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Löwenherz

Beyblade 2020: August
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ein kurzer Perspektivenwechsel, während Lai ausgeknockt ist, und wir schauen in Richtung von Raul und Giulia. Komplett anzeigen

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Der Teufel

Raul landete den Sprung von Giulias Schultern sicher auf dem Kopfsteinpflaster, wie es ihnen nach jahrelanger Übung ins Blut übergegangen war. Er sah, wie Giulia ihren Beyblade mit einer eleganten Handbewegung einfing und tat es ihr gleich. Euphorie machte seinen Kopf leicht. Sie hatten gewonnen! Ein breites Lächeln saß in seinen Mundwinkeln.

Er trat neben Giulia, nahm ihre Hand – eine Gewohnheit aus Kindertagen, die sie wohl nie mehr abschütteln würden – und verneigte sich gemeinsam mit seiner Schwester. Rund um sie brandete Applaus auf, zunächst vereinzelt, dann etwas lauter. Raul sah aus den Augenwinkeln, wie ein paar der Leute ein paar klimpernde Münzen und Fünfeuroscheine in die kleine Box warfen, mit der Romero die Runde machte. Sie beide atmeten schwer; er wusste, dass Giulia es nicht zugeben würde, doch der Kampf war anstrengender gewesen als gedacht. Immerhin war Rei einer der größten Rivalen des amtierenden Weltmeisters-

 

¡Coño!

 

Raul fiel das Lächeln aus den Mundwinkeln, als ihm klar wurde, dass sie mit ihrem Kampf gegen einen Großteil der Regeln verstoßen hatten, die die World Beyblade Battle Association vorgab. Sein Blick fiel auf seine Schwester, die ungerührt in die Menge winkte. Ein zufriedenes Lächeln blitzte unter ihrer Maske hervor. Die vielen bunten Lagen Stoff seines Kostüms zogen plötzlich mit grausamer Gewalt an Rauls Schultern. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, irgendwas,-

 

Dann passierte plötzlich ganz viel auf einmal.

Der Blader aus dem chinesischen Team, der Giulia provoziert hatte, sackte in sich zusammen. Raul beobachtete in einer Schockstarre, wie Rei seinen Teamkameraden auffing und hinter einer dichter werdende Wand aus Schaulustigen verschwand.

Jemand gab einen erschrockenen Laut von sich; Raul erkannte ihn erst im zweiten Moment als seinen eigenen. Er wurde von einer Person angerempelt, die nach vorne lief, und stolperte in dieselbe Richtung. Er erhaschte einen weiteren Blick auf Rei und seinen Teampartner, bevor sich Schultern in sein Blickfeld schoben und die beiden hinter den Rücken der Schaulustigen verschwanden. Rundum wurde aufgeregtes Gemurmel laut. Die Umstehenden riefen durcheinander, auf Chinesisch, Englisch, Französisch, Spanisch. Jemand telefonierte in erschrecktem Staccato.

Raul schwirrte der Kopf. Er wollte den Mund öffnen, etwas sagen, sich einen Weg nach vorne bahnen, um zu helfen. Er wollte-

Jemand rammte ihm unangebracht brutal einen Gehstock gegen das Schienbein und riss ihn aus seinen sich überschlagenden Gedanken. Raul unterdrückte einen Fluch und starrte in das zahnlose Lächeln eines runzligen alten Mannes, das seltsam schelmisch wirkte. Er kramte in einer Tasche, beförderte ein dunkles Fläschchen zutage, das verdächtig nach Alkohol aussah, und kippte es in einem Schluck. Raul musste starren, denn der Alte blinzelte ihm verschwörerisch zu und legte einen Finger an die Lippen. Der Alte schüttelte dann den Kopf und machte eine Handbewegung als wolle er ihn verscheuchen. Dann zog er ein zweites Fläschchen aus seiner Tasche, träufelte etwas davon auf ein Taschentuch und setzte seinen Weg – freigemacht mithilfe brutaler Hiebe mit dem Gehstock, der wohl mehr Requisite als Notwendigkeit war – fort. Raul blinzelte irritiert.

In der Lücke, die in der Menge frei wurde, sah der Spanier den Weltmeister höchstpersönlich neben Rei und dem Bewusstlosen in die Hocke gehen. Takao Kinomiya reichte dem Teamleader von Baihuzu den schwarzen Beyblade, den er aufgehoben hatte. Sie wechselten ein paar Worte – zumindest vermutete mit einer Geste, die seltsam angespannt wirkte. Rei nickte, einen harten Zug um den Mund.

Der alte Mann trat hinzu, und Raul erinnerte sich plötzlich daran, weshalb er ihm so bekannt vorgekommen war: Er begleitete das Team als … Coach? Der Alte sagte etwas, was den Weltmeister dazu brachte, stammelnd Platz zu machen. Zugleich scharte sich der Rest von Team Baihuzu um die drei wie ein Kokon. Raul erhaschte noch einen Blick in Richtung der einzigen Frau im Team, die ihn feindselig anfunkelte.

 

„Was ist da los?“

Giulia war plötzlich hinter ihm. Raul schrak zusammen und stolperte nach hinten, gegen ihre Brust. Giulias lange, starke Finger bohrten sich in seine Schultern, fingen seinen all auf und erdeten ihn. Raul schüttelte benommen den Kopf. „Ich weiß es nicht“, brachte er hervor, ehe er sich benommen aufrichtete, das Echo von Julias Fingernägeln noch unter der Haut. „Wir müssen hier weg“

Er fasste entschlossen nach ihrem Handgelenk und versuchte, sie mit sich zu ziehen. Giulia stolperte die ersten Schritte, ehe sie ihre Stiefel in den Boden stemmte und ihm ihr Handgelenk entriss. Er sah ihr förmlich an, wie sie auf stur stellte; er erkannte es an ihren halb von der Maske verdeckten, flatternden Nasenflügeln. „Was soll das?“, zischte sie aufgebracht.

Raul biss sich auf die Wange, warf einen hastigen Blick über die Schulter, doch niemand schien ihnen weiter Acht zu geben – zumindest nicht wenn sie nicht lauter wurden. „Wir müssen hier weg“, erklärte er erneut, versuchte mehr Nachdruck in seine Stimme zu legen. Giulia verschränkte die Arme vor der Brust. „Wozu?“, fragte sie provokant, lauter als zuvor. „Spinnst du? Wir haben den Platz noch für eine Stunde, hermano, und gutes Geld dafür gezahlt hier aufzutreten. Weißt du, wie viel Geld wir machen, weil wir gerade gewonnen haben?“

Raul wollte schreien, sich die Haare raufen, sich auf den Boden werfen wie ein Fünfjähriger. Er atmete tief ein, hielt die Luft für einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig an, atmete aus. Er hielt seine Stimme bewusst ruhig, während er sprach. „Giulia, bitte“, beschwor er seine Schwester erneut. „Das nützt uns alles nichts, wenn wir deswegen aus der Weltmeisterschaft fliegen!“

Raul war sich nicht sicher, ob das, was er sagte, bei seiner Zwillingsschwester ankam. Für die Angesprochene schien die Diskussion jedenfalls beendet zu sein, denn sie machte einen Schritt in Richtung ihrer Ausrüstung. Raul blinzelte verdutzt als sie Anstalten machte, ihr Programm fortzusetzen. Raul biss sich auf die Innenseite seiner Wange und sah resigniert zu Romero, der ihm nur zunickte. Der Blonde war in ein paar Schritten bei ihnen und umfasste Giulias Arm in einer bestimmten Geste. „Komm, Giulietta“, sprach er die Brünette mit dem Kosenamen an, der sie schon als sture Vierjährige dazu gebracht hatte zu tun was er wollte.

Raul beobachtete fasziniert, wie die Angesprochene sich nach einem letzten sturen Blick in Richtung der Menschentraube rund um ihre Gegner abwandte. Sie murmelte undeutlich etwas von „Verlustgeschäft“ während sie schnaubend zum Rollkoffer stolzierte, in dem sie ihre Requisiten transportierten.

Raul tauschte einen Blick mit ihrem Coach, der nur mit den Schultern zuckte. Giulia blickte über die Schulter hinweg ungeduldig zu ihnen beiden, die Hand in die Hüfte gestemmt. „Was ist?“, blaffte sie. „Kommt schon!“

Romero steckte die Hände in die Hosentaschen und machte sich auf den Weg. Raul blickte noch einmal mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend zurück auf die Menschenmenge, hinter der ihre Gegner verborgen waren, ehe er hastigen Schrittes den Weg zur U-Bahn-Station zwei Straßen weiter einschlug und zu Giulia und Romero aufschloss.

 

Giulias Schweigen hielt an, während sie von einer U-Bahn-Linie in die andere wechselten und sich schließlich in einen überfüllten, stickigen Bus zwängten, der sie in Richtung Stadtrand brachte. Sie behandelte ihn wie Luft, verbrachte die Fahrt stattdessen damit, betont unbeteiligt aus dem Fenster zu sehen oder sich in ihr Handy zu vertiefen. Sie sprach normal mit Romero. Raul fühlte einen verletzten Stich, als sie mit ihm scherzte und lachte als sei ihr Zwillingsbruder Luft.

Raul gab irgendwo zwischen dem dritten U-Bahn-Stopp und der Bushaltestelle, von der aus sie die letzten Meter laufen mussten, auf. Verletzt vermied er es, Giulia anzusehen, senkte den Kopf und hielt seine Hände beschäftigt, indem er mit seiner Maske hantierte.

 

Sie erreichten den Kostümwagen, Raul gebückt, Giulia mit kantigen Bewegungen, die klar zeigten, wie sehr sie sich beherrschen musste. Kaum fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss, bot ihnen den Anschein von Privatsphäre, explodierte Giulia.

„Was fällt dir ein?!“

Sie machte einen Schritt nach vorne und war ihm so nahe, dass er ihren Atem auf dem Gesicht fühlte. Raul trat instinktiv einen Schritt zurück und stieß gegen eine Kiste, stolperte in die Kostüme, die dicht an dicht auf der Garderobenstange an der Wand hingen, die die gesamte Querseite des Wagens einnahm. Ein Kleiderhaken bohrte sich in sein Schulterblatt, Tüll kratzte an seinem nackten Unterarm und raschelte ihm ins Ohr als als er die Hände hob. „Giulia, bitte, ich-“, versuchte er sie zu beruhigen, doch ohne Erfolg.

Nichts“, unterbrach ihn Giulia scharf. Ihr Zeigefinger bohrte sich schmerzhaft in sein Brustbein. „Ich will nichts hören, klar?“

Raul schluckte. „Aber es gibt einen-“, versuchte er erneut, doch Giulias feuriger Blick ließ ihm die Worte in der Kehle steckenbleiben.

Es gibt einen guten Grund, Giulia“, äffte Giulia ihn höhnisch nach, wobei sie bei jedem Wort ihren Zeigefinger in seine Brust rammte. Sie schnaubte ungehalten. „Mir ist es scheißegal – hörst du?“, schäumte sie. „Scheiß-egal, was für einen guten Grund du dieses Mal wieder gefunden hast. Deine Aktion hat uns verdammt viel Geld gekostet, und es ist deine Schuld!“

Raul wollte erwidern, dass es nicht seine Schuld war, sondern ihre, dass er nicht derjenige gewesen war, der außerhalb des Tourniert einen ihrer Kontrahenten zum Match herausgefordert hatte, dass er niemals-

Er presste die Lippen fest zusammen, starrte angestrengt auf die gegenüberliegende Wand, an der unter dem kleinen Fenster des Wohnwagens die Nähstation aufgebaut war. Seine Hand fand den Fetzen von Giulias Kostüm in seiner Hosentasche, schloss sich zur Faust darum, während Giulia sich ihren bunten Umhang über dne Kopf zerrte und achtlos zu Boden pfefferte, gemeinsam mit ihrer Maske.

 

Die Tür schlug hinter ihr zu, als sie ohne weiteres Wort hinausrauschte. Raul schloss die Augen und gab dem Impuls nach, sich nach hinten fallen zu lassen, hinein in die Kostüme, hinter denen er als Kind nach der Tür in eine vergessene Welt gesucht hatte. Die Stoffbahnen fingen ihn in einer bunten Umarmung aus weichem Stoff und harten Knöpfen und klimpernden Behängen auf. Er ließ sich schwer gegen die Wand dahinter sinken, das kalte Aluminium der Kleiderstange im Nacken, die Fäuste gegen die Wand hinter sich gepresst. Raul blinzelte angestrengt gegen das Brennen in seinen Augenwinkeln an. Die Wand wich nicht, um ihn in eine fantastische Welt einzlassen, genauso wie sie in Kindertagen nie gewichen war.

 

Er wusste nicht, wie lange er so verharrte, an die Wand gelehnt und umgeben von Stoffbahnen, ehe er sich dazu aufraffte, sich der Welt zu stellen – aber einen Schritt nach dem anderen. Er bückte sich nach Giulias Maske und hängte sie gemeinsam mit seiner an den dafür vorgesehenen Haken. Dann kämpfte er sich aus seinem Umhang wie dem Show-Outfit, das sie für ihre Auftritte im Zuge der Beyblade-Weltmeisterschaft ausgewählt hatten, um in ein weitaus bequemeres Trikot mit dem ausgeblichenen Logo ihres Zirkusses und Jogginghosen anzuziehen.

Er sah Giulias Umhang lange an, ehe er sich schließlich mit einem tiefen Seufzen danach bückte. Er betätigte einen Lichtschalter und ließ sich auf den Hocker vor der Nähmaschine sinken.

 

Er nähte, bis ihm die Augen tränten, zuerst Giulias Umhang, dann das Kostüm für Romero, womit er ihn zum Geburtstag überraschen wollte. Die Stickerei, mit der er die Ärmel und den Kragen des Hemdes verzierte, war detailliert und perfekt dazu geeignet, sich abzulenken.

Er schreckte auf, als die Tür sich plötzlich öffnete und Romero den Kopf hereinstreckte. „Raul?“

Raul drehte sich hastig um, um seine Arbeit hinter seinem Rücken zu verstecken. „Was ist?“, blaffte er irritiert. Er stand hastig auf, um die wenigen Schritte zur Tür zurückzulegen. Er trat nach draußen, auf die Stufe, mit der man in den Wohnwagen gelangte, und schloss die Tür hinter sich, um sich dann dagegenzulehnen – eine Vorsichtsmaßnahme, um Romero daran zu hindern, in den Wohnwagen zu platzen und die Überraschung zunichte zu machen. „Was willst du?“, wollte er dann mürrischer als notwendig wissen.

Romero sah ihn auf eine Art an, die normalerweise für Giulia reserviert war – es war eine Mischung aus Unwillen und Resignation, die er trug, seit sie als Teenager galten. „Ich wollte nur sehen, ob alles in Ordnung ist“, erklärte er.

Raul zuckte mit den Schultern, ehe er sie sinken ließ. „Schau doch nach Giulia“, gab er beleidigt zurück und ärgerte sich zugleich darüber, dass er ich so kindisch verhielt. Er war der vernünftigere, erwachsenere der Fernandez-Zwillinge, verdammt!

„Wie ich Giulietta kenne, muss sie sich noch ein wenig abreagieren, bevor ich mit ihr reden kann“, wandte Romero ein und schmunzelte im nächsten Moment, als wäre ihm ein erfreulicher Gedanke gekommen. „Wie ich sie kenne, verausgabt sie sich auf dem Schwebebalken oder hat einen Hindernisparcours quer durch die Manege gebaut“, vermutete er mit einem leisen Lachen.

Raul verdrehte die Augen.

Romero fuhr ungerührt fort:  „Außerdem bin ich jetzt erst mal hier bei dir. Willst du mich aufklären, was das Problem an dem kleinen Schaukampf war? Wir haben ziemlich gutes Trinkgeld bekommen, weißt du.“

¡Coño!“, entfuhr es Raul. Er starrte ihren Coach ungläubig an. Hatte Romero wirklich nicht verstanden, wo das Problem lag? „Hast du eine Ahnung, wie wahrscheinlich es ist, dass wir wegen der Aktion disqualifiziert werden? Die WBBA hat ziemlich klare Regeln, was Kämpfe außerhalb der Arena angeht, und wir haben uns quasi einen Straßenkampf mit unseren nächsten Gegnern geliefert!“

Romero sah ihn an, als würden ihm Tomaten von den Augen fallen. „Das waren unsere nächsten Gegner?“, fragte er nach. Als Raul nickte, schüttelte er den Kopf. „Und da dachte ich, es wären nur irgendwelche Touristen im Cosplay,“ Romero seufzte. „Das ist ganz schön ein Problem.“

Raul nickte mit Nachdruck. „Sag ich doch.“

Romero seufzte erneut. Er blickte versonnen in die Ferne, ehe er wieder auf Raul fixierte. „Ich glaube, Giulia auch. Ich rede mal mit ihr.“

Raul sah Romeros Rücken zu, wie er ins Zelt schlüpfte, und schüttelte den Kopf, ehe er ihn gegen die geschlossene Tür des Wohnwagens lehnte.

 

 

Es war viel, viel später, dass Raul sich im Dunkeln ins Zimmer tastete. Er hörte seine Schwester in ihrer Ecke ihres Wohnwagens mit ihrer Decke rascheln, während er sich im Licht seiner Nachttischlampe umzog und sich mit einem kaum unterdrückten Seufzen auf sein Bett warf. Er war sich nicht sicher, ob Giulia schlief oder nur dalag, während er sich reckte und sein Licht ausschaltete. Er blieb auf dem Rücken liegen, die Glieder von sich gestreckt, und blickte zu den verblassenden Klebesterne an der Decke des Wohnwagens als Giulia sich leise zu Wort meldete. „Ich hab‘ heute den Teufel gezogen.“

Er brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass sie sich auf die Tarotkarten bezog, die Giulia täglich zog. Raul blinzelte angestrengt gen Decke. „Der Teufel klingt nicht gut“, gab er zurück. Im Gegensatz zu seiner Schwester hatte er sich nie für die hohe Kunst des Kartenlesens interessiert.

Er hörte förmlich, wie Giulia die Augen verdrehte. „Ich hab‘ mich hinreißen lassen“, gab sie schließlich sehr, sehr leise zu und klang nur eine Spur ungeduldig. „Ich hab‘ die Möglichkeit gesehen, unsere Finanzen aufzubessern und nicht weiter nachgedacht, wen wir da vor uns stehen haben.“

„Die pinken Haare hätten uns echt was sagen können“, bemerkte er trocken. „Oder dass sie alle asiatisch ausgesehen haben.“

„Oder die Namen der Blades“, zählte Giulia auf.

Es herrschte Schweigen zwischen ihnen, ehe Giulia kicherte und damit den Bann brach. Raul gluckste. Das plötzliche Licht von Giulias Nachttischlampe, das sie anschaltete, ließ Raul blinzeln. Er richtete sich auf, um Giulia anzusehen. Sie blickte ihn ernst an. „Denkst du, sie disqualifizieren uns nicht, wenn ich der chica anbiete, ihr die Haare zu machen? Das Pink sieht aus der Distanz echt besser aus als es ist.“

Die Vorstellung war so absurd, dass Raul lachte, bis ihm der Bauch wehtat.

 

Später, als sie wieder im Dunkeln lagen und dem Atem des jeweils anderen lauschten, sprach Raul noch einmal. „Glaubst du, sie werden uns disqualifizieren?“, fragte er leise und gab dem steten Sprudeln seiner kreisenden Gedanken über seine Lippen nach. „Dann müssten sie ja die anderen auch disqualifizieren, sie haben schließlich auch gekämpft, und das ist doch nicht das Ziel, oder? Was, wenn wir es nicht schaffen? Dann haben wir so viel Geld ausgegeben, ohne etwas für den Zirkus zu tun. Das können wir doch nicht machen, das ist so eine Verschwendung … und was, wenn wir fast ins Finale kommen, aber knapp am Preisgeld vorbeischrammen? Wie sollen wir den anderen da noch ins Gesicht seh-“

Er hörte ein erneutes Rascheln, den dumpfen Schlag wie ihn nur eine flache Hand auf ein Kissen machen konnte und fühlte den Blick seiner Schwester auf sich, die ihn quer durch den kleinen Raum anstarrte. „Haben wir unsere Masken abgenommen?“, fragte sie.

Raul stockte. „Was-?“

„Haben wir unsere Masken abgenommen?“, wiederholte Giulia mit Nachdruck, als wolle sie auf etwas hinein.

Raul schwieg, dachte nach.

„Ich glaube nicht“, sagte er dann.

„Dann weiß niemand, dass wir es waren“, erklärte Giulia simpel.

Raul fühlte ein Gewicht von seiner Brust weichen, das er nicht bewusst wahrgenommen hatte. „… wirklich?“, fragte er.

Giulias Hälfte des Wohnwagens raschelte als würde sie sich aufsetzen. Als Raul den Kopf wandte, konnte er sie im Zwielicht des einfallenden Mondlichts schelmisch lächeln sehen. „Wir haben sogar einen ziemlichen Vorteil damit“, überlegte sie.

„… will ich wissen, was du gerade zusammenspinnst?“, murmelte Raul mehr zu sich und unterdrückte ein Gähnen.

„Ich stelle mich nur meinen dunklen Seiten.“, erklärte Giulia mysteriös.

Raul konnte förmlich fühlen, wie es in ihrem Oberstübchen ratterte. Er ahnte übles. „Giulia, was hast du vor?“

„Schlaf“, befahl Giulia statt einer Antwort mit fester Stimme und sagte dann nichts mehr. Raul schloss den Mund, dämmte den Wortschwall ein, dass er zur Quelle zurückstaute. Er fühlte ein aufgeregtes Kribbeln unter seiner Haut, wie vor einem Auftritt.


Nachwort zu diesem Kapitel:
lady_j war so nett, die Tageskarte für Giulia zu ziehen. Ich finde, sie passt irgendwie sehr gut zu diesem Kapitel, oder?
Der Teufel kann im Tarot bedeuten, dass man sich seinen dunklen Seiten stellen muss, aber auch, dass einem beruflich etwas Negatives widerfährt. Ich bin ungefähr so bewandert wie Raul in diesen Dingen und wiederhole, was Google mir sagt - freue mich aber auf eure Deutungen!

Ganz viel Liebe an euch, liebe Leser*innen, weil ihr so viel Geduld mit mir habt. <3 Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  esperluette
2021-09-26T11:08:40+00:00 26.09.2021 13:08
Wie schön es ist wieder hierher zurückzukommen!
Es fiel mir auch gar nicht schwer mich in der Story wiederzufinden, die Gefühlswechsel die Raul durchmacht tragen mich so easy durch, ich finde das ein ganz tolles Kapitel!

Ich liebe den Wechsel zu Raul, dieser Geschwisterkonstellation und dem kleinen bisschen Zirkusleben sehr! Das alles ist auch in Verbindung mit den Vorkommnissen um das Beybladen und Baihuzu top eingefangen für mein Gefühl.

Ich mag den Anfang an dem Rauls Euphorie sich plötzlich umkehrt und er die Ereignisse beobachtet. RICHTIG gut, die kurze und wortlose Begegnung mit Tao.

Giulia ist für meinen Geschmack on point, für sich allein aber auch in Kontrast und Verbindung zu Raul. Liebe die wechselnde Dynamik die sie haben, liebe die Momente der beiden! Das alles fürhlt sich so wahr an. Ergänzt durch Romero und seinen Einfluss und seine Verpeiltheit, die ist echt Goldwert XD

Ja, und der Teufel passt ganz wunderbar auf das, was sich hier abspielt, aber vielleicht auch auf das was kommt? Großartige Nummer auf jeden Fall mir Giulia und dem Tarot!

!!!
„Er atmete tief ein, hielt die Luft für einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig an, atmete aus.“
„… eine Hand fand den Fetzen von Giulias Kostüm in seiner Hosentasche, schloss sich zur Faust darum…“

!!!!!
„Stoffbahnen fingen ihn in einer bunten Umarmung aus weichem Stoff und harten Knöpfen und klimpernden Behängen auf. Er ließ sich schwer gegen die Wand dahinter sinken, das kalte Aluminium der Kleiderstange im Nacken, die Fäuste gegen die Wand hinter sich gepresst. Raul blinzelte angestrengt gegen das Brennen in seinen Augenwinkeln an. Die Wand wich nicht, um ihn in eine fantastische Welt einzlassen, genauso wie sie in Kindertagen nie gewichen war.“
Antwort von:  FreeWolf
30.09.2021 11:43
Oh Gott, so ein langer Kommentar! Danke danke danke, ich weiß gar nicht was ich sagen soll! Ich freu mich total zu lesen, dass es dir leicht gefallen ist, dich in der Story wiederzufinden! Mir ging es beim Schreiben ähnlich, ich habe sie jetzt ja auch ein Weilchen liegen lassen und das Kapitel ist dann plötzlich in meine Finger geschossen und wollte raus.
Mir ist bis zu deinem Kommentar nie aufgefallen, dass wir hier eigentlich zwei sehr ähnliche Geschwisterkonstellationen haben. Ich hab' mich immer gefragt wie Raul und Giulia leben und hoffe, hier einen vagen, aber eben doch einen Blick dafür zu vermitteln. (;

Romero, GIulia und Raul haben sich fast von allein geschrieben, die drei harmonieren überraschend gut, wenn sie nicht auf stur stellen. :D

Giulia und das Tarot sind mir eingefallen, als ich in einem Schreibworkshop saß und wir Gedichte zu Tarot-Karten gelegt haben - nur so als fun fact nebenbei. Ich finde das passt sehr gut zu ihr und freu mich schon auf die nächste Tageskarte, die lady_j mir legen wird (hoffentlich) ;-)
Von:  lady_j
2021-09-19T17:05:08+00:00 19.09.2021 19:05
Ach, ich habe ganz viel Liebe für die beiden und freue mich sehr, endlich wieder was von dir und aus dieser Geschichte lesen zu dürfen! ❤️
Antwort von:  FreeWolf
19.09.2021 21:05
Ich habe auch so viel Liebe für die beiden, und hoffentlich wird es jetzt nicht mehr so lang dauern mit mir und dieser Fic, sie haben es verdient, dass ich jetzt ganz schnell dazu komme, dass sie einander toll finden! <3


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