Zum Inhalt der Seite

So sollte es nicht verlaufen...

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Simon

Mein Name ist Simon. Bis vor ein paar Monaten war ich das, was andere Leute „Normal“ nennen. Ich ging ganz normal zur Schule, traf mich danach oft mit meinen Kumpels und zockte gerne. Nur ein einzelner kleiner Punkt unterschied mich von den anderen – ich hatte noch keine Freundin. Doch das störte mich nicht. Ich hatte halt noch kein Mädchen gefunden, dass mich wirklich interessierte.
 

Eines Tages, wir hatten uns bei einem Kumpel zum Zocken verabredet, kam sein älterer Bruder früher nach Hause und setzt sich zu uns. Ich hatte ihn noch nie zuvor gesehen und doch spürte ich eine Art Anziehung zu ihm. Es ergab sich, dass unsere Clique öfter auf ihn traf und langsam wurden wir Freunde. Ich erfuhr immer mehr über ihn und er über mich. Wann immer er Zeit hatte, besuchte er mich und wir zockten eine Runde Fortnite oder unterhielten uns einfach. Mit ihm konnte man herrlich über die verrücktesten Dinge reden. Doch ich bemerkte, dass sich auch nach all der Zeit, das Gefühl der Anziehung zu ihm nicht geändert hatte. Ganz im Gegenteil – es wurde immer stärker. Irgendwann wurde ich regelrecht nervös, wenn ich alleine mit ihm in einem Raum war. Immer wenn er mich anlächelte begann mein Gehirn auszusetzen und wenn er mich berührte, kribbelte die Stelle, auch wenn die Berührung bereits vorüber war.
 

Ich kannte diese Symptome, hatte ich sie doch oft genug von meinen Kumpeln gehört, wenn sie wieder in ein Mädchen verliebt waren – ich hatte mich in den Bruder meines Freundes verguckt. Diese Erkenntnis traf mich inmitten eines Fortnitebattels. Ich war so perplex, dass ich das Spiel haushoch verlor und danach überstürzt nach Hause lief und mich in meinem Zimmer einschloss.

»Ich, in einen Jungen verliebt? Nein, das konnte nicht sein! Nie und nimmer. Warum auch? In meinem Umfeld war nicht eine einzige Person schwul oder lesbisch. Warum also sollte ich es sein? Man(n) wird ja nicht von heute auf morgen schwul.« Meine anfängliche Panik legte sich, ich hatte mir irgendwie einreden können, dass ich falsch lag.
 

Doch als ich meinen Kumpel das nächste Mal besuchte, zugegeben mit einem leicht mulmigen Gefühl, und sein Bruder nur in Boxershorts bekleidet vor mir stand, kam die Panik wieder. Ich konnte nicht umhin festzustellen, dass ich den Mann vor mir unglaublich anziehend und … heiß fand. Ungeheuerlich, nicht wahr? Als Mann einen anderen Mann heiß zu finden.
 

Ich lief blutrot an und stotterte irgendwas davon, dass ich noch einen Termin hätte und rannte aus der Wohnung. Zuhause musste ich den Tatsachen ins Auge sehen. Ich hatte mich wirklich verliebt – in einen Mann. Drei Tage lang war ich so verzweifelt, dass ich mich krank stellte und nicht zur Schule ging. Doch das war leider auch keine Dauerlösung. Ich quälte mich also in die Schule, mit der ständigen Angst, dass es jemand herausfinden würde, dass man mir das Schwulsein ansehen würde.
 

Ein paar Wochen später hatte ich mich überreden lassen, mal wieder zum Zocken zu meinem Kumpel zu fahren. Angespannt saß ich auf dem Sofa. Sein Bruder war heute wieder zu hause. Gerade zappten wir durch das Fernsehprogramm, als wir an den Nachrichten hängen bleiben – ein Schauspieler hatte sich als schwul geoutet. »Holy Shit. Der Typ ist schwul?« »Ich wusste es von Anfang an. Er hatte schon immer ein tuntiges Auftreten.« »Ja, nicht wahr? Voll widerlich!« »Ich kann diese mimosenhaften Schwuchtel-Weicheier echt nicht ausstehen.« Eine hitzige Debatte darüber, wie scheiße Schwule doch seien, brach aus. Ich versuchte mich möglichst unauffällig raus zu halten. Doch als auch noch der Bruder meines Kumpels sich in die Diskussion einklinkte und ebenfalls seine Abneigung zum Besten gab, rutschte mir sprichwörtlich das Herz in die Hose. Tief in meinem Herzen hatte ich wohl die Hoffnung gehabt, dass ich ihm eines Tages gestehen könnte, dass ich in ihn verliebt bin. Diese Hoffnung hatte sich nun aber in Luft aufgelöst. Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Ohne dass die anderen es bemerkten, ging ich nach Hause.
 

An diesem Tag weinte ich stundenlang in meinem Zimmer. Ich verstand das Gefühl nicht, dass sich in meinem Inneren ausbreitete. Es war tiefe Verzweiflung. »Was sollte ich tun? Wenn ich es ihm gestand, würde ich den Spott meines Lebens ernten. Ich würde gemobbt, beschimpft und gehasst werden. Und meine Eltern? Wenn sie es erfahren würden, würden sie es verstehen? Bestimmt nicht. Sie wären enttäuscht. Vater hatte oft genug betont, wie sehr er eine Schwiegertochter haben will.«
 

Um dem immer stärker werdenden Gefühl der Verzweiflung zu entkommen, begann ich mich von meinen Kumpels abzukapseln. Sie fragten mich oft, was los sei, doch ich gab nie konkrete Antworten, bis sie es schließlich aufgaben. Zudem begann ich meine Gefühle anderweitig zu kompensieren. Ich aß weniger und als ich eines Tages das probierte, was ich schon bei einigen gesehen hatte, war ich überrascht, welche überraschend große Erleichterung es mir, wenn auch nur für kurze Zeit, brachte – ich verletzte mich selbst. Es war ein unglaubliches Gefühl, dass ich nicht wirklich beschreiben kann, dem Blut zuzusehen, wie es langsam aus der Wunde lief und der süße Schmerz, der alle anderen Gefühle und mein Gehirn betäubte.
 

Doch, je schwäche und geschundener mein Körper wurde, so schwächer wurde auch mein Geist. Zwischenzeitlich war ich zu einem wahren Außenseiter mutiert. Auch der Bruder meines Kumpels ließ sich nicht mehr bei mir blicken, nachdem ich ihn einige Male vor meiner Tür abgewimmelt hatte.
 

Ich schaute auf mein Handy. Eine Chat war geöffnet. Der Chat mit dem Bruder meines Ex-Kumpels und mir. Die letzte Nachricht. Ich starrte auf sie, ohne wirklich etwas zu lesen. »…will ich nichts mehr mit dir zu tun haben.« Die Worte brannten sich in mein Gehirn, der Rest war egal. »Was ist nur falsch mit mir? Was habe ich getan, dass ich eine solche Strafe verdient habe? Warum kann ich nicht wie alle anderen sein und ein glückliches Leben führen? Eine Frau finden und mit ihr Kinder haben? Warum musste alles so kommen?«, das habe ich mich gefragt, bevor ich ohne eine Jacke aus meinem Haus getreten bin.
 

Vielleicht hätte ich mit meinen Eltern darüber reden sollen. Oder mit meinen Kumpels. Vielleicht hätte es doch jemand verstanden. Immerhin leben wir doch im 21. Jahrhundert. Ja, ich hätte definitiv mit jemanden reden sollen. Doch jetzt war es zu spät.

Nun stehe ich hier. Hinter mir fährt ein Auto vorbei. Noch eines und noch eines. Wie lange stehe ich hier schon? Ich weiß es nicht. Ich schaue nach oben. Der vorhin noch sternenklare Himmel ist nun wolkenverschleiert. Es regnet. Die schweren Regentropfen fallen auf mein Gesicht, in meine Augen und vermischen sich mit Tränen, die mir über die Wangen laufen. Ich wende meinen Blick in die entgegengesetzte Richtung und starre auf das schwarze Wasser tief unter mir, während hinter mir ein Auto vorbeifährt. Noch eines und noch eines…


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe, es hat euch gefallen - ist an dieser Stelle wohl unpassend zu sagen. Tatsächlich ist mir dieses Thema sehr wichtig und bitte ernst zu nehmen. Im 21. Jahrhundert sollte es kein Problem mehr sein, nicht heterosexuell zu sein - doch das ist es leider noch immer. Wie der Titel der Geschichte schon sagt, hoffe ich, dass es keinem so ergeht und kann jeden nur dazu aufrufen: akzeptiert die Menschen so, wie sie sind. Denn ihr wollt auch von ihnen so akzeptiert werden, wie ihr wirklich seid. Solltet ihr wirklich Probleme haben, bspw. mit Mobbing, so sucht euch auf jeden Fall Hilfe. Es gibt viele (anonyme) Hilfeservices, auch online oder sprecht mit Freunden und Bekannten.

LG
Mei2001 Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück