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Seelenschatten

wenn das Dunkel sich erhebt
von

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Auge um Auge

In the Shadows (The Rasmus)
 

No sleep until I am done with finding the answer

Won't stop before I find a cure for this cancer

Sometimes I feel I´m going down and so disconnected

Somehow I know that I am haunted to be wanted
 

I've been watching

I've been waiting

In the shadows all my time

I've been searching

I've been living

For tomorrows all my life
 


 

Augen um Auge
 

“Willst du nicht doch mitkommen nach Hogsmeade?”, fragte Hermine noch einmal und sah Harry bittend an.

Harrys Blick glitt an Hermine vorbei und musterte die kleine Gruppe, die hinter ihr stand. Da war zunächst einmal Ginny, die sich leise mit Dean unterhielt. Er hatte den Arm um Ginnys Taille gelegt und allein diese Tatsache ließ Harry unbewusst die Fäuste ballen. Er wusste nicht, was ihn an diesem Anblick so sehr störte, aber er wollte ihn auf keinen Fall den ganzen Tag ertragen.

Ebenso wenig hatte er Lust, sich das noch dämlichere Pendant zu diesem Pärchen ansehen zu müssen. Monika hatte sich bei dem sichtlich geschmeichelten Ron eingehakt und hing an seinen Lippen wie eine Schmeißfliege an einem Kuhfladen. Allein ihr dämliches Gekicher , mit dem sie anscheinend jede Äußerung von Ron zu kommentieren gedachte, ließ Harrys Finger nach seinem Zauberstab zucken, um ihr endlich einen Schweigezauber zu verpassen, am besten einen, der gleich eine ganze Woche lang hielt.

Er verzog das Gesicht, als ihm klar wurde, woher er diese Idee hatte: Sie stammte aus der heutigen Ausgabe des Tagespropheten. Es hatte erneut Übergriffe der Todesser gegeben und diesmal waren Menschen gestorben. Ein ganzes Gebäude, von dem das Ministerium immer noch heftig dementierte, dass es in irgendeiner Form strategisch wichtig gewesen sei, war buchstäblich dem Erdboden gleich gemacht worden. Das Perfide an diesem Überfall war die Methodenhaftigkeit gewesen, mit der die Anhänger Voldemorts mögliche Gegenmaßnahmen verhindert hatten. Auf irgendeine Weise hatten sie sämtliche im Gebäude anwesenden Zauberer gleichzeitig mit einem Schweigezauber belegt und erst dann die Mauern zum Einsturz gebracht. Nicht Wenige waren so von den Trümmern schwer verletzt oder eben sogar getötet worden waren. Einige der Überlebenden konnten sogar noch Stunden nach dem Überfall nicht sprechen, sie berichteten allerdings einheitlich (und schriftlich) von einer Art Licht-Explosion, die dem eigentlichen Angriff vorausgegangen war.
 

„Entscheidest du dich jetzt nun mal?“, brachte Monikas Stimme Harry unangenehm wieder in die Wirklichkeit zurück. Sie wippte ungeduldig mit dem Fuß auf und ab und es war nicht zu übersehen, dass sie ihn nicht bei ihrem Ausflug dabei haben wollte.

Aber wollten die anderen das denn? Ron war schließlich von dieser Landplage belagert, Ginny mit Dean beschäftigt und Hermine… Nein, er hatte keine Lust, mitzugehen. Andererseits musste er ebenfalls nach Hogsmeade, um dort etwas abzuholen und er versuchte ja schließlich unauffällig zu sein. Seine Gedanken wanderten zu den zwei letzten Flaschen der Heimlichkeitstrankes, die in dem Koffer unter seinem Bett lagerten. Sollte er sie wirklich heute verwenden?

„Also ich weiß ja nicht, was mit euch ist, aber ich gehe jetzt.“, unterbrach Monika schon wieder seine Gedanken und wendete sich an Ron. „Kommst du auch? Ich hab mich doch so auf Hogsmeade gefreut.“

„Ja, ich denke auch, dass wir langsam mal los sollten, sonst sind alle guten Sachen schon weg.“, sagte Dean und wollte Ginny schon in Richtung des Portraitlochs ziehen. Die wand sich jedoch aus seiner Umarmung und funkelte Dean an.

„Du sollst nicht immer so an mir ziehen.“, fauchte sie. „Ich kann sehr gut selber bestimmen, wann ich wohin gehen will.“

Harry grinste innerlich, allerdings nicht lange, denn Ginny fuhr nun zu ihm herum.

„Und du könntest dich jetzt wirklich mal entscheiden, was du willst.“, giftete sie.

Eine unangenehme Stille breitete sich aus, während Harry und Ginny sich anstarrten. Dann hielt Harry es nicht mehr aus.

„Ach macht doch, was ihr wollt.“, brauste er auf. „Ihr wollt mich ja doch nicht dabei haben, also spart euch die Fragerei in Zukunft.“

Damit stürmte er aus dem Raum hinauf in den Schlafsaal. Er hörte noch, wie Hermine ihm etwas nachrief, aber er verstand es nicht; er wollte es auch nicht verstehen. Sollten sie doch ihre netten kleinen Ausflüge machen und ihre netten, kleinen Gespräche führen. Er brauchte das alles nicht, er hatte Wichtigeres zu tun. Schnell stopfte er eine der Zaubertrankflaschen in eine Tasche und warf sich seinen Unsichtbarkeitsumhang um. Dann schlich er leise wieder zurück.

Die anderen standen noch im Gemeinschaftsraum und sahen nicht besonders glücklich aus. Geschieht ihnen Recht, dachte Harry grimmig.

„Ich weiß nicht, Hermine, meinst du wirklich, dass das etwas bringt?“, fragte Ron, die Stirn in Falten gelegt.

„Keine Ahnung, aber irgendwas müssen wir doch machen.“, meinte sie zögernd.

Ginny schnaubte. „Also wenn du mich fragst, war Harry sehr deutlich. Wenn er seine Ruhe will, lassen wir ihn halt.“

„Ich denke, Ginny hat Recht.“, nickte Monika und Harrys Hand zuckte schon wieder zu seinem Zauberstab. „Seine Launen sind echt nicht zum Aushalten.“

„Ach sei ruhig, Monika.“, fuhr Ginny sie an.

„Nun mach mal halblange, schließlich hab ich dir Recht gegeben.“, maulte Monika. „Ich weiß wirklich nicht, was ihr alle an dem findet.“

„Er ist unser Freund.“, antwortete Hermine und fügte etwas leiser hinzu: „Glaube ich.“

„Ach kommt.“, rief Dean und versuchte ein Grinsen. „Wir wollten doch los. Wie wär´s wenn ich euch allen ein Butterbier spendiere. Draußen ist sowieso ein dermaßen dicker Nebel, dass es sich in den ´Drei Besen´ doch am besten sitzt.“

Zustimmendes Gemurmel war die Antwort und schließlich trollte sich die kleine Truppe. Harry wartete noch einen Augeblick ab, dann schlüpfte er ebenfalls durch das Portraitloch. Die Schule schien wie ausgestorben, jetzt, da fast alle Schüler der höheren Klassen sich auf dem Weg in das kleine Zaubererdorf befanden.

Harrys Gedanken kreisten um die Szene, die sich soeben abgespielt hatte, während er durch einen leeren Flur ging. War es wirklich die richtige Entscheidung gewesen, nicht mit den anderen zu gehen? Hätte er dadurch vielleicht…

Seine Überlegungen wurden jäh unterbrochen, als plötzlich eine der silbernen Rüstungen mit lautem Scheppern neben ihm zu Boden fiel. Hastig blickte Harry sich nach Peeves um, doch der Poltergeist war nirgends zu sehen. Schon konnte man die schlurfenden Schritte von Filch hören, der sich wahrscheinlich bereits die Hände rieb, um den Übeltäter auf frischer Tat zu ertappen. Eilig nahm Harry die Beine in die Hand und hörte erst einige Meter, nachdem er das Schultor passierte hatte, auf zu laufen. Er hatte Seitenstechen und sein Atem klang keuchend. Worüber hatte er gleich noch mal nachgedacht?

Da hörte er durch den weißen Nebel, wie Filch zu seiner Katze sagte: „Wir werden ihn schon finden, nicht wahr, meine Schöne? Und dann kann er was erleben.“ Ein Maunzen antwortete ihm.

Harry schüttelte ungläubig den Kopf. Filch konnte unmöglich so schnell hierher gekommen sein. Aber schließlich hatte der Hausmeister oft genug bewiesen, dass er immer dort auftauchte, wo man ihn am wenigsten gebrauchen konnte. Also beeilte Harry sich, noch ein bisschen mehr Entfernung zwischen sich und Filch zu bringen und machte sich auf den Weg nach Hogsmeade.
 

Im Nachhinein war Harry froh, dass er seinen Zaubertrank nicht verschwendet hatte, denn in der dichten Nebelbrühe, in der Hogsmeade schwamm, hätte es eigentlich überhaupt keines weiteren Schutzes bedurft, um nicht gesehen zu werden. Er ging trotzdem auf Nummer Sicher und zog den Unsichtbarkeitsumhang erst kurz vor seinem Ziel vom Kopf.

Hinter der knallroten Tür des Postamtes von Hogsmeade drängten sich einige wenige Schüler und jede Menge erwachsene Zauberer durch das Halbdunkel und über all dem Gewusel lag ein Geruch nach Vogeldreck und Nagetierkäfigen, die ein wenig zu lange nicht gesäubert worden waren. Möglichst unauffällig, die Haare tief in die Stirn gestrichen, stellte sich Harry in einer der Schlangen und wartete ungeduldig, bis er an der Reihe war.

Der Postbeamte war zu Harrys freudiger Überraschung offensichtlich nicht besonders daran interessiert, wer vor ihm stand. Er stutzte zwar kurz, als Harry seinen Namen nannte, schlurfte dann aber zielstrebig zu einem mittelgroßen Päckchen. Er verglich kurz die darauf vermerkte Adresse und legte es dann zwischen sich und Harry auf die Theke.

Harry wollte schon nach dem Päckchen greifen, denn hinter ihm hatten nun doch einige Leute angefangen zu tuscheln, aber der Postbeamte zog es gerade so schnell wieder an sich, dass Harrys Hand ins Leere griff.

„Nicht so schnell.“, brummte er und sah Harry prüfend über den Rand seiner Nickelbrille an.

„Stimme irgendwas nicht?“, murrte Harry; ihm dauerte das Ganze schon viel zu lange.

„Postlagernd kostet extra.“, gab der Mann zur Auskunft. „Ich bekomme noch 16 Sickel und 12 Knuts.“

Harry kramte eine goldene Galeone aus seiner Tasche.

„Stimmt so.“, murmelte er und wollte erneut nach dem Päckchen greifen, doch wieder war der Postbeamte schneller.

„Einen Moment.“, wehrte der Beamte ab und fing an, Kleingeld abzuzählen. Das Getuschel hinter Harry wurde lauter.

„Haben wir´s jetzt?“, zischte Harry gereizt. Wie konnte man nur so lange brauchen?

Der Postbeamte schüttelte das weißbehaarte Haupt. „Mir fehlen noch 6 Knuts. Einen Augeblick, ich muss bei meinem Kollegen wechseln gehen.“

„Behalten sie den Rest und geben Sie mir endlich das Paket.“, knurrte Harry. „Oder…“

Er jetzt wurde ihm bewusste, dass er bereits seinen Zauberstab gezückt hatte und die Spitze angriffslustig auf den Postbeamten gerichtet hatte. Er fühlte die Blicke in seinem Nacken, das Getuschel war sowohl leiser, als auch intensiver geworden. Es erinnerte Harre an einen wütenden Bienenschwarm.

Rasch ließ Harry den Stab wieder in seinem Umhang verschwinden und wartete mit klopfendem Herzen darauf, dass der Beamte endlich mit seinem Wechselgeld zurückkam. In der Eile ließ er noch die Hälfte davon fallen und musste mit hochrotem Gesicht auf dem alles andere als sauberen Boden nach den Münzen suchen. Zu guter Letzt nötigte der Mann ihn noch, dem Empfang des Pakets schriftlich zu bestätigen, bevor Harry endlich fluchtartig das Postamt verlassen konnte.
 

Wieder unter dem Tarnumhang verborgen, das Päckchen dicht an sich gepresst, hastete Harry durch das nebelverhangene Hogsmeade. Trotz des ungemütlichen Wetters waren ziemlich viele Leute unterwegs und mehr als einmal wäre Harry beinahe frontal in jemanden hinein gerannt. Ohne es zu merken, war er dabei wohl in die falsche Richtung gelaufen, denn mit einem Mal schälte sich der Umriss der ´Drei Besen´ aus dem weißen Dunst.

Wie gebannt starrte Harry die hell erleuchteten Fenster an. Die Tür öffnete sich und ein Schwall von warmer Luft, fröhlichen Stimmen und Gläserklirren wehten zu Harry herüber. Ein unangenehmes Kratzen machte sich in Harrys Hals breit und seine Nase begann zu kribbeln. Wahrscheinlich würde er eine Erkältung bekommen, wenn er noch lange hier herumstand. Trotzdem blieb er…

Ein Mann rempelte Harry an. Er brummte eine Entschuldigung, ohne richtig hinzusehen und verschwand wieder hinter einer weißen Wand. Harry blinzelte ein paar Mal, drehte sich dann um und fing an, in Richtung des Schlosses zu gehen. Immer schneller wurden Harrys Schritte, bis er schließlich den Rest des Wegs zum Gryffindor-Turm zurücklegte, als wäre Voldemort persönlich hinter ihm her. Er achtete nicht auf das Gezeter der Fetten Dame, als er ihr Bild fast aus den Angeln riss und stürmte ohne anzuhalten bis in den Schlafsaal hinauf. Dort angekommen warf er sich auf das Bett und vergrub den Kopf in den sowieso schon völlig zerwühlten Kissen.

Den Kopf fest an den Stoff gepresst, die Ohren durch die dicken Daunen verschlossen, wartete er, dass das dumpfe Kreisen, das er die ganze Zeit in seinem Kopf spürte, wieder ein erträgliches Maß erreichte. Als endlich auch sein Magen aufgehört hatte zu rebellieren, setzte er sich auf und bemerkte, dass Sirius am Fenster stand und ihn beobachtete.

„Hi!“, sagte Harry und der Laut klang irgendwie trostlos in dem leeren Schlafsaal.

„Ich…die anderen…es ist auf jeden Fall alles vorbereitet.“, stotterte Harry.

Von Sirius kam keine Reaktion, er sah Harry nur weiterhin unverwandt aus dunklen Augen an. Ein vages Gefühl von Enttäuschung und Ungeduld wehte zu Harry herüber und er verstand.

„Nicht mehr lange“, versprach er Sirius eilig. „Drei Tage noch und es wird keine weiteren Verzögerungen mehr geben. Ich verspreche es.“

Mit einem vagen Nicken deutete Sirius noch seine Zustimmung an, dann verschwand er. Harry blieb allein auf dem Bett zurück und starrte ins Leere.
 


 

Den Rest des Wochenendes verlief ereignislos, wenn man davon absah, dass Harry den Gemeinschaftsraum nicht betreten konnte, ohne entweder von verständnislosen, auffordernden oder spöttischen Blicken verfolgt zu werden. Grund dieser Unannehmlichkeit waren Ron, Hermine und Monika, die sich an einem der Tische zusammengesetzt hatten, um noch einmal die Taktik für Hagrids Gerichtsverhandlung am kommenden Montag zu besprechen. Hermine ließ keinen Zweifel daran, dass es ihr lieber gewesen wäre, wenn Harry an Monikas Stelle gesessen hätte, aber er wollte und konnte sich nicht zu Ihnen gesellen. Zu groß war seine Angst, dass er sich in letzter Minute noch verraten könnte.

Wenn Hermine mitbekommen hätte, warum Harry sie auf gar keinen Fall ins Gericht begleiten konnte, wäre sie wahrscheinlich sofort zu Professor McGonagall gelaufen und hätte ihr alles erzählt. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich möglichst unbeteiligt an der ganzen Aufregung zu geben. Er wusste, wie das aussehen musste, aber er konnte nun einmal kein unnötiges Risiko eingehen.

Statt also mit den anderen zusammen Hagrids Verteidigungsrede zu entwerfen, beschäftigte er sich im Schlafsaal damit, seine eigene Planung zum ungefähr hundertsten Mal durchzugehen. Immer wieder öffnete er heimlich das Paket und ließ die verschiedenen, knisternden Tüten aus dem Sortiment von Weasleys Zauberhaften Zauberscherzen durch die Finger gleiten. Viele seiner Mitschüler hätten sicherlich mehrere Freudentänze aufgeführt, wenn sie diese Auswahl an Nasch- und Schwänzleckereien in die Finger bekommen hätten.

Neben dem bereits bewährten Produkten wie Nasenbluten-Nougat, Fieber-Fondant oder Kotz-Pastillen, hatten Fred und George ihm auch ihre neuesten Kreationen mit hinein gepackt (wenngleich sie auch eine Warnung beigelegt hatten, auf der stand, dass Einige sich noch in der Erprobungs-Phase befanden.)

Jetzt mit noch längerer Wirkdauer! stand auf den Verpackungen. Bis zu einer Woche Schulfrei, ohne wirklich krank zu sein. Resistent gegen die meisten gebräuchlichen Heilzauber und –tränke.

Schließlich warf Harry die Scharlach-Schokolade und das Maser-Marzipan zusammen mit den übrigen Packungen wieder in das Paket zurück und schob eine Tüte mit Windpocken-Weingummi und einen Riegel Fiber-Fondant unter sein Kopfkissen.

Jetzt hieß es nur noch Abwarten.
 

Der Montag begann ungewohnt hektisch, denn Ron fing ganz entgegen seiner sonstigen Langschläfer-Gewohnheiten bereits um halb sechs an, durch den Schlafsaal zu rumoren. Etwa eine Stunde später leistete ihm Hermine (trotz der Proteste der übrigens Mitbewohner) Gesellschaft bei der Suche nach einer sauberen Krawatte. Eine weitere halbe Stunde später war diese dann auch gefunden, Ron bereits zum zweiten Mal umgezogen und so mit den Nerven fertig, dass Hermine ihn kurzerhand am Arm nahm und an den Frühstückstisch schleppte.

Dort saß er dann blass und zusammen gesunken zwischen Monika, die energisch darauf bestand, dass er ein ordentliches Frühstück zu sich nahm und kurz davor schien, ihn eigenhändig zu füttern, und Hermine, die immer wieder Dinge vor sich hin murmelte, stutzte, ihre Aufzeichnungen erneut durchlas und wieder in Gemurmel versank. Harry beneidete ihn kein bisschen.

Als die ersten Schüler begannen, sich zu den Unterrichtsräumen zu bewegen, kam Professor McGonagall an den Gryffindor-Tisch, um Ron und Hermine abzuholen. Harry hatte zunächst noch etwas sagen wollen, doch der Moment verging und die beiden waren schon längst zur Tür hinaus, als Harry endlich einfiel, dass er einfach nur hätte etwas wie „Viel Glück!“ sagen müssen. Missmutig trottete er der schnatternden Schülerschar hinterher, deren Gespräche in den meisten Fällen schon mit dem am nächsten Tag anstehenden Halloween-Fest zu tun hatten, und hielt sich mit dem Gedanken aufrecht, dass er nicht den ganzen Tag würde am Unterricht teilnehmen müssen.

Gegen Ende der ersten Stunde würgte er schnell einige der präparierten Süßigkeiten hinunter. Nur Minuten später konnte er förmlich spüren, wie sich die ersten, roten Punkte auf seinem Gesicht ausbreiteten und seine Stirn anfing zu glühen.

„Professor Flitwick?“, sagte er und versuchte dabei möglichst matt zu klingen. „Ich glaube, mir geht es nicht gut.“

Der kleine Lehrer kam eilig herbei getrippelt und betrachtete Harry sorgenvoll von unten herauf.

„Ja, Potter, Sie sehen auch gar nicht gut aus.“, konstatierte er mit gerunzelter Stirn. „Hier, nehmen Sie dieses Pergament und lassen Sie sich von Madame Pomfrey etwas gegen diese Flecken geben. Sie sehen ja aus wie ein Streuselkuchen.“

Harry nickte, verkniff sich ein Grinsen und machte sich auf den Weg in den Krankenflügel.
 

Madame Pomfrey machte nicht viel Federlesen und steckte Harry mit einer großen Portion scheußlich schmeckender Medizin versehen in eines der Krankenbetten.

„Das ist wirklich der eigenartigste Fall von Masern, der mir je untergekommen ist.“, brummelte sie dabei.

„Es sind Windpocken.“, verbesserte Harry sie automatisch.

Die Krankenschwester zog eine Augenbraue nach oben.

„So, und woher wissen Sie das so genau?“, fragte sie scharf.

„I-ich hatte schon mal Masern.“, stotterte Harry. „U-und die kriegt man doch nur einmal.“

Zu seinem Glück ließ Madame Pomfrey es bei dieser Erklärung bewenden und fragte nicht weiter nach. So hatte Harry einen ganzen Tag lang Zeit, den Ablauf des Abends etwa 25 ½-mal im Kopf durchzuspielen, bis sie schließlich mit dem Abendbrot anrückte. Da weder Fieber noch Flecken zurückgegangen waren, verordnete sie ihm einen weiteren Tag Bettruhe.
 

Harry ergab sich scheinbar seinem Schicksal und wartete ungeduldig, bis das Licht in der Krankenstation für die Nacht gelöscht wurde. Er schlüpfte in seine Sachen und drapierte noch schnell den vorbereiteten Zettel aus seiner Hosentasche auf dem Kopfkissen, auf dem stand, dass die Flecken verschwunden seien und er daher wieder am Unterricht teilnehmen würde. Da am nächsten Tag in der ersten Stunde Geschichte bei Professor Binns auf dem Stundenplan stand, würde Madame Pomfrey es sich sicherlich ersparen zu kontrollieren, ob er auch tatsächlich dort erschienen war, während alle anderen noch davon ausgingen, dass er auf der Krankenstation lag. Mit anderen Worten: Niemand würde ihn vermissen.
 

Leise und vorsichtig huschte Harry durch das nächtliche Hogwarts, bis er bei einer geheimen Wandnische angelangt war. Dort angekommen nahm er als erstes das von Fred und George gebraute Gegenmittel gegen die doch ein wenig juckenden Flecken und legte dann seinen Tarnumhang an. Einen Augenblick lang hatte er das sichere Gefühl, beobachtet zu werden, aber als er sich aufmerksam umsah, konnte er niemanden entdecken. Wahrscheinlich hatten ihm nur seine Nerven einen Streich gespielt.
 

Auf dem Weg zu den Gewächshäusern war es durch die dichte Wolkendecke stockfinster und Harry musste aufpassen auf dem regenassen Boden nicht auszurutschen. Der allgegenwärtige Nebel machte die Sache nicht eben einfacher. Reichlich mit Schlamm bespritzt erreichte er endlich Gewächshaus Nummer Drei. Er kramte kurz in seiner Tasche und förderte dann etwas zutage, bei dem Hermine eigentlich hätte stolz auf ihn sein müssen. Er hatte sich selbsttätig einen Duplikationszauber aus einem Buch herausgesucht und ihn erfolgreich an Nevilles Gewächshaus-Schlüssel angewendet. Zugegebenermaßen hatte Sirius im dabei etwas assistieren müssen, aber die Idee war zumindest seine eigene gewesen.

Mühsam bugsierte er kurz darauf das schwere Motorrad durch das voll gestopfte Gewächshaus. Irgendein Blumentopf verabschiedete sich klirrend von seinem irdischen Dasein, aber Harry hatte im Moment wirklich Wichtigeres zu tun. Als er gerade den Schlüssel wieder im Schloss drehen wollte, erklang hinter ihm plötzlich eine gehässige Stimme:

„Hab ich dich erwischt, Potter.“

Harry wirbelte herum, wich mit knapper Not einem Lähmzauber aus und feuerte blind in die Richtung, aus der er gekommen war. Höhnisches Lachen antwortete ihm.

„Da musst du früher aufstehen, Potter.“

Harry beschwor einen Schild, um abermals einen Zauber abzuwehren. Fast im selben Moment schoss er selbst einen Zauber ab. Wie ihm gleich danach ein dumpfes Klatschen verriet, hatte er getroffen. Ein paar Schritte und er stand vor einem wütend vor sich hin starrenden Draco Malfoy, der vor ihm im Schlamm lag. Sagen konnte der Slytherin allerdings nichts mehr, denn die Ganzkörperklammer hatte auch seine Kiefermuskeln gelähmt.

Harrys Gedanken rasten. Er konnte sehen, dass Malfoy bereits gegen den Fluch ankämpfte. All zu lange würde er ihn damit nicht festhalten können. Auch Fesseln und ein Knebel hätten in diesem Fall wohl nicht wirklich viel genützt, denn spätestens mit dem Unterrichtsbeginn würde man den Slytherin wahrscheinlich entdecken.

Eine weitere, dunkle Gestalt trat aus dem Nebel. Herablassend und mit mäßigem Interesse betrachtete Sirius den blonden Jungen am Boden und sah Harry dann fragend an.

„Wir müssen dafür sorgen, dass er uns nicht verrät.“, zischte Harry leise.

Malfoy versuchte krampfhaft hinter sich zu schauen, so dass sich seine Augen so weit verdrehten, dass Harry das Weiße darin sehen konnte. Ganz kurz kam ihm der Gedanke dafür zu sorgen, dass sie sich nicht mehr zurückdrehten, doch er verwarf ihn ebenso schnell wieder, wie er gekommen war. Er warf Sirius einen bittenden Blick zu.

Etwas wie ein Lächeln huschte über dessen Gesicht. Er beugte sich zu dem im Schlamm liegenden Jungen herab und streichelte mit einer fast zärtlich wirkenden Bewegung über dessen Gesicht. Dracos Malfoys Körper bäumte sich auf und zuckte ein paar Mal konvulsisch, dann erschlaffte er und lag vollkommen still. Harry erschrak.

„Du hast ihn umgebracht.“, keuchte er entsetzt und stürzte auf den leblosen Körper zu. „Du solltest ihn doch nur vergessen lassen, was er gesehen hat.“

Sirius betrachtete Harry teilnahmslos. Der nestelte jetzt mit fliegenden Fingern am Kragen des Slytherins herum und fand schließlich nach etlichen, bangen Momenten einen sehr schwachen, aber relativ gleichmäßigen Puls.

„Das hätte verdammt ins Auge gehen können.“, schimpft Harry leise. „Und vor allem: was mache ich jetzt mit ihm. Ich kann ihn ja schlecht hier liegen lassen.“

Harrys Blick glitt zum Gewächshaus und noch während er überlegte, Malfoy irgendwo dort drinnen zu verstecken, blieben seine Augen an dem Motorrad hängen, das immer noch geduldig auf seinen Einsatz wartete.
 

Kurze Zeit später lag ein gut verschnürtes Paket auf dem hinteren Teil des Sitzes. Sicherheitshalber hatte Harry Malfoy seinen Zauberstab abgenommen und ihn zusätzlich noch am Motorrad festgebunden, damit er während des Fluges nicht hinunterrutschte. Ächzend schob er das jetzt noch um einige Pfunde schwerere Gefährt in Richtung des Verbotenen Waldes. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn ihm eine andere Idee gekommen wäre, aber sein Plan war bereits so weit im Verzug, dass dafür einfach keine Zeit mehr war.

Am Waldrand steckte Harry schließlich den Schlüssel in das Zündschloss des Motorrades und die Maschine erwachte zu dröhnendem Leben. Erst noch etwas wackelig, dann aber zunehmend sicherer steuerte Harry sie am Waldrand entlang. Als er eine gewisse Geschwindigkeit erreicht hatte (und auch schlichtweg Angst hatte, im Dunkeln irgendwo gegen zu fahren) drückte er einen Knopf, auf den jemand ein „F“ eingeritzt hatte.
 

Der Boden sprang förmlich unter ihm weg und das Motorrad geriet ziemlich ins Schlingern. Nur mit Mühe brachte Harry sie wieder unter Kontrolle und schlug einen Kurs in Richtung Süden ein.

Zuerst war es ein wahnsinniges Gefühl von Freiheit, das ihn durchströmte; fast so, als würde er auf einem Besen sitzen. Da das Motorrad allerdings auch um einiges schneller war, war Harry schon bald damit beschäftigt, sich möglichst flach an den Sitz zu pressen, um so die Wucht des Fahrtwindes wenigstens etwas zu mildern. Und auch wenn er schon daran gedacht hatte, sich einen dicken Pullover anzuziehen und seinen Winterumhang umzuhängen, so hatte er an so etwas wie Handschuhe schlichtweg nicht gedacht.
 

Nach einer Weile spürte Harry seine Hände nicht mehr, aber er hielt das Motorrad auf Kurs und wich lediglich davon ab, wenn er eine Siedlung oder gar eine Stadt umfliegen musste. Als endlich der helle Schein Londons am Horizont auftauchte, hatte Harry das Gefühl, bereits seit Tagen unterwegs zu sein. Tage, die nur aus Wind, Regen und Kälte bestanden hatten. Am Stadtrand ging er tiefer und landete in einer Schrebergartenkolonie. Hier war die Gefahr entdeckt zu werden am kleinsten, denn hier würde kurz nach Mitternacht sicherlich niemand mehr auftauchen. Allerdings stellte sich ihm jetzt ein neues Problem in den Weg:

Er war mit Mrs. Malfoy am Grimauldplatz verabredet, doch wie er jetzt feststellen musste, hatte er keine Ahnung, wie er von hier aus dort hinkommen sollte. Mit klammen Fingern holte er daher den Zwei-Wege-Spiegel hervor. Wie er gehofft hatte, erschien umgehend das Gesicht von Mrs. Malfoy darin.

„Mister Potter“, begrüßte sie ihn. „Ich erwarte Sie bereits. Sind sie aufgehalten worden?“

„So kann man es nennen.“, antwortete Harry und warf einen flüchtigen Blick auf seinen immer noch bewusstlosen Mitschüler. „Und ich habe noch ein Problem: Ich finde den Weg nicht.“

„Dann werde ich Sie abholen.“, sagte Mrs. Malfoy bestimmt. „Wo sind Sie?“

Harry nannte ihr den Namen der Straße und wenige Augenblicke später tauchte eine Gestalt in einem langen Kapuzenumhang mit einem leisen Plopp auf der anderen Straßenseite auf. Sie wendete den Kopf nach rechts und links und strebte dann zielstrebig auf Harry zu. Der zog automatisch seine Zauberstab, ließ ihn jedoch wieder sinken, als Mrs. Malfoy die Kapuze zurückschlug. Langes, blondes Harry ergoss sich wie ein Wasserfall um ihre Schultern.

„Endlich.“, lächelte sie. „Ich habe Sie schon so sehnsüchtig erw-WAS?“

Binnen Sekunden war Harry vergessen und die blonde Frau stürzte zu dem Motorrad. Ihr Zauberstab zerschnitt wie ein Messer die Fesseln, die ihren Sohn an der Maschine festhielten. Sie prüfte kurz seinen Puls und schüttelte ihn dann.

„Draco! Draco, was ist mit dir?“, rief sie ängstlich. Dann ruckte ihr Kopf nach oben und in ihren Augen stand für einen Augenblick die pure Mordlust.

„Was ist hier passiert?“, fauchte sie.

„E-es war ein Unfall“, stammelte Harry. „I-ich wollte ihn nicht verletzten, aber als er nicht mehr aufgewacht ist, h-habe ich ihn einfach mitgenommen. I-ich hatte Angst, dass er mich verrät.“

Zum ersten Mal fragte Harry sich, ob es wirklich eine so gute Idee gewesen war, hierher zu kommen. Schließlich hatte er nicht viel mehr als Mrs. Malfoys Wort, das in diesem Moment scheinbar nicht mehr wert war als Koboldgold in der Morgensonne. Dann aber verschwand der Ausdruck so schnell aus Mrs. Malfoys Gesicht, wie er gekommen war.

„Ich verstehe.“, sagte sie ruhig, obwohl sich Harry nicht sicher war, ob sie ihn wirklich verstanden hatte. „Unfälle passieren nun einmal. Unter diesen Umständen würde ich es allerdings vorziehen, wenn wir unser Treffen zu mir nach hause verlagern. Ich würde Draco gerne versorgt wissen.“

Harry war zwar nicht ganz wohl bei dem Gedanken, trotzdem nickte er zustimmend; auch um Mrs. Malfoy nicht noch weiter zu verärgern. Sie bat Harry kur zu warten und disapparierte zusammen mit ihrem Sohn. Einige Minuten später tauchte sie ohne ihn wieder auf.

„So, Mister Potter, nun sind Sie an der Reihe.“, nickte sie ihm zu. „Ich gehe davon aus, dass Sie apparieren können.“

Harry schüttelte den Kopf.

„Nein, ich bin noch nicht alt genug, um an dem Kurs teilzunehmen.“, gab er zu.

„Nun, dann werde ich Sie wohl ebenfalls mitnehmen müssen.“, lächelte Mrs. Malfoy sanft. „Keine Angst, es tut nicht weh. Sie müssen sich nur gut festhalten.“

Die blonde Frau trat sehr nah an Harry heran und griff nach seinem Arm. Harry schlucke und dankte innerlich für die in dieser Gegend doch recht schwache Straßenbeleuchtung, denn sonst hätte Mrs. Malfoy wahrscheinlich gesehen, dass er scharlachrot angelaufen war.

„Fertig?“, fragte sie.

„Fertig.“, krächzte Harry.

Es tat einen kleinen Ruck und alles wurde schwarz um ihn, als hätte jemand nicht nur die Straßenlaternen, sondern zusätzlich auch noch sämtliche Himmelskörper ausgeknipst. Er hatte das Gefühl er würde von unsichtbaren Kräften zusammengedrückt und geschoben. Der Vergleich mit dem Kamel, das durch ein Nadelöhr gehen muss, stieg in ihm auf. Als er das Gefühl hatte, es nicht mehr aushalten zu können, ließ der beklemmende Druck plötzlich nach und die Dunkelheit verschwand.
 

Harry fand sich in einer vornehmen Eingangshalle wieder. Die Wände waren mit dunklem Holz vertäfelt und Harrys Füße standen auf glänzendem Parkett. Eine kleine Gestalt kam eilig die marmorne Freitreppe hinunter gestolpert und trippelte dann auf flinken Füßen näher.

„Darf Nimsy ihre Mantel nehmen, Herrin?“, fragte die Hauselfe und berührte bei ihrer Verbeugung fast mit ihrer spitzen Nase den Fußboden.

„Wir beabsichtigen noch einen Tee im Salon zu uns zu nehmen.“, sagte Mrs. Malfoy, ohne die Elfe auch nur mit einem Blick zu würdigen. Dabei löste sie mit einer Hand die Verschnürung ihres Umhangs und ließ ihn achtlos zu Boden gleiten.

Die Hauselfe sprang eifrig hinzu und verschwand fast völlig unter dem Stoff. Wie durch Zauberhand faltete sich der Mantel dann jedoch und die Hauselfe wieselte mit ihrer Fracht davon. Sekunden später stand sie wieder da und ließ sich nun auch von Harry dessen Garderobe geben, mit der sie ebenso schnell verschwand. Etwas hilflos steckte Harry den Zauberstab, den er immer noch in der Hand trug, in die hintere Hosentasche und folgte Mrs. Malfoy.

Sie führte ihn in einen ganz in weiß gehaltenen Salon mit hohen Fenstern, in dem Harry sich irgendwie verloren und fehl am Platz vorkam. Nirgendwo war auch nur ein Staubkörnchen zu entdecken, die Möbel schienen mit dem Lineal ausgerichtet worden zu sein und die wenigen, apart aussehenden Zimmerpflanzen waren so ebenmäßig, das Harry versucht war ein Blatt abzureißen, um zu sehen, ob sie überhaupt echt waren. Unauffällig versuchte er, seine schlammbespritzten Schuhe an seinem Hosenbein abzuwischen; das Ergebnis war ein gleichmäßiger Dreckfilm auf Schuhen und Hose.

„Setzen Sie sich doch.“, bat Mrs. Malfoy ihn und wies einladend auf einen der weißen Ledersessel, während sie selbst sich auf einer Recamiere nieder ließ.

Vorsichtig setzte Harry sich ganz auf den Rand der Sitzfläche. Er hätte gerne über den Plan für den morgigen Abend geredet, aber er wusste nicht, wie er anfangen sollte. Auch schien er mit einem Mal über entschieden zu viele Arme und Beine zu verfügen. Glücklicherweise öffnete sich in diesem Moment auch schon die Tür und die Hauselfe erschien mit einem Tablett mit Tee und Keksen darauf. Sie verteilte das ebenfalls weiße Porzellan auf dem flachen Tisch, schüttete etwas Milch in beide Tassen, schenkte den Tee ein und verschwand dann wieder, ohne auch nur das geringste Geräusch zu verursachen.

„Wissen Sie, Mister Potter“, lächelte Mrs. Malfoy, während sie einen winzigen Schluck aus ihrer Tasse nahm, „Eigentlich müsste ich Ihnen noch einmal danken. Mein Mann hätte es nie erlaubt, dass wir uns eine neue Hauselfe zulegen. Aber da Sie uns ja Merlin sei Dank von diesem Wie-hieß-er-doch-gleich…“

„Sie sprechen von Dobby“, vermutete Harry.

„Ja richtig, so hieß er wohl.“, lächelte Mrs. Malfoy. „Auf jeden Fall ist es ein Segen gewesen, dass Sie uns von ihm befreit haben. Die neue Elfe ist einfach nicht mit Gold zu bezahlen.“

„Das freut mich für Sie.“, murmelte Harry und trank nun ebenfalls einen Schluck Tee. Er war gut, nicht zu stark und wärmte Harry endlich wieder ein wenig auf. Trotzdem kam ihm die Situation von Moment zu Moment bizarrer vor. Er fühlte sich genötigt, etwas zu sagen.

„Ich hoffe…“

„Möchte Sie…“

Mrs. Malfoy unterbrach sich.

„Wie unhöflich von mir.“; lächelte sie immer noch. „Was wollten sie gerade sagen?“

„Ich wollte…“, begann Harry „Ich hoffe Mal...Draco ist nicht allzu schwer verletzt?“

Es war merkwürdig, Malfoy beim Vornamen zu nennen.

„Es geht ihm den Umständen entsprechend gut.“, antwortete Mrs. Malfoy. „Er schläft jetzt. Wahrscheinlich wird er morgen früh aufwachen und es ist alles in Ordnung. Möchten Sie ein Plätzchen?“

Harry war nicht nach etwas Süßem, trotzdem nahm er gehorsam eines der Gebäckstücke, die sie ihm reichte, und biss hinein. Es schmeckte köstlich. Automatisch langte er noch einmal nach der Schüssel. Erst beim fünften Keks angekommen, wurde er sich bewusst, dass Mrs. Malfoy ihn die ganze Zeit durchdringend ansah. Verlegen ließ er das vorletzte Plätzchen wieder zurück auf den Teller gleiten. Sie musste ihn ja für einen völligen Vollidioten halten. Einen verfressenen obendrein.

„Machen Sie sich nichts daraus.“, schmunzelte Mrs. Malfoy. „Ich habe diese Kekse selbst gebacken, nach einem Rezept meiner Großmutter mütterlicherseits.“

Harry griff nach seiner Teetasse. Ihm war irgendwie komisch.

„Sie konnte wirklich wunderbar backen und liebte es, ihre Kekse an die Kinder in ihrem Dorf zu verteilen, besonders zur Weihnachtszeit.“

Harrys Tasse glitt zu Boden und zerschellte dort mit einem lauten Klirren. Wie durch Watte konnte er noch Mrs. Malfoys Stimme hören, die weiterhin auf ihn einredete. Seine Beine gehorchten ihm plötzlich nicht mehr und der Sessel glitt unter ihm weg. Ein scharfer Schmerz durchzuckte Harry, als sein Kopf auf dem weiß gekachelten Fußboden aufschlug, dann wurde ihm schwarz vor Augen.
 


 

Ein Geräusch ließ Harry hochfahren. Verwirrt blinzelte er gegen das helle Licht an, das ihm direkt ins Gesicht schien. Sein Kopf dröhnte und die Zunge klebte an seinem Gaumen. Etwas schnitt in seine Handgelenke. Das Licht entfernte sich wieder.

„Er ist wach.“, stellte eine unterwürfige Stimme fest. Irgendwie kam sie Harry bekannt vor.

Er versuchte, etwas zu erkennen, aber die Konturen verschwammen vor seinen Augen. Er hatte seine Brille nicht auf.

„Wurde auch Zeit.“, brummte eine zweite Stimme. „Narzissa hat es etwas übertrieben.“

Diese Stimme kannte Harry ebenfalls und etwas daran alarmierte ihn. Wenn er doch nur darauf kommen würde, woher er sie kannte. Aber seine Gedanken dümpelten träge vor sich hin und schwammen davon, bevor er sie richtig greifen konnte.

Eine Tür wurde geöffnet.

„Rodolphus, Liebling, wie weit bist du mit dem Kind?“, fragte eine weibliche Stimme.

Harry riss mit Gewalt die Augen auf. Alle Müdigkeit schien wie weggeblasen, als er einen dritten Schemen näher kommen sah. Er musste sie nicht wirklich sehen, denn er wusste, wer sie war.

„Sieh nur, wie hilflos er aussieht.“, kicherte Bellatrix Lestrange. „Ich frage mich, ob er sich noch an mich erinnert.“

„Und ob ich das tue.“, knurrte Harry.

Wie er jetzt feststellen musste, war er mit Seilen an einen Stuhl gefesselt worden. Er konnte lediglich die Finger ein wenig bewegen. Seine Beine kribbelten. Wütend starrte er von einer verschwommenen Gestalt zur anderen.

„Nein wie niedlich.“, säuselte Bellatrix weiter. „Aber vielleicht sollte ich mich doch noch einmal in Erinnerung rufen. Crucio!

Harry krümmte sich, soweit es ging, zusammen. Der Schmerz raste durch seine Sinne, brachte seine Nerven zum Schmelzen, löschte jegliche Gedanken aus. Durch die roten, alles verzehrenden Nebel der Pein drang undeutlich Bellatrix´ Stimme zu ihm durch.

„Das ist dafür, dass du mich vor dem Dunklen Lord lächerlich gemacht hast.“

Bellatrix! “, schnappte eine Stimme. Der Schmerz erlosch, doch sein Echo kreiste immer noch durch Harrys Bewusstsein.

„Snape!“, Bellatrix Stimme klang eindeutig enttäuscht. „Was tust du hier?“

„Dich vor einem Fehler bewahren, wie es aussieht.“, antwortete Snape glatt. „Aber wenn du es genau wissen willst: Deine Schwester hat mich hierher gebeten, damit ich mir Draco ansehe.“

Harry fühlte, wie kühle Finger sein Kinn anhoben, über sein Gesicht fuhren. Unwillig drehte er den Kopf weg.

„Du hast Glück, es geht ihm gut.“, konstatierte Snape emotionslos. „Der Dunkle Lord will ihn lebend, wie du sehr wohl weißt.“

“Aber er lebt doch auch noch.“, grinste Bellatrix und beugte sich nun ebenfalls zu Harry herab. „Nicht wahr, kleiner Potter, du lebst noch.“ Ihre Stimme wurde gehässig „Fragt sich nur, wie lange noch.“

„Wurmschwanz, die Brille!“, befahl Snape und endlich wurde Harrys Blick wieder etwas deutlicher.

„Wann wird der Dunkle Lord hier eintreffen.“, fragte Rodolphus sachlich. Seine untersetzte Gestalt steckte diesmal nicht in einer Todesser-Kutte, sondern in einem reichlich betagten, dunklen Anzug. Bellatrix, die neben ihm stand, maß Harry mit verachtenden Blicken, in denen immer wieder Funken des Wahnsinns glommen. Ihre Hand umklammerte den Zauberstab, als müsste sie sich beherrschen, ihn nicht erneut gegen Harry zu richten. Wurmschwanz stand zusammengeduckt neben Snape und betrachtete seine Schuhe.

„Da musst du Amycus fragen.“, antwortete Snape. „Er und Alecto sind so eben von einem Treffen mit ihm zurückgekehrt. Wurmschwanz kann so lange auf Potter aufpassen.“

Ich? “, quiekte der unscheinbare Zauberer erschrocken. „A-a-aber…“

„Was?“, fragte Snape scharf. „Du wirst ja wohl einen minderjährigen Zauberer bewachen können, der noch nicht einmal einen Zauberstab besitzt.“

Wurmschwanz war offensichtlich äußerst unglücklich über diese Aufgabe, wagte es aber nicht zu widersprechen. Snape und die beiden anderen Todesser verließen den Raum.

Wie Harry jetzt bemerkte, befand er sich anscheinend in einem Keller. Die Wände waren aus grob behauenem Stein, es roch nach Staub und die Luft war kalt und abgestanden.

„Ha-hallo Harry!“, stammelte Wurmschwanz und wand sich nervös hin und her. Seine wässrigen Augen tasteten die Wände nach möglichen Fluchtwegen ab.

„Ratte!“, war alles, was Harry hervorbrachte.

Wurmschwanz lächelte gezwungen und begann, mit der linken Hand immer wieder über die rechte zu streichen, die ganz aus Silber zu bestehen schien. Voldemort hatte sie ihm gezaubert, nachdem Wurmschwanz seine richtige Hand geopfert hatte, um ihn wieder zum Leben zu erwecken.

„Möchtest du vielleicht etwas trinken?“, versuchte Wurmschwanz das Gespräch aufrecht zu erhalten. „Ich könnte dir etwas holen.“

Harry hatte tatsächlich Durst. Trotzdem schüttelte er trotzig den Kopf.

„Oder hast du Hunger?“, sagte Wurmschwanz eifrig. „Du musst nur sagen was, ich werde es dir besorgen.“

„Nein, danke.“, knurrte Harry. „Ich hatte bereits ganz wunderbare Kekse. Die waren wirklich umwerfend.“

Wurmschwanz stutzte, dann brach er in hysterisches Lachen aus. Als er sich ein wenig beruhigt hatte, wischte er sich die Tränen aus den Augen.

„Du hast wirklich den Humor deines Vaters geerbt.“

Harry schwieg. Er wollte sich nicht unterhalten. Sein Kopf dröhnte immer noch und ihm war schwindelig.

„Weißt du, ich hab das wirklich nicht gewollt.“, flüsterte Wurmschwanz mit einem Mal. Unwillkürlich sah Harry auf. Der Zauberer stand zusammen gekrümmt da, den Blick starr auf den Fußboden gerichtet.

„Ich…ich hab nicht gewusst, was er vorhatte.“, fuhr Wurmschwanz fort. „Ich hab gedacht, er würde ihnen ein paar Geheimnisse abpressen und sie dann wieder laufen lassen Ich hab nicht gewusst, dass er sie umbringen wollte. Ich hatte Angst…“

Mit ein paar schnellen Schritten war Wurmschwanz bei Harrys Stuhl angelangt und sank vor ihm auf die Knie.

„Du musst mir glauben.“, flehte er. „Ich hab es nicht gewusst.“

Harry wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Wurmschwanz roch unangenehm, seine Nähe bereitete Harry Übelkeit. Er schloss die Augen und konzentrierte sich darauf, gleichmäßig zu atmen. Endlich wich Wurmschwanz von ihm zurück.

„Du bist wütend auf mich.“, stellte er zaghaft fest. „Bist du doch, oder?“

„Ich…“, begann Harry und stockte dann.

Nein, wütend war er nicht. Er verachtete Wurmschwanz zutiefst und wenn es nach ihm gegangen wäre, säße der Mann bereits seit Jahren in Askaban um endlich die Strafe abzusitzen, für das Verbrechen, dass er damals an Harrys Eltern begangen und dann Sirius angehängt hatte. Harry musste unwillkürlich grinsen, als ihm klar wurde, dass er nicht ganz so wehrlos war, wie die Todesser angenommen hatten. Er hatte immer noch einen sehr mächtigen Verbündeten.

Wurmschwanz war die Veränderung an Harry nicht entgangen.

„Was ist so lustig?“, fragte er ängstlich.

„Das würde mich allerdings auch interessieren.“, sagte eine hohe Stimme und Harrys Magen gefror zu einem Eisklumpen. Die Narbe auf seiner Stirn begann zu prickeln und die Kopfschmerzen wurden so heftig, dass Harry fürchtete, sein Kopf müsse gleich in tausend Stücke platzen.

„Harry!“ Voldemorts Stimme war beschwingt, fast heiter, so als würde er einen alten Freund treffen. „Wie schön, dich wieder zu sehen. Ich fürchtete schon, du würdest meiner Einladung nicht Folge leisten.“

„Ihrer Einladung?“ Harry hob trotz der Schmerzen den Kopf und sah Voldemort gerade heraus an. „Also war das Ganze ein abgekartetes Spiel.“

„Wenn du es so nennen willst.“, antwortete Voldemort und verzog sein schlangenähnliches Gesicht zu einem spöttischen Lächeln. „Ich würde zwar den Ausdruck ´genialer Plan´ bevorzugen, aber ich verstehe natürlich deine Sichtweise der Dinge. Aber sei es, wie es ist. Du bist nun hier und das allein zählt.“

Mit diesen Worten drehte er sich zu den hinter ihm in den Raum getretenen Todessern um. Darunter waren Snape, Narzissa und ihre Schwester Bellatrix sowie ein Mann und eine Frau, die Harry nicht kannte. Wie es aussah, waren die beiden Geschwister.

Die stämmige, kleine Frau trat einen Schritt vor und musterte Harry belustigt.

„Das ist er also, der große Harry Potter.“, spottete sie. „Reife Leistung, Narzissa, so eine halbe Portion einzufangen.“

Voldemort richtete ohne Vorwarnung den Zauberstab auf sie. „Crucio! “ Die Frau wand sich und schrie. Als der Fluch wieder von ihr genommen wurde, musste ihr Bruder sie stützen.

„Du vergisst dich, Alecto.“, sagte Voldemort sanft. „Wir wollen doch nicht übersehen, welche Opfer die gute Narzissa auf sich genommen hat, um mir endlich zu dieser Zusammenkunft zu verhelfen. Ein schwächlicher Ausgleich für die Fehler ihres Mannes, wie ich sagen muss.“

Narzissa Malfoy schlug die Augen nieder.

„Herr, ich habe mein Bestes gegeben.“, hauchte sie. „Und sogar mein Sohn Draco ist unglücklicherweise in diese Sache verwickelt worden. Ich wollte Euch bitten…“

„Später!“, winkte Voldemort ab. „Wir haben Vorbereitungen zu treffen. Ihr wisst, was zu tun ist.“

Voldemort wollte den Raum schon verlassen, als Narzissa sich ihm zu Füßen warf.

„Herr!“, rief sie verzweifelt. „Ich bitte euch. Er wacht einfach nicht wieder auf.“

Voldemort blickte auf die blonde Frau hinab, die nun mit Tränen in den Augen zu ihm aufsah. Keinerlei menschliche Regung war auf dem ausgemergelten Gesicht mit den schrecklichen, roten Augen zu erkennen. Im fahlen Licht des Kellers wirkte es wie eine Totenmaske.

„Wenn ich sprechen dürfte, Herr.“, mischte sich nun Snape ein. Voldemort bedeutete ihm mit einer Geste fortzufahren.

„Ich habe mir den jungen Draco angesehen. Leider kann ich nicht viel für ihn tun. Er scheint unter einer Art Bann zu stehen, die ich mit meinen bescheidenen Künsten nicht brechen kann.“

„Bescheiden. Hört, hört.“, sinnierte Voldemort. „Der liebe Severus war schon immer ein Meister des Understatements. Nur frage ich mich, wie wohl ein solche starker Bann gesprochen werden konnte.“

„Er war es!“, zischte Narzissa wütend und wies mit dem ausgestreckten Finger auf Harry. „Dieser Bastard hat meinen Sohn verhext.“ Plötzlich konnte Harry fast so etwas wie eine Familienähnlichkeit mit Bellatrix erkennen.

Voldemorts Schlangengesicht verzog sich zu einem Stirnrunzeln.

„Nun gut.“, sagte er schließlich, nachdem er Harry eine Weile gemustert hatte. „Ich werde ausnahmsweise einmal Gnade vor Recht ergehen lassen und mir diese Zauberei ansehen.“

„Soll ich ihn dafür bestrafen, Herr?“, fragte Bellatrix, die Augen begierig auf Harry gerichtet.

„Nein.“, sagte Voldemort schleppend. „Ich denke, diese Vergnügen werden wir zu gegebener Stunde deiner Schwester überlassen, werte Bella. Doch bis dahin, wollen wir doch sicher gehen, dass uns unser Gast nicht etwa verloren geht. Soporus!

Harry spürte noch, wie seine Augen zufielen, dann versank er in tiefem Schlaf.
 


 

Als Harry das nächste Mal erwachte, befand er sich wieder in dem Salon, in dem ihm Mrs. Malfoy den Tee und die präparierten Plätzchen serviert hatte. Allerdings waren die Fenster allesamt mit dunklen Tüchern verhängt worden. Die Sitzgarnitur war ebenso wie der Rest der Möbel verschwunden und an ihrer Stelle stand nun ein klobiger Stuhl mit einer hohen Lehne. Voldemort hatte sich auf diesem „Thron“ niedergelassen, während seine Todesser einen gleichmäßigen Kreis um ihn und Harry bildeten. Der saß immer noch gefesselt auf seinem Stuhl und konnte sich nicht rühren.

„Wie es aussieht, hat unser Gast ausgeschlafen.“, stellte Voldemort fest. „Nun, dann können wir ja anfangen.“

Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und das leise Geflüster, das bis dahin noch vereinzelt zwischen den zahlreichen Kutten hin und her gewandert war, verstummte.

„Todesser“, begann Voldemort daraufhin zu sprechen. „Wir haben uns heute hier versammelt, um ein Ereignis zu begehen, auf das wir alle schon lange gewartet haben. Harry Potter hat erneut um unsere Gastfreundschaft ersucht und wir haben sie ihm selbstverständlich gewährt.“

Beifälliges Lachen erklang aus dem Kreis.

„Doch wie es der Zufall will, kam er nicht allein. Er brachte noch einen Freund mit sich. Einen Freund, den wir nun alle begrüßen wollen. Draco!“

Der Kreis der Todesser teilte sich und ein blasser, noch etwas schwächlich wirkender Draco Malfoy trat zwischen ihnen hindurch. Auch er trug eine Robe, allerdings war sie von dunkelroter Farbe, was ihn noch blasser erscheinen ließ. Er trat vor Voldemort, kniete sich vor ihn hin und küsste den Rand seines Umhangs. Dann stellte er sich mit gesenktem Haupt neben ihn.

Voldemort, der das Ganze mit Gleichmut verfolgt hatte, nickte kurz in Dracos Richtung, dann fuhr er fort:

„Wie ihr alle sehen könnt, trägt der jüngste Spross der Familie Malfoy die Roben des Anwärters. Und in der Tat habe ich dem Antrag seines Vaters über seine Aufnahme mein Ohr geliehen, auch wenn der Zeitpunkt alles andere als üblich ist. In Zeiten wie diesen können wir nicht jedes Mal bis zur Beltane warten, um die Neuen in unsere Reihen aufzunehmen.“

Zustimmendes Gemurmel drang aus den meisten Kutten.

„Doch“, ließ Voldemort die Stimmen wieder verstummen, „werden wir auch diese Mal das traditionelle Aufnahme-Ritual vollziehen. Und ich darf sagen, Draco, das dir dabei eine wirklich große Ehre zuteil werden wird. Dein Opfer wird niemand anderes sein als unser Gast, Harry Potter.
 

Alle Augen inklusive der von Voldemort und Draco Malfoy richteten sich auf Harry. Draco Malfoy machte einen Schritt auf Harry zu. Dann noch einen. Dann stand er so nahe, dass Harry hätte nach ihm greifen können, wenn ihn die Fesseln nicht daran gehindert hätten.

„Endlich“, flüsterte Malfoy und seine grauen Augen glitzerten triumphierend. „Endlich habe ich dich da, wo ich dich schon immer haben wollte, Potter. Vor mir im Dreck liegend und um Gnade winselnd.“

„Ich winsele nicht.“, stellte Harry fest. „Und ich werde es auch nicht tun.“

„Oh doch, das wirst du.“, fauchte Malfoy. „Crucio!

Der Schmerz war nicht so schlimm wie bei Bellatrix Lestrange oder gar bei Voldemort. Trotzdem trieb er Harry die Tränen in die Augen und brachte sein Blut zum Kochen. Keuchend hing er in seinen Fesseln als Malfoy den Zauberstab wieder sinken ließ.

„Das wirst du bereuen, Malfoy.“, zischte Harry leise.

„Oh nein.“, entgegnete Malfoy und sein spitzes Gesicht verzog sich zu einem widerwärtigen Grinsen. „Der Einzige, der hier etwas bereuen wirst, bist du. Ich freue mich schon auf die dummen Gesichter deiner Freunde und besonders von Granger, diesem dreckigen Schlammblut.“

„Nenn sie nicht so!“, sagte Harry mit bebender Stimme. „Wenn du sie…Moment mal!“

Malfoys Grinsen wurde noch breiter. „Ja?“

„Wir hatten eine Abmachung, Malfoy.“, knurrte Harry wütend. „Und du hast einen Trank darauf getrunken. War das etwa alles gelogen? War deine Übersetzung etwa auch falsch?“

Bebend erwartete Harry eine Antwort. Das durfte einfach nicht sein.

„Natürlich nicht.“, antwortete Malfoy hochnäsig. „Auch wenn ich zugeben muss, dass der Trank nicht wirklich so funktioniert hat, wie er sollte. Professor Snape war leider nicht bereit, mir noch einmal Zutritt zu seinen Vorräten zu gewähren.“
 

Bei der Nennung des Namens sah sich Harry unwillkürlich um. Die schwarz gekleideten Todesser verfolgten immer noch völlig regungslos, was sich zwischen ihnen abspielte. Offensichtlich war es Teil dieses Rituals, dass sich niemand einmischte.

„Du brauchst nicht nach ihm zu suchen, er ist nicht hier.“, höhnte Malfoy, der Harrys Gedanken wohl erraten haben musste. „In diesem Moment ist Professor Snape in Hogwarts damit beschäftigt, deine und meine Abwesenheit zu vertuschen. Wir wollen doch nicht, dass der alte Dumbledore sich Sorgen um seinen Lieblingsschüler macht.“

„Also war das alles von Anfang an geplant.“, murmelte Harry. Enttäuschung machte sich in ihm breit. Enttäuschung und Wut.

„Oh nein.“ Malfoy ließ ein abfälliges Lachen hören. „Nicht alles. Du warst so nett, uns ziemlich viele Bälle zuzuspielen, Potter. Meine Mutter sagte, es war geradezu erbärmlich, wie du dich ihr mit deinen lächerlichen, kleinen Problemen an den Hals geworfen hast. Schade, dass ich nicht früher davon wusste. Ich hätte ihr bestimmt noch den einen oder anderen guten Tipp geben können.“

In Harry kochte es. Er warf sich gegen die Fesseln, versuchte seine Hände freizubekommen, damit er Malfoy damit irgendwie Schmerzen zufügen konnte, doch die Stricke hielten.

„Rede nicht so viel Draco.“, erschallte da eine Stimme aus dem Kreis. Wenn Harry sich nicht allzu sehr täuschte, war es die von Bellatrix.

Malfoy deutete eine Verbeugung in Richtung der Stimme an. „Es wird mir ein Vergnügen sein. Crucio!

Harrys Haut brannte lichterloh, seine Eingeweide schienen aus lebendigem Feuer zu bestehen; rote Schlieren bildeten sich vor seinen Augen und er hatte das Gefühl, das ihm jeder Zehennagel einzeln ausgerissen wurde. Keuchend hing er danach in seinen Fesseln.
 

Voldemort applaudierte mäßig.

„Wie ich sehe, hat unser junger Draco eine Menge von seiner Tante gelernt über den Sommer. Doch nun wollen wir doch einmal sehen, wie es aussieht, wenn sein Opfer nicht mehr ganz so wehrlos ist.“

Ein Schnippen mit seinem Zauberstab ließ die Seile um Harrys Körper im Nichts verschwinden. Dadurch nicht mehr an seinem Sitz gehalten kippte Harry vom Stuhl und kam vor Malfoys Füßen zu liegen. Mühsam stemmte er sich wieder hoch und kroch ein Stück von dem Thron und seinem Peiniger weg. Die lange Zeit, die er gefesselt gewesen war (er schätzte, dass es inzwischen bereits dunkel war), hatte seine Glieder steif werden lassen.

Crucio!

Malfoy gönnte Harry keine Pause und wieder schossen die infernalischen Schmerzen durch seinen Körper und ließen ihn krampfen. Stöhnend blieb er nach der Tortur auf dem Rücken liegen. Wenn er sich doch nur irgendwie hätte verteidigen können. Verzweifelt rief er in Gedanken nach Sirius.

Die Präsenz, so willkommen sie Harry war, ließ ihn zusammenzucken. Es war, als hätte jemand einen Eimer mit Eiswasser über ihm ausgeleert. Magensäure und Galle stieg seine Speiseröhre empor. Er musste ein paar Mal schlucken, um sich nicht zu übergeben. Dann stand er langsam auf. Sirius befand sich jetzt genau hinter ihm.

Malfoy sah Harry völlig entgeistert an. Sein Blick wanderte suchend über die Reihe dunkler Kutten, als würde er sich von dort Hilfe erwarten. Dann packte er seinen Zauberstab fester und richtete ihn auf Harry.

„Av…“

Expelliarmus! “, bellte Harry und Malfoys Zauberstab wirbelte durch die Luft und kam vor Harrys Füßen zu liegen. Eilig griff er danach und richtete ihn nun seinerseits auf den Jungen vor sich.

„A-a-aber er hat doch gar keinen…“, stammelte Malfoy fassungslos. Vor Schreck machte er ein paar Schritte rückwärts, verhaspelte sich in der langen, roten Kutte und stolperte. Rückwärts kroch er schließlich so weit, wie der Kreis aus Todessern es zuließ.

„Wie es aussieht, hat das Blatt sich gewendet.“, diagnostizierte Voldemort ganz offensichtlich amüsiert.

Ein erschrecktes Keuchen ertönte jetzt von einem der Todesser. Sein Nachbar hielt ihn jedoch am Arm fest, bevor er sich in den Kampf einmischen konnte. Durch die Masken konnte Harry nur vermuten, dass es sich dabei um die Malfoys handelte. Auf jeden Fall war der erste Todesser schmaler gebaut und das Schluchzen, das jetzt aus seiner Kutte drang, klang eindeutig nach einer Frau.

„Töte ihn!“, flüsterte Voldemort und Harry musste hart dagegen ankämpfen, der Aufforderung nicht nachzugehen. Entschieden kämpfte er den Andrang des versteckten Imperius nieder, der hinter diesem Befehl stand und sah Voldemort gerade heraus an.

„Nein.“, sagte er schlicht. „Ich weiß, wer mein wahrer Gegner ist.“

„Große Worte, Potter.“, fauchte Voldemort. „Wir werden sehen, ob du ihnen auch Taten folgen lassen kannst.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Von:  DisorientedDarcy
2010-11-30T15:17:06+00:00 30.11.2010 16:17
wie?wo?was?
ich hab schon so viele fics gelesen wo narzissa nett ist das ich DAS nicht erwartet hab :)
Von: abgemeldet
2006-05-01T21:11:51+00:00 01.05.2006 23:11
Ich muss sagen, du faszinierst mich... Ehrlich.
Das Kapitel hat einen unglaublichen Romancharakter, etwas Düsteres und E.A.Poe-iges, das ich hier auf dem Mexx so noch nie gelesen habe.
Gerade in diesem kapitel war das so deutlich...
Da ich Dark einfach nicht schreiben kann, bewundere ich diese Ernsthaftigkeit und Dunkelheit in der FF... die eigentlich schon viel zu gut ist für das Prädikat.

Ich habe dir ja mal gesagt, dass ich dich besser finde als die Originalautorin selbst, zumindest so weit ich das nach den ersten 2 Bänden sagen kann.

Ich bereue schon, dass ich den Rest nicht gelesen habe, so kann ich gar nicht wirklich mitfiebern, weil mir alle Namen so fremd sind...
Und ich weiß auch nicht, in wie weit die Krankheits-Süßigkeiten (Fieber-Fondant mit "e", btw. ^^) deine oder ihre Erfindung sind.

Jedenfalls atmet jedes Kapitel von dir eine fast Viktorianische Dunkelheit und "Verstaubtheit" (all die dunklen Gemächer in der Schule, die Teesalons und die "Folterszene")...

Und über den Schreibsil müssen wir uns nicht unterhalten.
Die letzten beiden Romane, die ich gelesen habe, waren nicht so gut wie deine FF.

Zum Inhalt:
Ist Narzissa halt doch eine echte Malfoy. ^^
Ich bin sowas von gespannt, wie Harry mit dem "Sirius-Upgrade" gegen Voldemort antritt... und wie sich alles auflöst...

Wirklich tolles Kapitel einer Ausnahme-FF.

*Schleimspur aufwisch*
RH
Von:  JamieBlack
2006-04-30T16:38:58+00:00 30.04.2006 18:38
Oh weia...
Hab ich also richtig gelegen das Zissa falsch spielt. Harry hätte ihr nich einfach so blindlinks vertrauen soll! Die Kekse...Nya Das war halt typisch Slitherin immer feige von hinten angreifen!
Armer Dray ob er jetzt ne Strafe dafür kriegt, das er Harry versehentlich den Zauberstab überlassen hat?
Bin schon ma gespannt wies weitergeht...
Jay
Von:  Yakuen
2006-04-28T15:47:49+00:00 28.04.2006 17:47
Mehr! Bis jetzt hatte ich wirklich gedacht, das Mrs. Malfoy Harry helfen wollte, aber so kann man sich täuschen.
Gott, bin ich gespannt wie deine FF weiter geht. Die ist so verdammt gut! Was Voldemort wohl davon hält, wenn er merkt das Harry irgendetwas auf seiner Seite hat.
Aber hat Snape Voldemort davon nichts gesagt? Schließlich hatte sich Harry ganz schön verändert.

bye und danke für die Ostergrüße ^^v
Von: abgemeldet
2006-04-26T20:04:18+00:00 26.04.2006 22:04
ich bin animiert ^^ ich finde die fic einfach nur klasse! aber das sich das blatt so wendet und mrs malfoy doch nicht nett ist hätte ich nicht gedacht! (ja ich habe wirklich gedacht das sie lieb ist ^^'')
Von:  Pheline
2006-04-23T17:52:42+00:00 23.04.2006 19:52
Endlich das neue Kapitel! Es hat wieder viel Spaß gemacht, es zu lesen!
Von: abgemeldet
2006-04-23T13:36:10+00:00 23.04.2006 15:36
war irgendwo absehbar mit den keksen..harry ist merklich naiv, aber man sollte ihn wirklich nicht unterschätzen..v.a. nicht seine liebe zu sirius


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