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Spherium

Kaiba/Yuugi
von

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Kapitel 30

Jounouchi machte sich wieder ans Buffet und gab immer wieder anerkennende und glucksende Laute von sich, wenn er etwas gefunden hatte, was ihm besonders gut schmeckte. Yuugi hatte für seinen blonden Freund nur ein Lächeln übrig. Er selbst war mit all den Speisen zu überfordert und anstelle weiterhin dem Blonden Vielfraß Gesellschaft zu leisten, entschloss er sich dazu, die Zeit zu nutzen, um mit Kaiba zu reden. Mokuba war umringt von den jungen Entwicklern und Yuugi glaubte, unter diesen auch Hirano zu erkennen. Sie lachten und alberten herum. Sie hatten viel zu bereden. Wortlos beobachtete Kaiba die Gruppe, machte jedoch keinerlei Anstalten, sich ihnen zu nähern oder gar sich in ihrem Gespräch einzubinden. Trotzdem meinte Yuugi, in seinen Augen so etwas wie Zuversicht erkennen zu können.
 

Kaiba störte sich nicht daran, dass Mokuba mit seinen Freunden sprach und sich zuerst mit diesen austauschte. Nein, er sah die jungen Männer, wie sie lachten und sorglos über ihr Leben plauderten und fragte sich, ob Mokuba immer so glücklich war, wenn er nicht da war. Mokuba lachte. Mokuba war glücklich. Er sagte offen und ehrlich, woran er dachte und hielt sich nicht zurück. Auch seine Ausdrucksweise war ganz anders als Kaiba sie in Erinnerung hatte. Er nutzte auch Slangausdrücke, Abkürzungen, machte derbe Witze. Sein Umgang mit seinen Kollegen war freundschaftlich und sehr herzlich.
 

Es hätte ihm auffallen müssen. Doch er wollte es nicht wahrhaben. Mokuba war kein Kind mehr. Sein kleiner Bruder war nun ein erwachsener Mann. Der Junge, den er wie seinen eigenen Sohn großgezogen hatte, brauchte ihn nicht mehr und konnte sehr gut auf sich selbst aufpassen und eigene Entscheidungen treffen. Er verschränkte die Arme und senkte den Kopf. Sich in Gedanken verlierend, schloss er die Augen, damit niemand in seine Seele blicken konnte.
 

Der Gedanke, dass jemand ihn dabei sehen könnte, wie er Mokuba anstarrte und seinen Freundeskreis analysierte, bereitete ihm Unbehagen. Niemand sollte ihn so sehen. Wenn irgendjemand bemerkte, dass Kaiba Seto sentimental und oder gar offenherzig war, würde nur jemand kommen, um ihn von seiner Position zu werfen. Menschen konnten genauso ekelhaft wie wunderbar sein. Mit einem netten Lächeln spielten sie eine Rolle, während sie gedanklich bereits Pläne schmiedeten, wie sie ihrer Konkurrenz schaden konnten. Der Versuch, seinen Gegenüber zu manipulieren, war vollkommen normal in dieser Branche. So auch für Kaiba.
 

Kaiba hatte über die Jahre gelernt, seine wahren Gefühle zu verschleiern und niemals zu viel von sich zu erzählen, seinen Gegenüber auszuspielen und deren Schwächen ausnutzen. Ein Mensch, der Schwächen zeigte, war manipulierbar und es brauchte nur ein gespieltes Lächeln und ein paar nette Worte, um diesen auf seine eigene Seite zu ziehen. Manchmal reichten auch nur ein paar Geldscheine und schon hatte man neue Verbündete. Er durfte niemals den Eindruck erwecken, austauschbar oder gar schwach zu sein, wenn er weiterhin seine hohe Position behalten wollte.
 

Dass Yuugi sich neben ihn stellte, spürte er sofort. Er öffnete seine Augen nicht und auch machte er sich nicht die Mühe, ihn wegzuschicken. Er akzeptierte seine Nähe, hoffte aber darauf, dass dieser seine Ruhe nicht stören würde. All die Menschen hier waren wegen Mokuba hier. Für Kaiba war es ungewohnt, nicht der Mittelpunkt einer Veranstaltung zu sein und zum ersten Mal sei Langem, konnte er die Gegenwart von Menschen einigermaßen ertragen. Es war eine willkommene Abwechslung, nicht angestarrt zu werden wie ein Tier im Zoo und einfach nur Ruhe genießen zu können.
 

Normalerweise war er bei solchen Veranstaltungen, wo viele Menschen zusammenkamen, so auch Gala Abende und Festlichkeiten, stets darum bemüht, nie zu viel von sich Preis zu geben. Er analysierte die Gäste und ordnete sie in Schubladen ein, um so herauszufinden, wer als zukünftiger Geschäftspartner und Investor in Frage kommen würde.
 

Mit Geld und seiner Darbietung als äußerst umgänglicher, freundlicher und charismatischer Mann hatte er so einige seiner Konkurrenten ausgeschaltet und ihre besten Mitarbeiter abgeluchst, um sie selbst zu beschäftigen. Die Kaiba Corporation besaß das beste Entwicklerteam, die neueste Technik und wartete stets mit Innovationen auf, sicher nicht, weil Kaiba davor zurückschreckte, seine Gegenspieler zu zerschmettern und ihre Grundlage zu zerstören. Geschäftspartner fand man bei solchen Festlichkeiten zu Hauf. Es war einfach, die tatsächlich wichtigen Persönlichkeiten auszusieben und mit nur einem Blick konnte Kaiba feststellen, wer für ihn nützlich war und wen er als nächstes in Grund und Boden stampfen musste, um seine Position als Marktführer zu verstärken und vor allem beizubehalten.
 

Nach außen hin gab er sich immer als perfekter und versierter Geschäftsmann, mit dem man sich keinen Fall anlegen durfte und er erweckte stets den Eindruck, Menschen mit Blicken allein vernichten zu können. Niemand wagte es, ihn nicht anzusehen und ihm den Respekt zu zollen, den er verdiente. Jemand wie Kaiba war immer der Mittelpunkt einer Veranstaltung. Jeder beneidete ihn um seinen Erfolg und ausgerechnet mit ihm zusammen zu arbeiten, war das beste, das einem Unternehmen passieren konnte.
 

Immer waren alle Augen auf ihn gerichtet. Er durfte sich nie einen Fehler erlauben, doch heute war er nur schmückendes Beiwerk. Ein Gast von vielen. Sämtliche Aufmerksamkeit lag auf Mokuba und dieser genoss es, Geschichten zu erzählen und seine Erfahrungen aus Amerika zu teilen. Es fühlte sich gut an. Die Musik im Hintergrund, die Menschen, die fröhlich lachten und ausgelassen feierten und auch die Atmosphäre, wo er sich nicht krampfhaft darum bemühen musste, seine Rolle als Firmenleiter zu spielen und stets auf jede Handbewegung, seine Gestik, seine Mimik achten musste und jedes Wort und alles, was er sagen wollte, vorher abzuwägen und die Konsequenzen seines Handelns genau abzuschätzen. Was geschah, wenn er dieses Wort sagte? Was würden die anderen Geschäftsmänner von ihm denken, wenn er sich so ausdrückte? Nicht andere einschüchtern zu müssen und sich selbst zur Schau stellen zu müssen, war etwas, das er manchmal vermisste.
 

Auch Yuugis Präsenz erfüllte ihn mit einem eigenartigen Gefühl. Er fühlte sich wohl. Ja, beinahe geborgen. Und das war ungewohnt. Kein voller Terminplan, der ihn aufhielt und das Ticken seiner Uhr, die ihn stets daran erinnerte, dass er sich beeilen musste. Kein aufgesetztes Lächeln oder erzwungene Freundlichkeit, um ein gutes Bild bei den Medien zu erwecken und den Ruf seiner Firma zu ruinieren. Kein Zwang perfekt sein zu müssen.
 

„Kaiba-kun“, begann Yuugi leise und er spürte, wie sein Blick auf ihm lag. War klar, dass Yuugi keine fünf Minuten ohne Gequassel aushalten konnte. Aber auch das störte ihn nicht so sehr, wie es sollte. Er öffnete die Augen und sah Yuugi interessiert an. „Ist alles in Ordnung mit dir? Du hast ja gar nichts gegessen“, meinte Yuugi. In seinen Worten schwang Sorge mit. Kaiba wusste nicht so recht, worauf sein Geschäftspartner hinaus wollte und warf ihm einen verständnislosen Blick zu.
 

„Ich habe keinen Hunger. Das ist alles.“
 

„Sicher? Auch auf der Arbeit isst du nie etwas. Ich habe dich noch nie Pause machen sehen, geschweige denn etwas essen.“
 

„Ich esse ganz normal. Worauf willst du hinaus? Soll ich mich wie dein Vielfraß von Freund wie ein ausgehungerter Bär ans Buffet machen und mich vollfressen, bis ich platze?“
 

Kaiba zeigte auf den Blonden, der sich immer noch am Buffet bediente und mit einigen der anderen Gäste ins Gespräch gekommen war. Jounouchi hatte scheinbar keine Probleme mit fremden Leuten Gespräche zu beginnen. Seine laute, schallende Stimme reichte vom Buffet bis zum Ende des anderen Raumes und sein gellendes Gelächter war kaum zu überhören. Wahrlich eine Plage, was Yuugi da mit angeschleppt hatte. Obwohl sich keiner außer Kaiba an diesen Gast zu stören schien, was Kaiba umso mehr ärgerte.
 

„Das meinte ich gar nicht! Ich mache mir nur etwas Sorgen um dich.“
 

Yuugi fand, dass Kaiba viel zu wenig auf sich selbst und vor allem auf seine Gesundheit achtete. Seine Art zu arbeiten hatte etwas extrem Selbstzerstörerisches an sich, was auf Dauer Schaden anrichtete und irgendwann sicher Konsequenzen mit sich tragen würde. Auch jetzt war Kaiba ständig gereizt, da er sich selbst keine richtigen Pausen gönnte und nur für seine Arbeit lebte. Das musste ein Ende haben. Yuugi wollte mehr mit Kaiba reden. Ihn kennenlernen und sicherstellen, dass sie auch zukünftig miteinander arbeiten konnten, ohne dass Kaiba sich an den Rand des Menschenmöglichen schuftete und an den Folgen der Überarbeitung litt. Selbst jetzt schien Kaiba gedanklich wo anders zu sein. Er hielt absichtlich Abstand zu den anderen. Ob er sich Gedanken über seine Firma machte? Konnte Kaiba überhaupt abschalten? Das waren Gedanken, die Yuugi seitdem er bei der KC angefangen hatte, stets begleiteten.
 

Kaiba war sein Rivale. Aber auch sein Freund. Jemand, der ihn seit Jahren auf seinem Lebensweg begleitet hatte und dessen Träume und Ziele den seinen sehr ähnlich waren. Sie wollten im Grunde dasselbe: Spiele erschaffen und ihre Kreativität leben. Ihre Leidenschaft für Spiele wollten sie mit der Welt teilen. Und diese Art zu denken war etwas, das sie verband. Deshalb konnte Yuugi sich nicht einfach heraushalten und die Fehler ignorierten, die Kaiba machte und dazu führten, dass dieser Schaden nahm. Kaiba war ein wichtiger Bestandteil seines Lebens geworden. Ihre Schicksale waren verbunden, wenn auch auf eine sehr eigenartige und ungewöhnliche Art und Weise.
 

Kaiba half ihm dabei seinen Wunsch zu erfüllen und spornte ihn dazu an, sich weiterzuentwickeln. Ob als Duellant, als Gamer oder als Mensch. Ohne Kaiba fehlte ihm etwas und auch wenn dieser es niemals zugeben würde, wusste Yuugi, dass dieser genauso empfand. Umso wichtiger war es Yuugi, dass die beiden Brüder sich vertrugen und dass Kaiba nicht nur mehr Rücksicht auf sein Umfeld, sondern auch auf sich selbst nahm.
 

„Danke für dein Mitgefühl, aber das kannst du stecken lassen. Ich habe dir doch gesagt, dass dich mein Privatleben nichts angeht.“
 

„Und trotzdem stehen wir jetzt hier und reden außerhalb unserer Arbeitszeiten. Ich mag dich, Kaiba-kun. Sehr gern sogar. Und deshalb kann ich nicht anders, als mich um dich zu sorgen.“
 

Kaiba wandte den Blick ab. Yuugi mochte ihn. Dieser Gedanke war ebenso abscheulich wie schön. Wie konnte Yuugi ihn überhaupt mögen? Diese Art zu denken war ihm einfach fremd. Nicht nachvollziehbar. Sein ganzer Körper kämpfte gegen diese unangenehme Spannung und er war hin und her gerissen, nicht wissend, ob er sich geehrt oder gar angewidert fühlen sollte. Yuugi schien sich der Bedeutung seiner Worte nicht im Klaren zu sein.
 

„Du solltest dir mehr Sorgen um dich selbst machen. Du hast doch genügend Probleme. Du verschwendest deine Zeit, wenn du auch noch an mich denkst. Du hast doch gesagt, dass du die Anerkennung dieser Person haben möchtest.“
 

Yuugi riss die Augen auf. Kaiba konnte sich immer noch daran erinnern? Yuugi hatte ihm Nachhinein bereut, so viel gesagt zu haben und war sich sicher, dass Kaiba dieses Detail überhört haben musste. Yuugi wollte Anerkennung, ja. Das war wahr. Er wollte, dass die Menschen um ihn herum seine Leidenschaft für Spiele anerkannten und ihn auch als Entwickler und Erschaffer ansahen. Allem voran jene, die sich über ihn lustig gemacht und ihn nie ernst genommen hatten. Unter diesen Personen befand sich auch er.
 

„Dass du dich daran erinnerst...“, murmelte Yuugi und drehte sich etwas von Kaiba weg.
 

„Wer ist diese Person? Sie muss dir unglaublich wichtig sein“, schlussfolgerte Kaiba und fühlte sich irgendwie unglaublich überlegen, als er bemerkte, dass er Yuugi in eine Ecke getrieben hatte. Jetzt hatte Kaiba wieder einen wunden Punkt getroffen und es interessierte ihn brennend, wie dieser nun reagierte. Würde er weglaufen? Oder seinen Mann stehen?
 

„Ja, das ist sie. Aber ich glaube, ich bin ihr nicht so wichtig. Unser Verhältnis ist kompliziert“, erklärte Yuugi hinter vorgehaltener Hand und quälte sich zu einem Lachen. Er wollte seine Unsicherheit verbergen. Auch jemand wie Yuugi hatte Menschen, die an ihn zweifeln, das fand Kaiba äußerst spannend. Yuugi schien stets von Menschen umringt zu sein, die ihn liebten und in Schutz nahmen. Besonders seine Freunde hatte er in Erinnerung, die sich sogar aller Logik zum Trotz für ihn einsetzten und ihre Freundschaft groß an die Glocke hingen. Kaiba hatte immer den Eindruck, dass jemand wie Yuugi, der so liebenswert und naiv war, nie schlechte Erfahrungen gemacht haben konnte. Yuugi musste ein durchgängig schönes Leben gehabt haben, geliebt von seiner Familie und seinen Freunden, die ihn selbst dann noch zujubelten, wenn er am Boden lag. Das wollte Kaiba zumindest glauben.
 

„Bist du dir da sicher? Vielleicht kann sie nur seine Gefühle nicht so offen zeigen und möchte nur das Beste für dich.“
 

„Nein... es geht ihm mehr darum, sein gutes Ansehen zu behalten. Für ihn bin ich eine Schande, weil ich absichtlich falsche Entscheidungen treffe und unsere Familie entehre.“
 

„Falsche Entscheidungen?“, wiederholte Kaiba fragend. Mittlerweile war er sich sicher, dass Yuugi von einem Familienmitglied sprach. Wahrscheinlich der Vater. Kaiba überlegte. Er hatte Yuugis Vater noch nie gesehen und sich nie große Gedanken um seine Familiensituation gemacht. Der alte Knacker – gemeint war selbstverständlich Sugorokou, Yuugis Großvater – und diese Frau mit kurzen Haaren waren die einzigen Personen, an die er sich erinnerte. Kaiba war der Ansicht gewesen, dass Yuugi vielleicht gar keinen Vater hatte, was in der heutigen Zeit nichts Ungewöhnliches gewesen wäre.
 

„Er hätte lieber, ich würde einen richtigen Job lernen. Er sagt, ich würde meine Zeit verschwenden und solle endlich erwachsen werden. Spiele seien für Kinder, haha“, erklärte er und setzte ein krampfhaftes Lachen an, das er genauso schnell abbrach. Kaiba konnte hören, dass diese Worte Yuugi schmerzten und er konnte es einigermaßen nachvollziehen, wie es war, wenn die eigene Familie, nicht hinter einem stand und einen dazu drängte, Dinge zu lernen, die einem widerstrebten. In gewisser Weise fühlte er so etwas wie Verbundenheit zu seinem Rivalen. Er senkte betroffen den Blick.
 

„Weiß er, dass du jetzt in der Kaiba Corporation arbeitest?“, fragte Kaiba beiläufig.
 

„Nein, davon wollte er gar nichts hören. Wieso?“
 

„Richte ihm doch einen schönen Gruß von mir aus und sag ihm, dass du mit deiner falschen Entscheidung sehr bald schon sehr viel mehr verdienen wirst, als er in seinem gesamten Leben.“
 

„W-was?“, wiederholte Yuugi unsicher und fiel aus allen Worten.
 

„Spherium ist kein Fehler und ganz sicher bist weder du noch deine Ideen eine Schande. Spiele seien nur für Kinder? Was für ein Blödsinn! Die Spielbranche wird von Jahr zu Jahr größer und Unterhaltungsmedien nehmen einen immer wichtigeren Stellenwert in unserer Gesellschaft ein. Ehre? Ansehen? Wer braucht schon alte, überholte Ideologien? In der Technik liegt die Zukunft und das, was wir schaffen, wird diese maßgeblich beeinflussen. Und ich werde alles daran setzen, dass Spherium weltweit erfolgreich wird. Yuugi, dein einziger Fehler ist es, dass du dir selbst nicht vertraust und dich von den Worten anderer zu sehr beeinflussen lässt.“
 

„Kaiba-kun...“, nuschelte Yuugi nur. Er brachte keine richtigen Worte heraus. Kaiba munterte ihn auf. Auf seine eigene, verschrobene Art und Weise. Das war merkwürdig und schön. Sein Herz schlug ihn bis zum Hals. Diese Aufgeregtheit wollte einfach nicht weichen. Sein Gesicht und seine Augen wurden ganz heiß.
 

„Danke.“
 

Yuugi drehte sich so um, dass er mit dem Rücken zu Kaiba stand. Woher kamen diese Tränen? Verdammt, dabei hatte er sich doch vorgenommen, niemals wieder zu weinen. Die Freude, dass ausgerechnet Kaiba sich so viel Zeit für ihn nahm und ihm Mut machte, war einfach zu schwer zu verarbeiten. Energisch wischte er sich die Tränen aus den Augenwinkeln.
 

„Yuugi, wir sind Partner. Und als dein Partner lasse ich dich nicht hängen. Also hör auf zu weinen und steh deinen Mann.“
 

„Ja“, schniefte Yuugi und schenkte Kaiba ein warmes, zuversichtliches Lächeln. Instinktiv erwiderte Kaiba dieses und legte Yuugi seine Hand auf dessen Schulter.
 

Seine Schulter war schmal. Yuugi war so klein und zierlich. Zerbrechlich. Aber in diesem schwach anmutenden Körper war eine große, mutige Seele, die bereit war, für seine Ziele zu kämpfen. Ein wacher Geist, der jedes Rätsel durchschaute und in der Lage war, für jedes Problem eine passende Lösung zu finden. Kaiba vertraute Yuugi und wusste, dass dieser nicht nur in Duel Monsters eine ernstzunehmende Konkurrenz war. Er hatte die Fähigkeit, seine Begeisterung auf andere abfärben zu lassen und sein liebenswerter Charakter hatte nicht nur Kaiba mehr als einmal die Augen geöffnet. Dieses unendliche Mitgefühl für andere und die Güte, die Yuugi erfüllte, waren Dinge, die Kaiba fehlten und gerade deshalb schätzte er ihn.
 

Diese Unterschiede machten sie aus. Kaiba fand durch Yuugi seine Balance. Auch Atem hatte dies gesagt. Atem hatte so sehr von Yuugi geschwärmt und ihn als wahren Duellanten bezeichnet. Obgleich Kaiba das nicht glauben wollte, konnte er mit jeder Minute, die er mit Yuugi verbrachte, immer mehr verstehen, was Atem so sehr an ihn schätzte. Yuugis Güte und seine Fähigkeit die schlimmsten Verbrechen zu verzeihen halfen auch Kaiba dabei, voranzuschreiten und sich mehr auf das Wesentliche zu konzentrieren. Es gab nicht nur schwarz und weiß. Die Welt war bunt und es gab immer mehr als eine Lösung. Die Zusammenarbeit mit Yuugi hatte ihn verändert und ihn dazu gebracht, seine Sichtweise zu hinterfragen.
 

„Yuugi...“, sagte Kaiba nun. Er wusste nicht, warum er das sagte, vielleicht wollte er nur vom Thema ablenken, da ihn dieser Moment selbst ein wenig emotional ergriff und er sich schämte seine Gefühle offen zu zeigen, aber er fühlte, dass es die richtige Entscheidung war.
 

„Du sagst, du machst dir Sorgen um mein Essverhalten, dabei bist du viel dünner als ich. Du solltest mehr essen. Vielleicht auch mehr Sport treiben“, grinste Kaiba amüsiert und drückte Yuugis Schulter etwas fester, sodass dieser kurz zusammenzuckte.
 

„Sehr witzig...“, murrte Yuugi und verdrehte genervt die Augen.
 

„Das war kein Witz.“
 

Es war schon später Abend als die Gäste sich langsam verabschiedeten und wieder Ruhe in der Villa der Kaibas einkehrte. Das Buffet war beinahe restlos aufgegessen. Kaiba war sich sicher, dass Jounouchi für mindestens 20 Personen gegessen haben musste und obwohl er sich darüber ärgern wollte und sich selbst davon überzeugen wollte, dass Jounouchi ein bildungsresistenter Idiot war, so war er irgendwo auch froh, dass Jounouchi da gewesen war. Mit ihm zu streiten hatte etwas Erfüllendes. Und er hatte Yuugi ganz allein für sich gehabt. Die anderen Gäste waren so sehr von dem Blonden und Mokuba abgelenkt, dass er den ganzen Abend mit Yuugi in Ruhe reden konnte.
 

Worüber genau sie gesprochen hatten, konnte Kaiba nicht mehr mit ganzer Sicherheit sagen. Kleinigkeiten. Unwichtige Dinge. Aber er hatte sich gut dabei gefühlt. Er war vollkommen ausgelassen und hatte nicht den Druck gespürt, sich krampfhaft professionell geben zu müssen. Es war lange her, dass er nicht auf seine Wortwahl geachtet hatte. Und das sagen zu können, was er sonst in seinem Herzen verbergen wollte, hatte er vermisst. Er stand inmitten des leeren Raumes. Einige Bedienstete räumten das Buffet ab und die Musik verstummte. Hier und da vernahm er Stimmen und das klirrende Geräusch von Geschirr, das abtransportiert wurde, erreichte seine Ohren.
 

Eine Gestalt näherte sich ihm. Er drehte sich mit einem Lächeln um.
 

„Mokuba... wie war es in Amerika?“, fragte er und wurde das Verlangen nicht los, noch mehr Fragen zu stellen.
 

„Sag du mir lieber, worüber du mit Yuugi geredet hast. Du hast ihn zum Weinen gebracht. Das habe ich ganz genau gesehen.“ Mokuba verengte die Augen zu Schlitzen.
 

„Ach, er hat mir nur seine Gefühle gestanden“, scherzte Kaiba und machte sich mit Mokuba auf den Weg, den Saal zu verlassen und in den Wohnbereich zu gehen.
 

„Wusste ich's doch!“, rief Mokuba lachend aus und jubelte.
 

„Ich hab keine Ahnung, woran du jetzt denkst, aber ich bin mir sicher, dass es falsch ist.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
In Japan ist es unüblich zwischen Männern sich >Ich mag dich/hab dich gern/Ich liebe dich< zu sagen, da die japanische Gesellschaft im Gegensatz zu unserer sehr an ihren Traditionen hängt. Yuugiou ist ein japanischer Manga, wer genau hinschaut, wird sehr schnell merken, dass viele Szenen im Japanischen vollkommen anders aufgefasst und verstanden werden.

Man zeigt seine Gefühle nicht so offen. Man möchte andere Personen nicht mit seinen Gefühlen belästigen. Auch wenn man eine andere Person nicht mag, wird man ihr ein Lächeln schenken und gedanklich über das schlechte Benehmen dieser Person den Kopf schütteln. Das Ansehen ist wichtig. Der Gedanke, wie andere einen selbst sehen und beurteilen, ist auch heute noch in Japan von enormer Wichtigkeit. Auch Kaiba erwähnt hier, wie wichtig es ihm ist, dass man ihn ernst nimmt.

Dass Yuugi Kaiba direkt ins Gesicht sagt, dass er ihn mag, kann also missverstanden werden und darauf möchte ich hier auch hinaus. Das ist der „Witz“ dahinter. Deshalb sagt Kaiba, dass Yuugi ihm seine Gefühle gestanden hätte, denn aus einer anderen Sicht kann man dies tatsächlich so interpretieren, da man im Normalfall sich so nicht ausdrücken würde. Yuugis Art sich auszudrücken ist sehr emotional. Auch im Manga ist er nah am Wasser gebaut, was zum einen untypisch für einen Shounen Helden ist, aber ihn auch besonders macht. Manchmal hat er Tränen in den Augen, wenn er sich freut. Yuugis Emotionalität ist einer seiner wichtigsten Charakterzüge und etwas, das auch die Menschen um ihn herum beeinflusst.

Auch in der japanischen Fassung des Animes und des Mangas gibt es eine Szene, wo Yuugi >Ich liebe dich< zu Jounouchi sagt, weshalb diese Worte eine sehr starke Gewichtung haben und zurecht von vielen Fans als romantische Grundlage angesehen wird, insbesondere wenn man den Manga und ihre Beziehung zuvor genau betrachtet.

Das für uns ganz normale >Ich liebe dich< gibt es im japanischen Sprachgebrauch nicht, weshalb man auch unter Pärchen bei >Daisuki< bleibt. Die japanische Sprache lebt von Kontext und ist häufig offen für Interpretationen, weshalb viele Japaner auch bis Mitte 30 ihre eigene Sprache nur oberflächlich verstehen und sich daher genauso zurückhaltend ausdrücken. Dass >Aishiteru< unserem westlichen >Ich liebe dich< gleichkäme, ist ein Irrglaube, verbreitet von Manga und Anime Fans, die ihre Lieblingsserien zu verwestlichen versuchen. In der Realität würde man Aishiteru nur in einem dramatischen Kontext nutzen, jemand stirbt oder ist schwer krank, aber nicht im normalen Sprachgebrauch.

Animes/Mangas stellen oft ein verwestliches Japan dar und man sollte sich immer im Klaren sein, dass Realität und Mangas/Animes sich nicht immer die Waage halten.

Weitere Quellen zum Thema Liebe & Japan:
Rachel and Jun – Japenese don't say I love you
Abroad in Japan
That Japanese Man Yuta Komplett anzeigen

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