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Weihnachten 1880

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Weihnachten 1880

London, den 24.12.1880
 

Liebste Mutter,
 

ich schreibe Ihnen diese Zeilen im Schein einer Kerze. Emma und Victoria, die Töchter der Astleys mit denen ich mir ein Zimmer teile, grummeln im Hintergrund. Sie möchte, dass ich endlich zu Bett gehe, doch das ist unmöglich für mich ohne Ihnen geschrieben zu haben.

Heute ist so viel Schönes zusammengekommen, dass mein Herz überquillt vor lauter Freude und da Sie mit daran beteiligt waren, werden die Beiden sich noch ein wenig gedulden müssen.

Zunächst sah es allerdings nicht so aus, als würde es ein besonderer Tag werden. Wie Sie sicherlich wissen feiert man hier in England Weihnachten erst am ersten Feiertag und nicht wie bei uns an Heilig Abend. Aus diesem Grund hatte ich mich schon seelisch darauf eingestellt den heutigen Tag weniger festlich zu verbringen als gewohnt.

Wie üblich bin ich mit Emma, Victoria Mrs. Astley und Annie dem Küchenmädchen um sechs Uhr aufgestanden. Alle waren etwas aufgeregter als sonst, da heute die Premiere des neuen Manegenschaustücks war. Nachdem der Herd gesäubert und Tee gekocht war, hat Mrs. Astley einen großen Pott Kartoffeln gekocht, wie sie es gelegentlich tut. Ich habe mir nicht viel dabei gedacht. Zum Frühstück, bei dem auch Mr. Astley und die Jungs herunterkamen, gab es wie meistens Butterbrote. Nur weil die Astleys gefragte Kunstreiter sind bedeutet es nicht, dass die Familie sich jeden Tag ein Festessen leisten könnte, schließlich geht das Wohl der Pferde vor, wie auch in unserer Familie.

Nach dem Frühstück haben wir Annie noch geholfen, indem wir das Geschirr spülte, während sie die Treppe weißte. Der Bäcker brachte das Brot für die Woche und den Korb von mir bestellter Bath Buns. Das sind süße Brötchen, leider gab es keine Zimtbrötchen, also habe ich mich mit Bath Buns beholfen. Ich habe die Buns bezahlt und ihm ein gutes Trinkgeld, wegen Weihnachten geben.

Derweil hat Mrs. Astley mit Annie ihre Aufgaben für den Tag besprochen. Ich habe kaum zugehört, da ich zu beschäftigt war mit meinem miserablen Englisch den Bäcker zu bezahlen.

Dann sind wir alle los zum Probieren, dem letzten Mal vor der Premiere.

Am Royal Circus angekommen habe ich mich natürlich zuerst nachgesehen, ob Jupiter, Semiramis, Diana, Vulcan, Apollo und Venus gut versorgt wurden. Wie sonst auch an Weihnachten habe ich den Stallburschen angewiesen ihnen eine Festtagsportion Hafer zu geben.

Mr. Sakurazawa erwartete mich danach schon zum Bodenschießen üben. Er hat mir in den letzten Wochen das Bogenschießen vom Pferderücken aus beigebracht. Ich musste es für das neue Manegenschaustück lernen. Aber da ich es nun schon gelernt habe, wird sich sicherlich noch öfter Gelegenheiten ergeben es in Nummern einzubauen.

Mr. Sakurazawa lobt nur sehr sparsam, und wenn er es tut, fragt man sich, ob es ein Lob war. So teilte er mir mit, dass er nun zuversichtlich sei, dass ich mir mein Abendessen selbst erlegen könnte, sollte es je nötig sein. Ich fasse diese Aussage von ihm als großes Lob auf.

Ich habe ihm eines der süßen Brötchen geschenkt, als Dank für seine Unterweisungen und zu Weihnachten.

Mr. Sakurazawa nahm es mit einer Verbeugung entgegen, um es danach mit seiner Familie zu teilen.

Ich weiß nicht, wie sie das machen, aber innerhalb einer Minute waren sie alle um ihn versammelt und er hat das Brötchen, mit einer raschen Erklärung in seiner Muttersprache, zerteilt. Da sie so viele sind habe ich ihnen noch ein zweites Brötchen gegeben. Es schien ihnen zu schmecken.

Das war vor der Generalprobe, die statt der Vormittagsvorstellung stattfand. Frau Direktorin war zufrieden auch wenn es etwas chaotisch ablief und einige Kostüme erst nicht gefunden wurden, dennoch konnten wir am Nachmittag die Premiere feiern.

Der Klippensprung mit Juptier, Sie haben schon ähnliches vorgeführt, lief gut, dennoch rast mein Herz jedes Mal direkt davor. Ich bin froh, dass Jupiter so ein gutmütiges und ruhiges Pferd ist.

Das Manegenschaustück basiert dieses Mal auf einer chinesischen Legende über ein Mädchen, welches statt ihres kränklichen Vaters gegen die Hunnen ins Feld zieht.

Die Sakurazawas und die anderen asiatischen Artisten stellen die chinesischen Soldaten dar. Die Astleys und ich sind die Hunnen, da unser Kostüm gut unsere Gesichtszüge verdeckt. Die junge Mrs. Sakurazawa wurde als Hauptfigur eingeteilt, was sich als glücklich erwies. Ihre Schaukämpfe wirken beängstigend echt.

Unter den Artisten gibt es das Gerücht, die Sakurazawas wären eigentlich keine Artistenfamilie, sondern verarmte Samurai.

Ich weiß jedoch, dass Mr. Sakurazawa in Cambridge Bannmagie studiert hat. Er hat einige Schutzbänne im Gebäude angebracht und uns Reitern extra kleine Schutzamulette gegeben. Frau Direktorin hat ihn sogar dafür bezahlt. Er muss also sehr gut sein, darum halte ich das Gerücht für falsch. Weshalb er mit seiner Familie allerdings zum Zirkus gegangen ist, ist mir jedoch ein Rätsel, als Bannmagier könnte er ein Vermögen machen. Oder er könnte einen Posten in der japanischen Regierung bekommen. Ich habe gehört Absolventen englischer Universitäten werden dort oft in hohe Positionen eingesetzt.

Stattdessen lehrt er Artisten Bogenschießen und arbeitet als Akrobat. Seine Frau ist eine hervorragende Schneiderin, sie hat die Kostüme entworfen und mit Hilfe der anderen Näherinnen gefertigt.

Nun, um ehrlich zu sein kann ich mich glücklich schätzen, dass sie bei uns sind, ihre Magie schützt das Gebäude vor Feuer und uns bei Unfällen. Außerdem ist er ein geduldiger Lehrmeister.

Bei der Premiere lief alles rund. Jupiter meisterte den Klippensprung mit Bravour und das Publikum war begeistert. Besonders die Schaukämpfe und Spektakel kamen gut an.

In der Mittagspause überraschten die Astleys mich. Annie brachte uns heiße Würstchen und Kartoffelsalat, etwas, dass hier eher unüblich ist. Emma verriet mir, dass Mrs. Astley Ihnen geschrieben hat, um das Rezept für den Kartoffelsalat zu erfragen. Edward war noch rasch am Morgen zu einem der deutschen Metzger hier in London gegangen, um extra echte deutsche Würstchen zu besorgen.

Anschließend überreichte mir Mr. Astley das Pakete, welches Sie geschickt hatten und sagte ich sollte es heute öffnen, wie es in meiner Heimat üblich sei.

Mir kamen die Tränen als ich die Plätzchen entdeckte, die Vanillekipferl, die Springerle, die Spitzbuben und den Lebkuchen!

Ich habe sie sogleich mit den Astleys geteilt und sie wurden sehr gelobt. Heimische Weihnachtsplätzchen sind einfach das Beste!

Mrs. Astley meinte, nun hätte sie weitere Rezepte zu erfragen.

Über die warmen Socken, die Handschuhe und den Schal habe ich mich ebenfalls sehr gefreut.

Leider war die Pause viel zu kurz um Ihr Paket genügend zu würdigen. Ich habe ein paar Freudentränen getrocknet und habe mich für die Premiere bereit gemacht.

Nun kurz vor Mitternacht schreibe ich Ihnen diese Zeilen, um mich herzlichst für diese wundervolle Weihnachtsüberraschung zu bedanken.

Ich hoffe meine Lehrzeit bei den Astleys wird mir von Nutzen sein, doch jetzt an Weihnachten wünschte ich bei Ihnen und Vater und den Kleinen zu sein. Ihr Paket war, nach Weihnachten Zuhause, das zweit Beste, was ich haben konnte.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie eine gesegnete Weihnacht hatten, desweiteren wünschen ich Ihnen Glück und Gesundheit fürs neue Jahr.
 

Ich hoffe bald wieder bei Ihnen zu sein.
 

Herzlichst Ihre liebende Tochter
 

Therese



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