Handgelenk des Jungen schmiegte sich ein feines Goldarmband und Mila könnte schwören, dass es echt war. „Woher hast du das?“, fragte sie gerade heraus. Die Augen des Jungen weiteten sich und er zuckte zusammen. „Das geht dich gar nichts an! Es ist ein Geschenk!“, keifte der Blonde und sprang auf. Er würde dieses Armband mit seinem Leben verteidigen, wenn es sein musste. Völlig perplex starrte die Rothaarige den aufgebrachten Yura an. „Beruhig dich! Ich bin mir sicher, es ist nicht von Jean, also woher ist es?“ Auch Mila erhob sich und schritt auf ihn zu. „Wenn du es gestohlen hast, dann Gnade dir Gott!“, drohte sie mit leiser Stimme. Die grünen Augen sahen sie zutiefst verletzt an, doch eine Antwort erhielt sie nicht. „Jetzt sag mir, wo es herkommt!“, befahl die Ältere noch einmal mit Nachdruck. Yura wich ein paar Schritte zurück und hielt das Armband mit der Hand verdeckt. „Ich sagte doch, es war ein Geschenk! Von… einem Mann.“, flüsterte er bedrückt und wandte sich ab. Mila hatte mit wenigen Schritten den Abstand zwischen ihnen geschlossen und ihn an der Schulter umgedreht. „Bist du lebensmüde? Jean wird dich erschlagen, wenn er das mitbekommt. Und überhaupt, wie bitte konnte dir das jemand hier schenken?“, zischte sie aufgebrachter, als sie es erwartet hätte. Doch ein hämisches Grinsen legte sich auf die Lippen des Jüngeren. „Ich lasse mich nicht in einem goldenen Käfig einsperren. Bitte, renn zu Jean. Erzähl es ihm! Aber lass mich in Ruhe mit deinem scheiß geheuchelten Interesse an mir!“, spie er ihr förmlich ins Gesicht. Gerade als sie antworten wollte, fiel die schwere Tür in das Schloss und Jean betrachtete beide mit einer Mischung aus Argwohn und Unverständnis. „Raus!“, befahl er Mila, die sich wortlos an ihm vorbeidrückte und eilig verschwand. Yuras Herz begann ängstlich zu schlagen, hatte er doch mehr als nur Abneigung für den Mann über. „Schau an, hat meine Blüte keinen Hunger?“, fragte er, bevor er selber von einer seltsam anmutenden, exotischen Frucht abbiss. Der Blonde wich ein paar Schritte zurück und schüttelte mit dem Kopf. „Hier, nimm!“, bot ihm der Geschäftsmann die Frucht an und ging langsam auf ihn zu. Wieder wich Yura aus, doch dieses Mal ergriff Jean sein Handgelenk. „Wenn ich sage, dass du isst, dann tust du es!“, fluchte er wütend und zog ihn zu sich. Kraftvoll umfasste er das Kinn des Blonden und drückte seine Finger in die zarten Wangen, sodass dem Kleineren nichts anderen blieb, als die Lippen etwas zu öffnen. Gewaltsam zog Jean ihn näher zu sich und sah ihm in die Augen. Hass und Ekel blickten ihm unverhohlen entgegen, doch er musste nur bitter Lachen. Gewaltsam drückte er dem Jungen die Frucht zwischen die Lippen. „Iss!“, zischte er drohend und Yura biss ein kleines Stück davon ab, in der Hoffnung, Jean würde seinen Griff lockern. Der Geschäftsmann grinste ihn schmutzig an und nickte zufrieden. Er bekam immer, was er wollte, das stand für ihn fest. Allerdings hatte er nicht mit so einer Wildkatze gerechnet, die ihm just in dem Moment das Fruchtstück angewidert in das Gesicht spuckte. Perplex ließ er den Jungen für einen Moment los, wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel ab und musste sich augenscheinlich erst einmal sammeln. Doch schneller, als es Yura lieb war, wurde er von dem Älteren gepackt und schmerzhaft geohrfeigt. Mit einem erstickten Schrei ging er auf die Knie und hielt sich die schmerzende Stelle. Tränen füllten seine Augen, doch er wollte nicht zulassen, dass Jean ihn weinen sah. „Du kleines Biest! Wag das nie wieder! Wenn ich nicht gerade heute so gute Laune hätte, dann wäre daraus eine Tracht Prügel geworden. Benimm dich gefälligst!“, raunte Jean genervt, setzte aber im nächsten Moment wieder sein selbstgefälliges Grinsen auf. „Heute Nacht kommst du mir nicht davon!“ Der Blick in Yuras Augen gab Jean das Gefühl absoluter Zufriedenheit. Diese verschreckten, ängstlichen Augen, wie sie flehend vom Boden zum ihm aufblickten. Lachend nahm er noch eine der Früchte und verschwand mit einem lauten Knallen der Tür. Zurück blieb nur ein hastig atmender und völlig verzweifelter Junge.

 

Der Tag neigte sich dem Ende entgegen, die Räume waren voll und unten in der Halle konnte man vor Geschrei und Gelächter kaum sein eigenes Wort verstehen. Mila stand an der Bar bei Victor und erzählte ihm von ihrer seltsamen Begegnung am Nachmittag. Peinlich berührt polierte er Gingläser und nickte nur zeitweise als Zeichen, dass er ihr zuhörte. Auf gar keinen Fall durfte er sich verraten. Mila würde ihn und Yuri sofort im Fass im Hinterhof ertränken. Erst als der junge Kartenspieler ebenfalls zu ihnen stieß, erhellte sich sein Gesicht. Sein Liebster war für ihn doch stets eine große Stütze. Mit ihm war alles auf einmal erträglich. „Du glaubst es nicht… ein Goldarmband! Ein so schönes Stück! Er sagte, ein Mann habe es ihm geschenkt. Wer bitte kann sich denn so ein Armband leisten? Ein Arzt? Ein Richter? Oder vielleicht ein Fabrikbesitzer?“ Milas Stimme war unangenehm aufgekratzt und sie tippte genervt mit ihren Fingernägeln auf der Theke herum. Yuri konnte schnell erkennen, worum es in dem Gespräch ging und hatte schon längst vergessen, dass Mila ja gar nichts davon wusste. Als Victor mit einem „möglicherweise“ antwortete, schüttelte er den Kopf. „Quatsch, Otabek ist doch nicht reich!“, warf er ein, stolz darauf, dass er sich endlich einmal etwas von Victors Bekannten gemerkt hatte. Er schreckte mit einem Quietschen zusammen, als Victor das eben polierte Glas fallen ließ und ihn kreidebleich anstarrte. Langsam dämmerte Yuri, was er da angestellt hatte, doch Mila hatte ihn schon am Kragen gepackt und zu sich gezogen. „Hast du gerade ernsthaft diesen Namen in diesen Hallen erwähnt? Bist du…? Warte… von ihm!?“ Ihr Blick fiel auf Victor und dieser konnte schwören, dass die Frau ihm gegenüber gerade seinen Tod plante. „Wie zur Hölle ist das passiert? Raus mit der Sprache, ihr Nichtsnutze!“, befahl sie und hörte sich die erklärenden Worte der beiden ohne einen weiteren Kommentar an. Während Victor Mila alles anvertraute und betete, dass sie ihn nicht köpfen würde, wanderte Yuris Blick durch den Raum. Etwas hatte seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Weit hinten, in der Nähe der Treppe entdeckte er Jean und neben ihm Yura. Das schulterlange, blonde Haar war fein geflochten und in Teilen zurückgebunden. Die vorherige bestickte Weste war einem minzfarbenen, geschnürten Hemd gewichen, das in vielen Teilen feine Ziernähte besaß und am Rücken wie eine Corsage mit Bändern geflochten war. Das Halsband schimmerte im Lichteinfall der Kerzen und zierte den dürren Hals wie eine unheilvolle Schlinge. Der Blick des Jungen war gesenkt, während Jean sich mit allerlei Kunden unterhielt. Yuri empfand so viel Mitleid für den Anderen, dass es ihm fast schmerzte. Wirklich weh tat allerdings der Schlag, den Mila ihm auf sein Ohr verpasste. „Hörst du gefälligst zu?“, schnauzte sie ihn an und stemmte die Arme in die Hüften. Perplex nickte der Schwarzhaarige und konnte aus dem Augenwinkel Victors besorgtes Gesicht erkennen. „Ok, ok, also euch ist hoffentlich klar, dass egal und ich betone EGAL, zu welchem Zweck nie wieder so etwas passieren darf!“, schwor die junge Frau alle ein und sah verstohlen zu Jean hinüber. Ein Nicken besiegelte den Pakt.

 

Der Reverend zog den verschlissenen Schal enger um seinen Hals und legte Kohlen in den Ofen. Sein kleines Haus lag direkt an der Kirche angebunden und bot das Nötigste zum Leben. Der Regen peitschte gegen die düsteren Glasfenster mit dem Bleibesatz. Vorsichtig wärme er einen Krug mit Wasser auf dem Ofen auf und ließ ein paar Teeblätter hineinsinken. Die Kerzen waren schon recht weit hinunter gebrannt und er suchte eilig nach neuen für die Nacht. Das Wasser brodelte leise vor sich hin und der Blonde hob die Kanne mit einem einfachen Baumwolltuch hinunter, direkt auf die Steinplatte des kleinen Tisches. Eilig fischte er zwei Tassen aus dem alten Vorratsschrank und stellte sie zu dem Krug. Besorgt fiel sein Blick auf seinen Gegenüber, der mit dem Kopf auf seinen Armen lag. Die Anstrengung des Tages war einer enormen Müdigkeit gewichen, sodass er just auf dem Esstisch eingeschlafen war. Sanft rüttelte Chris an der Schulter des jungen Mannes. „Otabek, trink etwas!“, hauchte er leise und strich dem anderen eine Strähne aus der Stirn. Müde hob der Arbeiter seinen Kopf und sah recht verschlafen auf die Tassen und den Krug. „Entschuldigt, ich… muss wohl eingeschlafen sein!“, flüsterte Otabek peinlich berührt. Chris setzte sich neben ihn und schenkte beiden etwas von dem Tee ein. „Das wird dir guttun, mein Sohn! Komm erst einmal zu Kräften. Aber nun sag, was wolltest du heute in der Kirche?“, fragte der Priester nun doch, um endgültig seine Neugierde zu stillen. Otabek sah errötet hinab auf seine Tasse und musste unwillkürlich etwas Lächeln. „Ich sehe doch, dir liegt etwas auf dem Herzen. Dieses Mädchen. Was also ist nun mit ihr, dass du solche Zweifel hegst?“, bohrte Chris geschwind nach. Das entlockte Otabek zunächst wieder ein verzweifeltes Seufzen. „Habt ihr einmal etwas gesehen, so schön wie die Eiskristalle an den Kirchenfenstern im Winter? So perfekt und einzigartig.“, begann er zögerlich. „Als wenn jede Sekunde alle Sterne vom Himmel fallen würden, nur um diesem Engel zu huldigen?“

Chris musste beherzt lachen und klopfte dem Arbeiter sanft auf die Schulter. „Kind, du bist wahrlich verliebt! Solche Worte aus deinem Mund erscheinen mir gar wie ein Wunder.“ Doch Otabeks Blick verfiel in eine unnahbare Trauer. „Aber Father, es wird nie ein gutes Ende nehmen. Nein, nicht in diesem Leben.“ Chris sah ihn betrübt an, schwieg und stützte seinen Kopf mit dem Arm auf den Tisch. „Sie ist keine sie und was noch viel schlimmer ist… Jeans Eigentum.“, brachte Otabek letztendlich sein Geheimnis hervor. Für einen Moment herrschte eine gespenstische Stille und er hatte Angst, dass der Priester ihn hinauswerfen würde. Dieser jedoch strahlte ihn an und nahm die Hand des Arbeiters in seine beiden. „Mein Sohn, Gott gibt uns, was wir uns wünschen und nichts kann daran falsch sein. Wir alle sind seine Kinder und wenn wir lieben, dann ist es gewollt. Allerdings… macht mir etwas anderes Sorgen. Du hättest dir ja nicht gleich die Hölle als Gegner suchen müssen, oder?“ Otabek musste bei den fast liebevollen Worten schwer schlucken. Auch, wenn er dem Priester blind vertraute, so hatte er doch Angst vor dessen Reaktion. Ein seichtes Lächeln legte sich auf seine Lippen und er nickte langsam. „Gut… Jean also. Weißt du mehr über deinen Liebsten? Wo er herkommt, wie alt er ist? Irgendetwas?“, hakte der Blonde nach, doch Otabek verneinte. „Nur seinen Namen. Yura.“ Er sprach ihn so sanft aus, dass der Priester abermals schmunzeln musste. „Aber Father, ich… ich möchte ihn so gerne wiedersehen. Was soll ich nur tun?“ Angst schwang in den Worten des jungen Mannes mit. Sein Herz schlug schmerzhaft gegen die Brust und verursachte unwillkürlich einen erneuten Hustenanfall. Mit zittriger Hand umfasste er die Tasse und trank den Tee Schluck für Schluck. Die heiße Flüssigkeit beruhigte den Hustenreiz und er atmete tief ein. Chris hielt noch immer besorgt seine Hand. „Mein Sohn, du bist krank. Du weißt, was Dr. Lee gesagt hat. Du musst dich jetzt schonen und bei Gott, ich werde auf dich aufpassen. Wir werden schon einen  Weg finden.“, beschwichtigte ihn der Priester umsorgend. Doch Otabek fühlte sich rastlos mit all dem Schmerz in seinem Herzen. Er wusste wie Jean war und die Sorge um Yura, seinen Yura, wuchs von Minute zu Minute. „Dann begleitet mich. Nur einen Moment. Lasst mich nur ein paar Worte mit ihm wechseln. Bitte! Victor wird uns helfen. Ich verspreche euch, ich werde Jean nicht unter die Augen treten.“, flehte der junge Arbeiter und goss sich eine weitere Tasse Tee ein. Chris schien angestrengt zu überlegen und rieb sich die Stirn. „Gut, aber lass dich nicht sehen, Kind. Wir wissen, wo das beim letzten Mal endete. Du bist in keiner sehr kampftauglichen Verfassung und du weißt, wie sehr ich dies verachte.“ In seinen Gedanken flammte noch der Moment auf, in dem er zwischen die Beiden gesprungen war und nur mit großer Mühe Schlimmeres verhindert hatte. „Nimm deinen Mantel, wir gehen heute auf Hausbesuch.“, befahl er dann wieder freundlicher. Otabeks Miene erhellte sich und er sprang so schnell auf, dass der nächste Husten ihm klarmachte, dass er wirklich mehr Ruhe brauchte.



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