Zum Inhalt der Seite

Behind Masks

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

"Dr. Ziegler." Nicht mehr als ein Flüstern, doch es genügte, um die Aufmerksamkeit der Ärztin zu gewinnen. "Ich bin hier." Es war schon fast drei Stunden her, dass sie in die Basis zurückgekommen waren, völlig verdreckt, alle an ihren körperlichen Grenzen angelangt, übermüdet; jedoch viel zu angespannt, um schlafen zu können. Deshalb hatte sie getan, was sie in solchen Situationen immer tat und sich in Arbeit versenkt. Inzwischen machte sich allerdings auch in ihr tiefe Erschöpfung breit. 

Das medizinische Team - namentlich zwei ein Pfleger, zwei junge Ärzte und Lúcio - hatte sie bei ihrer Ankunft bereits erwartet und zügig die Verletzten behandelt. Angela war stolz auf ihre Kollegen und hatte nur in der Erstversorgung die Führung übernommen, aber sich, nachdem sicher war, dass alle kritischen Wunden versorgt waren, zurückgezogen und Soldier 76 zugewandt. Um den Soldaten zu versorgen, der ihr heute beigestanden und mehrfach das Leben gerettet hatte, schob sie die Müdigkeit gerne noch ein wenig beiseite. Der hochgewachsene Mann saß benommen und mit hängenden Schultern vor ihr auf einem Stuhl. Seine Wunde hatte sie gereinigt und genäht, ahnend, dass sich womöglich eine weitere Narbe bilden würde, von denen schon so viele den Torso des Mannes zierten.

 

Sein Schädel brummte und sein Sichtfeld war verschwommen. Zweifellos eine Nebenwirkung der Betäubung, die ihm die Ärztin verpasst hatte, kaum dass er Platz genommen hatte. Sie hatte es sich nicht nehmen lassen, bei der Erstversorgung aller im Einsatz Verletzten zu helfen, obgleich sie selbst gerade aus dem Einsatz kam. Das Nötigste war inzwischen getan und das Team kümmerte sich um alles weitere, doch ihn hatte sie mit einem Tonfall zum Sitzen aufgefordert, der jeden wissen ließ, dass sie - und nur sie - in dieser medizinischen Station das Sagen hatte. Soldier 76 hatte gar nicht erst versucht, sich zu wehren. Auch nicht, als sie ihm eine Betäubung geben wollte, gegen die er sich sonst vehement sträubte. Jetzt bereute er das ein wenig. Er hasste das Gefühl, nicht Herr seiner Sinne zu sein.

"Es wird gleich besser. Trink etwas." Ein Plastikbecher wurde ihm gereicht. Ihre weichen Hände schlossen sich um seine rauen, um ihm zu helfen. Vorsichtig nahm er ein paar Schlucke, verschwommen blieb sein Sichtfeld dennoch. Der Weißhaarige schloss die Augen für einen Moment und versuchte, sich einfach auf seine Atmung zu konzentrieren, während der Raum um ihn herum ein wenig zu kippen schien. Nicht gut. Ein leises Ächzen kam über seine Lippen. Wie ihm Dr. Ziegler den Becher wieder aus den Händen nahm, bekam er kaum mit. 

"Du hast viel Blut verloren. Vielleicht sollten wir doch eine Infu-" "Nein. Es geht schon." Er brauchte die Augen nicht zu öffnen, um den abfälligen Blick auf ihrem Gesicht zu sehen, den sie immer aufsetzte, wenn er eine medizinische Behandlung ablehnte. Je weniger Daten sie über ihn bekam, desto besser. Er wählte für Check-Ups bewusst die Termine, an denen eben sie nicht da wäre, immer in der Angst, irgendeine Kleinigkeit könnte ihn verraten. Eine winzige Narbe, eine Geste oder einfach nur seine Reaktion auf sie.

 

Die meisten Leute hatten die Krankenstation inzwischen verlassen, hatten sich entweder ihren Aufgaben zugewandt oder aber der wohlverdienten Ruhe im eigenen oder im Krankenbett. Nur Angela war noch da, hielt sacht seine Hand. Während ein Teil von ihm gerne geblieben wäre, um diesen Moment zu genießen, riet der rationale Teil in Jack ihm doch, sich möglichst bald zurückzuziehen. Der Soldat rang mit sich, um die richtigen Worte zu finden, die es ihm erlaubten, schnell die Flucht zu ergreifen, ohne, dass es genau danach aussah. 

Räuspernd durchbrach Jack schließlich die Stille und entzog der Ärztin seine Hand. "Dann werde ich jetzt gehen. Danke für die Versorgung, Dr. Ziegler." So nannte er sie bewusst. Nicht Angela, obgleich sie es allen Agenten freimütig angeboten hatte. Es wahrte Distanz, sie mit ihrem Titel und Nachnamen anzusprechen. Eine Distanz, um die er jeden Tag aufs Neue rang. Vor allem mit sich selbst.

 

Dieser Mann war wirklich zum Haareraufen! Die Schweizerin bezweifelte stark, dass er überhaupt sicher in sein Zimmer kam. Die Betäubung währte sicher noch an und wenn sie raten müsste, würde sie sagen, dass ihm höchstwahrscheinlich schwindelig und etwas übel war. Sie seufzte. Dass er unvernünftigerweise versuchte, sich um die Nacht in der medizinischen Station zu drücken, hatte sie ja schon erwartet, aber das hier, das grenzte an Dummheit. Wie oft hatte sie schon versucht, mit dem Supersoldaten darüber zu diskutieren, dass er noch immer ein Mensch war und wie alle Menschen ausreichend  Ruhe und Erholung brauchte? Wie oft war er ihr einfach ausgewichen, war zu Check-Ups unter fadenscheinigen Entschuldigungen nicht gekommen und hatte in jeder ruhigen Stunde einen weiten Bogen um sie gemacht? Zu oft, fand die Ärztin. Vielleicht war es Zeit, offen zu sprechen. "Jack. Du wirst dich noch ein wenig ausruhen und über Nacht hier in der Krankenstation bleiben."

 

Eigentlich hatte Soldier 76 gerade aufstehen wollen, doch er hielt noch in der Bewegung inne und sank schließlich  zurück auf den Stuhl. Jack. Wie lange hatte ihn niemand mehr so genannt? Eiskalt hatte ihn die Ärztin mit der Nennung seines Namens erwischt. Ihm war klar, dass sein Zögern ihn verraten hatte. Er hätte es sofort abtun müssen, doch sie hatte ihn dermaßen überrumpelt, dass er das nicht gekonnt hatte. 

Jack hatte geglaubt, wenn er seine medizinischen Daten nur vor ihr verbergen würde, dann würde sie ihn nicht erkennen, würde nicht ahnen, dass unter dem Visor und all den Narben der einstige Strike Commander Jack Morrison steckte. Er war nicht mehr  der junge Held, der er einst für viele gewesen war. Er war alt geworden, hätte tot sein sollen und trug sichtbare Zeichen der harten Kämpfe am ganzen Körper. Er hatte Jack Morrison hinter sich gelassen. Jack Morrison war bei der Explosion gestorben. Oder zumindest hatte er sich das einreden wollen, als er sich selbst seinen einstigen Overwatch-Kollegen als Soldier 76 vorgestellt hatte und somit sogar ihnen gegenüber verborgen hatte, wer er war.

Sie jedoch hatte es herausgefunden. Dabei hatte Jack tunlichst darauf geachtet, in ihrer Gegenwart besonders aufmerksam zu sein, nicht mehr als nötig zu sprechen und schon gar nicht über Persönliches. Den Visor hatte er nie in Gegenwart eines anderen Menschen abgelegt. Erst recht nicht hier im neuen Overwatch-Hauptquartier.

 

Eine ganze Weile sagte keiner von ihnen beiden ein Wort. Sie saßen einfach nur da, voreinander, ihre Hände an seinen Knien, als fürchte sie, er würde sonst davonlaufen. Es fiel der Schweizerin nicht schwer zu erraten, was im Kopf des Soldaten vor sich ging. Vermutlich überlegte und grübelte er, wie er dieser Situation entkommen und am besten gleichzeitig noch leugnen könnte, wer er war. Typisch für ihn. Vielleicht nicht für den Strike Commander Jack Morrison, aber für Soldier 76, zu dem Jack Morrison geworden war. Der wich ihr nämlich so unübersehbar aus, dass selbst ihr Team schon gescherzt hatte, ob sie dem Vigilante mit einer riesigen Spritze drohte oder weshalb er sonst ihre Behandlungen mied wie die Pest. Sie hatte immer gewusst, dass der Grund dafür ein anderer war.

"Jack...", begann sie schließlich, die drückende Stille durchbrechend, die über ihnen lag wie ein nasses Tuch, das jeden Klang zu verschlucken drohte. "Ich werde dich nicht bedrängen, weshalb du es geheim hältst und ich werde es auch niemandem sagen." Das wusste er vermutlich längst. Andernfalls hätte sie längst etwas gesagt - ihm oder allen anderen. "Du bist nicht allein, Jack", fuhr die blonde Ärztin sacht fort, nun wieder die Hand ihres Patienten und Freundes ergreifend. "Wenn du jemals... über all das sprechen willst..." Sie wusste, es brauchte keiner Erklärung, was sie damit meinte. Was früher geschehen war, was zu Gabriels vermeintlichem Tod geführt hatte. Die Explosion, die ihrer aller Leben für immer verändert hatte.

 

Jack gab nur ein leises Brummen von sich, das gleichermaßen Zustimmung wie Ablehnung sein konnte. Tausend Worte kamen ihm in den Sinn, doch keine schienen ihm die rechten. Was sollte er auch sagen? Sie wusste es ohnehin längst. Er hätte damals an Gabriels Seite sterben sollen. Er hätte bei der Explosion einfach sein Leben aushauchen und diese Welt verlassen sollen. Aber das hatte er nicht und die Schuld für die Rebellion seines engsten Freundes, konnte Jack nur in sich sehen. Er hätte nicht wegsehen dürfen, hätte bemerken müssen, was in Gabriel vorging. Dafür waren Freunde da. Jeden Tag seit diesem hatte die Schuld seinen Weg begleitet, hatte ihn oft bestimmt und ihn schließlich hierher geführt.

Zurück zu Overwatch. Zurück zu Dr. Angela Ziegler, zurück zu Mercy, dem Engel des Schlachtfeldes. Wie ein Engel, so schien sie ihm wahrlich. Selbst jetzt, in ihrem weißen Kittel, auf dem blutrote Flecken von den vergangenen Stunden zeugten. Sie hatte ihn so oft gerettet. Nicht nur durch die Heilung seiner Wunden, sondern allein durch ihre Anwesenheit. Das freundliche Lächeln, wenn sie sich zufällig im Flur trafen, die sanften Worte, dass alles gut werden würde und auch jetzt diese kleine, intime Berührung mit der sie seine Hand hielt. Wie viel mehr Rettung konnte ein Mann wie er erbitten?

 

Müde lächelte sie den Weißhaarigen an. "Ich begleite dich zum Krankenbett. Bleib einfach eine Nacht hier, ja?" Obgleich als Frage formuliert, meinte sie es doch keinesfalls so und bugsierte den Soldaten mit dessen Unterstützung zielgerichtet zu einem freien Bett. Auf der Station herrschte längst Stille und nur vereinzeltes Schnarchen zeugte davon, dass hier jemand schlief. 

Gerne hätte sie mit ihm gesprochen. Über alles. Über die Explosion und wieso es dazu hatte kommen müssen, über die Gründe, die Gabriel veranlasst hatten, sich gegen Overwatch zu stellen, seinen Freunden in den Rücken zu fallen und alles zu vernichten, das sie alle gemeinsam aufgebaut hatten. Doch sie fürchtete sich auch vor dieser Unterhaltung, denn früher oder später müsste die Frage kommen, wieso Gabriel Reyes' Leichnam nie geborgen werden konnte. Und ob er noch lebte. Eine Frage, auf die sie sehr wohl die Antwort wusste - eine, die sich grundlegend von der unterschied, die jeder andere gäbe. Gabriel Reyes hatte überlebt. Er hatte überlebt, weil sie ihn gerettet hatte, indem sie aus ihm ein Experiment gemacht hatte. Ihre größte Schande, ihre größte Schuld. Doch wie könnte sie das Jack sagen, ihm das antun? Wie würde er reagieren, wenn er erfuhr, dass sein alter Freund heute Jagd auf Overwatch-Agenten machte, dass er das Monster war, das man den menschgewordenen Tod nannte? Reaper. Ein Name, der passender nicht hätte sein können, denn schon Viele hatten den Tod durch ihn gefunden. 

Mehr als einmal hatte Angela selbst die Toten auf dem Schlachtfeld entdeckt. Furchterfüllt aufgerissene Augen, den Mund zu einem Schrei geöffnet, den niemand mehr hören sollte und ein Loch im Körper, das von einer großkalibrigen Kugel zeugte. Oft genug hatte sie den schwarzen Rauch umherhuschen sehen, der ihren Mitstreitern den Tod brachte und der ihr Werk war. Jedes Blut, das an seinen Händen klebte, klebte ebenso an ihren. Doch so oft diese Schuld sie auch einer Welle gleich überflutete, sie brachte es nicht über sich, auch nur einen Moment ehrlich zu glauben, dass es besser gewesen wäre, Gabriel dem Tod zu überlassen. Allein der Gedanke bereitete ihr Übelkeit. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen und musste nun damit leben.

 

"Angela." Kaum mehr als ein leise gehauchtes Gebet, doch laut genug, dass sie es hörte, als sie den Kolben der Spritze hinunterdrückte. "Ich bin hier, Gabriel. Halt durch. Du wirst nicht sterben!", versprach sie ihm mit tränenerstickter Stimme. Ihre blauen Augen huschten rastlos über seinen Körper, der von zahllosen Verletzungen zeugte. Knochenbrüche, innere Blutungen, gerissene Muskeln und Blutgefäße. Jede Zelle in ihr zog sich bei diesem Anblick zusammen und sie wusste, dass es bar jeder Vernunft war, zu glauben, sie könne Gabriel retten. Dennoch setzte sie ein kleines Lächeln auf und strich zärtlich über seine Stirn. "Du schaffst das." Ein trockenes, ungläubiges Husten war ihre Antwort, dann blieb der Mann still, der sie und ihre Kollegen verraten hatte und der damit ihr Feind sein sollte. Ein Feind, den zu hassen sie nicht über sich brachte. Gabriel war gestorben. Sein Herz hatte aufgehört zu schlagen, sein Atmung hatte gestoppt. Als Ärztin hatte sie gewusst, dass er tot war, doch als Mensch, als Freundin, hatte sie es nicht hinnehmen können. 

Lange hatten die Eingriffe gedauert, von denen niemand sagen konnte, ob sie überhaupt etwas bewirken würden oder ob die kluge Schweizerin nicht nur ihre Zeit vergeudetete. Sie hatte rastlos jeden Handgriff getan, alles überwacht und am Ende feststellen müssen, dass sie mit dieser Tat ihrem Beinamen keine Ehre gemacht hatte. Mercy. Wahrlich nicht. Gnade wäre es gewesen, Gabriel dem Tod zu überlassen und der Blick, mit dem er sie musterte, als er aus der Narkose erwachte und die Gen-Mutation, die ihn zugleich zerstörte und regenerierte, mit einen Augen sehen konnte, verriet ihr das sehr genau. Wie könnte er ihr das je verzeihen? Sie hatte seinen Hass wahrlich verdient und dass sie ihn nur hatte retten wollen, war keine Entschuldigung. Selbst heute noch sah sie oft sein Gesicht vor sich, wann immer sie die Augen schloss, sah den anklagenden Blick. "Wir sehen uns wieder, Angela." Das kalte Lächeln auf Gabriels Zügen, bevor er in einer Wirbel schwarzen Rauches verschwand, hatte sich tief in ihre Erinnerungen gebrannt.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  RedSkull
2017-09-25T16:05:03+00:00 25.09.2017 18:05
Ein erneutes Wow.
Ich liebe die Atmosphäre in diesem Kapitel.
Bin echt gespannt wie es weiter geht.


Zurück