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Die große Jagd auf Weihnachten

Animexx-Adventskalender 2017
von

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Auf zur neuen Jagd!

Wann ward ein Norn glücklicher als nach einem guten Mahl, mit reichlich Bier im Bauch, den er rund und fest an einem knisternden Feuer betten konnte?

Galbraum hatte all dies und war mit sich und der Welt zufrieden. Bis zu dem Moment zumindest, als ein nervenzerreißendes Stimmchen ihn aus dem Schlaf holte. Unbarmherzig und mit der Penetranz einer Grille, die mit ihrem Zirpen selbst die Geduld einer Bärin zu zerschlagen vermochte.

»Wacht auf, wacht auf!«

Mit einem tiefen Brummen wischte er die winzigen Hände beiseite, die unnachgiebig an seiner runden Schulter rüttelten und schoben. Unwillig, die Augen zu öffnen, fasste er an seinen Hinterkopf und ertastete statt geflochtenem Haar nur kühles Eisen. Ah, er hatte schon wieder vergessen, seinen Helm fürs Schlafen abzunehmen. Das erklärte das Hämmern in seinem Schädel … oder lag es am Alkohol? Dieses staubtrockene Gesöff der Zwerge war zwar kein Gaumenfest, doch hatte es in sich! Da half nur, nachzutrinken …

»Hey, wacht auf! Hier bin ich. Hallo, seht Ihr mich?«

»Brüllt nicht so«, brummte er griesgrämig und rieb sich den Nacken. Er kreiste die Schultern und ließ es knacken. Es klang, als würde man einem Bullen das Genick ausrenken, langsam. »Ihr habt Nerven«, fuhr er fort und richtete seinen Helm gerade, »einen Norn aus seinem Schlaf zu holen. Hegt Ihr Todessehnsucht?«

»Nein, ich ersuche Hilfe.«

»Pah!«, machte er und schnaubte verächtlich. »Was kümmert einen Norn die Belange eines Menschen? Seht Euch an, so schmächtig und schwächlich. Haut ab, bevor meine Glieder wach werden!«

»Aber, meine Schwester …«

»Hört Ihr schlecht?!«, wurde er ungehalten. Grimmig lunzte er durch die schmalen Längsschlitze aus kaltem Metall vor seinen Augen.

Die Menschenfrau war winzig, kleiner als ein Nornkind es war. Jung sah sie aus, tannengrünes Haar türmte sich zu zwei wilden Büscheln auf ihrem Kopf. Ihr schmales Gesicht trug silberne Zeichnungen auf Stirn und Wangen, über und unter den Augen. Keine Kriegsbemalung, so viel war sicher. Gewiss war sie keine Kriegerin, von einer Jägerin ganz zu schweigen. Bei diesen kümmerlichen Gliedern, die nicht das kleinste Anzeichen geformter Muskeln zeigten, war das ausgeschlossen.

Er rümpfte die Nase bei diesem Anblick und grunzte, bevor er die schwere Felldecke von sich warf. Sie stob den Schnee, der frisch gefallen auf ihr gelagert hatte, in alle Richtungen durch die Luft.

»Ihr habt Glück«, sprach er dumpf, »mir sitzt der Frost noch in den Gliedern. Würdet Ihr jetzt rennen wie ein scheues Reh, ich könnte Euch nicht jagen. Daher gebe ich Euch zehn Sekunden, bis ich bei vollem Geiste bin und meine Muskeln aufgewärmt, um Euch aus dem Staub zu machen.«

»Ihr versteht nicht«, fiel die Frau ihm ins Wort. Entgegen jeder Vernunft, die er ihr angedacht hatte, baute sie sich an seiner Seite auf. »Meine Schwester schwebt in großer Lebensgefahr! Monster haben uns angegriffen und halten sie gefangen. Ich konnte entkommen, aber sie –«

»Das interessiert mich nicht.«

»So hört doch zu!«, beharrte sie weiter. »Es sind viele! Allein komme ich nicht gegen sie an, ich brauche Hilfe – Eure Hilfe! Eigentlich die einer ganzen Armee …«

»Dann geht zu den Menschen«, brummte er. »Norn haben keine Armee, wir sind Norn. Ich nehme es allein mit einem riesigen Frostwurm auf. Oder einer Hand voll, von mir aus.«

»Dann helft mir doch!«, drängte sie ihn. Mit einem Arm schob der Norn sie beiseite, doch obwohl er so breit wie ihr gesamter Körper war, stemmte sie sich dagegen. »Wenn Ihr doch so stark seid«, fuhr sie fort, »dann zeigt ein Herz! Meine Schwester hat nicht so lang, bis ich eine Armee gefunden habe. Diese Monster … wer weiß, was sie mit ihr tun werden! Wenn ein Norn … Nein, selbst Ihr könntet es unmöglich allein mit Ihnen aufnehmen. Sie sind zu mächtig.«

»Wer sagt das?«, patzte er plötzlich.

Der Norn bäumte sich zu seiner vollen Größe auf, wonach er die Frau um fünf Köpfe überragte. Aus einem natürlichen Reflex wich sie einen Schritt zurück, und Galbraum war zufrieden mit dieser Reaktion.

Er sog die eisige Luft tief durch die Nase ein und blähte sich noch etwas weiter auf. Seine Nasenflügel bebten vor Erregung, als witterte er schmackhafte Beute in der Ferne, gleich einem Wolf. »Diese Monster«, sprach er tief und kräftig, ruhiger in der Stimmlage, »sind sie stark?«

»Naja«, gab sie leiser zurück und setzte einen weiteren Schritt nach hinten. »Sie sind groß und sehr robust. Sie beherrschen Magie und können sich regenerieren. Es ist schwer, sie zu besiegen, eigentlich unmöglich.«

»Papperlapapp«, stieß er aus und schnaubte dabei. »Nichts ist unmöglich für einen Norn! Lebt es, kann man es töten. Ihr überschätzt Eure Beute, Mensch.«

»Tue ich nicht«, widersprach sie mit dem Trotz eines Kindes, den riesigen Wilden genau inspizierend. »Ihr wisst nicht, wovon ich spreche. Einer Kreatur wie dieser seid Ihr noch nie gegenübergestanden. Wir waren zu zweit und konnten mit unseren magischen Fähigkeiten nichts gegen sie ausrichten. Vielleicht, wenn Ihr noch einen Eurer Freunde hinzuholen könntet … zu dritt hätten wir vielleicht den Hauch einer Chance, meine Schwester zu retten.«

»Bei der Bärin!«, schnappte er und stampfte mit dem Fuß auf. »Haltet Ihr mich für einen Schwächling? Einen Feigling? Verärgert mich nicht, Winzling, das bekäme Euch nicht gut. Wenn diese Monster sind, wie Ihr winselt, stellen sie gute Beute dar! Gut genug, dass ein Norn seinen morgendlichen Kater vergisst. … Verdammtes Zwergenbier!«

Laut ächzend bückte er sich und lud beide Arme, jeder so dick wie ein Fichtenstamm, voll Schnee. Mit diesem Berg losch er das Feuer, das ihn über die faulen Mittagsstunden warm gehalten hatte. Zischen und Knacken erfüllte die Luft.

»Wo lang?«, verlangte er barsch und kroch mit den Händen in die befellten und gezackten Stulpen seiner Armschützer. Anschließend hievte er Schild und Schwert von dem Stamm, an welchem er geruht hatte, und schnaufte dabei. »Ihr führt, Winzling. Auf zur Jagd!«

Sie wies ihm die Richtung und er ging mit großen Schritten voran. Die Menschenfrau folgte ihm eilig, bemüht, mit seinem Tempo Schritt zu halten.

 

Galbraum bemerkte nicht, wie die Nekromantin die Lippen zu einem spitzen Grinsen schürzte.

 

 

»Da vorn ist es.« Mit einem Arm wies sie auf die hohe Felswand in wenigen Metern Entfernung. Das klaffende Loch einer Höhle war zu erkennen. Nichts als Schwärze lockte in ihr Inneres. »Dort drin halten sie meine Schwester gefangen. Arme Lizza, halte durch …«

»Diese Spuren«, sagte Galbraum und deutete zur Seite. »Stammen die von euren Monstern?«

»Oh, ja«, bestätigte sie nach einem kurzen Blick. »Aber beachtet sie gar nicht. Wir müssen meine Schwester retten.«

»Sagtet Ihr nicht, sie seien groß?«, fragte er skeptisch. Selbst aus der Ferne konnte er sehen, dass die Spur keinem Riesen gehören konnte. Sie war zu dicht und längst nicht tief genug, eher das Werk mehrerer schnellen Füße. Also waren es viele, aber was waren sie genau? »Ich muss näher ran, um sie besser bestimmen zu können.«

»Dafür haben wir keine Zeit!«, hielt sie ihn an. »Habt Ihr vergessen, was ich gesagt habe? Diese Monster beherrschen Magie … Wer weiß, was sie meiner Schwester in der Zwischenzeit antun, während Ihr hier draußen den Pfadfinder mimt!«

»Ein Jäger geht jeder Fährte nach.«

»Dann folgt mir! Diese Spur führt von der Höhle weg, bis zu dem Punkt, wo ich entkommen bin. Wollt Ihr an Euer kleines Lager zurückkehren und Euren dicken Wanst kratzen? Oder wollen wir jagen?«

Er schnaubte verächtlich und zog mit großen Schritten an ihr vorbei. »Treibt’s nicht zu weit«, drohte er ihr, worauf sie nur grinste. Doch das sah er nicht.

 

Sie folgten dem steinigen Pfad in den Tunnel hinein, der weit ins Berginnere führte. Drinnen war es dunkel und kalt, normal für eine gewöhnliche Höhle. Doch je länger sie gingen, desto ungewöhnlicher wurde es. Statt dunkler wurde es heller, die Wände höher und breiter. Von irgendwoher rieselte Schnee, doch Galbraum konnte keine Löcher in der Decke erkennen. Der Boden schmatzte unter ihren Füßen, wurde zunehmend fester, bis sie auf glatter Fläche rutschten. Die Luft war frostig geworden, ganz schleichend immer mehr, und stach kratzend in der Lunge.

Die Frau führte sie unbeirrt voran. Sie durchliefen Gänge, bogen um Kurven, sie schien jeden Stein zu kennen. Galbraum wusste nicht, wie lange sie gelaufen waren, bis ihn plötzlich merkwürdige Laute erreichten.

»Psst«, gebot sie ihm und sputete zum nächsten Felsen, hinter den sie sich kauerte. Dort spähte sie für einen Moment, bevor sie ihm winkte und neben sich Platz machte.

»Dort«, flüsterte sie, nachdem er sich zu ihr gesellt hatte. Er musste auf den Knien ducken, um hinter das Versteck zu passen. »Wir sind da. Dort vorn ist ihr Lager. Hier halten sie meine Schwester versteckt. Passt auf, dass sie Euch nicht sehen!«

Neugierig lugte er über den von Reif überzogenen Felsrand. Der Raum vor ihm glich einer Grotte, groß genug, dass ein Norn seinen Sitz in ihr hätte gründen können. Von der Decke, deren Ende kaum zu erkennen war, reichten Zapfen knapp bis zum Boden. Wohin er sah, alles war Eis von glänzendem Blau bis Kristall und Schnee senkte sich friedlich zu Boden. Der gesamte Raum war so hell, dass es unmöglich erschien, dass er von Wänden umschlossen wurde.

Und durch ihn hindurch liefen Gestalten. Kreaturen, riesig im glitzernden Weiß bis Blau. Die Körper aus Eisgestein, auf zwei Beinen aufrecht stelzend, mit langen Armen zu den Seiten. Unförmige Eiszapfen thronten spitz zu einem Buckel. Vornan hing der Kopf, eine einzige Schneekugel mit glatten Steinen als Gesicht, und wackelte bei jedem Schritt.

»Weiß der Rabe!«, stieß Galbraum aus. »Was sind das denn für Gestalten? Sind das Eure Monster?«

Sie nickte. »Ja, durchaus. Habt Ihr so etwas schon mal gesehen?«

»Sie sehen nicht sehr furchterregend aus. Und dafür wolltet Ihr eine ganze Armee?«

»Unterschätzt sie nicht«, riet sie ihm an. »Sie sind sehr viel mächtiger, als sie aussehen. Und bedenkt: es sind viele!«

»Ha!«, machte er aus und zupfte sich den dichten, blonden Bart. »Umso besser! Ich bin zu nüchtern, um einen schlechten Kampf zu ertragen. Die Beute soll die Mühe wert sein. Eure Monster bieten mir besser eine gute Jagd!«

»Wie wollt Ihr vorgehen? Habt Ihr eine Strategie?«

»Papperlapapp, Strategie«, äffte er. »Ich bin Norn. Ich jage mit dem Geist des Wolfes und der Kraft der Bärin. Sorgt Ihr Euch nur um Eure Schwester und überlasst die Beute mir!«

Damit hob er sich auf die Beine, liftete Schild und Schwert und sprang in den Raum hinein. Er schlitterte im ersten Moment, doch seine Stiefel aus bestem Ochsenleder fanden schnell Halt auf der glatten Oberfläche. So stürzte er voran, wirbelte die Klinge durch die Luft und zog alle Aufmerksamkeit auf sich.

»Ich weiß nicht, was Ihr für Kreaturen seid«, rief er aus, »aber dies ist der Norden. Norn messen sich mit jedem Gegner. Wenn Ihr nicht feige seid, stellt Euch mir entgegen! Je besser Ihr kämpft, desto größer wird meine Ehre sein. Ich bin Galbraum, Erster meines Namens, Galbraum der Berauschte!«

 

Aus sicherer Entfernung beobachtete die Frau das Treiben. Ihr Interesse galt dem angezettelten Kampf nicht für lang, sie hatte eine Mission zu erfüllen.

Ohne ein Wort wandte sie sich um, folgte dem Gang zurück und schlich um die nächste Kurve. Sie drängte sich durch enge Risse, bis sie an anderer Stelle an einen Ausgang gelangte, der in dieselbe Grotte führte. Hohe Eisfelsen boten ihr Schutz vor observierenden Augen, und von hier aus hatte sie direkt im Blick, weswegen sie hier war.

Vor ihr, nur fünf Meter entfernt, lag ein Berg angehäufter Geschenke. Bunt und festlich verpackt warteten die Pakete darauf, dass sich jemand ihrer annahm. Sie würden ihre Reise nie mehr antreten, ihren Dienst nicht erfüllen können, so viel war sicher. Nicht in diesem Jahr.

Die Lippen der Frau schürzten sich zu einem spitzen Lächeln. Sie verblieb in ihrer Deckung und hob den Kopf.

Auf der anderen Seite der Grotte, auf höherer Ebene, erkannte sie eine Gestalt. Ihre tannengrünen Haare standen ihr zu zwei Büscheln an den Seiten ab.

Sie, dort auf der anderen Seite, streckte den Arm empor.

 

»Donner!«, rief Galbraum aus und federte zurück. »Ich habe Euch unterschätzt. Ihr seid ein würdiger Gegner. Was für eine Jagd!«

Zum unzähligen Male hob er das Schwert und ließ es auf seinen Gegner niedergehen. Zum unzähligen Male prallte die Klinge an dem steinernen Körper ab. Es klirrte, feine Kristallsplitter funkten zu Boden. Der Schneemann lächelte weiterhin sein gefrorenes Lächeln.

Galbraum merkte, so kam er nicht weiter. Er tanzte mit seinem Gegner im vorgegebenen Takt, mehr aber auch nicht. Das, was sie vollzogen, konnte man wahrlich keinen Kampf nennen.

»Wo der Stahl versagt«, sprach er und ließ das Schwert achtlos zu Boden fallen. Der schwere Schild folgte. »… muss rohe Kraft herhalten. Lassen wir die Fäuste fliegen, mein Freund!«

Er holte aus, der Schneemann drehte ab. Sie waren sich auf Augenhöhe. Sein Gegner griff nicht an, doch davon ließ der Norn sich nicht beirren. Er holte neu aus, und nochmal, und nochmal, und landete seinen ersten Treffer!

»Ein harter Brocken«, kommentierte er und schüttelte die Hand. Seine Fingerknöchel schmerzten, ein wohlbekanntes Gefühl. Es fühlte sich gut an!

Der Norn grinste unter seinem Helm. Dann warf er sich nach vorn, laut brüllend wie ein Bär.

Schnee zerbarst um seine Faust. Der Eiskoloss geriet ins Schwanken, taumelte einige Schritte zurück. Schließlich verlor er jeden Halt, fiel in sich zusammen wie loses Gestein, als habe man einer Puppe die Fäden zerschnitten.

»Was …«, stieß er aus und rieb sich den Nacken. Weiße Brocken krümelten aus dem langen, blonden Haar. Galbraum wandte sich um, gerade rechtzeitig, um einem anderen Schneegeschoss auszuweichen.

Er war umzingelt. Vier dieser Eiskolosse standen um ihn herum, alle mit Schneebällen vor ihren spitzen Kristallhänden. Einer von ihnen ging in die Beuge und schlug einmal kräftig auf die glänzende Eisfläche. Eine Lawine aus weißer Schneemasse bäumte sich auf und rollte wütend grollend auf den verdutzten Norn zu.

Er sprang zur Seite, genau in das nächste Schneegeschoss hinein. Es traf ihn mitten ins Gesicht. Während er sich noch die Sicht freiwischte, begann der Boden unter ihm zu gefrieren. Er stolperte, rutschte, und landete rücklings auf der spiegelglatten Oberfläche.

Der große Nornmann fluchte.

 

Indes kommandierte die Frau die kleinen, grünen Wesen, die aus den Gängen zu ihr gestoßen waren. Es war ein Leichtes, die Geschenke an sich zu nehmen, während ihre Wächter abgelenkt waren. Der Norn leistete gute Arbeit.

Mit stummen Handzeichen teilte sie jedem Grentch seine Aufgabe zu. Solange sie alle an einem Strang zogen, zügig und unbemerkt blieben, sollten sie …

 

»Donner noch eins!«, fluchte Galbraum lauthals, als ihn der nächste Ball in den Nacken flog. Er hatte inzwischen drei dieser Eiskolosse in ihre Einzelteile zerlegt, aber noch immer zeigte sich seine Beute wehrhaft.

Erbost drehte er sich herum und war verblüfft, als er ein grünes Wesen erblickte. Es sah aus wie ein ausgewürgter Kobold, klein und von buckeliger Gestalt. Mit langen, spitzen Ohren und Gliedmaßen wie Froschschenkel, obgleich es aufrecht stand. Die hässliche Kreatur zeigte ein Maul voll kleiner, spitzer Zähne. Auf seinem Kopf saß eine rote, weiß besaumte Bommelmütze.

»Allsehende Eule«, keuchte er, »was ist das denn für eine missratene Kreatur? Ihr seht aus, als entsprangt Ihr dem Magen eines Auerochsen!«

Der Kobold keckerte empört, bückte sich und wischte mit den großen Händen über den spiegelnden Boden. Aus dem Nichts war eine Schneekugel zwischen seinen Fingergliedern entstanden, mit der er ausholte und warf.

Galbraum wich aus, nur um auf einer Schneeflut auszurutschen, die urplötzlich unter seinen Füßen erschienen war. Im Fallen erkannte er auf Kopf, wie sich hinter ihm einer der Eiskolosse neu zusammensetzte. Wackelig bäumte er sich auf die Felsbeine, die Kristallarme weit zu den Seiten gespreizt.

Eilig drehte er sich herum, stützte sich auf alle Viere hoch, nur um sich zu ducken. Über ihm schoss ein Schneeball vorbei, so groß wie sein eigener Kopf. Hinter ihm kreischte der Kobold, im nächsten Moment zog er die Schultern ein, um von den spitzen Eisspeeren nicht getroffen zu werden.

»Große Bärin«, grollte er, »jetzt reicht’s!«

In lautem Gebrüll sprang er auf die Beine, wirbelte blind herum und holte mit beiden Armen aus. Wie ein Hammer schlugen sie auf den steinernen Körper ein, der zersprang und in sich zusammenfiel. Sein Fuß traf auf einen Widerstand und Galbraum sah etwas Grünes im hohen Bogen zur Seite fliegen. Weiße Geschosse zielten von allen Seiten an ihm vorbei, trafen ihn in Rücken und gegen den Helm. Er achtete nicht darauf, wen seine Tobsucht traf. In diesem haltlosen Durcheinander war jeder Gegner von jedem, er machte keinen Unterschied.

 

Fassungslos schlug sich die Frau gegen die Stirn. Was für ein Chaos … So war das wirklich nicht geplant gewesen. Aber egal.

Vergewissernd sah sie zur Seite, wo ihre Schwester gegenüber dem Geschenkeberges stand. Sie machte keine Anstalten, sich die nötige Schlepparbeit anzunehmen. Stattdessen sah sie zu ihr, zückte ihr magisches Totenkopfzepter und nickte ihr zu.

Sie erwiderte die Geste und seufzte einmal. Dann entblößte sie ihren linken Unterarm und zog ihren Dolch hervor.

 

Was war nur mit dieser Beute los? Galbraum war sich sicher, schon sieben dieser Kolosse zerschlagen zu haben, und doch stand er ihnen immer wieder gegenüber. Und diese Kobolde … Nie hätte er den Winzlingen eine solche Kondition zugetraut. Irrte er sich, oder wurden ihre Bewegungen immer schneller? Und dann noch diese grünen Symbole über ihren Köpfen … Einbildung, ganz bestimmt. Es mangelte ihm gewiss am Alkoholrausch.

»Bei allen Geistern«, schnaufte er erschöpft. »Gebt mir die Kraft. Was für eine Schlacht!« Er lächelte bei dem Gedanken, welch Heldenlieder die Skalden über ihn singen würden, wenn er von dieser Jagd erzählen würde. Aber nur, wenn er sie bestehen und siegreich hervorgehen würde. Er konnte es sich nicht leisten, dass sein Name ins Lächerliche gezogen wurde. Galbraum, der sich von Schneemännern und Kobolden aufs Glatteis schicken ließ. Nein, das klang wahrlich nicht sehr ehrenhaft.

Er sammelte all seine Kraft, konzentrierte seinen Geist auf das Hier. Die Schneeleopardin lehrte den Norn Tücke und Spiel, die Wölfin Leidenschaft und Ausdauer, die Bärin Stolz und Stärke. Die Geister waren mit ihm, er war ein Jäger.

Er tat einen tiefen Atemzug, füllte seine Brust mit Entschlossenheit. Er zog den Helm von seinem Kopf und brüllte, während er nach vorn stürzte, die Hände zu Pranken wandelnd. Kein Schneeball konnte ihn stoppen, keine Eismauer ihn kontern. Er schlug, trat, wirbelte und warf. Und fühlte sich gut dabei!

Er brüllte, und brüllte. Ganz das Tier, das er geworden war.

»Lizzi!«, rief eine Frauenstimme hinter ihm, gerade als er einen Kobold an den Beinen wirbelte und gegen den nächsten Schneemann schleuderte. Er drehte sich über die braun befellte Schulter herum und erkannte die Frau von vorhin, in doppelter Ausführung. Eine der beiden zeigte nach vorn, beide schienen überrascht.

Er folgte dem Zeig und weitete die Augen. Ein weiterer Eiskoloss hatte den Schauplatz betreten. Größer als die anderen, dass er selbst den Nornmann noch um zwei Köpfe überragte. Er sah aus wie die anderen Schneemänner, ebenfalls mit einem runden Kopf und dem festgefrorenen Knopfgesicht. Auf dem Haupt thronte ein identischer, schwarzer Zylinderhut, der einzige Unterschied war die rauchende Pfeife, die in seinem Gesicht steckte.

Dieser Koloss trat mit großen, stapfenden Schritten mitten aufs Schlachtfeld. Galbraum beobachtete ihn unter schwerem Atem. An seinen Armen stellte sich das braune Bärenfell auf.

»Grentche, zieht euch zurück!«, rief die Frau irgendwo neben ihm.

»Lizzi, weg hier!«, die andere.

Der Riesenkoloss vor ihm ging in die Beuge und streckte die Eisbergarme aus. Weiße Schwaden kreisten um seinen gesamten Körper.

Galbraum befeuchtete sich die Lefzen. Dann brüllte er aus voller Lunge, dass die Wände erbebten, und warf sich in seiner stämmigen Tiergestalt dem Riesen entgegen.

 

 

Der Norden war ruhig. Leiser Schneefall senkte sich zu Boden. Irgendwo kreischte ein Adler und verbarg sich in luftiger Höhe.

Schnaufend unter hohen Schritten schlugen sich die beiden Frauen ihre Bahn durch das unberührte Feld. Sie waren über und über von Weiß, die grünen Haare gänzlich durchweicht. Reste von Schnee hingen an ihren Kleidern, als seien sie einer Lawine entsprungen.

»Das war wohl nichts«, bedauerte die eine und rieb sich die fröstelnden Arme.

»Nein«, bestätigte die andere und entleerte den Halter ihres Dolches. Ein ganzer Schneeklumpen löste sich tropfend daraus. »Aber wir waren sehr nah dran. So nah waren wir noch nie!«

»Das lassen wir besser nicht die anderen wissen«, meinte die Erste. »Dass wir ein Dutzend Grentche einem Schneebegräbnis ausgeliefert haben. Das wird den Meister sicher nicht erfreuen.«

»Er muss es nicht wissen. Außerdem«, argumentierte Lizzi, »gelten sie eh als untot. Es sind Meister Grenths Diener, nicht zuletzt.«

Lizza nickte. »Ja. Und außerdem, nicht zuletzt …«

»… hat es doch immensen Spaß gemacht.«

Die Zwillinge sahen einander an und schlugen die Hände zusammen. Ihre Lippen schürzten sich zu einem spitzen Lächeln.

Sie lachten ausgelassen.



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