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Ein Winternachtstraum

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
ACHTUNG: Musik im Nachwort verlinkt!
(Anm.: Die Geschichte kann ein Jahr nach der Handlung in den Russian Diaries angesiedelt werden; ist aber kein Muss. Yuuri und Viktor hätten daher am 25.12 ihren ersten Hochzeitstag.) Komplett anzeigen

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Ein Winternachtstraum

Viktor und ich besuchen, wie letztes Jahr um die Weihnachtszeit, meine Familie in Hasetsu. Ganz bis Weihnachten schaffen wir es nicht, da die Wettkämpfe dieses Jahr anders liegen und Viktor an seinem Geburtstag bereits wieder in Russland bei den Nationals sein muss, während ich noch in Japan verbleibe, um an den japanischen Meisterschaften teilzunehmen. Wir verbringen damit unseren ersten Hochzeitstag getrennt voneinander und sehen uns erst zu Neujahr wieder.

Jedenfalls haben wir, da Viktor und ich unser Training im Hasetsu Ice Castle fortsetzen, solange wir in Japan sind, mitbekommen, dass Axel, Lutz und Loop ein Theaterstück in ihrer Schule organisieren sollen. Die Klassenlehrerin hat den Drillingen vorgeschlagen, ein wie in Europa übliches Krippenspiel vorzubereiten, um ihren Mitschülern den Ursprung des Weihnachtsfests zu erklären.

Die Mädchen schienen damit aber gar nicht glücklich zu sein und beschwerten sich bei ihren Eltern, dass die Weihnachtsgeschichte so gar nicht „ihr Stil“ sei. Wie man generell mit acht Jahren vom eigenen Stil reden kann, erschloss sich mir nicht wirklich, aber mein Göttergatte hatte natürlich sofort die rettende Alternative parat, bevor er auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht hatte:

„Macht doch den Sommernachtstraum, der ist lustig.“

Ich wollte gerade noch einschreiten und erwähnen, dass wir Winter haben und es um Weihnachten gehen soll, doch Axel, Lutz und Loop waren sofort hellhörig geworden:

„Worum geht es in dem Sommernachtstraum?“ „Das ist von Shakespeare, oder?“ „Inwiefern ist das lustig?“

„Ganz genau kenne ich das Stück auch nicht. Aber ich hab' mal einen Elfen daraus dargestellt. Ein kleiner Unruhestifter, der einem anderen einen Eselskopf gezaubert hat, das fand ich lustig.“ (^ 3 ^)

Genial, dachte ich. Aber immerhin: Ein Esel. Der kommt auch in der Weihnachtsgeschichte vor. Damit waren wir nur noch 99% von dem eigentlichen Thema entfernt!

Yukos Drillinge dagegen waren schon mit Recherche beschäftigt. Axel hat eine Zusammenfassung gelesen, Lutz sich mit den Rollen im Stück beschäftigt und Loop mal eben eine Ausgabe bei Amazon bestellt. Das war an sich kein ungewöhnliches Verhalten für die Drei, aber weder Viktor noch mir war bewusst, dass wir aus der Nummer nicht mehr rauskommen würden.
 

Die Mädchen haben uns nur zwei Tage später mitgeteilt, dass sie den fünften Akt aus Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ in abgewandelter Form aufführen zu wollen und dass wir mitmachen müssen, weil es Viktors unsere Idee war.

Um den fünften Akt entsprechend anzupassen, haben sie einige Rollen entfernt, die generell keine Funktion und keinen Text mehr haben und wieder andere Rollen wurden neu besetzt. So gibt es weder das Liebespaar Theseus und Hippolyta, noch Lysander und Hermia und auch nicht Demetrius und Helena. Es gibt nur das Herrscherpaar der Elfen, Oberon und Titania, die sechs Handwerker und den Elfenjungen Puck. Und es muss natürlich im Hasetsu Ice Castle aufgeführt werden. Dort wird, wie bei Onsen on Ice, eine Bühne auf der einen Seite der Eisfläche aufgebaut werden und die andere Hälfte bleibt frei, da diese zum Ende noch gebraucht werden würde und das war der Moment, ab dem Unterstützung angefordert werden musste: Außer Viktor und mir werden noch Yurio, Otabek, Georgi, Mila und Minami-kun mit von der Partie sein, den Drillingen bei ihrer Schulaufgabe zu helfen. Und ein Überraschungsgast wurde uns auch noch angekündigt.
 

Die Handlung der Neuinterpretation unseres „Ein Winternachtstraum“ ist dabei gar nicht so weit vom Original entfernt, wurde aber um einige Aspekte der Weihnachtsgeschichte erweitert: Das Herrscherpaar der Elfen feiert die Geburt ihres Sohnes und zu diesem Anlass tragen sechs minder talentierte Hirten ein Schauspiel zu deren Unterhaltung vor.

Jenes Elfenpaar, mit dem wenigsten Text überhaupt, übernehmen Otabek als Oberon und Yurio als Titania. Abgesehen von dem kaum vorhandenen Text, sollen die beiden zu keiner wirklichen Probe erscheinen. Sie üben an nur zwei Tagen mit den Drillingen für sich, was uns besonders von Yurio mit einem dreckigen Grinsen täglich unter der Nase gerieben wird. Während Viktor und ich uns jeden Abend nach dem Training noch mit Proben quälen müssen, gehen die Beiden genüsslich essen, ins Onsen, in die Stadt und, und, und. Aber wartet nur. Wer zuletzt lacht.

Die Rolle des Elfenjungen Puck hat Minami-kun bekommen und er ist der Einzige, der bei allen Proben anwesend sein muss: Sowohl beim Herrscherpaar, als auch bei den Hirtengruppe.

Tja. Und da wären wir jetzt. Bei uns begnadeten Hirten:

Der Anführer, Zettel, ist mein Part und in unserem „Stück im Stück“ bin ich Pyramus. Der zweite Hirte, Flaut, ist Viktors Rolle, der Thisbe spielen wird. Georgi stellt Schlucker, beziehungsweise das Mondlicht, dar und Mila verkörpert Schnock in Rolle des Löwen. Dann ist da noch Takeshi Nishigori, der von seinen Töchtern genötigt wurde, als Squenz den Prolog vorzutragen und der letzte Hirte, Schnauz, wird von unserem Überraschungsgast gespielt.
 

Und heute am 21. Dezember ist es dann soweit:
 

Ein Winternachtstraum von Axel, Lutz und Loop Nishigori
 

Die Eishalle ist brechend voll. Dabei ist es nur das Theaterstück einer Grundschule, noch dazu auf Englisch (jeder Besucher hat eine Ausgabe mit japanischem Text bekommen), aber die Besetzung scheint wohl das ausschlaggebende Argument zu sein, warum gefühlt ganz Hasetsu dieses Stück sehen will.

Das Bühnenbild hat die Kunst-AG der Grundschule gestaltet, die auch unsere Requisiten gebastelt hat. Im Hintergrund stehen einige Reihen von Tannenbäumen aus Karton, die mit weißer Farbe bemalt und mit Kunstschnee verschönert wurden, sodass sie im Licht sogar etwas glitzern. Zur Rechten sieht man einen großen, festlich geschmückten Weihnachtsbaum mit einem Sack voller Geschenke davor und zur Linken befinden sich zwei mit roten Hussen überzogene Stühle, auf denen das Herrscherpaar später Platz nehmen wird. Daneben steht noch eine Wiege für das Kind und am äußersten Rand der Bühne sind auf beiden Seiten Lautsprecher aufgestellt.
 

Dann wird es dunkel, wir hören, wie das Gemurmel des Publikums verstummt und sehen, dass das Licht auf der Bühne angeschaltet wird.

Minami-kun ist schon nicht mehr bei uns hinter der Bühne, sondern steht bereits im Aufgang. Er muss als Erster raus und trägt Viktors altes Puck-Kostüm, allerdings mit einem zusätzlichen elfenbeinfarbenen Langarmshirt und zwei Feenflügeln auf dem Rücken. Kurz darauf werden ihm Yurio und Otabek auf die Bühne folgen. Beide sehen der Aufführung völlig entspannt entgegen. Alles total easy, wie Yurio es eben nochmal betont hat.

Das wird eine Agape, denn Yurio trägt eben jenes Kostüm und Otabek hat sein Outfit zu Beethovens 9. Symphonie heraus gekramt, sodass beide in festlichem und weihnachtlichem Weiß auftreten werden. Das einzige, nicht ganz passende, aber durchaus optische Highlight, ist die in einen weißen Strampler und weiße Tücher gewickelte Babypuppe, die von Yurio kopfüber am Fuß gehalten wird. Das arme Kind, denke ich mir noch und in diesem Moment geben Axel, Lutz und Loop die Bühne frei.

Minami-kun hüpft nach draußen, er tanzt ein bisschen hier, ein bisschen da, begutachtet den Sack mit den Geschenken und klaut sich ein kleines; er dreht sich ein paar Mal um die eigene Achse und bemerkt schließlich das Publikum.
 

Minami (Puck):

„He, ihr da, Menschen! Oberon feiert heute hier ein Fest! Gebt Acht, und staunt, wie Elfen Feste feiern!

Ihr fragt warum? Nun, ich will's euch sagen!

Nach langem Warten wurden Elfenherr und Weib

beschenkt mit einem schönen Knaben!

Und seht, hier kommt das Paar in Glanz und Gloria,

der Herr Oberon und seine Frau, Titania!“
 

Minami-kun verbeugt sich, springt auf Seite und Otabek und Yurio schreiten herrschaftlich auf die Bühne; Yurio sichtlich mit Schwierigkeiten das Grinsen aus seinem Gesicht zu wischen, aber immerhin hält er das Kind jetzt ordentlich. Otabek dagegen scheint sich in seiner Rolle als umgarnenden Herrscher und stolzen Vater durchaus wohlzufühlen und macht Yurio sehr elegant und gentleman-like den Hof.
 

Yurio (Titania): „Schon sonderbar, was wir so alles hörten. Von Weisen aus dem Morgenland, Sternen am Himmel und Geschenken!“
 

Otabek (Oberon): „Mehr wunderlich als wahr. Glaubst du an diese Botschaft, diesen Engelszauber? Sterndeutern steht der Kopf woanders, und die Chöre singen, mehr als ein klarer Kopf verstehen kann.“
 

Beide nehmen auf den Stühlen Platz, Yurio legt die Puppe in die Wiege und Minami-kun kommt direkt wieder zu Ihnen geschlendert. Er verbeugt sich übertrieben.
 

Otabek (Oberon): „Als denn, sag' an! Mit welchen Reden, Dramen und Tänzen erschlagen wir die Zeit, bis Glocken uns die frohe Stund' verkünden?“
 

Minami (Puck): „Zu Diensten! Ein Wunschzettel für Euch, mein Herr!, und Ihr wählt aus! Bestimmt das Schauspiel, sei's grandios oder Graus'!“
 

Otabek nimmt besagten Wunschzettel entgegen und hält ihn so, dass Yurio mitschauen kann, während er die Auswahl vorliest. So langsam werde ich nervös und drehe mich zu Viktor, Georgi und Mila um. Von unserem Überraschungsgast fehlt noch jede Spur. Nishigoris Lampenfieber wächst von Minute zu Minute und er schwitzt bereits mehr als wir alle zusammen. Er übernimmt zwar nur den Prolog, aber hoffentlich schafft er diesmal durch den Text zu kommen, ohne sich zu versprechen.

Und auch danach bleibt es spannend, denn Yurio und Otabek haben ab dem Prolog von den Drillingen nur noch die Anweisung bekommen, sich „ihrer Rolle entsprechend so natürlich wie möglich“ zu verhalten. Die Beiden haben also weder eine konkrete Anweisung, noch eine Ahnung, was gleich auf sie wartet. Aber sie dürfen es nach Herzenslust kommentieren. Halleluja.
 

Otabek (Oberon): „<Langweilig kurzes Stück vom jungen Pyramus und seiner Liebsten Thisbe – eine tragische Erheiterung>. Heiter und tragisch? Langweilig und kurz? Das klingt wie heißes Eis und kalte Himbeeren!“
 

Minami (Puck): „Das Stück, mein Fürst, ist nur zehn Verse kurz – und selbst die ist es schon zu lang! Darum wird’s laaaaangweilig. Im ganzen Stück, ich verrat' es schon, stimmt nicht ein einz'ges Wort – und auch kein Spieler. Der Pyramus, mein Herr, er stirbt am Schluss. Ein Tod, bei dem ich wahrlich lachen muss!“
 

Yurio (Titantia, grinsend): „Oi, wer spielt das denn?“
 

Minami-kun hüpft herum zu Yurio, verbeugt sich abermals, dreht sich zum Publikum und gestikuliert zu seinen folgenden Worten überaus dramatisierend: „Hirten! Vom Felde! Die nie mit dem Geist geschafft und dieses Stück sich abgerungen haben!

Zu Eurer Feier, edler Elfenherr! Und wenn's vorbei ist, werden alle klagen!“
 

Otabek (Oberon): „Wohl an, wir wollen's sehen!“
 

Minami-kun schreit entsetzt auf, fällt auf die Knie; das Publikum lacht.
 

Minami (Puck, bettelnd): „Neiiiin! Mein Herr! Niemals ist dieses Stück Euch würdig!“
 

Otabek (Oberon, unbeirrt): „Ruf sie her, die Hirten vom Feld. Los, los!“
 

Minami-kun steht auf, verbeugt sich widerwillig, bis die Nasenspitze seine Knie berührt. Er dreht eine Pirouette und kommt zu uns getänzelt. Yurio und Otabek führen derweil ihr Gespräch auf der Bühne fort.

„Ist die Wand schon da?“ fragt uns Minami-kun, kaum dass er uns erreicht. Wir alle schütteln den Kopf. „Ohhh, das ist schlecht! Ich muss wieder, aber Yuuri-kun, Viktor-san: Ganba!“

Viktor und ich schauen uns fragend an. Was sollen wir schaffen? Es geht doch nur um jemanden, der eine Wand darstellen soll? Gut, der Dialog von uns beiden hat es in sich, aber mittlerweile sind wir so abgestumpft, dass wir diese <tragische Erheiterung> auch ohne mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen hinbekommen. Haha, gegen die Wand rennen.... oh, mein Hirn ist schon so durch wie das ganze Stück.

Nishigori hat zwischenzeitlich mit zittrigen Beinen und in seinem improvisierten Samurai-Kostüm die Bühne betreten. Angeblich war nichts anderes aufzutreiben, denn nicht jeder hat wie wir Eisläufer einen Fundus an Kostümen zuhause, aber gerade weil es überhaupt nicht in den Kontext passt, passt es wieder perfekt. Es steht ihm sogar überraschend gut.
 

Nishigori (Squenz): „Wenn wir missfallen, ist es unser Wille / dass ihr nicht denkt... wir kommen zu gefallen! / Missfallen ist unser Streben / und Widerwillen regen! Niemals! Und nicht / zu Euer Freunden – allein zu Leiden / erscheint die Truppe, zum Schauspiel inspiriert / ein Stück, das sogar Ihr kapiert!“
 

Yurio (Titania, zu Otabek): „Ey, ist der Typ so nervös oder ist der Text einfach der reinste Bullshit?!“
 

Mila tippt mich an: „Yuuri! Viktor! Die Wand ist da!“

Wir drehen uns um und unsere Erleichterung, dass wir endlich komplett sind, hält für genau eine Sekunde. DAS ist nicht euer Ernst?!?!?!
 

Otabek (Oberon): „Wo ist der Rest der Truppe?“
 

Wir haben keine Zeit mehr nachzudenken, wir müssen raus. Das wird der schlimmste Auftritt unseres Lebens... Ich habe echt mit allem gerechnet, aber nicht damit. Und Viktor auch nicht. Ihm wird selten etwas peinlich oder unangenehm, aber genau jetzt in diesem Moment, bin ich mir sicher weiß auch er, wie sich Fremdschämen anfühlt. Und ehrlich, es hätte nicht schlimmer kommen können...
 

Da stehen wir nun geschlossen auf der Bühne, die Zuschauer klatschen und johlen vor Begeisterung.

Viktor und ich tragen unsere Outfits von Duetto und sind damit von uns allen noch am Normalsten gekleidet, abgesehen davon, dass ich noch einen Gürtel und ein kleines Schwert aus Pappe bei mir habe und Viktor seine rot-weiße Trainingsjacke überm Arm hält. Mila hat ihren ganz normalen schwarzen Trainingsanzug an, eine von Yurios Leoprintjacken übergeworfen, gelbe Löwenplüschtatzen an Händen und Füßen und eine Löwenmaske auf dem Kopf. Georgi trägt sein Carabosse-Outfit, dazu hat er eine Laterne bekommen, ein paar Zweige und die Makkachinbox zieht er auf einem kleinen Schlitten befestigt hinter sich her. Ich habe das heute morgen zur Generalprobe schon gesehen und dachte bis jetzt eigentlich, dass Georgi der absolute Hit unserer Gruppe wäre, wenn ich nicht seit einigen Sekunden wüsste, dass unsere Wand von niemand Geringerem als Christophe Giacometti gespielt werden würde.

Man hat ihm aus einem Karton ein „Wandkostüm“ gebastelt, aber die Klassenkameraden von Axel, Lutz und Loop haben seine Größe von 1,83m wohl etwas unterschätzt. Der als Wand mit Backsteinen bemalte Karton endet nämlich schon auf Höhe seiner Hüften, Löcher für die Arme gibt es nicht und dieses Miniloch auf der Vorderseite ist so klein, dass Chris niemals seine Hand durchbekäme, selbst wenn er versuchen würde, seinen Arm in eine Position dafür zu bekommen. Er ist im wahrsten Sinne in seinem Kostüm eingemauert... aber mit bester Beinfreiheit und weißen Leggins und ich will einfach nur noch sterben.
 

Nishigori (Squenz): „Überrascht Euch diese Truppe, dann schaut gut hin!

Dieser Mann, mit Schwert und Edelmut, ist Pyramus-“
 

Ich mache einen Schritt nach vorne, zeige mein Pappschwert, ernte tosenden Beifall vom heimischen Publikum und trete zurück in die Reihe.
 

„Und diese Schönheit Thisbe ist!“
 

Viktor wirft den Zuschauern einen Handkuss zu und zwinkert, der Beifall hat ein paar Oktaven zugelegt, aber von seiner sonstigen Souveränität bei Auftritten ist gerade nicht mehr viel übrig. Er muss sich wirklich anstrengen, die Fassung zu behalten.
 

„Der Mann, so groß und hart wie Stein,“
 

Viktor sucht hilflos meinen Blick, während Chris sich einige Male um die eigene Achse dreht, damit man ja von allen Seiten sehen kann, dass er zur Hälfte in einem Karton steckt.
 

„präsentiert die Wand! Durch deren Spalte jämmerlich

die Liebenden nur flüstern konnten, elendig!

(er macht eine Pause)

Der Mann mit Lampe, Hund und Zweigenbusch

den Mondschein deklariert!

Sein Licht den Weihnachtsmarkt schon oft erleuchtet hat

wo das Paar bei Nacht so manche Stund verbracht'!“
 

Georgi zeigt die Laterne, die Zweige und zieht an der Leine, dass der Schlitten über die Bühne schleift. Ich riskiere einen Blick zu Yurio und Otabek und kann die blanke Fassungslosigkeit in ihren Gesichtern sehen. Vor allem bei unserer kleinen Agape. Diese Liebe wird sowas von grenzenlos, ich kann's schon spüren.
 

„Das Ungeheuer, das man Löwe nennt!“
 

Mila zieht ihre Maske ins Gesicht und krabbelt auf allen Vieren nach vorne, dann brüllt sie – oder versucht es zumindest. Nishigori hat sich so langsam eingeredet und der Prolog nimmt Fahrt auf, den wir alle mit entsprechender Mimik und Gestik noch weiter veranschaulichen:
 

„Die treue Thisbe kommt bei Nacht allein,

der Löwe sie erschreckt, oh nein!

(Mila springt in Viktors Richtung, er versteckt sich hinter mir)

Beim Flüchten dann der Mantel von ihr flattert,

(er wirft die Trainingsjacke nach vorne)

der Löwe fetzt den Mantel rot!

(Mila spielt mit der Jacke, lässt sie fallen)

und Pyramus findet Thisbes Mantel, tot!

(ich hebe die Jacke auf)

Er nimmt sein Schwert, so scharf und sticht

bis im Leib' das Herz zerbricht

(ich ersteche mich theatralisch)

und Thisbe, leidvoll anzusehen

nimmt ebenfalls das Schwert und stirbt!

(Viktor imitiert meine Bewegungen, aber ohne Schwert)

Doch lasst nun Löwe (Mila faucht), Mondschein (Georgi schwenkt die Laterne), Wand (Chris grinst) und Liebespaar (wir grinsen nicht),

erzählen, wie das Drama wirklich war!“
 

Yurio (Titania): „Ey, was soll der Mist?! Das ist Romeo und Julia für Arme und in Schlecht!“
 

Otabek (Oberon): „Ich glaube, das muss so sein, Yura...“
 

Alle Hirten außer Chris gehen zurück in den Aufgang zur Bühne, also nicht komplett außer Sicht des Publikums, aber weit genug weg, um Platz für die handelnden Akteure zu lassen.

Das würden die schlimmsten Sekunden an diesem Abend für Viktor und mich werden. In diesen Sekunden, in denen Chris seinen Auftritt als Wand hat, entscheidet sich, ob unser Abend einfach nur peinlich oder der Peinlichste überhaupt wird. Gefühlt würde ich jetzt Alkohol und eine Stange bevorzugen.

„Yuuri,“ flüstert Viktor mir zu, „egal was passiert, versprich' mir, dass wir unsere Hochzeitsnacht heute haben werden.“

„Alles, Viktor, alles,“ entgegne ich, „der Gedanke an dich ist das, was mich ermutigt, das hier durchzustehen.“

Er schenkt mir ein gequältes Lächeln. „Ich liebe dich.“

„Ich dich auch.“

Dann steht Chris in seinem Wandkarton vor Otabek und Yurio bereit.
 

Chris (Wand): „In diesem Stück hat man mich verwandt,

dass ich - der Hirte Schnauz - verkörper' eine Wand!

Und diese Wand - ich bitte - hat einen Riss, 'ne Spalte, in der Mitte!“
 

Zack.

Viktor und ich schlagen die Hände vors Gesicht. Er hat es wirklich getan... Chris steht halb im Spagat auf der Bühne...! Er hätte eigentlich die Hand durch das Loch im Karton führen und lediglich zwei Finger spreizen sollen...!
 

„Durch diese Spalte Thisbe ihrem Pyramus,

nachher noch ziemlich leise wispern muss!

Gips, Mörtel und Karton beweisen klar,

Die Wand ist echt, doch sonderbar,

dass dieser Spalt, waagerecht, nein senkrecht, eng und düster

ist der geheime Platz für ihr – (er zwinkert) Geflüster.“
 

Die Zuschauer grölen vor Lachen. Viktor hält die Hände immer noch vor sein Gesicht: „Ich verzeih' dir alles, Yuuri, alles, aber lass' es uns einfach nur zu Ende bringen.“

Ich kann ihm nichts mehr antworten. Mein Herz schlägt schmerzvoll vor Nervosität, als ich die Bühne betrete.

Ich stelle mir einfach vor, ich bin in einem Computerspiel und Chris ist der Endgegner. Meine Spezialattacke? Ein scheiß Text. Meine Hoffnung? Ich werde am Ende sterben – so und so, weil ich den Speicherpunkt verpasst hab.
 

Chris steht wieder normal vor mir.
 

Otabek (Oberon): „Hier kommt Pyramus!“
 

Ich schreie fast und will von der Bühne rennen. Das war ein Hinterhalt! Yurio lacht sich Einen ab, Chris grinst weiter süffisant, während ich versuche, meine Konzentration zu retten. Ok. Ganz ruhig. Meine Spezialattacke. Der Text. Konzentrieren.
 

Yuuri (Pyramus) (übertrieben leidend):

„Oh, Nacht! Oh Nacht voll zu viel Sehnsucht!

Oh Nacht, die trinkt, sobald der Tag vorbei!

Oh Nacht, ich darbe, darbe, darbe!“

(ich wende mich der Wand zu)

„Oh Wand! Du wohl vertraute Wand!

Stehst zwischen unser beider Elternhaus!

Zeig' deinen Spalt, dass ich späh' Thisbe aus!“
 

Zack.

Oh nein.

Chris hat den halben Spagat andersrum gemacht...! Er steht jetzt breitbeinig vor mir und sieht mir direkt ins Gesicht...! Es tut mir leid, Viktor, es tut mir so leid, aber die Arschkarte hast du jetzt... Bei meinem fassungslosen Gesicht lacht Yurio noch viel mehr und irgendwie muss ich auch anfangen, mitzulachen... auf eine irrational groteske Art und Weise. Es ist einfach so bescheuert, dass ich weinen müsste, wenn ich nicht lachen täte. Eine tragische Erheiterung.

Ich fahre fort:
 

„Oh Wand, ich danke dir für deine Breitbeinigkeit!

(ich beuge mich nach unten und schaue unter Chris hindurch)

Doch halt! Was seh' ich?! Thisbe seh' ich nicht!

Mistwand! Fluch' deinem Stein! Du lügst mir ins Gesicht!“
 

Ich warte. Das war Viktors Stichwort.
 

„Fluch' deinem Stein, du lügst mir ins Gesicht!“ wiederhole ich, etwas lauter. Vielleicht hat er es nicht gehört?
 

Otabek (Oberon, zu Yurio): „Ob die Wand zurück fluchen sollte?“
 

Yurio (Titania): „Am Arsch, der Alte hat den Text vergessen, ganz einfach!“
 

Das glaube ich weniger, aber dann eben improvisieren. Ich verlasse meine Position und gehe zu Otabek und Yurio, verbeuge mich nett und grinse blöd.
 

Yuuri (Pyramus): „Mein Herr, verzeiht. 'Du lügst mir ins Gesicht' ist Thisbes Stichwort. Dann muss sie die Bühne betreten, sonst kann ich sie nicht ausspähen. Oh, seht her, da kommt sie!“
 

Ich gehe zurück auf meine Position vor Chris und sehe Viktor auf mich zukommen. Sein Gesicht hat beinahe die Farbe seines Jacketts. Was ist denn jetzt kaputt, dass Viktor aussieht, als würde er vor Peinlichkeit gleich im Boden versinken wollen? Weil er freie Sicht auf den Hintern von Chris in Leggins hat? Kann ich mir kaum vorstellen. Den Hintern von Chris kennt jeder von uns und Viktor sowieso, das sollte ihn wirklich nicht so schockieren...

Viktor setzt sich hinter der Wand auf den Boden und räuspert sich leise; schluckt hinunter, was auch immer in seinen Gedanken war und legt den Handrücken an die Stirn um zu lamentieren.
 

Viktor (Thisbe): „Oh Wand, wie oft hab ich hier klagen müssen! Weil du mein' Pyramus von mir getrennt! …..... (flüstert zu Chris) Kann ich improvisieren?“ (> . <)
 

Chris (Wand): (flüstert nach hinten, grinst selbstgefällig) „Nein, schön weiter im Text.“
 

Viktor (Thisbe, lamentiert weiter): „Meine Lippen, so spröde von einsamen Küssen!

Mit einer Arie lass' ich mein Leid dich wissen!“
 

Yuuri (Pyramus, horcht auf): „Ich seh' ihre Stimme!

Gleich muss ich schauen, ob ich Thisbes blaue Augen hör'!

(ich setze mich auf die Knie, schaue wieder unter Chris hindurch, sehe Viktor)

Oh Thisbe!“
 

Viktor (Thisbe, horcht ebenfalls auf): „Oh Pyramus! Siehst du mich? Bin ich deine Schöne?!“
 

Yuuri (Pyramus, rutscht näher zu Chris, verzückt): „Du bist die Schönste, die mein Herz geliebt'!“
 

Viktor (Thisbe, breitet die Arme aus): „Mein Liebster, dir will ich treu sein bis ans Ende uns'rer Liebe Band!“
 

Yuuri (Pyramus, rutscht noch näher): „Oh Geliebte, küss' mich durch das Loch von dieser Wand!“
 

Das Publikum hält den Atmen an.

Ok, Viktor, Augen zu und durch... solange Chris einfach nur still hält ist alles gut. Wir stehen das zusammen durch und später machen wir das nur für uns ohne hellhörige Wände... Viktor dreht sich zu mir, rutscht in meine Richtung.
 

Viktor (Thisbe, beugt sich vor): „Durch das Loch küss' ich deine–“
 

Chris (Wand): „Ich glaub', ich –“
 

Yuuri (Pyramus, springt entsetzt auf): „OK, WIR HABEN UNS GEKÜSST, Thisbe, willst du mich später bei der Kirche sehn?!“
 

Viktor (Thisbe, springt ebenfalls auf): „Ob tot oder lebendig, ich warte bis in Episode 10!“
 

Yurio (Titania): „KATSUDON, sach' ma, habt ihr gesoffen bevor ihr auf die Bühne seid?! Lasst' die obszöne Kacke gefälligst zuhause!“
 

Hilfe! Ich kann Yurio gerade nicht in die Augen sehen, höre nur noch das Grölen und Johlen des Publikums. Viktor reicht mir seine Hand, zusammen verlassen wir so schnell es geht die Bühne und stehen vor dem Rest der Gruppe, die alle so breit grinsen, dass es schon wehtun muss. War das peinlich! Ich hoffe allen Ernstes, Chris hat das eben nur einfach so gesagt. Ansonsten glaube ich, müsste ich ihn umbringen. Viktor umarmt mich und vergräbt seinen Kopf in meiner Schulter. Ich halte ihn, aber meine Augen fixieren Chris.

Wenn Blicke töten könnten... Wobei, Yurio macht das gerade auch sehr gut. Unsere kleine Agape hat 'nen Mordsspaß und diese Schimpfwörter dazu... Ich überlege einen Moment, dann murmele ich: „Gut so, Yurio! Er hat's verdient!“

Auch Viktor steigt mit ein: „Ja, nieder mit der Wa – !“

Oh Shit.

Er hat getreten. Ein „Ooohhhh“ geht durch die Halle, denn der Karton ist am Arsch. Also, am Arsch und am Arsch.
 

Chris (Wand, mit unschuldigem Gesicht): „Sieh an, ich Wand erfüllte meinen Zweck,

vollends zerstört, die Wand ist weg!“
 

Otabek (Oberon, eindringlich): „Yura, hör' auf das Bühnenbild zu demolieren! Denk' an deine Rolle! Sei einfach du selbst... also schön…und elegant...und faszinierend...“
 

Yurio (Titania, feuerrot im Gesicht): „…elegant und faszinierend...?“
 

Otabek (Oberon, steht von seinem Stuhl auf, kniet vor Yurio und hält ihm seine Hand hin): „Meine Königin; wollen wir dies' Schauspiel weiter ansehen, oder wollen wir's nicht?“
 

Ich staune nicht schlecht. Otabek weiß nicht nur seine Rolle zu spielen, er weiß auch, wie er mit Yurio umzugehen hat, denn unsere kleine Abrissbirne nimmt verlegen wieder neben den Kasachen Platz und hat plötzlich etwas sehr Holdes und Bezauberndes an sich.

Derweil sind Mila und Georgi zur Mitte der Bühne gelaufen, nun da Chris abgetreten ist. Er steht mit etwas Sicherheitsabstand zu uns hinter Minami-kun und er weiß ganz genau, warum er besser nicht näher kommt, denn auch Viktors Gesicht hat mittlerweile mörderische Züge angenommen.

Dann beginnt Mila mit ihrem Text und um besser verstanden zu werden, hat sie die Löwenmaske wieder abgesetzt.
 

Mila (Löwe): „Ihr sanften Elfen, lieblich anzuschaun,

Voll Reinheit, zart und unschuldig –

kriecht nicht vor Ängsten zitternd aus dem Raum,

wenn gleich ein Löwe brüllt wie KÖNIGLICH!

(sie demonstriert Drohgebärden in Richtung Yurio, macht eine kurze Pause, dann grinst sie)

Doch wisset, dass ich nur ein Hirte bin,

Kein Löwe nicht, und nicht Löwin,

Käm' ich als echter Löwe mit Gebrüll im Rachen,

Da hättet ihr, und ich, gewiss nichts mehr zu lachen!“

(sie geht zu Yurio und kneift ihm in die Wange, der ihre Hand sofort wegschlägt)
 

Yurio (Titania): „Lass' bloß die Finger weg, Alte! Selbst Pocha hat mehr von einem Löwen als du!“
 

„Wupsi!“ neckt ihn Mila und entfernt sich von Yurio, geht neben dem Weihnachtsbaum in die Hocke und setzt ihre Maske wieder auf. Sie lauert.
 

Otabek (Oberon): „Der Löwe ist nur besorgt.“
 

Yurio (Titania, jetzt elfengleich breitbeinig auf dem Stuhl sitzend): „Der Löwe ist ein Witz.“
 

Otabek (Oberon): „Schau, der Mond geht auf.“
 

Yurio (Titania): „Oi, Georgi.“
 

Georgi (Mond): „Diese Laterne stellt das Mondlicht dar-“
 

Yurio (Titania): „Bei den Augenringen wird’s aber dunkel.“
 

Otabek (Oberon): „Es ist Neumond. Da braucht er Licht.“
 

Georgi (Mond, setzt erneut an): „Diese Laterne stellt das Mondlicht dar.

Ich selber bin der Mann im Mond-“
 

Yurio (Titania, genervt): „Tz, ein helles Stück Dunkel.“
 

Georgi (Mond, jetzt beleidigt): „Banause. Alles, was ich zu sagen habe, ist dass die Laterne der Mond ist, ich der Mann im Mond, der Zweig mein Zweig und der Hund mein Hund ist.“
 

Yurio (Titania): „Na denn. Da, der Alte.“
 

Viktor ist auf die Bühne getreten, die Trainingsjacke hängt über seinen Schultern. Er schaut sich suchend um. Georgi beginnt mit erhobener Laterne stolz umher schreitend Kreise um Viktor zu ziehen. Mila versucht gerade, irgendwie ihre Hände zu sortieren, was ihr durch die Plüschtatzen nur schwer gelingt. Außerdem lockert sie ihre Beine.
 

Viktor (Thisbe): „Hier ist die Kirche, wo ist mein Liebster?“
 

Mila (Löwe, nimmt zwei Schritte Anlauf, springt): „Roooooaaaar!“
 

Viktor (Thisbe, bleibt ungerührt stehen): Das war's? (° _ °)
 

Mila (Löwe, fuchtelt wild mit den Armen): „IT'S JJ-STYLE!!!“
 

Viktor wirft mit gespieltem Schreck die Trainingsjacke von seinen Schultern, rennt einen Kreis um Georgi, der total verwirrt reagiert, weil er eigentlich Viktor umkreisen soll und Mila ist Viktor auf den Fersen, die weiterhin „JJ-Style, JJ-Style!“ hinter ihm her ruft. Das Publikum feiert vor Begeisterung und ich glaube, ein paar haben schon Tränen in den Augen vor Lachen.

Als Viktor von der Bühne geflohen ist, hüpft Mila wieder zurück zur Jacke und kämpft auf dem Boden herumrollend damit, erntet wilde Anfeuerungsrufe der Zuschauer, bis sie mit mäßigem Erfolg die Innenseite nach außen gekehrt hat und die Jacke nicht mehr vorrangig weiß, sondern rot ist. Danach trottet sie, zufrieden eine Jacke erlegt zu haben, zurück zu uns hinter die Bühne. Was für ein blutrünstiges Spektakel.
 

Yurio (Titania): „Der Löwe ist nicht nur ein Witz, sondern auch noch ein schlechter!“
 

Dann warte ab, Yurio. Jetzt bin ich wieder dran. Ritterlich schreite ich zurück auf die Bühne, in Erwartung meiner Liebsten. Georgi beginnt, mich zu umkreisen.
 

Otabek (Oberon): „Da kommt Pyramus!“
 

Der war alt, das zieht nicht mehr, denke ich und grinse innerlich. Mit einem erhabenen Ausdruck trete ich neben Georgi.
 

Yuuri (Pyramus): „Oh Mond, dass du so helle scheinst heut' Nacht!

Ich dank' dir, Mond, für dein Laternenlicht!

Mit dem du über mir und Thisbe wachst!“
 

Dann fällt mein Blick auf die Trainingsjacke. Ich falle auf die Knie, hebe die Jacke auf und fahre schockiert fort:
 

„Doch halt! Oh Schreck!

Seht da! Ein Fleck!

Trügt mich der Schein – wie kann das sein?!

Ihr Mantel gut – befleckt mit Blut!“
 

Ich halte die Jacke vor mein Gesicht und schluchze hinein. Eigentlich ist das der angenehmste Teil des ganzen Stücks. Die Jacke riecht nach Viktor und deswegen lasse ich mir durchaus Zeit, meinen tragischen Verlust zu verarbeiten. Ganz uneigennützig natürlich.
 

Yurio (Titania, rollt die Augen): „Krieg' dich wieder ein...“
 

Yuuri (Pyramus): „Warum nur, muss ich dem Unglück frönen?

Ein Löw' mein Herz mit Trauer hat beschmiert!

Sie ist – nein, war, die Schönste aller Schönen,

Sie lachte, lebte, ungeniert!“
 

Yurio (Titania, entsetzt): „Der Alte behält die Klamotten aber an!“
 

Ich pruste in die Jacke. So hab ich das noch gar nicht gesehen gehabt...! Und sofort diese Bilder in meinem Kopf...! Konzentrieren, Konzentration! Das große Finale. Ich muss jetzt sterben. Heroisch ziehe ich mein Schwert.
 

Yuuri (Pyramus): „Ich zög're nicht!

Nun denn Schwert, stich'!

Durchbrich' die Brust,

mir armen Pyramus!“
 

Ich stecke das Schwert unter meine Achsel und lasse mich nach hinten fallen. Dann richte ich mich abermals auf, das Schwert fällt auf den Boden.
 

Yuuri (Pyramus): „Nun bin ich tot,

vorbei die Not.

(ich strecke meine rechte Hand in die Luft)

Mond, lösch' dein Licht,

Mond, scheine nicht.

'S ist aus (ich sinke zurück), aus (noch ein bisschen mehr), aus (ich bin tot)!“
 

Yurio (Titania): „Ey, das war der dümmste Tod, den man sterben kann...“
 

Otabek (Oberon): „Gleich nimmt's ein Ende.“
 

Ich habe gehört, wie Georgi nach meinem dramatischen Dahinscheiden die Bühne verlassen hat, und die Schritte, die ich jetzt vernehme, sind die von Viktor. Da ich tot bin, habe ich meine Augen geschlossen und ich kann mich nur auf meine Ohren verlassen, um dem Geschehen zu folgen. Viktor bleibt neben mir stehen, dann fällt auch er auf die Knie.
 

Viktor (Thisbe, verwundert): „Schläfst du, mein Pyramus?

(dann erschrocken)

Was tot, zum allem Unheil Überfluss?!

(er fängt an mich zu stupsen, ich beginne zu zappeln)

Schau' mich an und sprich' mit mir!

Warum nur lässt du mich alleine hier?!

(er macht eine Pause und trifft eine Entscheidung)

Komm' edles Schwert!

Der Liebe Schwur war's wert!“
 

Es bleibt still, dann höre ich Viktor flüstern: „Yuuri... du liegst auf dem Schwert, gib' es her.“

Oh Shit. Ich halte meine Augen weiter geschlossen, greife unter mich, halte das Pappschwert hoch. Ich bin eindeutig der lebendigste Tote, der jemals gelebt hat. Viktor nimmt es mir ab und fährt fort im Text:
 

„Ade, du schöne Welt,

Ade, auch Thisbe fällt,

Adieu (Pause), adieu (Pause), adieu!“
 

Viktor lässt sich auf mich fallen und liegt quer auf meinem Bauch und es ist gut, dass wir ab hier keinen Text mehr haben, denn das war der Moment, ab dem bei unseren Proben zuhause je nach Gekichere und Fallposition von Viktor nicht mehr unbedingt der Text im Vordergrund stand. Um aber irgendwann einmal komplett durch den Text zu kommen, haben wir vereinbart, dass es die letzten Tage bis zur Aufführung nur noch dann ein glückliches Ende gibt, wenn wir die Proben ernsthaft ohne zu lachen überstehen. Die Theorie war gut, in der Praxis hat es null funktioniert. Der Text hat nämlich alles gekillt, sodass wir ausgerechnet wegen gelungener Proben seit einigen Nächten unfreiwillig abstinent sind. Ich kann es also gar nicht glauben, dass es jetzt so gut wie vorbei ist und wir in zwei oder drei Stunden endlich in unserem Zimmer zuhause sind... und dann...
 

Yurio (Titania, genervt): „Sach' ma, passiert da noch was oder ist jetzt tote Hose angesagt?“
 

Yuuri (Pyramus; springt auf): „NEIN!“
 

Yurio schaut mich bedeppert an. Otabek auch. Verdammt. Ich hatte zu viel Kopfkino.
 

„Eh, würde es belieben, unseren Tanz zu sehen?“ frage ich schnell, um die Situation noch zu retten. Der Tanz. Das Highlight. Georgi, Mila und Chris sollten hoffentlich mit Umziehen schon fertig sein. Viktor und ich würden gleich folgen, aber Viktor muss das Totsein gerade wieder sehr perfekt spielen und rührt sich keinen Millimeter.
 

Otabek (Oberon, erleichtert zu Yurio): „Meine Königin?“
 

Yurio (Titania, schaut zu Otabek, grinst dann zu mir): „Schlimmer kann's net werden. Haut' rein, Katsudon.“
 

Ich grinse dankend zurück und rolle Viktor von mir runter, der jetzt auch nach seinem Empfinden lange genug tot war. Zusammen laufen wir von der Bühne an Minami-kun vorbei, der mit einem Mikrofon zurück auf die Bühne tänzelt. Das Licht wird gelöscht, Minami-kun bekommt ein Spotlight und die Scheinwerfer über der Eisfläche gehen an. Ein erwartungsvolles „Ahhhhhh“ geht durch die Zuschauerreihen. Viktor und ich müssen jetzt in Windeseile die Kostüme wechseln und die Schlittschuhe anziehen, solange Minami den abschließenden Monolog auf der Bühne hält.
 

Minami (Puck; an das Publikum gerichtet):

„Wenn wir Elfen euch beleidigt,

ist der Fehler schnell beseitigt.

Denkt, dass euch ein Schlaf befiel

Während uns'rem Krippenspiel.

Tadelt uns nicht für Moral,

seht den Spaß daran, zumal

anstelle dieses Firlefanz,

Erwartet euch ein bess'rer Tanz.

Ich heiße Puck und halte Wort,

Ein frohes Fest euch allen dort!“
 

Er verbeugt sich, das Publikum klatscht euphorisch und jubelt. Mila ist schon fertig und gibt Minami-kun vom Rand der Eisfläche aus den Daumen hoch. Sie ist die Erste, die das Eis betreten wird. Das Löwenkostüm hat sie ausgezogen und trägt über ihrem Trainingsanzug stattdessen ein durchaus knappes Santakleidchen und eine rote Zipfelmütze mit weißem Bommel auf dem Kopf. Wenn sie gleich ihre Runde über die Eislaufbahn drehen wird, um sich bei den Zuschauern zu bedanken, kann sie tun was auch immer ihr beliebt und sobald sie wieder am Start ist, wird Georgi sie ablösen. Er hat sein Carabosse-Oufit gegen eine grüne Weihnachtswichtelhose mit Hosenträgern und einen rot-weiß gestreiften Pullover getauscht. Wie Mila trägt auch er eine Zipfelmütze.

Nach Georgi ist Chris an der Reihe, der einfach eine lange, weiße Robe mit kleinen Engelsflügeln und einem gold-glitzernden Heiligenschein bekommen hat. Danach bin ich dran, mit Rentiergeweih auf dem Kopf und roter Nase im Gesicht. Mein Kostümwechsel geht schnell, denn Nase und Geweih sind mit wenigen Handgriffen in Position und statt meinem Duetto-Jackett werfe ich mir ein anderes aus braunem Cord über. Nur unser Weihnachtsmann hat gerade ein bisschen Stress, denn Viktor muss nicht nur komplett aus den vorherigen Sachen raus und in eine rote Hose, Mantel und Mütze rein, er muss auch irgendwie diesen Bart an sich befestigen und bisher hat es nie funktioniert, dass dieser bis zum Ende der Perfomance noch in seinem Gesicht war und nicht irgendwo auf der Eisfläche lag. Ich finde zwar, dass ihm das Kostüm auch ohne Bart steht, aber was tut man nicht alles für die lieben Kleinen.

Wenn jeder von uns eine Runde auf dem Eis gelaufen sein wird, werden wir zu fünft rausfahren; Yurio und Otabek werden uns die Geschenke aus dem Sack zuwerfen, die wir an das Publikum und vor allem an die Mitschüler von Axel, Lutz und Loop verteilen werden. Dabei sollen wir natürlich ordentlich Show machen und für Stimmung sorgen – so die Anweisung der Drillinge, aber das würde das geringste Problem sein. Unser Lied hat einen schönen Rhythmus und Minami-kun wird uns den Text dazu sogar live singen.
 

Jetzt wo das Stück vorbei ist und wir alle so weihnachtlich angezogen sind, schwindet auch das Gefühl des Fremdschämens und ich freue mich, gleich mit allen aufs Eis zu gehen und für etwa drei Minuten lang einfach nur Spaß zu haben. Viktor nimmt meine Hand, sein Bart ist in Position und die Glocken im Lied läuten schon.

Jetzt grinsen auch wir.
 

~ENDE~


Nachwort zu diesem Kapitel:
Frohe Weihnachten!

Ich hoffe, ihr hattet Spaß – Feedback jederzeit gerne gesehen! (> v <)"
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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  vorsicht_bissig
2018-03-15T09:48:03+00:00 15.03.2018 10:48
Wie geil!! X'D
Ich hab vor lauer Lachen weinen müssen!

Pyramus kommt; die Wand 😂; Ich warte bis in Episode 10 😍; der Karton ist am Arsch, also, am Arsch und am Arsch;
Ist jetzt tote Hose angesagt? NEIN!! 😂😂

Ich kann nicht mehr! 😂😂😂😂😂

Hat unheimlich viel Spaß gemacht! Danke! 😘
Antwort von:  Flokati
15.03.2018 12:25
Ich freu mich, wenn es dir Spaß gemacht hat - ich hatte auch Spaß beim Schreiben ;3
Vielen Dank!
Von:  Lexischlumpf183
2018-02-12T21:39:10+00:00 12.02.2018 22:39
Wie cool, hab Tränen gelacht. Supertolle Story, schön geschrieben 👍👍👍😁😁😁😁
Antwort von:  Flokati
13.02.2018 06:57
Vielen Dank, das freut mich sehr :D
Von:  --lina--
2017-12-21T20:57:04+00:00 21.12.2017 21:57
Bravo!
Famos! Famos!
Ich bin ja so ein Fan von dir ❤️
Danke für diesen Ausflug, ich bin hin und weg!! Die Charaktere sind so grandios gewählt, ich bin furchtbar am lachen! Mein Weihnachtshighlight! ❤️
Ich kann dir nicht mal sagen, was ich am Besten fand.. Aber Chris ist weeeeeeit vorne x'D
Liebe an dich ❤️
Genieß die Feiertage und mögest du uns auch in Zukunft mit so schönen Texten beglücken :D
Antwort von:  Flokati
21.12.2017 22:06
Vielen lieben Dank, Süße <3
Hab ein ganz tolles Weihnachtsfest!

(Und Chris bekommt den Oskar für die beste Nebenrolle |D")
Antwort von:  --lina--
22.12.2017 15:56
Ohja bitte x'D
Den hat er sichtlich verdient!!

Genieß du auch die Ruhe, die Liebe und das Essen! Ich werd die FF mal meiner jüngsten Schwester unterjubeln, dann hast du einen weiteren Fan :D ❤️
Von:  shoi
2017-12-21T19:17:24+00:00 21.12.2017 20:17
<3 wieder total genial😍😍😍
Antwort von:  Flokati
21.12.2017 20:31
Danke dir <333


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