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Drachenjagd

Die Himmelsgöttin
von

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Zwischenspiel IV

Langsam floss die Schokolade vom Topf in den Spritzbeutel. Röstaromen hingen in der Luft, der Alkohol war verdampft, doch es roch noch immer nach süßem Kirschlikör und einem Hauch von Rum. Ein paar Tropfen Wasser hatten genügt, um die Schokoladenmischung standfest zu machen, jetzt musste Kaia schnell sein, die Masse war nur für einen Augenblick so perfekt und ein zweites Mal wollte sie das schwarze Gold nicht erwärmen. Es verdarb die Qualität und kratzte nur an Kaias Ego.

Mit schnellen Handgriffen zog die schwarzhaarige Frau Muster auf die vorbereiteten Pralinen. Kleine Runenzeichen, ein paar hübsch gewundene Linien - die Leute mochten es ausgefallen. Wenn nicht alle Pralinen dieselben Notenschlüssel ähnlichen Muster hatten oder einfache Farbspritzer die Kugeln schmückten, stimmten auch die Verkaufszahlen. Die Zungenspitze über den linken Mundwinkel gelegt, kamen noch die letzten feinen Tupfer drauf. Fertig. Kaia war zufrieden, sie wischte sich mit dem Geschirrtuch über die Stirn und wartete einen Moment, bevor sie die Pralinen auf das Regal zum Trocknen stellte. Ein trauriges Lächeln umspielte ihre Lippen. Das war immer Izaras Aufgabe gewesen. So vorsichtig wie das Mädchen mit ihren Kunstwerken umgegangen war, hätte man meinen können, Kaia stellte Porzellan statt Schokolade her. Ihre Sorgfalt hatte der Hyrakonda immer ein Schmunzeln beschert. Das kleine Ding war so zierlich gewesen, aber die Arme hatte sie definitiv von einem Drachen geerbt. Wie sie damals das erste Mal im Laden gestanden hatte - ihr war gar nicht aufgefallen, dass die Regalbalken dreißig Pfund gewogen hatten und Kaia hatte sie nie darauf aufmerksam gemacht. Die Hyrakonda wusste, der Drachenmensch unterschätzte sich und seine Fähigkeiten, aber in Kandio war es besser gewesen, so zu tun, als könnte man nichts, als unnötig die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Nun vermisste sie die Herzlichkeit ihrer Ziehtochter, die vielen, gemeinsamen Stunden vor und hinter dem Laden hatten Leben in das kleine Pralinengeschäft gebracht. Sie hätte nie für möglich gehalten, dass Izara ihr so ans Herz wachsen würde, andere Völker waren nie vertrauenswürdig genug gewesen und überhaupt passte es nicht zu ihrer Rasse. Levis hatte Vieles verändert; Kaia hatte sich verändert und das Leben zwischen Menschen und Drachen war ihr gar nicht mehr schwierig vorgekommen.

Mit einem müden Lächeln wandte sie sich ab. Dass sie zur Nostalgie neigte, sobald ein paar einfache Handgriffe, wie das Rüberstellen von Tabletts, erledigt wurden, wäre vor einigen Jahren undenkbar gewesen.

Kaia schüttelt den Kopf. Izara war fort. Es war besser so. Für alle. Das Mädchen hätte Schwierigkeiten gemacht, und die Gefahr für sie und Levis war einfach zu hoch, als dass sie noch einen Tag länger in Kandio hätte bleiben können.

Sie nahm das Tablett und stellte es auf das Regal zu den anderen Aperitifs. Das Läuten der Glocke ließ Kaia den Kopf nach hinten schnellen. Heute war wirklich nicht viel los, das war gerade einmal ihr fünfter Gast. Sie hoffte, der Herbst würde die Flaute etwas abmindern, so war es zumindest bisher immer gewesen und sie vertraute darauf,  dass auch in diesem Jahr die Mütter fleißig für die Schulanfänger einkauften.

"Ich bin sofort für Sie da!", rief Kaia und stellte den Topf von der Feuerstelle. Dann musste die Ganache eben etwas warten. Sie hatte für heute eh nichts geplant und Levis wäre bis in die Nacht mit seinen Skizzen beschäftigt. Ein paar Überstunden im Geschäft wären nicht verkehrt.

Noch schnell eine entflohene Strähne in die Spange gesteckt und Kaia lief in den Ladenbereich. Sie hatte kaum den Türrahmen verlassen, als sie auch schon stehen blieb. Ihre Miene wechselte binnen Sekunden von aufreizend zu skeptisch. Die Lippen waren ein streng gerader Strich, als sie die Männer mit wachsamen Blicken musterte. Es waren drei - nein, eigentlich sogar vier. Der Vorderste direkt hinter dem Tresen, ein Weiterer begutachtete die Schaufensterware, Einer versperrte die Tür und den Vierten entdeckte Kaia durch die Spiegelung der Schusterei auf der anderen Seite. Für den Fall, dass die Ladenbesitzerin zur Hintertür spazierte? Noch auffälliger hätten sie nicht sein können. Kaia nahm die Schürze ab, legte sie behutsam auf die Kasse, ohne die Männer aus den Augen zu lassen. Kaia wusste, wer sie waren, ebenso wie den Männern klar war, dass sie es wusste. Die Herren trugen dunkelblaue Ledermäntel, die rote Drachenklaue leuchtete an ihrer rechten Reverse, dass auch der letzte Armleuchter es verstanden hätte.

"Was kann ich für Sie tun?", fragte Kaia. Sie wollte nicht zu sehr in die Defensive, weshalb sie um den Kassenbereich herum schritt und eine Armlänge vor dem ersten Paladin zum Stehen kam. Sie fixierte den Mann, der statt seines üblichen Speers ein Schwert um seine Hüften baumeln hatte.

"Einen wirklich schönen Laden, den sie da haben." Kaia ließ den Kopf zur Seite schnellen. Es war der Paladin, der durch den Laden spazierte. Neugierig beäugte er die Süßigkeiten, als wäre er wegen Kaias berühmten Pfirsich-Minz-Maracons gekommen und nicht wegen dem, was so offenkundig der Fall war. Die Stiefel quietschten mit jedem Schritt. Kaias sensible Ohren klappten sich schützend nach innen und im Geiste verfluchte sie die Spezies für ihre schlechte Handwerkskunst.

"Wir haben ein paar Fragen", sagte ihr Gegenüber, dass sie die Aufmerksamkeit zurück auf ihn lenkte, "bezüglich des dreizehnten vorletzten Mondes." Er steckte die Hände in die Manteltaschen. Manche von ihnen trugen kleine Fläschchen mit Wahrheitsserum bei sich - ein seltenes Elixier einer noch selteneren Pflanze, aber ein Paladin bekam immer, wonach es ihm beliebte. Kaia blieb auf der Hut.

"Unsere Stadtwache", entgegnete sie und verschränkte die Arme vor der Brust, "hat mich bereits aufgesucht. Ich wüsste nicht, was ich Ihnen noch erzählen könnte."

"Hören Sie, Madame, wir haben nicht die Zeit-"

"Sind das Mocca-Pralinen?"

Wieder dieser andere Mann! Er stand vor dem Kassenbereich, den Oberkörper nach vorne gebeugt, dass er Kaias Saisonware ganz genau in Augenschein nehmen konnte. Sein gespieltes Desinteresse bezüglich des Vorfalls machte sie nervös. Die Hyrakonda ließ den Blick über den großgewachsenen Mann schweifen. Der Ledermantel täuschte nicht darüber hinweg, dass er gut gebaut war. Sein weißes Hemd lugte hervor und gab ein Stück seiner Brustmuskeln preis. Er wirkte zudem etwas jünger als seine Kollegen, auch wenn das nicht viel sagte. Paladine hatten genug Tricks auf Lager, um ihr Alter künstlich aufrechtzuerhalten. Das hellbraune, kurz geschnittene Haar zeigte eine Narbe oberhalb seines rechten Ohrs, sonst konnte sie nicht die für Paladine so typischen Zeichnungen entdecken.

"Darf ich?"

Als Kaia nicht antwortete, zeigte er auf eine der Pralinen. Kaia starrte ihn an, unsicher, was sie von seinen Methoden halten sollte. Vielleicht probierten sie gerade eine Taktik aus, weil Foltern aus der Mode gekommen war, aber da könnte Kaia auch gleich an fliegende Schweine glauben.

"Ich weiß wirklich nicht, was Sie von mir wollen", sagte Kaia ernst, "Sie werden dasselbe hören, wie Ihre Kollegen. Meinen Sie nicht auch, dass das Zeitverschwendung ist?"

Der Paladin lächelte, nahm sich die Praline und steckte sie sich in den Mund. Überrascht weitete er die Augen, dann nickte er.

"Wirklich ausgezeichnet." Er richtete sich auf und sah ihr direkt in die Augen. Im Gegensatz zu seinem Gesichtsausdruck waren die zwei Seelenspiegel ein Zeugnis seiner Grausamkeiten. Dunkelgrüne Augen, die weit genug in die Tiefe geblickt hatten, um das Ausmaß menschlicher Grausamkeiten zu erlernen. Der Hyrakonda lief es eiskalt den Rücken herunter.

"Wie er schon sagte", er deutete auf seinen Kollegen, "wir haben ein paar Fragen zu dem Zwischenfall. Natürlich wissen wir, was Sie den Leuten von der Stadtwache erzählt haben, aber wir möchten es dennoch noch einmal aus Ihrem liebreizenden Mund hören."

"Ich habe nichts zu sagen", erwiderte Kaia, sie wusste, dass es Regeln gab, selbst unter Paladinen. Diese versuchte sie jetzt auszuspielen. "Bürgermeister Flatsch ist für Kandio verantwortlich, ich bin nicht verpflichtet, einem seiner Mitarbeiter Fragen zu beantworten, wenn sie nicht vorher schriftlich eingereicht worden sind."

"Oh, Sie sind gut informiert, Madame", sein Lächeln funktionierte nur halb so gut, wenn seine Augen wie die eines Killers aufblitzten.

"Aber Flatsch ist nicht hier", er nahm sich eine weitere Praline zwischen Zeigefinger und Daumen und hielt sie direkt über sein Gesicht. "Der Bürgermeister ist zurzeit verhindert, daher haben wir die Verantwortung für Kandio übernommen. Also ist das, was sie sagen, völlig bedeutungslos."

Verdammt. Kaia atmete tief ein.

"Machen Sie es doch nicht schwerer, als es ist", sagte er und drehte die Praline, wie Kaia es tat, wenn sie mit den Mustern nicht zufrieden war. "Glauben Sie mir, das nützt keinem etwas. Ihr Mann hat es auch erst spät begriffen."

Sie hielt den Atem an.

"Ja, wir sind bei Ihrem Gatten gewesen", entgegnete er müde lächelnd. "Sein Pflichtgefühl gegenüber seiner Familie ist ehrenhaft, aber er scheint mir doch mehr ein Künstler als ein guter Mitbürger zu sein."

"Was soll das heißen?"

Levis, ihr Atem ging flach. Ihr Mann war ein wunder Punkt, vielleicht hatten sie es darauf abgezielt.

"Nun", er warf die Praline in die Luft und ließ sie gezielt in seinem Mund verschwinden. Kauend fuhr er fort: "Wir mussten ihn für weitere Fragen mit in unser Quartier nehmen…die sind wirklich vorzüglich. Sie müssen mir nachher unbedingt ein Paar davon einpacken." Er leckte sich über die Lippen. "Wie dem auch sei: Ihrem Mann geht es gut - vorerst."

"Ihr-", fauchte Kaia und fuhr ihre spitzen Vorderzähne aus. Ein Schalter legte sich bei ihr um. Dass sie einfach in ihren Laden spazierten, war schon die Höhe, aber Levis festzunehmen... Glaubten sie, Kaia wüsste nicht, was die Herren unter Befragungen verstanden?

Sie machte einen Seitensprung, ihre Beißer waren auf den Paladin gerichtet, der ihr am nächsten war. Dieser griff nach seinem Schwert, ebenso schnell wie Kaia ihre Klauen auspackte. Nur hatte die Hyrakonda einen entscheidenden Vorteil - ihre Zähne waren schärfer als die seiner Klinge.

So leicht würde sie es ihnen nicht machen.

Ein Seufzen drang an ihre Ohren und schon wurde Kaia von einer Welle des Schmerzes überrollt. Ihre obere Körperhälfte war wie gelähmt, während ihre Beine zitterten und mit den Knien zuerst auf den Boden einschlugen. Kaia riss die Augen auf. Die Anziehung war zu mächtig, ihre Hände klebten an dem Parkett fest und der Kopf drückte sich augenblicklich davor. Ihre Haare verdeckten die Stiefel des Paladins, aber sie hörte, wie sich einer von ihnen direkt vor sie aufbaute.



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