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Krieg der Götter

Verlorene Krieger
von

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Ausflug in eine andere Welt

Müde schleppte sich Suri die schier endlosen Stufen des kargen Treppenhauses hinauf. Ihre Wange pochte unangenehm und sie wusste, was sie sehen würde, wenn sie morgen in den Spiegel blickte.

„Au“, jammerte sie vor sich hin, erklomm nach einer gefühlten Ewigkeit das vierte Stockwerk und schlurfte zu der Wohnungstür. Träge kramte sie ihre Schlüssel aus ihrer Trainingstasche, in Gedanken schon bei den Schulaufgaben, die sie noch zu erledigen hatte.

„Taidama“, stöhnte sie leidig zur Begrüßung, während sie in dem winzigen Flur ihre Straßenschuhe gegen Pantoffeln eintauschte.

„Okaeri nasai!“, hallte die heitere Stimme ihrer Mutter zurück. Suri trottete in die Küche, angezogen von dem Geruch nach Essen. Ihr Magen knurrte vernehmlich, denn nach dem Unterricht respektive kurz bevor sie sich im Karateclub ihrer Schule herumgeprügelt hatte, hatte sie bloß einen kleinen Snack zu sich genommen. Mit einem Putzlappen in der Hand wendete sich ihre Mutter von der Küchenzeile ab und ihrer Tochter zu. Bei ihrem Anblick erschrak sie für einen kurzen Augenblick, verzog ihr Gesicht aber rasch zu einem mitleidigen Lächeln.

„Na? War das Training heute nicht so gut?“, fragte sie zu allem Überfluss.

„Also wenn man davon ausgeht, im Karateclub vermöbelt zu werden, war das Training ganz gut“, brummte Suri und dachte mit finsterer Miene an Taro Kobayashi, einem angeberischen, sadistischen Mistkerl ein Jahrgang über ihr. Der gesamte Karateclub hielt angespannt den Atem an, sobald der Sensei die Sparringpartner einteilte. Niemand hatte Lust, mit diesem Freak zu kämpfen, der den Club mit Sicherheit nur besuchte, um sich ungehindert und legitim prügeln zu können. Diesmal hatte es Suri getroffen und Resultat waren viele blauen Flecken, darunter einer direkt unter ihrem linken Auge und Schmerzen in ihrem gesamten Körper. Nicht nur Suri war erleichtert, dass er die Oberschule nach diesem Schuljahr verlassen würde. Ihre dunkelgrünen Augen wanderten von ihrer Mutter zum gedeckten Küchentisch und begannen zu glitzern.

„Ich hab dir dein Lieblingsessen gemacht“, verkündete ihre Mutter stolz.

„Takoyaki Bällchen“, murmelte Suri schwärmerisch und setzte sich rasch auf einen der vier Stühle. Getrieben von Hunger lud sie sich auf und verschlang die Oktopusbällchen im Teigmantel. Die Kochkünste ihrer Mutter versetzten sie wie immer in Hochgenuss. Mit Suris Geburt war ihre Mutter zur Hausfrau geworden und hatte sich so ziemlich alle Kniffe angeeignet, die man als eine solche brauchte. Suris Vater, ihr kleiner Bruder und sie konnten sich jedenfalls stets darauf verlassen, dass daheim alles in geregelten Bahnen verlief und es gutes Essen gab.

„Kommt Kaida uns heute besuchen?“, fragte ihre Mutter beiläufig, während sie Wasser für den Abwasch einließ.

„Weiß ich nicht. Verabredet haben wir uns jedenfalls nicht.“

„Habt ihr Streit?“

„Nein, eigentlich nicht. Sie hat gerade einfach viel zu tun, hat sie mir gesagt“, meinte Suri zwischen zwei Bissen. Die Rede war von ihrer Nachbarin, ihrer besten Freundin seit Kindheitstagen und ihrer Klassenkameradin.

„So?“ Ihre Mutter warf ihr über die Schulter hinweg einen überraschten Blick zu. „Hat sie vielleicht einen Freund?“

Suri schnaubte. „Der Junge, der Kaidas Ansprüchen genügen würde, muss erst noch im Reagenzglas gezüchtet werden.“
 

Ihre Mutter kicherte belustigt, auch über ihre eigene sehr unwahrscheinliche These. Sie wusste, was Suri mit Ansprüchen meinte. Nicht etwa ein gutes Aussehen, Sportlichkeit oder gute Noten. Nein, der Fokus von Kaidas Ansprüchen würde wohl auf der Intelligenz des jungen Mannes liegen. Und dass sie sich überhaupt schon nennenswerte Gedanken zum anderen Geschlecht gemacht hatte, mochte Suris Mama bezweifeln. Kaida war wohl das klügste Mädchen auf der Schule, brauchte nach dem Unterricht nicht zu lernen und die mathematische Gleichung, die Kaida nicht lösen konnte, musste erst noch erschaffen werden. Dennoch war ihre Kernkompetenz immer noch die Arbeit mit Computern. Auch die Eltern der beiden Mädchen waren befreundet und wie oft hatte Kaidas Mutter darüber geklagt, dass ihre Tochter so eigensinnig war. Erzieherische Maßnahmen konnte sie sich schenken bei einem Mädchen, das ihren eigenen, noch dazu brillanten Kopf hatte. Und bevor sie sie einmal schminken, shoppen oder ein Kino besuchen sehen würden, wäre an Weihnachten Kirschblütenfest. Stattdessen saß sie vor ihrem Computer, arbeitete an Projekten, die der herkömmliche Japaner nicht verstand und interessierte sich nicht für zwischenmenschliche Kontakte. Nicht aus sozialer Unsicherheit oder Schüchternheit, sondern einfach, weil ihr intellektuell niemand das Wasser reichen konnte und sie das sehr schnell langweilen würde. Bloß Suri war ihre Freundin und das vermutlich auch nur, weil sie wie Schwestern miteinander aufgewachsen waren. Eigentlich müsste sie das Traumkind jeder japanischen Familie sein, doch der Umgang mit ihr war sehr schwierig und nur Suri schien mit dem sarkastischen Humor, dem barschen Tonfall und ihren ganzen anderen Eigenarten klar zu kommen. Suri war da anders. Sie ging gerne aus, insbesondere auf Konzerte irgendwelcher Rockbands, war zwar nicht modeaffin, machte sich allerdings schon hin und wieder Gedanken um ihr Erscheinungsbild und musste sich Mühe geben, um den schulischen Anforderungen gerecht zu werden. Sie war durchweg ein normaler Teenager, wenn auch nicht ganz das typische Mädchen. Auch mit ihrem losen Mundwerk, ihrem leicht burschikosen Auftreten und ihrer Unbedarftheit kam nicht jeder klar, doch sie hatte sich einen kleinen Freundeskreis aufgebaut, auch wenn dieser hauptsächlich aus Jungs bestand. Suris Mutter wusste nicht, was sie bevorzugen würde – einen normalen Teenager mit durchschnittlichen Noten und alltäglichen Sorgen oder ein Genie, nach dem sich in naher Zukunft zweifelsohne einige hochangesehene Firmen die Finger lecken würden, doch was eigensinniger nicht sein konnte. Es spielte ohnehin keine Rolle, denn ein Kind konnte man sich nicht backen und lieben würde sie Suri sowieso, egal wie sie nun war. Sie seufzte gedankenverloren und wusch weiter ab.
 

Gerade, als sich Suri das letzte Oktopusbällchen einverleibte, schlurfte ihr Bruder in die Küche. Akeno sah sie gleichgültig an, erblickte die anschwellende Blessur auf ihrer Wange und grinste schadenfroh.

„Na, Schwesterchen? Hast du wieder ein paar auf die Lampe gekriegt?“, fragte er, ging zum Kühlschrank und kramte in ihm herum. Ihre Mutter setzte gerade zu einer Maßregelung an, als Suri sagte:

„Pass auf, dass ich dir keins auf die Lampe gebe. Warum bist du so früh daheim? Gibt es heute kein Mädchen, mit dem du ausgehen kannst?“

Sie beäugte das Scheusal, was eineinhalb Jahre jünger als sie war und ihr unähnlicher nicht sein könnte. Für den geltungssüchtigen, prahlerischen Akeno zählte nur das Ansehen unter seinen Mitschülern. Er genoss es, von seinen Freunden bewundert, den Mädchen umschwärmt und seinen Fußballkontrahenten gefürchtet zu sein. Dafür trainierte er auch schon mal wie ein Blöder, verbrachte mehr Stunden vorm Spiegel als Suris Klassenkameradinnen zusammen und verpulverte sein Taschengeld für zahlreiche Markenklamotten. Wäre er nicht so unausstehlich, hätte Suri über ihn lachen können.

„Neidisch, weil sich nur die Loser für dich interessieren?“, kam es zurück.

„Das interessiert mich nicht die Bohne. Mein Universum dreht sich nicht nur um die Frage, ob ich auch ja cool genug bin.“

Akeno lachte spöttisch auf. „Ne, ganz sicher nicht. Du bist ein Freak, das sagen auch die anderen.“

„Akeno!“, kam es drohend von ihrer Mutter, doch diese wurde geflissentlich ignoriert. Auf Suris Gesicht erschien ein Grinsen.

„Ach ja? Soll ich dir sagen, was man über dich so erzählt?“, meinte sie und sofort schnellte sein Blick zu ihr herum. Sie beugte sich zu ihm vor, zwinkerte verschwörerisch und sagte:

„Dass du ganz schön zugelegt hast.“

Die Gesichtszüge des selbsternannten Schönlings entgleisten.

„Was? Stimmt doch gar nicht.“

Seine Schwester sah abschätzig an ihm herab. „Naja, ein bisschen schon oder? Du warst jedenfalls schon mal besser in Form.“

„Suri, lass das. Er hat nicht zuge…“, tadelte ihre Mutter, doch wurde von dem lautstarken Zuschlagen des Kühlschranks unterbrochen. Wütend marschierte Akeno davon, begleitet von Suris gehässigem Gelächter. Ihre Mutter seufzte resigniert.

„Toll gemacht. Jetzt lässt er sich überhaupt nicht mehr blicken, weil er jede freie Minute mit Sport verbringt.“

„Das ist der Plan“, sagte ihre Tochter, stand auf und räumte den Tisch ab. Danach schnappte sie sich ihre Schultasche und ging in ihr kleines, chaotisches Zimmer. Missmutig kramte sie ihr Schulzeug hervor und breitete es auf ihrem Schreibtisch aus. Zuerst nahm sie sich ihre Hausaufgaben in Mathematik vor. Es gab keine Worte, die ausdrücken konnten, wie wenig Lust sie hatte, doch es half ja alles nichts. Der Unterricht wurde immer schwerer und nächstes Jahr würde sie bereits in der Abschlussklasse sein. Wenn sie Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben wollte, musste sie die Zähne aufeinander beißen und das letzte bisschen Freizeit ins Lernen investieren. Ihre Gedanken wanderten zu dem Konzert, das sie am kommenden Samstag besuchen würde und das hellte ihre Laune etwas auf. Doch nur kurz, denn wieder einmal musste sie einsehen, dass sie über die Hälfte der mathematischen Formeln immer noch nicht verinnerlicht hatte und stöhnte entnervt auf.

„Wo ist Kaida, wenn man sie mal braucht?“, murmelte sie und untertrieb mit ihrer Formulierung maßlos. Suri brauchte ihre clevere Freundin ziemlich oft. Wenn diese nicht bald wieder Zeit für sie hatte, musste sie nach dem Karateclub noch in die Paukschule. Dann könnte sie sich auch noch von dem letzten Rest ihrer knapp bemessenen Freizeit verabschieden. Doch im Anbetracht dessen, dass Suri sie und ihre gemeinsamen Abenden ziemlich vermisste, waren ihre Sorgen um die ungelösten Matheaufgaben eher zweitrangig. Nach kurzem Zögern griff sie nach ihrem Smartphone und schickte ihr eine Nachricht.
 

'Was machst du nochmal, dass du keine Zeit mehr mit mir verbringen kannst?', lautete sie und zu ihrer Überraschung folgte Kaidas Antwort recht schnell.
 

'Dinge, die du nie verstehen wirst.'
 

Suri schnaubte belustigt. Da hatte ihre Freundin wohl Recht. Nicht mal ihre Lehrer verstanden so richtig, was in dem Hochleistungscomputer in ihrem Kopf vor sich ging.
 

'Magst du mich nicht besuchen kommen?', tippte sie.
 

'Lass mich raten – Mathematik besorgt’s dir mal wieder so richtig.'
 

'Wow, kommen bei dir jetzt noch hellseherische Fähigkeiten hinzu?'
 

'Nein, eher eine gute Menschenkenntnis', las Suri und lachte trocken auf. Wenn jemand auf diesem

Erdboden sozial inkompetent war und demnach auch keine guten Menschenkenntnisse hatte, dann wohl Kaida.
 

'Das halte ich für ein Gerücht. Na los, komm schon rüber!', schrieb sie ungeduldig, doch erhielt diesmal keine Antwort.

„Oh Mann, Kaida. Warum hast du mich verlassen?“, murmelte sie und bettete ihren dröhnenden Kopf auf ihrem Schulbuch. Wenig später öffnete sich hinter ihr die Zimmertür.

„Was ist?“, nuschelte sie in die Seiten ihres Buchs.

„Was machst du da?“

Bei dem Klang von Kaidas Stimme, fuhr Suri hoch und wendete sich strahlend um. Anstatt das fröhliche Lächeln ihrer Freundin zu erwidern, zog Kaida lediglich beide Brauen hoch. Die Augenblicke, in denen Kaida grinste oder gar lachte, hielten sich in Grenzen und wenn sie es dann doch mal tat, dann meistens, wenn andere nicht verstanden, was gerade so amüsant war. Daran war Suri schon gewöhnt, daher wunderte sie sich auch nicht über ihren unbewegten Gesichtsausdruck.

„Kaida! Mensch, hast du dich verändert. Lang nicht mehr gesehen“, witzelte Suri.

„Zuletzt vor ein paar Stunden im Klassenraum, was?“, kam es trocken zurück.

„Das ist ja wohl nicht das Gleiche. In der Schule ist jeder gestresst und will eigentlich nur Heim.“

„Gestresst?“, hakte sie nach und machte damit klar, dass sie so etwas wie Schulstress nicht kannte.

„Aber Heim willst du auch“, konterte Suri und Kaida nickte.

„Da ist was dran. Sag mal, hast du wieder auf die Fresse bekommen?“

Demonstrativ tippte sich Kaida an ihre linke Wange und erhielt ein entnervtes Stöhnen.

„Frag nicht. Ich musste gegen Taro Kobayashi kämpfen.“

Kaida zuckte mit einer unbarmherzigen Gleichgültigkeit die Schultern. „Tja, wenn du zu feige bist, aus dem Club auszutreten, dann musst du dich wohl weiter vermöbeln lassen.“

Suri verdrehte die Augen. „Mein Vater bringt mich um, wenn ich das tue.“

Ihr Vater war zu Schulzeiten und noch lange danach selbst in einem Karateverein gewesen und besaß mittlerweile den schwarzen Gürtel. Ihm war es wichtig, dass wenigstens eins seiner Kinder diese Tradition fortführte und letztendlich hatte sich Suri dazu breitschlagen lassen. Dass sie den Sport nicht mochte, war dabei zweitrangig.

„Er will, dass ich mich im Ernstfall verteidigen kann“, ergänzte Suri und Kaida schnaubte.

„Nein, er will mit dir vor seinen Kollegen angeben. Außerdem ist Japan das neuntfriedlichste Land dieser Welt. Gegen was sollst du dich denn verteidigen?“

„Gegen Klugscheißer wie dich.“

„Oder gegen Flachschippe wie dich.“

Suri seufzte geschlagen. „Hilfst du mir bei den Hausaufgaben?“

„Deshalb bin ich hier.“

So setzten sich die beiden Mädchen zusammen und brüteten gemeinsam über den Schulbüchern. Wie immer wirkten die Aufgaben so leicht, wenn Kaida sie löste und Suri seufzte stumm. Zwar verstand sie die Lösungswege nach den Erklärungen ihrer besten Freundin und versuchte, sich diese einzuprägen, doch es wäre schön, wenn sie nicht so oft ihre Hilfe brauchen würde. Sie wollte nicht, dass Kaida dachte, sie wäre in Suris Augen bloß ihre Nachhilfelehrerin. Vielleicht hatte sie das Gefühl ja und distanzierte sich aus dem Grund vor ihr? Dieser Gedanke bekümmerte sie und nachdem sie ihre Paukerei beendet hatten, fragte sie:

„Was machst du nun eigentlich die ganze Zeit nach der Schule?“

„Ich hab dir doch gesagt, dass du es nicht verstehen würdest“, entgegnete Kaida, ohne die Miene zu verziehen.

„Vielleicht ja doch? Sag’s mir, ich bin neugierig. Außerdem vermisse ich dich“, gestand sie und ihre Freundin zwinkerte ein paar Mal perplex. Es wäre auch verwunderlich gewesen, hätte sie diese Worte der Zuneigung erwidert. Zwar erfasste sie Suris Worte, verstehen tat sie sie deshalb noch lange nicht.

„Na schön, ich habe dabei geholfen, eine Realitätsebene umzuschreiben“, antwortete sie.

Suri runzelte verständnislos ihre Stirn. „Was?“

„Na guck, du verstehst es nicht.“

„Nein, tu ich nicht“, stöhnte Suri niedergeschlagen und rieb sich frustriert über ihr Gesicht. Als sie dabei die Blessur auf ihrer schmerzenden Wange berührte, zuckte sie heftig zusammen und gab im Anschluss einen jämmerlichen Klagelaut von sich.

„Weißt du was? Ich zeig es dir. Komm mit“, forderte Kaida sie auf und ging zur Tür, ohne auf Suris Antwort zu warten.

„Was zeigst du mir?“

„Heilige Scheiße, worüber haben wir denn gerade geredet? Wirst du langsam dement?“

„Ich komm ja schon“, brummte Suri etwas beleidigt und eilte hinter ihrer Freundin her. Mit ihrem zielstrebigen Gang rannte Kaida in der Küche beinahe Akeno über den Haufen.

„Pass doch auf!“, fauchte er seine sonderbare Nachbarin an. So eng wie Suri und Kaida miteinander aufgewachsen waren, so wenig mochte Akeno das Superhirn.

„Aus dem Weg, Fettbacke“, lautete ihr simpler Kommentar und Suris Bruder stieß einen entsetzten, unnatürlich hohen Laut aus und verschwand in seinem Zimmer. Zwei Mal am Tag gesagt zu bekommen, dass er dick sei, verkraftete er nicht und es löste in dem eitlen Schnösel mit Sicherheit eine Welle der Panik aus. Suri blickte ihm kurz nach und sah dann verdutzt zu Kaida. Ohne langsamer zu werden, erklärte sie:

„Er hat eben seine Ische gefragt, ob er zugelegt hat.“

„Woher weißt du das?“

„Ich habe mich in sein Smartphone gehackt. Wenn mir langweilig ist, mache ich das manchmal.“

In Bezug auf Kaida wunderte Suri gar nichts mehr, daher hielt sich ihre Überraschung in Grenzen. Sie sagte bloß: „Ich hoffe, dass machst du nicht auch bei mir.“

Die beiden gelangten in dem Hausflur an und tauschten ihre Pantoffeln gegen Straßenschuhe.

„Vor ein paar Monaten schon, aber das einzige, was du im Word Wide Web so treibst, ist Musik hören und dich mit irgendwelchen Leuten über irgendwelche Bands und Konzerte unterhalten. Das war mir auf die Dauer zu langweilig, deshalb hab ich es gelassen.“

„Wie beruhigend“, murmelte Suri sarkastisch.

Sie erreichten Kaidas Wohnung, wechselten auch dort nochmal die Schuhe und liefen dann in Kaidas Zimmer. Suris Verbeugung in Richtung Herr und Frau Nakamaru und ihre Begrüßung fielen sehr knapp aus, denn Kaida zog sie an der Hand ungeduldig hinter sich her. Hinter sich schloss sie die Tür, schnappte sich ihren Rucksack und befüllte ihn in Windeseile mit allerlei Zeug, darunter auch ihrem iPad. Verwirrt verfolgte Suri das rege Treiben ihrer Freundin, welche sich im Anschluss an ihren Laptop setzte. Ihre schmalen Finger glitten blitzschnell über die Tastatur, sie öffnete und schloss ein paar Fenster und letztendlich blickte sie über ihre Schulter zu Suri.

„Komm her“, meinte sie und zögerlich tat Suri, was sie sagte. Sie wusste nicht, was Kaida ihr zeigen würde, doch befürchtete, dass sie es ohnehin nicht verstand. Aber eigentlich müsste das Genie das doch wissen. Warum holte sie sie dennoch zu sich und deutete mit einem Nicken zu ihrem Computerbildschirm.

„Bist du bereit?“, fragte sie.

„Für was?“

„Für das Betreten einer anderen Welt.“

„Wie bitte? Ich…“

„Ich schätze, du bist bereit“, würgte Kaida sie ungeniert ab, fuhr mit dem PC-Pfeil zu dem Button eines geöffneten Fensters, in dem lediglich eine unverständliche Zahlenfolge stand und klickte ihn an. Prompt wurde Suri von den Füßen gerissen und stieß einen erschrockenen Laut aus. Hilflos blickte sie sich um, doch während sie durch eine Art Schlauch gezogen wurde, immer tiefer ins Nichts hinein, konnte sie Kaida nicht finden. Panik stieg in ihr auf. Ihre Umgebung sah so aus, wie sie sich das Weltall vorstellte, nur dass keine Planeten oder Sterne in der Dunkelheit funkelten, sondern leuchtende, kleine Vierecke, die sie an Pixel erinnerten. Suri wusste nicht, wie lange ihr rasanter Flug (oder Sturz) andauerte. Sekunden? Minuten? Jedenfalls erspähte sie irgendwann am Ende des Schlauchs eine kreisförmige Öffnung, aus der Licht drang. Ob sie erleichtert sein sollte, endlich dem Sog zu entkommen, würde sie erst erfahren, wenn sie ihn verlassen hatte. Was würde sie erwarten? Suri hatte nicht den Hauch einer Ahnung. Sie wusste nur, dass sich Kaida auf einen Anschiss von ihr freuen durfte. Es war nicht das erste Mal, dass sie als Versuchskaninchen herhalten durfte und erst im Anschluss davon erfuhr. Unaufhaltsam flog sie auf die mannsgroße Öffnung zu, wurde aus ihr herausgeschleudert und kam mit einem Ächzen auf dem Bauch auf. Die Landung war weniger hart, als befürchtet. Sie spürte Gras unter ihren Händen und rappelte sich mühsam auf. Als sie sich umsah, fand sie sich auf einer Lichtung wieder, umringt von den farbenfrohsten Gewächsen, die sie je gesehen hatte. Sie sah zum Himmel auf, suchte ihn nach der Öffnung ab, durch die sie eben katapultiert wurden war, doch fand keine. Er war tiefblau und nur hier und dort von kleinen Wolken getrübt. Ein sachter, tropisch duftender Wind umspielte ihr Haar.

„Hallo?“, rief Suri ängstlich und drehte sich um ihre eigene Achse. Plötzlich erschien links neben ihr eine weitere, kreisförmige Öffnung, welche sich weitete, bis Kaida aus ihr heraussprang. Sie landete weitaus eleganter auf beiden Füßen und grinste Suri im Anschluss stolz an.

„Wo sind wir?“, fragte diese und erhielt die Antwort:

„In der Digiwelt.“

„In der… Digiwelt? Da, wo die Digimon herkommen?“, hakte Suri mit wachsender Angst nach.

„Jepp.“



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