„Du bist schrecklich, wenn du betrunken bist“, sagte Boris.
„Fick dich“, sagte Rei und wusste nicht, ob er es auf Russisch, Chinesisch oder Englisch gesagt hatte, also wiederholte er es auf allen Sprachen noch einmal, nur um sicherzugehen, dass Boris ihn auch wirklich verstanden hatte.
Boris war ein Wichser, deswegen blieb er in der Hintertür des Clubs stehen und lachte ihn aus, während Rei vor Fassungslosigkeit darüber zitterte und der Bass über die Türschwelle und in seine Ohren dröhnte. Er roch nach Zigaretten, Schnaps und Schweiß; goldvioletter Glitzer klebte dort, wo zuvor Mathilda an ihm geklebt hatte, als ob sie nicht genug von seinen aufgepumpten Muskeln bekommen konnte. Das Goldviolett flimmerte im Licht, in Reis Augen, als Boris die Tür zufallen ließ und sich neben ihn auf den ausgefransten Mauerrand setzte, um sich eine Kippe in den Mund zu stecken. Rei sah ihn nicht an und wusste trotzdem genau, wie er aussah.
„Ich glaub, dein kleines Mäuschen sucht dich und weint sich schon die Augen aus“, sagte Boris zwischen zwei Zügen.
„Ich hasse es, wenn du rauchst“, erwiderte Rei irritiert.
„Ich hätte ja beim Schnaps zugegriffen, aber den hast du scheinbar allein versoffen“, sagte Boris unbeeindruckt. „Vielleicht sollt ich wieder rein und die Kleine ein bisschen trösten.“
„Hat dir Mathilda nicht gereicht? Muss es jetzt auch noch Mao sein?“, fragte Rei bissig. „Klein und pink, darauf stehst du also?“
„Sei nicht traurig, für dich mach ich ne Ausnahme, auch wenn ich dann die Bingokarte nicht vollkriege“, sagte Boris entspannt.
Das Leder seiner Hose knarrte, als er sich zurück lehnte. Rei starrte weiter geradeaus und dachte darüber nach, wie elektrisierend es war, Boris zu hassen. In diesem Moment hätte er ihn den Schnaps von seinen Zähnen lecken lassen, wenn Boris sich zu ihm gelehnt hätte, wollte es anbieten, nahm stattdessen Boris die Zigarette aus dem Mund und warf sie in die Dunkelheit.
„Solide“, sagte Boris amüsiert.
„Die Art, wie du über Frauen redest, ist widerwärtig“, teilte Rei ihm mit.
Boris lachte erneut und Rei wollte ihm die Zähne ausschlagen. „Entzückend, das gerade von dir zu hören. Meld dich, wenn du anfängst, Leute als ebenbürtig anzusehen, dann nehm ich das vielleicht sogar ernst.“
„Und du bist anders?“
Boris‘ Zähne glänzten im elektrischen Licht der Nacht. Rei wusste nicht, woher das Zittern in ihm kam, von ihm selbst oder dem Club oder der Stadt. „Das hab ich nie gesagt. Oder was sonst lockt dich immer wieder an?“ Nun lehnte Boris sich doch näher, sein Atem streifte Reis Ohr, warmes Branden in der Nacht, als er geheimnisleise sprach: „Oder ist es doch eher die Tatsache, dass ich dich kenne und ganz genau weiß, was für ein hohles, hungriges Ding du bist? Du bist leer, Rei, du wächst immer nur auf die Kosten anderer, du bist eine Schlingpflanze, die sich unbeirrt durch Häuserwände bricht. Dein Mädchen da drinnen und all die anderen sehen nur das, was sie sehen wollen.” Rei zog die Oberlippe zurück und knurrte, als Boris ihm eine Strähne hinter das Ohr strich. „Genau das. Du bist ihr Freund, hübsch, stark und furchtlos; aber ich sehe ganz genau, dass die Rose Dornen hat.”
„Manchmal stelle ich mir vor, wie ich dich im Schlamm versenke”, teilte Rei ihm mit, glaubte, dass es Englisch war und beschloss dann, dass es ihm egal war. „Ich stelle mir vor, wie ich dich nach unten drücke und du am nassen Erdreich erstickst, nach und nach, während dein Herz in meinen Händen zittert. Aber dann wiederum glaube ich, dass es reicht, dich zu ficken, um dich bezahlen zu lassen.”
„Für den Schmerz?”, fragte Boris, seine Stimme war (erd)bodenlos, war ganz nächtliches Raunen. Das Leder knarrte im glänzenden Dunkel. Rei grub die Finger in seinen Oberschenkel, Nägel und Kuppen und alles, und spürte dort Boris’ dumpfem Herzschlag nach.
„Für die Schmach”, sagte er und ließ zu, dass Boris ihn küsste, und sagte dann: „Ich weiß genau, dass du nichts von alledem bereust – dass du es mochtest, und dass du es wieder tun würdest, jederzeit. Es gab keine andere Wahl.”
„Und du bist anders?”
„Das hab ich nie gesagt”, erwiderte Rei und presste die Lippen gegen goldvioletten Glanz, hauswandbrechend hart.