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SANTA kills (Adventskalendergeschichte)

von

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Kugelschreiber

Am nächsten Morgen erwachte ich bereits um fünf Uhr in der Früh. So aufgeregt war ich das letzte Mal, als ich mich zum ersten Mal mit einem Mann getroffen hatte und wusste, dass es auf Sex hinauslaufen würde. Es war schön und gleichzeitig furchtbar gewesen. Keiner von uns beiden konnte es wirklich genießen, weil wir viel zu aufgeregt waren. Ich hegte die stille Hoffnung, dass es am zukünftigen Abend anders laufen würde und der Alkohol meine soziale Unbeholfenheit etwas abschwächte. Nicht, dass ich auf Sex aus gewesen war.
 

Nachdem ich um fünf Uhr wach war, die Toilette besucht habe und mich todmüde hab wieder ins Bett fallen lassen, träumte ich von Santa. Wie ich auf der Feier war und ihn gesucht habe, doch ihn nirgendwo fand. Erst, als Cindy (die ja doch eigentlich gar nicht kommen wollte/sollte) mir zusteckte, dass Santa nicht als Santa unterwegs war, bekam ich Panik. Er saß die ganze Zeit irgendwo am großen Tisch und sagte nichts. Doch wieso sagte er nichts? War es ein Spiel? Musste ich ihn erkennen? Also bin ich fast zu jedem einzelnen Gast hin und habe ihm tief in die Augen gesehen. Alle wollten irgendwie an meine Wäsche, doch ich wollte auf ihn warten. Niemand konnte mir sagen, wer er ist und wie er aussieht. Alle kannten ihn nur unter Santa. Und ich wurde von Sekunde zu Sekunde nervöser, bis er schließlich hinter mir war – erneut als Weihnachtsmann. Ich war so froh, ihn wiederzusehen, dass ich mich sofort in seine Arme hab stürzen lassen und ihn küsste. Energisch. Voller Leidenschaft.
 

Deine großen Hände wanderten über meinen Körper. Auf einmal waren wir nackt. Immer, wenn ich in dein Gesicht sehen wollte, drücktest du es wieder runter. Schließlich wolltest du, dass ich mich umdrehte. Also tat ich, wie von mir verlangt und streckte dir meinen nackten Hintern entgegen. Es war erotisch und doch gab es mir ein Gefühl von Verletzlichkeit. Ich war dir ausgeliefert – und ich wusste doch noch nicht einmal, wer du warst!
 

Schließlich erwachte ich schweißgebadet und hatte den seltsamsten Ständer seit Langem. Ich war erregt und doch etwas panisch.
 

Schließlich kroch ich aus dem Bett und huschte unter die Dusche. Ich hatte etwas verschlafen, aber das war nicht weiter tragisch. Immerhin war ich offiziell noch krank und nach Ethans Aussage sowieso vom Fall abgezogen. Also ließ ich mir genüsslich viel Zeit beim Masturbieren unter der Dusche. Gott sei Dank dachte ich dabei nicht an Santa. Ich hätte sonst meinen Willen zu Leben verloren, wenn ich von nun an anfangen würde, zum Weihnachtsmann zu masturbieren – jedenfalls redete ich mir das ein.
 


 

Als ich ins Büro kam, überraschte mich Ethan mit einem strahlenden Gesicht. »Freya ist heute nicht im Büro! Was machen wir?«
 

Wie ein kleines Kind hüpfte er auf und ab. Seine Laune war nur bedingt ansteckend, also behielt ich die Fassung. Besonders in Hinblick auf meine gequetschten Knochen und Muskeln, die dank Wolkow noch immer reichlich schmerzten. »Wir sind hier nicht bei Kevin allein zu Haus, Ethan. Wir machen gar nichts.«
 

»Sicher?«, fragte er in der typischen Tonlage, die vermuten ließ, dass er etwas in Petto hatte, was er mir im richtigen Augenblick stecken würde.
 

Ich drehte mich zu ihm um, bevor ich mich an den Schreibtisch setzen konnte. Seine gute Laune machte mich etwas nervös, doch er bekam mich genau da hin, wo er mich haben wollte. Neugierig hob ich beide Augenbrauen. »Sicher?«, wiederholte ich seine Aussage und wartete, ob er mich noch länger auf die Folter spannen oder mich in seinen kindischen Plan einweihen würde.
 

Ethan grinste breit und griff sofort in seine Hosentasche, als hätte ihn dort eine Biene gestochen. Er holte ein kleines Stück Papier raus und übergab es mir breitwillig. »Hier!«
 

Ich nahm es etwas angespannt an und faltete es auf, sodass ich lesen konnte, was draufstand. »Eine Adresse? Von was? Irina Iwanownas Aufenthalt?«
 

»Nein«, seufzte Ethan sofort und verdrehte die Augen bis fast in den Hinterkopf. »Wir wollten doch keine Einsätze auf dem Feld mehr. Außerdem wir wissen auch gerade nicht, wo sie sich aufhält. Die Ermittlungen laufen noch.«
 

Ich nickte etwas enttäuscht und wartete auf die Aufklärung, wessen Adresse es dann war. Als Ethan mich nur weiterhin breit angrinste, verlor ich etwas die Geduld. »Ethan«, ermahnte ich ihn. Sein kindlicher Charakter drosselte sich trotzdem nicht.
 

»Die Kugelschreiberfabrik!«, lachte er aufgebracht. »Wo Irina Iwanowna gearbeitet hat! Ich habe herausgefunden, wo sie ist. Vielleicht können wir mal dorthin fahren und uns die Lage anschauen. Wenn wir unsere Marken ein bisschen rumwedeln, lässt man uns bestimmt mal rein. Eventuell gibt es ja Kollegen, die mehr wissen.«
 

Ich zuckte mit den Mundwinkeln. Eine gute Sache. Aber… »Wie war das mit ‚keine Direkteinsätze mehr‘?«
 

Mein Kollege hob die Schultern und steckte die Hände in die Hosentasche. »Wolkow und Co. werden sicherlich nicht dort sein. Wir sind also nur Besucher, die im Fall von Mrs. Iwanownas Verschwinden ermitteln. Ich denke nicht, dass wir in einer Kugelschreiberfabrik unter Beschuss geraten.«
 

Dem konnte ich zwar nur bedingt zustimmen – denn man wusste ja nie. Da ich meine Waffe jedoch stets bei mir trug, sollte sie als Sicherheit für den Ausflug genug sein. Bis unter die Zähne bewaffnet in eine normale Kugelschreiberfabrik einzudringen unter dem Vorwand nach einer russischen Geisel zu suchen, würde auch meine Aufmerksamkeit erregen, wenn ich gerade im Untergrund zutun hätte. Und was wir gerade am wenigstens gebrauchen konnten, war erneute Aufmerksamkeit.
 

Ich lächelte schließlich und steckte den Zettel in meine Jackentasche. »Nun gut«, sagte ich in einem freundlicheren Ton als zuvor und deutete mit einem Kopfnicken an, dass ich zum Ausgang gehen werde. »Begleitest du mich?«
 

Ethan nickte enthusiastisch. »Auf jeden Fall!«
 


 

Die Fabrik lag etwas abgelegen in einem Vorort. Rundherum kleine Häuschen und Wohnkomplexe, die vermutlich der Mittelschicht angehörten. Ein sehr ruhiger Ort. Selbst die Fabrik wirkte trotz ihrer lauten Maschinen von außen wie eine meditative Gebetsstätte. Erst, als man den Vorraum der Betriebshalle betrat, wurde es etwas ohrenbetäubend.
 

»Hier werden die Mienen hergestellt«, schrie uns der Fabrikleiter an, der uns netterweise hereingelassen hatte. Zwar blickte er etwas skeptisch, aber als Irina Iwanownas Name fiel, wurde er extrem freundlich und bat uns herein. Zwar interessierte ich mich herzlich wenig, wie Kugelschreiber hergestellt wurden – billige noch dazu – aber es diente als gute Ablenkung. Denn Ethan war hellauf begeistert und nickte, wann immer der Leiter uns eine neue Maschine zeigte, die jetzt noch schneller und noch mehr Kugelschreiberteile herstellte.
 

»Und wo genau hat Mrs. Iwanowna gearbeitet?«, unterbrach ich die Lobreden auf sein Unternehmen. Der bereits ältere Mann räusperte sich und duckte seinen Kopf ein Stück zwischen die Schultern, als würde er sich verstecken wollen.
 

Er zeigte schweigend mit der Hand in eine Richtung, in der wir gehen sollten. Nur schleppend begleitete er uns. Wir durchquerten mehrere Fabriken, bis wir schließlich in einen großen Handwerksraum kamen, wo sehr viele Menschen an langen und breiten Tischen saßen. Vor ihnen mehrere kleine Häufchen von Teilen.
 

»Hier hat sie gearbeitet. Bei der Montage der Kugelschreiber«, erklärte der Leiter und seufzte, als wäre ihr Verlust wirklich enorm tragisch für die Firma gewesen.
 

Ethan sah sich neugierig um und begutachtete einen jungen Mann, wie er zügig die Kugelschreiber zusammensteckte. »Wirklich erstaunlich, dass die das so schnell können.«
 

»Mit der Zeit kommt die Übung, nicht?«, lachte der alte Mann und steckte seine Hände in den Kittel seiner Arbeitskleidung.
 

Nach näherer Begutachtung der Menschen erinnerte ich mich an Ethans Bericht über die behinderten Menschen. »Man sagte uns«, begann ich, während ich noch mit den Augen den Raum abfuhr, »dass hier Menschen mit Behinderungen arbeiten. Im Moment sehe ich niemanden. War das eine Fehlinformation?«
 

Sowohl Ethan als auch der Leiter sahen mich entsetzt an. »Kyle«, ermahnte mich mein Kollege zu erst und schüttelte den Kopf. »So etwas kannst du doch nicht sagen.«
 

»Wieso nicht?«, hakte ich mit hochgezogener Augenbraue nach. »Hier ist offensichtlich niemand behindert. Das sind ganz normale Arbeiter.«
 

»Manchmal sieht man Menschen ihre Behinderung nicht an. Das ist unsensibel, Kyle«, argumentierte Ethan recht aufgeregt und tauschte nervöse Blicke mit dem Werksleiter. Der holte immer wieder tief Luft, als wäre ich ihm persönlich auf den Schlips getreten.
 

»Also? Sind diese Menschen behindert oder nicht?«, fragte ich genervt nach, bemühte mich jedoch um einen ruhigen Ton, um nicht noch weitere Hasspredigten gegen meine unmoralischen Fragen heraufzubeschwören.
 

»Wir hatten… Menschen mit Behinderungen in unserer Firma, ja. Ein kleiner Anteil, der sich um die Montage des höherwertigen Modells gekümmert hat.«
 

»Aha?«, zeigte ich Interesse und kam einen Schritt auf ihn zu. Ein Mitarbeiter, den Ethan zuvor genauer beobachtet hatte, hörte uns offensichtlich zu. Sein Blick wanderte immer wieder zu uns hoch.
 

»Ja«, bestätigte der Leiter mein interessiertes Aha. »Diese kleine Gruppierung ist aber heute nicht im Haus.«
 

»Wie schade«, murmelte ich und presste meine Lippen aufeinander. »Und wann ist diese Gruppe zugegen? Dass man sie mal befragen könnte?«
 

»Wieso wollen Sie unbedingt diese Arbeiter befragen? Mrs. Iwanowna hat nicht mit ihnen gearbeitet. Sie arbeitete hier.«
 

Der Werksleiter wurde zunehmend nervös. Immer wieder fuhr er mit den Fingern über seinen etwas abgetragenen, goldenen Ring. Ich sah es durch die Kitteltasche.
 

»Ach nein? Uns wurde gesagt, sie war für die Warenkontrolle zuständig. Hier wird soweit ich das sehe nur montiert. Wo ist also die Kontrolle?«
 

Ethan warf mir immer wieder nervöse Blicke zu, in der Hoffnung, ich würde meinen Fauxpas, zu direkt zu sein, bemerken. Doch in dieser Welt gab es kein ‚zu direkt‘. Eine Frau war als Geisel bei russischen Gangstern und wurde vermutlich gefoltert, weil sie von irgendwelchen Codes weiß, die sie nicht hätte wissen dürfen.
 

Der Werksleiter räusperte sich erneut und ging schließlich an ein paar Tischen vorbei, bis er mir einen leeren präsentierte. »Hier werden Stichproben entnommen und genauer untersucht. Wir können ja nicht alle kontrollieren. Das machen die Arbeiter in der Regel ja schon beim Zusammensetzen.«
 

Der weiße Tisch war leergeräumt. Offensichtlich hatte man noch keinen Ersatz für Mrs. Iwanowna gefunden. »Wer macht jetzt die Kontrollen?«
 

»Zurzeit… äh, niemand«, murmelte der ältere Herr, während er sich über die feuchte Stirn wischte. »Wäre das dann alles? Ich müsste wieder zurück an die Arbeit. Sie können sich gerne noch etwas umschauen, aber bitte fassen Sie nichts an und stören Sie keine Mitarbeiter.«
 

Ohne auf eine Erlaubnis zu warten, stapfte er davon und verschwand zurück in den großen Betriebshallen, wo der Lärm deutlich zu hören war.
 

»Kyle, man, du darfst nicht immer so eiskalt sein. Wir sind hier nicht beim Verhör. Der Mann weiß doch gar nicht, wer wir sind oder warum wir hier sind. Oder was auf dem Spiel steht.«
 

»Ist ja auch vielleicht besser so für ihn«, schnaubte ich aus und ging langsam an den anderen Tischen vorbei. Alle arbeiteten ruhig vor sich hin. Manche hörten Musik, andere starrten einfach stur auf ihre Kugelschreiber. »Diese Fabrik stellt keine Luxuskugelschreiber her, trotzdem sprach er von hochwertigeren Stiften. Ich finde sie nirgends… Ethan?«
 

»Nein, alles dieselben«, murmelte er und kratzte sich am Haaransatz. »Vielleicht machen die wirklich nur die … naja. Du weißt schon.«
 

»Aber dann müssten hier doch trotzdem irgendwo Teile liegen! In einer Kiste, in einem Karton, irgendwo! Oder gibt es etwa noch einen Raum, wo montiert wird?«
 

»Ja«, hörte ich auf einmal den jungen Mann vom Tisch sprechen. Er drehte sich in seinem Stuhl zu uns um und sah neugierig in unsere Richtung. Er war offensichtlich indischer Abstammung, denn so war auch sein Akzent. Trotzdem war er sehr bemüht deutlich zu sprechen. »Die anderen arbeiten immer im Lager. Irina hat sie manchmal beaufsichtigt, weil sie sie so mochte. Sie hatte ein Herz für die behinderten Menschen. Die anderen haben sie nicht gut behandelt.«
 

Ethan und ich kamen langsam auf den jungen Mann zu. Seine Kollegen duckten sich immer weiter, als wäre es ihnen unangenehm mitanzusehen, wie einer von ihnen alles ausplauderte. Aber ich war froh darum, dass wenigstens einer hier den Mund aufbekam. Immerhin war eine Frau verschwunden – ging das denn sonst niemanden hier etwas an?
 

»Mrs. Iwanowna hat also manchmal mit den anderen gearbeitet? Weiß der Leiter das?«
 

Der junge Mann nickte. »Ja, er hat es toleriert. Aber vor einigen Tagen war dann alles vorbei.«
 

»Was ist passiert?«, flüsterte ich ihm laut zu, da ich das Gefühl hatte, wir mussten diskret vorgehen. Der junge Mann riskierte sonst vielleicht nicht nur seinen Job.
 

Er lehnte sich ein bisschen zu mir vor. »Diese Kugelschreiber… dürfen nur von den besonderen Menschen zusammengebaut werden. Niemand sonst darf sie anfassen oder sie sehen. Der Werksleiter hat Angst, dass sonst herumgepfuscht wird. Aber letzte Woche war ein behindertes Mädchen krank, sie fühlte sich nicht gut, also hat Irina sie beiseite genommen und sich auf ihren Platz gesetzt. Für ein paar Stunden hat sie dann also die Arbeit übernommen.«
 

Ich hörte ihm gespannt zu. Hatte es also was mit den Kugelschreibern zu tun? Der junge Mann sprach zögernd weiter und sah sich immer wieder in der Montagehalle um.
 

»Ich weiß das nur, weil…, weil ich dabei war. Wissen Sie, ich mochte Irina sehr.«
 

Da nickte ich, um ihm zu zeigen, dass ich vollstes Verständnis für ein bisschen Stalking hatte.
 

»Sie baute die Kugelschreiber zusammen, aber anstatt die Kugelschreibermienen aus der vorgesehenen Box zu nehmen, nahm sie ihre eigenen. Aus einer Tasche. Sie baute sie zusammen und warf sie alle in ein separates Kästchen.«
 

Ethan schluckte deutlich hörbar. »Sie hat also gepfuscht?«
 

Der junge Mann hob die Schultern. »Keine Ahnung, was sie da gemacht hat. Aber es wirkte sehr routiniert. Als würde sie das öfter machen. Jedenfalls hat der Werkstattsleiter davon etwas mitbekommen und sie dem Chef gemeldet. Seitdem ist sie nicht mehr gekommen. Und die Kugelschreiber waren auch verschwunden. Und die behinderten Menschen kamen seither auch nicht mehr.«
 

Die Informationen sackten langsam in meinen Magen, wo sie ein ungutes Gefühl verbreiteten. Noch ehe ich dem Mann Fragen stellen konnte, kam der Leiter zurück und pflaumte uns an, dass wir verschwinden sollten, wenn wir die Arbeiter stören würden. Gute Arbeitsverhältnisse waren das jedenfalls nicht.
 


 

Als Ethan und ich wieder im Büro ankamen, hielt ich ihn am Ärmel fest und deutete ihm an, dass wir noch etwas im Auto sitzen bleiben sollten. Er schloss seine Tür und sah mich mit großen Augen an.
 

»Das ist alles viel zu ungenau«, begann ich. »Mrs. Iwanowna arbeitet in einer Kugelschreiberfabrik in der Warenkontrolle. Alle ihre Kollegen, deren Akten damals auf meinen Schreibtisch fanden, waren Menschen mit Behinderungen. Von den normalen Mitarbeitern war nie die Rede. Und dass Mrs. Iwanownas Stelle so lange unbesetzt bleibt, zeigt doch eigentlich, dass sie diesen Job nicht dauerhaft gemacht hat.«
 

»Du meinst die Kontrolle?«, hakte Ethan nach und hing mir an den Lippen, während ich resümierte.
 

»Ja. Eigentlich arbeitete sie mit den anderen Menschen zusammen. Das war ihre Hauptaufgabe. Und Freya musste das gewusst haben, sonst hätte sie mir nicht so genau alle Akten der eingeschränkten Menschen gegeben.«
 

»Nenn sie nicht so«, murmelte Ethan dazwischen. »Nenn sie doch einfach… Menschen mit Behinderungen.«
 

Ich verdrehte die Augen. Dafür hatten wir jetzt keine Zeit und ich keinen Nerv. »Ist doch egal. Du weißt, wen ich meine. Jedenfalls hat Freya von ihrer besonderen Aufgabe gewusst. Und dass sie spezielle Kugelschreiber zusammenbaute.«
 

»Aber warum wollen die Russen unbedingt sie? Wegen der Kugelschreiber?«
 

Ich starrte auf das Lenkrad vor mir. »Du sagtest, sie habe Codes bekommen. Codes, die sie eigentlich hätte nicht erfahren dürfen.«
 

»Ja, das war das, was ich von Freya mitgehört hatte.«
 

Und dann klingelte es in meinem Kopf. Kugelschreiber waren ein tolles Versteck, nicht wahr? »Was, wenn die Codes in den Kugelschreibern waren?«
 

Ethan sah mich mit großen Augen an. »In den Kugelschreibern?«
 

»Ja, in der Miene, in der Hülle, wo auch immer! Irgendwelche wichtigen Codes wurden in dieser Fabrik von A nach B befördert. Und Irina Iwanowna hat sich darum gekümmert.«
 

»Du meinst also, sie steckte mitten drin?«
 

Ich trommelte auf meinem Knie. »Sie haben behinderte Menschen genommen, weil die niemals diese Codes hätten herausfinden können. Sie konnten Kugelschreiber zusammenbauen, aber keine Codes entziffern. Sie waren also keine Gefahr. Irina hingegen war eine. Sie hat die Codes bekommen und sie sich vermutlich aufgeschrieben. Letztendlich haben die Russen davon spitz bekommen.«
 

»Wieso sollte die Regierung denn Codes durch Kugelschreiber verteilen? Wäre das nicht super unsicher?«
 

Ich zuckte mit den Schultern und griff nach meinem Handy. »Vielleicht waren es auch keine Codes. Sondern Nachrichten. Während des Krieges hat man so manchmal wichtige Dokumente überbracht, weil man der Post nicht mehr traute. Irgendwo hat es einen Maulwurf gegeben, also versuchte man es über diesen Weg. Irina Iwanowna wurde dann darin verwickelt.«
 

Ethan sah mich auf dem Handy tippen. Ich notierte unsere Erkenntnisse, um einen Überblick zu bekommen. Da kräuselte sich seine Stirn. »Glaubst du Mrs. Iwanowna ist da zufällig reingeraten?«
 

Ich sah auf. »Nein, nicht unbedingt. Sie wurde vielleicht eingespannt. Immerhin hat ihr Kollege uns erzählt, dass sie wissentlich in eine andere Schachtel gegriffen und die Kugelschreiber anders sortiert hat.«
 

»Die Regierung… hat also eine Kugelschreiberfabrik und stellt dort Billigkugelschreiber her. Aber in einem kleinen Kämmerchen stellen sie mit Hilfe von behinderten Menschen hochwertigere Kugelschreiber in geringer Stückzahl her, die insgeheim aber Codes von was auch immer tragen. Und um das Ganze zu beaufsichtigen, haben sie Irina Iwanowna eingestellt, die zur Deckung hin und wieder die Kontrollen übernahm, die es aber offiziell gar nicht gab.«
 

»Du siehst nicht überzeugt aus«, stellte ich fest und presste meine Lippen zusammen.
 

»Bin ich auch nicht«, antwortete er und schüttelte den Kopf. »Das klingt irgendwie zu absurd. Sicher, es hat was mit den Kugelschreibern zu tun, aber… die britische Regierung würde niemals eine so wichtige Aufgabe in die Hände von behinderten Menschen und einer Russin geben.«
 

»Vorsicht«, mahnte ich Ethan und spürte meine Mundwinkel zucken. »Jetzt wirst du rassistisch.«
 

Schnell ruderte er zurück und fuhr sich durch sein dichtes Haar. »Du weißt, was ich meine, Kyle! Mrs. Iwanowna soll für die Regierung gearbeitet haben? Wieso sagt Freya uns das dann nicht? Dann würde diese ganze Aktion doch auch einen ganz anderen Stellenwert in unserer Abteilung bekommen. Im Moment arbeiten nur wir beide dran. Und Freya. Das war’s! So wichtige Codes können es doch dann gar nicht gewesen sein.«
 

Ethan warf da ein paar interessante Fakten auf. »Freya ist nicht ehrlich zu uns, das hast du ja selbst schon gesehen. Sie sagt uns nicht alles und das hat einen Grund. Welchen müssen wir noch herausfinden.«
 

Ich rückte ein Stück näher zu Ethan, der sich ebenfalls zu mir herüber beugte.
 

»Behalte das, was wir heute herausgefunden haben, vorerst für dich, okay?«, bat ich ihn. »Es ist nicht so, dass ich Freya nicht Bericht erstatten will, aber ich habe das Gefühl, da stimmt noch etwas nicht ganz. Und bevor wir nicht wissen, was da vor sich geht, recherchieren wir lieber für uns alleine, okay?«
 

Ich sah Ethan an, dass er von der Idee der Geheimhaltung eher nicht so überzeugt war. Trotzdem nickte er schließlich und stimmte zu. »Okay, Kyle. Ich sag nichts. Wir waren heute in der Fabrik, haben aber nicht wirklich was gefunden, weil der Leiter uns nur rumgeführt hat und wir zwar jetzt wissen, wie man Kugelschreiber herstellt, aber das Essentielle nicht gefallen ist.«
 


 

»Danke, Ethan«, war ich um ein aufrichtiges Lächeln bemüht. Um herauszufinden, wo Mrs. Iwanowna war, mussten wir erst einmal den Grund für ihr Verschwinden finden. Denn das schien das größte Mysterium zu sein: Wer will eigentlich was von Mrs. Iwanowna?


Nachwort zu diesem Kapitel:
Sooo~ Nachdem ich heute nochmal etwas mehr Story gegeben habe, wird es die nächsten Tage nun eher profan gehalten :D

Ab morgen wird es also Adult Kapitel geben - nur so zur Info, falls hier Menschen mitlesen, die noch keine Adult Kapitel lesen dürfen (auch wenn ich der Meinung bin, dass man in jedem Buchhandel auch einfach so ein Buch aufschlagen und die heißen Szenen lesen kann, ohne das ein Verkäufer auf einen zugestürmt kommt und das Buch aus den Händen reißt :D )

Habt noch ein schönes Wochenende und wir lesen uns morgen! Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Jitsch
2018-12-09T19:35:13+00:00 09.12.2018 20:35
Hm, der Nebel über dem Fall Iwanowa wird langsam dünner. Die Sache stinkt echt zum Himmel. Ich hoffe nur dass Kyle nicht noch ins Visier der eigenen Leute gerät wenn er zu viel rausfindet. Schließlich wird es einen Grund haben dass er viele Informationen nicht bekommt, und es könnte sogar zu seinem eigenen Schutz sein...
Von: abgemeldet
2018-12-09T13:50:10+00:00 09.12.2018 14:50
Uh, es wird spannend! :D
Ich bin gespannt auf morgen~
 
(und ja, das mit dem Buchladen ist wahr. Ich hab mal ne offene Kollektion von Marquis de Sade in der Auslage gesehen. Da konnte man schlicht drin rumblättern und es wurde auch noch angepriesen. Und das...ist nun echt kein Werk für einen normalen oder gar schwachen Magen)


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