Eine Mary Sue auf Abwegen
"Schon gesehen? Wir haben jetzt unsere eigene Mary Sue!"
Erstaunt blickte Harry auf Ron, der schon die ganze Zeit um ihn herumgesprungen war und ihm anscheinend etwas mitteilen wollte - jetzt hatte er es getan.
"Eine was?"
Perplex schaute der Junge, der - wie ein gewisser Zaubertranklehrer fand - leider noch lebte, seinen besten Freund an und fragte sich, was das Wort, das ihn vage an etwas erinnerte, bedeutete.
"Eine eigene Mary Sue, du weißt schon!"
Ron hopste immer noch erstaunlich aufgeregt umher.
"Nein, weiß ich nicht - was ist das?"
"Was ist was?"
Erschöpft ließ Hermine sich auf einen Stuhl fallen und griff nach dem Toast, der bald darauf mit einer Riesenladung Orangenmarmelade erstickt wurde.
"Hermine, wir kriegen endlich auch unsere eigene Mary Sue!"
Erschrocken zuckte das brünette Mädchen zusammen, was dem Toastbrot ein jämmerliches Ende zwischen den müffelnden Füßen der Gryffindorschüler bescherte und schluckte heftig.
"Wir haben eine echte Mary Sue?!"
Aus irgendeinem Grund wirkte sie ziemlich entgeistert und war so laut, dass die gesamte Große Halle ihnen zuhörte - was ihr aber augenscheinlich ziemlich egal war.
Harry indes war das Rätselraten leid und tat das, was er immer tat, wenn er nicht weiter wusste, zu müde war oder einfach keine Lust zu nichts hatte:
Er fragte Hermine.
"Was zum Teufel ist eine Mary Sue?"
Hermines Finger zitterten unkontrolliert, ihre Augen waren weit aufgerissen und ihre Stimme nicht mehr als ein verängstigtes Piepen.
"Ein Mädchen... Oh mein Gott, sie wird in unsere Klasse kommen! Das ist mein Untergang!"
Ron protestierte lautstark.
"Warum sollte sie denn in unsere Klasse kommen? Die Auswahl ist doch noch nicht getroffen!"
Die talentierte junge Zauberin funkelte ihn wütend an.
"Weil Harry hier ist!"
Jetzt fiel auch bei Ron der Groschen.
"Natürlich..."
Harry aber wartete immer noch vergeblich auf das erlösende Klirren in seinem Schädel und wurde langsam ungeduldig, weshalb er beschloss, das Thema ad acta zu legen.
"Naja, noch jemand, dem du was über „Die Geschichte von Hogwarts“ erzählen kannst, Herm..."
Ein Aufschrei ging durch die Reihen und alle, Draco Malfoy und sämtliche Slytherins eingeschlossen, starrten ihn entsetzt an.
"Harry, wie kannst du nur! Niemand muss einer Mary Sue etwas erzählen - sie ist perfekt! Sie ist schlauer als Hermine, kann besser Quidditch spielen als du, ist stärker als Dumbledore und hat eine Verwandtschaft, von der du nur träumen kannst! Ich meine - sie ist MARY SUE!"
Jetzt ging eine ganze Groschenlawiene in Harrys Kopf los und er erinnerte sich plötzlich wieder.
"Ach, ihr meint so eine, wie Durmstrang letztes Jahr bekommen hat?"
Ron nickte ehrfürchtig.
"Das wird ein tolles Jahr...."
Hermine nickte und klopfte Harry mitleidig auf die Schulter.
"Ja, und du, mein Lieber, wirst dich unsterblich verlieben..."
Der Angesprochene hob die Augenbrauen leicht an.
"In wen denn?"
Alle Hogwartsschüler schauten ihn verzweifelt an, dann legte Draco Malfoy, der gerade an ihrem Tisch vorbeigeschlendert war, ihm seine Hand auf die Schulter und säuselte verführerisch:
"Natürlich in Mary Sue..."
Dieses Jahr würde für Harry Potter nicht einfach werden.
Plötzlich öffnete sich das Tor der großen Halle, alles wurde dunkel und verschiedenfarbige Flammen züngelten an den Wänden hoch, während Dumbledore ein wunderschönes Mädchen hereinführte. Das lange, goldene Haar mit den einzigartigen, silbrigen Strähnen hing in perfekten Wellen bis zu den Versen, das Gesicht war makellos und die verschiedenfarbigen Augen - eines Grün, das andere Blau - blickten freundlich in die Weltgeschichte.
Als sie dann anfing zu sprechen, war allen klar, dass sie die Mary Sue sein musste.
"Mein Name ist Aoife Aislinn Claire Chiara de Perfectioné - das heißt soviel wie wunderschöner Traum des klaren, strahlenden Lichtes der Perfektion. Aber ihr dürft mich ruhig Mary Sue nennen..."
Alle klatschten hingerissen, allein der fremdländische Klang des Namens war phantastisch.
"Und jetzt die Auswahl..."
Dumbledore war sehr freundlich zu dem Mädchen, das ja bald seine beste und liebste Schülerin werden würde, und bot ihr einen bequemen Sessel an, bevor er ihr den sprechenden Hut aufsetzte.
Eine gespannte Stille kehrte ein, obwohl eigentlich schon alle wussten was geschehen würde - zumindest dachten sie das.
"Mhh... Also..."
Der sprechende Hut schien unentschlossen, ja, er hätte sich wahrscheinlich sogar am Kopf gekratzt, wenn ihm nicht einige elementaren Körperteile dafür gefehlt hätten.
Einige Minuten lang herrschte eine unruhige Stille, und das magische Kleidungsstück schien immer unsicherer zu werden, bis...
"Bist du sicher, dass du überhaupt nach Hogwarts solltest?"
Das Mädchen unter der etwas aus der Mode gekommenen Kopfbedeckung seufzte resigniert auf. Warum waren Mützen eigentlich so beschränkt? Freundlicher Weise aber beschloss sie, ihn aufzuklären.
"Ich bin eine Mary Sue!"
Der Hut schien leicht zusammenzuzucken, dann schrie er laut hinaus:
"Natürlich Gryffindor!"
Alle seufzten erleichtert auf und klatschten wie verrückt, bis die junge Dame sich an den Haustisch setzte - nein, setzen wollte.
Denn selbstverständlich hatte sie sich den Platz zwischen Harry und Hermine ausgesucht, um sich dort äußerst anmutig niederzulassen, doch ein hinterhältiger Orangenmarmeladentoast, der auf der Erde lag, vereitelte dies.
Plötzlich schrie das perfekte Wesen auf, schwankte und rutschte unter den Tisch, wo es in sich zusammengekauert sitzen blieb.
Hermine hatte sich an Ron geklammert, als die Mary Sue plötzlich beschlossen hatte, unter der Tischdecke zu verschwinden und krallte ihre Finger immer noch fest in seinen Pullover.
"Oh mein Gott... Was war das?"
Ihre Stimme zitterte leicht, war noch panischer als noch kurz davor, als sie von Mary Sues Ankunft erfahren hatte, und Ron, der ebenfalls ungläubig auf den Boden starrte, meinte unsicher:
"Vielleicht hat sie ja einen Mordanschlag auf Harry vereitelt?"
Harry hob skeptisch die Augenbrauen - der Gedanke, dass ein Marmeladentoast ihn töten wollte, kam ihm ein wenig seltsam vor.
"Sie ist ausgerutscht."
Kaum hatte er das gesagt, bereute er es schon wieder, denn Hermine funkelte ihn wütend an.
"Eine MARY SUE rutscht nicht aus! Versteh es doch endlich, sie ist perfekt und all das muss eine vernünftige Erklärung haben...."
Leider klang ihre Stimme nicht halb so selbstsicher, wie sie es sich gewünscht hätte.
Während dessen beim Attentäter, dem Orangenmarmeladentoast :
Das wunderhübsche Mädchen hockte unter dem Tisch auf besagtem Brotstück und lauschte dem Gespräch, das vor ihrem Tisch geführt wurde, nicht im geringsten - sie war viel zu sehr damit beschäftig, die Tränen zurückzuhalten, die mit aller Gewalt herausbrechen wollten.
Und das wäre eine Katastrophe gewesen!
Nicht nur, dass ihre wundervollen Kontaktlinsen herausgespült worden wären, nein, ihr ganzes Make up würde sich verabschieden und ihr Gesicht nackt, leer und vor allem furchtbar durchschnittlich zurücklassen.
Wimmernd vergrub sie ihren Kopf zwischen ihren Fingern.
"Warum nur? Warum? Ich bin doch Mary Sue, warum passiert das alles mir? Das ist sooo ungerecht..."
"Hör auf zu jammern."
Aoife Aislinn Claire Chiara de Perfectioné, die aus Zeitgründen im Folgenden nur noch Mary Sue genannt werden wird, blickte auf und schaute direkt in die Augen eines zartzitronenfarbenen, fusselartigen Wesen mit kleinen pinken Flügelchen, das leicht rosa roch und soeben mit einem "Puff!" erschienen war.
"Und warum dies? Ich bin Mary Sue, mir passiert so etwas nicht!"
Das Wesen verdrehte entnervt die Augen und holte - aus purer Langeweile - ein paar Fähnchen heraus, mit denen es wild herumfuchtelte.
Und du glaubst also, dass du mehr wie eine Mary Sue wirst, wenn du jammerst? Das ist doch nicht dein Ernst, eine Mary Sue erträgt alles!"
Aus reiner Gewohnheit setzte es noch ein mehr oder weniger enthusiastisches "YAY!!" hintendran und wartete auf eine Antwort, die auch gleich kam.
"Ja, DU hast leicht reden! DU bist doch immer perfekt!"
Das geflügelte Etwas japste entrüstet auf und störte sich gar nicht daran, dass es eigentlich nur lieblich grölen konnte.
"ICH? PERFEKT? Ich bin ein Klischee, verdammt noch mal und was ist ein ordentliches Mary-Sue-Klischee ohne eine Mary Sue? Du machst alles kaputt!"
Wieder standen dicke Tränen in den eigentlich matschbraunen Augen des Mädchens, doch bevor es irgendetwas sagen konnte, hob sich die Tischdecke und das Klischee verschwand schnell mit einem leisen "Flatsch".
Harry ging dieses Theater langsam ein wenig auf die Nerven, deshalb bückte er sich und warf einen Blick zu Sue unter den Tisch.
Für einen Moment meinte er, einen rosafarbenen Geruch wahrnehmen zu können, dann schalt er sich selber einen Narren und lächelte das Mädchen an.
"Ähm... Also, wir hätten hier oben auch noch Verwendung für dich..."
Mit hochrotem Gesicht krabbelte Mary wieder nach oben und versuchte verzweifelt, sich gleichzeitig die Marmelade vom Rock zu wischen.
Dann ließ sie sich - jetzt endlich mehr oder weniger anmutig - am Tisch nieder und blickte auf ihren Teller.
Als ihr die verlegene Stille zu viel wurde, räusperte sie sich umständlich und begann einfach zu sprechen.
"Also... An dem Tag, als meine Schwester von Todessern getötet wurde, hat auch Voldemort unser Haus besucht - er wollte mich töten, hat aber.... irgendetwas falsch gemacht, seit dem habe ich so seltsame Schwächeanfälle..."
Sie hatte keine Schwester, nie gehabt, war auch nie verflucht worden, doch zumindest hatte sie jetzt schon einen Hauch von dunkler Vergangenheit. Jetzt noch eine bedeutungsschwere Pause, dann war zumindest das geschafft.
Verdammt, dieser Job war anstrengend.
Mary lag, mit weit geöffneten Augen, auf ihrem Bett und starrte an die Decke. Nicht, dass da irgendetwas besonderes zu sehen war, doch momentan fiel ihr nichts ein, dass mehr zu ihrem Image passen würde.
Es hatte nicht gut angefangen.
Überhaupt nicht.
Und als Mary Sue hatte sie sowieso schon kläglich versagt...
Seufzend schloss sie die Augen und ärgerte sich wieder über die Kontaktlinsen, die so unheimlich unbequem waren.
Plötzlich ertönte ein leises "Puff!", und noch bevor sie den leicht rosafarbenen Geruch wahrnahm, wusste sie, wer aufgetaucht war.
"Was zum Teufel tust du da? Wie willst du denn eine richtige Sue werden, wenn du die ganze Zeit untätig herumsitzt und nichts tust? Wie stellst du dir das denn vor?"
Mit einem noch schwereren, tieferen Seufzer schlug Mary Sue die Augen wieder auf und schaute ihr persönliches Klischee an.
"Was soll ich denn machen, verdammt noch eins? Wie stellst du dir das vor? Soll ich hingehen und alle beeindrucken? Womit denn, du Möchtegern-Klischee!?"
Das zartzitronenfarbene Wesen lief beängstigend orange an, dann explodierte es und wurde zu hellgrünem Staub, der sich auf die Möbel legte.
Zwei Minuten später war es wieder, in voller Form und Farbe, anwesend und schrie seinen Schützling an.
"GENAU! Mach dich jetzt gefälligst an Harry Potter ran - wenigstens DAS musst du schaffen!"
Wild entschlossen holte es ein paar Fähnchen hervor und wirbelte mit ihnen herum.
"YAY!"
Die junge Dame stapfte energisch in den Aufenthaltsraum der Gryffindors und blickte sich suchend um - kein Harry weit und breit.
Also musst sie das wohl selber in die Hand nehmen...
Zielstrebig nahm sie die Treppe zu den Jungenschlafsälen und öffnete schließlich die Tür, hinter der sie Harry vermutete - leider zu Unrecht.
Ein kleiner Erstklässler blickte sie fragend an und errötete bis unter die Haarspitzen, als er erkannte, dass DIE Mary Sue in sein Zimmer spaziert kam.
Mary brauchte nur wenige Sekunden, bevor sie die Situation erfasste, dann wusste sie, dass sie eine Ausrede brauchte - eine Mary Sue irrte sich nie in der Tür.
"Ähm..."
Hilflos stand sie herum und überlegt fieberhaft, bis ihr Blick auf ein Poster an der Wand fiel.
Und sie lächelte.
"In diesem Zimmer wird einer der besten Quidditchspieler aller Zeiten aufwachsen!"
Und mit einem letzten, hoheitsvoll-geheimniskrämerischen Blick warf sie die Tür wieder zu und stand erneut ratlos im Gang herum.
Dann hatte sie einen Gedankenblitz.
"Harry, bist du da?"
Sie hörte nichts, kletterte die Stufen aber weiter hinauf, bis sie triumphierend auf eine Tür starrte, auf der mit roten Lettern geschrieben stand:
"Hier wohnen Harry, Ron, Neville, Dean und der Trottel, der mal wieder nicht unterschreiben wollte."
Wieder einmal hatte ihr untrügliches Gespür sie geführt...
Stolz stieß sie die Tür auf und blickte in ein sehr unordentliches, aber absolut menschenleeres Zimmer.
"Harry? Bist du hier irgendwo?"
Suchend blickte sie sich um und ließ sich, als sie niemanden sehen konnte, auf eines der Betten fallen.
Verdammt, und was jetzt?
Für einen Moment wünschte sie sich ihr Klischee herbei, dann kam der dritte und vorerst auch letzte Gedankenblitz.
Sie würde sich einfach ein wenig umschauen, damit sie wusste, wo Harrys Schwächen und Vorlieben lagen, dann konnte sie sich besser mit ihm anfreunden!
Und er könnte sich leichter in sie verlieben...
Beschwingt drehte sie sich einmal um sich selbst und blickte dann auch gleich auf einen Schrank, auf dem in großen Lettern "Harry Potter" stand.
Ja, da würde sie sicher etwas finden...
Mit großen Schritten ging sie auf das Möbelstück zu und riss es auf.
Für einen Moment erstarrte sie völlig ungläubig, dann sanken ihre Hände zitternd herab...
Kleiner Zeitsprung - Was knapp zehn Minuten vorher geschah.
Ihm war heiß - so unglaublich heiß, dass er dachte, er müsse verbrennen.
Sein Herz schlug schneller als jemals zuvor, sein Laken war schon völlig durchnäßt und seine Brust hob sich immer heftiger.
Er spürte das Blut in seinem Gesicht, die Erregung in seinen Adern und das Adrenalin, das durch ihn fuhr.
Die warmen, irgendwie brennenden Lippen, die so furchtbar sanft sein konnten, wanderten seinen Körper hinunter und senkten sich schließlich auf diese eine Stelle, wo sie so dringend gebraucht wurden...
"Draco...Uhm..."
Seine schlanken Finger krallten sich in das hellblonde Haar seines Erzfeindes, der daraufhin, schlecht erzogen, wie er eben war, wieder auftauchte und den Jungen, der lebte, heiß und innig küsste.
"Potter - kannst du mir erklären, warum wir gerade auf deinem Bett liegen und schöne Spielchen miteinander spielen? Ich dachte, wir wollten uns duellieren..."
Harry schlang seine Arme fester um Draco´s Nacken und schaute dem Jungen tief in die hellen Augen.
"Weil du absolut scharf auf mich bist, weil ich wahnsinnig scharf auf dich bin und wir nicht wollen, dass irgendwer das mitbekommt?"
Der Nachfahre der Malfoy grinst dreckig.
"Was würde meine Mutter wohl sagen, wenn sie wüsste, dass wir beide hemmungslosen Sex haben?"
Da er seinem Geliebten bei diesen Worten sehr energisch zwischen die Beine fasste, stöhnte dieser laut auf, bevor er antwortete.
"Es gibt Dinge, die meine Mutter wirklich nicht wissen muss..."
Gerade als die Beiden wieder richtig loslegen wollten, hörten sie mit einem Mal eine helle Stimme auf der Treppe.
"Harry, bist du da?"
Erschrocken fuhren die Zwei auseinander, denn beide hatten sie die Mary Sue erkannt.
"Verdammt, was will die hier?"
Panisch blickte Harry sich um und seine Augen blieben an dem ziemlich nackten Slytherin hängen.
"Verdammt, sie darf uns nicht sehen!"
Jetzt sprang auch Draco auf und schnappte sich schnell seine Klamotten. Schritte näherten sich auf der Treppe, unaufhaltsam kamen sie auf sie zu...
Kurzerhand schubste Harry seinen Geliebten in den Schrank und blickte sich um.
Irgendwo etwas, das sie verraten hätte?
...sah nicht so aus...
Die Schritte waren noch näher gekommen und plötzlich spürte Harry eine warme Hand an seinem Arm.
"Draco! Du sollst dich doch..."
Sein Freund funkelte ihn belustig an - ihm schien das Ganze irgendwie Spaß zu machen.
"Harry, du bist splitterfasernackt und - durch meine vorzügliche Arbeit - eindeutig sehr erregt; findest du es unauffällig, wenn du ihr so begegnest?"
Hilflos starrte der dunkelhaarige Junge erst den Sprechenden, dann sich selber an und stellte fest, dass dieser Recht hatte - und schon im nächsten Moment hockten sie zu zweit im engen, dunklen Schrank und horchten.
Langsam quietschte die Tür und Schritte kamen näher.
"Harry? Bist du hier irgendwo?"
Mit rasendem Herzen hielt der Gesuchte den Atem an und...stöhnte.
Letzteres, weil Draco seine Lage etwas verändert hatte und sein Bein nun stetig über Harrys Schritt rieb.
"Verdammt - lass das!"
Puterrot presste der erregte Junge die Lippen aufeinander und hoffte, dass man sie nicht gehört hatte und spürte wieder, wie sein Liebhaber ihn langsam reizte.
Auch ohne Licht konnte er sich das dreckige Grinsen lebhaft vorstellen, und er beschloss, einfach die Augen zu schließen und alles auszusperren.
Vergeblich.
Sein Atem ging immer schneller und wurde lauter und plötzlich hörte er, wie die Schritte wieder näher kamen - verdammt, sie hatte sie gehört!
Panisch sah er sich um, erblickte ein zartes Schimmern und beschloss, einfach zu handeln.
In dem Moment, in dem Mary nach den Griff der Tür langte, riss Harry seinen Tarnumhang herab und stürzte sich auf Draco.
Sie konnte es einfach nicht fassen...
Unglaublich...
Wie konnte man nur so hemmungslos sein?
Er...er hatte sich doch denken können, dass sie kommen würde!
Und da machte er so etwas!
Aber irgendwie auch süß...
Diese Unordnung war ja noch schlimmer als das, was sie von sich selbst gewohnt war!
Sie kicherte mädchenhaft und betrachtete die wild durcheinander geworfenen Kleider - hätte sie gewusst, warum es dort so aussah, wäre ihre Reaktion gewiss anders gewesen.
Doch so sog sie nur die irgendwie schweißig riechende Luft ein, merkte, dass es sehr aufregend roch und knallte die Türe dann wieder zu.
Jeden Moment könnte jemand kommen und es wäre nicht gut, wenn man sie schnüffelnd erwischte - eine Mary Sue schnüffelte nie!
Seufzend machte sie sich auf den Weg nach unten, um das Abendessen nicht zu verpassen, ohne zu wissen, dass ihr Zukünftiger gerade in diesem Moment laut stöhnend von Draco Malfoy vernascht wurde.
Nun waren es schon drei Wochen, die die Mary Sue in Hogwarts verbrachte und aufgrund einiger seltsamer Umstände berief Hermine eine Notfallsitzung ein.
Alle Gryffindors aus ihrem Jahrgang waren gekommen, alle Ravenclaws und ein Großteil der anderen Häuser.
Nun saßen sie in einem leerstehenden Klassenraum und blickten alle auf Hermine, die den Vorsitz übernommen hatte - sehr zum Leidwesen einiger anderer.
"Also, schön dass ihr alle gekommen seid. Wir haben ein Problem. Und dieses Problem heißt Mary Sue..."
Ein molliges Mädchen aus Slytherin fiel ihr ins Wort.
"Von wegen Mary Sue! Sie versaut jeden Zaubertrank, den wir brauen müssen!"
Ein Ravenclaw-Junge stimmte ihr zu.
"Sie ist kein bißchen perfekt, sie trägt nämlich eine Perücke und Kontaktlinsen!"
"Und ohne Schminke sieht sie ganz normal aus!"
"Außerdem weiß sie nie, was wir machen müssen!"
"Sie lügt und erfindet irgendwelche Geschichten!"
"Sie nimmt Diätpillen um ihr Gewicht zu halten!"
"Sogar ihr Klischee ist sauer auf sie! Andauernd zerplatzt es zu so einem ekligen grünen Zeug!"
Die Vorwürfe nahmen keine Ende und so musste Hermine den Schlusspunkt setzen.
"RUHE!"
Kurz schloss sie die Augen, sammelte sich, dann redete sie weiter.
"Das wissen wir doch alle - ich muss ihr immer vorsagen, was richtig ist und irgendwie ist sie auch nicht immer nett. Aber sie ist eine Mary Sue, versteht ihr? Und wir werden alles tun, damit sie perfekt wirkt.
Wer mit ihr Unterricht hat, tut so, als würde SIE ihm helfen und nicht anders herum. Die Jungs tun bitte so, als wären sie alle in sie verliebt,", hier stöhnten eben diese gemeinschaftlich auf,
"und die Mädchen mögen und beneiden sie alle. Wenn sie schon nicht perfekt ist, müssen wir sie eben perfekt machen..."
Wieder hielt sie inne und ließ ihren Blick schweifen, bis sie Harry bedauernd ansah.
"Und du, mein Lieber wirst dich unsterblich in sie verlieben..."
Der Bezwinger Voldermorts schüttelte entschlossen den Kopf.
"Nein, Hermine, das werde ich nicht tun."
Seine langjährige Freundin nickte nur.
"Doch - dass ist doch das Wichtigste, die Mary Sue bekommt den Lieblingscharakter, entweder als festen Freund oder Bruder. Und da letzteres nicht möglich ist..."
Alle nickten und Harry fühlte sich in die Ecke gedrängt - bis ihm eine glänzende Idee kam
"Ich bin aber schwul."
Für einen Moment war es totenstill im Raum und alle starrten ihn an - dann ergriff Ron das Wort.
"Noch besser, dann wurdest du von ihrer Schönheit, ihrer Anmut und ihrer Perfektion zum Hetero-sein bekehrt."
Harry blickte in eindringlich an.
"Ron – ich bin schwul."
Hermine seufzte, doch bevor sie etwas sagen konnte, meldete sich Blaise.
"Na, du kannst ja immer noch mit deinem Freund zusammen sein - du musst es eben nur verstecken. Vielleicht wird Mary Sue ja perfekter, wenn sie das Gefühl hat, es zu sein..."
Der dunkelhaarige Zauberer merkte, dass er verloren hatte.
"Okay, aber ich himmele sie nur an, mehr nicht!"
Verständnisvoll nickten alle, bevor es weiter in der Tagesordnung ging.
Die Sue musste perfekt werden!
Und so kam es, dass Mary Sue ab diesem Tage von allen bewundert wurde.
Sie wurde angehimmelt, sogar Harry Potter, der größte Jungmagier seiner Zeit, schaute ihr sehnsüchtig hinterher, fand aber, dass er dieser Perfektion nicht würdig war.
Als er ihr das sagte, fühlte Aoife Aislinn Claire Chiara de Perfectioné zum ersten Mal, wieso es etwas besonderes war, so zu sein wie sie.
Sie fühlte ihre Macht über andere Menschen und auch ihr Klischee, das in letzter Zeit ja ziemlich verärgert gewesen war, erstarkte wieder und flog, lieblich "YAY!"-grölend und Fähnchen-schwingend durch die Gänge der Zauberschule, sodass sein rosafarbener Duft das ganze Haus erfüllte.
Und so kam es, dass alle Schüler der siebten Klassen peinlich darauf bedacht waren, nie besser zu sein als Mary Sue und dass Hermine mit ihren Nerven völlige am Ende war, weil sie ihr Wissen zwanghaft zurückhalten musste.
Doch die Lehrer wussten ihr Engagement zu schätzen und gaben ihr und den anderen, die auf die Sue Rücksicht nahmen, weiterhin gute Noten.
Und so kam es auch, dass Harry Potter und Draco Malfoy die unglaublichsten Orte, Stellungen und Zeitpunkte fanden, um sich zu lieben, miteinander zu verschmelzen und - einfach anders ausgedrückt - heißen, hemmungslosen Sex zu haben.
Ein besonderer Kick dabei war, dass Mary Sue immer noch oft zu Harry ging und die Beiden sich häufig erst im letzten Moment retten konnten - es gefiel ihnen aber, am Rande der Katastrophe zu leben.
Und das ist das Ende der Geschichte:
Mary Sue ging, wie alle anderen, nach diesem Jahr ab und war, durch die Rücksichtnahme ihrer Mitschüler, mit genug Selbstvertrauen versehen, um eine wirklich perfekte Sue zu sein.
Da diese Gattung Mensch aber überall ungern gesehen werden, weil sie eklig perfekt und dadurch langweilig und flach sind, sollte ihr Leben nicht so schön verlaufen, wie sie es sich erträumt hatte.
Ihrem Klischee erging es noch schlimmer, denn eine Verrückte, die verzweifelt versuchte, sich ihr Leben zu nehmen, klatschte es einfach herzlos gegen eine Wand und brachte es so zu Tode.
So wird es auch allen anderen Klischees ergehen, denn wahre Literatur kann nur aus der Originalität entspringen, nicht aus abgedroschenen Phrasen.
Und Harry und Draco?
Sie heirateten, bekamen ein Kind und lebten glücklich bis an ihr Lebensende.
The End...
