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Liebe, Leid und Leben

Mamorus Jugend
von

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<Meine Fresse, wie kann es Anfang März nur immer noch so arschkalt sein?>, fragte sich Mamoru. Er fluchte leise vor sich hin und vergrub seine Fäuste noch etwas tiefer in den Jackentaschen. Er fror erbärmlich. Noch dazu war die Sonne erst vor kurzem untergegangen und schon sehr bald würde die Temperatur weiter fallen. Schon jetzt glaubte Mamoru, die Kälte sei wie eine Armee von Mehlwürmern durch sein Fleisch hindurch bis in seine Knochen gekrochen. Aber bis ins Café <Jugend Rockt> war es nicht mehr weit, vielleicht nur noch ein Fußmarsch von wenigen Minuten.

Der Wind spielte mit einem einzelnen Stückchen Papier herum, riss es in die Luft, ließ es wieder sinken und schleuderte es erneut gen Himmel, gerade noch bevor es den Boden hätte berühren können.

<So fühle ich mich auch>, stellte Mamoru fest. <So hin und her gerissen. Mal geht es auf, mal geht es ab, und dazwischen liegt nur das reinste Chaos. Ein Gefühlschaos. Ich weiß bald nicht mehr, wo mir der Kopf steht.>

Hikari war süß, so unendlich süß. So attraktiv. So wunderschön. Und vor allem so begehrt. Dieser komische Typ von heute Morgen...

Mamoru schüttelte den Kopf. Irgendwie verstand er sich selbst nicht mehr. Er konnte es auf den Tod nicht ausstehen, wenn man Schwächeren gegenüber grundlos brutal wurde. Und nun war er seinem eigenen Prinzip nicht mehr treu. Kämpfen hatte er nur zur Selbstverteidigung gelernt, und nicht zum Angriff. Das war eine der ersten Regeln gewesen, die er als Karatekämpfer hatte lernen müssen, und er hatte diese Regel mehr als alles andere im Herzen getragen.

Kampfkunst. Das Wort sagte es ja schon. Kämpfen war eine Kunst, und mehr als bloß sinnloses Gemetzel.

Vielleicht sah er das alles aber auch etwas zu hart? Es war im Grunde gar kein richtiger Kampf gewesen. Der Kerl hatte ja nicht mal einen Kratzer davongetragen.

Oder doch?

Selbst wenn! Was machte denn ein Kratzer?

Trotzdem war es nicht richtig...

Wieso war Mamoru überhaupt so aus der Haut gefahren? Hikari scherte sich nicht mal die Bohne um ihn! Was kümmerte es ihn also, wenn sie in der Klemme steckte?

...Aber sie hatte ihn so unendlich süß angelächelt, weil er ihr doch geholfen hatte...

Na und? Was bedeutete schon ein Lächeln?

...Selbst, wenn es ein so unendlich süßes Lächeln gewesen war...

Für einen kurzen Moment schloss Mamoru die Augen und träumte vor sich hin. Er erinnerte sich noch ganz genau an ihr vor Dankbarkeit blühendes Lächeln. An die tiefgrünen Augen, die ihn angefunkelt hatten, als strahlten sie durch ein zauberhaftes Licht von innen heraus. An die nachtschwarze Haarsträhne, die sie mit unbeschreiblichem Liebreiz aus dem perfekten Gesicht gestrichen hatte...

Völlig in Gedanken versunken lief er weiter. Bis seine Wanderung ins Reich der Träume ein jähes Ende fand. An einer Straßenlaterne.

"AU!!!"

Mamoru rieb sich knurrend die Stirn und schwor sich, in Zukunft nur noch mit offenen Augen zu träumen.

Liebe macht blind.

Quod erat demonstrandum.

Doch schon bald vergaß er den Schmerz in seiner Stirn und versank wieder in seinen Grübeleien. Denn entgegen aller Erwartungen hatte Chikara ihn an diesem Tage nicht umgebracht. Mamoru fühlte sich sogar ausgesprochen lebendig und gut gelaunt. Chikara war heute irgendwie ... seltsam gewesen. Anstatt Mamoru mit Beleidigungen und tausend Gemeinheiten zu überschütten, hatte er ihn völlig ignoriert. Dieses Ignorieren war nicht nur ein Akt des in-Ruhe-lassens gewesen, sondern mehr noch: Er hatte so getan, als sei Mamoru Luft, oder sogar noch weniger.

Mamoru konnte mit dieser Reaktion so ziemlich gar nichts anfangen. Vielleicht war es ja genau dieses Nichtstun, das so wahnsinnig bedrohlich wirkte, wie es wahrscheinlich keine andere Handlung getan hätte. Wenn der Blonde zumindest geknurrt oder irgendeine Drohung ausgesprochen hätte, wie er es sonst immer tat; dann wüsste Mamoru jetzt zumindest, wo er gerade dran war. Aber so...

Was mochte Chikara vorhaben?

Oder sinnte er gar nicht auf Rache? War er dankbar, dass Mamoru Hikari geholfen hatte? War er womöglich zu dem Gedanken gekommen, dass es sich nicht lohne, sich mit ihm anzulegen?

Oder hatte Hikari ihn vielleicht veranlasst, Mamoru nichts zu tun?

Fragen über Fragen...

Einige Minuten später erreichte er endlich das <Jugend Rockt>. Dumpf drang Musik durch die Luft, hier und da lagen einige Zigarettenstummel, der Parkplatz war rappelvoll mit Autos und der Wind war wieder um einige Grade kälter geworden. Etwas Abseits, verborgen im Halbdunkel, bewegten sich Schatten. Neugierig trat Mamoru ein Stück näher. Und schon bald konnte er nähere Details erkennen: Motoki stand da in der Düsternis, bei ihm eine etwas kleinere Person, wahrscheinlich ein Mädchen, beide eng aneinander geschmiegt und tuschelnd.

Mamoru schüttelte nur den Kopf. Motoki musste sich auch unbedingt an alles ranschmeißen, was nicht bei zweieinhalb auf den Bäumen saß. Umständlich räusperte sich Mamoru, und als keine Reaktion kam gab er lautere Pfeiftöne von sich. Ihm war kalt, und er wollte seinen Kumpel endlich dazu bringen, mit ihm ins Warme zu gehen. Mädchen hin oder her.

Ein resigniertes Seufzen ertönte. Noch mal kurzes Geflüster. Dann trat Motoki endlich aus der Dunkelheit heraus. Und hinter ihm erschien...

"Reika? Du hier?", machte Mamoru erstaunt.

Ihm blieb der Mund offen stehen, als er sie eingehend im schummrigen Licht der entfernten Straßenlaternen betrachtete.

Die langen, leicht gewellten Haare wurden von einem grünen Haarband zusammengehalten und flossen wie ein Wasserfall über ihre linke Schulter. Tropisch anmutende Plastikblumen in allen möglichen Farben waren hineingearbeitet. Als Oberteil trug sie ... nun ja, ziemlich wenig; man konnte es fast schon als einen Hauch von Nichts beschreiben. Vielleicht war es ursprünglich als ein Bikinioberteil gedacht gewesen. Zusammengehalten wurden die paar in Blau und Grün gehaltenen Stofffetzen nur von einigen Spaghettiträgern. Um die Hüfte hatte Reika einen Minirock gewickelt. Oder fiel das jetzt schon unter die Bezeichnung "Mikrorock"? Oder vielleicht einfach nur "breiter Gürtel"? Jedenfalls war er sehr knapp bemessen. Drum herum war eine Art Tuch gebunden, das nur aus aneinander gestickten Perlen und Pailletten bestand, sehr durchsichtig also.

Alles in allem ein sehr gewagtes Outfit.

Alles, was sie vorm Erfrieren schützte, waren Motokis Hände, die vor Mamorus Erscheinen unablässig über ihren schlanken Körper gefahren waren, und ein sehr langer, dicker, roter Mantel.

Aufgrund der eisigen Kälte vermutete Mamoru, dass der Mantel vor Motokis Auftauchen wahrscheinlich noch zu gewesen war...

Motoki musste ihm den vor Staunen offen stehenden Mund schließen. Dann lächelte er stolz und gab Reika einen liebevollen Kuss.

Mamoru fühlte sich wie vom Zug gerammt. Es war einfach nicht fair. Sein bester Freund schleppte eine Schönheit nach der anderen ab, während er selber schon sein Leben lang leer ausging. Und Reika war an diesem Abend irgendwie ganz besonders attraktiv; viel mehr noch, als beim letzten Mal, als Mamoru auf sie getroffen war. Sie wirkte ... interessant und auf unbeschreibliche Weise wahnsinnig anziehend.

"Nun hör doch endlich auf, so zu glotzen", lachte Motoki und unterbrach damit Mamorus Erkundungstour.

"Reika", stammelte Mamoru verlegen, "ist Dir nicht ... wahnsinnig kalt?"

Reika kicherte leise. "Du hast anscheinend keine Ahnung, was heute für ein Tag ist, oder?"

Mamoru schüttelte den Kopf.

"Heute Nacht steigt hier im <Jugend Rockt> eine große Party. Die Leute wollen den Sommer praktisch herbeitanzen. Es gibt Fruchtcocktails, die so ein Hawaii-Feeling herbeirufen, die Musik ist auch sehr tropisch gehalten, die ganze Dekoration ist auf den Sommer eingerichtet. Und wer in Sommersachen herkommt, der zahlt nur die Hälfte für seine Getränke."

Mamoru nickte verstehend. Er war so sehr mit Staunen beschäftigt, dass ihm das verbale Artikulieren sehr schwer fiel.

Reika stupste Motoki in die Seite und nörgelte:

"Das hab ich Dir aber gesagt, Motoki!"

Er hob die Hände als wolle er sich ergeben. "Ja, hast Du. Und ich hab es vergessen. Sonst hätte ich Mamoru auch in Kenntnis gesetzt. Macht mir furchterbar Leid tu. Können wir jetzt reingehen? Du frierst Dir ja sonst noch nen Wolf."

Mamoru staunte nicht schlecht, als er hinter Motoki und Reika in das Café trat. Von den Wänden hingen Lianen mit riesigen Blumen aller Farben. Die Bühne war mit viel Grünzeug geschmückt worden und im Hintergrund prangte eine Leinwand, die einen wunderschönen Palmstrand zeigte. Einige junge Männer in schreiend bunten Hemden saßen dort und spielten Trommeln, Okarina und gitarrenartige Instrumente. Mit viel Bambus und Stroh verwandelte man die Bar in eine Hütte. Vielleicht die Hälfte der Anwesenden war ähnlich wie Reika gekleidet: mit kurzen und dünnen Sachen. Und wiederum davon die Hälfte, so rechnete Mamoru, würde im Laufe der nächsten Woche bestimmt einen Infekt an der Blase, eine heftige Grippe oder eine Nierenbeckenentzündung davontragen, so kalt wie es draußen war.

Die Drei fanden schon bald den Tisch, wo ihre Freunde schon saßen und eifrig miteinander redeten. Shôgai, Suiren und Odayaka waren da, aber auch noch einige andere aus der Klasse.

"Was ist denn das für ein Zeug?", fragte Motoki und warf einen neugierigen Blick in Shôgais Glas.

Dieser grinste breit. "Das weiß ich auch nich so genau. Schmeckt aber total klasse. Probier mal!"

Er stupste das Glas etwas an. Nach einem winzigen Schluck knallte Motoki es wieder auf den Tisch und hustete umständlich. Er gab seltsame, schmatzende Laute von sich. "Is das Alkohol?", fragte er entsetzt.

Shôgai grinste noch etwas breiter. Er drehte sich halb um und wies auf einen jungen Erwachsenen, der einige Meter entfernt stand. "Siehste den da? Das is mein Vetter. Er is einundzwanzig oder so, und es machtem nix aus, wenner uns n bisschen Zeuch besorgt. Fragt en nur, der holt, was ihr ham wollt."

"Nimm's mir nicht krumm, Shôgai", mischte sich Mamoru mit skeptischem Blick ein, "aber ich glaub, Du hast schon schwer einen sitzen. Das ist echt nichts Gutes, besonders in Deinem Alter!"

"Mann, reg Dich ab", lallte Shôgai, "klingst ja schon wie meine Mami. Wen juckt's? Is ja eh nu Wochenende... Da hat doch keener wat gegn, wenn ich mal n bisschen einen becher, nich wahr?"

Er lachte kurz auf. Dann sah er Mamoru genauer an. "Machsu Dir etwa echt Sorgen um mich? Sach bloß, ich hab jetz Deine heile, kindliche Welt torpediert? Hälsu mich echt für so'n braves Bürschchen, dass Du mir keen so'n Spaß zutraust?"

"Das soll spaßig sein?", meinte Mamoru ungläubig. "Da hab ich so meine Zweifel."

"Probier's mal!", schlug darauf Odayaka vor. Zustimmendes Gejohle antwortete darauf.

"Nicht wirklich", brummelte Mamoru.

Shôgai griff erneut nach seinem Glas, setzte sich in Denkerpose und überlegte laut:

"Wie viele Gehirnzellen werden von einem Schluck von diesem Teufelszeug absterben?"

"Mehr, als Du Dir leisten kannst", antwortete Mamoru. Von lautem Applaus begleitet wandte er sich zu seinem Kumpel um. "Ich geh mir jetzt was bestellen. Motoki, was willst..."

Motoki war anderweitig beschäftigt. Mit Reika. Nähere Beschreibungen der Situation sind wohl überflüssig. Anscheinend hatte er auch vergessen, dass er eigentlich mit Mamoru etwas hatte besprechen wollen, doch das lag wohl schon zu weit in der Vergangenheit. Kopfschüttelnd verschwand Mamoru und besorgte sich seine Cola...
 

Der Abend verlief weiterhin sehr lustig. Für alle anderen. Zwar warf Mamoru auch dann und wann den einen oder anderen Kommentar in die Runde, aber irgendwie war es trotzdem nicht das gleiche wie sonst.

<Eigentlich sollte man um diesen Tisch einen Zaun errichten und vorne ein riesiges Schild aufhängen mit der Aufschrift "Geschlossene Gesellschaft der anonymen, jugendlichen Alkoholiker, die sich wahnsinnig toll vorkommen, obwohl sie es beim besten Willen nicht sind">, so fand zumindest Mamoru. Er nippte an seiner inzwischen dritten Cola und langweilte sich wie nie zuvor in seinem Leben. Wahrscheinlich hätte er aufstehen und gehen können, und niemand hätte es gemerkt. Niemand, außer mit großer Wahrscheinlichkeit die Leute, die zum Café gehörten, und denen Mamoru seine Colas noch nicht bezahlt hatte. Natürlich.

Zuerst hatte sich Mamoru zumindest noch wunderbar mit Suiren unterhalten können. Sie war eine wirklich liebe Person, dazu noch von hoher Intelligenz, und mit ihr konnte man über die außergewöhnlichsten Themen Gespräche führen. Von astrophysikalischer Theorie, über Thermodynamik und Philosophie, bis hin zu Parapsychologie. Aber seit sie mit den Worten "Gott, sieht der da gut aus!" in der Menge verschwunden war, kämpfte Mamoru wirklich damit, nicht einfach nur einzuschlafen.

Nun beschäftigte er sich damit, seine Kameraden mit wissenschaftlichem Interesse zu beobachten. Es war unvorstellbar, über welch hirnlose Sachen man doch lachen konnte, wenn der Alkoholspiegel im Blut nur hoch genug war. Aber zum andren war es furchtbar langweilig, nicht mitlachen zu können.

Irgendwann, scheinbar nach einer Ewigkeit, setzte sich Reika neben ihn. "Na, wie gefällt's Dir so?"

Er sah kurz an ihrer wunderschönen Erscheinung herunter, konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und antwortete leise: "Immer besser."

"Wie bitte?" Reika lehnte sich ihm etwas entgegen. Die Musik, die Gespräche und das zwischenzeitliche, laute Gegröle machten es unmöglich, ein Gespräch in normaler Lautstärke zu führen.

"Ganz gut gefällt's mir", log er dreist. "Wieso ist Mister Universum nicht bei Dir?"

"Motoki?", vergewisserte sich Reika. Sie wies mit ausgestrecktem Arm auf ihren Freund. Mamorus Blick folgte der Bewegung und er erkannte Motoki, wie er sich ausgelassen mit den anderen unterhielt. Dann fühlte er eine Berührung am Arm. Er blickte an sich herab und bemerkte, wie Reika ihm ein Glas gegen den Ellenbogen geschoben hatte, den er auf dem Tisch aufgestützt hatte. Besagtes Glas enthielt eine Flüssigkeit, die von unten nach oben alle Farben von Gelb bis Rot aufwies. Das Glas selbst war wirklich mit viel Liebe hergerichtet worden; mit einem Schirmchen und einigen Früchten, die am Rand befestigt waren.

Fragend blickte Mamoru Reika an. Sie lächelte zurück. Ihre Wangen hatten schon ein kräftiges Rot angenommen, wenn ihr Blick auch nicht annährend so verschleiert und trüb wirkte, wie bei den Kerlen. Trotzdem war ihr anzumerken, dass sie schon etwas mehr geschluckt hatte, als sie wirklich vertrug.

"Ist für Dich. Ist auch nicht zu hochprozentig. Nur ganz kleines bisschen. Komm, trink schon!", ermutigte sie ihn.

Er seufzte. So langsam hatte Mamoru es satt. Den ganzen Abend hatte er schon erklärt, dass er nicht einen einzigen Schluck haben wollte. All seine Klassenkameraden hatten ihre Gehirne allerdings auf <Kurzzeitgedächtnis> gestellt und ihn immer wieder zum Mitmachen aufgefordert. Allmählich reichte es ihm.

"Reika", stöhnte Mamoru resigniert. "Es hat doch keinen Sinn. Kannst Du denn nicht einsehen, dass ich einfach nicht will? Ich hab absolut keinen Bock darauf, mich total zuzuknallen, mich mit den anderen zum Affen zu machen und morgen mit nem riesen Kater aufzuwachen. Noch dazu wage ich stark zu bezweifeln, dass mir das Teufelszeug überhaupt schmeckt."

Reika dachte kurz nach. Dann strahlte sie über das ganze Gesicht. "Und wenn ich es Dir schmackhaft machen würde?"

"Was?", fragte Mamoru irritiert nach, "Wie bitte? Wie meinst Du das? Wie willst Du das denn schaffen?"

Als Antwort grinste ihn Reika neckisch an. Sie lutschte die Spitze ihres rechten Zeigefingers ab, stippte damit kurz in das Getränk und hielt ihm ihren Finger dann entgegen. "Komm, versuch mal", versuchte sie es erneut.

Er druckste etwas herum und warf einen prüfenden Blick auf Motoki. Dieser war viel zu sehr mit Reden beschäftigt.

"Ach, vergiss den doch mal; nur für einen Moment", meinte Reika. Ein Tropfen der Flüssigkeit rann langsam an ihrem Finger herunter. Ihrem schlanken, schönen Finger...

Mamoru schüttelte unmerklich den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben.

"Er ist mein bester Freund", erklärte er abwehrend. "Und er ist Dein Freund. Du weißt schon, wie ich das meine. Dein fester Freund. Das kannst Du ihm nicht antun! Und ich kann das genauso wenig."

"Was denn antun?", fragte Reika. Das sanfte Lächeln wich nicht von ihren Lippen. "Ist ja nicht so, als würde ich Dir vor versammelter Mannschaft die Hosen runterziehen, oder? Es ist nur ... nennen wir es ein Spiel!"

"Und wie heißt dieses Spiel? <Verführen wir Mamoru zum Alkohol>? Nein, danke." Beleidigt nahm er einen riesigen Schluck seiner Cola.

Noch immer lächelte Reika. Konnte man es vielleicht sogar als ein siegessicheres Lächeln betrachten? Sie stippte erneut den Finger in das Glas, führte ihn sich an den Mund und saugte lustvoll daran.

"Hmmm, schmeckt wirklich klasse!", schwärmte sie ihm vor. Er konnte nicht wiederstehen, ihr bei ihrem Tun zuzuschauen. Seine Wangen färbten sich leicht rosa und er musste heftig schlucken. Die Art und Weise, in der Reika sprach und sich bewegte war nur mit einem Wort zu beschreiben: atemberaubend!

Sie wirkte in dieser einen Sekunde ganz besonders begehrenswert und schön.

"Weißt Du", gestand sie ihm gerade und tauchte dabei die Fingerkuppe wieder in die Flüssigkeit ein, "dass ich Dich schon von Anfang an echt super gefunden hab?"

"Was? Wirklich?", fragte Mamoru erstaunt nach während er fasziniert auf ihren Finger starrte, der kreisende Bewegungen im Glas vollführte.

"Aber natürlich!", bestätigte sie. "Und mit Deiner neuen Frisur siehst Du sogar noch toller aus! So erwachsen und so ... so sexy..."

Sie nahm den Finger aus dem Glas und strich das Getränk vorsichtig auf Mamorus Lippen. Er erzitterte leicht unter dieser unendlich sanften Berührung. Genießerisch schloss er die Augen. Tastend fuhr seine Zungenspitze zuerst über seine angefeuchteten Lippen und dann über ihre Fingerkuppe, die immer noch leicht und sanft auf seinem Mund ruhte.

Reika kicherte vergnügt. "Na, schmeckt es Dir?"

"Unbeschreiblich", nuschelte Mamoru vor sich hin. Wie in einer Art Trance griff er behutsam nach ihrer Hand und hielt sie fest, um ihre Finger mit seinen Lippen zu erkunden. Es war ein eigenartiges, fremdes Gefühl; wenn auch alles andere als unangenehm.

"Und Du ... Du stehst wirklich auf mich?", fragte er, wobei er ihre Hand allerdings nicht losließ, sondern immer weiter mit seinen Lippen berührte. "Oder sagst Du das nur so, um mich dazu zu bringen, dieses Zeug zu schlucken?"

"Natürlich!", versicherte sie ihm. Mit der andren Hand fuhr sie vorsichtig an seiner Wange entlang nach oben, an seiner Schläfe vorbei, bis sie ihm durch das dichte, schwarze Haar strich. "Du bist so wahnsinnig cool und gutaussehend. Das sage ich wirklich nicht jedem!"

Immer mehr glitt sein Geist ab in eine wunderschöne Traumwelt, in der einfach nur alles in Ordnung war. Nur ein winziger Funke blieb in der kalten, harten Realität zurück. "Und was ist mit Motoki?"

"Hör auf, Dich immer nur um die Anderen zu kümmern! Lebe doch ein einziges Mal Dein eigenes Leben!", flüsterte Reika ihm zu. Sie nahm ihre Hand wieder aus seinen Haaren, griff zum Glas und reichte es ihm.

Er zögerte. Aber nur kurz. Als hätte Reika bloß mit ihren Augen einen Zauberbann um ihn gelegt, fiel alle Scheu gegenüber der unbekannten Flüssigkeit von ihm ab, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Er schnappte sich das Glas und nahm einen winzigen Schluck.

Er wusste selbst nicht genau, was er denn erwartet hatte. Aber als der Cocktail sanft seine Zunge umspielte, war er positiv überrascht. Es schmeckte fruchtig und süß; mehr so, als ob man verschiedene Säfte zusammengekippt hätte. Der scharfe Geschmack, den man dem Alkohol immer nachsagte, blieb aus.

"Wow", machte Mamoru überrascht und schaute Reika an, "das schmeckt klasse! Wirklich gut!"

Diesmal nahm er einen kräftigeren Schluck. Amüsiert beobachtete Reika ihn. "Siehst Du? War doch gar nicht so schlimm, oder? Die Leute, die hier arbeiten, sind fantastische Cocktailmischer. Die bekommen es so hin, dass man den Alkohol überhaupt nicht rausschmeckt. Wahre Meister ihres Faches!"

Mamoru nickte ihr bestätigend zu.

Schon bald setzte die Wirkung des Alkohols ein. Reika unterstützte den Prozess noch, indem sie immer mal wieder verschwand, um einen neuen Cocktail zu besorgen. So langsam wunderte sich Mamoru nicht mehr darüber, woher sie ihn denn besorgte. Vermutlich war Shôgais Vetter nicht ganz unschuldig daran. Aber wen stört's? Mamoru jedenfalls hatte schon bald knallrote Wangen und einen leicht verklärten Blick. Er, der an den Alkohol nicht gewöhnt war, spürte schon nach kürzester Zeit, wie sich eine angenehme Hitze in seinem Körper ausbreitete, wie die Welt in seinen Augenwinkeln verschwamm, wie eine ungewöhnliche Heiterkeit ihn packte. Und wie seine Hemmungen ihn allmählich verließen.

Außerdem bemerkte er, dass das Gleiche für Reika galt.

Sie hatte sich inzwischen längst auf seinen Schoß gesetzt, sodass ihr Rücken gegen seine Brust lehnte, weil es sich bei diesen lauten Hintergrundgeräuschen doch gleich viel besser reden ließ, wenn man nah bei einander war. Sie sprachen über dies und jenes.

Und schließlich über Hikari.

"Und Du liebst sie?", fragte Reika geradeheraus.

Mamoru grinste angeheitert. "Ja, schon."

"Und hast Du ihr das schon mal verklickert?"

Er dachte kurz nach, zuckte dann mit den Schultern und meinte:

"Nöh, ich glaube nicht."

"Und warum tust Du's nicht einfach?"

"Einfach?", grölte Mamoru belustigt, "was soll daran einfach sein? Die is ne Nummer zu groß für mich. Ich pack das doch nie! Ich hab ja auch keine Erfahrung mit Weibern."

Einige Sekunden starrte sie ihn an. Dann schien es bei ihr <klick> zu machen. "Du hattest noch keine Freundin?"

Mamoru schüttelte den Kopf. "Nöh."

"Und Du hast auch noch kein Mädchen geküsst?"

"Nöh. Warum?"

"Willst Du's mal versuchen?"

Er grübelte kurz. Dann zuckte er wieder gleichgültig mit den Schultern. "Schon. Aber bei wem?"

"Bei mir?", schlug Reika hilfsbereit und aufopferungsvoll vor.

"Von mir aus", grinste er sie an.

"Okay", meinte sie, stand auf und setzte sich so auf ihn, dass ihr Gesicht dem seinen zugewandt war; ihre Arme schlang sie um seinen Hals und ihre Beine legte sie fest um seine Hüfte an. Der Barhocker wackelte ein wenig unter der Gewichtverlagerung.

Mamoru spürte ihr Gewicht auf seinen Beinen überdeutlich; spürte, wie ihre Oberschenkel sanft außen an seinen Hüften entlang strichen; spürte, wie sich ihre Brust langsam, aber stetig immer fester gegen die seine drückte; spürte den heißen Lufthauch, der ihre Lippen verließ, als sie ausatmete. Sein Herz jagte wie nach einem zehn Kilometer Marathon und sein Atem ging merklich schneller, je mehr Reika sich ihm näherte. Eine schier unnatürliche Nüchternheit überkam ihn in diesem Augenblick, und mit scheinbar übermäßig geschärften Sinnen bekam er jede einzelne Bewegung seines Umfeldes, jedes einzelne Muskelzucken, jede noch so kleine Vibration mit. Als sich endlich ihre Lippen auf die seinen legten, spürte er jeden einzelnen ihrer schnellen Pulsschläge als sanftes Zittern auf seinem Mund.

Zunächst blieb er noch passiv; ließ sich küssen; wartete ungeduldig auf mehr. Dann, ganz langsam, wagte er es, den Kuss zu erwidern. Ganz sanft fühlte er Reikas Zunge über seine geschlossenen Lippen streicheln und den Druck stetig leicht steigern. Schließlich traute er sich endlich, ihr seine Lippen zu öffnen. Neugierig und wie ein blinder Wurm tastete sich Reikas Zunge durch das fremde Gebiet und erkundete es. Unendlich sanft fuhr Mamoru mit der Zunge über ihre, um sie kennen zu lernen, sie zu schmecken, sie zu spüren. Immer wieder zog er sich zurück und verharrte kurz in seinem Tun, um sich dann erneut vorsichtig vorzutasten. Reika lockte seine Zunge langsam weiter vor und gab ihm schließlich eine lautlose Einladung, ihr zu folgen. Gerne ließ er es geschehen und tastete nun seinerseits nach ihrer Mundhöhle. Ein seltsamer Geschmack wurde über die Nervenbahnen bis in sein Gehirn versendet. Er war irgendwie fremd und unbeschreiblich, aber alles andere als unangenehm.

Vorsichtig ließ er seine Zunge immer weiter wandern, tastete mit der Spitze hierhin und dorthin, und wurde selbst von diesem feuchten, fremden Körper untersucht und willkommen geheißen.

Irgendwann, scheinbar nach Ewigkeiten, zog sich Mamoru vorsichtig wieder zurück und löste seine leicht angeschwollenen Lippen von ihren. Er keuchte auf und rang schwer atmend nach Luft.

Alle beide brauchten einige Atemzüge, um sich wieder einigermaßen zu beruhigen. Die Nüchternheit, die sich in der letzten halben Minute über Mamorus Gehirn ausgebreitet hatte, zog sich nun langsam wieder zurück und ließ zu, dass die Klarheit wieder aus seinem Denken und seiner Wahrnehmung verschwand. Überglücklich grinste er Reika an. Und ebenso gut gelaunt strahlte sie zurück.

Sie beugte sich ihm wieder entgegen und flüsterte leise in sein Ohr:

"Gar nicht mal schlecht für den Anfang. Du bist richtig gut! Hast Du wirklich nicht heimlich geübt?"

Sie lehnte sich zurück und lächelte ihn verführerisch an.

"Nur mit meinem Kopfkissen", gestand er im Spaß. Sie kicherte belustigt.

Dann wurde sie schlagartig blass. Mit schreckgeweiteten Augen wich sie zurück, legte die Hände über ihren Mund und flüsterte:

"Motoki..."

Mamoru verstand in seinem angetrunkenen Zustand nicht sofort. Er wandte sich auf seinem Hocker um.

Alles, was er noch sah, war eine schnelle Bewegung...



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2005-06-16T21:42:29+00:00 16.06.2005 23:42
Oh je, oh je was macht Mamoru denn für Sachen und dann noch mit Reika, sie hat ja wirklich einen ganz anderen Charakter. Motoki tut mir leid, der Arme.

Mamoru muss seine Homone unbedingt unter Kontrolle kriegen! Das kann er doch Motoki seinem besten Freund nicht antun.*entsetzt ist*

Aber war auf jedenfall genial, ich hätte ja Mamoru zu gerne mal im Alkoholischen Rausch gesehen, ist bestimmt ein urkomischer Anblick! ^^

Mal sehen, was nun kommt. *bibber*

*g*


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