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Liebe, Leid und Leben

Mamorus Jugend
von

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Jedyte streckte seine geistigen Fühler aus und tastete damit über die Stadt, auf der Suche nach Energie. Bei seiner vorsichtigen Sondierung bemerkte er mit einem Male eine eigenartige Verzerrung auf der Energieebene der Menschen. Zwar konnte das Gefüge mal leicht schwanken, aber eine solche Energiekonzentration an einem Ort war ungewöhnlich.

Waren etwa die alten Feinde schon am Werk?

"Das sehe ich mir mal an", beschloss Jedyte. "Ich werde das Monster aber vorerst hier lassen. Die Energie ist zwar ungewöhnlich hoch - für einen Menschen - doch für mich scheint sie noch kein größeres Problem darzustellen."

Eine schwarze Wolke wand sich um seinen Körper und verschluckte ihn.
 

Gebannt starrte Mamoru auf die gegenüber liegende Straßenseite, wo mit einem Mal ein schwarzes Etwas aufgetaucht war, und das pure Entsetzen jagte ihm eiskalte Schauer den Rücken hinunter. Auch Hikari neben ihm begann schrill und hoch zu kreischen. Keine Frage, Mamoru bildete sich dieses Etwas nicht nur ein, sondern Hikari sah es auch.

...Hikari!

"Hikari! Lauf! Lauf weg, so schnell Du kannst!"

Sie rührte sich nicht. Die Angst lähmte sie zu sehr, so war sie nicht dazu in der Lage, auch nur einen Schritt zu tun. Und Mamoru fühlte sich noch zu geschwächt, als dass er dazu fähig gewesen wäre, aufzuspringen und sie mit sich zu reißen. So musste er hilflos mit ansehen, wie sich der Nebel ganz langsam verzog und allmählich so etwas wie menschliche Konturen freigab.

"Na, na! Ihr müsst doch keine Angst vor mir haben", tönte die amüsiert klingende Stimme eines jungen Mannes aus der Dunkelheit. "Ich hab euch doch gar nichts getan! ...Noch nicht..."

Damit verschwand der Nebel vollständig und ließ einen Blick auf die schlanke Gestalt des bizarren Gesprächspartners zurück. Auf den ersten Blick mochte man ihn für einen gewöhnlichen Menschen halten, der einen etwas altertümlichen und eigensinnigen Kleidungsgeschmack hatte. Doch als der Fremde endlich in das Licht einer nahe gelegenen Laterne trat, presste Mamoru sich keuchend und voller Furcht stärker gegen die Wand in seinem Rücken, denn der Unbekannte hatte vollkommen grüne Augen; einzig die Pupillen waren schwarz wie die Nacht. Seine kurzen, blonden Haare, seine steife Haltung, seine Aura, ja sein ganzes Auftreten erinnerte stark an einen Soldaten von hohem Rang.

Ein Soldat der Finsternis...

"Was hast Du mit uns vor?", fragte Mamoru verunsichert. Er blickte den Fremden gebannt an und war nicht dazu in der Lage, die Augen von ihm abzuwenden. "Wer bist Du überhaupt?"

"Na schön", meinte der Mann grinsend. "Ihr sollt ja immerhin nicht dumm sterben, wenn ihr eure Energie schon so schön für unsere große Herrscherin hergebt. Mein Name ist Jedyte - ich bin der Prinz des fernen Ostens und einer von den vier großen Generälen im Königreich des Dunklen. Ich muss meinen Auftrag erfüllen. Und nun wird es Zeit für euch, dieser Welt Lebewohl zu sagen."

Er hob seine Hand gegen die beiden, und schwarze Blitze wanden sich in seiner Handfläche. Sein Gesicht strahlte pure Siegessicherheit aus. Er schien so etwas wie eine Attacke starten zu wollen, hielt aber dann verblüfft keuchend inne und starrte Mamoru an. Die Blitze verschwanden.

"Was ist das? Wo hast Du das her?", fragte Jedyte und zeigte auf Mamorus Brust. Dort hing immer noch die Spieluhr an der silbernen Halskette. Das Licht aus ihrem Inneren des faustgroßen, goldenen Schmuckstücks erhellte nur den Bruchteil der Umgebung und ihre sanfte Melodie erklang und zog sich leise über den Schauplatz dieses ungleichen Kampfes hinweg.

"Das hier?" Mamoru griff verblüfft nach der Spieluhr und sah sie sich an.

<Wieso interessiert er sich dafür? Was will er damit? Woher kennt er dieses Schmuckstück überhaupt?>

"Ja", antwortete der Blonde mir der gleichen Verwirrung in der Stimme. "Ich habe das Gefühl, die Melodie zu kennen. Ich habe sie irgendwann schon mal gehört... Aber ich kann mich nicht wirklich erinnern..."

Mamoru derweil hatte sich zur Genüge ausgeruht, sodass er wieder einigermaßen aufstehen und sich auf eigenen Beinen halten konnte.

"Jedyte", so sprach er leise auf sein Gegenüber ein, "wenn ich Dir die Spieluhr gebe, wirst Du dann mich und meine Freundin in Ruhe ziehen lassen?"
 

Kaum, dass es die Dimension der Zeitlosen Finsternis erneut betreten hatte, hörte es auch schon wieder den Ruf seines Herrn und Meisters. Ein wenig wunderte es sich darüber, denn der Herr und Meister hatte lange geschwiegen. Es war ein wenig verunsichert, was es tun sollte; denn es wusste genau, dass es lieber hätte sparsamer mit seiner Energie umgehen sollen. In der letzten Zeit war es viel verschwenderischer gewesen als zuvor und hatte dementsprechend mehr Zeit darauf verwenden müssen, neue Energie zu beschaffen, anstatt das Ziel im Auge zu behalten.

Es schimpfte lautlos mit sich selbst. Wie dumm es doch gewesen war; wie töricht! Anstatt nur an sich selbst und an die eigene Freiheit zu denken, die nur durch die Hilfe großer Mengen Energie zu erreichen war, hätte es sich lieber um seine Mission kümmern sollen!

Mit dieser Erkenntnis eilte es nun endlich los, um seinem Herrn und Meister treu zu dienen, wie es das schon vor etlichen hundert Jahren getan hatte. Es folgte dem Ruf bis in die Welt der Menschen hinein...
 

Irgend etwas an Jedyte schien sich geändert zu haben. Wo er gerade eben noch verunsichert und fast schon ... menschlich ... gewirkt hatte, da schien er nun von neuer schwarzer Energie regelrecht besessen zu sein. Er grinste diabolisch und gab mit selbstherrlichem Ton bekannt:

"Ich pfeife auf Dein Angebot! Wenn ich etwas wirklich haben will, dann nehme ich es mir einfach! Doch ihr könnt eurem Schicksal nicht entrinnen! Ich weiß, dass einer von euch große Energien besitzt, und die werde ich mir ebenso einfach nehmen!"

<Der Goldene Kristall!>, schoss es Mamoru durch den Kopf. <Er will nur mich und den Kristall der Erde haben, von Hikari will er vielleicht gar nichts! Vielleicht kann ich sie irgendwie hier herausholen...>

Jedyte reagierte, noch ehe Mamoru die Bedeutung seines Gedankens wirklich begriffen hatte. Erst, als der General des Dunklen Königreichs vor ihm stand und die Hand nach der Spieluhr ausstrecke, schreckte Mamoru hoch und schlug in wilder Panik mit den Armen um sich. Er konnte einfach nicht mehr klar genug denken, um seine Kampfkünste einzusetzen.

Wahrscheinlich hätten sie ihm sowieso nichts genutzt.

Spielerisch fing Jedyte einen Arm von Mamoru ab und entzog ihm in der selben Bewegung seine Energie. Es war ein scheußliches Gefühl; dagegen war es regelrecht angenehm gewesen, sich mit dem Schattenwesen anzulegen.

Jedyte raubte Mamoru nur einen Teil seiner Energie - gerade so viel, dass der Herr der Erde geschwächt zusammensackte und nach Luft schnappte. Dann griff der General nach der Spieluhr - und riss die Hand mit einem Schmerzensschrei wieder zurück, als ein winziger, goldener Blitz aus dem Schmuckstück in sein Handgelenk fuhr.

"Verdammt! Dieses Ding beschützt sich selbst", fluchte Jedyte vor sich hin und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Hand. "Na warte, dafür sollst Du büßen!"

"Aber ich hab doch gar nichts..." Weiter kam Mamoru nicht. Jedyte packte ihn am Kragen und zog so fest zu, dass der Junge kaum noch Luft bekam, während ihm die Energie entzogen wurde. Schon bald darauf vernebelte sich sein Gehirn. Als nächstes registrierte er eine heftige Erschütterung. Er wurde gegen die Wand geschmettert, stürzte dann zu Boden und blieb dort einen Augenblick lang benommen liegen. Nur undeutlich verschwommen sah er die Szenerie vor sich. Er erkannte nur düstere Schemen, die in der dunklen Häusergasse umherzugeistern schienen. Nur knapp außerhalb dieser Gasse, gerade noch auf dem Bürgersteig und von dem spärlichen Licht einer Straßenlaterne beleuchtet, standen sich Hikari und Jedyte gegenüber. Der Prinz des fernen Ostens lachte leise und siegessicher in sich hinein.

"Ich weiß nicht, ob ihr die Feinde seid, von der Königin Perilia gesprochen hat", so sagte er in drohendem Ton, "aber im Zweifelsfall gilt: Wer nicht für das Königreich des Dunklen ist, ist gegen uns ... und muss unverzüglich eliminiert werden. Ich denke, daran sollte ich mir nicht meine Finger schmutzig machen, das kann sehr gut mein Dämon für mich erledigen. Noctas, los, entzieh ihnen ihre Energie!"

Neben dieser Drohung, dem verzweifelten Wimmern Hikaris und dem lauten Donnern des eigenen Herzens hörte Mamoru nur noch die Spieluhr, deren sanfte Melodie noch immer ununterbrochen ertönte. Er griff nach dem goldenen Schmuckstück und fasste einen Entschluss.

<Ich muss die Macht des Goldenen Kristalls einsetzen! Zwar werde ich so vor diesem Kerl preisgeben müssen, wer ich bin, aber wenn ich es nicht tue, haben wir keine andere Chance zu überleben! Ich hoffe nur, ich werde es heil überstehen...>

Mamoru spürte die Blutergüsse und Schrammen an seinem Körper, die er sich bei diesem heftigen Sturz eingehandelt hatte, und sie schmerzten bei jeder kleinsten Bewegung. Dennoch biss er tapfer die Zähne zusammen, raffte sich auf und griff nach der Spieluhr, die an der silbernen Halskette knapp über seinem Herzen baumelte.

"Macht des Goldenen..."

Du darfst es nicht tun!

"Was?"

Mamoru hielt mitten in der Bewegung inne und starrte mit vor Unglauben geweiteten Augen vor sich hin, während sich zwischen Mamoru und Jedyte ganz langsam eine Art schwarzer Nebel bildete. Was er da gerade gehört hatte - war die Stimme der Frau gewesen, die er so oft in seinen Träumen gesehen hatte!

Bitte, setz die Macht des Goldenen Kristalls nicht frei! In Deinem geschwächten Zustand würde es Dich umbringen - erst recht, da Du noch nicht richtig mit diesem Werkzeug umzugehen weißt. Es gibt einen anderen Weg, Jedyte zu bekämpfen.

Der Nebel wurde allmählich immer dichter. Mamoru zweifelte keine Sekunde daran, dass der Dämon Noctas, von dem der General gerade erzählt hatte, gleich erscheinen würde. Es blieben nur noch Sekunden.

"Was muss ich tun?"

Gerade da hatte das schattenhafte Wesen entgültig den Weg in die Welt der Menschen gefunden. Ein wenig schwerfällig wirkte es, als es sich Mamoru zuwandte - oder zumindest glaubte er, dass es sich zu ihm drehte; denn der Körper der Kreatur war genauso durchsichtig und unförmig wie das letzte Mal, als der Herr der Erde diesem Höllenwesen gegenübergestanden hatte.

<Nein! Nein, bitte nicht! Nicht schon wieder dieses Ding!>

Doch alles Betteln war vergebens. Wieder einmal sah Mamoru sich dieser Schattengestalt gegenüber. Er wusste inzwischen nur zu gut um die Macht dieses Monsters.

Die Kreatur stand eine ganze Weile nur da und starrte den Jungen aus nicht erkennbaren Augen an. Seine Gestalt, die nur aus durchsichtiger Düsternis zu bestehen schien, regte nicht einen Muskel. Ganz so, als könnte sich das Ding nicht entscheiden, was nun zu tun sei.

Mamoru hielt die Spieluhr fest an sein Herz gepresst.

<Es ist aus. Verdammt noch mal, es ist aus! Wer immer Du bist, Frau, die immer im Traum zu mir spricht, Du hattest Unrecht. Es gibt keinen Weg, Jedyte zu bekämpfen. Diese Kreatur an seiner Seite ist zu stark. Ich schaffe es nicht...>

Er schloss den Deckel der Spieluhr, und als der letzte Ton in der nun absoluten Stille verklang, da schien es, als seien die Anwesenden auf ein unhörbares Kommando hin aus einer verzauberten Starre erwacht. Der erste, der sich regte, war Jedyte. Er machte mit einem Male einen ungewöhnlich ängstlichen Eindruck. Mit schreckgeweiteten Augen starrte er die Schattengestalt an, dann hob er den rechten Arm und wies mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Gestalt.

"Wer ... oder was ... bist Du? Bist ... bist Du einer von unseren Dienern? Ich habe Noctas herbeigerufen, verdammt!"

"Hier bin ich, mein Prinz", so erklang eine kratzige Stimme und auf der Straße materialisierte sich eine hässliche Gestalt, die eine entfernte Ähnlichkeit mit einem halb verwesten Menschen hatte. Die Haut war vertrocknet, ledern und von dunkelbrauner Farbe. Nur eine Art roter Umhang versteckte den Körper des Dämons vor unerwünschten Blicken. Langes, weißes, strohiges Haar hing ihm vom halbwegs blanken Schädel - alles in allem ein grauenhafter Anblick.

"Dann...", stotterte Jedyte und wandte sich der Schattenkreatur zu. "...dann ... dann ... Wer bist Du dann?"

Das Ding bewegte sich nicht einen Millimeter weit.

"Rede, Biest!", forderte der General lautstark. Er schien seine Fassung wiedererlangt zu haben. Doch das Wesen stand auch weiterhin regungslos da und wandte den Kopf in Mamorus Richtung. Jedyte folgte dem Blick der Schattengestalt.

"Ich verstehe nicht", knurrte er. Der General schien langsam richtig sauer zu werden. Ganz offensichtlich hatte er das Ratespiel satt. "Was hat dieser Junge mit dem Ganzen zu tun? Wer ist er?"

Doch noch immer bekam er keine Antwort.

"Vielleicht ist er ja sogar derjenige, von dem vorhin diese außergewöhnliche Energie ausging?", mutmaßte Jedyte laut. "Zwar habe ich nicht viel aus ihm herausbekommen, aber womöglich hat er versteckte Reserven... Noctas! Überprüfe das mal!"

"Gern", antwortete die lebende Leiche. Der Dämon hob seine dürren, staubtrockenen Arme an und schleuderte die Hände mit Wucht in Mamorus Richtung, wobei sich die Unterarme wie Gummi verlängerten. Noch im Flug fuhr er seine rasiermesserscharfen, dolchlangen Krallen aus und zielte mit unglaublicher Präzision auf Mamorus Augen. Dieser schrie gellend auf und riss schützend die Arme vor sein Gesicht.

"Nun gut", meinte der Prinz des fernen Ostens währenddessen. "Nun also zu Dir, Du taubstumme, schwarze Seifenblase. Warte nur ab, ich werd schon aus Dir rauskriegen, was ich wissen will."

Darauf sprang er mehrere Meter hoch in die kühle Nachtluft hinein, ballte seine rechte Hand zu einer Faust und konzentrierte sich auf seinen Angriff. Schwarze Blitze wanden sich um seine Hand und als ihre Intensität hoch genug war, stieß Jedyte einen gellenden Kampfschrei aus und schleuderte den schwarzen Blitz gegen die Schattenkreatur.

Dann geschah alles gleichzeitig.

Die scharfen Krallen des Dämons hatten Mamoru schon fast erreicht, und Jedytes Blitzattacke schoss dem dunklen Wesen entgegen, da reagierte das Ding mit übernatürlicher Schnelligkeit. Es breitete seine gigantischen Schwingen aus und hob sich mit einem einzigen, kräftigen Flügelschlag in die Luft, und in der selben Bewegung fegte es Mamoru von den Füßen; genau in dem Augenblick, als die Krallen des Dämons dort in die Mauer krachten, wo gerade noch der Kopf des Herren der Erde gewesen war. Kaum, dass Jedytes Blitze wirkungslos in den Boden schlugen, war das Wesen schon an ihn heran und griff blitzartig mit den langen, klauenbewährten Fingern an. Während sich Jedyte geschickt der Attacke entzog und nun seinerseits wieder zur Offensive überging, landete Mamoru, noch immer vom Schwung mitgerissen, unsanft auf dem Boden und wurde von herabrieselnden Mauerstücken und einer Wolke aus Staub überschüttet. Der Dämon zerrte seine Krallen mit einem hässlichen kratzenden Geräusch wieder aus der Wand heraus und zog die langen Arme wieder zurück in die Ausgangsposition.

"Nun tu doch endlich was!", kreischte Hikari in hysterischer Stimmlage. "Mamoru! Du bist der einzige, der alles jetzt noch zum Guten wenden kann!"

Sie war dem Untoten am nächsten und ihr Blick wanderte wild vom Dämon zu Mamoru, dann kurz zu den beiden Kämpfenden, die noch immer mitten in der Luft schwebten und sich gegenseitig attackierten, dann wieder zurück zum Herrn der Erde. Die pure Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben.

"Aber was soll ich tun?", rief ihr Mamoru verzweifelt entgegen.

"Was weiß ich?! Denk Dir was aus!", schrie sie zurück.

"Na toll", brummte er und arbeitete sich wieder auf die Beine.

<Die Frau aus meinen Träumen hat gerade noch gesagt, es gibt einen Weg, Jedyte zu bekämpfen - aber welchen? Wieso spricht sie jetzt nicht mehr zu mir? Und selbst, wenn ich es schaffe, Jedyte und sein Monster zu besiegen, was tu ich dann mit dem Schattenwesen? Ich kann es ja noch nicht einmal berühren; das letzte Mal ist meine Hand einfach durch ihn durch gefahren ... Moment mal...>

Nun traf die Erkenntnis Mamoru wie einen Schlag. Die Flügel dieser Kreatur hätten ihn nicht berühren müssen und dennoch hatten sie es getan. Warum? Wieso sollte sich das Wesen die Mühe machen und ihn zur Seite stoßen um ihn vor dem Angriff des Dämons zu beschützen? Konnte diesem Ding nicht egal sein, was mit Mamoru geschah? Offensichtlich nicht, aber warum? Oder war das bloß Zufall? Doch der Herr der Erde wollte nicht so recht an einen Zufall glauben. Es war Absicht. Irgendwie wusste er einfach, dass das Wesen sich nicht zwingend hätte materialisieren müssen. Aber es hatte genau das getan...

"Mamoru! Pass auf!", kreischte Hikari. Diese Worte rissen ihn aus seinen Gedanken. Er blickte auf und sah wieder die langen, braunen Krallen des Dämons auf sich zurasen.

"Jetzt bist Du fällig!", fauchte das Monster freudig.

Mamoru machte einen gewaltigen Satz zur Seite, doch genau das schien das Monster einkalkuliert zu haben. Seine Krallen zielten weiterhin auf Mamoru. Nun konnte er nicht mehr ausweichen, das war sicher! Dennoch blieb das Gefühl, durchbohrt zu werden, aus. Als Mamoru ungläubig seinen Blick hob, sah er auch, warum: Die Schattenkreatur war kurzerhand hinabgesegelt, hatte die verfaulenden, knochigen Arme des Dämons ergriffen und sie schlicht und ergreifend herausgerissen, und das mit einer Leichtigkeit, mit der man einen trockenen, dünnen Ast zerbrechen mochte. Das Geräusch, das dabei entstand, klang auch ganz ähnlich. Die abgestorbenen Arme rieselten als schwarzer Staub zur Erde oder wurden vom Wind verweht.

Für Jedyte war das die Chance. Er sammelte seine Energien für einen großen Angriff auf die Schattenkreatur. Mamoru sah dies durch das Wesen hindurch. Ohne langes Fackeln ergriff er einen der Steine, die gerade noch aus dem Mauerwerk gefallen waren und schleuderte ihn Jedyte entgegen.

Dieser guckte nur verblüfft.

"Was denn, ein Stein???"

Und schon knallte ihm das Geschoss ins Gesicht, was dazu führte, dass seine gesammelten Energien ins Leere gingen und dort verpufften.

"Mit so einem primitiven Angriffsmittel hast Du wohl nicht gerechnet, was?", freute sich Mamoru. "Erst den Breiten markieren und dann nicht mal mit nem Steinchen fertig werden! Pah!"

Dann sah er die Schattenkreatur an, die inzwischen vor ihm gelandet war und ihn aus leeren, schwarzen Augen ansah. Sie nickte ihm zu. Mamoru lächelte.

"Ich bedanke mich auch bei Dir für Deine Hilfe. Aber jetzt sollten wir endlich einen Weg finden, diese Dreckskerle loszuwerden, was?"

Das dunkle Ding nickte erneut.

Während der Dämon damit beschäftigt war, seine Arme wieder nachwachsen zu lassen, und Jedyte auf dem Boden lag, sich die blutige Nase zuhielt und dabei herumfluchte, ging die Schattenkreatur auf Hikari zu, die nicht so recht wusste, was sie von diesem eigenartigen Bund zwischen ihrem Lover und einem durchsichtigen Nebelwesen halten sollte. Sie entschied sich anscheinend dafür, das Ganze nicht gut zu heißen.

"Hau bloß ab, Du ... Du ... unförmiges Etwas! Komm mir bloß nicht zu nahe! Mamoru! Beschütz mich doch vor diesem Ding!"

Doch noch ehe Mamoru auch nur einen Piepton hätte von sich geben können, hatte die Schattenkreatur Hikari bereits am Hals gepackt und begann damit, ihr die Energie zu entnehmen. Man konnte regelrecht sehen, wie das Wesen eine Art schwarzer Aura aufbaute, und somit richtiggehend das Leben aus dem Körper des Mädchens sog.

"Was tust Du?", schnappte Mamoru entsetzt. "Hör sofort auf damit!"

Er schnellte vorwärts und eilte auf die beiden zu, als sich unmittelbar vor ihm etwas Braunes in die Mauer bohrte und ihm so den Weg verwehrte. Der Dämon hatte sich inzwischen regeneriert, und auch Jedyte war wieder auf den Beinen.

"Glaubst Du etwa, ich würde Dir das einfach so durchgehen lassen?", fauchte er. Eine dunkelrote Blutspur zog sich durch sein Gesicht. Mit finsterem Blick baute er sich vor Mamoru auf.

"Aber", stotterte dieser. "...aber ... aber ich muss doch..."

Er warf einen gehetzten Blick auf das Schattenwesen, das wie zur Salzsäule erstarrt dastand und immer noch damit fortfuhr, Hikari die kostbare Lebensenergie auszusaugen. Es hatte Mamoru den Rücken zugewandt und in dieser Pose erweckte es irgendwie den Anschein, als würde es sich plötzlich überhaupt nicht mehr für den Herrn der Erde interessieren.

"Gar nichts musst Du!", donnerte Jedyte zornig. "Du musst nur eines: Sterben! Und mach Dir wegen Deinem kleinen schwarzen Helfer da keinen Kopf - ich werde ihn Dir ins Jenseits nachschicken. Los geht's, Noctas! Zeig dem Kleinen da den Weg direkt in die Hölle!"

"Nichts lieber als das!", kreischte der Dämon und stürzte sich mit vorgereckten Krallen auf Mamoru.

"Nein, danke!", rief Mamoru und stellte sich in Kampfposition. "Die Hölle kenne ich schon - ich bin immerhin bei Tante Kioku aufgewachsen!"

Und als das Monster nahe genug heran war, machte er einen gewaltigen Satz in die Luft und drosch mit einem kraftvollen Fersenkick auf den Kopf des Gegners ein. Ein seltsames Geräusch entstand; erst ein leises Knacken, dann ein Laut, als ob uraltes Papier zerreißen würde. Der Schädel des Dämons sah ziemlich ramponiert aus, als Mamoru seinen Fuß wieder herauszog. Doch anscheinend war das Monster schon zu lange tot, als dass es den Schmerz zu spüren vermocht hätte. Es schwankte einen Moment und musste erst wieder sein Gleichgewicht finden. Doch Mamoru gab ihm dafür keine Zeit. Er holte erneut Schwung, machte eine Dreihundertsechziggraddrehung, und knallte seinem untoten Gegenüber die Fußkante vor die Brust. Nach einem weiteren knackenden Geräusch befand sich ein ziemlich unansehnliches, hohles, staubiges Loch in den Rippen des Dämons.

Trotz dieser kleinen Erfolge war es Mamoru durchaus bewusst, dass er so nicht ewig weiter machen konnte. Hikari hatte kaum noch Energie in ihrem Körper, das konnte er spüren. Und auch, wenn er den Dämon zurückhalten konnte, so würde das auch bald nicht mehr klappen, denn der Herr der Erde fühlte, wie die Wunden und der Energieverlust an seinem Leib nagten. Und dieser Dämon regenerierte sich einfach immer wieder neu. Schon bald würde Mamoru die Puste ausgehen - und dann?

<Ich kann wohl doch nicht mehr weiter auf die Hilfe des Schattenwesens vertrauen. Keine Ahnung, warum es mich vorhin beschützt hat; jetzt jedenfalls scheine ich ihm vollkommen egal zu sein! ...Gut. Trotz der Warnung, die ich vorhin von der Frau aus meinen Träumen gehört habe, gibt es nun nur noch einen Weg: den Goldenen Kristall! Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Ich muss meine Feinde mit einem einzigen, mächtigen Schlag besiegen!>

"MACHT DES GOLDENEN KRISTALLS!!!"

Erst jetzt ruckte der Kopf des Schattenwesens herum. Es beobachtete den Herrn der Erde dabei, wie der ein gleißendes, goldenes Licht vor seiner Brust erscheinen ließ und es mit ausgestreckten Armen in die Höhe hielt; zum Angriff bereit. Es ließ das bewusstlose Mädchen achtlos zu Boden fallen, um sich in der selben Bewegung herumzudrehen, seine Schwingen auszubreiten und in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit auf Mamoru zuzurasen. Noch ehe Hikari den harten Asphalt auch nur berührte, hatte die Schattenkreatur bereits den Herrn der Erde ergriffen und in die Lüfte mitgerissen.

"Hey, was soll das?", rief Mamoru empört aus, als er endlich begriffen hatte, was da mit ihm geschah. Das Schattenwesen war bereits mehrere Meter über die umliegenden Hausdächer hinausgeschossen und hatte dabei noch kein Stück seiner Geschwindigkeit verloren. "Lass mich los, ich muss zurück! Was erlaubst Du Dir überhaupt??? Wer oder was bist Du, und was hast Du mit mir vor? Entscheide Dich endlich mal, ob Du für oder gegen mich bist! ... Nun sag doch irgendwas!"

Einige Straßen weiter, in einer schmuddeligen, düsteren Ecke setzte das Schattenwesen ihn ab und starrte ihn wieder mit diesem ausdruckslosen Gesicht an. Es schien wieder wie eine Statue erstarrt zu sein, nur dann und wann bewegte sich etwas an seinem Kopf, das man für einen Tentakel halten mochte.

Mamoru sah sein ungewöhnliches Gegenüber argwöhnisch an und hielt den Goldenen Kristall fest in seiner rechten Hand, die leicht zitterte; teils der Anstrengung und der Aufregung halber, teils wegen der Unsicherheit gegenüber diesem schwarzen Ding, und nicht zuletzt aufgrund des hohen Energieverlustes des bisherigen Tages. Er hatte absolut keine Ahnung, wie er reagieren sollte. Er konnte sich keinen Reim darauf machen, was dieses Ding mit ihm anstellen wollte. Doch eines wurde ihm allmählich klar: Dieses Wesen konnte oder wollte nicht die menschliche Sprache benutzen.

Also, was tun?

Einen weiteren Moment standen sich die beiden reglos gegenüber. Dann, nach scheinbar endlosen Sekunden, streckte das Wesen seine durchsichtige, wie aus purer Dunkelheit geformte Hand aus und hielt sie dem Jungen entgegen.

"Was? Was ist denn? Was willst Du?", fragte Mamoru. Als Antwort darauf wies die Kreatur auf den Goldenen Kristall.

"Oh, nein, Kumpel. Vergiss es. Ein Mal und nie wieder, Danke! Ich verzichte!"

Doch anscheinend gefiel der Schattengestalt nicht, was er da von sich gab. Sie griff trotz heftiger Proteste nach dem Goldenen Kristall und nahm seine Energie an sich, bis Mamoru bewusstlos zusammenbrach. Daraufhin verschwand das Ding spurlos.
 

Als Mamoru wieder zu sich kam, wusste er sich zunächst gar nicht zurecht zu finden. Es dauerte einen Moment, bis er begriff, dass er sich auf dem Dach eines der Häuser befand, die um die enge Gasse gruppiert waren, in der Jedyte und Noctas standen und einen skeptischen Blick auf das Schattenwesen warfen, das ihnen gegenüber stand und dort reglos verharrte. Zwischen den beiden verfeindeten Parteien lag die bewusstlose Hikari. Von seiner Position aus konnte Mamoru nicht feststellen, ob sie überhaupt noch lebte.

"Verflucht", murmelte er vor sich hin und ballte die Hand zur Faust. "So kann ich ihr nicht helfen, aber was soll ich bloß tun? Mich da unten einmischen? Oder irgendwie Hikari schnappen und verschwinden? Aber wie? ...Wie bin ich überhaupt hier herauf gekommen?"

Und als er an sich herunter sah, bemerkte er noch etwas Verwunderliches: Er stellte erst jetzt fest, dass er wieder den schwarzen Anzug trug, den er schon angehabt hatte, als er die Spieluhr fand. Der Gehstock, Der Zylinder, die weiße Maske, der Umhang, der außen schwarz und innen rot war, all das war wieder aufgetaucht.

"Oh", machte er. "Ich weiß nicht so ganz, was ich davon halten soll."

Doch wundern konnte er sich später. Jetzt war erst mal wichtig, Hikari in Sicherheit zu bringen.

<Keine Aufmerksamkeit erregen ... nicht in den Kampf einmischen ... verdeckt operieren und dann schleunigst abhauen!>, ging es ihm durch den Kopf. Er beobachtete, wie das Schattenwesen seine Schwingen ausbreitete und wie ein Pfeil auf Jedyte und Noctas zuschoss. Bei diesem Anblick durchzuckte ihn ein merkwürdiges Gefühl. Trotz seiner Vorsätze drängte es ihn irgendwie danach, doch in diesem Kampf mitzuwirken. Dann wurde ihm mit einem Mal unheimlich schwindlig und seine Beine gaben unter seinem Gewicht nach...
 

Kaum machte er wieder die Augen auf, da spürte er eine heftige Erschütterung. Unsanft prallte sein Rücken von einer Hauswand ab. Er sah etwas Braunes auf sich zurasen und konnte gerade noch rechtzeitig seinen Gehstock hochreißen, um die scharfen Krallen des Dämons abzuwehren.

Er hatte keine Ahnung, was er nun schon wieder verbockt hatte. Er hatte nur einen gewaltigen Filmriss. Wieso legte er sich nun doch mit diesem Biest an? Was war nur geschehen?

"Tja, Sailorkrieger", lachte Jedyte im Hintergrund siegesgewiss vor sich hin, "man sollte sich eben nicht mit dem Königreich des Dunkeln anlegen! Der Preis, den man dafür bezahlt, ist hoch - denn es kostet das Leben!"

<Sailorkrieger? Was meint er?>

Mamoru war der Verzweiflung nahe. Er wusste ja nicht einmal zu sagen, wie lange dieser Kampf schon andauerte. Er wusste auch nicht, wie lange er noch durchhalten konnte, oder wo die Schattenkreatur auf einmal geblieben war, oder ob Hikari noch lebte. Er wusste gar nichts.

Im letzten Moment parierte er einen weiteren Angriff der untoten Krallen. Er sollte mit seinen Gedanken wirklich im Hier und Jetzt bleiben, stellte er stumm fest.

<Aber wie soll ich noch länger gegen so starke Gegner bestehen? Mir geht so langsam schon wieder die Puste aus!>

Er schlug die Arme des Dämons mit seinem Spazierstock zur Seite und hieb mit der Faust und aller Kraft auf den Schädel des Monsters ein.

<Ein Spazierstock!!! Was soll denn das für ein Held sein, der seine Feinde mit einem Spazierstock erledigt???>

Doch keine Zeit zum Aufregen. Noctas verlängerte wieder seine Arme und wollte Mamoru damit umschlingen; wahrscheinlich um ihn so zu Tode zu quetschen. Der Krieger der Erde allerdings duckte sich geschickt unter dem Angriff hindurch und hechtete in Sicherheit. Kaum hatte er wieder sicheren Boden unter den Füßen, da sah er auch schon, wie die spröden, abgestorbenen Arme ebenfalls ihren Kurs gewechselt hatten und nun geradewegs auf ihn zusteuerten. Um sich zu retten legte Mamoru seine ganze Kraft in seine Beine und stieß sich vom Boden ab. Das Ergebnis war überwältigend: Er segelte mehrere Meter durch die Luft und kam weit von den Krallen des Dämons entfernt wieder auf.

"Wow", machte er verblüfft. "Voll cool. Nie wieder schlechte Noten in Sport!"

Dann wurde er überrascht von einer urplötzlich auftauchenden Bewegung, die er gerade noch im Augenwinkel wahrnahm. Eher reflexartig als gewollt riss er seinen Arm in die Höhe, der noch immer den Spazierstock führte. Etwas Eigenartiges geschah: Der Stab wurde blitzschnell länger und immer länger - und genau in dem Moment, als die Spitze des Stabes sich in Jedytes Magengrube bohrte, erreichten die schwarzen Blitze des Generals Mamoru. Beide wurden zurückgeschleudert. Der Herr der Erde ließ seinen Stock achtlos fallen, umschlang seinen Körper mit seinen Armen und wand sich in grässlichen Krämpfen. Der Schmerz ließ nur einen Augenblick später nach, doch die Zeit reichte gerade für einen neuen Angriff von Noctas. Er verkrallte seine knochigen Finger in den Oberarmen des Jungen und zog ihn nah an sich heran. Der Dämon öffnete grinsend sein Maul und zeigte scharfkantige Reißzähne, die nicht halb so verfallen und brüchig wirkten wie der Rest des verdorrenden Körpers. Er ließ seinen Unterkiefer herunterklappen; bereit, Mamorus Halsschlagader mit einem gezielten Biss zu kappen.

"Nein! Lass mich los, Du Untier!", brüllte er und trat mit den Füßen um sich, doch dem verwesenden Körper machte das gar nichts aus.

"Ein tragisches Ende, was?", meinte Jedyte keuchend, während er sich wieder auf die Beine arbeitete. "Wie es einem Sailorkrieger gebührt. Tja, Du hattest wohl keine Zeit für eine sonderlich steile Karriere, stimmt's? Und egal, wie viele es von euch noch so gibt, ich werde sie alle aufspüren und vernichten, darauf kannst Du Gift schlucken."

"Warum schluckst Du das Gift nicht?", fauchte Mamoru und stemmte sich mit aller Kraft gegen Noctas.

"Nett, wirklich nett!", lachte Jedyte. "Ich mag es, wenn Feinde selbst im Angesicht des Todes noch Humor haben! Doch nun ... sag Adieu! Noctas, erledige ihn!"

Der Dämon näherte seine rasiermesserscharfen Reißzähne an den zappelnden Mamoru an.

Trotz - oder eher: gerade wegen - seiner verzweifelten Situation nahm er seine Umgebung sehr viel deutlicher wahr, als normal gewesen wäre. Alle Abläufe um ihn herum schienen auf einmal sehr viel langsamer vonstatten zu gehen als sonst; nicht eine einzige Bewegung entging ihm, als sein Gehirn im Angesicht des Todes auf volle Leistung schaltete und alles übermäßig kleinlich nach einer möglichen Überlebenschance absuchte. So war auch er derjenige, der den heranjagenden Schatten als erster sah. Die dunkle Kreatur preschte mit ausgebreiteten Flügeln an Mamoru und seinem Gegner vorbei, segelte blitzschnell auf Jedyte zu und reckte ihm noch im Flug die Krallen entgegen, um ihn wie Schaschlik aufzuspießen. Der Prinz des fernen Ostens empfing seinen Feind mit einem gellenden Schreckensschrei, der den Dämon Noctas noch einmal in seinem Tun zögern ließ. Mamoru nutzte das kurze Zaudern, sammelte erneut seine ganzen Energien, stemmte sich mit den Beinen gegen seinen Gegner und riss ihm dann in einer gewaltigen Anstrengung die Arme heraus. Soviel Ausdauer dieses Monster auch hatte - es besaß nichtsdestotrotz nur die Verteidigungskraft eines Kartenhauses mitten in einem gigantischen Orkan.

Der Herr der Erde befreite sich so aus dem Griff des Dämons, torkelte einige Schritte zurück, bis er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte und warf dann einen kurzen, prüfenden Blick auf Jedyte und das Schattenwesen. Die beiden Kontrahenten schenkten sich nichts. Die dunkle Kreatur hatte Jedyte auf dem Boden festgenagelt und donnerte wutentbrannt mit scharfen Krallen auf den General ein, der anscheinend in aller Hast eine Art energetisches Schutzschild um sich errichtete und nun alle Mühe hatte, diesen Schutz aufrecht zu halten. Währenddessen stand sein Diener nur untätig in der Gegend herum, ließ seine Arme nachwachsen, sah dem Treiben zu und überlegte sich wahrscheinlich, ob es nun wichtiger sei, den Auftrag von vorhin auszuführen, oder dem Meister im Kampf zur Seite zu stehen. Doch sein verdorrtes Gehirn war ganz offensichtlich nicht gerade das schnellste.

Mamoru derweil drehte dem Kampfgeschehen seinen Rücken zu und eilte zu Hikari, um sie zu untersuchen. Sie atmete nur sehr flach und ihr Puls ging unregelmäßig. Nur ganz kurz zögerte Mamoru noch und warf einen Blick auf das Kampffeld. Er hatte die Wahl. Er konnte seine Freundin schnappen und mit ihr schnellstmöglich verschwinden, oder aber er konnte seine Chance nutzen und seine Feinde vernichten, jetzt, da sie geschwächt wirkten und das Schattenwesen offenbar ebenso gegen sie zu sein schien.

Der Feind Deines Feindes ist Dein Freund, so lautete ein altes Sprichwort.

Mit einem Schlag war es Mamoru klar: Er konnte seine beiden Gegner nur besiegen, wenn er mit der Schattenkreatur zusammen arbeitete!

"Los geht's!", rief er und eilte auf das dunkle Wesen und den General zu. Im Laufen griff er seinen scheinbar verzauberten Gehstock wieder auf, der die ganze Zeit über herrenlos auf dem Boden gelegen hatte. Das Wesen sah ihn etwas ungläubig an, wie der Krieger der Erde neben ihm auftauchte, Jedyte seinen Stab entgegenstreckte und brüllte:

"Auf drei!"

Und dann verstand es.

Es erhob seine Krallen weit über seinen Kopf.

"Bereit?", schrie Mamoru. "Eins, zwei..."

"Was habt ihr vor?", keuchte Jedyte. "Verdammt, was soll das werden, wenn's fertig ist?"

"DREI!"

Das Dunkelwesen schlug zur gleichen Zeit mit seinen Klauen auf das Schutzfeld des Generals ein, wie Mamoru seinen Stock in die Barriere einrammte.

"ZU - GLEICH!", gab Mamoru den Takt an, und etwa zu jeder Sekunde griffen er und sein ungewöhnlicher neuer Partner das Schutzfeld an.

"ZU - GLEICH!"

Und immer wieder...

"ZU - GLEICH!!!"

Wo Jedyte den unkontrollierten und wutentbrannten Angriffen eines einzelnen Gegners noch standhalten konnte, da war er den gezielten Schlägen der nun vereinten Feinde nicht mehr gewachsen.

"Noctas! Verdammt, tu endlich was!", fuhr er seinen verblödeten, halb verwesten Diener an.

Da endlich erwachte der Dämon aus seiner Denkerpose. Seine schlanken, verlängerten Arme wand er um Mamorus Leib und zog ihn so zurück. Der junge Krieger stemmte sich gegen den plötzlichen Zug, und mit einem letzten "ZU - GLEICH!!!" donnerten er und das Schattenwesen auf das berstende Energiefeld des Generals aus dem Königreich des Dunklen ein. Noch während Mamoru erbarmungslos zurückgezogen und dabei halb zerquetscht wurde, attackierten sich Jedyte und die dunkle Kreatur wieder gegenseitig. Von der Verzweiflung gepackt schoss der Prinz des fernen Ostens auf gut Glück eine Energieattacke ab, was eine kleine Explosion zur Folge hatte. Die beiden Gegner wurden in verschiedene Richtungen davongeschleudert.

Derweil krallte Mamoru seine Finger in die Arme des Dämons und versuchte mit aller Kraft, seinen Körper aus der tödlichen Umarmung zu befreien - doch vergeblich. Der Herr der Erde hatte seine gesamte Kraft schon aufgebraucht. So sehr er auch die Zähne zusammen biss, so sehr er sich auch anstrengte, so sehr er auch herumstrampelte - es nutzte ihm nichts mehr. Und der Druck um seine Leibesmitte nahm beständig zu. Allmählich wurde ihm schwindelig vor Pein. Er keuchte schwer. Das Luftholen wurde mehr und mehr zur Quälerei. Dunkle Flecken tanzten vor seinem Gesichtsfeld umher. Doch irgendwann wurde es ihm egal. Seine Muskeln erschlafften. Zufrieden lächelnd dachte er nur noch:

<Zumindest habe ich Dir gezeigt, wo's langgeht, Jedyte, Du Drecksack.>

Er glaubte sogar, schon so langsam seinen Beckenknochen und seine Rippen knirschen zu hören. Doch eine eigenartige Ruhe kam über seinen Körper. Der Schmerz verebbte allmählich. Sein Blick verschwamm mehr und mehr. Er nahm seine Umgebung nur noch wie ein unbeteiligter Außenstehender wahr, und beobachtete so, wie die Schattenkreatur weiter gegen Jedyte kämpfte.

Das dunkle Wesen wich gerade einem schwarzen Blitz aus, indem es seine Schwingen ausbreitete, einen gewaltigen Satz in die Luft machte, und einige Meter hinter Noctas wieder auf dem Boden aufkam.

"Aber diesmal erwische ich Dich!", grölte der blonde General. Er zielte mit seinem schwarzen Blitz direkt auf das Schattenwesen, und auch, als es einen Schritt zur Seite tat, folgte er der Bewegung - und schoss damit einen von Noctas' Armen ab. Mit einem kraftlosen Ächzen kam der Herr der Erde auf dem Boden auf und blieb dort liegen; unfähig, sich zu rühren.

"Du Schwein!", jaulte Jedyte seinen dunklen Gegner an. "Mich zu benutzen, um meinen eigenen Untergebenen anzugreifen - das ist ja wohl die Höhe! Das wirst Du büßen, Du Biest! Ich mach Dich fertig! Dich, und vorher noch den Bengel da!"

Sein Zorn steigerte sich ins Unermessliche und gab ihm die Kraft für einen gewaltigen Angriff.

<Das war's>, stellte Mamoru am Rande der Bewusstlosigkeit fest. Nun, wo er wieder Luft bekam, strömten allmählich auch die Schmerzen wieder in seinen Körper zurück, um ihm unmissverständlich zu zeigen, dass er sehr wohl noch am Leben war. Im Anbetracht der Tatsachen war er das allerdings nicht mehr lange.

Jedytes Handinnenfläche leuchtete gleißendhell auf, materialisierte dann eine kleine, grünlich leuchtende Kugel und schoss diese auf den Herrn der Erde ab.

Er erkannte seinen Fehler erst, als es schon zu spät war.

Die Schattenkreatur machte nur einen kleinen Schritt nach vorne, packte den Dämon, und schleuderte ihn Jedyte entgegen. Noctas wurde von der Attacke seines eigenen Generals vernichtet.

Während Jedyte noch Zeter und Mordio schrie, reckte ihm die Schattengestalt die rechte Hand entgegen (sofern man dieses krallenbewährte Etwas überhaupt als Hand bezeichnen konnte). Um das Handgelenk materialisierte sich in kürzester Zeit ein silbrig glänzendes Ding, das man mit viel Fantasie für einen Handschuh halten konnte. Es sah allerdings eher so aus, als hätten sich Rosenranken um den Unterarm und die Hand gewunden, die durch einen Zauber zu Silber erstarrt waren.

Die Schattenkreatur hielt Jedyte die Handinnenfläche entgegen, und die Fingerspitzen begannen allmählich in grünen und blauen Lichtern zu glühen.

"Das ... das ist ... das ist doch...", stammelte der Prinz aus dem Königreich des Dunklen, als er das metallene Etwas sah.

Je mehr Energie das Wesen zur Attacke sammelte, umso heller leuchtete das silberne Ding, und umso mehr wurde auch der eigentliche, schattenhafte Körper erleuchtet. Das, was vom Kopf der Kreatur herunterhing, und das Mamoru bisher für Tentakel gehalten hatte, schien nun im Glanz der Energie einen metallischen Schimmer anzunehmen, der an Silber oder vielleicht auch an Gold erinnern mochte; je nachdem, in welchem Winkel man es ansah.

Im Zentrum zwischen den glühenden Fingern materialisierte sich eine energiegeladene Kugel von hellblauer Farbe, die von grünlichen Schimmern durchzogen wurde, und ganz langsam wuchs diese Kugel heran.

"Nein, das kann nicht sein!", rief Jedyte aus. Sein Gesicht war nun schneeweiß. Ängstlich wich er Schritt um Schritt zurück. "Du? Du bist das? Jetzt erkenne ich Dich erst! Aber das ist völlig unmöglich! Wie hast Du...?"

Er stockte. Sein ganzer Körper zitterte wie Espenlaub. Er ballte seine Hände zu Fäusten. Dann schien er sich wieder gefasst zu haben. Er warf seinem Gegenüber einen finsteren Blick zu.

"Ich komme wieder!", versprach er. Dann ließ er über seinem Kopf ein tiefschwarzes Loch im Raumgefüge entstehen, durch das er verschwand. Der Durchgang verschwand mit ihm.

Die helle Lichtkugel der Schattenkreatur wurde wieder kleiner, und bald war auch sie, zusammen mit dem silbernen Handschuh, im Nichts verschwunden.

Das schwarze Wesen stand wieder wie zur Statue erstarrt da und rührte sich nicht. Mamoru nutzte diese Zeit, um wieder einigermaßen zu Atem zu kommen. Er hatte sich inzwischen auf den Rücken gedreht und stöhnte unter den Schmerzen, die unentwegt durch seinen Körper zuckten. Er war absolut nicht mehr dazu in der Lage, seine heilenden Fähigkeiten einzusetzen. Im Gegenteil: Er hatte schon zur Genüge damit zu kämpfen, wach zu bleiben. Alles in seinem Kopf drehte sich wie irr. Er konnte nicht einmal genau sagen, was ihm alles wehtat. Es gab keinen Nerv in seinem Körper, der keine Schmerzsignale aussendete.

Noctas war besiegt. Jedyte war zurückgeschlagen. Das schwarze Wesen machte keine Anstalten, Mamoru jetzt noch schnell zu töten. ...Noch nicht.

So gesehen war es ein Sieg.

Aber was für einer?

Die Kreatur konnte ihre Meinung jede Sekunde ändern, Jedyte würde später wieder kommen, vielleicht sogar mit einer ganzen Armee von Untoten, Hikari war möglicherweise gar nicht mehr am Leben, und Mamoru selbst hatte sich womöglich schwere Verletzungen zugezogen. Vielleicht sogar bleibende Schäden?

Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das dunkle Wesen, denn es war wieder aus seiner Erstarrung erwacht und trat mit langsamen Schritten auf den Herrn der Erde zu und blieb direkt neben ihm stehen, um ihn anzustarren.

Es war zwar immer noch in seiner düsteren Schattenform, doch etwas schien sich leicht geändert zu haben. Mamoru hatte den Eindruck, als sei sein Körper etwas ... fester geworden. Man konnte die Finsternis nicht mehr ganz so leicht mit den Augen durchdringen.

Nun, wo das Schattenwesen an Dichte und Materie zugenommen zu haben schien, konnte man deutlichere Konturen seines Körpers erkennen. Sein Leib war in diesem Zustand etwas mehr dazu in der Lage, Licht zu reflektieren und auf der anderen Seite Schatten zu werfen, was es für einen Betrachter leichter machte, ein dreidimensionales Gefüge zu erkennen. Und was Mamoru so allmählich erkennen konnte, waren die leichten Andeutungen von sanften Gesichtszügen. Nun wusste er definitiv zu sagen, dass der lebende Schatten in seine Richtung starrte.

"Na, was hast Du jetzt wohl mit mir vor?", wisperte Mamoru. "Willst Du jetzt endgültig einen Schlussstrich ziehen?"

Das Ding gab keine Antwort. Stattdessen kniete es zum Krieger der Erde nieder und verharrte wieder einige Sekunden lang regungslos. Daraufhin ergriff es Mamorus Hand.

"Ja, leg schon los", keuchte der Junge. "Erlös mich endlich, dann hab ich die ganze Scheiße hinter mir."

Er spürte das Fließen von Energie. Seine Glieder wurden schwerer und schwerer. Die Müdigkeit nahm immer weiter zu. Die Schmerzen wichen allmählich einem sanften Pochen. Sein Atem beruhigte sich zusehends. Sein Herz schlug immer ruhiger und gleichmäßiger. Der Drang, die Augen zu schließen und in Vergessenheit zu sinken, wuchs ins Unermessliche. Bald konnte er nicht mehr widerstehen. Die sanfte, schwere Müdigkeit, gepaart mit totaler Gleichgültigkeit, vernebelte sein Gehirn.

Dann umfing ihn die Schwärze.
 

Mit der vagen Erinnerung an eine Frauenstimme, die etwas von einem Silberkristall erzählte, schlug er die Augen wieder auf. Über ihm erstrahlte der sternenbesetzte Nachthimmel, nur von einigen Häuserwänden und -dächern umgrenzt. Die kühle Luft strich sanft durch sein Haar. Er fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und rieb sich die letzten Reste der Benommenheit aus den Augen. Dabei stellte er fest, dass er wieder seine normalen Klamotten anhatte. Wo der schwarze Anzug auf einmal abgeblieben war, das konnte er sich - mal wieder - nicht erklären.

Er fühlte sich unendlich müde und abgekämpft - doch er war nicht tot.

Aber was war geschehen?

Er setzte sich auf und sah sich um. Sein Blick fiel auf Hikari, die in einigen Metern Entfernung auf dem harten Asphalt lag und sich nicht rührte. Ansonsten befanden sich in dieser engen Gasse nur einige lose Steine aus dem zertrümmerten Mauerwerk, etliche Schatten und noch mehr Dunkelheit. Das spärliche Licht der Straßenlaterne reichte nicht mehr bis in die hintersten Ecken.

Unter großer Anstrengung richtete Mamoru sich auf. Anscheinend hatte er sich doch nichts gebrochen, aber dennoch bemerkte er ein unangenehmes Ziehen, dass sich in seinem Rüchen und in den Rippen ausbreitete. Er war müde, so schrecklich müde. Halb stolpernd, halb kriechend schleppte er seinen plötzlich viel zu schwer anmutenden Körper zu Hikari hinüber, dort ließ er sich schnaufend nieder und untersuchte sie vorsichtig.

Sie lebte. Doch so sehr er sie auch rüttelte und ihren Namen sagte, sie wachte nicht auf. Sie war auch völlig unterkühlt. Eiskalter, klebriger Schweiß lag in etlichen, winzigen Perlen auf ihrem Gesicht und war teilweise schon eingetrocknet.

Erst jetzt wurde es Mamoru bewusst, dass auch ihm sehr kalt war. Er fror erbärmlich und versuchte, seinen Körper durch Zittern wieder etwas aufzuwärmen. Er musste Hilfe holen, sofort! Doch was sollte er tun?

Ein Blick auf seine Armbanduhr verriet ihm, dass es kurz nach zwei Uhr Morgens war. Er mochte vielleicht zwei oder drei Stunden lang geschlafen haben.

Als er seinen Blick wieder hob und instinktiv über die düstere Gasse schweifen ließ, da sah er es. Das Wesen stand in seiner bewegungslosen Haltung da und starrte dem Herren der Erde entgegen. Wahrscheinlich hatte es sich in den Schutz der Dunkelheit verzogen und dort auf das Erwachen des Jungen gewartet. Und das auch noch stundenlang. Wozu?

Mamoru zog die Nase hoch. Er brauchte seine Taschen gar nicht erst zu durchsuchen; er wusste, dass er kein Taschentuch bei sich trug. Wahrscheinlich würde er die nächsten paar Tage mit einer Grippe oder zumindest mit einer Erkältung im Bett liegen. Doch bei diesen Temperaturen konnte man nichts anderes erwarten.

Er zögerte. Er hatte nicht den blassesten Schimmer davon, wie er jetzt handeln sollte. Er hatte nur die Ahnung, dass das Wesen irgendwas von ihm wollte; und ohne seine Einwilligung würde Mamoru diesen Ort nicht verlassen können.

Er wies mit der Hand auf Hikari. "Kannst Du ihr helfen?"

Das Wesen regte sich nicht. Einige Sekunden stand es bewegungslos da, als hätte es die Frage nicht verstanden. Dann endlich schüttelte es den Kopf.

"Hast Du dann was dagegen, wenn ich loslaufe und Hilfe organisiere?"

Die dunkle Kreatur legte zuerst den Kopf schief. Dann streckte es die Hand aus, mit der Handinnenfläche nach unten, und bewegte die Hand sachte auf und ab. Mamoru deutete dies als eine Geste, die soviel bedeuten sollte wie <bleib ruhig; warte; bleib an diesem Ort>. Mit anderen Worten: Ja, hab was dagegen.

Der Junge seufzte. "Sie wird sterben, wenn ich nichts unternehme. Und mir wäre es lieber, wenn auch ich es etwas wärmer hätte."

Der Schatten nickte. Er verstand das. Dennoch machte er keine Gesten, die zu verstehen gegeben hätten, Mamoru dürfe jetzt gehen.

"Was ist passiert, nachdem Du mich weggebracht hast ... bevor ich mitten im Kampf aufgewacht bin?"

Das Ding hob die Schultern und schüttelte den Kopf. Anscheinend waren diese Umstände zu schwierig zu erklären und die Körpersprache allein reichte nicht aus. Mamoru musste sich also auf Ja-Nein-Fragen beschränken.

"Ich war sehr geschwächt, weil ich vor dem Kampf diesem Mann geholfen habe, der wahrscheinlich immer noch da draußen irgendwo rumliegt. Dennoch war ich zum Kampf wieder gestärkt. Habe ich die Kraft zum Kämpfen von Dir bekommen?"

Es nickte bejahend.

"Warum? So, wie Du gekämpft hast, schätze ich mal, Du hättest meine Unterstützung nicht nötig gehabt."

Die Kreatur wandte sich um und wies mit ausgestrecktem Arm auf eine bestimmte Stelle am Boden. Das war genau der Platz gewesen, wo zuvor Jedyte gelegen hatte, und wo Mamoru und das Schattenwesen Seite an Seite gekämpft hatten, um sein Schutzschild zu durchbrechen.

"Oh", machte der Herr der Erde. "Du denkst, Du hättest es alleine doch nicht geschafft?"

Er dachte kurz darüber nach. Er kam jedoch zu keinem nennenswerten Ergebnis. Also stellte er die nächste offene Frage:

"Hast Du etwas damit zu tun gehabt, dass ich diesen schwarzen Anzug getragen habe? Dass ich zum ... wie hat Jedyte mich genannt? ... zum Sailorkrieger wurde?"

Die Schattengestalt wog ihren Kopf hin und her, als überlege sie eine Antwort. Nach einigen Sekunden der Unsicherheit machte sie eine fahrige Bewegung mit der Hand, aus der Mamoru nicht wirklich schlau wurde.

"Aha", machte er trotzdem. Er seufzte schwer und zog wieder seine Nase hoch.

"Was geschieht nur mit mir?", stöhnte er und begann wieder etwas stärker zu zittern. Die Kälte machte ihm ganz schön zu schaffen.

"Ich schätze, es gibt nun nur noch einige Fragen, die Du mir so nicht beantworten kannst. So Sachen wie: Wieso kann ich mich nicht mehr an den Anfang des Kampfes erinnern? Wer oder was genau waren Jedyte und sein Diener? Wieso muss ausgerechnet ich das alles erleben? Wieso habe ich die Stimme der Frau aus meinen Träumen gehört, die mich davor gewarnt hat, den Goldenen Kristall einzusetzen? Wer oder was bist Du? Und wovor genau hat sich Jedyte vorhin so sehr erschrocken?"

Die Schattenkreatur stand wieder wie erstarrt da und sah ihr Gegenüber aus tiefschwarzen Augen an. Erst jetzt fiel Mamoru auf, dass das Wesen sich im Vergleich zu vorhin wieder ein Stück verändert hatte. Wo es vor einigen Stunden noch irgendwie dunkler und fester erschienen war, da hatte Mamoru jetzt den Eindruck, als habe das Wesen wieder an Festigkeit verloren. Es war leichter, durch den schattenhaften Körper hindurchzusehen und zugleich war es schwerer, Details der Silhouette oder einzelne Körperteile auszumachen.

In Mamoru keimte eine Ahnung auf.

"Vorhin beim Kampf, da hast Du Dir Hikaris Energie einverleibt", erläuterte er. "Daraufhin hat Dein Körper an Dichte zugenommen. Hat das was mit einander zu tun?"

Das Wesen nickte. Seine ausdruckslosen Augen starrten den Herrn der Erde weiterhin auf eine Art und Weise an, die kaum etwas Lebendiges an sich hatte.

"Nun bist Du wieder etwas ... durchsichtiger. Das heißt dann also, Du hast ein gewaltiges Maß an Energie verloren?"

Es war zur gleichen Zeit eine Frage und eine Feststellung.

Das Wesen nickte.

"An mich?"

Wieder bewegte die Kreatur den Kopf auf und ab.

"Warum?"

Doch dies war wieder eine Frage, die das Wesen nicht beantworten konnte. Stumm und reglos stand es da; ein Schatten unter vielen.

Mamoru seufzte erneut. Dann zauberte sich ein sanftes Lächeln auf seine Lippen.

"Aus welchem Grund Du das auch immer getan hast - ich danke Dir dafür."

Das Wesen nickte ihm zu. Dann wandte es sich um. Es trat einige Schritte tiefer in die Gasse hinein. Dann verschmolz es mit der Dunkelheit und tauchte nicht mehr auf. Für Mamoru war das ein eindeutiges Zeichen dafür, dass das Gespräch beendet war. Er wurde zwar nicht wirklich schlau aus diesem Wesen, aber irgendwie konnte er auch keinen wirklichen Hass für diese Kreatur empfinden. Und das, obwohl einige Dinge geschehen waren, mit denen der Herr der Erde so ganz und gar nicht einverstanden war. Doch das stand momentan an zweiter Stelle.

Mamoru fand sehr bald den Mann, der mehr oder weniger den ganzen Trubel ausgelöst hatte. Auch er war - wie Hikari - nicht wirklich bei Besinnung, aber das lag wohl eher an dem gewaltigen Alkoholrausch, den er gerade verarbeiten musste. Dann und wann lallte der Kerl einige unverständliche Brocken und schnarchte daraufhin wieder ein paar Minuten lang.

Zuerst überlegte Mamoru ernsthaft, Hikari auf seinen Rücken zu packen und sie huckepack zum nächstbesten Telefon zu tragen, aber dazu war sein Körper doch noch viel zu geschwächt. Stattdessen schleifte er die beiden Körper - also Hikari und diesen komischen Kerl - in den Schutz der Dunkelheit dieser engen Gasse zwischen den Häusern und machte sich daraufhin alleine auf, um einen Krankenwagen zu verständigen.

Als die Ambulanz endlich auftauchte, erzählte Mamoru ihnen eine wirklich abenteuerliche Geschichte: Er und seine Freundin hätten diesen Betrunkenen gefunden, daraufhin wäre Hikari vor lauter Sorge um den armen Mann im Schock zusammengebrochen und auch Mamoru habe einen Kreislaufkoller erlitten - so was komme dann und wann schon mal vor. Die Sanitäter sahen ihn etwas skeptisch von der Seite an.

Aber mal ehrlich - die Wahrheit wäre wohl noch weniger glaubhaft gewesen, oder?

Sowohl der Fremde als auch Hikari wurden in das Krankenhaus eingeliefert und sollten da auf jeden Fall mal die Nacht verbringen - so sagte man es Mamoru zumindest. Beide wurden weiß-Gott-wohin gebracht und Näheres hatte Mamoru im Moment nichts anzugehen. Auch er wurde untersucht. Doch außer ein paar blauen Flecken, für die er auch schnell Ausreden gefunden hatte, und seiner Erkältung fand man nichts Besorgniserregendes. Das Einzige, was ihm Schwierigkeiten einbrachte, war die Tatsache, dass diese Leute vom Krankenhaus seine Tante Kioku und seinen Onkel Seigi aus dem Bett klingelten, was zur Folge hatte, dass die beiden natürlich auftauchten, sich unendliche Sorgen machten und etliche tausend Fragen stellten. Kioku benutzte ihren berühmten Satz "Die Welt da draußen ist groß und gefährlich" genau dreihundertsechsundfünfzig Mal - Mamoru hatte akribisch mitgezählt.

Und als er dann endlich wieder zu Hause und in seinem Bett war, da fand er noch nicht einmal die Zeit, über diesen einzigartigen Tag nachzudenken. Er schlief nämlich sofort ein und hörte in seinem Traum die Stimme einer Frau, die ihm immer wieder zuflüsterte, er solle den Silberkristall suchen...



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  RallyVincento
2005-10-17T11:37:34+00:00 17.10.2005 13:37
Also wo fang ich am besten an...
1. Hikari ist weg *Partyhütchen raushol und sektflaschen öffnen*
2. Der Schatten... was soll man da sagen... also er scheint net zu sein im moment noch. Auf jeden Fall hat er 100 Sympathie Punkte bekommen für das Ausschalten von dieser kleinen doofen ziege.^^
3. *sich zu Hikari wend* Hikari du bist doch total bescheuert... "Tu etwas Mamoru" bla bla bla hast du noch nie was von der Emanzipation gehört, selbst ist die Frau!

Das Kapi war einfach riesig und ich les sofort da nächste, also mach weiter so *knuddel*
Von: abgemeldet
2005-10-09T23:04:33+00:00 10.10.2005 01:04
Hattest du einen schönen Urlaub?^^

Wow, das nenne ich mal nervenaufreibend!Ich will unbedingt wissen was es mit dieser Schattenfigur auf sich hat. *wirklich neugierig ist*

Super das Jedyte, nun eine Paraderolle bekommen hat. Der Angriff war erste Sahne.

Ich kann mir Tante Kiokus mütterliche Fürsorge für Mamoru richtig bildlich vorstellen, der arme Mamoru, aber das Leben ist hart, da muss er eben durch!^^

Ein wirklich gelungener Teil die lange wartezeit hat sich gelohnt, hoffentlich schreibst du noch mehr über diese Schattenfigur, so toll dieses Kapitel war, aber die frage nach diesem Wesen lässt mich einfach nicht los.

Jedyte hat also die die Melodie der Spieluhr wieder erkannt? Anfangs hatte ich das Gefühl, das Jedyte noch nicht ganz von der schwarzen macht erfüllt war. Ach, ich bin so richtig gespannt wie es weiter geht, dieser Teil wae einfach genial, Super, Klassee etc.

Mach nur so weiter!^^

Lg^^


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