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Drachenjagd

Die Himmelsgöttin
von

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Izara

Weiche Erde spürte sie durch ihre Schuhe sickern. Es war Mitternacht. Die Abenddämmerung hatten sie bereits weit hinter sich gelassen, und Izara merkte, wie ihr die Zeit durch die Finger rann. Wolken bedeckten einen halbrunden Mond, den es nicht scherte, was unter seinem Banner geschah.
 

Das Paladin-Hauptquartier im Rücken peitschte ihnen kalter Wind entgegen. Es wurde so stürmisch, dass die zarte Drachenprinzessin gegen die Böen ankämpfen musste, um überhaupt vorwärts zu kommen. Einen über einsneunzig großen Drachen vor sich her zu schieben, machte es nicht gerade leichter. Izara zog den König hinter sich her, es kostete sie Mühe, den immer schwerer werdenden Körper voranzutreiben, während Gevatter Sturm seinen Schabernack mit ihnen trieb. König Devon wurde von Sekunde zu Sekunde langsamer. Nicht mehr lange und Izara würde einen bewusstlosen Körper hinter sich herschleifen.

"Bitte", brachte sie mit zusammengepressten Lippen hervor. Ihr eigener Körper zitterte, panisch fasste sie nach seinem Ärmel. Doch der König reagierte nicht.

"Bitte, König Devon, Ihr müsst durchhalten. Noch ein kleines", sie ächzte, "…Stück." Eine Kleiderkommode von links nach rechts zu hieven war eindeutig leichter gewesen.

"Die Paladine…sie könnten jeden Augenblick…", Izara versagte die Stimme. Angst schnürte ihr die Worte ab. Hektisch drehte sie ihren Kopf. Sie konnte nicht glauben, dass sie in Sicherheit waren. Noch war das Hauptquartier in erschreckender Nähe, dass nur noch die Glocke ertönen musste, um hunderte Paladine auf die Jagd nach den Himmelsdrachen zu schicken. Ihr Herz verkrampfte sich, sie durfte sich nicht in Sicherheit wiegen. Ganz gleich, wie friedlich die Nacht war, Izara traute ihr nicht.

"Nur noch ein wenig", flüsterte sie mehr zu sich als zu dem König.
 

Dass König Devon so lange hatte durchhalten können, grenzte an ein Wunder. Der Drachenkönig war gelaufen, trotz Ohnmacht, die ihn seit Izaras Befreiung ereilt hatte. Sein Körper reagierte auf einen letzten verbliebenen Überlebensinstinkt und der hatte sich und Izara aus dem Gebäude gebracht. Totenstille hatte im gesamten Hauptquartier geherrscht. Eine unerträgliche Stille, als wären die vergangenen zwei Tage nichts als ein schlechter Scherz gewesen. Als würde sie das alles nur träumen und gleich wieder in ihrem gemütlichen Federbett erwachen. Izara war gelaufen und gelaufen, ohne auch nur einmal zurückzublicken. Dass niemand in der großen Halle wartete, schien wie die Spitze des Hohns zu sein. Der Großmeister, die Paladine, der gefangene Drache...alle fort. Sie würden doch nicht geflohen sein, oder? Was war mit den Geräuschen, die sie von unten gehört hatte? Das Lachen, Krächzen und Schreien. Hatte Devon sie alle erledigt?

Der Flur gab kein besseres Bild ab. Auf dem Boden sammelten sich die Leichen von Paladinen, die Zahl der Toten war auf den ersten Blick kaum zu bemessen gewesen.

Izara stolperte über leblose Arme und klebriges Blut. Abgebrochene Speere und stumpfe Schwerter lagen verstreut auf dem Boden. Von Zeit zu Zeit glaubte Izara, ein Röcheln oder Wimmern gehört zu haben. Aber vielleicht war das nur der Wind, der pfeifend durch die Backsteinmauern heulte. Izara wollte es so gerne glauben. Der Tod war zu etwas Abstraktem geworden. Er war ihr binnen weniger Tage so vertraut geworden, dass der Anblick eine abgeklärte Abneigung hervorrief, die jegliches Mitleid zu einer Farce erklärte. Der Gestank von Vergänglichem hatte sich in ihrer Nase festgesetzt, während sie mit dem Drachenkönig aus dem Gebäude gelaufen war - mehr getorkelt als gelaufen. Draußen hatte ein ebenso seltsames Schweigen geherrscht. Izara hatte erwartet, jeden Moment überrumpelt zu werden. Die drückende Stille machte sie wahnsinnig, und als die ersten Vögel zu kreischen anfingen, wäre Izara fast das Herz stehengeblieben.

Die Hände um den Ärmel seines Mantels geschlungen, zerrte sie ihn weiter durch den Wald. Der König war riesig und schwer, und es wurde nicht besser, als die Arme schlaff vor seinem Körper baumelten und die gesamte Statur ins Wanken brachten.

"Ihr müsst weiterlaufen, Devon", sie zerrte und zerrte, doch nichts passierte. Der König gab kein Zeichen von sich, und dass er immer leiser atmete, brachte sie beinahe um den Verstand.

Izara biss sich auf die Lippen. Sie biss so fest zu, bis die Tränen zurück in ihre Augen flossen. Wenn König Devon nicht auf sie reagierte, musste sie halt selbst zur Tat schreiten. Kräftig drückte sie ihre Hand auf seinen Rücken. Wenn sie ihn von hinten anschieben könnte - bloß so lange, bis sie einen Unterschlupf fand. Sofort spürte sie etwas Warmes, Feuchtes durch ihre Finger gleiten. Izara zuckte zusammen.

Den Blick auf den Boden gerichtet, kämpfte sie mit ihrer eigenen Ohnmacht. Blut tropfte seinen Mantel herunter. Die Wunde kam von seinem Rücken und hatte eine zähe Blutspur hinter ihnen her getrieben. Auch am Oberschenkel entdeckte sie einen großen runden Fleck. Keuchend wandte sie sich ab.

Es war zu viel. Die plötzliche Befreiung, die Ungewissheit der Nacht. Was hatte sie sich dabei gedacht, einfach so blind durch den Wald zu rennen? Die Paladine witterten Drachenblut wie Wölfe ihre Beute. Die hart erkämpften Meilen waren nutzlos, wenn das Blut wie eine Spur durch die Bäume direkt in ihre Arme führte.

Verzweifelt sah sie sich um. Die Nacht war nicht ihr Freund, ihr wollte nichts einfallen und in einem letzten verzweifelten Versuch, etwas zu unternehmen, griff sie nach dem Saum ihres Kleides, riss ein großes Stück Stoff ab und wickelte es um Devons verletzten Oberschenkel.

"Ich werde uns hier rausholen", wimmerte sie leise vor sich hin, band einen doppelten Knoten und richtete sich auf. Unruhig wanderten ihre Blicke zu König Devons Seelenspiegeln. Seine Augen hatten ihr immer Gewissheit gegeben. Sie hatte sich beschützt und behütet gefühlt, ganz gleich, was zwischen ihnen gestanden hatte, in seinen Augen lag so viel Vertrauen und Wissen, dass sie seine Integrität nie in Frage gestellt hatte. Jetzt war der Blick des Königs trüb und leer. Zwei Augen, die alles Leben verloren hatten. Die eiskalten, tiefgründigen Seelenspiegel waren nur noch kalt. Er schien so kraftlos, dass er sich wohl nicht einmal in seine ursprüngliche Form zurück verwandeln könnte. Izara spürte es einfach - diesen Hauch des Todes, der vor König Devons Schwelle stand und dazwischen Izara, die nichts davon verstand, was es bedeutete, ums Überleben zu kämpfen. Vorsichtig ging ihre Hand zurück zu seinem Mantel.

"Eure Wunde", die Erkenntnis fühlte sich wie ein Peitschenhieb an. Wie dumm war sie gewesen, nicht daran gedacht zu haben. An jene Nacht im Palast, als sie seine wahre Drachengestalt gesehen hatte. Die Wunde, die der Himmelsdrache auf seinem Rücken getragen hatte, war grausam und tief gewesen. Und nun schien sie ihm alles an Blut zu rauben.

"Bitte…Devon", fiepte sie, die Angst kaum mehr unterdrückend, "halte durch." Schniefend legte sie seinen Arm um ihre Schulter, mit der einen Hand fasste sie nach seinem Handgelenk, während sie die andere weiterhin auf den blutenden Rücken presste.

Mit zusammengebissenen Zähnen lief sie mit ihm durch den Wald. Selbst wenn es kein Entkommen gab, würde sie sich hüten aufzugeben. Der König hatte sein Leben für sie riskiert und jetzt würde Izara alles tun, um ihn zu retten.

Wie ein veirrtes, kleines Kind lief sie im Wald umher. Die Umgebung war so fremd, jeder Laut, jedes Rascheln, jedes Kreischen ließ ihr Herz schneller schlagen. Izara lief weiter. Immer weiter. Mit einem kraftlosen König im Schlepptau, der nur träge seine Füße bewegte. Doch er bewegte sich noch und das war im Moment alles, was zählte.

"Nur noch ein Stück", keuchte sie. Die Worte sollten ihr Mut machen, doch Izara spürte nur, wie das leise Wimmern vom Wald verschluckt wurde.

"Ich…werde", sein Körper wurde so schwer, dass sie selbst drohte, zusammenzubrechen, "ich werde uns retten!", sagte sie so fest sie konnte. Ganz gleich wie viel Flüssigkeit aus ihren Augen und der Nase floss, sie würde ihn und sich in Sicherheit bringen, bei dem Großen Drachen, und sie würde ihn nicht sterben lassen!

Die Bäume rückten dichter zusammen und die Dunkelheit drohte alles zu verschlingen. Ein Hauch von Devons Atem streifte ihren Hals und mit aller Mühe hievte sie ihn durch den großen, fremden Wald.



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