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Die Kinder des Windes

Der König von Kalaß
von

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Weiß

Die Sonne geht auf über Ialana und scheint hinein in das winzige, mit Papier bespannte Fester des kleinen Raumes, in dem ihre neuesten Bewohner ihre erste Nacht auf der Insel verbracht haben. Siva, wird von warmen Sonnenstrahlen geweckt, während Ramon, von ihr abgewandt, noch tief zu schlafen scheint. Das viel zu enge Bett hat sie schon am Abend an einer geruhsamen Nacht zweifeln lassen und zu ihrem Ärger hat sie auch recht behalten. Noch hat sie keine Vorstellung davon wie ihr neues Leben mit dem Mann neben ihr, in den bescheidenen Umständen dieser Siedlung, aussehen soll. Angst macht es ihr trotzdem nicht, denn sie ist davon überzeugt mit Atanes und Fuathels Hilfe problemlos an die Spitze der kleinen Gesellschaft aufzusteigen. Ramons offensichtlich mit Vorurteilen besetzte Vergangenheit glaubt sie für ihren Aufstieg nutzen zu können. Es würde ihr nicht gefallen irgendeinen Mann an ihrer Seite zu haben, der Letze König, den alle fürchteten, entspricht schon eher ihren Vorstellungen. Nicht nur Aiven und Nico hielten ihn für den Ursprung allen Übels, sondern anscheinend auch die Menschen dieser Insel. Siva war zugegebenermaßen selbst noch der Meinung er sei die Verkörperung des Bösen, doch glaubt sie nun ihn geläutert zu haben, ein Gefühl das ihr keiner nehmen kann. Nicht er hat sie vom rechten Weg abgebracht, sondern sie war es, die ihm den rechten Weg gewiesen hat. Das ist es jedenfalls was sie über die Sache denkt. Ob es wahr ist, wird sie erst beurteilen können, wenn sie seine Vergangenheit kennt. Bisher hat er reichlich wenig Gehaltvolles von sich preis gegeben, das ihr seinen wahren Charakter offenbart hätte. Sie kennt weder die Gründe dafür warum sich seine Frau und seine Kinder von ihm abgewandt haben, noch aus welchem Gefühl heraus er seinen Krieg gegen den Rest der Welt für richtig erachtete. Immerhin hat sie jetzt den Hinweis, dass Fuathel nicht ganz unschuldig an der Sache zu sein scheint.
 

Siva setzt sich aufrecht und legt ihre übertrieben warme, mit Federn gefüllte Decke zur Seite. Gerade als sie aufstehen will, dreht sich der nur mit einer Hose bekleidete Ramon auf den Rücken und blickt etwas verschlafen zu ihr. Sein Haar ist leicht zerzaust und er beginnt sofort es flüchtig zu richten.

„Steht noch nicht auf, Prinzessin.“

bittet er sanft, die überaus attraktive und leicht bekleidete junge Frau fixierend.

„Aber es ist schon hell und wir müssen noch so vieles mit Atane und den anderen klären.“

entgegnet sie mit leicht gestresstem Unterton, was Ramon entspannt lächelnd zu entkräften weiß:

„Keiner steht hier schon bei Sonnenaufgang auf, oder haben die Menschen hier auf Euch etwa einen fleißigen Eindruck gemacht? Kommt, setzt Euch noch ein Weilchen zu mir. Ich möchte Euch etwas erzählen.“

Er setzt sich aufrecht und stellt seines und ihr Kissen an die Rückwand des Bettes. Siva trägt nur ein leichtes Unterkleid, in dem ihre gute Figur zu Geltung kommt, was er gern noch ein Weilchen genießen würde. Sie dreht sich zu ihm und schaut ihn sich etwas genauer an, was sie in der ganzen stressigen Zeit in Kalaß versäumt hat. Diesmal so ganz ohne Schmuck sieht er für sie viel nackter aus als sonst und das leicht zerzauste Haar lässt ihn weniger angespannt wirken. Sicher gibt es nur wenige Menschen die ihn je so leger zu Gesicht bekommen haben. Sie möchte in seine Bitte nicht abschlagen. Bevor sie sich an das Kissen am Rücken des Bettes zurücklehnen kann, legt er seinen Arm um sie. Seine Hand legt er auf ihrer Hüfte ab, die er zärtlich streichelt und sein weicher Blick mustert ihre nackten Beine. All das bemerkt sie und bewegt sie dazu sich an seinem warmen Körper zu schmiegen. Das Gespräch am Vorabend hat sich die beiden näher kommen lassen und das nimmt nicht nur Ramon wahr.

„Ich möchte Euch von meiner Jugend erzählen, Prinzessin, wenn Ihr es auch mögt.“

Ihren Kopf auf seiner Schulter ablegend, brummt sie entspannt zustimmend.

„Also gut,“ beginnt er,

„Ich glaube ich habe Euch noch nicht erzählt, zu welchem Zweck ich geboren wurde. Iriasa, meine Mutter, die erste Frau unter den Gotteskindern, verweigerte die Heirat mit dem Erstgeborenen des achten Königs und zog ihm Mendis, den letzten der sogenannten Uralten vor, der als Widersacher des Königshauses freiwillig als Einsiedler lebte. Sie teilte seine Ablehnung einer Klassengesellschaft, die sich damals bildete. Man begann die Menschheit in herrschende Gotteskinder, Mana-i, und normale Menschen, Rae, zu unterteilen. Für eineinhalb Jahrtausende entzogen sich meine Mutter und der Uralte ihrer Verantwortung. Sie flüchteten sich in die Zweisamkeit und es wurde keine weitere Frau in den Reihen der Gotteskinder geboren. Als sich dies eines Tages änderte, war dies Anlass genug für Iriasa und Mendis in die Zivilisation zurückzukehren. Das Blut der Gotteskinder war inzwischen schon so stark verdünnt, dass sie sich kaum noch von den Rae unterschieden, doch die Klassentrennung glich einer Unterdrückung des Volkes. Selbst keine Muße dazu die Zustände in ihrem Volk zu verbessern , beschlossen sie ein Kind in die Welt zu setzen, welches dies an ihrer statt vollbringen sollte. Das geschah im Jahr 4322 tera Nis, dem Jahr meiner Geburt.

Kurz nach Beginn der hundertjährigen Amtszeit des fünfundzwanzigsten Königs Andarian, kam Iriasa mit mir im Arm an seinen Hof an das alte Schloss nach Nalita. Der Adel und Hochadel, längst völlig verwaschen, hatte zu großen Teilen noch niemals einen so reinen Vertreter ihres Volkes zu Gesicht bekommen. Mit Hochachtung nahm man die einzige unsterbliche Frau, die jemals gelebt hatte und mich auf, woraufhin ich bald darauf als Thronfolger gehandelt wurde. Madlene, eine hochangesehene und damals noch rechtschaffende und freundliche Person, die von Iriasas Ablehnung der Dekadenz ihres Volkes hörte, koalierte mit Mutter. Madlene schloss einen Pakt das Klassensystem abzuschaffen, wenn sie im Gegenzug Königin werden würde.

Meine Mutter erzog mich sehr streng, achtete penibel darauf nicht zu viel Kontakt zu den anderen Adligen zu haben und ließ mich unter von ihr ausgewählten, gebildeten Menschen aufwachsen. All meine gleichaltrigen Freunde waren Professorenkinder der Nalitischen Militäruniversität, an der ich von jenen Dozenten unterrichtet wurde, die unter der Hand als Kritiker des Reiches gehandelt wurden . Bevor Ihr Euch wundert, Siva, heute gibt es diese Einrichtung leider nicht mehr. Stupide Rosheanische Könige sind nicht dazu in der Lage den Wert einer Universität zu schätzen. Nur gut, dass Euer Vater sie ablöste.

Nun, jedenfalls habe ich bis heute Schwierigkeiten mein eigenes Volk zu verstehen. Ihr seid ebenfalls unter Menschen aufgewachsen, Prinzessin. Ihr werdet es bald verstehen.

Madlene und ich wuchsen also getrennt voneinander auf. Um ehrlich zu sein freute ich mich damals noch auf die Hochzeit, denn ich dachte sie bedeute für mich einen Schritt zur Selbstbestimmung. Die ewige Bevormundung meiner Mutter hatte nicht nur gute Seiten, müsst Ihr wissen. Ich folgte jeder Einladung aus In- und Ausland, wie unsinnig der Anlass auch gewesen sein mag, nur um ihren gierigen Krallen zu entfliehen. Sie hatte kein Problem damit, denn ich reiste in Rae-Königreiche und was ich da eines Nachts sah, veränderte mein Leben nachhaltig.

Ich war gerade sechzehn Jahre alt geworden, als ich nach Deskend zum Geburtstag des damaligen Königs Firit eingeladen wurde. An nur eines kann ich mich an dieser Feierlichkeit erinnern, ein Mädchen.

Ich sah sie nur kurz, ihr Haar war silbrig weiß wie der Mond und es hob sich kaum von der edlen Blässe ihrer Haut ab. Mein Blick traf den ihren und ich verlor mich ihren Augen, gefärbt im hellsten Blau, das ich je sah. Für sie vielleicht nur der Bruchteil einer Sekunde, für mich ein sich immerzu wiederholender Augenblick, fand ich mich in der Unendlichkeit der Liebe wieder, oder das was ich damals für Liebe hielt.

Der Moment verstrich und das Mädchen war verschwunden. Ich reiste ab, ohne sie noch einmal wieder zu sehen. Erst etwas mehr als ein Jahr später war mir die Freude eines Wiedersehens vergönnt.

König Firit veranstaltete das nur einmal pro Dekade gefeierte Feuerfest Phanatakares, welches er mit überschwänglichem Verschwendungsreichtum aufzuwerten versuchte. Dem Gott gedachte niemand, denn es wurde reichlich getrunken, gelacht und getanzt, wobei ich mich nur auf das letze gut verstand. Es war inzwischen dunkel geworden und der Saal, in rot und orange geschmückt, schimmerte im warmen Licht der tausend Kerzen. Ich, inzwischen zu einem begehrten jungen Mann herangewachsen, tanzte wohl mit jeder ledigen Prinzessin der umliegenden Königreiche, doch eine fehlte. Ich verließ die Tanzfläche und erkundigte mich nach dem weißen Mädchen, das ich vermisste. Ich erfuhr, dass sie zwar auf dem deskender Hof lebte, sich aber auf Festen nur selten sehen ließ. Eine junge, ganz offensichtlich betrunkene, Dame schilderte mir unaufgefordert die Lebensgeschichte meines weißen Mädchens.

‚Ihr sucht Quinya, mein Prinz? Ihr findet sie aller Wahrscheinlichkeit nach auf einem der Türme der Burg. Das arme Kind kam vor Jahren aus Roshea zu uns. Aufgrund ihrer abnormen Haar- und Augenfarbe erfuhr sie in ihrer Heimat nichts als Spott und Hohn. Ihr Vater, ein verarmter Baron aus Aranor, schickte sie zu uns, da sie hier im Norden nicht so sehr auffällt wie im Süden. Wir haben schließlich alle helles Haar. Aus Edelmut nahmen wir sie bei uns auf und kümmerten uns um sie. Leider fand sie nie aus ihrem düsteren Gemüt heraus. Ignoriert sie am besten, königliche Hoheit. Sie wird Euch Eurer Interesse nicht danken.‘

‚Das habe ich selbst zu entscheiden.‘

antwortete ich und verschwand.

Wie von der dummen Gans vermutet, fand ich das weiße Mädchen, auf dem höchsten der Türme. Ich öffnete die quietschende Tür im obersten Stockwerk des Turms und trat hinaus. Da sah ich sie nun und ihr weißes Haar glänzte silbrig im Licht des hellen Mondes. Sie erinnerte mich an die Reinheit einer weißen Mondlilie. Quinya trug ein einfaches schwarzes Kleid, das nicht so recht zur pompösen Feier bei Hof passen wollte. Sie drehte sich zu mir herum und sah mich überrascht aus ihren wunderschönen schwarzumrandeten Augen an.

‚Habt Ihr Euch verlaufen, mein Herr?‘

fragte sie unhöflich. Ich war zu fasziniert von ihrer Erscheinung, um die Unverschämtheit dieser Frage ahnden zu können.

‚Ihr seid Prinzessin Quinya, nicht wahr? Was macht Ihr allein hier oben?‘ fragte ich, worauf sie in sich zusammenfuhr, als hätte sie einen Geist gesehen.

‚Oh jetzt erkenne ich Euch, ihr seid der Kronprinz von Kalaß. Ich wollte Euch gerade die Gegenfrage stellen was Ihr hier oben zu suchen habt, doch zum Glück habe ich es noch früh genug bemerkt. Verzeiht mein Benehmen,

königliche Hoheit.‘

Kicherte sie, bevor sie einen üblichen höfischen Knicks ausführte. Ich bat sie mich bei meinem Namen zu nennen und machte sie darauf aufmerksam dass ich ihr Gemüt nicht als düster empfand, so wie sie mir beschrieben wurde.

‚Da habt ihr Euch wohl bei Prinzessin Katarin oder einer ihrer Freundinnen oder Schwestern informiert.‘

schloss sie aus meiner Aussage und ich verbesserte.

‚Es war Prinzessin Anari.‘

‚Auch nicht besser.‘

lachte sie, mit einer Stimme so lieblich wie die eines Sperlings. Ich stand noch immer an der Tür, deshalb winkte sie mich zu sich.

‚Ihr habt mein Verhalten noch kein einziges Mal zurechtgewiesen, Ramon. Kommt zu mir! Wir schauen uns gemeinsam die Schönheit des Mondes an. Nur selten strahlt er so hell wie heute.‘

Ich ging zu ihr doch ich hatte nur Augen für die weiße Mondlilie, auf die das helle Mondlicht schien.

‚Bitte glaubt nicht könne mich nicht benehmen.‘

versicherte sie mir,

‚doch ich habe nur wenig Freude daran das brave Kind zu spielen. Lieber verstecke ich mich hier oben vor solchen Festlichkeiten und warte bis sie vorüber sind.‘

‚Warum?‘

fragte ich, ohne mich zu einer Schlussfolgerung hinreißen zu lassen und das war gut so, denn sie wäre womöglich beleidigend für sie gewesen.

‚Ich antworte Euch, aber seid versichert, ich tue es nicht weil Ihr im Rang über mir steht. Wer hätte gedacht, dass ich das einem Kerl in so feinem Zwirn freiwillig erzähle? Naja, ich bin nicht gern unter Menschen. Ich bin in meinem Leben schon als allesmögliche beschimpft worden, nur weil ich anders aussehe. Ich bin erst fünfzehn, doch die Männer beginnen mich schon jetzt begierig anzustarren. Ich weiß was das heißt. Ich habe schon zu viel gesehen in meinem Leben. Wegen mir wurde meine Mutter als Hure beschimpft, weil ich meinem Vater nicht ähnlich sah und man hat sie vor meinen Augen…ist ja auch egal. Die Blicke die ich von den Männern Ernte, will ich nicht, doch trotzdem hassen mich die Frauen dafür, diffamieren mich. Warum habt Ihr mich wohl aufgesucht, Ramon?‘

Ihre Worte bohrten sich tief in mein Herz. Es stimmte, da war viel Düsternis in ihr, doch das faszinierte mich umso mehr. Die Antwort platzte unsensibel aus mir heraus:

‚Weil ich mit Euch tanzen will, Quinya. Kommt mit mir in den geschmückten Saal und Ihr werdet sehen, dass die Menschen Euch nicht missgünstig, sondern bewundernd anschauen!‘

Natürlich war meine Forderung zu aufdringlich und sie wich ein Stück von mir zurück. Ihre Augen wurden glasig.

‚Wenn Ihr das wirklich glaubt, dann seid Ihr naiv. Ich werde nicht mit Euch gehen. Sperrt mich für meine Frechheit ein, wenn es sein muss. Im Kerker bin ich wenigstens für mich allein.‘

sagte sie immer leiser werdend. Ich war mir sicher meine Chancen bei ihr für immer verspielt zu haben. Ich entschuldigte mich für die Störung und wandte mich ab um zu gehen, als sie mich überraschend bat zu bleiben. Ich drehte mich zu ihr zurück und ihr verwunderter Blick glich dem als ich kurze Zeit zuvor den Turm betrat.

‚Ihr…Ihr akzeptiert meine Ablehnung?‘

stotterte sie, worauf ich nichts entgegnete. Sie ging geradewegs auf mich zu, nahm meine linke Hand, setzte sie an ihre Hüfte und berührte meine Rechte. Danach begann sie zu singen in der schönsten und klarsten Stimme die ich je gehört hatte. Perplex stand ich einfach nur da bis sie ihren Gesang unterbrach, um mich mit einem ‚na los‘ zum Tanzen zu bewegen.

Niemals zuvor oder danach habe ich einen so intensiven Tanz erlebt. Sie war keine sichere Tänzerin, doch ich führte sie so gut, dass das kaum auffiel. Sie, ihre klare Stimme, die wolkenlose Nacht und ich verschmolzen miteinander.

Gesang und Tanz zugleich waren ein recht anstrengendes Unterfangen. Nach einer Weile sank sie erschöpft in sich zusammen, denn sie verausgabte sich völlig. In meinem Arm liegend flüsterte sie:

‚In Ordnung, Ramon. Ich begleite Euch nach Kalaß.‘

Ich verstand zunächst nicht was sie da sagte. Wieso glaubte sie ich wolle sie mitnehmen? Auf mein Schweigen hin, fuhr sie fort:

‚Ihr braucht Euch dessen nicht zu schämen. Ich weiß doch was Ihr wollt.‘

Doch damit lag sie völlig falsch.

‚Ach ja, und was soll das bitte sein?‘

entgegnete ich mich mit gekränkter Ehre, während ich mich von ihr löste. Sie begann sich in Rage zu reden. Ich hätte eingreifen sollen, doch ich verpasste den richtigen Zeitpunkt.

‚Ihr seid der reinblütige Kronprinz der selbsternannten Gottestkinder. In einem Jahr werdet Ihr heiraten. Was könnte es wohl sein, das ihr so dringend von mir wollt? Ihr wollt mich besitzen, bevor ein anderer es tut, oder etwas nicht? Wenn ich Glück habe, behaltet Ihr mich als Mätresse. Ihr seid freundlich und spielt mir etwas vor. Das schätze ich. Wahrscheinlich seid Ihr viel netter als der ganze andere Abschaum. Das ist schon mehr als ich von meinem Leben erwarten könnte.‘

Ich schüttelte den Kopf und antwortete enttäuscht:

‚Wenn es das ist was Ihr glaubt, dann gehe ich jetzt besser.‘

Gebrochenen Herzens verließ ich den Turm, kehrte auch nicht wieder auf die Feier zurück. Bei Sonnenaufgang reiste ich unverzüglich ab. Tagelang grübelte ich darüber nach wieso sie mich eines so grausamen Vorgehens beschuldigte. Ohne selbst eine Antwort darauf finden zu können, beschloss ich mich meiner Mutter anzuvertrauen. Entgegen aller Erwartungen hegte sie mir gegenüber keinen Groll darüber, dass ich mich für eine andere Frau als meine inzwischen einunddreißigjährige Verlobte interessierte. Sie war sogar bereit meine Verlobung mit Madlene zu lösen, doch ich fühlte mich ihr verpflichtet. Mutter erklärte mir das Offensichtliche. Viele Ehen unseres Volkes waren lieblos und Männer wie Frauen suchten sich menschliche Geliebte. Manche behielten sie jahrelang, solange bis sie alt worden und nicht mehr hübsch anzuschauen waren, andere benutzen sie nur ein einziges Mal. Genauso formulierte sie es. Meine Mutter Iriasa mag eine egoistische Frau gewesen sein, doch sie hatte gute Prinzipien. Menschliche Gefühle zu missbrauchen, verurteilte sie, denn sie verstand mit ihrem Herzen, dass Menschen noch viel emotionaler waren als wir. Die meisten ‚zerbrechen nach Gebrauch‘, sagte sie und das sei einer Herrscherklasse unwürdig. Es war schwer nachzuvollziehen, doch sie argumentierte gut.
 

Ich beschloss Quinya eine Nachricht zukommen zu lassen, um sie davon zu überzeugen, dass nicht jeder in ihrer vorgefertigtes Tyrannenmuster passte. Ich ließ ihr ein weißes Kleid anfertigen, welches zwar schlicht, jedoch in seiner Qualität kaum zu übertreffen war. Silberfarbene Sterne lies ich darauf stecken. Ich lud sie ein ihren sechzehnten Geburtstag am Nalitischen Hof zu feiern, wo man die weiße Mondlilie völlig vorurteillos bewundern würde.
 

Sie folgte meiner Einladung, ohne dass ich es zu träumen gewagt hätte. Ich schickte ihr eine weiße Kutsche mit einem weißen Gestüt, welches sie abholen sollte. Die Festlichkeit koordinierte ich höchstpersönlich. Es sollte eine denkwürdige Feier werden, doch nicht die Gäste oder das Essen waren exquisit, sondern das Ambiente. Die ganze Atmosphäre sollte etwas Besonderes sein. Am Abend vor der Feier, erreichte sie Nalita und ich empfing sie. Sie fiel mir in die Arme und entschuldigte sich. Sie beteuerte sie habe sich nach mir erkundigt und mir Unrecht getan, deshalb sei sie auch meiner Einladung gefolgt.

In kleinem Kreis hielten wir die Feier ab, doch jeder der damals dabei war, erinnert sich noch heute daran. Auch einige hier in der Siedlung waren damals vor Ort. Wenn ihr sie fragt, werden sie Euch die Echtheit meiner Geschichte bestätigen, Prinzessin Siva. Jeder von ihnen erinnert sich an den Tanz der weiße Mondlilie zu dem Lied, das sie mir an jener Nacht auf dem Turm vorsang. Jeder Mann und jede Frau wusste, dass ich dieses Mädchen liebte, doch ich schickte sie fort, denn meine Eheschließung stand kurz bevor. Ich verlangte auch von Madlene ihre Liebhaber freizugeben, sollte sie welche haben. Ich hatte keinen Einblick in ihr Leben, doch keine dritte oder vierte Person sollte uns belasten. Ich war fest entschlossen mich im Madlene zu verlieben, damit ich keine lieblose Ehe, wie Mutter sie beschrieb, für den Rest meines Lebens führen müsste.
 

Ein halbes Jahr später heirateten wir. Die Feier wurde zu einer riesigen Festlichkeit aufgebauscht, die das ganze Land überspannte.

Meine Verlobte hatte sich indes verändert. Viele Ideale, die sie früher noch hoch hielt, hatte sie abgelegt und vor den Prinzipien der Gotteskinder resigniert. Sie glaubte langsam nicht mehr daran etwas ändern zu können und begann sich zu assimilieren. Nach wenigen Wochen der Ehe befragte sie mich im Bett nach Quinya. Sie war eifersüchtig und ich konnte es ihr nicht verdenken. Meine Liebe zu meiner Gattin wollte einfach nicht entflammen, wohingegen die zur weißen Mondlilie unablässig loderte. Damals noch mächtiger als ich, war es für Madlene ein leichtes meine Gedanken zu lesen. Sie fragte mich was an dem weißen Mädchen besser sei, als an ihr und mein Geist gab ihr unwillkürlich Antwort. Das tat sie seitdem immer häufiger und ich trainierte mir an meine Gedanken vor ihr zu schützen. Es dauerte ein Jahr, bis sich diese Technik beherrschte, zu lange um den Glauben dieser Frau an mich nicht zu zerstreuen.

Siva, Ihr seid ein Jahr jünger als ich damals und Ihr meistertet diese Technik innerhalb eines Tages. Wäre ich nur so begabt gewesen wie Ihr, dann hätte sich Madlenes Seele nicht so schnell verdunkelt. Immerzu verglich sie sich mit Quinya und sie verlor. Wieder und wieder und immerzu verlor sie.

‚Dieses unscheinbare Gör!‘

schrie sie schließlich.

‚Warum quälst du mich so mit ihr, Ramon?‘

Die Lage beruhigte sich, als ich die Fähigkeit erhielt mich gegen die Gedankentechnik zur Wehr zu setzen.

Erst fünf Jahre später wurde es erneut zum Thema. Quinya weigerte sich unablässig zu heiraten, mit der Begründung sie sei bereits jemanden versprochen und er werde sie bald holen. Als ich hörte, man wolle sie ins Exil schicken, suchte ich mir einen Informanten, ein Kindheitsfreund, der sie nach Kalaß bringen sollte, um ihr eine Zuflucht zu schaffen. Ich gab ihm Geld damit er ihr ein vorübergehendes Versteck suchen konnte. Das alles verbarg ich natürlich vor Madlene. Mit meiner Liebe zu Quinya hatte ich ihr schon genug Schaden zugefügt, so dachte ich.

Mein Informant befolgte meine Befehle so gut er konnte und brachte sie zunächst bei sich im Haus unter. Regelmäßig erstattete er mir Bericht, doch eines Tages endeten sie. Ich befragte einen Freund meines Informanten, doch was mir dieser berichtete, brach mir das Herz.

Es hieß Truppen der Kronprinzessin hätten ihn ermordet. Neben ihm hätte man eine unbekannte Frau gefunden, die man für seine Geliebte hielt. Ich frage nach dem Zustand der Leichen, doch das war ein Fehler, denn seine grausame Beschreibung schmerzt mich noch heute. Anstatt zusammenzubrechen, loderte ich vor Wut. Ich stürmte Madlenes Privatgemächer und fand sie nackt im Badezimmer, wo sie sich gerade von zwei ihrer Dienerinnen waschen ließ. Sie sprangen beiseite, als ich meine Frau grob aus dem Wasser zerrte. Sie schämte sich nicht und zu wundern schien sie sich ebenso wenig. Dann drückte ich sie an die kalte Wand und schrie:

‚Wie konntet Ihr Quinya so etwas antun?‘

Wehleidig verzerrte sie das Gesicht und antwortete leise:

‚Das war keine Absicht, Ramon, mein Liebster. Verzeiht mir.‘

Ich stieß sie noch einmal hart gegen die Wand, was die Dienerinnen aufschreien ließ. Madlene blieb hingegen stumm. Wieder schrie ich:

‚Dass Ihr so weit gehen würdet. Quinya hatte recht. Der Hochadel besteht nur aus Abschaum.‘

‚Nein, lasst es mich erklären, Ramon. Bitte.‘

flehte sie nun und ich ließ sie los. Sie versuchte mich zu beruhigen.

‚Ich sprach mit meinen Wachen über meine Ängste, Euch an die schöne weiße Mondlilie zu verlieren, wenn sie nun in dieses Land kommt. Ich war so verzweifelt. ‚Wenn es sie doch nicht mehr gäbe‘ sagte ich unüberlegt und sie fassten es als Befehl auf. Ramon, ich konnte es Euch nicht sagen, ich konnte es nicht. Es tut mir leid.‘ beteuerte sie.

An jenem Tag starb mein letzter Funken Vertrauen in sie. Ich weiß nicht wie es heute ist, doch die Ehe war damals bindend bis zum Tod, also ertrug ich sie, doch ich verachtete diese Frau für ihre Falschheit.“
 

Siva muss ihren Kopf anheben, als Ramon sich nach vorn beugt. Sie hat es noch nicht bemerkt, doch seine Augen sind glasig geworden. Sie streicht ihm von der Seite durch die unordentlichen und doch trotzdem so schönen Haare, aber er weist ihre Zärtlichkeit ab. Den Kopf von ihr abwendend, richtet er sich auf und Siva unfreiwillig mit ihm. Gebeugt sitzt er auf dem Bett, während ihm eine Träne seine hohen Wangenknochen hinab läuft. Sie hinterlässt eine Spur dunkler Pigmente, welche von der Schattierung seiner Augen stammt, die er niemals abschminkt.

„Lasst mich bitte allein, Prinzessin. Ich brauche etwas Zeit für mich.“ fordert er mit klarer Stimme.

Siva kann sich nur schwer vorstellen was in ihm vorgeht und wüsste ohnehin nicht was sie anderes tun sollte, als seiner Bitte nachzukommen, denn sie versteht sich nicht aufs Trösten. Sie zieht sich an und verlässt das Gästezimmer.



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