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Love against all Reason

Liebe gegen jede Vernunft
von
Koautoren:  Linchen-86  Khaleesi26

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ja, jetzt ist es also tatsächlich soweit, wir laden das letzte Kapitel hoch.

Wir wissen gar nicht so Recht, was wir sagen sollen, denn wir lieben diese Geschichte und es macht uns ein wenig traurig, dass es nun vorbei ist.

Wir haben so lange daran geschrieben und lieben alle Charaktere einfach sehr.

Anfangs war es als kleines Projekt geplant und am Ende ist es einfach nur eine spannende und emotionale Geschichte geworden.

Wir danken euch alle fürs mitfiebern, mitlesen und kommentieren.

Viel Spaß nun beim letzten Kapitel :) Komplett anzeigen

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Kapitel 60

Tai
 

Angespannt starre ich auf mein Getränk, während der ganze, beschissene Tag noch mal an mir vorüberzieht. Wir sitzen gerade in einem Restaurant, aber gedanklich bin ich ganz woanders – nämlich im Gerichtssaal. Heute war der erste Prozesstag im Fall von Professor Dr. Haruiko Kido und was soll ich sagen …? Es lief anders als wir erwartet hatten. Ganz anders. Mimi wurde als eine der Ersten in den Zeugenstand gerufen, aber da Haruiko zuerst vernommen wurde und Gelegenheit hatte, seine Version der Geschichte darzustellen, klang danach alles, was Mimi erzählte, wie ausgedachte Spinnerei. Zum Falle Nanami konnte er nicht viel sagen, die Beweise waren niederschmetternd und Kaito Minamoto hat ihm absolut keinen Spielraum gelassen, nein. Er hat ihn auseinandergenommen wie eine Weihnachtsgans. Vor der gesamten Staatsanwaltschaft und dem Richter. Und ich glaube, er hat es sehr genossen. Aber als der Richter auf den versuchten Mord an Mimi zu sprechen kam und beide Versionen dazu hören wollte, log Haruiko, dass sich die Balken bogen.

Er erzählte, Mimi sei in sein Haus gekommen und habe versucht, ihn um Geld zu erpressen. Sie hätte gesagt, sie würde nicht vor Gericht gegen ihn aussagen, wenn er ihr Geld geben würde, um die Schulden ihres Vaters zu begleichen. Ich höre noch die Stimme des alten Sacks:
 

Natürlich ging es ihr von Anfang an nur um unser Geld. Sie ist so durchtrieben. Mimi Tachikawa wusste genau, worauf sie sich einlässt, als sie in unser Haus kam, um meinen Sohn zu heiraten. Sie hat uns alle belogen und wollte sich das Geld für ihren Vater erschleichen! Als sie gemerkt hat, dass sie das nicht von uns bekommt, musste sie sich etwas anderes einfallen lassen. Warum sonst kam sie wohl ausgerechnet am Tag meiner Entlassung in die Villa zurück? Sie wollte das Geld erpressen, was sonst? Erbärmliches Mädchen.“
 

Ich balle die Hand zur Faust. Am liebsten wäre ich über die Anklagebank gesprungen und hätte ihm den Hals umgedreht. Aber seine Lügengeschichte ging noch weiter …

Als Haruiko nicht eingewilligt hat, hätte sie ihn mit einem Messer bedroht und letztendlich wäre es Notwehr gewesen, ihr das Messer zu entwenden und ihr an die Kehle zu halten. Dieser widerliche, verlogene Scheißer!

Mimi war danach völlig aufgewühlt, denn sie erzählte dem Richter natürlich eine ganz andere Geschichte. Frau Kido hielt sich bedeckt, sie hätte nichts gesehen, außer, dass ihr Mann Mimi bedroht habe und daraufhin hätte sie gehandelt. Was vorher gesprochen wurde, wüsste sie nicht. Also hat auch sie gelogen. Sie hält nach wie vor zu ihrem Mann.

„Tai?“

Erschrocken blicke ich von meinem Glas mit dem kalten Eistee auf. „Ja?“

Mimi, die mir gegenübersitzt, sieht mich besorgt an. „Könntest du das jetzt bitte lassen?“

„Was denn?“

„Diese Grübelei. Immerhin ist es mein Geburtstag.“

„Ja.“ Ich räuspere mich und rutsche unruhig auf meinem Stuhl hin und her. „Tut mir leid. Es ist nur so unfair. Ich schwöre dir, wenn er damit durchkommt, werde ich …“ Ich würde am liebsten auf den Tisch schlagen, doch Mimi legt beruhigend ihre Hand auf meine und sieht mich eindringlich an.

„Ich weiß, was du meinst“, sagt sie ruhig. Wie kann sie nur so gelassen bleiben? „Aber wir wissen noch gar nicht, wie der Prozess ausgeht. Das war erst der erste Tag. Ich denke nicht, dass irgendjemand diese Geschichte von Haruiko geglaubt hat.“

Ich beiße mir auf die Unterlippe. Hmm, sie hat gut reden. Ich glaube, sie will mich nur aufmuntern, weil ich, seit wir den Gerichtssaal verlassen haben, an nichts anderes mehr denken kann.

„Also, bitte Tai, es ist mein Geburtstag. Können wir wenigstens versuchen, diesen Abend zu genießen?“

Ich schüttle den Kopf und ringe mich zu einem Lächeln durch. „Du hast absolut recht. Es tut mir leid, dass ich mit den Gedanken die ganze Zeit woanders war. Ab jetzt hast du meine volle Aufmerksamkeit.“

Mimi grinst zufrieden. „Das wollte ich hören.“

Ja, sie hat es definitiv verdient, dass wir ihren Geburtstag gebührend feiern. Und nicht nur das. Vor zwei Tagen wurde ich aus der stationären Reha entlassen und darf von nun an meine Behandlungen ambulant fortsetzen. Was wiederum bedeutet, dass ich seit zwei Tagen mit Mimi zusammen wohne – also so richtig! Wir teilen uns die Wohnung, das Bett, den Einkauf, eben alles, was dazu gehört und es fühlt sich ganz fantastisch an. Noch nie in meinem Leben hat sich etwas so richtig angefühlt. Es ist wundervoll Mimi nun jeden Tag an meiner Seite zu haben, jeden Morgen neben ihr aufzuwachen. Ich habe mich jetzt schon an sie gewöhnt und kann mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Wir hatten einen schweren Start und haben bereits jetzt mehr durchgemacht als andere Paare in ihrem ganzen Leben. Von daher hat meine Prinzessin diesen Abend heute mehr als verdient. Und außerdem habe ich noch eine Überraschung für sie vorbereitet.

„Ah, da sind sie ja“, meint Mimi plötzlich und erhebt sich leicht von ihrem Stuhl, um jemandem zuzuwinken. Ihr Gesicht erhellt sich augenblicklich, als Kari, Takeru und Yolei das Restaurant betreten und zu uns rüber kommen.

„Mimi, happy Birthday!“ Meine Schwester ist die Erste, die Mimi in eine innige Umarmung schließt, gefolgt von Takeru. Auch Yolei gratuliert ihr und überreicht ihr sogar ein Geschenk. „Wie schön, dass wir uns jetzt endlich offiziell kennenlernen. Und danke für die Einladung.“

„Stimmt“, kichert Mimi und nimmt das hübsch verpackte Päckchen mit der rosa Schleife dankend an. „Unsere erste Begegnung war ja leider etwas ungewöhnlich.“

„Ja, und super merkwürdig“, fügt Kari noch hinzu, während ihr Takeru einen Stuhl zurückzieht, damit sie Platz nehmen kann.

„Das tut mir leid“, entschuldigt sich Mimi und macht ein zerknittertes Gesicht. „Ich konnte dich zu diesem Zeitpunkt noch nicht einweihen.“

„Ach, Schwamm drüber“, winkt Kari schnell ab. „Hier, das ist für dich.“ Auch sie überreicht Mimi ein kleines Geschenk, woraufhin Mimi etwas rot um die Nase wird. „Danke, das wäre doch nicht nötig gewesen.“

„Sei nicht so bescheiden“, entgegnet Takeru. „Das ist dein erster Geburtstag in Japan. Das muss gefeiert werden.“

„Du vergisst, dass ihr hier geboren bin. Ich habe bereits ein paar Geburtstage in Japan gefeiert.“

„Ja, aber da kanntest du uns noch nicht. Denk an meine Worte: diese Nacht wirst du nie vergessen“, sagt Takeru verheißungsvoll und wackelt mit den Augenbrauen, woraufhin er sich einen Klaps von Kari einfängt. „Lass den Blödsinn, du verschreckst sie ja. Mimi hat heute sicher noch was anderes vor. Stimmt doch, Mimi?“

„Ähm, ich …“ Mimi schielt zu mir rüber, doch ich grinse nur.

„Ich, äh also, ja“, stammelt sie schließlich, vermeidet es jedoch mich anzusehen. Ihr Gesicht glüht förmlich. Ich finde es süß.

„Aah, verstehe“, meint Takeru und beginnt nun so breit zu grinsen, dass selbst der Kellner, der nun an unseren Tisch tritt, um die Getränke der anderen aufzunehmen, komisch guckt.

„Jetzt benimm dich doch“, flüstert Kari ihm kichernd zu, während ich nur die Augen verdrehe. Die beiden sind so was von kindisch. Als der Kellner die Bestellung aufgenommen hat, schaue ich Yolei fragend an.

„Wo ist Ken? Wollte er nicht auch kommen?“

Yolei nickt. „Ja, er müsste jeden Moment … ah, da ist er ja schon.“

Ich drehe mich um und schaue zum Eingang. Ken kommt wortwörtlich herein gestolpert, unter dem Arm einige Akten geklemmt, als käme er jetzt erst aus dem Büro. Er sucht uns kurz, aber als er uns entdeckt, kommt er geradewegs auf uns zu und knallt uns die Akten auf den Tisch. „Happy Birthday, Mimi“, sagt er schwer atmend und klingt so, als müsste er erst ein Mal verschnaufen.

„Das ist ein komisches Geschenk“, gibt Takeru zu bedenken und auch wir anderen runzeln verwirrt die Stirn, als Ken sich neben Yolei setzt und ihr einen Kuss auf die Wange drückt. „Hallo, Schatz. Ich hab da mal was mitgebracht.“

„Das sehe ich“, entgegnet Yolei und sieht ihren Mann zweifelnd an. „Aber was ist das?“

„Tut mir leid, aber ich konnte einfach nicht fassen, was da heute im Gerichtssaal abging.“ Er beginnt, sich die Akten vorzuknöpfen und ein paar davon aufzuschlagen, als wäre das hier sein Schreibtisch. Ich bekomme mit, wie die anderen Gäste irritiert zu uns rüber schauen und auch Mimi rutscht unruhig auf ihrem Stuhl rum, aber das stört Ken gar nicht. Er macht einfach weiter. „Ich klemme mich seit Tagen schon an Tais Fall und will endlich herausfinden, wer für seinen Unfall verantwortlich ist. Leider sind wir bisher noch nicht sehr weit gekommen. Das sind so ziemlich alle relevanten Unterlagen, die ich aus Haruikos privatem Büro beschlagnahmen konnte. Natürlich nur Kopien. Aber es ist zum verrückt werden. Ich habe die ganze Zeit das Gefühl, etwas zu übersehen, als würde mir ein Detail entgehen. Ich dachte, vielleicht kannst du ja mal einen Blick drauf werfen. Du hast doch ein gutes Auge für so was.“ Er schiebt mir die erste Akte rüber und ich schaue erst ihn und dann Mimi zweifelnd an. „Ich weiß nicht, ob das der richtige Ort und der richtige Zeitpunkt dafür ist.“

Und so wie Yolei ihren Mann anguckt, sieht sie das ähnlich.

Ken schüttelt bedauernd den Kopf. „Ihr habt wohl noch nicht begriffen, in was für einer Lage ihr steckt. Ich dachte, ihr wollt Haruiko so lang wie möglich hinter Gittern sehen.“

„Ja, wollen wir, aber …“

„Momentan sieht es aber eher danach aus, als würde er viel zu gut aus der Nummer raus kommen.“

Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen. „Wie meinst du das?“

„Ich habe nach der Verhandlung mit Kaito Minamoto gesprochen und ja, er hat eindeutig das Zeug dazu, Haruiko zu vernichten. Aber für wie lange? Wird er auch wirklich für alles, was er getan hat, die Höchststrafe erhalten? Er ist trotz der Beweise gut darin, den Unschuldigen zu spielen, wenn es um den Scheintod von Nanami geht. Er hat ja bereits versucht, es Misaki in die Schuhe zu schieben. Ayakas Aussage hilft da, aber trotzdem … Und was Mimis Fall betrifft … da steht es Aussage gegen Aussage. Wir wissen alle, dass er gelogen hat, aber der Richter weiß es nicht. Meine Erfahrung ist, dass eine Gegenaussage die Richter meist verunsichert und sie sich am Ende auf keine der beiden Seiten schlagen und somit auch nicht die Höchststrafe vollhängen.“

Ich zische verächtlich. „Aber das ist lächerlich, Ken. Sieh dir ihre Narben an.“ Ich deute auf Mimis Arme, die sie zwar mit einer langärmeligen Bluse verdeckt hat, aber wir alle wissen nur all zu gut, was sich unter dem Stoff befindet. „Er wollte sie umbringen!“

„Das ändert nichts daran, dass Mimi diejenige war, die in die Villa zurückgekehrt ist“, sagt Ken.

„Um meine Sachen zu holen“, wirft Mimi ein, aber ich schüttle nur den Kopf. Sie muss sich für gar nichts rechtfertigen. Dieses Schwein hat sie angegriffen, nicht umgekehrt. Das wäre ja auch lachhaft. Als ob Mimi jemanden ernsthaft bedrohen könnte, was für eine absurde Geschichte.

„Gab es eigentlich keine Kameraaufzeichnungen?“, fragt Kari. „Ich weiß von Tai, dass das ganze Anwesen überwacht wird.“

„Nein, die Kameras wurden alle abgestellt. Ansgar, der Dienstbote, hat bestätigt, dass Mimi freiwillig und aus eigenen Stücken die Villa betreten habe. Danach habe er nicht mehr mitbekommen, was vorgefallen sei“, sagt Ken und sieht nun Mimi direkt an. „Ich sage auch nicht, dass ich dir nicht glaube, Mimi. Wir wissen, dass du das Opfer in der ganzen Sache bist. Aber, dass du die Villa genau an dem Tag betreten hast, als Haruiko entlassen wurde und dich offensichtlich auch niemand dazu gezwungen hat, in das Anwesen zurückzukehren, könnte man dir negativ auslegen. Als hättest du es darauf angelegt.“ Ich sehe, wie Mimi schwer schluckt, aber Ken winkt ab. „Egal, ich will damit auch nur eins sagen: wir brauchen mehr. Wenn wir herausfinden würden, wen Haruiko beauftragt hat, Tai zu ermorden und es wie einen Unfall aussehen zu lassen, und wir denjenigen auch noch zu einer Aussage kriegen würden … dann wäre das der Nagel zu Haruikos Sarg. Das Problem ist nur, dass übermorgen der nächste Prozesstag ist und wenn bis dahin nicht noch mehr Beweise auftauchen, vermutlich dann schon ein Urteil gefällt wird. Natürlich könntest du Haruiko zu einem späteren Zeitpunkt immer noch anklagen, aber wie effektiv wäre das wohl? Bis dahin hat er genug Zeit, um weiter Beweise fälschen zu lassen oder wer weiß wen zu bestechen. Er verliert seinen Einfluss nicht, nur, weil er im Gefängnis sitzt. Aber im Moment rechnet er nicht mit einem Angriff von deiner Seite aus. Ich denke, er wiegt sich ziemlich in Sicherheit, zumindest, was deinen vermeintlichen Unfall angeht, Tai.“

So langsam kann ich Kens Ausführungen folgen. Es macht Sinn … zwei Tage, dann steht das Urteil vielleicht schon fest. Und es läuft bisher nicht so astrein, wie wir es uns erhofft hatten. Haruiko ist nach wie vor kein einfacher Gegner und seine Anwälte mit allen Wassern gewaschen. Diesmal müssen wir ihm einen Schritt voraus sein!

„Okay“, sage ich und schaue zu Mimi, die mir bestätigend zunickt. „Was hast du?“

Ken atmet erleichtert auf, wahrscheinlich hatte er schon Sorge, dass ich ihn gleich für bescheuert erklären würde. Aber jetzt sieht er zuversichtlich zu mir rüber.

„Wie gesagt, ich bin alles schon hundert mal durchgegangen und vermutlich übersehe ich einfach was. Ich dachte, vier Augen sehen mehr als zwei.“

„Du meinst sechs Augen“, sagt Yolei tonlos und schnappt sich eine Akte. „Oder willst du mich außen vor lassen? Ich will dieses Schwein auch endlich hinter Gittern sehen.“

Ich lächle Yolei dankend an, als auch Kari sich eine Akte schnappt und sie vor sich und Takeru aufschlägt. „Wir wissen zwar nicht, wonach wir genau schauen müssen, aber wir wollen auch helfen.“

Mimi, die einfach völlig still da sitzt, schaut gerührt in die Runde. „Danke“, sagt sie leise und ich kann sehen, wie in ihren Augen Tränen funkeln.

„Tut mir leid, ich wollte deinen Geburtstag echt nicht sprengen“, erwidert Ken mitfühlend, aber Mimi schüttelt nur entschieden den Kopf und greift dann ebenfalls nach einer Akte. „Ich könnte mir nichts Besseres vorstellen, als Haruiko endlich für Tais Unfall dran zu kriegen.“

Ich lächle zufrieden. Das ist mein Mädchen. „Na dann los. Je eher wir was finden, desto eher können wir essen.“
 

Tatsächlich sitzen wir alle eine halbe Stunde schweigend über den Akten und blättern darin rum, ehe der Kellner sich ein Herz fasst und uns fragt, ob wir nun endlich Essen bestellen wollen. Wir lassen uns ein ganzes Menü bringen, hören aber nicht auf zu lesen, wieder und wieder die Zeilen zu überfliegen und darauf zu hoffen, endlich den entscheidenden Hinweis zu finden.

Als wir gerade fast alle eine Pause einlegen, um vom Hauptgang zu kosten, höre ich plötzlich jemanden nach Luft japsen.

Es ist Yolei, die sich entweder gerade an einer Nudel verschluckt hat oder über etwas gestoßen ist, denn sie hat den Kopf dicht über ein Blatt Papier geneigt und rückt mit dem Finger noch mal ihre Brille zurecht, wie immer, wenn sie gerade was Interessantes entdeckt hat.

„Was ist?“, frage ich sofort.

„Hast du was?“, will Ken wissen und lehnt sich zu ihr rüber.

„Weiß nicht, aber das sieht verdächtig aus. Ich sehe mir gerade die Bankverbindungen der letzten Monate an und einen Tag vor Tais Unfall ging eine größere Summe an einen gewissen Shun Nagano.“

Ich horche auf, denn das klingt geradezu nach der Nadel im Heuhaufen, die wir gesucht haben. Doch da verdreht Ken bereits die Augen.

„Nagano habe ich bereits überprüft und auch die Summe, die überwiesen wurde. Es sticht einem förmlich ins Auge, da gebe ich dir recht. Allerdings ist der Kerl nur ein Versicherungsvertreter. Alter und Aussehen passen auch nicht zu der Beschreibung von Tais Täter.“

Ich runzle die Stirn. Ein Versicherungsvertreter? Ergibt das Sinn? Nein, es könnte auch …

Yolei und ich heben fast gleichzeitig den Kopf, sehen uns an und sagen dann wie aus einem Munde: „Ein Zwischenmann.“

Kurz wird es still am Tisch.

„Ein Zwischenmann?“, fragt Mimi. „Was soll das sein?“

„Jemand, der die Geldsumme zwar bekommt, aber sie weiter überweist, an den eigentlichen Empfänger. Quasi als eine Art Absicherung. Damit keine direkte Verbindung zum Täter besteht“, erklärt Ken ihr. Er hat verstanden, worauf wir hinauswollen. Was, wenn Haruiko seine Männer nie direkt bezahlt? Wenn das jemand anderes für ihn erledigt, damit die Spur nicht zurückzuverfolgen ist?

„Wäre das möglich?“, fragt Kari entgeistert. Ken zuckt mit den Schultern. „Möglich wäre es.“

„Du solltest diesen Kerl noch mal überprüfen. Vor allem seine Geldtransaktionen“, sagt Yolei und ich nicke ebenfalls. „Sie hat recht. Wenn er nur ein Zwischenmann ist, hat er die Summe sicher nicht behalten, sondern weiter überwiesen.“

Ken verschränkt die Arme vor der Brust und denkt angestrengt nach. „Ihr habt recht, das ist unsere einzige Spur. Warum bin ich da nicht schon selbst drauf gekommen?“

„Na, dafür hast du ja mich.“ Yolei klopft ihm fast schon kumpelhaft auf die Schulter und ich muss ein bisschen darüber lachen. Keine Ahnung, ob diese Spur irgendwohin führt, aber ich kann schon jetzt nicht mehr gut machen, was die beiden alles für uns getan haben …
 

Wir schauen noch eine ganze Weile weiter, aber als schließlich der Nachtisch serviert wird, geben wir es auf. Entweder Haruiko hat seine Spuren mehr als gut verwischt oder es gibt tatsächlich nur diesen einen Hinweis. Ich hoffe so sehr, dass es der Volltreffer ist, den wir so dringend brauchen.

Nach dem Essen, was definitiv nicht so gelaufen ist, wie ich es geplant hatte, verabschieden Mimi und ich uns von den anderen. Yolei und Ken müssen ohnehin nach Hause zu ihrem Sohn und Takeru und Kari schlagen zwar vor, noch in eine Karaokebar zu gehen, aber Mimi und ich lehnen dankend ab. Wir haben andere Pläne …
 

Mimi
 

„Erzählst du mir endlich, wo wir noch hingehen?“

Tai hält meine Hand, während wir in einem Taxi sitzen. Ich schaue zu ihm rüber. Ein Lächeln zeichnet sich auf seinem Gesicht ab.

„Das wirst du gleich sehen.“

Verwirrt runzle ich die Stirn und schaue noch mal prüfend aus dem Fenster. Wir fahren durch eine schöne Wohnsiedlung, die sich am Rande von Tokyo befindet. Nur hübsche, kleine Häuschen hier. Wirklich eine nette Gegend, aber ich habe keine Ahnung, was Tai hier will. Er meinte, er hätte noch eine Überraschung für mich vorbereitet, aber ich habe ehrlich gesagt keinen Schimmer, was das sein soll. Hier ist weit und breit nichts.

„Besuchen wir noch jemanden?“, frage ich ihn weiter aus. Vielleicht will er mich ja noch einem Freund vorstellen oder so.

Tai dreht den Kopf zu mir und lächelt. „Nein, Prinzessin. Aber wenn du noch zwei Minuten abwarten kannst, erfährst du es.“

Ich bin eigentlich nicht der Typ für Überraschungen und schon gar nicht für solche, die mich verwirren. Denn so geht es mir gerade, als wir endlich anhalten. Wir steigen aus und das Taxi fährt weiter, nachdem Tai den Fahrer bezahlt hat. Zweifelnd sehe ich mich um, während Tai ein zufriedenes Gesicht macht.

„Was wollen wir denn hier?“ Wir stehen vor einem der vielen kleinen Häuser, die sich hier aufreihen. Tai geht geradewegs darauf zu, aber ich habe ihn schnell eingeholt, weil er zwar den Gips nicht mehr trägt, aber immer noch an Krücken geht, um sein Bein nicht zu sehr zu belasten. Vor der Tür des Hauses bleibt er stehen und dreht sich zu mir um. „Bereit?“

Ich zucke mit den Schultern. „Wenn du mir sagst, für was?“

Tai grinst, greift in seine Hosentasche und holt einen Schlüssel hervor. Noch bevor ich nach Luft schnappen kann, hat er die Tür aufgeschlossen und hält sie mir nun auf. „Willkommen in unserem neuen Zuhause.“

Mir fällt beinahe die Kinnlade runter und als ich einfach vor lauter Schock stocksteif dastehe, außer Stande mich zu bewegen, packt Tai mich an der Hand und zieht mich ein Stück näher. „Du kannst ruhig reinkommen.“

Ich trete über die Türschwelle und Tai knipst das Licht an. Der Flur ist klein und ich sehe, wie links von uns eine weitere Tür offen steht, die wohl zu einem Gäste WC führt. Geradeaus steht die Tür zum Wohnzimmer offen und vom Flur aus geht eine Treppe nach oben in die nächste Etage.

„Drei Zimmer, Küche, Bad, Garten, Garage, leider keinen Keller, aber dafür einen kleinen Dachboden. Was sagst du?“

Ungläubig mache ich einige Schritte nach vorne. Ich betrete das Wohnzimmer und schalte auch hier das Licht ein. Es riecht nach Holz und Putzmitteln. Offenbar wurde hier kürzlich sauber gemacht. Der Raum ist komplett leer, keine Möbel, aber links von mir befindet sich eine offene Küche und wenn man geradeaus weitergeht, kommt man durch eine Schiebetür in einen kleinen Garten.

Ich drehe mich zu Tai um. „Tai, hast du etwas …?“

„Das Haus hier gekauft? Nein.“ Er lacht auf. „Aber ich habe es gemietet und meine alte Wohnung gekündigt. Wenn du möchtest, können wir nächste Woche hier einziehen.“

Ich schaue ihn an und bin ein wenig überwältigt. Er hat ein Haus gemietet? Für uns beide? Tai kommt auf mich zu, als er mein sprachloses Gesicht bemerkt, bleibt dicht vor mir stehen und greift nach meinen Händen.

„Ich weiß, es ist nicht ganz das, was du gewohnt bist.“

Schnell schüttle ich den Kopf. So was soll er nicht mal denken. Dass er mir nicht reichen könnte oder so einen Schwachsinn. Den Luxus habe ich längst hinter mir gelassen, der hat mir nichts als Ärger gebracht. Auch in einer großen Villa kann man nicht glücklich werden, wenn man nicht den richtigen Menschen an seiner Seite hat. Mich beschäftigt eine ganz andere Frage.

„Aber …“, stammle ich und mir ist ein wenig unbehaglich. „Können wir uns das leisten? Ich meine, du bist quasi arbeitslos.“

Nun lacht Tai wieder auf, als hätte ich gerade einen Scherz gemacht. Dabei meine ich das ganz ernst.

„Ich war arbeitslos. Das ist die zweite Überraschung. Ich habe mir eine vorübergehende Stelle bei der Zeitung gesucht, sie brauchten jemanden für ihren Social Media Content. Und da ich lange Zeit für die Kidos als Pressesprecher gearbeitet habe, habe ich gute Referenzen. Es ist nur ein kleiner Job und ich kann von Zuhause aus arbeiten, aber für den Anfang reicht es. Bis ich weiß, was ich mit meinem restlichen Leben anfangen will. Außerdem …“ Er sieht sich im Haus um. „Habe ich schon lange für meine Weltreise gespart, das habe ich dir bereits erzählt. Nur deswegen hatte ich zwei Jobs. Dieses Haus ist quasi nur für den Übergang, denn ich hoffe, dass ich bald wieder richtig fit bin und du mit mir zusammen diese Reise antrittst, Mimi. Ich könnte mir jedenfalls nichts Schöneres vorstellen.“

Ich schaue zu Tai auf und seine Augen funkeln. Sie leuchten förmlich bei dem Gedanken daran, was die Zukunft für uns bereit hält.

Tai ist einfach unglaublich. Ich finde es wundervoll, wie er mich jetzt schon in all seine Pläne mit einbezieht. Weil wir zusammen gehören und weil für ihn und für mich feststeht, dass wir uns nicht mehr voneinander trennen werden – nie wieder.

„Aber wenn wir bald auf Reisen gehen, hätte es doch auch genügt, so lange noch in deiner alten Wohnung zu bleiben, oder?“, lächle ich, doch Tai schüttelt den Kopf.

„Nein, ich halte es da nicht mehr aus“, offenbart er mir. „Dort erinnert mich alles daran, was passiert ist. Dort hat alles angefangen. Dort war ich mit Kaori heimlich zusammen. Dort haben wir unser Schicksal besiegelt, in der Nacht, als du zu mir kamst und geblieben bist. Dort habe ich all die Nachforschungen über Haruiko angestellt und zum Schluss wurde dort auch noch eingebrochen. Ich bin heute noch dankbar dafür, dass du zu der Zeit gerade nicht da warst.“

Ich nicke schwach. Zu viele Erinnerungen sind dort zu Hause. Vermutlich erdrücken sie Tai geradezu. Ich wusste nicht, dass er so empfindet, aber ich kann es verstehen.

Seine Hand berührt meine Wange. Er sieht mich liebevoll an. „Ich wollte einfach einen Neuanfang. Gemeinsam mit dir. Ist das für dich in Ordnung?“

Ich lächle ihn an. „Mehr als das.“ Ich gehe auf die Zehenspitzen und lege meine Lippen auf seine. Ich möchte diesen Neuanfang auch. Endlich alles hinter mir lassen und endlich nach vorne blicken – mit Tai an meiner Seite.

„Ich liebe dich, Mimi“, flüstert er atemlos, als wir uns wieder voneinander lösen. Seine Stirn ruht an meiner und seine Hand liegt immer noch in meinem Nacken.

„Du bist wirklich alles für mich. Ich kann mir ein Leben ohne dich einfach nicht mehr vorstellen.“

Ich seufze, wobei es schon fast wie ein Wimmern klingt. Dieser Mann bringt mein Herz zum Flattern und es fällt mir schwer, überhaupt noch klar zu denken, wenn er mir so nah ist.

„Wow, und ich dachte, ich könnte mich nicht noch mehr in dich verlieben.“

Aus Tais Kehle dringt ein leises Lachen. „Dann warte mal ab, bis du die obere Etage gesehen hast.“ Er lässt mich los und geht voran. Ich bin beeindruckt wie gut er mit seinen Krücken Treppen steigen kann. Im Obergeschoss befinden sich zwei Schlafräume und ein Badezimmer. „Ich dachte, wir nutzen ein Zimmer als Büro, ich werde ja erst mal von zu Hause aus arbeiten. Und wer weiß, vielleicht studiere ich später noch mal. Oh, habe ich erwähnt, dass Yolei und Ken hier ganz in der Nähe wohnen? Es sind nur fünf Minuten zu Fuß. Mach mal die Augen zu.“

Ich sehe ihn fragend an. „Wieso das?“

„Mach einfach.“

Ich rolle zwar mit den Augen, kurz bevor ich sie schließe, mache nun aber doch, was Tai sagt. Dann höre ich, wie ein Lichtschalter betätigt wird. Tai nimmt mich an die Hand und führt mich ein Stück weiter. „Nicht schummeln.“

„Mache ich nicht“, lache ich. Es ist wirklich süß, wie er sich aufführt.

„Okay, du kannst“, sagt er schließlich und ich öffne langsam meine Augen.

„Tai …“, hauche ich und muss es kurz auf mich wirken lassen. Wir stehen in einem der Schlafräume. Der Raum ist leer, bis auf ein Bett, dass direkt vor uns steht. Rote Bettwäsche, darauf weiße Rosenblätter verteilt. In der Ecke eine kleine Lampe, die warmes Licht spendet. Neben dem Bett ein kleiner Tisch mit einer Flasche Wein und zwei Gläsern. Mehr braucht es nicht, um mein Herz vor Aufregung höher schlagen zu lassen. Ich drehe mich zu Tai um.

„Du möchtest das Haus wohl gerne heute schon einweihen“, grinse ich.

„Na ja.“ Tai kratzt sich am Hinterkopf. „Es ist ein besonderer Tag, du hast Geburtstag.“

Ich trete an ihn ran und fummle an seinem Hemdkragen. „Das ist doch mal was anderes zur Abwechslung. Das letzte Mal war in einem Wald. Und das ist schon viel zu lange her.“

Tai lacht, legt eine Hand an meine Taille und zieht mich enger zu sich. „Ich erinnere mich.“

Ich spüre, wie sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen schleicht. „Ich finde es wunderschön, dich das sagen zu hören. Ich bin so froh, dass du dich wieder an alles erinnerst.“

„Ich habe dich nie vergessen, Prinzessin. Nicht wirklich. Du warst die ganze Zeit über hier.“ Tai legt eine Hand auf seine Brust, an die Stelle, wo sein Herz ist. Mein eigenes Herz weitet sich vor lauter Liebe für diesen Mann, der mein Leben so viel schöner, so viel bunter gemacht hat. „Lass uns heute Nacht hierbleiben“, sage ich und Tai grinst. „Ich hatte gehofft, dass du das sagst.“
 

2 Tage später
 

Ken hatte Glück. Tai und Yolei haben mit ihrer Vermutung direkt ins Schwarze getroffen – Shun Nagano, der Versicherungsvertreter (er arbeitet übrigens wirklich für eine Versicherung), hat sich jahrelang um die Belange der Familie gekümmert. Und um Haruikos persönliche Angelegenheiten. Er agiert bereits seit mehreren Jahren als Zwischenmann für Haruikos Geschäfte, so auch in Tais Fall. Kurz vor Tais Unfall überwies er eine größere Summe an Herrn Nagano. Dieser behielt genau 25% davon ein und überwies den Rest an einen gewissen Isao Akira – alias Hayato.

Herr Nagano ist ziemlich schnell eingeknickt, als Ken ihm einen Besuch abgestattet und ihn gebeten hat, mit aufs Revier zu kommen. Schon nach den ersten Fragen hat er alles zugegeben. Ein schwacher Charakter, mit wenig Rückgrat. Es war wohl unvorsichtig, ausgerechnet ihn für solche Transaktionen auszuwählen. Allerdings lassen sich solche Leute auch am besten bestechen.

Aus Angst vor einer Verurteilung hat er jedenfalls alles gestanden und so konnte auch Isao Akira ausfindig gemacht und verhaftet werden. Tai hat ihn schnell identifiziert und sich dann mit Kaito Minamoto in Verbindung gesetzt. Heute, am zweiten Prozesstag, waren beide Männer vorgeladen und mussten eine Aussage machen. Da Shun bereits alles gestanden hat, blieb Isao auch keine andere Möglichkeit mehr und er erzählte vor Gericht allen, dass Haruiko Kido ihn beauftragt hatte, Tai erst zu beschatten und dann den Anschlag am Filmset für ihn auszuführen – quasi ein Auftragsmord. Wäre er erfolgreich gewesen, wäre der alte Kido heute definitiv zum Tode verurteilt worden. Daher kann er sich mehr als glücklich schätzen, dass er nur 20 Jahre, ohne Bewährung, gekriegt hat. In Anbetracht der vielen Gräueltaten und Verbrechen, die er begangen hat, ein gerechtfertigtes Urteil.

Professor Dr. Kido wird ein alter Mann sein, wenn er das Gefängnis wieder verlässt. Ob er dann noch etwas Gutes aus seinem Leben macht, bleibt abzuwarten. Ich gönne ihm jeden einzelnen Tag hinter Gittern.

Frau Kido hat das Ganze sehr mitgenommen. Sie hat beide Male geweint, als ich sie im Gerichtssaal gesehen habe und auch jetzt, als wir alle den Saal verlassen und Haruiko in Handschellen abgeführt wird, kann sie nicht aufhören zu schluchzen. Sie hält sich ein Taschentuch an die Nase, während Joe einen Arm um sie gelegt hat. Haruiko wirft uns allen verächtliche Blicke zu, anstatt noch eine paar nette Worte an seine Frau zu richten, die die ganze Zeit über zu ihm gehalten hat. Ich würde ihr gerne noch mal persönlich danken, dass sie mich gerettet hat, aber sie verabschiedet sich viel zu schnell und ist dann auch schon verschwunden.

Tai, der meine Hand hält, sieht zu Joe rüber, der nun etwas verloren dasteht.

„Ich gehe kurz zu ihm“, sagt er und ich höre, dass er trotz allem mit seinem Freund mitleidet. Ich nicke. „Ist gut.“ Tai lässt meine Hand los, geht zu Joe und kurz danach sehe ich auch schon Misaki aus dem Gerichtssaal kommen, gefolgt von Ayaka und Nanami.

Als Nanami mich sieht, lächelt sie mich an. „Mimi, wie gut, dass du noch da bist.“ Sie fällt mir um den Hals. „Ich wollte dir noch danken. Für alles.“

„Ich, ähm …“ Meine Güte, sie erdrückt mich ja fast. „Ich bin so froh, dass alles gut ausgegangen ist“, sagt Nanami, als sie mich loslässt.

„Wie man’s nimmt“, zucke ich mit den Schultern und sehe dann zu Ayaka. „Tut mir leid, dass Sie nun nicht mehr mit Nanami nach Frankreich fliegen können.“

Ayaka ist mit einem relativ milden Urteil davon gekommen. Sie hat 3 Jahre und 6 Monate auf Bewährung bekommen, weil sie nicht vorbestraft ist, sich reumütig gezeigt und alles sofort gestanden hat und auch, weil Nanami für sie ausgesagt hat. Ihr Haus wird allerdings gepfändet und ihr gesamtes Vermögen, ihr Schweigegeld, dem Staat übergeben.

Ayaka schüttelt trotzdem den Kopf und lächelt mich an. „Das ist nicht weiter schlimm. Ich darf zwar Japan nicht verlassen, aber ich bin trotzdem froh, dass Nanami endlich das Leben führen kann, das sie verdient.“

Ich erwidere ihr Lächeln. Diese Frau hat ein großes Herz und sie liebt Nanami. Auch Misaki scheint keinen Groll gegen sie zu hegen, denn sie legt Ayaka beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Das wird schon. Wir halten ab jetzt alle zusammen und helfen Ihnen, wieder auf die Beine zu kommen.“

„Wo wirst du denn nun wohnen?“, frage ich Nanami. Ayaka und sie haben ihr Haus verloren und auch Misaki steht quasi immer noch vor dem Nichts.

„Mama sucht gerade eine Wohnung für uns zwei und wird bald wieder arbeiten gehen. Dann ziehe ich wieder zu ihr, bis ich mit dem Studium anfange“, sagt Nanami und wirft ihrer Ziehmutter einen Blick zu.

„Richtig, Kaori hat mich als Haushälterin angestellt und später dann auch als Kindermädchen, weil der liebe Joe so von mir geschwärmt hat. Nun komme ich wieder selbst für meinen Lebensunterhalt auf.“ Ayaka wirkt fast schon ein wenig stolz. Ich finde es schön, dass Kaori den beiden hilft.

„Und auch ich werde mir eine Arbeit suchen. Ich kann nicht ewig vor dem Leben davonlaufen. Aber ich möchte dich trotzdem gerne noch näher kennenlernen, Nanami. Wenn du das auch willst“, verkündet Misaki und schenkt ihrer Tochter ein aufrichtiges Lächeln. Nanami sieht ihre leibliche Mutter an und ich muss einfach immer wieder daran denken, wie viel die beiden nachzuholen haben. Haruiko hat ihnen so viele Jahre gestohlen, die beiden haben es mehr als verdient, sich endlich kennenzulernen. Auch wenn Nanami schon fast erwachsen ist.

„Ja, das möchte ich sehr gerne“, sagt sie dann und ich grinse zufrieden. Die drei werden das schon machen, da bin ich mir ganz sicher. „Ich gehe mal wieder zu Tai. Aber du kannst mich jederzeit anrufen, wenn irgendetwas ist, Nanami“, zwinkere ich dem Mädchen, welches ich selbst so ins Herz geschlossen habe, zu.

„Das mache ich. Danke, Mimi.“

Ich verabschiede mich und gehe rüber zu Tai, der immer noch bei Joe steht, der wiederum sehr geknickt aussieht.

„Hey“, sage ich. „Wie geht es dir?“

Er zuckt mit den Schultern. „So wie es einem eben geht, wenn man herausfindet, wer sein Vater wirklich ist und was er alles getan hat. Aber was soll’s. Ich werde früher oder später darüber hinweg kommen. Bei meiner Mutter bin ich mir da nicht so sicher.“ Joe macht einen gequälten Gesichtsausdruck und steckt die Hände in die Hosentaschen. „Die Villa muss sie nun verkaufen und alle Bediensteten entlassen. Ohne das Geld von meinem Vater kann sie sie nicht mehr bezahlen. Sie wird sich überlegen müssen, was sie mit ihrem restlichen Leben anfängt. Aber ich werde ihr, so gut es geht, unter die Arme greifen.“

Natürlich tut er das. Weil Joe eben nun mal so ist – ein guter Mensch, mit einem guten Herzen.

„Sie wird es schon schaffen“, erwidert Tai freundschaftlich. „Und du auch.“

„Ja“, meint Joe und dennoch formen seine Lippen sich zu einem traurigen Lächeln. „Es tut mir leid, was mein Vater dir antun wollte, Tai. Und dir auch, Mimi. Ich hätte wirklich nie gedacht, dass er so weit gehen würde.“

Schnell schüttle ich den Kopf. Er hat sich oft genug für seinen Vater entschuldigt. „Es ist erledigt, Joe, vergiss es einfach. Außerdem muss dein Vater uns beiden ziemlich viel Schmerzensgeld zahlen und jeder Yen, der an uns geht, wird ihm wehtun“, sage ich.

„Wo Sie gerade von Schmerzensgeld sprechen, Miss Tachikawa“, höre ich eine Stimme hinter mir, die eindeutig Kaito Minamoto gehört. Ich drehe mich um und sehe, wie er und seine Tochter gemeinsam aus dem Gerichtssaal kommen. „Sie sollten die Produktionsfirma verklagen. Das meine ich ernst.“ Er bleibt vor uns stehen und sieht Tai an.

„Ich?“

„Natürlich, wer denn sonst?“ Kaito zieht beide Augenbrauen in die Höhe. Wenn er so guckt, traut man sich gar nicht, ihm zu widersprechen. Ihn im Gerichtssaal als Staatsanwalt zu beobachten, wie er Haruiko fertiggemacht hat, war grandios. Aber auch beängstigend.

„Die Produktionsfirma hat total geschlampt. Sie haben einen Mann eingestellt, der ein Seil manipuliert hat und niemand am Set hat es bemerkt. Und ob Sie die verklagen können.“

Tai macht große Augen und ich sehe ihm an, dass ihm dieser Gedanke bisher noch nicht gekommen ist. „Danke, irgendwie haben Sie recht.“

„Ich habe immer Recht. Und würden Sie noch einen Rat von mir annehmen?“

Tai wäre lebensmüde, jetzt nein zu sagen.

„Selbstverständlich.“

„Denken Sie darüber nach Kriminologie oder Jura zu studieren. Wie Sie auf den Zwischenmann gekommen sind und all die Beweise gegen Haruiko zusammengetragen haben, war sehr professionell. So einen Kollegen könnten wir künftig gut gebrauchen.“ Kaito, der bisher keine Miene verzogen hat, deutet nun tatsächlich ein Lächeln an, während Kaori neben ihm stolz grinst. Ein Kompliment aus dem Munde ihres Vaters ist vermutlich eine Seltenheit und sollte geschätzt werden.

Tai nickt. „Danke, ich lasse es mir durch den Kopf gehen.“

Im selben Moment kommt Jim mit dem Anwalt seines Vaters aus dem Gerichtssaal. Sein Blick geht automatisch zu Kaori und auch sie sieht ihn an.

„Jim?“, sagt sie tonlos. „Können wir kurz reden?“

Jim wechselt noch einige Worte mit dem Anwalt und verabschiedet sich dann, bevor er zu uns rüber kommt. Eiskalt sieht er uns alle an. Ich schiele zu Joe rüber und bemerke, wie er leicht verkrampft. Die letzte Begegnung mit seinem Bruder war ein Desaster. Keine Ahnung, ob die beiden das je wieder hinkriegen. Jim ist einfach so anders als Joe und wird es wahrscheinlich auch immer sein.

„Was gibt’s? Ich habe es eilig“, meint Jim nur und zeigt nicht den Hauch einer Emotion. Typisch. Bloß keine Gefühle zulassen, das könnte ja wehtun.

Kaori setzt an, etwas zu sagen, doch Kaito fällt ihr ins Wort und verdreht nur die Augen. „Mach es kurz, Kaori. Ein Pflaster sollte man immer schnell abziehen.“

Ein triumphierendes Grinsen legt sich auf seine Lippen und er funkelt Jim wissend an. Ich sehe, wie Jim kurz schluckt und sich dann wieder Kaori zuwendet. „Also?“

„Vater, das Schreiben bitte“, sagt Kaori und hält die Hand auf. Kaito holt einen Umschlag aus seiner Aktentasche und überreicht ihn Kaori, die ihn wiederum Jim in die Hand drückt.

„Was soll das sein?“

„Nur eine Klage wegen Nötigung und die Forderung, unseren Ehevertrag mit sofortiger Wirkung aufzuheben. Eine Kopie davon wurde bereits an deinen Anwalt übermittelt.“

WUMMS! Als hätte eine Bombe eingeschlagen. Ich weiß gar nicht, ob ich laut Lachen oder applaudieren soll, am liebsten würde ich Kaori mit Pauken und Trompeten anfeuern.

Jim sieht sie nur komplett verdattert an. Als hätte man ihm gerade einen toten Fisch mitten zwischen die Augen geklatscht. „Ist das ein Scherz?“

„Keineswegs“, entgegnet Kaito, klemmt sich die Aktentasche unter den Arm und sieht so aus, als würde er gleich wieder in den Ring steigen, um die Ehre seiner Tochter zu verteidigen. Gespannt halte ich die Luft an. Kaito wird Jim zerquetschen wie eine Fliege. „Du hast lang genug über den Kopf meiner Tochter hinweg entschieden. Du und dein kranker Vater, ihr seid beide gleich. Versteh mich nicht falsch, auch ich achte gewisse Werte. Aber wenn du denkst, dass du meiner Tochter drohen kannst, ihr ihr Kind wegzunehmen, dann denke gleichzeitig auch daran, wer hinter ihr steht. Und wer hinter dir steht.“ Kaito neigt den Kopf zur Seite und wirft einen Blick hinter Jim. „Oh. Ich sehe da ja gar keinen.“

Jims Blick gleitet von Kaito zu Kaori, dann zu mir, zu Tai, zu seinem Bruder Joe und schließlich wieder zu Kaito. Seine Nasenflügel beben vor Zorn, aber er sagt keinen Ton.

„Du hättest keine Chance. Du bist nur ein kleiner Fisch, der in einem völlig leeren Teich schwimmt“, fügt Kaito noch mit einem diabolischen Grinsen im Gesicht hinzu. Ich glaube, er genießt das gerade ein wenig zu sehr.

„Unterschreib einfach die Vereinbarung, Jim. Dann müssen wir das nicht vor Gericht regeln“, sagt Kaori und wirkt überaus gefasst. „Danach können wir uns gerne auf Augenhöhe unterhalten, wie es mit unserem Kind weitergeht.“

Innerlich nicke ich anerkennend – ein überaus faires Angebot.

Das sieht Jim offenbar anders, denn er zerdrückt das Schreiben in seiner Hand und funkelt Kaori an. „Wir werden sehen“, ist alles, was er zwischen zusammengepressten Zähnen hervorbringt, bevor er sich umdreht und abhaut. Ich lege Kaori von hinten eine Hand auf die Schulter. „Wow, das war mutig von dir, Kaori.“

Kaori atmet erleichtert aus. Sie wirkte eben sehr stark, aber ich glaube, dass es sie doch einiges an Überwindung gekostet hat. Immerhin ist Jim noch ihr Ehemann.

„Du bist eine Minamoto, Kaori“, sagt ihr Vater hart, was wohl so was wie ein Lob sein soll. „Du bist mehr wert als das.“

Und da hat er vollkommen recht. Kaori nickt. „Manchmal können Menschen ein Geschenk sein und manchmal eine Lektion. Ich glaube, er war genau das, was ich brauchte, um zu begreifen, was ich wirklich verdiene.“

Ich schenke Kaori ein aufmunterndes Lächeln, welches sie erwidert. Bessere Worte hätte sie nicht finden können. Und irgendwie trifft es auf uns alle zu. Auch ich musste erst tief fallen, um zu verstehen, dass mein Leben mehr wert ist als das, was ich damit anfangen wollte. Wir alle verdienen mehr als das, was wir bisher bekommen haben.
 

Kaito verabschiedet sich von uns und nun stehen wir vier da, sehen uns an und sind unschlüssig, was wir noch sagen oder tun sollen. Irgendwie ist nun alles erledigt. Wir sind fertig hier. Unsere Geschichte ist fertig. Aber sind wir auch fertig miteinander?

„Also dann …“, sagt Tai.

„Also dann …“, sagt Joe.

Ich schaue Kaori an. „Rufst du mich an, wenn es etwas Neues gibt?“ Ehrlich gesagt freue ich mich, in Kaori so etwas wie eine Freundin gefunden zu haben und ich denke, ihr geht es ähnlich. Unsere Wege werden sich sicher nicht trennen.

„Klar, wir können uns auch gerne jederzeit wieder auf einen Kaffee treffen.“

„Oder auf einen großen Schokoladeneisbecher, wenn es dich mal wieder überkommt.“ Wir lachen beide herzhaft auf, aber die Jungs stehen immer noch total verkrampft da und tun so, als wäre der Dreck an ihren Schuhsohlen spannender.

Kaori stößt Joe mit dem Ellenbogen in die Seite. Und ich stoße Tai an, wenn auch etwas unsanft.

„Autsch! Was ist?“

Ich rolle mit den Augen in Joes Richtung. Mein Gott, Männer sind so was von schwer von Begriff. Kann er nicht noch irgendetwas Versöhnliches zum Abschied sagen? Irgendwas Nettes?

„Joe, ähm …“, beginnt Tai recht unbeholfen. „Mach’s gut.“

Ich blinzle irritiert. Mach’s gut? Echt jetzt?

„Ja, mach’s gut, Tai.“

Innerlich stöhne ich auf. Ist das alles? Mehr haben sie sich nicht zu sagen?

Tai tritt etwas unbehaglich von einem Bein aufs andere. „Hör zu, wenn du mal …“, stammelt er, doch Joe nickt nur.

„Ja … du auch.“

Tai lächelt. „Alles klar.“

Joe lächelt. „Alles klar.“

Was?

Verwirrt sehe ich Kaori an, die nur die Stirn runzelt und mit den Schultern zuckt.

Als wir das Gebäude verlassen und hinaus ins Freie treten, schaue ich zu Tai auf. „Sollte das eben so was wie eine Unterhaltung gewesen sein?“

„Wir sind Männer“, grinst Tai jedoch nur. „Das war eine äußerst tiefgründige Unterhaltung. Es ist alles gesagt.“

Ich ziehe eine Grimasse. „Na, wenn du das sagst.“ Vielleicht muss man das auch nicht verstehen, Hauptsache, die verstehen sich.

„Mimi, Tai.“ Ich höre Kari rufen und schaue nach vorne zum Parkplatz, wo sie bereits auf uns wartet, um uns abzuholen. Sie winkt uns zu, während T.K. neben ihr steht und lächelnd ihre Hand hält.

„Ich habe es schon gehört“, sagt sie, als wir bei ihnen angekommen sind. „Herzlichen Glückwunsch, dass ihr es endlich überstanden habt. Ich bin so froh.“ Sie wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel und sogleich zieht T.K. sie an sich, um ihr einen Kuss auf die Stirn zu drücken. „Hör auf zu weinen, es ist vorbei. Und alles ist gut.“

„Ja, das ist es“, sage ich und verschränke Tais Finger mit meinen. Wir lächeln uns an, selig, glücklich, erleichtert. Heute ist ein riesen Stein von unseren Herzen gefallen und endlich … endlich haben wir die Freiheit, die wir die ganze Zeit wollten.

„Du hast ja recht, ich höre schon auf. Also dann, seid ihr soweit?“, fragt Kari schließlich und reißt uns aus unseren Gedanken. „Mama wartet nicht gerne mit dem Essen.“
 

Nach dem Prozess sind wir noch alle bei Tais Eltern Zuhause eingeladen, Kari und T.K. und sogar Yolei und Ken sind gekommen, um mit uns zu feiern. Endlich lerne ich Tais Familie richtig kennen und auch, wenn es total unnötig ist, so stellt Tai mich seinen Eltern beim Hereinkommen noch mal offiziell als seine neue Freundin vor. Ich verbeuge mich höflich und bedanke mich für die Einladung. „Ach, lasst doch die Förmlichkeiten, wir sind doch nicht bei den Kidos“, lacht Yuuko und zieht mich in eine Umarmung. Tais Vater ebenso und dabei klopft er mir noch feste auf den Rücken.

„Mama, Papa! Lasst das, ihr erdrückt sie ja“, meint Tai und zieht mich von den beiden weg. Er findet es wohl etwas unangenehm, aber ich finde es herrlich. So liebevoll wurde ich schon lange nicht begrüßt. Wenigstens nörgelt hier keiner an meiner Kleidung.

Wir setzen uns alle zum Essen und als ich so in die Runde schaue, Ken und Yolei sehe, Kari und T.K., Tai und seine Eltern, hab ich das Gefühl, so etwas wie ein Zuhause gefunden zu haben. Ein Ort, an dem ich angekommen bin und wo ich sein kann, wie ich bin. Und das liegt nicht an der Stadt, an dem Land oder an dem Haus, was Tai für uns gemietet hat – nein, es liegt an den Menschen. Dank ihnen fühle ich mich wohl. Ich fühle mich willkommen. Ich fühle mich gewollt. Und vor allem fühle ich mich geliebt.
 

Nach dem Essen zeigt Tais Mutter mir noch alte Fotoalben von früher, was Tai äußerst peinlich ist, aber ich liebe es, in seine Kindheit einzutauchen. Ich könnte das stundenlang tun – mir Geschichten von ihm erzählen lassen und mir dabei alles ganz genau vorstellen. Mit jeder Stunde, die verstreicht, habe ich das Gefühl, Tai ein wenig besser kennenzulernen und einfach mehr über ihn zu erfahren. Ich nehme mir vor, bald wieder meine Familie zu besuchen und Tai mitzunehmen, damit er ebenfalls ein Stück mehr von mir kennenlernt.

Irgendwann gehe ich nach oben ins Badezimmer und als ich wieder rauskomme, fällt mir eine Tür ins Auge, an der in großen Buchstaben Tai steht. Ich zögere kurz, aber überwinde mich dann doch. Ich denke, es wäre okay für Tai, wenn ich einen Blick hineinwerfe. Es überrascht mich, dass ich tatsächlich ein Kinderzimmer vorfinde, als ich die Tür öffne. Tai ist ja schon längst ausgezogen, aber hier oben scheint die Zeit stillzustehen.

„Na, schnüffelst du?“, höre ich seine Stimme von hinten und zucke ertappt zusammen.

„Wollte gerade anfangen.“

Tai tritt lachend neben mich und sieht sich um. „Tu dir keinen Zwang an. Es ist nichts Spannendes hier oben.“

Wenn er wüsste. Für mich ist das wie ein Blick durch ein Fenster in eine andere Welt – in seine Welt.

„Warum haben deine Eltern nie etwas verändert?“

Tai zuckt nur mit den Schultern. „Weiß nicht, vielleicht hatten sie noch keine Zeit dafür oder wollen es so lassen, falls wir mal obdachlos werden und wieder Zuhause einziehen müssen.“

„Hmm, ja, könnte passieren. Du stehst auf Videospiele?“, frage ich interessiert nach und schlendere hinüber zum Schreibtisch, auf dessen Ende keine Bücher, sondern reihenweise Games gestapelt sind.

„Machst du Witze?“, lacht Tai erneut. „Ich habe meine Jugend mit nichts anderem verbracht.“ Nachdenklich legt er den Kopf schief. „Rückblickend betrachtet war das vielleicht auch der Grund, warum ich keine Freundin hatte.“

„Kann ich mir gar nicht vorstellen.“ Ich kichere, während ich weiter gehe und an einem Regal stehenbleibe. Fußballpokale von früheren Spielen, die längst eingestaubt sind, ein Maskottchen als Plüschtier und alte, gerahmte Fotos stehen darauf.

„Oh, wer ist das?“, frage ich überrascht.

Tai tritt hinter mich und sieht mir über die Schulter. „Das? Das ist Matt. Er ist einer meiner besten Freunde.“

Ja, den Namen habe ich schon mal gehört, aber bisher hatte ich noch kein Gesicht dazu. Das Foto zeigt den jungen Tai, als er ungefähr 15 Jahre alt war, in einer typisch japanischen Schuluniform, neben ihm ein blonder, schlanker Junge, der … „Moment mal. Warum sieht er aus wie …“

„T.K.?“ Tai schmunzelt. „Die beiden sind Brüder. Wenn er wieder in Japan ist, stelle ich euch vor.“

„Wieder?“, frage ich verwundert und drehe mich zu Tai um. „Wo ist er denn?“

„Keine Ahnung“, zuckt Tai mit den Schultern. „Er hält es nie lange irgendwo aus und ist immer unterwegs. Vor zwei Wochen war er noch in London, aber keine Ahnung, ob er immer noch da ist.“

„Ach so“, sage ich nur und schaue mir wieder die Fotos an. Auf einem davon ist Joe zu sehen, wie er gerade an einem Schultisch lernt und Tai, der neben ihm sitzt und eingeschlafen ist. Ich grinse und denke nur: typisch.

„Du hattest eine tolle Kindheit“, sage ich ein wenig gerührt, ein wenig neidisch und gehe zum Bett, was an der gegenüberliegenden Wand steht. Ich lasse mich darauf nieder und fahre mit der Hand über die weiche Decke. Tai kommt zu mir rüber, stellt seine Krücken ab und setzt sich neben mich. Er dreht sich zu mir und greift nach meiner Hand. Ich schaue sie an, unsere Hände, wie sie perfekt zueinander passen und wünsche mir im selben Augenblick, wir könnten für immer einander so festhalten.

„Ich habe ein schlechtes Gewissen“, gestehe ich ihm verlegen und schenke ihm ein kleines Lächeln. „Tut mir leid, dass ich anfangs dachte, du wärst der totale Arsch.“

Tai schüttelt lachend den Kopf.

„Nein, ehrlich, hätte ich gewusst, was für tolle Freunde und was für eine liebe Familie du hast, hätte ich dich von Anfang an mit anderen Augen gesehen. Jemand, der so aufgewachsen ist, kann gar kein schlechter Mensch sein.“

Tai schmunzelt immer noch über meine Worte und ich glaube, ihn das erste mal so richtig in Verlegenheit gebracht zu haben. „Da bin ich aber froh. Und hätte ich gewusst, was für eine starke Frau du bist, hätte ich dich auch nicht so behandelt. Wir sind also quitt.“

„So, findest du?“ Meine Mundwinkel verziehen sich zu einem Grinsen und meine Hand landet auf seiner Brust. Ich schubse ihn zurück aufs Bett, noch ehe er reagieren kann. Tai landet mit dem Kopf auf der Matratze und sieht mich überrascht an, als ich mich über ihn beuge.

„Ich finde, du musst da noch ein bisschen was wieder gut machen. Kannst du mir was versprechen?“

Tai hebt die Hand und fährt mir mit den Fingern durchs Haar, bis er an meinem Hinterkopf stoppt. Er lächelt mich an. „Ich verspreche dir alles, was du willst, Prinzessin.“

Meine Augenbrauen heben sich und ich sehe ihn skeptisch an. „Versprich aber nichts, was du nicht halten kannst.“

„Würde ich niemals tun.“

„Kannst du bitte ab jetzt immer bei mir bleiben?“ Ich spüre, wie mir die Hitze in die Wangen steigt und so, wie Tai mich betrachtet, mit diesem süßen Grinsen auf den Lippen, werde ich wohl gerade rot.

„Darum musst du mich nicht bitten“, sagt er leise und zieht mich näher zu sich. „Wir haben so viel durchgemacht und gemeinsam überstanden … wir sind endlich zusammen und ich würde dieses Glück für nichts auf der Welt wieder eintauschen. Danke, dass du mir gezeigt hast, dass es sich lohnt für die Liebe zu kämpfen, Mimi.“

Mein Herz macht einen Satz, denn ich könnte mir gerade nichts schöneres vorstellen, als genau diese Worte von ihm zu hören. „Ich liebe dich, Taichi. So, so sehr.“ Ja, das tue ich. Wenn ich ihn ansehe, bin ich genau da, wo ich sein will.

Ich beuge mich zu ihm und wir besiegeln unsere Geschichte mit einem Kuss. Eine Geschichte, die uns gezeigt hat, dass man durch die Hölle gehen kann und am Ende des Tunnels immer noch ein Licht scheint. Dass man einen Menschen finden kann, mit dem man alles teilt – das Gute und auch das Schlechte. Der in deine Seele blicken kann und du in seine. Für den du alles riskieren würdest, immer wieder, weil du weißt, dass es das wert ist.
 

Ja, ich bin endlich angekommen – genau da, wo ich sein will.

Genau hier gehöre ich hin.

Zu ihm.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wir hoffen, ihr liebt das Ende.

Es wird natürlich noch ein Epilog geben.

Wir freuen uns auf eure Meinungen und Anregungen.

Was meint ihr, sollen wir mal wieder zusammen schreiben? ;) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Tasha88
2024-04-21T13:22:07+00:00 21.04.2024 15:22
Wie, das war es`????
Mädels, es war sooo toll. ich habs euch beiden schon gesagt - ich finde die geschichte toll - und dass es ein thriller wurde, das habe ich sehr gefeiert :D
danke für das tolle ende auch noch :D
kurz dachte ich, oha, das wird nichts, ihr lasst haruiko noch gewinnen (dann hätten wir uns noch mal genauer unterhalten) - aber es wurde *-*

habt ihr richtig gut gemacht ^^
und joa, meinetwegen, schreibt halt mal wieder was zusammen XD
ich meine, wenn dabei so etwas rauskommt?=
ich bin dafür :D

und für euch: dann kommt mal nach hier XD
Antwort von:  Ukiyo1
02.05.2024 22:29
:***

Die letzten Kapitel zu schreiben war auch wirklich ganz besonders. Irgendwie wollten wir es nicht enden lassen, aber es war auch an der Zeit und auch wir müssen loslassen :)

Schön, dass du soviel Freude an unserer Geschichte hattest :) und danke fürs fleißige kommentieren :*
Von:  Hallostern2014
2024-04-20T22:21:32+00:00 21.04.2024 00:21
😭😭😭😭😭😭 Ich bin auch so traurig das es schon das Letzte Kapitel ist, ihr habt das so was mega tolles gezaubert mit so viel Emotionen, danke für die wunderschöne Geschichte 💕

O Gott, ich Kann Tais Wut verstehen. Der Teufel lässt MImi da als Lügnerin vor dem Richter stehen, ich hoffe diese Lüge fliegt auch noch auf, der darf damit nicht durch kommen. Das Mimi darüber aufgelöst war kann ich verstehen, schade das da Frau Kido wieder zu ihrem Mann gehalten hat. Sie kennt die Wahrheit und hätte Mimi bei stehen können. Aber jeder wird die Strafe für seine Taten bekommen da bin ich mir sicher. Und das alles passiert an ihrem geburtstag na super, aber MImi hat recht es ist noch nicht zu Ende, ich hoffe auch das es keiner den Teufel geglaubt hat. Und jetzt sollten beide wirklich abschalten und den Geburtstag von seiner Prinzessin feiern. Mich freut es auch das Tai endlich wieder nach Hause durfte und beide die Zweisamkeit endlich genießen können. Auch so schön das Mimi von allen so gut aufgenommen wurde. Hehe aber wie T.K mimi etwas aufzieht, ich fand es auch lustig. Ken ist auch einfach genial und lässt sich auch nicht so schnell von etwas abbringen. Und vielleicht finden sie ja auch was, auch wenn es nicht unbedingt auf MImis Geburtstag sein hätte müssen. Aber so wie Ken gerade isr, wäre es wohl Ratsam doch zu suchen um etwas zu finden damit der Teufel für alles bestraft werden kann. Es ist so schrecklich das keiner außer Frau Kido noch für MImi aussagen kann. Also, nur 2 Tage haben die Zeit, deswegen ist er so in Eile. Schön das auch alle anderen mit helfen. Ich hoffe die finden was. Wow wenn das stimmt was sie heraus gefunden, dann wäre der Teufel entgültig dran. Ich hoffe es zumindest zu sehr für MImi und für Tai.

Hehe, Mimi ist auch echt ungeduldig, aber ich kann sie verstehen der Tag war auch recht hart und lang dann ist da ein tai der so Geheimnisvoll ist. 🤣 Wow, da hat Tai Mimi echt überrascht er hat für sie beide ein Haus gemietet. Und noch eine Überraschung er hat erstmal wieder einen Job aber ich glaube er wird da nicht so lange bleiben, er findet bestimmt irgendwann was besseres aber zum überleben reicht es. Mimi und Tai auf Weltreise, ach ich wäre sehr gerne dabei. Ich kann Tai verstehen das er nicht mehr in seiner alten Wohnung leben kann. Und wenn schon mit Mimi einen Neuanfang dann auch gleich alles neu. Na, wenn nicht später das Büro noch zum Kinderzimmer wird. Ich glaube das beide nach ihrer Weltreise zurück zum Haus gehen werden. Und wer weiß vielleicht kaufen sie es ja auch. Das Tai evtl wieder Studieren möchte finde ich klasse ich bin gespannt ihn welche Richtung es gehen wird. Und das Yolei und Ken so dicht dran wohnen ist auch gut so haben sie jemand in der nähe die sie Besuchen können. Tai Beweis mal wieder was für ein Romantiker er doch ist. Beide haben auch vieles Nachzuholen. Toll das Tai MImi nochmal sagt das sein Herz sie nie vergessen hat.

wie toll sie haben den Typen, der einzige Hinweis war der richtige. Und der Zwischenmann hat schwache nerven das ist sehr gut. der Auftragsmörder wurde fest genommen und beide sagen gegen den Teufel aus, besser hätte alles nicht werden können. 20 Jahre sind zwar viel aber für mich hätte er für immer weg bleiben können. Ich weiß nicht ob ich Mitleid mit Joes Mutter haben sollte, sie sollte froh sein das ihr Mann weg ist. Vielleicht merkt sie dann was sie im ihrem Leben alles verpasst hat. aber ich finde es toll das Tai auf Joe zu geht. Denn er konnte am weningsten für alles.

ich bin froh das Ayaka bei Nanami bleiben kann. Und mit Kaoris und Misakis Hilfe werden die 4 alles schaffen, alle 4 sind jetzt eine Familie. Das Kaori Ayaka als Kindermädchen angestellt hat zeigt doch auch schon alles.

Joe tut mir so leid, er musste so viel über sein Vater erfahren. Er ist auch ein Opfer von seinem Vater deswegen sollte er sich nicht immer für die Taten seines Vaters entschuldigen. Er soll auch endlich nach vorne Gucken und das sein Vater an Tai und Mimi Schmerzensgeld zahlen muss ist wirklich auch die zusätzliche gerechte Strafe. Kaoris Vater hat recht Tai sollte zusätzlich noch seinen alten Arbeitsgeber anzeigen und verklagen. Na, ob das ein Jobangebot von Kaoris Vater sit wenn Tai wirklich in der Richtung Studieren tut. Aber ich kann mir Tai da gut vorstellen. Er wollte doch eh Polizist werden also warum nicht gleich Kriminologe.

Was Jim angeht, er wird sie nie ändern dafür hatte ihn sein Vater zu sehr im Griff. Um so mehr freue ich mich das Kaori nun zurück schlägt und ich musste mir das Lachen verkeifen, Kaori ist so stark geworden. Tja und mit dem Ex schwiegervater sollte er sich auch nicht besser anlegen er hat gezeigt das sein Vater auch gegen ihn verloren hat. Kaoris Vater hat auch mir gezeigt wie wichtig in seine Tochter und sein Enkelin für ihn ist. Er wird immer zu den beiden stehen egal was passiert.

🤣🤣 Naja Männer halt, beide sind lange Befreundet und wissen daher was der andere meint.

So und nun lernt Mimi endlich Tai Eltern richtig kennen. Ich bin gespannt was Mimi so alles erfahren wird. Ich liebe Tais Eltern die sind so herzlich und haben überhaupt kein Problem jemanden zu Umarmen. So sollte es auch sein man sollte sich gleich willkommen fühlen. Und bei MImi wird es für Tai auch so sein. Er wird da auch von ihnen Herzlich in der Familie aufgenommen. ich an Mimis stelle hätte auch geschnüffelt. Sowas zieht halt jemand magisch an vor allem wenn man wissen möchte wie die Person die man liebt früher gelebt hat. Ich glaube auch nicht das Tai keine Zeit für eine Freundin hatte, wer könnte Tai den wiederstehen den möchte ich sehen 🤣.Und jetzt erfährt sie wer Matt ist, na was für eine Überraschung für ihr. Hehe wenn beide vorher von einander gewusst hätten wie toll beide wären, dann hätten beide sie nie so schön gestritten.

was für ein schönes Versprechen und auch ein schönes Geständnis von Tai. mir kamen zum Schluss hin echt weinen weil es so schön war. Und ja ich liebe Das Ende und die ganze Geschichte von euch. Und ja bitte schreibt wieder was zusammen 😍

Ich bin gespannt was im Epilog kommt. auch wenn es dann das Entgültige Ende für diese Geschichte bedeutet, freue ich mich sehr darauf

💕


Antwort von:  Ukiyo1
21.04.2024 14:41
Gerne!!! 🥹😍 es war uns eine Freude! Wir sind selbst ganz überwältigt, wie schön diese Geschichte geworden ist. Sie ging uns auch wirklich leicht von der Hand und hat uns so viel Spaß gemacht.

Frau Kido kann nicht aus ihrer Haut. Sie hat zwar Mimi gerettet, aber ihr Mann ist ihr Mann. Sie hält weiterhin zu ihm. Sie kennt es nicht anders. Und natürlich versucht der Arsch alles, um sich irgendwie rauszureden. Er würde ja niemals einen Fehler zugeben. Schrecklicher Typ! Aber Ken ist an ihm dran und alle helfen ihm, das ist so schön :) dieser Zusammenhalt von allen.

Jaaaa, toll von Tai oder :) das hat er tatsächlich ganz allein gemacht xD ich hab nur geschrieben, was er wollte :D manchmal machen die Figuren eben, was sie wollen und Tai wollte ein Haus für Mimi haben. Und ich so: ok, du kriegst dein Haus xD
Sehr romantisch auf jeden Fall ^^ jetzt haben sie ihren Neuanfang und wer weiß, vllt kaufen sie dieses Haus später ja auch wirklich.

Endlich haben sie ihn gefunden. Und das brachte Haruiko 20 Jahre ein. Mehr ging irgendwie nicht, obwohl es in Japan noch die Todesstrafe gibt, aber nur, wenn man selbst jemanden umgebracht hat. Egal, die 20 Jahre werden ihn zerstören, danach hat er eh kein Leben mehr.

Stimmt. Die Frauen halten zusammen und unterstützen sich alle gegenseitig :) das ist doch toll!

Richtig, das wäre ein guter Job für Tai :D er lässt es sich sicher durch den Kopf gehen. Es würde zu ihm passen. Und Joe kann einem wirklich leid tun, das stimmt, aber auch er wird es irgendwann verarbeiten. Er kann jetzt einen Schlussstrich ziehen. Und das Schmerzensgeld macht gar nichts wieder gut, aber ist das Mindeste.

Stimmt, Kaori ist sehr stark geworden und mit Kaito an ihrer Seite kann Jim ihr gar nichts. Er wäre ja verrückt sich mit ihm anzulegen.

Richtig xD mehr Worte sind nicht nötig :D

Mimi fühlt sich super wohl in Tais Familie, aber wer würde das nicht :) es ist eben etwas ganz anderes als bei den Kidos.

Und jeder würde wohl gerne mal in der Kindheit des anderen schnüffeln xD Tai ist wirklich toll aufgewachsen und ich finde auch, Mimi muss sich für nichts entschuldigen und Tai auch nicht. Es sollte alles so sein und nun haben sich beide ja doch bekommen :)

Aww, danke! Wenn es euch berührt, ist das für uns das größte Kompliment <3
Wir haben jedes Kapitel geliebt, aber das Ende lieben wir am meisten. Es ist uns auch sehr nahe gegangen, dass es einfach schon vorbei ist. 60 Kapitel und doch ging es so schnell :>

Der Epilog ist das endgültige Ende :) aber es wird ein schönes Ende. Wir hoffen, es gefällt dir, aber da bin ich mir fast sicher.

❤️


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