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Remember the promise you made

San Francisco Love Stories
von

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Bye, bye, San Francisco (Part 1 of 2) a.k.a. The Big Bang

„Wir brauchen dringend noch einen Koch, die Wartezeiten für die Gerichte für die Gäste sind zu lang. Und zwei oder drei Kellner, die Schichten sind unterbesetzt.“

Dan Murphy schaute auf seinen Zettel. „Und die Lieferung mit Gemüse ist mal wieder zu spät, wir sollten den Händler wechseln. Diese Typen denken, sie seien der Mittelpunkt der Welt, dabei ist ihr Grünzeug gerade mal mittelprächtig.“

„Warum bestellen wir dann da?“

„Weil du mir die Unterschrift geben musst, damit wir den Anbieter wechseln können.“, grinste Dan. „Ich entscheide doch nicht über deinen Kopf hinweg.“

„Sehr rücksichtsvoll von dir.“ Chris lächelte und nickte dann, „Sag denen, dass sie mit uns nicht mehr rechnen müssen, wir suchen uns einen neuen Händler.“

„Ich hätte da schon was.“

„Du bist ein Engel!“, zwinkerte der Blonde.

„Störe ich?“ Jason lehnte sich über die Theke der kleinen Bar und musterte Dan kritisch.

Chris’ Gesicht hellte sich sichtbar auf. „Hi, Schatz.“

„Hi.“ Jason beugte sich weiter vor, um Chris einen Kuss zu geben.

„Ich kümmere mich mal eben um die Lieferung... äh... Steaks.“ Das war eine klare Ausrede, aber es war unverkennbar warum. Dan wollte seinem Chef etwas Privatsphäre gönnen. Er nickte kurz und verschwand Richtung Küche.

„Bin ich da eben in was reingeplatzt?“

„Wovon sprichst du?“

„Von dem.“ Jason sah Dan hinterher, der schon nicht mehr im Blickfeld war. „Wer war das?“

„Du solltest mir ab und an besser zuhören. Das ist Dan, meine rechte Hand, könnte man sagen. Ich habe nie studiert, ich habe nie gelernt, was man als Geschäftsführer eines Restaurants machen muss. Dafür ist Dan da.“

„Aha... groß, gut aussehend, männlich...“

„Hetero, verheiratet, zwei Kinder...“

Jason stutzte. „Ich hab den Faden verloren.“

„Gut so!“, kicherte Chris und schob ihm eine Cola hin.

„Bist du jetzt auch noch Barkeeper?“

“Steve hat noch keine Schicht, die Bar ist schließlich morgens nicht geöffnet.“

Sein Freund nippte an der Cola. „Du strahlst, weißt du das?“

„Danke.“

Über vier Monate waren vergangen, seit Chris das „San Francisco Dinner House“ gekauft hatte. Und in diesen Monaten hatte sich vieles getan.

Aus dem „San Francisco Dinner House“ wurde „The Happy End“. Chris hatte lange über den Namen gegrübelt und schließlich diesen gewählt. Zum einen, weil das Restaurant das glückliche Ende der Krisen sein sollte und außerdem lag es am Ende der Straße, in der es sich befand.

Die Einrichtung war komplett rausgeflogen.

Wo früher dicke Teppiche und wuchtiges Mobiliar das Bild bestimmten, herrschte nun eine freundliche und leichte Atmosphäre.

Das Restaurant war in warmen Erdtönen gehalten, die unbehaglichen Stühle waren durch bequeme weiße Sessel ersetzt worden, in denen es sich herrlich ausspannen und genießen ließ. Chris’ Laden hatte sich schnell einen Ruf verschafft, sowohl als Restaurant, als auch als Café, die Klientel war jünger geworden, hipper... und homosexueller. Dennoch hatte sich Chris dagegen entschieden, ein reines Schwulen-Restaurant aus dem Geschäft zu machen.

Im „Happy End“ waren alle willkommen, egal welche sexuelle Orientierung.

Auch Chris’ anderes Projekt entwickelte sich prächtig. Das „Lighthouse“ war zu einer Anlaufstelle für Straßenjungen geworden, für Stricher und für Drogensüchtige, genau wie Chris es geplant hatte.

Die Einrichtung hatte sogar eine staatliche Förderung erhalten. Nicolai ging in seiner Arbeit dort regelrecht auf, auch wenn er nur einer von vielen Beratern und Helfern dort war.

„Ich bin froh, dass du das getan hast. Ich habe weniger von dir, aber dieses Restaurant scheint eine magische Medizin für dich gewesen zu sein... aber dennoch...“

Chris legte den Kopf schräg. „Hm?“

„Doktor Goldstein hat angerufen. Sie sagt, du hast schon zum dritten Mal einen Termin abgesagt und sie macht sich Gedanken.“

„Jason...“, seufzte Chris theatralisch, „Bitte.“

„Ich will dir doch nichts böses, aber die Arbeit allein kann nicht die Lösung sein.“

„Hör mal, wo liegt das Problem? Ich meine, wir haben sogar wieder Sex und zwar oft und...“ Er drehte den Kopf der jungen Kellnerin zu, die interessiert neben der Bar stand. „Hallo-ho, Shannon, Privatsphäre?“

„Oh, äh...“ Sie hatte offenbar eben ein Bild vor sich und es beinhaltete definitiv Jason und wenig Textilien.

„Ach, vergiss es.“ Chris kam hinter der Bar hervor, packte Jason an der Hand und zog ihn mit sich. Sein brünetter Freund ließ es geschehen, zwinkerte aber der Kellnerin schelmisch zu.

Chris hatte ein kleines Büro im Hinterzimmer des Restaurants, dorthin verfrachtete er Jason nun.

„Und?“

„Und was?“

„Jason...“, knurrte Chris.

„Du kennst meinen Standpunkt. Das Lokal ist super, alles läuft bestens und ich genieße es, zu sehen, wie du dich endlich wieder findest. Aber ich habe Angst, dass das alles umsonst ist, etwas schief geht, wenn du nicht weiter zu der Goldstein gehst.“

Chris kaute auf der Lippe, dann jedoch zuckte er mit den Schultern. „Okay, okay... lass den Hundeblick! Ich mache einen neuen Termin und ich gehe hin. Ich verspreche es.“

„Danke.“ Jason küsste ihn, lächelte ihn dann an. „Ich geh dann.“

„Wohin?“

„Mittagspause mit David.“

„Und das nicht bei mir? Ich bin beleidigt.“ Er zog eine Schnute.

„Engelchen, Davids Kanzlei liegt ziemlich weit weg von hier. Er kann nicht mal eben hierher kommen.“

„Schon gut, schon gut. Ich bin still.“ Er beugte sich noch einmal vor und küsste Jason erneut. „Ich muss heute vielleicht länger arbeiten. Magst du vielleicht heute Abend vorbei kommen und wir essen hier?“

„Klar.“ Jason lächelte, schob Chris dann sanft von sich und ging zur Tür.

„Schatz?“

Der ehemalige Polizist drehte sich um.

„Alles okay?“

Jason zog die Augenbrauen kraus. „Klar, warum fragst du?“

„Nur so.“

„Na dann. Ich liebe dich.“

„Ich dich auch.“ Damit verließ der Brünette das Zimmer. Chris war nicht ganz überzeugt, aber er hatte keine Zeit, lange darüber zu grübeln. Dan kam ins Büro und schon war er wieder eingespannt.
 

„Ich bin schon wieder vollkommen im alten Trott.“ David lehnte sich in seinem Stuhl zurück, legte den Kopf in den Nacken und achtete darauf, dass die langen Käsefäden seiner Pizza nicht auf seinen Anzug tropften.

„Arbeit, Arbeit, nicht als Arbeit. Na ja, und Jeremy natürlich.“

„Schlagt ihr euch schon die Köpfe ein?“

„Na ja, ein fliegender Teller hier und da, das ist doch ganz normal. Letztens wollte er mir eine Bratpfanne über den Kopf donnern.“ David grinste. „Nein, es läuft bestens. Wirklich gut. Ich hätte das nie erwartet.“

„Er hat dich gezähmt, Vanderveer, du hast dir Zügel anlegen lassen!“, kicherte Jason.

„Sunshine, wenn, dann lege ich die Zügel an, nicht er.“ Er ließ die Augenbrauen hüpfen.

„Wenn du das sagst.“

„Und du?“ David trank einen Schluck Cola. „Wir haben in letzter Zeit viel zu wenig Zeit für uns.“

„Ich weiß, wir kommen viel zu kurz, Liebster.“

„Ich meine das ernst, Jason, ich bin überhaupt nicht im Bild. Wie läuft das Happy End?“

„Okay, ernst.“ Jason knabberte an einem Stück seines Pizzarands herum. „Das Restaurant läuft bestens, Chris geht voll darin auf, er ist wirklich glücklich.“

„Und du?“

„Was meinst du? Ich auch. Ich freue mich für ihn.“

David schüttelte den Kopf. „Nein, das war nicht der Sinn der Frage. Wie geht es dir? Bist du glücklich? Du scheinst eine kleine Regenwolke mit dir herum zu schleppen.“

Jason lächelte leicht. „Du hast es immer noch drauf, David, du durchschaust mich sofort.“

“Das ist eine Gabe, Sunshine.“

„Offenbar.“ Der Brünette streckte ihm die Zunge raus. „Eigentlich geht es mir gut. Es ist herrlich, Chris aufblühen zu sehen und ich habe wirklich das Gefühl, dass es diesmal endlich richtig sein kann. Es geht ihm besser denn je. Aber...“

„Aber...?“ David beugte sich vor.

„Mir fällt die Decke auf den Kopf. Nicolai ist ausgezogen, Gary hat sein Zimmer im Studentenheim bezogen, Chris wohnt im Moment ziemlich viel in seinem Restaurant und ich... ich sitze im Haus, kraule Batman und tue nichts. Weißt du, wieviel Zeit ich in Jogging und Workout investiere? So ein Sixpack wie jetzt hatte ich noch nie.“

„Heiß.“ David leckte sich über die Lippen.

„Trotzdem! Ich bin zum Hausmann mutiert. Ich kümmere mich um die Wohnung, gehe mit dem Hund raus, trainiere und ...“

„Legst Chris flach. Wow, kann man dich mieten?“

„David!“

„Schon gut!“ Der Blonde hob abwehrend die Hände. „Und wie wäre es, mal mit Chris darüber zu reden?“

„Nein.“ Jason schüttelte den Kopf, mit einem leicht traurigen Gesichtsausdruck. „Er würde Schuldgefühle kriegen und das will ich absolut nicht. Auf keinen Fall. Ich werde mir etwas einfallen lassen müssen. Wir brauchen mein Einkommen nicht mehr, wir werden nie wieder ein Einkommen brauchen... wir sind stinkreich... nein, er ist stinkreich.“

„Bist du etwa eifersüchtig?“

„Ach was!“ Jason biss von einem weiteren Stück Pizza ab. „Ich habe nur das Gefühl, dass mir etwas fehlt, verstehst du? Es ist die Rolle des Beschützers, glaube ich. Chris braucht mich nicht mehr.“

„Das ist doch Unsinn.“ David faltete die Hände. „Er braucht dich natürlich. Er liebt dich und deswegen braucht er dich. Ihr braucht euch gegenseitig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du so ein Mann bist. Einer, der sich vom Erfolg seines Partners einschüchtern lässt, meint, unzulänglich zu sein.“

„Das bin ich auch nicht. Nein... das bin ich nicht. Ich weiß selbst nicht, warum ich so unruhig geworden bin. Ich habe zuviel Zeit... aber ich denke, wenn das Restaurant rund läuft, habe ich auch wieder mehr von Chris.“

„Richtig. Hey, denk positiv, Sunshine. Ihr habt soviel durchgemacht, wieso sollte euch so etwas stoppen?“

„Du findest immer noch die richtigen Worte. Wenn wir so zusammen sitzen, habe ich manchmal das Gefühl, als sei überhaupt nichts passiert. Kein Dave, kein Schuss, keine lebensgefährliche Operation. Alles wie damals.“

David nickte lächelnd. „Nur besser. Wir haben beide einen Partner an der Seite!“ Er war mit seiner Pizza fertig und wühlte kurz in seiner Aktentasche. Zum Vorschein kam ein orangefarbenes Röhrchen mit Tabletten. Der Anwalt schüttete sich vorsichtig eine in die Hand und spülte sie dann mit dem letzten großen Schluck Cola herunter. Als er den Blick von Jason bemerkte, zuckte er mit den Schultern.

„Der Rücken will noch nicht wie ich. Das lange Sitzen am Schreibtisch...“

„Ach so.“ Jason ließ es dabei bewenden. „Ich werde mich dann mal verabschieden.“

„Hast du noch was vor?“

„Ich will jemanden besuchen.“, lächelte Jason.
 

Die Sonne schien an diesem Tag vom blauen Himmel herab, es war ein herrlicher Tag im Sommer.

San Francisco war wie immer zu dieser Jahreszeit überlaufen mit Touristen, die Straßen, Geschäfte und Museen quollen über, die Wartezeiten in den Restaurants und Cafés stiegen ins astronomische.

Doch hier war alles ruhig, egal zu welcher Jahreszeit.

„Hi, mein Freund.“ Jason ging in die Hocke und legte einen kleinen Blumenstrauß auf Randys Grab.

„Lange nicht mehr gesehen, hm?“ Er stand wieder auf, der leichte Wind bewegte seine Haare. „Ich hab ein schlechtes Gewissen, weil ich so lange nicht mehr hier war, aber es ist eine Menge passiert, weißt du? Du müsstest mich mal sehen. Ich bin Hausmann, Randy.“

Der Wind wurde kurz stärker und Jason fing an zu lachen.

„Hey! Lachst du mich aus?! Du würdest heute auf deine Kosten kommen. Schwul und mit einer Schürze um bei der Hausarbeit, du würdest dich wirklich über mich amüsieren. Aber ich bin eigentlich wirklich glücklich damit. Ich habe Chris, ich habe gute Freunde... aber manchmal ist es wirklich bedrückend, zu wissen, dass ich das mit dir teilen könnte.“ Er seufzte. „Ich habe vorhin auch Jim besucht. Ich hoffe, du passt auf ihn auf, hm? Der Kleine hat sich immer in Schwierigkeiten gebracht.“

„Jason?“ Im ersten Moment zuckte der Angesprochene zusammen, er hatte wirklich gedacht, Randy habe ihm auf einmal geantwortet.

Doch es war nur Colin, der ein Stück entfernt stand. Er hielt ebenfalls einen Blumenstrauß in den Händen, kam offenbar direkt aus der Uni, wie seine Tasche zeigte. Die Verletzungen waren gut verheilt, nur hatte er jetzt eine Narbe in der Augenbraue, die nicht mehr verschwinden würde.

„Oh, hallo, Colin. Was machst du hier?“

Der Junge hob den Strauß. „Besuch bei Brandon. Ich war schon lange nicht mehr hier.“

„Wie geht es dir?“

„Eigentlich ganz gut.“

„Das freut mich.“ Jason lächelte. Vielleicht kam es ihm nur so vor, aber das Gespräch wirkte gestelzt.

„Kann ich mal mit dir reden?“, platzte es aus dem Jungen heraus. „Ich hab da ein Problem...“

Jason hatte nichts dagegen. Er ging mit Colin zu einer Bank und ließ sich dort nieder. Der Junge legte den Blumenstrauß neben sich hin. Ein paar Blütenblätter wurden vom Wind davon getragen.

„Dann mal raus damit.“

„Na ja...“, druckste Colin herum. „Ich... du weißt doch, dass ich damals verprügelt worden bin, oder?“

„Natürlich.“

„Und du weißt auch von dem Backstein in der Videothek?“

Jason nickte.

„Na ja... ich kriege in letzter Zeit Briefe... erst waren es nur Sachen wie „Du widerliche Schwuchtel“ oder so, aber mittlerweile...“ Er nestelte an seiner Tasche und zog einen Haufen Zettel hervor. „Hier...“

Jason nahm die Briefe entgegen und musterte sie. Sein Blick verdüsterte sich. Mit jedem Brief etwas mehr. „Colin...“

„Sollte man das ernst nehmen?“

„Das sind Morddrohungen...“

„Ich weiß, aber von so etwas hört man doch immer wieder, oder?“

„Bei Stars, Colin, aber das hier...“ Jason schüttelte den Kopf. „Ich bringe dich um, du ekelhaftes Homoschwein! Du wirst krepieren, du Schwanzlutscher! Colin, das solltest du wirklich ernst nehmen. Du solltest die Typen von damals bei der Polizei melden.“

„Das ist es ja.“ Colin packte die Briefe wieder weg. „Die sind alle nicht mehr in San Francisco. Sie sind samt und sonders auf Colleges im ganzen Land gewechselt.“

„Das bedeutet, dass das jemand anders ist. Du solltest trotzdem zur Polizei gehen.“

„Da war ich schon, die halten das für einen dummen Jungen Streich...“

„Glänzend... wirklich glänzend. Und für den Verein habe ich mal gearbeitet.“

„Was soll ich denn jetzt tun?“, fragte Colin entmutigt.

“Erst einmal gar nichts. Du passt auf dich auf und redest auch mit deinen Eltern. Ich schaue, was sich machen lässt.“

„Okay...“

„Keine Angst, dir wird nichts passieren. Dafür sorgen wir.“ Jason gab dem Bedürfnis nach, Colin in den Arm zu nehmen und einmal zu drücken. Wohl fühlte er sich dabei jedoch nicht. Warum hörten die Probleme denn nie auf? Nach allem was Chris mit Dave passiert war, würde er einen Teufel tun und die Sorgen von Marcus Freund auf die leichte Schulter nehmen.
 

„Und Sie wollen mir wirklich klar machen, dass Sie in Ihr Haus kamen, Ihre Frau und Ihren Liebhaber ermordet im Bett vorfanden, erst eine Stunde später die Polizei riefen und sich nicht erinnern können, was Sie in der Zeit gemacht haben?“, fragte Walt Rogers den Mann auf der Anklagebank und sein Gesicht zeigte deutlich, was er dachte. „Ich finde das wirklich amüsant. Kann es passender sein?“

„Einspruch!“, rief David dazwischen.

„Stattgegeben. Die Geschworenen werden die letzte Bemerkung ignorieren.“, stimmte der Richter zu.

„Keine weiteren Fragen.“ Rogers zog sich zurück.

„Möchten Sie den Angeklagten befragen, Mr. Vanderveer?“

„Ja, Euer Ehren.“ David schoss einen bösen Blick auf Rogers ab und stand auf. Der Gerichtssaal begann auf einmal zu schwanken. David musste sich am Tisch festhalten, schloss die Augen.

„Mr. Vanderveer?“ Der Richter beugte sich vor.

„Ja, Euer Ehren. Alles in Ordnung.“ David machte einen Schritt auf die Anklagebank zu und wankte erneut. Vor seinen Augen drehte sich alles.

„Mr. Vanderveer?“

David antwortete nicht, er hörte nicht einmal, was der Richter sagte. Sein Blick war verklärt, der gesamte Gerichtssaal verschwand in Schlieren. Ihm war schlecht. „Ich glaube, ich...“ Weiter kam er nicht. Alles wurde schwarz, die Geräusche des Gerichtssaals verklangen endgültig, als David vor dem Richterpult zusammenbrach.
 

Als Jason daheim ankam, wurde er bereits erwartet. Ash saß in seinem Wagen vor dem Haus und stieg aus, als sein ehemaliger Partner den Gehweg entlang kam.

„Warum wartest du hier draußen?“, fragte Jason, nachdem sie sich begrüßt hatten.

„Chris ist wohl nicht da, zumindest öffnet niemand.“

„Ich vergesse das immer wieder... das Restaurant. Es nimmt ihn ziemlich in Anspruch.“

„Ja, scheint so.“

Jason nickte nur und machte dann eine Geste zur Haustür. „Lass uns reingehen.“

Sie nahmen schließlich im Wintergarten Platz. Die Sonne schien durch die Fenster hinein und malte bunte Muster auf den Boden. Batman lag in seinem Körbchen und schlief, nachdem er von Ash ein Leckerchen bekommen hatte. Der Beagle hatte die Angewohnheit entwickelt, Besuch, besonders Freunde der Familie, vorher nicht in Ruhe zu lassen. Penetrant und stur sprang er um denjenigen herum, bis er endlich etwas abstaubte.

Jason hatte sich und Ash mit Eistee versorgt, von dem er nun einen Schluck trank.

„Wie geht es dir so? Wir haben uns lange nicht mehr gesehen.“

„Ja, ich bin etwas auf Abstand gegangen, vor allem wegen Sly... ich war sauer auf Chris, auch wenn er das eigentlich nicht verdient hat.“

„Na ja, Sly hat den Kontakt schließlich ganz abgebrochen.“

„Ich weiß...“ Ash rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Er schaute sich immer wieder im Wintergarten um, während er Eistee trank. „Ich muss dir was sagen...“

„Schieß los.“

Der blonde Polizist stellte sein Glas ab. „Wir kennen uns jetzt schon lange und haben viel miteinander durchgemacht, wirklich viel. Ich erinnere mich noch genau, wie du damals ins Büro gekommen bist und mich angestarrt hast.“ Ash musste leise lachen. „Und an die Halloween Party, auf der du erfahren hast, dass ich schwul bin.“

Jason lächelte. „Da gibt es viele Erinnerungen, du warst immer da, wenn ich Hilfe brauchte.“

„Deswegen... ich...“ Ash sah ihm in die Augen. „Ich verlasse San Francisco.“

„Was?!“

„Jason, versteh das bitte.“ Ash wirkte ein wenig hilflos. „Sly ist soweit genesen, das er wieder aus der Klinik kann und er will einen Ortswechsel. Er hat einen Job in Boston gefunden und ich werde mitgehen. Meine Versetzung ist schon durch, zum Glück hatten die dort einen Platz frei. Ich kann ihn nicht allein lassen.“

„Ich verstehe das sogar...“, gab Jason zu.

„Sly ist... ich habe nie jemanden so sehr geliebt wie ihn, auch wenn es mit uns nicht gut gegangen ist. Ich will für ihn da sein und ich glaube, ich könnte gar nicht mehr ohne ihn. Wir brauchen einander, so wie du und Chris euch braucht... und wer weiß, vielleicht wird eines Tages doch noch etwas aus ihm und mir... es sind schon verrücktere Sachen passiert.“

Jason nickte, doch sein Lächeln war nur schwach. „Du wirst mir fehlen.“

„Hey, es gibt Telefon, Internet und Flugzeuge, ich bin nicht aus der Welt, Jay. Aber du wirst mir ebenso fehlen. Ich will auf keinen Fall den Kontakt verlieren.“

„Im Moment verändert sich irgendwie alles.“

„Vielleicht ist es auch gut so.“, meinte Ash. „Veränderung kann viel Positives mit sich bringen.“

„Ist wohl so.“

Die Uhr im Wohnzimmer schlug und verkündete, dass es drei Uhr nachmittags war.

„Ich muss los.“ Ash stand auf. „Die Umzugsfirma ist schon bei der Arbeit.“

„Was?! Du hast nicht gesagt, dass das so hoppla hopp gehen würde! Keine Abschiedsparty?“

„Ich hasse Abschiede, Jason. Ich sage lieber bis bald als Lebewohl. Es würde alles nur schwerer machen, für mich, wie für Sly.“

Jason sagte nichts mehr, sondern trat einfach nur vor und schloss Ash in die Arme. Er hielt ihn einen Moment lang einfach nur fest und kämpfte gegen das Gefühl des Abschieds an. Es war nicht für immer.

Doch in diesem Moment waren wirklich alle Erinnerungen wieder da. Gute wie schlechte. Ihr erstes Treffen im Revier. Die Querelen mit Rodriguez und Ashs Aktion mit dem Spind. Wie Ash für ihn da gewesen war, als Chris verschwunden war. Die Sorge um ihn, nachdem ihn Dave angeschossen hatte. Die gemeinsame Trauer um Jim. Der Streit wegen Slys Verschwinden und seinem Rückfall. Ashs Angst um ihn. All das und mehr kam Jason in den Sinn und er musste tatsächlich gegen Tränen ankämpfen, weil er wusste, dass es Ash unangenehm sein würde.

„Ich geh dann...“, wiederholte Ash noch einmal, als sie sich voneinander lösten, doch auf dem Weg zur Tür hielt er inne. „Fast vergessen.“ Er griff in seine Jackentasche und holte einen Brief vor. Chris stand in Slys Handschrift darauf. „Gib ihn deinem Liebsten, ja?“

„Geht klar.“, meinte Jason mit belegter Stimme.

„Bis bald, Jay.“

„Bis bald.“

Dann war die Tür zu und Ash verschwunden. Jason kehrte in den Wintergarten zurück und kraulte Batman, der sich das genüsslich gefallen ließ. Alles veränderte sich.
 

Die Tür zu Davids Büro flog regelrecht aus den Angeln, als Jeremy hinein gestürmt kam. Er war vollkommen außer Atem und hatte Schweißperlen auf der Stirn. Weil der Aufzug einfach nicht hatte kommen wollen, war er die Treppen zur Kanzlei hinauf gestürmt.

„Was muss ich da hören? Du bist im Gerichtssaal kollabiert?!“

„Es war nur der Kreislauf.“, meinte David, der auf seiner Couch lag und einen Lappen auf der Stirn hatte. Er setzte sich nun auf. „Nichts Schlimmes.“

„Du bist ohnmächtig geworden.“

„Na und? So etwas kann mal passieren.“

Jeremy war bei ihm angekommen und sank vor der Couch auf die Knie. „Geht es dir besser? Du bist so blass.“

„Hör auf, mich zu bemuttern.“ David schob seine Hand etwas zu rüde weg. „Es ist alles okay.“

„Bist du krank? Wie konnte so etwas passieren? Hast du das öfter?“

„Hör zu, es ist nichts, okay?“, meinte David mühsam beherrscht. „Ich denke, die Tabletten haben sich nicht mit dem Champagner vertragen, denn es zu Kens Firmenjubiläum gegeben hat. Einer der Seniorpartner ist seit 20 Jahren dabei.“

„Champagner und...“ Jeremy sah ihn entsetzt an. „Du nimmst immer noch diese Dinger?! David, du solltest sie schon vor zwei Monaten absetzen!“

„Ich brauche sie!“

„Das kann doch nicht wahr sein!“ Jeremy stand auf und funkelte David voller Zorn an. „Du hast mir gesagt, dass du keine mehr hast und sie auch nicht mehr nimmst! Wir haben darüber geredet!“

David fühlte sich in die Ecke gedrängt. Tatsächlich hatte er seinem Freund vor einiger Zeit fest zugesagt, dass mit den Schmerztabletten Schluss sei. Doch er hatte sie weiter genommen, manchmal mehrmals am Tag und Mittel und Wege gefunden, sich Nachschub zu beschaffen. Ohne die Tabletten schmerzte sein Rücken wieder und das wollte er nun einmal nicht. Und da Jeremy immer so ein Getue wegen der Tabletten machte, hatte er zu der Notlüge gegriffen.

„Das ist ja wohl meine Sache!“

„Du bist ja abhängig davon!“, stellte Jeremy entsetzt fest. „Verdammt, was machst du da?!“

„Das ist meine Sache, Jeremy!“ David stand ebenfalls auf und hatte die Stimme erhoben. „Ganz allein meine Sache! Es geht dich nichts an!“

„Du bist mein Freund!“

„Und du nicht meine Mutter! Ich habe mein eigenes Leben!“

Der Satz war wie eine Ohrfeige. „Und ich bin also kein Teil davon?“, fragte Jeremy verletzt.

David bemerkte, was er da getan hatte, aber er war nicht bereit, nachzugeben. Schließlich hatte er sich nicht zu rechtfertigen. Es waren ja auch nur ein paar Tabletten.

„Du hast auf jeden Fall kein Recht, mich einen Junkie zu nennen!“

„Das habe ich nicht! Aber was bist du denn?! Du nimmst diese Dinger heimlich weiter! Lügst mich an! Ich dachte, wir könnten über alles reden!“

„Da hast du wohl falsch gedacht!“

„Ja, das habe ich wohl!“ Jeremy schnaubte und drehte sich einfach um. David sollte die Tränen in seinen Augen nicht sehen. „Du lässt mich einfach nicht ganz in dein Leben! Es ist genau, wie deine Eltern gesagt haben! Ich bin kein Teil deines Lebens! Nur eine vorübergehende Phase!“

„Was?!“, entfuhr es David.

„Auch egal!“ Jeremy stampfte zur Tür. „Ich kenne meinen Platz ja jetzt.“ Damit verließ er das Büro und schlug die Tür hinter sich zu. David sah ihm verstört nach. Er lief ihm allerdings nicht hinterher, dazu war er zu stolz. Langsam ging er zu seinem Schreibtisch und zog die oberste Schublade auf. Die Packung mit den Schmerztabletten lag ganz oben auf den Akten.

„Scheiße!“, fluchte der Anwalt laut, packte das Röhrchen und warf es mit voller Wucht an die Wand. Die Tabletten verteilten sich im ganzen Büro.
 

„Ich hab ein schlechtes Gewissen, weil ich einfach in seinem Zimmer herum wühle.“

„Ach, mach dir keine Gedanken, mein Schatz.“, lächelte Colins Mutter Marcus fröhlich an. „Du gehörst doch zur Familie und Colin ist in der Videothek, es würde doch zu lange dauern, bis nach Dienstschluss zu warten.“

Sie blieb an Colins Tür stehen und nickte Marcus zu. „Bedien dich ruhig und komm dann runter, ich habe Apfelkuchen gebacken. Davon gönnen wir uns ein Stück.“

„Gern!“, grinste Marcus breit. Colins Mutter ging nach unten und der Junge in den Wohnbereich seines Freundes.

So etwas konnte auch nur ihm passieren. Er hatte mit Colin zusammen Hausaufgaben gemacht und dabei war sein Heft zwischen die Sachen seines Freundes geraten. Nach kurzer Suche in Colins Chaos entschied er, dass es wesentlich einfacher wäre, zunächst in Colins Tasche fürs College nachzusehen, bevor er die nächsten zwei Stunden damit verbrachte, sich einen Überblick über die vielen Haufen Lernzeug seines Freundes zu verschaffen.

Er fand die Tasche unter Colins Schreibtisch und hob sie darauf, um sie zu durchsuchen. Ihm kamen Bücher, Schokoriegelpapier und eine leere Colaflasche entgegen.

“Du bist vielleicht ein Chaot, Colin... was ist das?“

Marcus zog den Packen Zettel hervor, die leicht geknickt in der Tasche steckten. Eigentlich schnüffelte er nicht gern, aber diese Papiere sahen zu merkwürdig aus.

Als sein Blick darüber glitt, wurde er mit jedem Wort blasser. Colin hatte von all dem kein Wort gesagt.

Marcus’ Hals schnürte sich zu und gleichzeitig erfasste ihn eine unbändige Wut. Was dachte Colin sich?! Das waren waschechte Drohbriefe und er ließ ihn einfach im Dunkeln! Wiegte ihn in Sicherheit und tat, als sei nichts gewesen.

„Du Mistkerl!“

Er schmiss die Briefe wieder auf den Tisch und lief aus dem Zimmer, die Tasche ließ er offen. Colins Mutter hörte nur noch die Haustür zuschlagen, als sie verwundert nachsah, war Marcus verschwunden.
 

Als Chris an diesem Tag nach Hause kam, fand er Jason im Wintergarten, er lag mit Batman auf der Couch und schlief, den Hund halb auf seinem Oberkörper positioniert. Es war ein wundervolles Bild, eines, das Chris wieder klar machte, warum es doch das Schönste war, zu Jason nachhause zu kommen.

Er überlegte erst, ob er seinen Freund wecken sollte, entschied sich dann aber doch dagegen. Batman wachte auf und begrüßte sein Herrchen Schwanz wedelnd aber ohne zu Bellen, der Hund war sowieso sehr ruhig geworden, er bellte nicht oft.

Chris nahm das Tier mit in die Küche und gab ihm sein Abendessen. Batman machte sich hungrig wie immer darüber her.

Chris machte sich selbst einen Kaffee, das hielt ihn auf den Beinen. Das Restaurant war ebenso aufregend wie stressig. Auf dem Weg zum Schrank mit den Tassen kam er an der Pinwand vorbei und blieb stehen. Dort hing ein Briefumschlag mit seinem Namen darauf. Er erkannte Slys Schrift.

Der Kaffee trat in den Hintergrund. Chris nahm den Umschlag und riss ihn auf, er setzte sich an den Esstisch, um zu lesen.
 

„Lieber Chris,

es fällt mir schwer, diesen Brief zu schreiben.

Eigentlich weiß ich nicht einmal, was ich schreiben soll.

Unserer letztes Treffen war schrecklich... ich war schrecklich. Schrecklich zu dir und zu unserer Freundschaft. Ich habe dich total mies behandelt.

Ich war immer schwach. Mein ganzes Leben. Ich habe mich immer auf andere verlassen, besonders als ich anfing zu trinken. Auf Ash, auf dich. Es ist immer leicht, anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben für das eigene Versagen. Es ist schrecklich leicht, das sage ich dir. Ich war immer gut darin.

Du bist nicht Schuld daran, dass ich wieder getrunken habe. Auch nicht an all dem, was mir noch geschehen ist. Ich bin es.

Ich liebe dich, Chris, ich liebe dich wirklich. Egal wie oft ich mir sage, dass wir nur Freunde sind, in meinem Herzen sieht es anders aus. Also versuchte ich, es mir leicht zu machen. So wie ich es immer tue. Ich versuchte, Jason zu hassen. Dann dich. Dann wieder Jason. Dann euch beide. Als ihr dann ein zweites Mal zusammen kamt, nachdem ich endlich meine Chance bei dir sah...

Es war leicht, euch beiden die Schuld zu geben und endlich einen Grund zu finden, dem Drang zu trinken nachzugeben. Ich war selbst für meinen Absturz verantwortlich. Ich allein und niemand sonst. Keiner von euch hat mir das Glas an die Lippen gesetzt. Das war ich.

Ich weiß nicht, ob dir Jason mittlerweile schon gesagt hat, dass Ash und ich die Stadt verlassen. Wir gehen nach Boston.

Ich bin schwach, Chris, und ich bin feige. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, dir unter die Augen zu treten.

Ich möchte mich für alles entschuldigen, was ich dir in der Klinik an den Kopf geworfen habe. Du bist ein wundervoller Mensch und du wirst immer einen Platz in meinem Herzen haben.

Ich hoffe, du kannst mir verzeihen und wirst auch mich nicht vergessen. Vielleicht bin ich eines Tages stark genug, über uns hinweg zu sein und in dir wirklich nur noch einen Freund zu sehen.

Das hier soll kein Lebewohl sein, es ist ein Auf Wiedersehen. Ein ungewisses Auf Wiedersehen, aber das ändert nichts daran.

Ich gönne dir dein Glück mit Jason und wünsche dir alles Gute für dein Restaurant. Du hast es verdient.

Bis bald, Chris.
 

Dein Sly.“
 

Chris legte den Brief weg, er konnte sowieso nicht mehr lesen. Vor seinen Augen verschwamm alles, die Tränen liefen bereits über seine Wangen. Er hatte Sly schon längst verziehen, aber diese Worte berührten ihn zutiefst, selbst wenn sie nur auf Papier waren.

Batman schaute sein Herrchen an, er merkte, dass etwas nicht stimmte.

Auch Jason tat das. Er kam heran und legte Chris die Hand auf die Schulter. Sein Freund sprang auf und warf sich in seine Arme.

„Er ist weg...“

„Ich weiß. Ash auch...“

„Dieser Brief... ich wünsche ihm so sehr, dass er endlich sein Glück findet. Er hat es ebenso verdient wie ich... er war immer so lieb.“

Jason lächelte. Das war Chris. Sein Chris. Jeder Ärger war vergessen, jeder Streit. Chris hatte Sly gern, hatte nie aufgehört damit, ihn gern zu haben.

Das hier war der Mann, in den er sich vor vielen Jahren verliebt hatte. Der Stricher, der tat, als sei sein Herz aus Eis, der aber im Inneren der wahrscheinlich liebste Mensch dieser Welt war. Warmherzig, freundlich, hilfsbereit.

Chris war gleichzeitig stark und schwach in einem, brauchte Schutz und gab Unterstützung. Jason spürte in seinem Herzen, dass er niemals komplett gewesen war ohne Christopher Fairgate aus Dallas, Texas.

Chris war seine andere Hälfte, der Seelenverwandte, den man meistens nur einmal im Leben fand. Ohne ihn, wäre sein Leben nicht das selbe gewesen.

Sie hatten in den letzten zwei Jahren soviel durchgemacht, sich einmal fast verloren und doch immer wieder zusammen gefunden. Und nun, hier in der Küche ihres gemeinsamen Hauses, viele Meilen von New York entfernt, weit entfernt vom Straßenstrich und Drogen, erinnerte sich Jason daran, was er Chris einst versprochen hatte. Ihn in ein neues Leben zu führen. Und dieses Leben lebten sie jetzt. Nach den turbulenten Zeiten der letzten Jahre, war nun endlich Ruhe eingekehrt zwischen ihm und Chris. Und in diesem besonderen Moment, an diesem Nachmittag in San Francisco, kamen die Worte wie von selbst.

„Willst du mich heiraten?“

Er hatte keinen Ring, es war kein besonderer Anlass. Jason fühlte einfach nur, dass es an der Zeit war, diese Frage zu stellen. Er wollte sein Leben mit Chris verbringen. Mit ihm zusammen alt werden.

Chris hatte ihn ein Stück weg geschoben und sah ihn mit großen Augen an. Sein Mund stand offen. Auf seinen Wangen waren Tränenspuren, aber Stück für Stück verzog sich sein Gesicht zu einem Ausdruck wirklich unbändiger Freude.

Er legte seine Hände auf Jasons Wangen und zog ihn an sich. Küsste ihn überschwänglich. Immer und immer wieder.

Und zwischen jedem Kuss rief er voller Freude: „Ja!“
 

„Hier, deine Cola.“ Colin stellte Jeremy die Dose hin. Sie saßen im hinteren Bereich der Videothek, es war so gut wie nichts los. Der letzte Kunde war vor über einer Dreiviertelstunde aufgetaucht und mit einer Auswahl von Julia Roberts DVDs wieder abgezogen. Seine Freundin stehe auf diesen romantischen Scheiß, hatte er getönt. Colin hatte sich einen Kommentar verkniffen.

„Ich verstehe ihn nicht. Warum hat er mir das verschwiegen?“

„Jeder hat seine Geheimnisse.“, meinte Colin lakonisch. Er hatte sie ja auch. Die Briefe, Marcus wusste nichts davon. Zumindest dachte Colin das.

„Das ist keine Hilfe.“

„Ich weiß. Aber so lange er denkt, dass er kein Problem mit den Dingern hat, wirst du ihn auch nicht davon los kriegen.“

„Du wirst immer ermutigender.“

„Was willst du von mir hören?“, lächelte Colin. „Dass es ein Wunderrezept gibt?“

„Nein, sicher nicht. Ich bin ja auch nicht dumm.“

„Du darfst auf jeden Fall jetzt nicht aufgeben. Lass ihn nicht allein und wende dich nicht ab. Natürlich darfst du wütend sein, aber du darfst ihn nicht im Stich lassen.“

Jeremy nippte an seiner Cola. Colin hatte ja Recht. Er hatte heftig reagiert, aber eigentlich auch viel zu heftig. David und er hatten soviel zusammen erlebt, waren einen so weiten Weg zusammen gegangen.

Erst hatte es endlos gedauert, bis sie ein Paar waren und dann hatte er ihn beinahe wieder verloren, als Dave Jerrods die ganze Clique mit seinen psychopathischen Plänen ins Chaos gestürzt hatte.

Davids sturer Stolz war schon immer ein Problem gewesen, warum sollte er diesmal davor zurückschrecken?

Die Tür der Videothek flog auf, wurde gleich darauf wieder zugeknallt. Schneller als die Glocke die Ankunft eines Kunden verkünden konnte.

„Colin?!“, tönte Garys Stimme durch die Videothek.

„Hier hinten!“, rief Marcus’ Freund ihm zu. „Was will der denn hier?“, wandte er sich dann leise an Jeremy. Dieser zuckte mit den Schultern.

Gary kam durch den Laden zu ihnen.

„Hi, Gary, was kann ich für dich...“

Eine Faust krachte in Colins Gesicht. Er wurde zu Boden geschleudert, Gary war sofort über ihm.

„Du dämlicher Mistkerl! Was denkst du dir dabei, Marcus so in Gefahr zu bringen?!“

„Was?! Wovon redest du?!“ Colins Lippe blutete.

„Das weißt du genau!“ Gary schlug erneut zu. Und noch einmal.

„Du spinnst ja!“ Jetzt reichte es Colin. Er ging zum Gegenangriff über. Körperlich war er Gary gewachsen und dieser war so sauer, dass er, statt seine Kampfsporttechniken anzuwenden, nur wie ein Irrer prügelte. Also standen die Chancen für den Schwarzhaarigen nicht schlecht.

Jeremy beobachtete die Szene fassungslos.

„Jungs! Jungs, es reicht! Hey!“ Er sprang auf und wollte dazwischen gehen. Es war nicht klar, wessen Haken ihn traf, es ging zu schnell. Jeremy taumelte zurück und prallte gegen ein Regal. DVD-Hüllen regneten auf ihn herab.

Vor ihm waren Gary und Colin in einen wilden Kampf verstrick, schlugen sich ohne Gnade. Hier entluden sich monatelang gestaute Emotionen aus Eifersucht und Missgunst. Das konnte böse enden.
 

Marcus saß in Garys Auto und kaute auf den Fingernägeln. Er hatte Mist gebaut. Großen Mist. Warum hatte er auch keine bessere Idee gehabt, als zu Gary zu rennen und sich auszuheulen.

Dann war alles aus dem Ruder gelaufen. Er hatte Gary von den Briefen erzählt, sich über Colin beschwert. Jasons Bruder hatte vollkommen anders als erwartet reagiert. Er war vollkommen ausgeflippt.

Innerhalb von ein paar Minuten hatte sich Marcus im Auto wieder gefunden, panisch dabei, Gary zu beruhigen. Doch er war nicht zu ihm durchgedrungen. Gary hatte mehrfach betont, dass er sich Colin verknöpfen wollte, ihm klar machen, in welche Gefahr er Marcus brachte. Schließlich hatte er ihm versprochen, es zumindest ruhig und gefasst zu tun. Keine Handgreiflichkeiten.

Doch je länger er wartete, umso weniger sicher war Marcus sich, ob er Gary so einfach hätte glauben sollen. Gary war ein Cunningham, er war wie Jason. Marcus wie Chris hatten schon feststellen müssen, dass die Cunningham-Männer ebenso heldenhaft und wundervoll wie heißblütig und cholerisch sein konnten.

„Verdammte Scheiße!“

Er konnte den Laden von hier aus sehen. In diesem Moment wurde die Tür geöffnet und ein Mädchen rannte heraus. Sie trug Joggingsachen und eine Sporttasche unter dem Arm. Ein sehr merkwürdiges Outfit. Erst jetzt wurde Marcus bewusst, warum ihm das Mädchen überhaupt aufgefallen war.

Er kannte sie. Und zwar von Brandons Beerdigung. Dort hatte er sie schon einmal gesehen. Sie hatte nahe am Grab gestanden und ihre Tränen hatten nicht aufgehört zu fließen. Marcus hatte sie, bevor ihn die Mistkerle, die Colin verprügelt hatten, abgelenkt hatten, eine ganze Zeit lang gemustert, vornehmlich weil er direkt Angst bekommen hatte, sie würde sich in ihrer wilden Trauer ins Grab zu Brandon stürzen. Was tat sie in der Videothek?

Marcus riss die Autotür auf und stieg aus.

„Hey, kann ich mal kurz mit dir reden? Ist da drin alles in Ordnung? Wir kennen uns doch und...“

Sie rempelte ihn mit voller Wucht an, so überraschend, dass es Marcus vollkommen überrumpelte. Sie hatte nicht einmal abgebremst und rannte nun einfach weiter, würdigte den Jungen keines Blickes.

Marcus war auf dem Hintern gelandet und schaute ihr verwirrt nach.

„Eine Entschuldigung wäre angebracht gewesen!“, brüllte er der Flitzerin hinterher. Ein „Blöde Kuh“ wurde nur in Gedanken hinzugefügt.

Marcus rappelte sich wieder auf. Was war das nur gewesen? Warum rannte sie so und warum war sie aus der Videothek gekommen? Gab es da drin etwa Probleme? Vielleicht waren Colin und Gary doch aneinander geraten.

Der blonde Junge machte einen Schritt und im nächsten Moment ging die Welt unter.

Zumindest kam es Marcus so vor.

Ein ohrenbetäubender Knall zerriss die nachmittägliche Luft. Eine Druckwelle traf Marcus und presste ihm den Atem aus den Lungen. Er wurde zu Boden geschleudert und fiel hart auf das Pflaster. Hitze raste über ihn hinweg.

Als er den Kopf hob, bot sich ihm ein Bild des Grauens. Die Frontscheiben der Videothek gab es nicht mehr. Sie lagen in Milliarden Splittern auf der Straße verteilt, wäre Marcus nur etwas früher losgegangen oder nicht von dem Mädchen umgerempelt worden, hätte ihn der tödliche Sturm aus Scherben vielleicht getroffen.

Doch dieser Gedanke kam Marcus nicht einmal. Er sah nur die gähnenden Löcher in der Front der Videothek, die herumliegenden DVD-Hüllen und brennenden Trümmer. Und die Flammen, die aus dem Arbeitsplatz seines Freundes schlugen.

Marcus konnte sich nicht bewegen, er schrie nur. Schrie so laut, wie noch nie in seinem Leben.

„COLIN!“
 

~~~
 

Und wieder habe ich euch lange warten lassen. I’m so sorry...

Der Chapter ist diesmal 12 Seiten lang, aber ich habe ja schon ausschöpfend über dieses Thema geschwafelt ;)

Trotz allem ist dieses Kapitel etwas Besonderes.
 

Es ist Teil 1 des großen Finales.
 

Mit diesem Kapitel wird das Ende eingeläutet. Remember the Promise you made hat mich mittlerweile zwei Jahre begleitet, aber nun ist es Zeit, die Dinge zu einem Ende zu bringen. Auf der Strecke bleibt ein kompletter Handlungsstrang, den ich aber mittlerweile, obwohl ich ihm jahrelang entgegen fieberte, für unpassend halte. Ich werde nichts genaueres sagen, weil ich die Idee vielleicht noch einmal anderweitig verwenden möchte, aber nur soviel: Die Story Arc hätte sowohl Sly als auch Ash das Leben gekostet und Chris erneut der Willkür eines Psychopathen ausgesetzt.

Seht ihr das Muster? Noch ein Psychopath, der Chris’ Leben bedroht, das wäre der berühmtberüchtigte „Jump the Shark“ Moment gewesen. Ein Ausdruck aus der Serienwelt für den Moment, da eine Serie sich selbst demontiert und damit an Qualität verliert, ihr eigenes Todesurteil unterschreibt.

Also traf ich eine Entscheidung, die sich hier niederschlägt. Ash und Sly bekommen ein quasi Happy End, sie verlassen San Francisco und der angekündigte neue Auftritt von Sly wird nicht stattfinden. Davids unterschwellig angedeutete Abhängigkeit, die im Fahrwasser der gekippten Storyline hätte schwimmen sollen, kommt nun schon ans Licht. Gestern hatte ich die Erleuchtung, wie ich alle offenen Storylines zu einem befriedigen Schluss führen kann und somit dem großen Finale nichts im Wege steht.

Ich werde sicher nichts übereilen, das letzte Kapitel soll kein Schnellschuss werden, es soll ein würdiger Abschluss sein. Das verdienen meine Jungs auch ;)

Also genießt den letzten Cliffhanger von Remember the Promise you made und bleibt mir fürs Finale treu!
 

Euer Uly ^^



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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Von: abgemeldet
2007-12-04T13:02:57+00:00 04.12.2007 14:02
Turbulenz über turbulenz… beinahe hätte ich den überblick verloren ;)
Ich bin entsetzt! Und verwirrt! Und ich frage mich, wie du das alles in der nächsten episode aufklären willst… argh!
Aber hey – es gibt ne hochzeit hihi!
Und jetzt weiterlesen!! XD

Von: abgemeldet
2007-06-11T12:44:40+00:00 11.06.2007 14:44
Hier auch noch ein Kommi von mir, wenn auch wieder reichlich spät.
*g*
Dieses Kapitel war wieder mal super! Aber es war das vorletzte?!
*kreisch* Nur noch zwei Kapitel und dann ist die Story vorbei? Keine neuen Kapitel mehr, auf die man sich freuen kann?! Und schon wieder ein Cliffhanger! Wie ich das hasse!

*ganzliebschau* Wann kommt denn das nächste Kapitel online? Und (beinahe?) noch wichtiger: Gibt es ein Nachfolge-Projekt? Ist schon eine neue Story - eine Prequel oder Sequel oder was ganz Neues - in Planung? *gespannt bin*

Also, ich hoffe auf das baldige Erscheinen eines neuen Kapitels!
^-^

Kairi_Heartilly
Von:  DieLinkeBazille
2007-06-02T13:43:38+00:00 02.06.2007 15:43
Das war wieder ein tolles Kapitel....und ich sterbe jetzt schon wieder vor Neugier....wie es weiter geht..
*seufzel*
Wieso musst du immer da aufhören wo es spannend wird und was ist mit Nicolai??
Kommt er vielleicht noch mal vor?
Ö.Ö
Hahhaa...und sie heiraten...ich freu mich!!!

Aber das mit David...war...bzw. ist voll gemein...
>..<

Ich sterbe...sieh nur hin...ich sterbe...aber ich warte...obwohl...eigentlich geht das nicht, beim sterben warten.
oO
Ich rede wirres zeug...
*seufzel*

Also ich freue mich schon auf den zweiten Teil...
X33

Die Bazille^^

(Sorry das ich erst jetzt geschrieben haben....ich war im Urlaub....*drooop*...)
Von:  shitai
2007-05-25T14:14:53+00:00 25.05.2007 16:14
Oh Gott, das war das vorletzte Kapitel? Ich bin schockiert DD: Also, nicht nur deshalb nein, du hast es drauf, einem keine ruhigen 5 Minuten zu goennen, jetzt ist auch noch die Videothek in die Luft geflogen @__@
Ich persoenlich haette ja ein Problem damit, wenn Gary & Colin dabei draufgingen (Wenn sowohl der eine als auch der andere damit ein gewisses Problem loesen wuerden..), deshalb hoff ich mal, dass du auch der Meinung bist, dass schon genug Leute gestorben sind D:
Ach man, wie deprimierend, dass es dann zuende ist...
Vielleicht schreibst du ja was neues, aehnlich Tolles? ^^
Naja, wie auch immer. Schoen jeenfalls, dass es endlich weitergeht und so 8D;
Von:  Zuckerfee
2007-05-24T13:23:58+00:00 24.05.2007 15:23
Boom, Baby! *lach*

so, da bin ich wieder, im Delirium meines Selbst....aber ich bin tapfer T^T (mehr dazu nach deiner ENS *g*)
Mann, das is ja mal ein Showdown ^^
Ich hoffe nur Collin überlebt das... irgendwie is das ja schon ganz schön heftig. Ich dachte erst, da geht ein Auto in die Luft, aber der ganze Schuppen? *g* *911Stimmung*
Es freut mich, dass es für Sly und Chris doch noch ein gutes Ende gibt und dass auch alle "ausgeschiedenen" ein schönes und gesundes Leben führen können.
Wieder ein super gelungenes Kappi mit tollen Dialogen und auch wenns immer noch sehr aufbrausend ist *g* freue ich mich schon auf ein gelungenes Ende von Remember!

lg

fee~
Von:  Zuckerfee
2007-05-24T13:23:53+00:00 24.05.2007 15:23

Von:  Sammy5522
2007-05-22T15:48:29+00:00 22.05.2007 17:48
Hi! " umschau" die erste! JUUPPIII
Hast dich wieder mal total selbst übertroffen. Ein super Kapitel! Aber bitte laß die drei süßen nicht sterben. Ich war doch gerade so glücklich das Jem & David endlich richtig zusammen sind! " träne aus Auge kuller".

Warte ganz gespannt aufs nächste Teil vom Finalen ende!!!

Ganz LIEBE GRÜßE

deine sammy5522


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