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three-day fever

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Die US-Armee verlor fast so viele Soldaten durch die Spanische Grippe wie durch Kampfhandlungen. Allein in Indien sollen mehr als 17 Mio. Menschen an der Grippe gestorben sein. Damit ist ihr Ausmaß vergleichbar mit dem Pestausbruch von 1348, dem mehr als 1/3 der europäischen Bevölkerung zum Opfer fiel. Komplett anzeigen

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three-day-fever


 

 

”I had a little bird,

Its name was Enza.

I opened the window

and in-flu-enza.“

 

(bekannter Kinderreim)

 

 

🥄🥄🥄

 

 

Schweiß stand ihm auf der Stirn, doch er widerstand dem Bedürfnis, ihn sich mit dem Ärmel aus dem Gesicht zu wischen. Er wusste, sein Körper log. Schuld hatten die feuchten Laken, die die Krankenschwestern kreuz und quer im Raum verteilt hatten. Sie waren es, die ihn trotz der kühlen Luft schwitzen ließen und das, obwohl er gerade erst einen Zauber zur Temperaturregelung gesprochen hatte.

 

So vor zehn oder zwölf Stunden...

 

Mit einem Mal wurde ihm klar, wie lange er eigentlich schon auf den Beinen war. Er spürte, wie seine Brille auf der Nase drückte, wie seine Beine schmerzten, sein Magen knurrte und doch – Stumm blickte er noch einmal in den Kessel hinein. Wenn dieser Trank richtig wirkte, war er jede Mühe wert.

 

Irgendwo hinter den Laken hörte er einen Soldaten husten, dann Schritte, die schnell näher kamen. „Sir?“, erklang es durch den groben Stoff, „Margareth sagt, sie kommt nicht mehr.“

 

Er benötigte fast zwei Atemzüge, um die Worte richtig zu verstehen, dann seufzte er matt. Vielleicht war es besser für Margareth, dass sie nicht mehr kam. Genauso wie für Edith und Penelope. Und doch brauchte er ihre Hilfe eigentlich gerade mehr denn je.

 

Stoff raschelte, als Stella die Laken zur Seite schob. „Haben Sie heute Nacht wieder nicht geschlafen?“, begrüßte sie ihn.

 

Seufzend nahm er seine Brille von der Nase, genoss es, wenigstens einen Moment lang den Druck des Gestells nicht mehr im Gesicht zu spüren. Außerdem konnte er sich so vor Stellas mahnendem Blick verstecken. Einem, den sie immer aufsetzte, wenn er es vorzog, ihr nicht zu sagen, wie lang er schon auf den Beinen war.

Der Vortrag, den er damit heraufbeschwor, war ihm nur zu gut bekannt. Es war immer derselbe. Eine gut gemeinte Mischung aus „Gehen Sie ins Bett“ und „Wir brauchen Sie gesund“. Zwei Punkten, mit denen sie natürlich recht hatte.

 

Stella hatte immer recht. Von all den Krankenschwestern, die er hatte kommen und gehen sehen, war sie diejenige, mit der er am besten zurecht kam. Sie glaubte ihm, wenn er seine Zaubertränke als Eigenart der persischen Kultur ausgab, fragte nicht, wenn er merkwürdige Dinge für seine Tinkturen forderte und klagte nicht einmal, wenn aus ihrer einfachen Schicht wieder einmal eine dreifache wurde.

Und trotzdem war es nur eine Frage der Zeit, bis auch sie die Flucht ergreifen würde. Sie würde gehen, so wie Margareth, Edith und Penelope gegangen waren. Und er konnte es ihnen nicht einmal verübeln.

 

„Wir haben kaum noch Aspirin“, unterbrach Stella seine trüben Gedanken und zwang ihn damit, seine Brille erneut auf die Nase zu setzen. Es tat weh, doch ihre Worte schmerzten mehr. Nicht das er sonderlich viel Vertrauen in die Muggelpillen gehabt hätte – Es war nur …

Seine Patienten hatten es. Sie glaubten, dass die Pillen ihre Schmerzen stillten. Wenn sie erfahren würden, dass sie kaum noch welche hatten … Er blinzelte mehrfach. Seine Augen brannten. Er würde irgendetwas sagen müssen. Zu ihnen und zu Stella, die genauso elend aussah, wie er sich gerade fühlte.

„Schauen Sie“, hörte er sich krächzen, „Ich habe ein Fiebermittel angerührt. Wenn wir Glück haben, wird es uns helfen, die Temperatur unserer Patienten zu senken.“

 

Stella musterte seinen Kessel mit erschreckender Professionalität. Wäre sie eine Hexe gewesen, er hätte geschworen, dass sie die ihr bekannten Fiebertränke im Kopf durchging und mit seinem Gebräu verglich. Doch Stella war keine Hexe. Sie war ein Muggel. Einer, der keine Ahnung von Tränken hatte. Keine haben konnte.

Er atmete tief durch. „Am besten wir füllen gleich die Portionen ab“, schlug er vor.

 

Stella schüttelte den Kopf. „Sie machen heute gar nichts mehr“, bestimmte sie streng, „Ich werde das umfüllen und dann beten wir, dass Sie recht haben, und es hilft.“

Er nickte, unfähig zu protestieren und konnte es doch nicht lassen, ihr wenigstens das erste Glas zu reichen. „Wenn das Fieber sinkt, können wir versuchen gegen den Husten anzugehen“, erklärte er ihr.

 

Stella griff nach seiner Kelle und rührte für einen Moment in dem Trank herum. Dann begann sie das Glas zu füllen. „Glauben Sie denn, dass es sinken wird?“, fragte sie.

 

Am liebsten hätte er sofort „Ja“ gesagt, doch die Wahrheit sah leider anders aus. „Ich weiß es nicht“, gestand er leise, während er bereits nach dem nächsten Glas griff. „Es ist schwer ein Mittel gegen eine Krankheit zu finden, die niemand kennt.“

 

Stella nickte ein weiteres mal. „Die Soldaten munkeln, es käme aus den Gräben“, erzählte sie, bevor sie eine weitere Kelle voll abschöpfte. Kurz fürchtete er, sie würde den Eidechsenschwanz entdecken, den er in Ermangelung der passenden Kräuter als Katalysator verwendet hatte, doch wenn sie den klebrigen, braunen Brocken in der Masse bemerkt hatte, sagte sie es zumindest nicht.

„Sie behaupten auch, es wäre ein Mitbringsel aus den Kolonien oder eine Strafe Gottes“, redete er weiter, um sie zumindest ein bisschen von der verräterischen Zutat abzulenken, die gerade wieder in der braunen Brühe zu versinken begann. „Nichts davon ist stichhaltig.“

„Und was denken Sie?“, ging Stella darauf ein, während sie fleißig weiter löffelte, „Was hat diese Krankheit Ihrer Meinung nach heraufbeschworen?“

 

Für einen Moment musterte er den Kessel, die Gläser und schließlich auch das Brett, auf dem er die Zutaten geschnitten hatte. Hatte er die Feenflügel weggeräumt? „Ich“, begann er und versuchte nebenbei unauffällig einen Blick auf die Reste seiner Arbeit zu werfen, „Ich denke, es sind die Zustände hier. Die Angst, der Dreck, die Nähe ... Das alles fördert die Ausbreitung von Krankheiten.“

 

„In der Zeitung steht, dass es vielleicht Bakterien sind. Aber es fällt mir schwer zu glauben, dass etwas, was so winzig sein soll, so etwas zu tun vermag. Ich meine, es sind junge Männer. Sie sind stark und die Bakterie... Sie ist -“

„So klein?“

 

Stella nickte. „Ich kann einfach nicht glauben, dass sie diese Blutungen verursacht oder die Zyanose, den Husten... Manchmal glaube ich, hier wütet doch die Pest.“

 

„Es ist nicht die Pest“, widersprach er eilig und schob sich vorsorglich zwischen Stella und sein Schneidbrett. Ein wenig Flussgras würde er ihr als normale Zutat verkaufen können, Eidechsenschwänze oder Billywigstacheln eher nicht.

 

„Wie können Sie da so sicher sein?“, fragte Stella und hörte sogar für einen Moment mit dem Umfüllen auf. Kurz trafen sich ihre Blicke, doch er wusste, sie wollte nicht unhöflich sein. Einander in die Augen zu sehen war in England üblich. So üblich wie es für ihn war, es eben nicht zu tun.

 

„Ich bin mir nicht sicher“, gestand er ihr und schob sich mit der Hand die Brille nach oben, um sich die Nasenflügel zu reiben, „Ich weiß nur, wenn es wirklich die Pest wäre, sähe es für uns alle sehr düster aus.“

„Mehr als ohnehin schon?“

 

Er nickte. „Die Inkubationszeit stimmt nicht, und gefühlt werden auch viel zu viele Männer wieder gesund. Diese Krankheit mag ähnlich aussehen, aber ich glaube nicht, dass sie es ist.“

 

Vorsichtig ließ er sich die Brille wieder auf die Nase gleiten, doch Stella blickte ihn noch immer an.

„Manchmal frage ich mich, wie sie das machen“, erklärte sie mit hochgezogenen Augenbrauen.

 

Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. War es das? Hatte sie gemerkt, dass hinter ihrem Rücken seltsame Dinge geschahen?

Er schluckte schwer. „Wie ich was mache?“, hakte er nach, obwohl er es eigentlich gar nicht so genau wissen wollte. Er hatte immer versucht vorsichtig zu sein, hatte plötzliche Verbesserungen des Gesundheitszustandes seiner Patienten stets auf die gute Pflege und die fortschrittliche Medizin geschoben und immer darauf geachtet, dass niemand es sah, wenn er mit dem Zauberstab auf Wunden deutete.

Und jetzt?

Jetzt stand da Stella und guckte ihn so komisch an. Das war nicht gut. Gar nicht gut. Er konnte es sich nicht leisten, sie jetzt heimzuschicken. Er hatte schon zu viele Schwestern verloren. Aber wenn er die Wahrheit sagte, wenn er es ihr erklärte –

Sein Magen gab ein unpassendes Knurren von sich. Wenn das britische Ministerium herausbekam, dass er die Geheimhaltung gefährdete, würde das nicht gut für ihn enden. Sie würden ihn festnehmen, verhören und in ihr grausiges Gefängnis werfen, wo er bleiben würde, weil der Schah nicht in der Lage war, ihm auf irgendeine Art und Weise gegen die Briten zu helfen.

Nein, das durfte nicht passieren. Er konnte es nicht sagen. Er musste lügen. Irgendeine sinnvolle Geschichte erfinden und ihre Bedenken zerstreuen. Irgendwas – Irgendwie...

 

„Wissen Sie“, erklärte Stella, während ihm spontan immer übler wurde, „Sie finden immer genau die Worte, die man gerade hören will. Ist das ein besonderes Talent?“

 

Am liebsten hätte er erleichtert geseufzt, doch er hielt sich zurück. Stattdessen setzte er ein dünnes Lächeln auf. „Vielleicht ist es Magie“, scherzte er in einem Anflug von Galgenhumor und beobachtete fasziniert, wie auch Stella zu lachen begann.

 

Vielleicht würde es für ihre Zusammenarbeit doch ein Morgen geben, auch wenn das Übermorgen noch in weiter Ferne lag.
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Mitsuki-chan
2018-12-29T11:52:37+00:00 29.12.2018 12:52
Hallo,
deine FF ist super geschrieben. Man liest und liest und dann ist sie leider auch schon zu Ende.^^ Deine Storyline fand ich gut. Die Idee hat mir sehr gefallen !

LG Mitsuki
Antwort von:  _Delacroix_
29.12.2018 21:54
Dankeschön.
Das höre ich wirklich sehr gerne.^^
Von:  MorganMidnight
2018-10-19T17:54:24+00:00 19.10.2018 19:54
Super FF!!!!!!!!!!
Zuerst dachte ich mir, welche Soldaten!!!!!!!
Hat ein bisschen bei mir gedauert, bis ich darauf kann, dass er Muggel behandelt!!!!!!!
Ich finde es ist eine super Idee!!!!!!!
Möglicherweise hat es wirklich Zauberer gegeben, die den Muggelsoldaten geholfen haben!!!!!!
Wer weiß!!!!!!!!
Antwort von:  _Delacroix_
19.10.2018 20:01
Danke, ich freu mich, das sie dir gefallen hat.^^
Von: abgemeldet
2018-05-29T20:41:55+00:00 29.05.2018 22:41
Coole Idee! Ich wünsche dir viel Glück für den Wettbewerb! Ich mag die Art, wie du den Beruf in den geschichtlichen Kontext eingeordnet hast und auch, dass Amir verdeckt handelt. Wirklich gut gelungen!
Antwort von:  _Delacroix_
29.05.2018 22:43
Danke^^
Das höre ich wirklich gerne.
Von:  Kerstin-san
2018-04-27T14:03:23+00:00 27.04.2018 16:03
Hallo,
 
das ist wirklich mal ne coole Darstellung des Heilerberufes. Gerade weil Amir ja inkognito unterwegs ist und verzweifelt versucht nicht aufzufallen, während er mit seinen Heiltränken herumprobiert und fleißig am experimentieren ist.
 
Gut, dass Stella ihm so eine Hilfe ist. Sie scheint wirklich eine herzensgute und mitfühlende Seele zu sein und so wie Amir ackert und sich die Nächte um die Ohren schlägt, kann er so jemanden auch sehr gut brauchen. Mir gefiel, wie er versucht hat seinen magischen Hintergrund und die ganzen exotischen Tranzutaten zu vertuschen und einfach hofft, dass Stella nichts seltsames an dem Gebräu auffällt. Gleichzeitig fand ich es in dem Zusammenhang unheimlich lustig, als er ihr dann "Vielleicht ist es Magie" um die Ohren haut. Klar, dass sich Stella dabei nichts denkt, aber für mich als Leser ist das ein schöner Wink mit dem Zaunpfahl :)
 
Liebe Grüße
Kerstin
Antwort von:  _Delacroix_
27.04.2018 16:29
Dankeschön^^

Ich freue mich, dass du in die Story reingeschaut hast. ehrlich gesagt, dachte ich nämlich, mit zwei OCs schrecke ich die meisten Leser ein bisschen ab.^^°


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