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Liebe, Leid und Leben

Mamorus Jugend
von

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Mamoru setzte sich an seinen Schreibtisch und legte das Buch darauf. In großer Schrift stand "Tagebuch" auf dem Buchdeckel. Mamoru steckte den kleinen Schlüssel in das Schloss, öffnete es, und schlug das kleine Buch auf. Er musste einige Seiten blättern, bis er zur nächsten leeren Seite gelangte. Eigentlich war es gar kein richtiges Tagebuch im herkömmlichen Sinne, mehr eine Art "Gelegenheitsbuch". Er brachte es nicht fertig, regelmäßig hinein zu schreiben. Das tat er nur, wenn ihm danach war. Und ihm war danach.

Er kaute auf seinem Kugelschreiber herum und resümierte im Geiste seinen Tag. Womit sollte er anfangen? Mit ihr? Hikari war morgens sein erster Gedanke, und abends sein letzter. Mit der Schule? Er war sich nicht sicher, ob er wirklich in späteren Zeiten das "Tage-"Buch aufschlagen und lesen wollte, wie er von Chikara zur Schnecke gemacht wurde. Sollte er mit Motoki anfangen? Er seufzte schwer, als er sich die leeren Seiten besah, die vor ihm lagen. Er entschied sich dazu, chronologisch vorzugehen.

<Liebes Tagebuch>

Wie einfallsreich!

<Heute...> Hunderttausend Gedanken flogen ihm wild durch den Kopf. Er musste tief einatmen, bevor er weitermachen konnte.

<...hatte ich die übergroße Ehre, Hikaris Stifte aufsammeln zu dürfen. Sie ist so wunderschön!>

Mamoru wurde wieder rot und lächelte bei diesem Gedanken in sich hinein.

<Doch der Ärger mit Chikara war praktisch vorprogrammiert. Er hat sich vor ihr groß aufgespielt und mir gedroht. Wie werde ich diesen Mistkerl wieder los?

Er hat vielleicht die größeren Muskeln, aber ich bin mir sicher, Hikaris Herz wird bald mir gehören.>

Mamoru hielt inne. Stimmte das wirklich?

<Vielleicht>, fügte er kläglich hinten dran. Er machte einen Absatz und fuhr fort:

<Von diesem Vorfall abgesehen, war der Tag eigentlich relativ in Ordnung. Relativ. Motoki und ich...>

Wie drückt man so was aus? Anfangs war es schön gewesen, doch diese positiven Gefühle waren seitdem verflogen. Stattdessen machten sich immer wieder Verwirrung und Unsicherheit breit.

<...hatten eigentlich einen schönen Nachmittag. Er hat mir geholfen, ein wenig aufzuräumen.>

Ein wenig? Ein wenig viel sogar.

<Aber dann... ich weiß selbst nicht genau, was passiert ist. Motoki hat mit Ôkami-haha gespielt. Er hat nur Blödsinn gemacht, wie immer. Hat sich über mich lustig gemacht. Aber was erwarte ich eigentlich? So ist er eben. Ein gefühlsloser, eingebildeter... Nein. Eigentlich mag ich ihn.>

Mamoru versuchte, sich seiner Gefühle klar zu werden. Was hatte Motoki heute zu ihm gesagt? "Du erreichst gar nichts, wenn Du nicht zu Deinen Gefühlen stehst. Du musst Dir selbst gegenüber ehrlich sein!"

<Ich muss lernen, respektvoller mit Kritik umzugehen. Motoki meinte es nur gut mit mir. Er wollte mir nur helfen. Ich werde in Zukunft noch viel härtere Kritik über mich ergehen lassen müssen. Und Motoki könnte mir helfen, es zu lernen!>

Diese Erkenntnis traf ihn wie ein Blitzschlag. Tiefe Reue überkam Mamoru. Er hätte nicht reagieren dürfen wie eine beleidigte Leberwurst!

"Es tut mir so Leid, Motoki. Verzeih mir", flüsterte er vor sich hin.

<Ich bin im Begriff, meinen besten Freund zu verlieren. Das darf ich auf gar keinen Fall zulassen! Ich muss morgen unbedingt mit ihm reden.>

Er blickte traurig sein Bett an, wo er gerade noch mit seiner Tante gesessen hatte. Nach einem weiteren Absatz schrieb er:

<Mein Leben ist ein einziges hin- und her geworden. Im ersten Augenblick könnte man nicht in meine Nähe kommen, ohne gebissen zu werden; im nächsten Moment bin ich das kleine, süße Kuscheltier. Tante Kioku hat mir erklärt, das läge nur an den Hormonen. Kann das sein? Solche Gefühlsschwankungen wegen den paar Zellen, die in mir rumschwimmen? Es heißt, im Mittelalter nannte man die Hormone "die schwarze Flüssigkeit", weil man wusste, dass da irgendwas im Körper war, das in der Lage war, einen Menschen grundlegend zu verändern, aber man konnte ohne Mikroskope noch nichts Genaueres feststellen. So wurde die "schwarze Flüssigkeit" erfunden, weil schwarz die Farbe der Angst und des Unbekannten ist. So unrecht hatten die Leute damals nicht! Es ist ein echtes Teufelsgebräu!>

Mamoru streckte sich und musste gähnen. Es war schon spät am Abend. Er fragte sich gerade, warum sein Onkel Seigi noch nicht von der Arbeit zurück war. Er machte wieder einen neuen Absatz:

<Es ist so kompliziert, erwachsen zu werden. Ich habe das Gefühl, dass mir Tante Kioku nicht weiterhelfen kann. Sie hatte als Mädchen eine andere Art von Pubertät. Ich denke, ich werde mich stattdessen mal mit Onkel Seigi zusammensetzen müssen. Hoffentlich kann er mir einige Fragen beantworten! Gute Nacht, liebes Tagebuch! Dein Mamoru>

Er machte das Buch zu und verriegelte es wieder mit dem kleinen Schloss bevor er es zurück in das Regal stellte. Der Sicherheit halber. Ihm war zwar bewusst, dass weder sein Onkel noch seine Tante jemals einen Blick in dieses Buch werfen würden. Aus Anstand und Respekt. Aber bei Motoki war er sich da nicht so sicher. Und Motoki war oft in diesem Zimmer.

Mamoru zog sich aus, hängte fein säuberlich seine Kleidung über den Stuhl und zog sich den Pyjama an. Darauf ging er ins Bad, um sich fürs Schlafengehen fertig zu machen.
 

Er klopfte an die Schlafzimmertür. "Tante Kioku?"

"Komm ruhig rein, Kurzer", tönte es dumpf von innen.

Mamoru öffnete die Tür und tapste Barfuss an das Bett seiner Tante. Diese legte ihr Buch beiseite und lächelte glücklich.

"Gutes Buch", sagte sie, "ich kann es Dir wirklich empfehlen. Wie auch immer, Du bist bestimmt nicht hier, um mir beim Lesen zuzusehen. Was hast Du auf dem Herzen, mein Junge?"

"Wann ist Onkel Seigi wieder da? Ich mache mir langsam Sorgen um ihn", antwortete Mamoru.

"Ich habe in seinem Büro angerufen", erklärte Kioku, "er ist schon losgefahren. Mach Dir keinen Kopf. Ich bin sicher, er steckt bloß im Stau."

"Meinst Du?" Mamoru ließ enttäuscht den Kopf hängen. "Wenn er wieder da ist, wird er bestimmt zu müde sein, um noch mit mir zu reden, oder?"

"Ich glaube schon", meinte Kioku. Sie hatte wieder dieses gütige Lächeln aufgesetzt. "Aber Du kannst Dich gerne mit mir unterhalten. Ich hab Zeit."

Mamoru schüttelte den Kopf. "Das geht nicht. Du weißt schon... Männersachen."

"Ah, ja." Kioku nickte verständnisvoll. "Das berühmte Gespräch von Mann zu ...Männchen. Nicht wahr?" Sie lächelte verschmitzt.

"Tante Kioku!"

"Schon gut, schon gut."

Mamoru stand unschlüssig in der Gegend herum. Er zupfte nervös an seinem Pyjama.

"Tante Kioku?", fragte er schließlich.

"Anwesend", antwortete diese.

"Wegen dem, was Du vorhin gesagt hast, ...dass ich irgendwas bin zwischen einem Kind und einem jungen Mann... wozu tendiere ich denn eher?"

Kioku zögerte mit der Antwort. Sie musste nun ehrlich sein ohne ihn zu sehr zu verletzen.

"Weißt Du, Kurzer", begann sie, "das ist schwer zu sagen. Du bist jetzt so groß, und dafür, dass Du so viel Schlechtes erlebt hast, hast Du Dich wacker geschlagen. Und darauf bin ich auch sehr stolz! Aber es fehlt noch etwas zum Erwachsenwerden. Und das ist die Fähigkeit, weise Entscheidungen treffen zu können. Du musst lernen, für die Zukunft zu planen. Du musst lernen, Pflichten zu erfüllen. Und Du musst lernen, selbstständig zu sein. Und damit meine ich nicht selbstständiges Verursachen von Unordnung, oder die Tatsache, dass Du Dir ne Pizza in den Backofen schieben kannst, wenn ich mal nicht daheim bin. Selbstständigkeit ist etwas, das man nur sehr schwer lernen kann. So was kommt von ganz alleine, mit der Erfahrung. Und diese Erfahrung vom Leben und von der großen, gefährlichen Welt dort draußen besitzt Du einfach noch nicht. Und es nützt nichts, wenn ich Dir nur von meinen Erfahrungen erzähle. Deine eigenen Erfahrungen musst Du selber machen, das kann Dir niemand abnehmen."

"Dann... dann bin ich also noch ein Kind, und kein Mann?", fragte Mamoru enttäuscht.

"Ich würde eher sagen: Du bist jetzt gerade weder das eine, noch das andere", sagte Kioku weise.

"Und was bin ich dann?"

Kioku breitete die Arme aus und Mamoru ging zu ihr, um sich herzen zu lassen.

"Mein Kurzer", seufzte Kioku, "Du bist mein Neffe, den ich über alles liebe. Und nichts anderes."

Mamoru fuhr seiner Tante über das lange, weiche, schwarze Haar. Es duftete wunderbar nach Rosen. Das war Kiokus Lieblingsshampoo. Er sog den angenehmen Geruch tief in sich ein. Er löste sich nach einer Weile aus ihren Armen und blickte tief in ihre gütigen blauen Augen, die an den Außenrändern der Iris einen leichten silbernen Schimmer hatten.

"Darf ich hier auf Onkel Seigi warten? Nur, wenn Du nichts dagegen hast", fragte Mamoru.

"Was sollte ich denn dagegen haben? Aber Du kommst unter die Decke, sonst erkältest Du Dich noch", meinte Kioku.

Mamoru nickte begeistert. Dann schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. "Ich bin gleich da", rief er, flitzte los, und kam einen Augenblick später wieder, mit Ôkami-haha im Arm. Er schloss die Tür hinter sich und kuschelte sich ins große Bett, den Stoffwolf als eine Art Kopfkissen unter sich.

"Ich bin vielleicht noch eher ein Kind als ein Erwachsener", sinnierte Mamoru, "aber dafür hat keiner sonst in meiner Klasse so einen süßen Wolf als Stofftier, hab ich Recht?"

"Wahrscheinlich", lachte Kioku.

Mamoru kuschelte sich an sie. "Ich werde doch bald erwachsen sein, oder?"

"Na, das hoffe ich doch", antwortete Kioku.

Es dauerte nicht lange, da hörte sie schon, dass Mamoru sehr ruhig und regelmäßig atmete. Sie fuhr ihm vorsichtig durch die schulterlangen Haare und löschte das Licht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Bunny_T
2005-02-23T12:47:15+00:00 23.02.2005 13:47
Tja, er steckt mitten in der Pupertät. Hast du gut beschrieben was in der Zeit so los ist *mehr will* Also, schnell weiter machen!
LG Bunny_T
Von: abgemeldet
2005-02-23T11:42:10+00:00 23.02.2005 12:42
Ja, ja die Pupertät. ^^
Irgendwie ist Mamoru ja süss, er ist doch eher noch ein Kind, mit seinem Stoffwolf. Hihi, hat mir gut gefallen dieses Kapitel. Ich bin mal neugierig, wie es weiter gehen wird!


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