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Magician of Sun & Moon

von

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Kapitel 1: Willkommen in Inaba


 

Vor 20 Tagen hatten sie sich von Yu verabschiedet. 20 Tage, die sich schon wie eine Ewigkeit anfühlten. Als wäre es Jahre her, dass sie alle gemeinsam das Rätsel um die Mordserie in Inaba gelöst hatten. Oder als wäre es nie geschehen und die Ereignisse des letzten Jahres waren nur ein merkwürdiger langer Traum gewesen. Vielleicht hätte Yosuke das sogar tatsächlich geglaubt, wenn da nicht ein sehr offensichtlicher Fakt in seinem eigenen Zuhause blieb, den man nicht leugnen konnte.

»Warum darf ich nicht in die Schule gehen?«, klagte Teddie, zusammengekauert an einem kleinen Tisch in Yosukes Zimmer sitzend. »Ich könnte so viel lernen.«

Yosuke stand vor dem Spiegel, der an der Innenseite seines Schranks angebracht war, und war damit beschäftigt, die Jacke seiner Schuluniform vernünftig anzulegen. Es war nur zwei Wochen her, seit er sie zuletzt getragen hatte, aber dennoch kam sie ihm falsch und ungewohnt vor. Dass am Revers inzwischen eine III, statt eine II befestigt war, tat sicher das seinige dazu.

Über Teddies Klage konnte er nur seufzen. »Wenn wir dich in die Schule ließen, würdest du nur jedes Mädchen um ein Date bitten. Du wärst schneller wieder draußen als drinnen.«

Selbst ohne Morooka wäre es an der Schule nicht einfach für einen Mädchenhelden wie Teddie. Es gäbe immer noch genug andere Lehrer, die auf das Einhalten der Sitten bestehen könnten.

Sein Dauergast, den er in der TV-Welt des Midnight Channels aufgegriffen hatte, beugte sich dramatisch über den Tisch. »Aber was soll ich denn machen, wenn ihr alle in der Schule seid?«

Als er endlich zufrieden darüber war, wie die Jacke an ihm aussah, schloss Yosuke die Schranktür. Mit gerunzelter Stirn sah er Teddie an. »Was hast du denn bislang immer gemacht?«

»Ich bin durch Junes gewandert, bin durch den TV gegangen, habe mich dort umgesehen – um sicherzugehen –, dann gab es Essen und dann habe ich gemacht, was ich wollte.« Während er das aufzählte, tippte er seine einzelnen Finger an.

Fast hätte Yosuke ihn darauf hingewiesen, dass auch seine Aktivitäten am Vormittag nur dem entsprachen, was er tun wollte, doch es sah aus als wäre diese Routine für Teddie wichtig. In diesem Fall wollte er es ihm nicht wegnehmen. Stattdessen stieß er einen genervten Laut aus. »Dann mach doch einfach weiter damit. Wer sollte dich aufhalten?«

War Teddie seit den Ereignissen vom 20. März mal wieder in der TV-Welt gewesen? Sollte er ihn das fragen?

Während er darüber nachdachte, fiel sein Blick auf seine Uhr – und diese ließ einen kalten Schauer über seinen Rücken fahren. »Wann ist es so spät geworden?! Toll, jetzt komme ich bestimmt zu spät!«

Und auf das Frühstück musste er auch verzichten. Wenigstens blieb ihm noch das Mittagessen. Aber am ersten Tag zu spät zu kommen war nichts, worauf man sich freuen konnte, schon gar nicht im dritten Jahr der High School.

Er schnappte sich seine – zum Glück schon gepackte – Tasche, warf Teddie noch ein »Stell keinen Unsinn an« entgegen und hastete dann nach draußen. Da es nicht regnete, könnte er den Roller benutzen, dann käme er bestimmt noch rechtzeitig in die Schule. Zumindest blieb ihm diese Hoffnung.

Dass Teddie mir selbst jetzt immer noch so viel Ärger bereiten muss …

Natürlich wollte er ihn gegen nichts eintauschen, schließlich war Teddie einer seiner Freunde, einer von denen, mit denen er das Geheimnis gelöst hatte. Durch die Ereignisse des letzten Jahres waren sie eng zusammengeschweißt worden. Aber manchmal ging ihm dieser Bär doch noch auf die Nerven, und zwar gehörig. Vermutlich würde sich das auch nie ändern.

Während er auf dem Weg zur Schule an den anderen vorbeizog, die allesamt in Paaren unterwegs waren und sich angeregt miteinander unterhielten, musste er unwillkürlich lächeln. Keiner von ihnen wusste, welchem Unglück sie entgangen waren, und genau so sollte es sein. Der Frieden, den sie nun erlebten, war jedes Opfer und jeden Schmerz wert gewesen. Nun gut, vielleicht nicht wirklich jedes Opfer.

Darüber dachte er aber lieber nicht nach. Wenn er sich an Saki Konishi oder seine eigene Begegnung mit seinem Schatten zurückerinnerte, wurde ihm nur wieder übel, und gerade auf einem Roller fahrend – und auf nüchternen Magen – sollte er das vermeiden.

Er kam trotz seines verspäteten Weggangs noch rechtzeitig an der Schule an, um den Roller ordnungsgemäß zu verstauen und dann in aller Ruhe im Eingangsbereich seine Schuhe zu wechseln. Zwischen all den Stimmen stach plötzlich auch eine hervor, die er gut kannte: »Yosuke!«

Chie kam trotz der anderen Schüler zielgerichtet auf ihn zu, dabei wirkte sie so gut gelaunt wie eh und je. »Du bist heute echt spät dran.«

»Warum?«, hakte er nach. »Hast du mich schon vermisst?«

Sie verpasste ihm einen schmerzhaften Schlag gegen die Schulter, obwohl sie sich Mühe zu geben schien, sich zurückzuhalten. Nur deswegen sagte er nichts weiter dazu.

»Idiot«, beschwerte sie sich. »Ich habe nur gedacht …«

Sie verstummte, plötzlich grüblerisch geworden.

»Vor einem Jahr hat man das erste Opfer gefunden«, sprach er ihren Gedanken aus. »Aber das kann ja nicht mehr passieren, wir haben den Mörder gefasst.«

Und auch die Quelle hinter all dem beseitigt, das war noch nicht lange her. Er bezweifelte, dass in einer kleinen Stadt wie Inaba noch mehr solcher Dinge geschehen könnte. Sie hatten ihr Unglückspensum erfüllt, von nun an standen ihnen nur noch normale Zeiten bevor.

»Wo sind die anderen?«, fragte Yosuke, nachdem er keinen von ihnen entdecken konnte.

»Oh, die sind auf dem Weg.« Chie lächelte zufrieden. »Yukiko, du und ich sind übrigens wieder in derselben Klasse. Und wir bekommen eine neue Lehrerin.«

»Ein Glück«, stieß Yosuke aus. »Frau Kashiwagi war kaum zu ertragen.«

Chie hob eine Augenbraue. »Ich hätte gedacht, alle Jungs wären verrückt nach ihr.«

»Bei ihrem übertriebenen Auftreten?« Yosuke schauderte es schon, wenn er nur daran zurückdachte. Selten hatte er einen Lehrer gekannt, der sich unangebrachter aufführte als Frau Kashiwagi. »Nein, danke.« Dann zwinkerte er ihr zu. »Ich ziehe eher konservative Frauen vor.«

»Ohhh~.« Chie schlug ihm wieder gegen die Schulter. »Du wirst ja richtig erwachsen.«

Nach allem, was sie letztes Jahr erlebt hatten, war das auch das Mindeste. Er zog allerdings nur eine Grimasse auf ihre Worte, statt darauf einzugehen.

Sie wurde auch wieder ernst, fast schon traurig. »Hast du dich schon daran gewöhnt, dass er nicht mehr hier ist?«

»Nicht wirklich.« Seufzend verschränkte Yosuke die Arme vor der Brust. »Ich warte immer darauf, dass er jeden Moment einfach aus der Menge auftaucht.«

Dabei blickte er in Richtung des Eingangs. Statt Yu kamen allerdings nur andere Schüler herein, von denen er die meisten kannte, weil sie bereits im Jahr zuvor auf dieser Schule gewesen waren. Die meisten Neulinge mussten wohl bereits da sein, motiviert für ihr erstes Jahr auf der High School, nicht ahnend wie schräg manche der Lehrer werden konnten.

Er wandte sich wieder Chie zu. »Wenn du schon weißt, wer unser Lehrer ist, weißt du sicher auch, welches unser Klassenzimmer ist. Ich würde dann schon hochgehen.«

Chies gerunzelte Stirn verriet ihren Unmut darüber, dass er die anderen nicht begrüßen wollte, aber dafür hätte er auch in der Mittagspause noch Zeit. Sie würden ja nicht einfach verschwinden. Nicht mehr.

Nachdem sie ihm gesagt hatte, in welchem Zimmer sie wären, stieg er die Treppen in den zweiten Stock hinauf. Im ersten wäre er rein aus Gewohnheit fast in den alten Raum gegangen, doch er konnte sich gerade noch davon abhalten, sich vor allen Anwesenden lächerlich zu machen.

Schließlich am richtigen Ort angekommen suchte er sich einen der noch freien Plätze aus (hinten, aber nicht zu weit, um das Misstrauen des Lehrers zu wecken) und legte seinen Oberkörper dann auf den Tisch.

Ein neues Schuljahr, in dem es keinen Mordfall zu lösen gab, und das er ohne seinen Partner bestreiten müsste. Dafür aber mit neuen Freunden, die füreinander eingestanden waren, selbst im Angesicht des Todes.

Es dauerte nicht lange, bis fast alle Plätze besetzt waren. Yukiko und Chie saßen direkt vor ihm und unterhielten sich angeregt über irgendetwas, das am Tag zuvor im Amagi Inn vorgefallen war (offenbar war einer von Yukikos Kochversuchen wieder gescheitert und man hatte die Küche löschen müssen, Yosuke konnte sich das nur zu gut vorstellen), die anderen Schüler unterhielten sich über ähnlich triviale Dinge, die ihn nicht interessierten. Es war eigenartig, wie sehr er sich inzwischen daran gewöhnt hatte, über Außergewöhnliches zu sprechen – und mit den anderen waren ihm selbst die einfachsten Gespräche nie derart unbedeutend vorgekommen. Hatte er sich nun endgültig für das Leben auf dem Land verdorben?

Andererseits, fuhr es ihm durch den Kopf, gibt es in einer Großstadt auch keine wirklich aufregende Themen für die meisten Leute. Also ist es egal, wo man ist.

Die Erkenntnis beruhigte ihn wieder ein wenig, so dass ihm auch auffiel, dass der Platz neben ihm leer geblieben war – was ihn sofort wieder nervös machte. Von wem sollte er nun abschreiben? Und wer würde ihm die Antworten während des Unterrichts verraten, wenn Yu nicht käme?

Meine Noten werden sicher einbrechen.

Bei Gelegenheit müsste er Yukiko und Chie fragen, ob sie auch dieses Jahr dazu bereit wären, gemeinsam zu lernen. Das wäre von Vorteil für sie alle, redete er sich heraus.

Die Tür öffnete sich und unterbrach seine Gedanken. Eine Frau kam herein, die er noch nie zuvor gesehen hatte, aber allein von ihrem Aussehen her wusste er bereits, dass sie sich gut in die Reihen der eigenartigen Lehrer an der Schule einreihen würde: Ihr kinnlanges, dunkelblaues Haar, die dunkelgrünen Augen und die Brille waren noch normal genug – doch sie trug ein braunes Outfit, das er ohne zu zögern als Uniform eingeordnet hätte; ihm blieb lediglich unklar, wofür sie stand.

Die Frau stellte sich an die Tafel und schrieb etwas mit festen, selbstsicheren Strichen darauf. Die inzwischen verstummte Klasse beobachtete sie gespannt, und so wie Yosuke sie einschätzte, rätselten sie bereits, wie die Zeichen zu lesen waren. Schließlich trat sie einen Schritt zurück und wandte sich den Schülern zu. Ihr Blick war auf einen Punkt hinter ihnen allen gerichtet, als wolle sie gar nicht mit ihnen reden.

»Mein Name ist Yaeko Serizawa«, sagte sie. »Ich werde für euer letztes Schuljahr eure Klassenlehrerin sein. Ich weiß nicht, was ihr bislang für Erfahrungen gemacht habt mit anderen Lehrern, und ehrlich gesagt ist es mir auch egal.«

Yosuke stöhnte innerlich. Das fing schon mal gut an. Warum konnte es in Inaba keine normalen Lehrer geben? Oder waren die alle an Privatschulen?

Egal, es ist nur noch ein Jahr, das schaffe ich. Nach Morooka und Kashiwagi wird das ein Klacks.

»Ich erwarte Respekt von euch«, fuhr sie fort, »dann werde ich euch diesen auch zollen. Ich kann euch versichern, dass ihr nicht erleben wollt, wenn ich den Respekt vermissen lasse.«

Vielleicht gelang es ihr dann sogar, keine langwierigen Reden über eine verkommene Jugend zu halten oder jeden anzumachen, der sie eine Sekunde zu lang ansah.

»Bevor ich die Anwesenheit prüfe, stelle ich euch noch eine Transferschülerin vor.« Sie wandte sich der Tür zu. »Du kannst jetzt reinkommen.«

Ein aufgeregtes Raunen ging durch die Klasse, alle sahen gespannt zum Eingang, selbst Yosuke ertappte sich dabei.

Trotz der weiblichen Ankündigung erwartete er für einen Moment, dass Yu hereinkäme, genau wie im Jahr zuvor, als die aufregendste Sache an ihm noch gewesen war, dass er aus einer Großstadt kam und keiner von ihnen gewusst hatte, wie sehr sie bald miteinander verbunden wären.

Doch es war nicht sein Partner, der eintrat, sondern wirklich ein Mädchen. Ihr Blick huschte nervös über die Anwesenden, selbst als sie bereits neben dem Lehrerpult stehenblieb.

»Stell dich bitte vor«, sagte Frau Serizawa.

Das Mädchen nickte und strich sich eine rot-braune Strähne hinter das Ohr. »A-also ich bin Mei Ueda.«

Ihre Stimme zitterte leicht, was Yosuke ein wenig schmunzeln ließ. Bei seiner Arbeit in Junes hatte er derart viel mit zickigen Mitschülern zu tun, dass es ihm wie eine angenehme Abwechslung vorkam, mal jemand ganz anderen dazwischen zu haben.

»Ich bin vor kurzem mit meinem Vater hergezogen«, erzählte sie weiter, ehe sie kurz stockte und tief Luft holte. »Ähm, ich hoffe, wir können gute F-freunde werden.«

Kaum hatte sie das gesagt, verbeugte sie sich vor der Klasse, wobei ihr Haar über ihre Schulter fiel, selbst die zuvor zurückgestrichene Strähne.

Frau Serizawa nickte zufrieden. »Danke, Ueda. Bitte such dir jetzt einen leeren Platz.«

Mehrere Stühle waren noch frei, aber keiner von den entsprechenden Schülern riss sich darum, sie bei sich zu haben, was Mei unsicher werden ließ.

Yosuke erinnerte sich noch gut daran, wie es war, neu zu sein. Vor allem wusste er aber auch noch, wie Chie darum gebeten hatte, dass Yu neben ihr sitzen dürfte – und der hatte sich gut eingelebt.

Deswegen hob er den Arm, und als Meis Aufmerksamkeit ihm galt, deutete er auf den freien Stuhl neben sich. »Setz dich hierhin.«

Ein dankbares Lächeln huschte über ihr blasses Gesicht. Mit gesenktem Kopf huschte sie zu seinem Tisch und nahm direkt Platz. Während sie ihre Tasche verstaute, beugte Yosuke sich ein wenig zu ihr, um ihr zuzuflüstern: »Hey, willkommen in Inaba.«

Sie lächelte noch einmal, auch wenn ihr Blick dabei irgendwie traurig blieb. »Danke.«

Da sie sich sofort wieder auf ihre Sachen konzentrierte und Serizawa zu sprechen begann, lehnte er sich zurück. Er konnte es sich nicht leisten, schon am ersten Tag Ärger zu bekommen, weil er die neue Klassenlehrerin ignorierte. Allerdings konnte er nicht verhindern, dass er aus den Augenwinkeln immer wieder zu Mei hinübersah, die sich alle Mühe gab, ihre Distanz zu ihm zu wahren. Das ging sogar so weit, dass sie nur ein bisschen mehr als die Hälfte ihres Tisches benutzte. Kam er ihr derart unangenehm vor oder war sie einfach so? Sollte er sie das bei Gelegenheit fragen? Nein, am besten überließ er das Chie oder Yukiko, die konnten das sicher besser als er.

Oder ich ignoriere es.

Schließlich gab es auch andere Dinge um die er sich Gedanken machen musste (wie etwa seinen Abschluss), und die waren mit Sicherheit doch wesentlich wichtiger.

Deswegen konzentrierte er sich vollends auf Frau Serizawa, die nun mit der Anwesenheitsprüfung begonnen hatte, um zumindest am ersten Tag seinen guten Willen zu präsentieren.

 

»Schließlich möchte ich euch noch sagen, dass ich mir durchaus bewusst bin, in welcher Lage sich die Stadt im letzten Jahr befunden hat.« Frau Serizawa kam zum Ende ihrer Erklärung organisatorischer Kleinigkeiten für dieses Schuljahr, was Yosuke erleichtert aufatmen ließ.

Er war hungrig und müde, und bei dem Gedanken, dass er heute noch arbeiten müsste, wurde das nur noch schlimmer.

»Ich erwarte, dass nichts vom letzten Jahr irgendwelche Einflüsse auf eure Leistungen nehmen wird.« Für einen Moment wirkte es, als fixiere Frau Serizawa jeden einzelnen Schüler auf einmal. »Strengt euch an, und denkt daran, es geht um eure Zukunft.«

Unangenehm berührtes Schweigen erfüllte den Raum, in Verbindung mit dem Rascheln von Kleidung, als die Schüler auf ihren Stühlen herumrutschten. Chie und Yukiko teilten einen besorgten Blick miteinander. Vermutlich befürchteten sie noch Schlimmeres von ihrer neuen Lehrerin.

Doch schließlich klingelte die Glocke zum Schulschluss. Frau Serizawa verabschiedete sich knapp von den Schülern und verließ dann das Klassenzimmer.

Chie und Yukiko drehten sich auf ihren Stühlen, um ihn anzusehen.

»Was denkst du, Yosuke?«, fragte Chie. »Ist sie besser oder schlechter als King Moron oder Frau Kashiwagi?«

Er hob die Schultern ein wenig. »Vielleicht wird sie wenigstens erträglich.«

Die Mädchen sahen zu Mei, die ihre Sachen wieder einpackte, und gerade aufstehen wollte, als mehrere andere Schülerinnen sich zu ihr stellten und sie mit Fragen überhäuften. Bei ihm war es am Anfang ganz genau so gewesen. Später hatte sich dann niemand mehr für ihn interessiert. Vielleicht aber auch deswegen, weil er von allem gelangweilt gewesen war.

»Ist es nicht lustig, dass wir wieder einen Transferschüler am Anfang des Schuljahres bekommen?«, fragte Yukiko. »Glaubt ihr, uns steht wieder so etwas bevor?«

Für einen kurzen Moment lauschten sie, doch von draußen waren keine Sirenen zu hören. Es war nicht wie zuvor. Die Zeichen standen gut für Normalität.

Yukiko sah zu den anderen Schülern hinüber. »Das einzig Große, das ich bislang gehört habe, ist, dass jemand im Einkaufsviertel einen der Getränkeautomaten aufgebrochen hat.«

Das klang sogar für Yosuke harmlos genug, dass er dahinter nichts vermuten musste.

»Dieses Jahr werden wir nur lernen«, sagte Chie gut gelaunt – was überraschend war, wenn man bedachte, wie sehr sie sich sonst dagegen sperrte.

»Für den Anfang sollten wir aber erst einmal nach Hause kommen.« Yosuke stand auf und hängte sich seine Schultasche um.

Yukiko folgte seinem Beispiel. »Oh ja, lasst uns alle zusammen heimgehen. Die anderen haben jetzt auch aus.«

Clubaktivitäten waren noch keine im Gange, also war dies tatsächlich einer der wenigen Tage, an denen ihre Stundenpläne so gut zusammenpassten. Yosuke würde seinen Roller zwar schieben müssen, aber das wäre es wert, alle wiederzusehen. Es war nicht lange her, seit die Gruppe vollzählig gewesen war, aber nach ihren vielen gemeinsamen Nachmittagen in der TV-Welt war ein derart langer Zeitraum wie eine Ewigkeit.

Offenbar hatten die drei anderen einen ähnlichen Gedanken gehegt, denn sie warteten vor dem Eingang des Gebäudes schon auf sie. Rise strahlte regelrecht. »Senpai!«

Es war immer wieder eine Freude für Yosuke, sie zu sehen, besonders wenn sie derart gut gelaunt war. Zu dumm, dass sie vollkommen in Yu vernarrt war. Selbst mit der Abwesenheit seines Partners malte er sich lieber keine Chancen bei ihr aus.

Die beiden anderen, die bei ihr standen, waren da schon wieder ein ganz anderes Kaliber. Naoto, die immer noch eine männliche Uniform trug, neigte ein wenig den Kopf, dabei umspielte der Hauch eines Lächelns ihre Lippen. »Es ist schon eine Weile her.«

Der letzte im Bunde, Kanji, stand neben ihr, zeigte aber deutlich, dass er ein wenig Distanz zu ihr hielt. Bei ihm lag es ziemlich eindeutig daran, dass er an Naoto interessiert war – zu dumm, dass er Biker Gangs und Shadows aufmischen konnte, sich aber nicht traute, über seine Gefühle zu sprechen.

»Wollen wir los?«, fragte Yosuke. »Ich muss heute noch arbeiten.«

Damit setzte sich die Gruppe in Bewegung, kaum, dass er seinen Roller von seinem Ruheplatz befreit hatte. Es kam ihm etwas lahm vor, ihn schieben zu müssen, aber es interessierte ihn nicht, was die anderen dachten, also warum sollte er sich Gedanken machen?

»Eine neue Lehrerin und eine Transferschülerin«, kommentierte Rise, nachdem sie ihre heutigen Erfahrungen ausgetauscht hatten, »das klingt aufregender als bei uns.«

Chie stieß einen spöttischen Laut aus. »Wirklich? In deiner Klasse ist ein Weltklasse-Detektiv, ein Typ, der Biker-Gangs aufmischt und du, ein bekanntes Idol! Wie aufregend soll es denn noch werden?«

»D-das ist jetzt fast ein Jahr her!«, verteidigte Kanji sich.

»Und ich würde mich nicht unbedingt als Weltklasse einordnen«, brachte Naoto hervor, auch wenn der Hauch eines zufriedenen und selbstbewussten Lächelns auf ihren Lippen lag.

»Ohne dich hätten wir den Fall aber bestimmt nie gelöst«, erwiderte Yosuke. »Akzeptier es also lieber, dass wir dich noch lange so nennen werden.«

Sie schmunzelte darüber nur, was ihm Antwort genug war. Dabei entsprach es ohnehin nur der Wahrheit: ohne Naoto wären sie vermutlich nie auf den Gedanken gekommen, dass Adachi der eigentliche Täter gewesen war. Und wer wusste schon, was er dann noch alles angerichtet hätte?

»Wird es nicht langweilig für dich, wenn es keinen Fall zu lösen gibt?«, fragte Yukiko.

Naoto schüttelte sacht den Kopf. »Ich denke, es wird angenehm sein, mal ganz normal zu leben.«

»Oh ja!« Rise lachte. »Lasst uns zur Golden Week alle etwas zusammen unternehmen.«

Kanji stimmte sofort begeistert mit ein: »Ja! Ich hab endlich auch meinen Führerschein, ich muss also nicht mehr mit dem Fahrrad hinterher!«

Dabei fand Yosuke es ganz lustig, mitanzusehen, wie Kanji sich besonders bei bergigen Strecken abmühen musste. Aber sicher war es für alle angenehmer, wenn sie gleich schnell waren – abgesehen von Teddie natürlich, der bei seinen Rollschuhen bleiben müsste.

»Dann treffen wir uns vor der Golden Week in unserem Hauptquartier, um einen Plan zu fassen«, sagte Yukiko. »Ich freue mich schon.«

Die anderen nickten einstimmig. Selbst wenn sie ohne Yu verreisen müssten, wäre es sicher eine schöne Erfahrung, die sie vielleicht noch enger zusammenbrachte – bis sie sich nach der Schule auseinanderleben würden.

Yosuke vertrieb den Gedanken rasch, bevor er noch Wurzeln in seinem Inneren fasste.

Nicht weit entfernt verlief bereits die Hauptstraße, weswegen er sich von den anderen verabschieden müsste. Er wandte zu den Blick zur Seite – und bemerkte aus den Augenwinkeln die rot-braunen Haare ihrer neuen Transferschülerin. Sie lief etwa hundert Meter hinter ihnen und starrte fasziniert die kleine Gruppe an. Kaum fiel ihr jedoch auf, dass er sie nun beobachtete, senkte sie den Kopf, so dass ihr Haar ihr Gesicht verbarg.

Es gab einige Gründe, sie alle zu begutachten, wenn sie so friedlich nebeneinander herliefen, also glaubte er nicht, dass er den anderen davon etwas sagen müsste. Sie war keine Gefahr, sondern vermutlich nur neugierig, besonders da sie allein nach Hause ging.

An der Hauptstraße blieb Yosuke schließlich stehen. »Okay, Leute, ich muss dann mal los. Wir sehen uns morgen.«

Er zwinkerte den anderen noch zu, sie verabschiedeten sich von ihm und liefen dann weiter. Yosuke sah ihnen hinterher, wie sie sich lachend weiter miteinander unterhielten, und spürte dabei einen inneren Frieden, von dem er noch vor einem Jahr nie geglaubt hätte, ihn hier fühlen zu können. Er legte den Kopf in den Nacken und atmete tief durch. Das Landleben hatte ihn endlich gepackt – und so bald schien es ihn wohl nicht wieder loszulassen.
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: ShioChan
2020-08-15T14:20:29+00:00 15.08.2020 16:20
So jetzt kommentiere ich endlich mal. O___o

Das erste Kapitel ist schon echt cool. Ich finde es auch interessant, dass es aus Yosukes Sicht geschrieben ist, da das einfach auch mal etwas neues ist. Aus der Sicht einer neuen Wild Card Gibt's ja schon oft. So hat man auch mal Einblick in, was die Nebencharaktere so denken. Ich bin jedenfalls gespannt, wie es mit der neuen Schülerin weiter geht und werde die nächsten Tage das nächste Kapitel lesen - ich weiß, Ich bin lahm. Aber ich komme einfach immer nicht so häufig zum lesen. Dafür schonmal sorry.

Bis dann.
LG
Shio~

Antwort von:  Flordelis
25.08.2020 19:06
Der Kommentar ist mir gar nicht auf der Startseite angezeigt worden. Q^Q
(Deswegen die späte Antwort, sorry.)

Vielen, vielen Dank hierfür!
Ich wollte tatsächlich mit Yosuke anfangen, weil ich ihn sehr mag, und sich nicht alles nur um Mei drehen soll, außerdem konnte ich so innerhalb der Story ideal zusammenfassen, an welchem Punkt die Handlung einsetzt.
Bislang sieht es so aus, als würden die Kapitel abwechselnd aus Yosukes und Meis Sicht erzählt werden. Mal schauen, ob ich das auch so durchziehe (ich werfe mittendrin gern Dinge um). XD

Und lass dir ruhig Zeit, keine Panik. =)

LG
Farleen
Von:  LeanaCole
2020-08-08T14:58:34+00:00 08.08.2020 16:58
Yay! Erstes Kapitel und ein toller Einstieg in Yosukes Alltag. Auch wenn am Anfang ein bisschen Exposition kommt, finde ich es nicht schlecht, da du es sehr gut verpackt hast. Und endlich mal eine vernünftige Lehrerin! Vielleicht wird Yosuke ja diesmal etwas lernen *lol*
Mein Highlight in diesem Kapitel war, dass wir bis auf Yu alle wieder gesehen haben. Das war irgendwie total cool, weil ich die Truppe gefühlt schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen habe. Und ihr Miteinander fand ich sehr gut gezeigt. Es fühlt sich wirklich wie eine Fortsetzung an X3


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