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Jahr sechs

FF-Adventskalender Türchen 25
von

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Jahr sechs

Weihnachten war stressig.

Obwohl, eigentlich war das falsch ausgedrückt. Nicht Weihnachten an sich war stressig, es war vielmehr das ganze Drumherum, was ihn regelmäßig beinahe verzweifeln ließ.

Seine Exfrau – wie hätte es anders sein können – sah das natürlich ganz anders. Als sie noch verheiratet gewesen waren hatte es ihn immer amüsiert, wie sehr sie sich im Dekorieren und Geschenke aussuchen und verpacken hatte verlieren können. Von ihrer Essensplanung wollte er gar nicht erst anfangen, auch, wenn er natürlich nicht umhinkonnte zuzugeben, dass sie eine hervorragende Köchin war. Und die Füllung ihrer Weihnachtsgans würde er tatsächlich vermissen.

Obwohl sie was ihre Einstellung zu Weihnachten anging so gegensätzlich waren, diesen Charakterzug hatte er an ihr wirklich geliebt.

Er seufzte. In ihrer Beziehung waren es wohl tatsächlich die Gegensätze gewesen, die sie zueinander geführt hatten. Und der Mangel von diesen hatte sie dann wieder auseinandergetrieben.

Manchmal fand er diesen Gedanken absurd, aber es war die Wahrheit. Sie waren sich zu ähnlich gewesen. Sie konnten beide so verdammt dickköpfig und aufbrausend sein, wodurch sich ihre anfangs doch recht harmonische Ehe bald in einen einzigen großen Streit gewendet hatte. Vielleicht hatten sie auch von Anfang an nicht wirklich zusammengepasst, aber wer wusste das schon? Hätte er die Wahl, er würde wieder zur ersten Verabredung mit ihr gehen. Und zur zweiten. Und er war sich auch sicher, dass er sie – hätte er die Wahl – noch einmal heiraten würde.

Sie hatten zwar nur vier glückliche Jahre miteinander gehabt, aber es waren rückblickend die besten vier Jahre seines Lebens gewesen. Und dann war alles bergab gegangen. Was für andere Paare das verflixte siebte Jahr war, hatte sich für sie als Jahr fünf entpuppt. Schon die kleinsten Dinge hatten sie gegenseitig auf die Palme gebracht. Wenn er vergessen hatte zu tanken, bevor sie am nächsten Morgen mit dem Auto zur Arbeit fuhr, wenn sie wieder einmal den Einkaufszettel hatte liegen lassen und nur mit der Hälfte der benötigten, dafür aber mit einem Haufen sinnloser Dinge vom Einkauf zurückkehrte. Und irgendwann hatten sie das Ende der Fahnenstange erreicht.

Er war froh, dass sie keine Kinder hatten, das hätte die Sache nur zusätzlich verkompliziert. Und es war so schon kompliziert genug gewesen. Irgendwann hatten sie nur noch über Anwälte kommuniziert, ein Umstand, der ihm bis heute Kopfzerbrechen bereitete.

Sie waren beide erwachsen, hätten sie nicht in der Lage sein müssen, die Scheidung – abgesehen von den Teilen, um die sich wirklich ein Anwalt kümmern musste – alleine zu bewerkstelligen? Offensichtlich lag er da falsch. Er musste aber auch zugeben, dass er seinen Teil dazu beigetragen hatte, dass die Situation derart eskaliert war.

Nun befanden sie sich in Jahr sechs, es ging mit riesigen Schritten auf das erste Weihnachten seit ihrer Trennung zu, und ihn nervte einfach alles daran.

Noch nicht einmal Lebensmittel konnte er einkaufen gehen ohne mit Weihnachtsliedern, Produkten in Weihnachtsedition oder Weihnachtsgewinnspielen praktisch bombardiert zu werden. Sogar der Wurststand auf dem Samstagsmarkt hatte Wurstscheiben in Tannenbaumform. Wer brauchte denn sowas? Nicht nur war es vollkommen überflüssig, so bekam man die Brotscheibe doch auch nicht ordentlich belegt.

Auch auf den Straßen der Innenstadt – oder den Straßen generell – gab es kein Entkommen vor dem Weihnachtswahnsinn. Neben der von der Stadt angebrachten Weihnachtsdekoration und dem immer überfüllten Weihnachtsmarkt schienen die restlichen Einwohner ebenfalls vom Weihnachtsvirus erfasst worden zu sein. Anders konnte er sich die vielen Lichterketten, Engel und Sterne nicht erklären, welche beinahe jedes Wohnungsfenster schmückten.

Das war auch einer der Gründe, warum er momentan wenig unterwegs war und nur die nötigen Fahrten zur Arbeit oder zum Einkaufen auf sich nahm.

Ein kleiner Teil von ihm flüsterte ihm beinahe hämisch zu, dass diese Abneigung nur daher rührte, dass der ganze Trubel ihn an sie erinnerte. Dass er sie und ihre Geschäftigkeit rund um Weihnachten vermisste. Er drängte diesen Gedanken immer sehr vehement zur Seite, er verspürte nun einmal wenig Lust, sich mit spontanen Sentimentalitäten auseinanderzusetzen. Sie hatten sich getrennt, sie beide hatten ihre Leben weitergelebt und er sah sich nun nur mit einem Stolperstein auf seinem Weg konfrontiert.

Trotzdem vermied er es, sich mit dem Thema Weihnachten auseinanderzusetzen. Er war bereits viel zu spät zum Geschenke kaufen – nicht, dass er vorgehabt hatte, etwas zu verschenken – aber trotzdem ging ihm dieser Gedanke durch den Kopf. Auch für die Weihnachtsfeier auf der Arbeit hatte er sich bereits entschuldigt. Sich sinnlos betrinken und sündhaft teures Buffetessen in sich hineinstopfen konnte er auch ohne dabei seine Kollegen und deren aufgesetzte Freundlichkeit über sich ergehen lassen zu müssen. Spätestens im neuen Jahr wäre diese Freundlichkeit sowieso wieder verflogen.

Vielleicht war es gerade diese Verbissenheit, mit welcher er sich der Thematik verweigerte, die ihn so aus der Bahn warf, als er die Weihnachtskarte fand.

Eigentlich hatte er nach seinem Ordner mit den Heizkostenabrechnungen gesucht, er war davon überzeugt, dass bei der Aktuellen ein Fehler unterlaufen war und hatte dies nachprüfen wollen. Und dabei war ihm die Mappe mit den Karten in die Hände gefallen. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, alle Grußkarten aufzubewahren, die er erhielt. Seine Exfrau hatte ihn deshalb immer einen Romantiker genannt, vor allem als sie herausgefunden hatte, dass er ab und an die Karten durchsah, wenn ihn die Nostalgie packte. Und aus irgendeinem Grund hatte er, nachdem er die Mappe nun schon in der Hand gehalten hatte, doch einen Blick hineingeworfen.

Die Karte, die er nun in den Händen hielt, war eigentlich ziemlich schlicht gehalten. Ein kleiner Pinguin war darauf zu sehen, verwickelt in eine Lichterkette. Daneben war ein Weihnachtsbaum abgebildet, und die Worte „Alle Jahre wieder“.

Er wusste genau, von wem die Karte war. Und trotzdem klappte er sie auf, um den Text zu lesen.

Die Karte stammte aus Jahr zwei. Sie war auf Geschäftsreise gewesen und hatte über Weihnachten und Silvester nicht Zuhause sein können. Und – wie hätte es anders sein können – sie hatte dafür gesorgt, dass er trotzdem eine festlich geschmückte Wohnung und alle Zutaten für ein köstliches Weihnachtsessen vorgefunden hatte. Zusammen mit ebendieser Karte, die er nun in Händen hielt.

Später, als sie von ihrer Reise zurückgekehrt war, hatte sie ihm erzählt, dass die Karte sie an ihn erinnert hatte, und an seinen kläglichen Versuch, die Lichterkette im Jahr zuvor am Weihnachtsbaum anzubringen. Er hatte es zwar nicht geschafft, sich wieder Pinguin auf der Karte einzuwickeln, aber er konnte nicht bestreiten, dass er sich wirklich ungeschickt angestellt hatte. Aber ihr Baum in diesem Jahr war auch monströs gewesen. Letztendlich war die Lichterkette an ihrem vorgesehenen Platz gelandet, und er konnte sich nicht erinnern, jemals einen schöneren Weihnachtsbaum gesehen zu haben.

Plötzlich kam ihm seine Wohnung trostlos vor.

Es war nichts zu erblicken, was auch nur im Entferntesten an Weihnachten erinnert hätte. Keine Dekoration, kein Gebäck oder andere weihnachtliche Süßigkeiten, er hatte noch nicht einmal Nüsse gekauft, obwohl er Walnüsse über alles liebte.

Er klappte die Karte wieder zu ohne den Text zu lesen und wollte sie wieder in die Mappe stecken. Nostalgie gepaart mit Sentimentalität tat ihm überhaupt nicht gut. Vor allem nicht, weil sie ihn so unerwartet getroffen hatte.

Für einen Moment überlegte er, die Karte in den Papierkorb zu schmeißen. Vielleicht würde das helfen. Doch er verwarf den Gedanken schnell wieder. Er kannte sich zu gut, in ein paar Jahren würde er sich nicht verzeihen, wenn er die Karte jetzt entsorgte.

Doch auch in die Mappe legte er sie nicht zurück. Stattdessen stand er auf und ging ins Wohnzimmer. Er überlegte einen Moment, dann steuerte er zielstrebig auf den großen Fernsehschrank und das über dem Fernseher eingelassene Regalbrett zu.

Auch wenn er immer noch kein Fan von Weihnachten war und es sicherlich einige Erinnerungen hervorbringen würde, er hatte die Karte gern. Und wenn er sich aufgrund von Gefühlen schon dazu hinreißen ließ etwas Weihnachtliches in seiner Wohnung aufzustellen, dann sollte es diese Karte sein, egal, an was – und vor allem an wen – sie ihn sonst noch erinnerte.

Mit einem Lächeln auf den Lippen platzierte er die Karte auf dem Regalbrett.



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