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Beautiful Behavior

von

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Ahnungslos

Sie waren nie allein im Zimmer. Anfangs war es nur ein Zufall, aber mit der Zeit achteten sowohl Jodie als auch Shuichi darauf, dass mindestens eine weitere Person im Raum war. Noch immer fürchtete sich Jodie vor dem Agenten, obwohl sie ihn gar nicht kannte. Er war weder gemein noch fies zu ihr, aber seine Anwesenheit reichte aus, damit sie sich unwohl fühlte. Glücklicherweise war Shuichi aufmerksam genug, um zu merken, dass es besser war, sie mit seiner Anwesenheit nicht zu überfordern. Er ahnte, dass es daran lag, dass er Japaner war und sie glaubte, dass einer von Sharon Vineyards Freunden hinter ihr her war. Sie vertraute ihm noch nicht so ganz, auch wenn sich James für ihn aussprach. Für Shuichi war ihr Verhalten nicht schlimm, schließlich würden sie sich bald nicht mehr wiedersehen. Sie gehörte zu seinem Auftrag und danach würden sich ihre Wege wieder trennen. Sie würde ihr Leben weiterleben, wie auch immer es aussah und er würde weitere Fälle vom FBI übernehmen, vielleicht würde er sogar weiter gegen die Organisation ermitteln.

Doch jetzt lag sein Fokus auf Jodie und dem Plan der Organisation. Nach allem, was er mittlerweile wusste, kam es ihm komisch vor, dass sie Sharon Vineyard einfach so geopfert hatten. Sie hatte besondere Fähigkeiten und zahlreiche Kontakte. Abermals war er sämtliche Unterlagen durchgegangen, Berichte von Kollegen, Berichte aus dem Krankenhaus, die Aussage des Managers, von Schauspielern und auch die Aussage von Jodie. Es gab nichts, was den Tod von Sharon Vineyard rechtfertigte oder widerlegte. Und trotzdem überkam den Agenten ein ungutes Gefühl. Ein Gefühl, das ihm sagte, dass irgendwas nicht stimmte. Irgendwas hatte er übersehen. Er wusste nur nicht was.

Und dann war da noch die Staatsanwaltschaft, die ihnen im Nacken saß. Sie ermittelten ebenfalls im Fall des Todes von Sharon Vineyard. Zwar wurde dieser nach außen hin als Unfall getarnt, aber im Inneren drehten sich die Rädchen. Sie hatten allerdings Glück, dass sie eine gute Vertrauensbasis mit den Anwälten hatten und einander kannten. Bei den Ermittlungen und Anklagen der Täter standen sie bisher immer auf der gleichen Seite. Jetzt sah es anders aus, doch dieses Verhältnis würde ihnen die Chance einräumen einen Deal auszuarbeiten. Dafür musste noch einiges getan werden.

Noch im Krankenhaus hatte Jodie ihre offizielle Aussage gemacht und war bei der Wahrheit geblieben. Wie versprochen hatte James ihr eine gute Anwaltskanzlei vermittelt. Mittlerweile fanden mehrere Treffen zwischen ihnen statt, bei denen sie bislang allerdings nur die Beweislage gesichtet hatten. Die Besprechung von Jodies Möglichkeiten fand allerdings nun statt. Damit sie nicht nur das Krankenhaus sah, organisierte James den Transport ins Büro. Gemeinsam mit Black hatte Shuichi Jodie vom Krankenhaus abgeholt und für ihre Sicherheit gesorgt. Er half ihr außerdem aus dem Rollstuhl und wieder in diesen hinein – auch wenn sie es selbst machen wollte. Doch sie hatten genaue Anweisungen vom Krankenhaus und Jodie sollte sich weder überanstrengen noch aufregen. Letzteres war kaum einzuhalten, wenn man wusste, worum es in dem Gespräch gehen würde.

Nachdem Shuichi die Beiden in den Konferenzraum begleitet hatte – in welchem der Anwalt bereits wartete – zog er sich in sein eigenes Büro zurück. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und überprüfte seine E-Mails. Noch war nichts angekommen, doch es war nur eine Frage der Zeit. Er schloss die Augen und dachte an die Befragung von Chris Vineyard in den frühen Morgenstunden.
 

Sie war vor einigen Tagen nach New York gekommen und hatte sich um die Vorbereitungen für die Beerdigung ihrer Mutter gekümmert. Außerdem erledigte sie den Papierkram, der anfiel, gab Interviews und kontaktierte alte Bekannte. Sie war zwar in Japan eine Berühmtheit, aber die amerikanischen Fans waren auch nicht zu unterschätzen. Auch wenn viele nur wegen ihrer Mutter an ihr interessiert waren, blieb Chris dennoch professionell. Die Fans kreischten und beteuerten ihr Beileid am Flughafen. Einige folgten ihr sogar bis zum Hotel, aber die Leibwächter ihrer Mutter hielten jeden in Schach. Selbstverständlich hatte auch das FBI jemanden abgestellt, um die junge Frau zu beobachten. Sollte Chris wie ihre Mutter mit der Organisation in Verbindung stehen, mussten sie es früh wissen. Doch Chris gab ihnen keinen Anlass für diese Annahme. Sie verhielt sich – für eine Trauernde – normal. Einige Tage später wurde sie zur Befragung ins Büro gebeten. Sie lehnte ab und gab an, dass Fans und Medien jeden ihrer Schritte verfolgten und sie nicht wollte, dass der Tod ihrer Mutter mit einem Verbrechen in Verbindung gebracht wurde. Stattdessen schlug sie vor, dass die Befragung an einem neutralen Ort stattfinden konnte.

Agent Decker hatte dem Vorschlag zugestimmt, denn er wollte nicht, dass eine Hexenjagd ausbrach. Hätten die Medien von der Verbindung des FBIs zur Verdächtigen erfahren, stünde die Integrität des FBIs in Frage und es wäre alles in einem Fiasko geendet. Um die Zügel in der Hand zu halten, hatte das FBI ein Zimmer im Hotel gebucht und dort alles für die Befragung vorbereitet. Shuichi und James – der trotz allem nicht ausgeschlossen werden wollte – hatten sich im Schlafzimmer verschanzt und die Befragung durch eine Kamera im Raum beobachtet. Sie konnten ihnen vor Gericht helfen und wurden mit Erlaubnis der Schauspielerin aufgenommen. Die Befragung selbst führte Agent Decker durch, während Chris durch den Manager ihrer Mutter betreut wurde. Außerhalb des Zimmers waren zwei Leibwächter von Sharon positioniert. Im Erdgeschoss des Hotels warteten Ed und die Agenten Fallon und Jackson.

Nachdem Agent Decker die Kamera anschaltete, aktivierte er auch das Diktiergerät. Er nannte das Datum und die Namen aller Anwesenden, sowie derer, die durch die Kamera zusehen. „Miss Vineyard, danke, dass Sie sich bereit erklärt haben, mit uns zu sprechen. Das ist eine offizielle Befragung, da wir den Todesfall Ihrer Mutter untersuchen. Ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie das Recht haben zu schweigen. Alles, was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen sie verwendet. Sie haben das Recht zu jeder Vernehmung einen Verteidiger hinzuzuziehen. Wenn Sie sich keinen Verteidiger leisten können, wird Ihnen einer gestellt. Verstehen Sie Ihre Rechte?“

Chris nickte.

„Sie müssen es bitte sagen, Miss Vineyard.“

„Ja, natürlich. Entschuldigung“, entgegnete sie. „Ja, ich verstehe meine Rechte.“

„Heute möchten wir mit Ihnen über den Tod Ihrer Mutter sprechen. Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt mit ihr?“

Chris überlegte. „Das müsste zwei Tage vor ihrem Tod gewesen sein. Wir haben telefoniert. Es ging ihr gut.“

„Hatte Ihre Mutter Feinde?“

Chris lachte, wurde dann aber traurig. „Sie ist Schauspielerin. Was denken Sie? Sie sollten das Wort Feind definieren. Natürlich gab es Menschen, die sie gehasst haben. Für ihren Ruhm, ihr Aussehen, ihre Fertigkeiten und einige andere Sachen. Sie hat auch Schauspielkollegen Rollen weggeschnappt. Das ist ganz normal in unserem Geschäft. Aber ob einer von denen Grund hatte, sie umzubringen, weiß ich nicht.“

„Hat Sie Ihnen je von einem Stalker erzählt oder dass sie komische Nachrichten bekommen hat?“, wollte Decker wissen.

„Nein. Aber das hat sie nie getan“, antwortete Chris. „Auch nicht in Japan. Sie hat immer versucht, so etwas von mir fernzusehen, damit ich mir keine Sorgen mache. Und ich habe genau das gleiche getan, wenn…es jemanden gab, der mir auf die Pelle rückte.“

„Verstehe. Sie sind vor einigen Jahren nach Japan gezogen. Kennen Sie die Gründe dafür?“

„Japan war ihre Zweitheimat. Sie war mit meiner Großmutter oft dort und es gibt viele, die meine Familie kennen. Als mein Vater gestorben ist, war ich noch ein kleines Mädchen. Meine Mutter brauchte einen Neuanfang und ich auch. Japan tat mir gut und ich konnte als Schauspielerin erblühen.“

„Gab es in Japan jemanden, der Ihrer Mutter den Tod wünschen würde?“

Chris seufzte. „Wie gesagt, als Schauspielerin hat man viele Personen, die einen hassen. Bevor Sie weiter fragen, nein, mir fällt keine Person ein, die es auf meine Mutter abgesehen haben könnte.“

Decker machte sich Notizen. „Warum kam Ihre Mutter wieder nach New York?“

„Sie hatte ein Angebot für eine Filmreihe bekommen und wollte unbedingt dort mitspielen. Das Projekt sollte ein halbes Jahr gehen. Wer hätte gedacht, dass sie schon nach nur wenigen Wochen…sterben würde…“

„Mein Beileid“, sprach Decker. „Gab es in New York jemanden, den Ihre Mutter besuchen wollte?“

„Sie hatte hier ein paar Freunde. Allerdings hat sie mir nicht erzählt, ob sie jemanden getroffen hat.“

„Ist Ihnen bekannt, ob Ihre Mutter in der Vergangenheit Probleme hier hatte?“

„Nein, mir ist nichts bekannt“, antwortete die Schauspielerin. „Es hieß, dass der Tod meiner Mutter ein Unfall war. Wenn Sie mir solche Fragen stellen, gehen Sie von einem…Mord aus?“

„Wir prüfen in alle Richtungen und führen mit mehreren Personen Befragungen durch, um uns ein besseres Bild zu machen. Wir informieren Sie natürlich, wenn unsere Ermittlungen ergeben sollten, dass es kein Unfall war.“

Chris zögerte. „Wenn…,wenn es kein Unfall war, müssen Sie den Mörder finden. Komme was wolle. Er muss seine gerechte Strafe bekommen. Ich bin bereit, Sie mit finanziellen Mitteln zu unterstützen.“

„Danke, Miss Vineyard, aber letzteres wird nicht nötig sein“, entgegnete Decker. „Sie sind sehr gefasst dafür, dass Ihre Mutter tot ist.“

„Fassade“, sprach sie. „Ich habe gelernt, wie ich mich geben muss und was von mir erwartet wird. Außerdem…möchte ich nicht vor Fremden zusammenbrechen. Deswegen gehe ich sachlich an die Sache heran.“

„Verstehe. Bitte erlauben Sie mir noch einige Fragen.“
 

Der Ton einer eingehenden E-Mail führt dazu, dass Shuichi seine Augen wieder öffnete. Er rief die Nachricht auf und las sich das Ergebnis der weiteren Untersuchung durch. „Ich wusste es“, murmelte er. Er druckte das Ergebnis aus, nahm den Zettel und verließ das Büro. Camel sah ihm nur irritiert nach.

Zur gleichen Zeit saßen James, Jodie und Dr. Hunter im Konferenzraum. Der Anwalt beobachtete Jodie und sah dann wieder zu seinen Akten. „Ich möchte ehrlich mit Ihnen sein. Der Fall ist nicht einfach. Es gibt viele Beweise, die gegen Sie sprechen, Miss Starling. Wir haben zwar einige Widersprüche, die wir nutzen können, allerdings…“

„Allerdings?“, begann James.

„Allerdings sieht es nicht gut für Sie aus. Wenn der Fall vor Gericht geht, müssen Sie auf das Wohlwollen des Richters hoffen. Ehrlich gesagt, ist die Beweislast erdrückend und Sie sind die einzige Zeugin. Außerdem ermittelt auch die Staatsanwaltschaft gegen Sie. Daher haben Sie nur drei Optionen. Nummer eins: Sie bekennen sich schuldig.“

Jodie schluckte und rutschte in ihrem Rollstuhl hin und her.

„Was hätte das für Konsequenzen für Jodie?“, wollte James wissen.

„Auch als Ersttäterin würde sie zu einer Haftstrafe verurteilt werden. Mit Reue könnten wir die Dauer reduzieren und bei guter Führung ist eine frühzeitige Entlassung nicht ausgeschlossen. Alternativ könnten wir versuchen, sie für Unzurechnungsfähig zu erklären. Dann ist es zwar keine Haftstrafe, aber ein längerer Aufenthalt in einer Psychiatrie.“

„Über wie viele Jahre reden wir?“, fragte der Agent.

„Die Haftstrafe? Zwischen zwei und zwanzig Jahre. Der Aufenthalt in einer Psychiatrie kann genau so lange festgelegt werden. Vielleicht sogar auf lebenslänglich.“

James weitete die Augen. „Nein, dass…das dürfen wir nicht…“

„Die Chancen stehen gut, dass Miss Starling keine so lange Haftstrafe erhalten würde“, antwortete der Anwalt.

„Das war eine Option. Was sind die anderen?“, fragte James.

„Nun“, fing er an. „Unter gewissen Umständen wäre ein Deal mit der Staatsanwaltschaft möglich. Allerdings müssten Sie ihnen etwas Gutes anbieten. Und…ich weiß nicht, ob das in Ihrem Fall möglich ist. Andererseits scheint das FBI involviert zu sein und möchte Sie vor einer Haftstrafe bewahren. Das verschafft uns bessere Karten. Wenn Sie möchten, spreche ich mit dem Staatsanwalt.“

„Verstehe“, murmelte James. „Was ist die letzte Option?“

„Jemand anderes bekennt sich zu der Tat und nimmt die Schuld auf sich. Was das angeht, hat Agent Tripton bereits mit meinem Kollegen Hendriks gesprochen.“

Jodie wurde blass. „Was…wollen Sie mir sagen?“

„Agent Tripton wird sich zu der Tat bekennen. Seine Fingerabdrücke sind auf der Tatwaffe sichergestellt worden. Keiner wird etwas hinterfragen. Sie werden lediglich als Kollateralschaden aufgeführt. Er hat allerdings gefordert, dass wir die Sache mit Ihnen besprechen. Erst mit Ihrer Zustimmung werden wir die genauen Aussagen ausarbeiten.“

„Nein, dass…darf er…nicht“, wisperte Jodie. „Er hat…nicht…er hat…nicht…“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich werde…nicht lügen…“

„Jodie“, sagte James lese und griff nach ihrer Hand. „Ich verstehe dich ja und mir ist auch nicht wohl dabei. Aber du hast Dr. Hunter gehört, wenn du verurteilt wirst, musst du ins Gefängnis. Außerdem…kannst du danach einige Berufe nicht mehr ergreifen und wirst es schwer im Leben haben. Deswegen…“ Er brach ab, denn er wusste nicht, was die richtigen Worte waren.

„Nein!“

Ehe James etwas sagen konnte, klopfte es an der Tür und ein Agent kam rein. „Agent Black? Bitte entschuldigen Sie die Störung. Agent Decker möchte Sie so schnell wie möglich in seinem Büro sehen. Wenn es geht, soll ich Sie direkt mitbringen.“

James blickte zu den Anwesenden.

„Miss Starling, Sie haben Ihre Optionen gehört. Ich tendiere zu Option drei in Kombination mit Option zwei. Das ist der Wunsch von Agent Tripton. Denken Sie darüber nach. Wir können uns auch gern gemeinsam Treffen und über das weitere Vorgehen sprechen.“ Er lächelte leicht. „Agent Black, melden Sie sich doch mit einem neuen Terminvorschlag bei meiner Kanzlei.“

„Danke“, nickte der Agent und sah zu Jodie. „Ich bringe dich in mein Büro. Bitte warte dort auf mich, ich komme so schnell wie möglich zurück.“

„Okay“, murmelte Jodie und sah nach unten. Konnte Sie damit Leben, dass Roy sein Leben zerstörte, indem er die Schuld auf sich nahm?



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