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Die Brücke und das Zeitenrad

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Die Brücke und das Zeitenrad

Wir schreiben den 1. September 2013, ich habe seit Wochen nicht mehr richtig geschlafen, meine Augen sind rot und glasig vom vielen Weinen, ich bin am Ende meiner Kräfte und ich stehe auf einer Brücke. Unter mir breitet sich der Fluss in seiner ganzen Schönheit aus, es ist ein warmer spätsommerlicher Tag, das Wasser ist nicht tief, die Brücke gerade hoch genug, ich bin bereit zu springen …
 

Aber warum stehe ich hier? Angefangen hat alles im Dezember 2012, kurz vor Weihnachten. Es war an einem ganz normalen Arbeitstag als ich plötzlich bemerkte, dass ich nicht so viel Luft bekam wie üblich. Es wurde immer schlimmer und schlimmer, ich ging zu mehreren Ärzten. Da ich eine starke Skoliose habe wurde meine Atemnot darauf geschoben und als „nicht behandelbar“ abgetan. Keiner wollte oder konnte mir helfen, meine Familie war ratlos, meine Freunde zu weit weg um mir richtig zur Seite zu stehen. Ich fühlte mich allein und gesundheitlich am Ende. Wisst ihr wie es ist, wenn man Atemnot hat? Es ist die Hölle! Es ist als wäre man in der Wüste, kurz vor dem verdursten, die Kehle ist trocken, die Lippen vom Wüstenstaub und der Sonne schon rissig und spröde, du gierst nach Wasser, wenigstens nach einem Schluck, nur einer, aber um dich ist nur Sand und du fühlst wie du die Hoffnung verlierst dieses Tal jemals wieder lebend zu verlassen. So ging es mir, es fühlte sich an als wären meine Lungenflügel am verdursten. Sie schrien nach Luft aber ich war nicht fähig ordentlich, tief Luft zu holen. Ich wurde jede Nacht von der Luftnot geweckt, ging in meiner Wohnung auf und ab, versuchte wieder richtig zu atmen, wieder und wieder und wieder, aber es ging nicht. Ich begann um mich zu schlagen, Gott zu verfluchen und ihn anzubrüllen warum er mich so sehr hasst, bis ich doch irgendwann vor Erschöpfung in einen seichten Schlaf viel. Ich stellte mir diese Frage oft. Warum gerade ich? Ich wurschtelte mich durch die Arbeit, oft versagte mir auf Grund der schlimmen Atemnot die Stimme, ich sperrte mich heimlich ein, wenn ich die Tränen nicht mehr unterdrücken konnte und fühlte mich von jedem Handgriff völlig überfordert. Wenn ich zu Hause wieder stundenlang vor mich hin heulte wie ein Schlosshund und nicht mehr weiter wusste hätte ich mir oft gewünscht, dass da jemand gewesen wäre der mich einfach in den Arm nimmt, der eben da gewesen wäre, aber da war niemand, mein verzweifeltes Geheule erreichte nur die Wand und meine drei Katzen die ratlos vom Kratzbaum auf mich herab starrten.

Eine Physiotherapeutin empfahl mir Sport zu machen womit ich Ende August 2013 sehr wiederwillig anfing, es schien mir Paradox mit Luftnot auch noch Sport zu betreiben und eigentlich konnte ich nicht mehr, eigentlich WOLLTE ich nicht mehr! So kam es zu dem folgenschweren Entschluss: „Es muss ENDLICH Ruhe werden!“
 

Deshalb stehe ich nun heute auf dieser Brücke, alleine, völlig übermüdet, mit roten, glasigen Augen und meiner ewigen, elendigen Luftnot. Ein Sprung und es ist Ruhe, ein Sprung und sie wird mich nie mehr quälen können, es wird endlich still sein, so schön still, ich werde endlich schlafen können …
 

In meinen Gedanken gibt es keine Zukunft mehr, keinen Ausweg aus dieser Lage, keinen Lichtstreif am Horizont, alles scheint mir verloren und düster, als würde ich in einem Sumpf stecken und langsam darin versinken. Ich sehe keine Chance mehr für mich, keine „besseren“ Zeiten, kein Happy End und dennoch, was wäre, wenn es ein „Was wäre wenn …“ gäbe und ich das Zeitenrad einmal vordrehen und in meine Zukunft sehen könnte.
 

Wenn ich es nun vordrehen könnte, wenn ich diese magische Kraft tatsächlich besitzen würde und könnte ins Jahr 2014 sehen, fragend ob es besser wird, würde ich mich sehen wie ich, nicht zuletzt wegen der Atemnot, ein richtiger Sportfreak bin, ich würde mich von einem Berg auf den anderen rennen sehen mit einer Freundin die ich durch diese neue Leidenschaft erst kennengelernt habe. Ich würde mich im Fitnessstudio sehen manchmal auch mit Arbeitskollegen wie wir Zumba tanzen und Stepp Aerobic machen. Ich würde mich auf Kur sehen und auf Reha. Oft würde ich mich noch beim weinen erwischen wenn ich es wieder einmal gar nicht mehr aushalte und mir einfach alles zu viel wird. Die Arbeit, der Sport und die immer noch sehr hartnäckige Luftnot. Manchmal würde mich aber auch schon beim Lächeln erwischen, wenn ich ab und an fühle, dass es zwar immer noch sehr schlimm ist aber dennoch schon ein bisschen bergauf geht …
 

2015 würde ich sehen, dass ich mein Tempo beibehalte, ich würde mich auf Festivals und Veranstaltungen finden die mir trotz der Atemnot sehr viel Freude machen. Vor allem aber würde ich den Fasching 2015 sehen und erkennen, dass ich dort jemanden kennengelernt habe. Gegen Ende des Jahres würde ich sehen, dass ich mich regelmäßig mit ihm treffe, dass ich ihn gerne hab und dass diese Sache langsam immer ernster wird während sich mein Problem mit der Luft langsam etwas zu lockern beginnt …
 

2016 würde ich sehen, dass ein Aufschrei durch die Welt geht als Facebook Anfang August ganz offiziell verkündet, dass ich in einer Beziehung bin. Meine Erste wohlgemerkt, da es mir immer sehr schwer viel andere Menschen an mich heran zu lassen, hat es sich bis Dato einfach nicht ergeben. Ich würde mich zum ersten Mal mit Schmetterlingen im Bauch auf Wolke sieben sehen und – ach wie schön das ist! Atemnot, ja die ist noch da, aber auf dem Weg der Besserung und gerade bin ich auch viel zu glücklich um schlecht drauf zu sein.

Ende 2016 würde ich sehen, dass ich, weil mich meine Arbeitgeber entlasten wollen, nochmal eine Ausbildung mache … zum Seniorenanimateur!
 

2017 würde ich sehen, dass meine Beziehung an Tiefe gewinnt, er wohnt mehr oder weniger bei mir, meine Atemnot ist nicht weg, aber ich habe sie gut im Griff. Oft ist es auch gar nicht mehr so schlimm, ich weiß wie ich sie händeln muss, Luftholen geht wieder besser und in den Armen von meinem Freund schläft es sich gleich doppelt gut! Auch die Ausbildung zur Seniorenanimateurin habe ich mit gutem Erfolg hinter mich gebracht. In der Arbeit stellt mich das Ganze noch vor eine Herausforderung aber davon lasse ich mich doch nicht unterkriegen. Ich schwebe noch immer auf Wolke 7, bin total verliebt und mega happy!
 

2018 würde ich sehen, dass es ans eingemachte geht, meine Beziehung ist stabil, ohne seine Einwilligung entschließe ich das ein Baby total super wäre! Mein Freund tritt auf die Bremse, erst mal will er mit mir zusammenziehen. Ich bleibe optimistisch, wir sind ja schon eine Zeit lang auf Wohnungssuche, irgendwann werden wir schon eine finden! Meine Atemnot gehört mehr oder weniger zum Alltag, oft einmal lässt sie mich einige Zeit in Ruhe, oft ist es auch wieder schlimmer, ein bisschen Sorgen macht sie mir manchmal schon aber ich kann gut mit ihr umgehen.
 

Würde ich auf 2019 drehen würde ich sehen, dass in meiner Wohnung inzwischen jemand anderes wohnt. Nicht weil ich mich umgebracht habe, sondern weil ich mit meinem Freund in eine gemeinsame Wohnung in meiner Heimatstadt gezogen bin, was mich sehr freut. Wir bauen uns ein gemeinsames Leben auf, ich spiele mit dem Gedanken eine weitere Ausbildung zu machen. Sport ist noch immer ein Thema, ich brauche ihn um der Luftnot entgegenzuwirken, gehe regelmäßig walken, aber ich betreibe ihn nicht mehr so extrem wie in den ersten Jahren, was man auch an meinem Beziehungsspeck sehen kann! Ich habe noch immer den Wunsch endlich schwanger zu werden, er ist inzwischen auch nicht mehr abgeneigt, vor allem jetzt wo wir in der neuen, größeren Wohnung sind die auch Platz für Nachwuchs bietet. Nicht alles war leicht in den letzten Jahren, und doch bin ich plötzlich genau da wo ich immer hinwollte, verrückt! Ich lache, ich liebe, ich bin total glücklich, fühle mich als wäre ich endlich zu Hause angekommen ... das Leben ist wieder schön! Ach, ich würde am liebsten heulen, aber dieses Mal vor Freude!
 

An dieser Stelle würde ich das Zeitenrad dann erstmal stehen lassen und mich doch lieber überraschen lassen ob die Zukunft noch ein Baby für mich bereithält … aber ich bin schon ganz gespannt!
 

So viel wird passieren in den nächsten Jahren, aber von all dem ahne ich jetzt noch nichts. Denn wir schreiben erst den 1.September 2013 und ich stehe gerade auf einer Brücke, alleine, verzweifelt, übermüdet und total verheult. Die Welt um mich scheint so endlos schwarz zu sein und ich sehe keinen Ausweg mehr. Was meint ihr, sollte ich springen?



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